Mutters
Agenda
ersten Band
Ohne Datum 1956
(Brief von Satprem an Mutter)
Pondicherry, 1956
Liebe Mutter, seit langen Monaten schlage ich mich mit einem schmerzlichen Konflikt herum, und manchmal spürte ich sogar Gefahren. Schließlich bin ich ruhig in mich gegangen, und es schien mir, daß ich besser daran täte, eine Zeit lang "auf Wanderschaft" zu gehen.
Ich glaubte, mich von diesem Konflikt zu befreien, indem ich ein Buch schreibe. Aber tatsächlich geht es nicht um das Mental, das befreit werden muß, wenigstens nicht nur, sondern um das Vital, das sich ausleben muß.
Ich glaube eine klare mentale Wahrnehmung des zu erreichenden Ziels zu haben und ich zweifle nicht mehr an dem spirituellen Sinn meines Lebens, aber diese Art von mentaler Reife stößt sich an dem Widerstand eines zu "jungen" Vitals, das sich noch nicht genug auf den Wegen ausgelebt hat. Diese vitale Kraft hat sich hier noch verschärft, und es gelingt ihr nicht, sich zu befreien. Es ist zweifellos eine Frage der Zeit, des Alters. So wurde meine ganze Energie, besonders seit einem Jahr, auf "negative" Weise eingesetzt, in der Bemühung, nicht wegzugehen. Dieser Kampf scheint jede positive Anstrengung zu unterdrücken, sogar den eigentlichen Sinn meines Hierseins.
Diese vitale Kraft sucht nicht mehr sexuelle Erfüllung, auch nicht Erfolg in einer Welt, an die sie nicht mehr glaubt, aber sie verspürt das Bedürfnis "zu wandern", herauszukommen. Vielleicht würde alles besser gehen, wenn ich einige Zeit in den Himalaja ginge, um zu atmen? Ich will nichts ohne Deine Zustimmung tun, und wenn ich gehe, dann erst nach dem 15. August.
Liebe Mutter, ich schreibe all dies ruhig, ohne Empörung, aber die Schärfe des Konfliktes war in den letzten Monaten zu groß geworden, sodaß ich mich manchmal bedroht fühlte. Ich lege Dir das alles vor, damit Du mir sagst, was richtig ist.
Liebe Mutter, ich will Dein Kind bleiben trotz all dieser Schwierigkeiten. Vergib mir, daß ich Deine Zeit in Anspruch nehme und so wenig fügsam bin.
Bernard