Mutters
Agenda
ersten Band
3. März 1960
Die Erfahrungen folgen einander in beschleunigtem Rhythmus – fabelhafte Erfahrungen. Sicherlich, müßte ich jetzt sprechen, würde ich überhaupt nicht mehr so wie damals reden. Deshalb ist es auch notwendig, alle diese alten Entretiens zu datieren, zumindest jene vor der [supramentalen] Manifestation vom Februar 1956, damit eine klare Trennung zwischen den vorherigen und den darauffolgenden besteht.
Noch vor wenigen Tagen, am Morgen des 29., hatte ich eine dieser Erfahrungen, die ein Leben kennzeichnen. Es geschah oben in meinem Zimmer. Ich wiederholte mein Japa und schritt mit offenen Augen auf und ab, als plötzlich Krishna erschien: ein völlig goldener Krishna, in einem goldenen Licht, welches das ganze Zimmer erfüllte. Ich ging weiter und sah nicht einmal mehr die Fenster, den Teppich, überall schien dieses goldene Licht mit Krishna in der Mitte. Das dauerte eine gute halbe Stunde. Er trug die Kleider, mit denen man ihn meist darstellt, wenn er tanzt. Er war so leicht, tanzend: "Siehst du, heute abend beim Darshan 1 werde ich da sein." Und plötzlich kam der Darshan-Sessel ins Zimmer! Krishna kletterte hinauf, und mit einem verschmitzten Funkeln in den Augen sagte er: "Ich werde hier sitzen, siehst du, und es wird kein Platz mehr für dich bleiben!"
Als ich abends zur Verteilung nach unten kam, ärgerte ich mich als erstes: ich hatte gesagt, ich wollte niemand im Saal haben, gerade weil ich eine Atmosphäre der Konzentration, der geistigen Unbewegtheit herstellen wollte; aber da waren sie schon mindestens zu dreißig (jene, die den Saal geschmückt hatten), und alle dreißig bewegten sich ununterbrochen – eine Fülle kleiner Vibrationen. Und bevor ich auch nur einen Laut sagen konnte und mich kaum hingesetzt hatte, legten sie mir den Korb mit den Medaillen 2 auf den Schoß und reihten sich vor mir auf.
Aber dann geschah das Erstaunliche, daß auf einmal niemand mehr da war! Niemand – ich war verschwunden. Vielleicht war ich überall (aber eigentlich bin ich immer überall, ich habe immer das Bewußtsein, überall zugleich zu sein), doch gewöhnlich bleibt das Gefühl eines Körpers, eines physischen Zentrums: an diesem Abend gab es kein Zentrum mehr! Nichts mehr, niemand mehr, nicht einmal das Gefühl einer anwesenden Person – nichts. Ich war verschwunden. Sicherlich war da etwas, das die Medaillen verteilte, die Freude sie zu empfangen, die Freude einander anzusehen. Es war nur die Freude der ablaufenden Handlung, die Freude des Blickes, überall die Freude, aber ich? – Nichts, niemand, verschwunden. Und erst hinterher, später, erkannte ich, daß die Dinge so abliefen, weil alles verschwunden war, sogar der höhere Intellekt, der die Dinge versteht und organisiert ("versteht", ich meine, der die Dinge enthält). Auch das war verschwunden. Und das blieb während der ganzen Verteilung so. Erst als der Körper wieder nach oben ins Zimmer ging, kehrte das Bewußtsein dessen, was ich bin, wieder zurück.
Es gibt einen Vers in Savitri, wo Sri Aurobindo das sehr gut beschreibt: sich auslöschen, damit es nur noch den Höchsten Herrn gibt.
Und viele, viele solche Erfahrungen geschehen. Das ist erst ein winzig kleiner Anfang. Es kam, um die neue Etappe zu kennzeichnen: die vergangenen vier Jahre und die kommenden vier Jahre; denn alles wandte sich diesem Körper zu, um ihn vorzubereiten, alles konzentrierte sich auf ihn: die Natur, der Meister des Yogas, der Höchste, alles... So werden die Dinge erst dann wirklich interessant zu erzählen sein, wenn es vollendet ist, nicht vorher. Andererseits wird es vielleicht auch nie vollendet sein! Es ist ein kleiner Anfang, sehr klein.
1 Das Darshan des 29. Februar 1960, erster Jahrestag der Supramentalen Manifestation.
2 Zum Andenken des ersten Jahrestags der Supramentalen Manifestation wurde eine Medaille an die Schüler verteilt.