Mutters
Agenda
ersten Band
Ich würde dich gerne viel öfter sehen, drei–, viermal in der Woche, jeden zweiten Tag – wenn mich nur die Leute...
Mit den Briefen ist es dasselbe.
Sie ermorden mich mit Briefen.
Ich habe einen Korb, in dem ich sie ablege: jetzt schließt er nicht mehr! Jeden Morgen verbringe ich dreiviertel Stunden damit, Briefe zu schreiben. Jeden Tag geben sie mir sechs, sieben, acht, zehn Briefe; was kann ich da tun? Sri Aurobindo selber verbrachte schließlich seine ganzen Nächte damit, Briefe zu schreiben – bis er blind wurde.
Das kann ich nicht machen, weil ich anderes zu tun habe. Und mir liegt auch nicht daran, blind zu werden. Ich brauche meine Augen, sie sind meine Arbeitsinstrumente.
Dazu kommen noch die Leute, die mich sehen wollen. Jetzt wollen alle mich sehen! Und wenn sie dann einmal gekommen sind, sind sie zufrieden und verlangen, daß es fortgesetzt wird! Wenn ich sehr unangenehm wäre und ihnen sagte... (Mutter lacht) aber das geht nicht an, verstehst du!
...Man darf sich nicht beunruhigen lassen. Es gibt wirklich nur eines zu tun: in einem Zustand beständigen Friedens, beständigen Gleichmuts zu bleiben, denn die Dinge sind nicht... sind nicht angenehm. Oh, wenn du wüßtest, was für Briefe sie mir alle schreiben... erst einmal die ungeheure Anzahl von Eseleien, die überhaupt nicht geschrieben werden sollten; dazu kommt eine solche Darbietung von Unwissenheit, von Egoismus, von schlechtem Willen, von vollkommenem Unverständnis und einer Undankbarkeit ohne Gleichen, und all das... mit einer Naivität! Sie werfen das alle über mich, jeden Tag, von den unerwartetsten Stellen.
Wenn mich das berühren sollte (Mutter lacht), dann wäre ich schon seit langem... ich weiß nicht, wo. Das ist mir vollkommen egal, aber vollkommen – das bewegt mich nicht, ich lächele darüber.
(Schweigen)
Deshalb laß dich nicht davon beunruhigen... Oft denke ich an dich, weil ich weiß, daß du sehr empfindlich gegen all das bist. Es ist... wirklich häßlich; ein ganzer Bereich der menschlichen Intelligenz (das "Intelligenz" zu nennen, ist ein zu großes Kompliment), ein Bereich des menschlichen Mentals ist sehr-sehr... abstoßend. Das muß zurückgelassen werden. Das berührt uns nicht. WIR sind woanders – woanders. Wir stecken NICHT in dieser Rille! Automatisch.
Wir halten unseren Kopf außerhalb davon.
Dich sehe ich außerhalb, ich fühle dich außerhalb, ich begegne dir immer.
Gut. Auf Wiedersehen.