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Mutters

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zweiten Band

17. Januar 1961

Aphorismus 51 – Wenn ich von einem gerechten Zorn reden höre, erstaune ich mich über des Menschen Fähigkeit, sich selbst zu betrügen.

Was hast du zu sagen?

Man ist immer guten Glaubens, wenn man sich selbst betrügt! Man handelt immer für das Wohl der anderen oder im Interesse der Menschheit, und um dir zu dienen (das versteht sich von selbst!). Wie betrügen wir uns dann eigentlich?

Jetzt möchte ich dir eine Frage stellen! Denn man kann deine Frage auf zwei Arten verstehen. Man kann sie in dem gleichen ironischen, humoristischen Ton verstehen, den Sri Aurobindo anschlägt, wenn er sich über des Menschen Fähigkeit, sich selbst zu betrügen, erstaunt. Das heißt, du versetzt dich an die Stelle desjenigen, der sich betrügt, und sagst: "Aber ich bin doch guten Glaubens! Ich bemühe mich immer um das Wohl der Anderen, das Interesse der Menschheit... und dem Göttlichen zu dienen, das versteht sich von selbst! Wie kann ich mich da betrügen?"

Im Grunde gibt es zwei sehr verschiedene Arten, sich zu betrügen. Man kann wohl über manche Dinge empört sein, aber nicht aus persönlichen Gründen, sondern eben in seinem guten Glauben und Eifer, dem Göttlichen zu dienen: wenn man Menschen sieht, die sich schlecht benehmen, die egoistisch oder untreu sind, die Verräter sind. Und in einem bestimmten Stadium hat man diese Dinge zwar in sich selbst überwunden und erlaubt ihnen nicht mehr, IN SICH zu wirken, aber sofern man noch mit dem gewöhnlichen Bewußtsein und Gesichtspunkt, dem gewöhnlichen Leben und Denken, Verbindung hat, besteht ihre Möglichkeit noch, sie sind noch versteckt da, denn sie sind die Kehrseite der guten Eigenschaften, die man sich wünscht. Diese Gegensätzlichkeit der beiden bleibt immer – solange, bis man darüber hinausgegangen ist und weder die gute noch die schlechte Eigenschaft mehr in sich hat. Solange man eine Tugend hat, hat man immer ihr verstecktes Gegenteil. Das verschwindet erst, wenn man jenseits von Tugend und Fehler steht.

Bis dahin entstammt diese Empörung, die man fühlt, der Tatsache, daß man selbst noch nicht ganz darüber steht: man ist noch in der Periode, wo man ganz und gar dagegen ist und es selber nicht machen könnte. Hier gibt es nichts dagegen zu sagen, solange man der Empörung keinen äußeren, gewalttätigen Ausdruck gibt. Wenn sich Zorn einmischt, ist der Grund ein totaler Widerspruch zwischen dem Gefühl, das man haben will, und der Reaktion, die man gegenüber den Mitmenschen zeigt. Denn der Zorn ist eine Entstellung der Kraft des Vitals 1 – ein dunkles, sehr unentwickeltes Vital, das noch allen gewöhnlichen Einflüssen und Reaktionen unterliegt. Wird diese vitale Kraft von einem unwissenden und egoistischen Willen gelenkt und trifft dieser Wille auf den Widerstand der anderen individuellen Willen der Umgebung, so verwandelt sich die Kraft unter dem Druck des Widerstandes in Zorn und versucht mit Gewalt zu bewirken, was durch den alleinigen Druck der Kraft nicht erreicht werden kann.

Im Übrigen ist der Zorn, wie alle Formen von Gewalt, ein Zeichen der Schwäche, der Machtlosigkeit und Unfähigkeit.

Hier liegt der Selbstbetrug nur in der Einwilligung, die man dem Zorn gibt, oder in dem schönen Wort, mit dem man ihn verkleidet – denn der Zorn kann nie anders als blind, unwissend und asurisch sein, das heißt dem Licht entgegengesetzt.

Aber dies ist noch der bestmögliche Fall.

Dann gibt es noch die andere Seite: Leute, die ohne es zu wissen, oder weil sie es nicht wissen WOLLEN, immer ihrem Eigeninteresse, ihrer Vorliebe, ihrer Neigung und Ansicht folgen; sie sind nicht vollkommen dem Göttlichen gewidmet und bedienen sich der yogischen und moralischen Begriffe, um ihre persönlichen Motive zu verbergen. Diese Leute betrügen sich zweifach – sie betrügen sich nicht nur in ihren äußeren Handlungen und in ihrem Verhältnis zu den anderen, sondern sie betrügen sich selbst, in ihren persönlichen Motiven: anstatt dem Göttlichen zu dienen, dienen sie ihrem Egoismus. Und das passiert ständig, die ganze Zeit! Man dient seiner eigenen Person und dem Egoismus, während man vorgibt, dem Göttlichen zu dienen. Das ist nicht nur Selbstbetrug, sondern reine Heuchelei.

Das ist diese intellektuelle Gewohnheit, alles mit einem sehr wohlwollenden Anschein zu überziehen, allen Regungen eine günstige Erklärung zu geben – oft ist das so kraß, daß es niemanden täuscht außer sich selbst, aber manchmal ist es subtil genug, um den anderen etwas vormachen zu können. Das ist diese Gewohnheit, alles zu entschuldigen, die Gewohnheit, allem, was man tut, sagt und empfindet, eine wohlwollende intellektuelle Entschuldigung oder Erklärung zu geben. Jemand, zum Beispiel, der keine Selbstkontrolle hat, gibt einem anderen in großer Empörung eine Ohrfeige, und dann bezeichnet er das fast als Zorn Gottes! "Rechtschaffen" drückt es sehr schön aus! Denn "rechtschaffen" bringt sofort das Element der puritanischen Moralität hinein – herrlich!

Die Fähigkeit, sich zu betrügen, ist ungeheuerlich – die Kunst, die der Verstand hat, für jede beliebige Unwissenheit und Dummheit eine vorzügliche Rechtfertigung zu finden.

Diese Erfahrung hat man nicht nur gelegentlich, man kann das in jeder Minute bemerken. Und im allgemeinen erkennt man es viel besser bei den anderen! Aber wenn man sich genau beobachtet, erwischt man sich Tausende Male am Tag dabei... nur etwas günstig zu betrachten: "Oh, aber das ist NICHT DASSELBE!" Bei sich selbst ist es NIE dasselbe wie beim Nachbarn!

 

1 Für Sri Aurobindo und Mutter umfaßt das "Vital" die Bewußtseinsbereiche oder -zentren unterhalb des Mentals zwischen Kehle und Geschlechtszentrum, also der ganze Bereich der Emotionen, Gefühle, Leidenschaften usw., welche die verschiedenen Ausdrücke der Lebens-Energie darstellen.

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