SITE OF SRI AUROBINDO'S & MOTHER'S  YOGA
      
Home Page | 03 Bande

Mutters

Agenda

dritten Band

26. September 1962

(Nach der Lektüre eines Abschnittes aus dem Manuskript:)

Das ist sehr gut!

Ich würde zu gerne ihr Gesicht sehen... das wäre amüsant.

Danach werde ich zu Alipore übergehen: das Überbewußte.

Das wird spannend sein.

Es ist schwierig.

Nein, es ist sehr gut.

Es wird ein gutes Buch, unusual – eine ungewöhnliche Darstellung. Es ist interessant, mein Kind.

Einmal, wenn du Zeit hast, möchte ich dir einige Fragen stellen. Denn beim Überbewußten sind mir manche Dinge unklar.

Du kannst mir Fragen stellen, aber ich denke, du wirst die Antworten in dem finden, was er schrieb, meinst du nicht?

Ja und nein.

Was möchtest du wissen?

Vor allem möchte ich den Unterschied zwischen dem Übermental und dem Supramental verstehen. Besonders diese Frage möchte ich nicht auf abstrakte Weise sondern konkret verstehen.

Das Übermental ist nicht intellektuell. Es ist der Bereich der Götter.

Es ist der Bereich der Götter und der Bereich, der die Erde regierte. Alle Götter, die die Menschen kannten und verehrten und mit denen sie in Beziehung traten, liegen in diesem Bereich.

Ja, ein Bereich der Götter, mit göttlichen Lebensweisen – es ist nicht das Supramental.

Ja, genau – aber worin besteht dann der eigentliche Unterschied?

Ich glaube nicht, daß die Götter das Supramental erreichten.

Die Götter gehen nicht über das Übermental hinaus.

Ich kenne die rein hinduistischen Traditionen nicht, aber die Götter sind die Wesen, mit denen die Veden und die Leute der vedischen Epoche in Beziehung standen, so denke ich wenigstens. Was ich von den Göttern weiß, erfuhr ich schon zuvor durch die andere, chaldäische Tradition. Aber Théon sagte, daß die vedische Tradition (die er übrigens auch kannte) und diese Tradition aus einer gemeinsamen früheren Tradition hervorgegangen seien. Er erzählte diese Geschichte der Ersterschienenen, die sich in ihrer vollkommenen Unabhängigkeit durch ihre Taten vom Höchsten abtrennten und diese ganze Störung verursachten – darin liegt die Ursache des Durcheinanders der Schöpfung. Danach wurden die Götter geschaffen: die Götter erschienen, um das Übel wiedergutzumachen und die Welt nach dem höchsten Willen zu ordnen. Natürlich ist das eine kindliche Art, die Dinge auszudrücken, aber es ist verständlich. All diese Götter arbeiten also in Harmonie und Ordnung. Das besagt diese alte Tradition.

Die indische Tradition, so wie ich sie verstand, schloß all die von den Ersterschienenen Abstammenden in ihren Pantheon ein – denn die Götter der Zerstörung, die Götter des Unbewußten, die Götter des Leidens gehören alle zu ihren Göttern.

Im Grunde ist es jedem anheimgestellt, alles Beliebige mit beliebigen Namen zu versehen. So empfand ich es immer. Selbst in der Hindu-Tradition steht geschrieben: "Der Mensch ist wie Vieh für die Götter, mißtraut den Göttern!"

Für mich sind das alles Ausdrucksweisen – für jeden die Worte, die seiner Natur am besten entsprechen.

Ich hatte eine bewußte Beziehung zu all den Wesen der Überlieferung, die ich durch Théon kennenlernte, und zu all den Wesen, wie sie in der indischen Tradition erklärt werden. Eigentlich kam ich, soweit ich weiß, mit allen Gottheiten sämtlicher Religionen in Berührung. Es ist abgestuft (Geste einer Hierarchie). Es gibt Wesen vom... sogar im Vital sind sie vorhanden. Im Mental haben die Menschen vieles vergöttlicht: Alle Wesen, die nicht genau wie sie selbst waren, machten sie zu Göttern. Wenn man eklektisch eingestellt ist, kann man zu allen eine Beziehung haben. Alle haben ihre Realität, ihre Existenz.

Dieser Bereich beherrscht die Erde und das Mental (selbst das höchste Mental). Aber die Evolution, die IRDISCHE Evolution, die ihrem eigenen Rhythmus folgt, der verdichteter, konzentrierter und man könnte sagen zugespitzter ist als die universelle Evolution in ihrer Gesamtheit, diese irdische Tradition schuf durch die menschliche Rasse eine Art höheren Intellekt, der fähig ist, den übermentalen Bereich oder den Bereich der Götter zu überschreiten und direkt zu einem erhabeneren Prinzip zu gelangen.

Jedenfalls hat der übermentale Bereich, der Bereich der Götter, die die Macht haben, das Universum und TEILWEISE die Erde zu regieren, seine unabhängige Realität. Man kann mit ihm in Beziehung treten, und man kann sich seiner bedienen – die "Ahnen" der Veden bedienten sich seiner, die Okkultisten bedienen sich seiner, selbst die Tantriker bedienen sich seiner. Es gibt aber einen anderen Weg, der den Göttern mißtraut und der durch einen... man könnte sagen, intellektuellen Asketismus führt, der den Formen, den Bildnissen, den verschieden Ausdrucksweisen mißtraut und geradewegs, sehr stolz und sehr rein wie ein Blitz direkt zum supramentalen Licht vorstößt. Das ist eine lebendige Erfahrung.

Sri Aurobindo verkündete den integralen Yoga, der alles umfaßt und in dem man folglich alle Erfahrungen machen kann. In der Tat wurde das Universum als Erfahrungsfeld geschaffen. Manche Menschen bevorzugen kurze, direkte und steile Wege – das ist ihre Sache. Andere wollen ihre Zeit auf dem Weg vertrödeln – auch das ist ihre Sache. Manche fühlen sich veranlaßt, alle Erfahrungen zu machen, und sie halten sich folglich oft und lange in der übermentalen Welt auf. Manche – die große Mehrzahl jener, die RELIGIÖSE Aspirationen haben – finden eine Beziehung zu den Gottheiten und verweilen dort, das genügt ihnen.

Aber alles, was ich gerade sagte, ist nur ein sehr kleiner Teil all dessen, was existiert.

Im Grunde liegt der Bereich der Götter auf derselben Seite wie der unsere, lediglich im Maßstab der Götter: mit der Macht der Götter, den Möglichkeiten der Götter, dem Bewußtsein der Götter, der Freiheit der Götter, und zudem sind sie unsterblich. Eben ein Götterleben! Es ist... ich glaube, die Mehrzahl der Menschen wäre mehr als zufrieden damit.

Sie kommen auch auf die Erde, um sich zu amüsieren, alle Überlieferungen erzählen uns das (ich weiß, daß einige auf die Erde kommen und einen menschlichen Körper annehmen, um ein psychisches Wesen zu haben – aber nicht alle). Die meisten amüsieren sich damit, in Beziehung zu den Menschenwesen zu treten. Jedenfalls haben sie in ihrem eigenen Bereich einen Körper – man hat keineswegs den Eindruck, daß sie körperlos seien. Sie haben einen Körper, einen unsterblichen Körper.

Ja, aber auch im Supramental?

Die Götter gehen ja nicht ins Supramental!

Nein, was ich eigentlich wissen wollte, ist der Unterschied, wenn man auf die andere Seite hinübergeht, ins Supramental. Der Unterschied zwischen der Schau des Supramentals und des Übermentals?

Ich weiß nicht, was Sri Aurobindo dir sagen würde...

Gerade in diesen Tagen habe ich darüber nachgedacht. Für mich ist das übermentale Bewußtsein ein gesteigertes Bewußtsein: viel schöner, viel höher, viel kraftvoller, viel glücklicher, viel... mit vielen "Viel". Aber... zum Beispiel kann ich dir eines sagen: Die Götter haben nicht das Gefühl der Einheit. Auf ihre Art streiten sie miteinander. Jedenfalls möchte ich zum Ausdruck bringen, daß sie nicht das Gefühl der Einheit haben, sie haben nicht das Empfinden, eins und der Ausdruck des Göttlichen zu sein – des einzigen Göttlichen. Folglich gehören sie noch zu dieser Seite, lediglich in einer großartigeren Form, und mit einer für uns unvorstellbaren Macht, zum Beispiel der Fähigkeit, nach Belieben ihre Form zu ändern, an allen Orten zugleich zu sein – alle möglichen Dinge, von denen die armen Menschen nur träumen können. Diese Götter haben all das. Sie leben eben ein göttliches Leben! Aber es ist nicht das Supramental.

Das Supramental ist das Wissen, das reine Wissen. Ja, Wissen – wissen, was zu wissen ist.

Dort ist es nicht mehr ein Spiel ZWISCHEN Menschen und Dingen sondern... Das Zeichen des Supramentals ist wirklich die Einheit. Die Einheit, die nicht mehr die Summe einer Anzahl verschiedener Dinge ist sondern im Gegenteil eine Einheit, die... mit sich selbst spielt. Es besteht keine Beziehung mehr wie die zwischen den Göttern untereinander oder zwischen den Göttern und der Welt – sie gehören noch der Vielfalt an, aber FREI VON UNWISSENHEIT. Sie kennen keine Unwissenheit, sie haben nicht, was wir hier haben, was dem menschlichen Wesen zueigen ist. Sie kennen keine Unwissenheit, keine Unbewußtheit, aber sie haben das Gefühl der Verschiedenheit und der Trennung.

Und Sri Aurobindos Erfahrung in Alipore? Weißt du, die berühmte Erfahrung, als er Narayana in den Gefangenen sieht, Narayana in den Wächtern, Narayana überall?

Das ist das Höchste. Die Einheit.

Ist es eine supramentale Erfahrung oder...?

Sie ist supramental.

Supramental?

Ja, die supramentale Erfahrung – er nannte sie Narayana, weil er Inder war.

Sie ist supramental, nicht übermental?

Nein, nein.

Es ist so, wie Sri Aurobindo auch die Botschaft der Gita erklärt: nicht das Übermental sondern das Supramental. Die Einheit, die Erfahrung der Einheit.

Für mich war die Erfahrung der Götter nie mehr als eine Ablenkung – eine Unterhaltung, eine Belustigung. All das erschien mir weder wesentlich noch unerläßlich. Man kann sich den Luxus leisten, all diese Erfahrungen zu haben, und es vermehrt euer Wissen, eure Macht, euer dies, euer jenes, aber sonst ist es nicht von Bedeutung. DIE Sache ist ganz anders.

Man kann darauf verzichten. Man kann den Kontakt mit dem Supramental ohne irgendeine dieser Erfahrungen haben – sie sind nicht unerläßlich. Aber wenn man das Universum kennen und erleben will, wenn man mit dem Höchsten in Seinem Ausdruck identifiziert sein will, dann gehört all das zu Seinem Ausdruck in verschiedenen Abstufungen, mit verschiedenen Kräften. All das ist ein Teil Seiner Erfahrung. Warum nicht? Man kann sich den Luxus leisten, all das zu erfahren. Es ist sehr interessant – sehr interessant, aber nicht unerläßlich.

Ich glaube, wenn ihr einmal mit dem Höchsten identifiziert seid, wenn der Höchste euch gewählt hat, um ein Werk auf der Erde zu verrichten, dann gewährt Er euch all diese Dinge ganz natürlich – weil es eure Handlungsfähigkeit vermehrt, das ist alles. Das ist alles.

Für mich gibt es keine Probleme mehr, gar keine Probleme mehr!

Diese Klassifikation [der Bewußtseinsebenen] ist sehr nützlich; in einem gegebenen Augenblick, hauptsächlich im Moment des Anstiegs, der Bewußtwerdung, ist das sehr wichtig, aber nachher...

(Schweigen)

Sri Aurobindo betonte das Übermental nicht besonders. Der einzige interessante Punkt liegt darin, daß das Übermental die Welt durch all die Religionen regierte, daß es der Ort aller Gottheiten ist, aller Wesen, aus denen die Menschen in ihren Religionen Götter machten. Dies sind Wesen, die in ihrer eigenen Welt existieren, und manche Menschen standen mit ihnen in Beziehung und waren wie überwältigt durch ihre Macht und ihre Überlegenheit, und sie schufen daraus die Religionen – Religionen und Götter.

Aber man sollte dem keine übermäßige Bedeutung zuschreiben 1 . Wie ich dir sagte, man kann daran vorbeigehen, ohne es zu durchschreiten, oder man kann sogar hindurchgehen, ohne es zu bemerken. In den Veden fand ich interessant, daß gesagt wird, wenn man nicht aufsteigt, wie es sich gehört, und wenn man versucht voranzugehen, ohne diese Götter einzubeziehen, stoßen einem unangenehme Dinge zu, und man wird auf dem Weg aufgehalten – erinnerst du dich? 2 Das gibt dir eine Vorstellung. Es ist wie eine Zwischenzone – der Erde sehr überlegen, aber eine Zwischenzone. Einige versuchten, ohne anzuhalten hindurchzugehen, und sie sagen, daß einem Unannehmlichkeiten widerfahren können. Ich weiß es nicht, ich kann nur aus eigener Erfahrung sprechen, und ich empfand immer eine Art Brüderlichkeit (!), ich kannte sie, besuchte sie häufig, so stellte sich nicht die Frage, hindurchzugehen oder nicht hindurchzugehen!

Mein deutlicher Eindruck ist, daß ihre Welt der unseren ähnelt und nur gesteigert ist, aber es ist nicht die Supramentale Schöpfung, die die Gegenwart des Höchsten und der Einheit hier herbeiführen soll – es gehört zum alten Weg.

Im Grunde gehört es zum alten Weg, es ist die Folge dessen, was geschah, und der ganzen universellen Formation, so wie wir sie kennen. Die Menschen, die an die Ursünde glauben, würden sagen: "Es ist die Folge dieses Unfalls der Schöpfung." – War es ein Unfall? Ich habe meine Zweifel. Das muß noch aufgedeckt werden. Aber wir werden es erst wissen, wenn... es abgeschlossen ist.

Ich spreche in Rätseln, aber sei's drum!

Ich will sagen, daß wir das Wie und Warum erst kennen werden... wenn die Kurve vollendet ist.

Die Götter sind jedenfalls Teil der Kurve. Das Übermental gehört zu dieser Kurve.

All diese Götter sind sehr freundlich. Für gewisse Leute sind sie manchmal unerträglich (Mutter lacht), aber tatsächlich sind sie sehr freundlich. Sie haben ihre Fehler und ihre Tugenden, aber zu mir waren sie immer sehr freundlich.

Schluß! (Mutter macht ein Kreuz über ihren Mund)

*
*   *

(Später versucht Mutter, sich an ein Wort zu erinnern, das ihr besonders auffiel, als ihr Satprem aus seinem Buch über Sri Aurobindo vorlas:)

...Es ist seltsam, ich merke, daß ich mit einem ganz anderen Bewußtsein zuhöre. Hier gibt es nichts mehr (Geste zur Stirn), nur der Ton kommt hier an, aber ich höre anderswo.

Physisch erinnere ich mich überhaupt nicht. Ich hatte nur den Eindruck... Ich sah ein Wort, das ein lebendiges bläuliches Licht annahm, so sagte ich mir: "Sieh an! Ein gutes Wort für meine Übersetzung." (Mutter versucht noch, sich zu erinnern, dann gibt sie es auf)

Das Wesentliche ist jedenfalls, was du mir gesagt hast: Die Erfahrung von Alipore ist supramental.

Oh, ja! Er verwendete das Wort Narayana, weil er noch nicht seine eigene Terminologie ausgearbeitet hatte, aber er meint damit nicht die Götter sondern die supramentale Erfahrung.

*
*   *

(Einige Tage später ergänzt Mutter folgendes in bezug auf ihre "Vergeßlichkeit" und ihre Art, "anderswo" zu hören:)

Manchmal höre ich auch ein Wort, und es entspricht überhaupt nicht dem, was gesagt wurde.

Wenn ich versuche, mich zu erinnern, sehe ich nämlich ein Licht, verstehst du – es kam mit einem Licht. Es war ein weißes Licht mit blauem Rand. Du magst irgendein Wort gesagt haben, und ich hörte es "anderswo".

Ich sehe es noch: weiß mit blauem Rand – ich sagte einfach bläulich, aber genau genommen war es weiß mit blauem Rand.

Manchmal passiert mir folgendes: Wenn ich für meine Übersetzung das Englische lese, kommen ganz plötzlich Dinge [von anderswo]. Dann suche ich nach einer Übersetzung. Wenn ich danach wieder den englischen Text ansehe, finde ich das Wort, das ich gesehen hatte, nicht mehr – ich finde es einfach nicht mehr.

Beachte es also nicht! (Lachend) Die Ärzte meinen, ich verliere den Verstand.

 

1 In Satprems Buch.

Rückwärts zum Text

2 Zweifellos meint Mutter den Dialog zwischen dem Rishi Agastya und Indra (On the Veda, S. 287ff), von dem Mutter im Vorjahr gesprochen hatte. Siehe Agenda, Bd. 2, 22. Januar 1961.

Rückwärts zum Text

 

 

 

 

 

 

 

in French

in English