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Mutters

Agenda

vierten Band

23. Februar 1963

(Über einen Traum oder vielmehr eine Erfahrung Sujatas, von der wir unglücklicherweise keine Aufzeichnung bewahrt haben:)

Sie besuchte Sri Aurobindo im Subtilphysischen – das ist eine wahre, reelle Tatsache, so konkret wie hier.

Als ich ihren Brief erhielt, sah ich sofort: Sie ist dorthin gegangen. Ich wußte übrigens schon, daß sie dort gewesen war. Viele Leute gehen dorthin, ohne es zu wissen. Sie vergessen es. Aber sie hat eine schöne Erinnerung daran behalten.

Sie geht sehr oft nachts dorthin, doch die meisten erinnern sich nicht.

Das liegt ganz einfach an mangelnder Übung. Wenn man sich darin übt, erinnert man sich sehr leicht. Im Bewußtsein bestehen kleine Lükken, Leerräume. Wenn man durch einen Leerraum geht, vergißt man. Man hat zuweilen plötzlich einen vagen Eindruck von etwas, und dann entwischt es einem – ah! es ist weg. Allerdings braucht man viel Zeit, um sich darin zu trainieren. Man darf nicht in Eile und beschäftigt sein. Ich tat dies zu einer Zeit, als ich fünf Monate bettlägerig war. Ich hatte nichts zu tun (man kann nicht die ganze Zeit lesen – in jenen fünf Monaten las ich an die achthundert Bücher... nein, neunhundertfünfzig, aber die Augen ermüden), die übrige Zeit übte ich (man kann auch nicht schlafen, schon gar nicht, wenn man die ganze Zeit liegt). Ich lernte, meine Nächte vollkommen bewußt zu verbringen. Das ist eine Disziplin. Wenn man aufwacht, sei es während der Nacht oder am Morgen: nicht bewegen, völlig reglos, konzentriert und sehr still bleiben, während man am Faden der Erinnerung ZIEHT. Zwei oder drei Monate führt das zu nichts. Nach sechs Monaten fängt es an zu wirken, und schließlich erinnert man sich an alles. Zuletzt macht man die entgegengesetzte Bewegung, d.h. nach einem interessanten Traum wacht man jedesmal auf. Man lernt, jedesmal, wenn man eine Vision oder einen Traum hat oder etwas erlebt (es gibt verschiedene Fälle), mitten in der Nacht aufzuwachen, um sich zu erinnern. Dann wiederholt man es in seinem Bewußtsein (wenn man wach ist, wiederholt man es zwei–, drei–, zehnmal, um sicher zu sein, es nicht zu vergessen), und dann schläft man weiter.

Wenn man jedoch morgens aus dem Bett springen muß, weil einen tausend Dinge drängen, kann man es nicht tun. Es ist auch nicht unabdingbar für den Yoga, überhaupt nicht. Es ist mehr eine Ablenkung und Unterhaltung.

(Satprem widerspricht)

Man hat das Vergnügen zu wissen, was geschieht – das ist nicht unerläßlich. Ich kann es jetzt, und es ist mir völlig egal. Wenn ich vor dem Einschlafen im Bett liege, sage ich mindestens acht von zehn Malen: "O Herr, gewähre mir eine stille Nacht!" Das ist sehr egoistisch. – Er läßt mich jede Nacht arbeiten. Aber manchmal ist man der Arbeit überdrüssig und möchte einfach glückselig sein, in einem glückseligen Schweigen. Dann bitte ich Ihn: "Laß mich glückselig sein!"

Das gelingt recht gut. Aber so verläuft nur eine Nacht von fünf oder sechs.

Sonst ist die ganze Nacht bewußt, und du kannst dir nicht vorstellen, welch ungeheure Menge von Dingen man in der Nacht vollbringen kann!

Für Sujata ist es jedenfalls gut, ich freue mich für sie, das ist ein gutes Zeichen.

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*   *

Etwas später

Wir haben einen großen Mathematiker hier, der regelmäßig von Madras kommt, Dr. V., du kennst ihn. Er machte sich den Spaß, zu meinem Geburtstag 1 die Zahlen meines Geburtsdatums zu nehmen und ein Viereck mit Unterteilungen daraus zu bilden (das muß eine schreckliche Arbeit sein): In welcher Richtung man es auch liest, ergibt die Summe immer dieselbe Zahl. Das ist erstaunlich. Die Zahl ist 116. All das ist höhere Mathematik! Aber es soll die Anzahl meiner Jahre bedeuten. Ich finde das allerdings etwas kurz. Bei dem Tempo, wie es vorangeht, bleibt bei 116 Jahren nämlich nicht viel Zeit übrig. 30 Jahre, etwas mehr... ja, 30 Jahre, das ist alles. Was kann man in 30 Jahren schon ausrichten? So, wie es fortschreitet, ach!... Als Sri Aurobindo von dreihundert Jahren sprach, nannte er meiner Ansicht nach ein Minimum.

Wir werden sehen.

(Schweigen)

Im Körperbewußtsein bestehen zwei Haltungen, die beide... Nein, die eine wird viel natürlicher: eine ist (wie soll man es auf französisch ausdrücken?) everlasting... eine immerwährende Haltung. Es gibt keinen Grund, warum dies nicht andauern sollte. Die Zellen fühlen sich ewig, und ein gewisser Zustand eines harmonischen inneren Friedens ist Teil der Ewigkeit, das heißt, es besteht nicht diese Störung und Reibung, die das Altern oder den Zerfall verursacht (wie ein Knirschen im Getriebe). Das gewöhnliche Bewußtsein der Leute (ich meine hier nicht die Ideen oder Konzepte, ganz und gar nicht, sondern das Körperbewußtsein, das Bewußtsein der Körperzellen), ihr gewöhnliches, NATÜRLICHES, NORMALES Bewußtsein ist das eines Knirschens, der Reibung, etwas das in ständiger Unordnung ist und das Altern bewirkt. Das beginnt, sich zurückzuziehen.

Es wird selten empfunden, außer wenn der Druck von außen zu groß wird – ein gewaltiger Ansturm kleiner... man kann es nicht "Willenskräfte" nennen, aber Anwandlungen von Dingen (von Dingen, Leuten, Umständen), die ausgeführt und beachtet werden wollen. Solange es ein gewisses Maß nicht überschreitet, wird es mit einem Lächeln aufgenommen und hat keine Auswirkungen; wenn dieses Maß jedoch überschritten wird, sagt plötzlich etwas: "Oh, nein! Genug, genug, genug!" Von dem Moment an versagt das Bewußtsein. Es fällt in den alten Rhythmus zurück und bewirkt dadurch vermutlich die Abnutzung. Die andere Art hingegen ist eine harmonische wellenartige Bewegung (Mutter deutet große Wellen an), die FAST außerhalb der Zeit steht, nicht ganz: eine gewisse Wahrnehmung der Zeit besteht noch, aber zweitrangig und etwas entfernt. Für diese Wellenbewegung, die das Gefühl der Ewigkeit verleiht – jedenfalls des Immerwährenden –, besteht kein Grund, nicht anzudauern. Es gibt keine Reibung, keinen Widerstand, keine Abnutzung, und sie kann unbegrenzt fortbestehen.

Es beginnt, so zu sein.

Aber nicht in diesen Tagen. 2

Gestern abend (war es gestern?... nein, vorgestern), als ich auf den Balkon 3 hinaustrat, erschien mir der Unterschied zwischen der vorherigen und jetzigen Wahrnehmung des Bewußtseins ungeheuerlich! Vorher sagte ich immer: Ich verharre hier, rufe den Herrn und bleibe in Seiner Gegenwart, und erst, wenn Er sich zurückzieht, gehe ich wieder ins Zimmer – so war es. Ich hatte eine bestimmte Beziehung zu den Leuten, den Dingen, der äußeren Welt (nicht "äußerlich", jedenfalls mit der Welt). Als ich vorgestern hinaustrat, dachte ich an nichts, ich beobachtete nicht einmal, sondern ging einfach hinaus – ich wollte nicht wissen, was geschah, das interessierte mich nicht, und ich beobachtete nichts... Es war, als läge die andere Erfahrung (das erste Darshan auf dem neuen Balkon vor einem Jahr) Jahrhunderte zurück. Es war so ANDERS! So spontan, so natürlich und dann so ungeheuerlich!... Die Erde war winzig. Und doch war es vollkommen hier: ich war nicht "anderswo", DER KÖRPER fühlte es. Gleichzeitig erkannte ich jedesmal, wenn ich schaute, Unmengen von Leuten (ich befand mich zwei Stockwerke über den Leuten), als ob sie mir in die Augen sprängen – eine so klare Sicht, viel klarer (früher war meine Sicht immer etwas getrübt, denn was ich sah, war nicht völlig physisch, sondern es waren Kräfte, die sich bewegten), und gestern war es... als ob die Möglichkeit der Verschwommenheit gar nicht mehr bestände! Es war viel weniger physisch und SEHR VIEL genauer. 4

Früher hatte ich den Eindruck von Kraft, Bewußtsein und Macht, die sich an einer bestimmten Stelle sammelten und sich von dort ausbreiteten. Jetzt war es eine UNERMESSLICHKEIT von Macht, Licht, Bewußtsein und von einer Wahrnehmung, die sich auf einen ganz kleinen Punkt konzentrierte: auf all die dort versammelten Leute.

Dieser ungeheure Unterschied kam völlig unerwartet – ich dachte nicht daran, ich erwartete nichts. Solange es so war, blieb ich auf dem Balkon; zu einem bestimmten Zeitpunkt sagte dann etwas (nicht ich!): "Das genügt, die Leute sind müde. Sie können es nicht länger aushalten." Daraufhin ging ich hinein. Das veranlaßte mich, hineinzugehen. Es dauerte fünf Minuten. Nach fünf Minuten waren sie bis zum Bersten angefüllt.

Ich glaube, dieser Körper ist eine andere Person geworden. Er ist nicht mehr, was er war. Dennoch ist die Erinnerung an seine irdische Existenz nicht verschwunden, es ist kein anderer Körper, und trotzdem ist es eine andere Person. All das bezieht sich nur auf das materielle Bewußtsein (Mutter berührt ihren Körper). Die andere Sache dort (Geste nach oben) erklärt sich ganz leicht, diese Arbeit wurde vor langer Zeit getan, das ist etwas anderes. – Nein, es ist hier, HIER vollzieht sich die Veränderung.

Das ist seltsam.

Gut, Kind!

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(Etwas später beschwert sich Mutter über die Sekretäre, die nicht tun, was sie sagt, und die ihre Zeit zu sehr beanspruchen:)

Sie nehmen keinerlei Rücksicht auf das, was ich sage.

Was?

Ja, so ist es. Ich sage den Leuten: "Zu der und der Zeit muß ich fertig sein." – "Ja, ja." Dann rühren sie sich nicht. Ich kann ihnen nicht... ich sitze eingeklemmt mit den Beinen unter dem Tisch, das ist schwierig... Oder ich muß eine Szene machen.

Manchmal tue ich es und sage: "Genug jetzt, auf Wiedersehen!" Ich stoße meinen Stuhl zurück und stehe auf. Aber nur... wenn es absolut nötig ist 5 . Im Grunde bin ich selten gemein! (Lachen)

Es kann vorkommen: heute morgen war ich wütend. Eine Familie hatte ihre kleine Tochter hier gelassen. Sie blieb vier oder fünf Jahre lang, während die Eltern sich überhaupt nicht um sie kümmerten. Sie wohnte im Schlafsaal von M, und M war eine echte Mutter für sie, sie kümmerte sich um ihre Kleider, alles, die Eltern kümmerten sich um nichts (ich glaube, sie schickten regelmäßig 100 Rupien, das war alles, sie dachten kaum je an ihre Tochter). Die Kleine fühlt sich hier zuhause. Dann kamen die Eltern zum Darshan und fanden, daß die Kleine nicht herzlich genug sei, daß sie sie nicht genug liebe und sich hier zu wohl fühle – Schlußfolgerung: sie nehmen sie mit sich fort. Das erschien mir so abscheulich. Schändlich, ein so dummer Egoismus!

Ich versuchte auf verschiedene Weise einzugreifen. Sie hatten die Kleine zu sich genommen: sie weinte unentwegt, Tag und Nacht. Sie ißt nicht, weint die ganze Zeit und sagt: "Ich will zurück, ich will zurück... Ich will hier bleiben, ich will nicht fortgehen." – "Ach, so bist du! Dann nehmen wir dich erst recht mit."

Das ist eine solche Grausamkeit! Eines der häßlichsten Dinge, die ich mir vorstellen kann.

Gestern versuchte ich es noch einmal (ich glaube, heute wollen sie abfahren). Ich ließ ihnen etwas ausrichten, und man antwortete mir: "Der Vater findet, daß seine Tochter ihn vergessen hat und ihn nicht mehr liebt, er will sie nicht länger hierlassen, er wird sie mitnehmen." Ich erwiderte: "Glaubt er, er könne sie dazu bringen, ihn zu lieben, indem er sie mißhandelt?" – Dummkopf, der nichts verstehen kann! Nichts dringt in seinen Kopf.

Ich habe den Herrn nicht gesehen.

Dann brachten sie ein kleines Kind von vier Jahren mit sich. Heute war sein Geburtstag. Sie schickten mir Geld für den Kleinen und verlangten eine Glückwunschkarte. Ich verweigerte die Karte und warf ihnen das Geld vor die Nase – rundweg. Ich erklärte: "Sagt ihnen, daß sie egoistische Leute sind, selfish and stupid, and I want nothing from them" [egoistisch und dumm, und ich will nichts von ihnen haben]. Ich schlug auf den Tisch... Meine Güte!... Alle waren sprachlos (Mutter lacht). Der Arzt war da, Nolini, Champaklal, Amrita... Etwas in mir lachte hellauf! Sie dachten, ich sei furchtbar zornig. "Die werden schon sehen, was mit ihnen geschehen wird!..." Weißt du, ich kenne diese Schwingungen: sie sind erschreckend, mein Kind, unmenschlich. Wenn das kommt, ist es furchterregend, die Leute bekommen eine Gänsehaut. Und ich beobachtete das wie ein Schauspiel!

Häufig ist es Sri Aurobindo. Aber diesmal war es völlig unpersönlich, etwas, das eine so selbstsüchtige Dummheit in der Welt NICHT MEHR zulassen will – sie zerstören die ganze Sensibilität dieses Kindes, nur weil es nicht mehr stupide an die Familie gebunden ist (die sich nicht einmal um sie kümmerte und für die sie die ganze Zeit, während sie hier lebte, gar nicht existierte).

Wenn ihr wollt, daß eure Kinder euch lieben, müßt ihr ihnen wenigstens etwas Liebe zuwenden, müßt ihr euch um sie kümmern, nicht wahr? Das ist elementar, man muß nicht besonders gescheit sein, um das zu verstehen – sie aber verstehen das nicht: "Es ist die PFLICHT des Kindes, seine Eltern zu lieben!" Wer seine Pflicht nicht erfüllt, kommt ins Gefängnis.

So ist es.

Aber die werden das noch bereuen.

Das kleine Mädchen kämpfte wie eine Ertrinkende. Sie lief überall hin: Sie floh in die Schule, floh zu Pavitra, sie flehte G unter Tränen an, einzugreifen. M ist völlig verzweifelt. Alle sind empört, sie haben bei allen Anstoß erregt – es ist ihr "Recht"! Auf ihr Recht pochend nehmen sie die Kleine und squeeze her [drücken sie in ihre Arme]: "Entweder liebst du uns, oder du wirst sehen, was dir geschieht."

Und sie glauben, es wird ihnen gelingen!

Unglücklicherweise leiden dabei immer die Besten. Einige, die man auf diese Weise wegholte, wurden so schwer krank, daß die Ärzte ihnen rieten, sie hierher zurückzuschicken, sobald sie wieder einigermaßen genesen waren. Das ist mindestens zehnmal vorgekommen. Jene, die ein inneres Leben kennen, fühlen sich hier zuhause.

Was tun...

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(Beim Weggehen spricht Mutter noch einmal über ihre Erfahrung auf dem Balkon:)

Auf dem Balkon geschah etwas wirklich Interessantes, denn plötzlich nahm ich eine Änderung wahr, deren ich mir nicht bewußt war. Wie ein jäher, noch nicht ins Bewußtsein gedrungener Aufstieg. Ich bin mir einzig bewußt, daß in JEDEM beliebigen Augenblick, sobald ich aufhöre zu sprechen oder zuzuhören oder zu arbeiten... mir alles erscheint wie große glückselige Flügel, weit wie die Welt, langsam schlagende Flügel.

Der Eindruck von unermeßlichen Flügeln – nicht zwei: sie sind überall und breiten sich in alle Richtungen aus.

Das hält Tag und Nacht an. Ich habe jedoch nur daran teil, wenn ich mich ruhig verhalte.

Aber es verläßt mich nie.

Die Flügel des Herrn.

 

1 Am 21. Februar wurde Mutter 85.

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2 Darshan des 21. Februars.

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3 Zum ersten Mal seit fast einem Jahr erschien Mutter vor allen Schülern auf dem neuen Balkon.

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4 Diese viel weniger physische Vision war IM PHYSISCHEN genauer.

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5 Allmählich wird Mutter nicht mehr kämpfen, und die Störungen wurden zur Regel, worunter diese Unterhaltungen sehr leiden werden.

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