Mutters
Agenda
sechsten Band
Mutter liest einige Verse aus "Savitri" vor, die sie übersetzen will:
The great stars burn with my unceasing fire
And life and death are both its fuel made.
Life only was my blind attempt to love:
Earth saw my struggle, heaven my victory.1
(X. III . 638)
Sie sagt: Life and death are the fuel [Leben und Tod sind der Brennstoff], und In my blind attempt... LIFE ONLY was my blind attempt to love [DAS LEBEN ALLEIN war mein blinder Versuch zu lieben 2 ]. Weil mein Versuch zu lieben blind war, beschränkte ich ihn auf das Leben – aber den Sieg errang ich im Tod.
Das ist sehr interessant (Mutter wiederholt:)
Earth saw my struggle, heaven my victory
[Die Erde sah mein Ringen und der Himmel meinen Sieg]
Sollte es nicht heißen "Earth should see the victory"? Der Sieg sollte auf der Erde stattfinden?
Ja, aber sie konnte den Sieg auf der Erde nicht erringen, weil ihr der Himmel fehlte – sie konnte den Sieg im Leben nicht erringen, weil ihr der Tod fehlte, sie mußte den Tod bezwingen, um das Leben zu erobern.
Das ist die Idee. Solange man den Tod nicht bezwingt, ist kein Sieg errungen. Der Tod muß bezwungen werden, es darf keinen Tod mehr geben.
Das ist völlig klar.
(Schweigen)
Nach dem, was er hier sagt, verwandelt sich das Prinzip der Liebe in eine Flamme und schließlich in Licht. Nicht das Prinzip Licht verwandelt sich in eine Flamme, indem es sich materialisiert, sondern die Flamme verwandelt sich in Licht.
Die großen Sterne spenden Licht, weil sie brennen; sie brennen, weil sie das Resultat der Liebe sind.
Somit wäre die Liebe das Urprinzip?
Genau das scheint er zu sagen.
An diese Stelle erinnerte ich mich nicht. Aber ich habe dir schon gesagt, in meiner Erfahrung 3 verhielt es sich so: Wenn man immer höher steigt, ist das letzte, was man berührt – das letzte jenseits des Lichts, jenseits des Bewußtseins, jenseits von... –, das letzte, was man berührt, ist die Liebe. "Man", dieses "man", ist... das große "Ich" – ich weiß nicht. Meiner Erfahrung nach ist die Liebe das letzte, das sich nun in seiner Reinheit manifestiert, und sie wird die Macht haben, alles zu transformieren.
Dies sagt er hier offenbar: Der Sieg der Liebe wird der endgültige Sieg sein.
(Schweigen)
Er nannte Savitri "eine Legende und ein Symbol"; er machte es zum Symbol. Es ist die Geschichte der Begegnung von Savitri, dem Prinzip der Liebe, mit dem Tod; und den Sieg errang sie im Kampf gegen den Tod, nicht im Leben. Sie konnte den Sieg im Leben nicht erringen, solange sie nicht den Sieg über den Tod errungen hatte.
Ich wußte nicht, daß es hier so klar zum Ausdruck kommt. Ich hatte es gelesen, aber nur einmal.
Das ist sehr interessant.
Wie viele Male habe ich schon gesehen, daß er darin meine Erfahrungen beschrieb... Denn während vieler Jahre hatte ich Sri Aurobindos Werk nicht gelesen; erst kurz bevor ich hierherkam, las ich Das Göttliche Leben, Die Synthese des Yoga und noch ein paar andere Sachen. Die Essays über die Gita zum Beispiel hatte ich nie gelesen, Savitri hatte ich nie gelesen, erst vor einiger Zeit las ich es (vor ungefähr zehn Jahren, 1954 oder 55). Das Buch Sri Aurobindo über sich selbst und über die Mutter hatte ich nie zuvor gelesen, und erst als ich es las, entdeckte ich, was er über mich geschrieben hatte – ich wußte nichts davon, er hatte mir nie etwas davon gesagt!... Weißt du, wenn ich mit den Leuten sprach, sagte ich eine Menge Dinge – einfach so, weil es kam (Geste von oben herab) –, später stellte ich dann fest, daß er es geschrieben hatte. Natürlich machte es den Anschein, als würde ich einfach seine Worte wiederholen – aber ich hatte es nie gelesen. Das ist auch jetzt der Fall: diese Stelle in Savitri hatte ich gelesen, aber ohne sie zu bemerken – weil ich nie die Erfahrung hatte. Erst jetzt, wo ich die Erfahrung gemacht habe, sehe ich, daß er dies auch gesagt hat.
Das ist wirklich interessant.
Vielleicht sollte ich Savitri noch einmal lesen?...
Wir sollten eigentlich schön brav sein und das ganze Savitri übersetzen, oder nicht? Das, was wir jetzt mit dem Ende tun (Buch X.), sollten wir mit dem ganzen übrigen Band tun. Ich versuchte, einen Teil allein zu übersetzen, aber es wäre doch amüsant, es gemeinsam zu tun. Wir könnten es versuchen. Nicht, um es zu veröffentlichen, denn das führt sofort zu einer Minderung: Alles, was man publiziert, wird in seinem Wert vermindert, weil die Leute es sonst nicht verstehen. Wir sollten es für uns tun.
Es ist jedenfalls sehr interessant.
Erst vor einigen Tagen habe ich mir in diesem Zusammenhang etwas notiert (Mutter sucht eine Notiz und liest sie dann vor:)
"Sehr selten und außergewöhnlich sind die Menschen, welche die göttliche Liebe verstehen und fühlen können, denn die göttliche Liebe ist frei von Gebundenheit und dem Bedürfnis, dem geliebten Objekt zu gefallen."
Das war eine Entdeckung.
Deshalb verstehen die Menschen nicht; denn für sie bedeutet die Liebe so etwas (Mutter verhakt die Finger ihrer rechten Hand mit denen der linken), sie können nicht einmal fühlen oder glauben, daß sie lieben, wenn keine derartige Bindung besteht (gleiche Geste). Als Folge dieser Bindung erwacht notgedrungen der Wille, der Wunsch oder das Verlangen, dem Objekt, das man liebt, zu gefallen.
Wenn man aber die Bindung und das Verlangen zu gefallen beseitigt, dann kratzen sich die Menschen am Kopf und fragen sich, ob sie überhaupt noch lieben. Erst wenn man auf diese beiden Dinge verzichtet, beginnt jedoch die göttliche Liebe.
Darauf werden wir noch einmal zurückkommen, mein Kind, das ist eine Offenbarung.
Deshalb verstehen sie nicht, und deshalb können sie es nicht fühlen.
1 Savitris Herz spricht: (X.III.638; siehe auch dt. Ausgabe S. 652) Die gewaltigen Sterne brennen mit meinem unlöschbaren Feuer für das Leben und Tod als Brennstoff erschaffen sind. Das Leben allein war mein blinder Versuch zu lieben: Die Erde sah mein Ringen und der Himmel meinen Sieg.
2 Später betonte Mutter erneut: "Es heißt nicht Life was only" (das Leben war nur), sondern "Life only" (allein das Leben).
3 Die Erfahrung "der großen Pulsationen" der göttlichen Liebe (im April 1962).