Mutters
Agenda
siebenten Band
17. August 1966
...Ich kann nichts mehr sehen.
Meine Art zu sehen ist ein sehr interessantes Phänomen – ich kann nicht sagen, daß ich nicht mehr sehe. Sehr interessant: Auf einmal kommt etwas (eine Sache oder ein Gesicht oder ein Brief oder...) klar, scharf, beinahe leuchtend. Eine Minute später ist alles vernebelt. Es ist, als sagte man mir: "Dies ist es wert, gesehen zu werden." Also schaue ich hin. Und in anderen Fällen: (lachend) "Um das da kümmere dich nicht!"
Am 15. ist dieser junge kommunistische Architekt abgereist, weil er fand, daß man "die Moralgesetze nicht genügend achte". Wörtlich! Er reiste ab. Aber seine Gedanken kommen weiterhin die ganze Zeit – nicht "Gedanken": etwas von hier (Herz) kommt immerzu. Er muß es sehr bedauern, daß er abgereist ist. Und dann, am Nachmittag des 15., kam es sehr aufgewühlt von ihm: "Wie kann man die Wahrheit wissen? Was ist die Wahrheit? Wie kann man sie erfahren?..." Sri Aurobindo war da, und er sagte mir AUF FRANZÖSISCH (!):
La Vérité ne peut se formuler en mots, mais elle peut être vécue, si l'on est assez pur et plastique.
["Die Wahrheit läßt sich nicht in Worten ausdrücken, doch sie kann gelebt werden, wenn man rein und plastisch genug ist. "]
Gut, nicht? Und die ganze Zeit über war ganz stark die Wahrnehmung da: sich ständig von der Wahrheit leiten lassen, einfach so.
"Rein" bedeutet frei vom Ego, frei von allem Verlangen, aller Vorliebe, von jeglicher Idee: all das muß weg. Man muß flexibel sein und sich führen lassen.
Gleichzeitig gab er mir die Erfahrung.
Ich habe es ins Englische übersetzt – Sri Aurobindo spricht zu mir auf französisch, und ich übersetze es ins Englische! Lustig.
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Nach einer Meditation
Kommst du mit deinem Buch voran? 1
Ich diktiere immer noch weiter oder höre zu. Sehr interessant. Allerdings gibt es keine Kontinuität: ein Satz, eine Szene, zwei, drei Worte... Merkwürdig. Wie auf einer Leinwand. Und als du das letzte Mal vorgelesen hast, erkannte ich in dem Vorgelesenen (wie soll ich sagen?) Eindrücke wieder, Eindrücke von Bildern und Worten. Aber es hat keine Reihenfolge für mich; etwas zieht vorüber, wie hinter einer Leinwand, und in manchen Augenblicken gibt es, tack! einen Kontakt: ich höre Worte oder sage Worte, ich sehe ein Bild. Dabei sehe ich, daß es hinter der Leinwand weitergeht. Das spielt sich immer an einem immens weiten Ort ab, einem Ort ohne Ende, der sehr ruhig ist, sehr hell. Eine ganz reine Atmosphäre, vollkommen ruhig. Und etwas scheint von dort tropfenweise herabzukommen.
Sehr interessant.
Das passiert vor allem nachts. Manchmal auch tagsüber, aber nicht lange. Nachts jedoch ziemlich lange.
Noch jetzt, während wir meditierten, stellte sich sofort dasselbe Phänomen ein. Als es kam, hörte ich auf zu meditieren. Ich war in einer ganz stillen Kontemplation, und plötzlich fing das an. (Mutter lacht) Da habe ich aufgehört.
1 Beim letzten Mal hatte Satprem Mutter einige Seiten aus dem Sannyasin vorgelesen.