Mutters
Agenda
siebenten Band
Mutter schenkt Satprem eine rote Rose:
Die rote Rose ist der Orden der "Ritter der Wahrheit". Weißt du das nicht?... Ich führte dies ein, als Colonel Répiton hierherkam, der Mann, der während des Krieges den Marsch durch Afrika unternahm. Jeden Morgen gab ich ihm eine rote Rose, und wenn ich seither Männern eine rote Rose gebe, so tue ich dies, damit sie zu Rittern der Wahrheit werden.
Aber ich spreche das nicht aus.
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(Wenig später schlägt Satprem vor, er könne doch bestimmte Texte übersetzen, damit Mutter mehr Zeit hätte. Mutter lehnt lächelnd ab und will die Übersetzung selbst machen.)
Wenn ich gut hinhöre, wird Sri Aurobindo es mir sagen, das ist besser!
Auf einmal sagt er mir, was ich schreiben soll – das ist so deutlich und klar und offensichtlich. Manchmal ist ein Wort dabei, das ich nicht richtig verstanden habe, dann frage ich sogar zurück: "Wie bitte?" und er wiederholt es.
Ich glaube, aus diesem Grunde werde ich taub. Weil ich alles so höre (nach oben gewandte Geste), die ganze Zeit. Darum höre ich hier nicht genug hin.
Dasselbe gilt für die Augen... Ich habe angefangen, Dinge mit offenen Augen zu sehen, o du meine Güte!... Den Zustand der Leute, ihre Gedanken, aber vor allem den Zustand ihres Vitals (denn es ist eine Sicht des Physischen: ein sehr subtiles, vitalisiertes Physisches, mit einer bildhaften Darstellung der Dinge). Ihr Zustand zeigt sich in... wenn du wüßtest, was man da alles sehen kann!... Unzählige Formen, Gesichter, Ausdrucksweisen; man könnte meinen, es sei das Album des raffiniertesten Humoristen, den man sich nur vorstellen kann, ungemein humorvoll und präzis in seiner Wahrnehmung und dem Empfinden für die Lächerlichkeit der Menschen. Und dann plötzlich, mittendrin – eine schöne Form, ein schönes Bild, ein schöner Ausdruck. Etwas so Schönes, Reines und wunderbar Edles! Und das schwirrt die ganze Zeit um mich herum. Wirklich sehr amüsant.
Ich hatte mich immer beklagt, dies sei ein Bereich, in dem ich nichts sehe. Damals sah ich vor allem auf mentale Art, mentale Bilder, und natürlich alles in den oberen Bereichen (aber dies war organisiert), und auch vital ein bißchen, vor allem nachts, aber... Die Sicht war jedenfalls sehr entwickelt, sehr deutlich, sehr genau, aber physisch ("physisch", das heißt im Subtilphysischen und physisch) hatte ich nie mit offenen Augen gesehen. Ich sah immer nur die nackte Realität, wie sie war, nie etwas anderes, und darüber hatte ich mich immer beklagt. Dann kam auf einmal dies. Eines Tages fing ich an zu sehen, du meine Güte!... (Mutter lacht) Mittlerweile bin ich gezwungen, dies ein wenig einzudämmen (lachend) – es wird einfach zuviel. Aber es ist unglaublich, wie voll die Atmosphäre ist von Formen, so ausdrucksstarken Formen! Ja, als ob ein Humorist, ein Karikaturist gar, die ganze Zeit subtil darstellte, was sich materiell abspielt.
Und ich glaube, wenn die Menschen das haben, was die medizinische Wissenschaft "Halluzinationen" nennt, wenn sie zum Beispiel Fieber haben, dann sehen sie genau das. Ich weiß das, weil ich einmal ein so hohes Fieber hatte, daß ich mich in einem Zustand befand, in dem man, wie die Ärzte sagen, "den Verstand verliert". Da sah ich, in ganz materieller Sicht, wie sich sämtliche feindlichen Wesen auf mich stürzten, um mich von allen Seiten anzugreifen – schrecklich! Verstehst du, die Unterstützung des materiellen Bewußtseins existiert nicht mehr, man wird völlig von dieser Sicht in Beschlag genommen, deshalb haben die Menschen im allgemeinen Angst davor, und andere glauben an eine "Halluzination". Sri Aurobindo war da, und ich weiß noch, wie ich ihm damals sagte: "Ah, jetzt weiß ich, was Fieberhalluzinationen sind." Es hat überhaupt nichts mit Halluzinationen zu tun. Aber angenehm ist dies nicht, es ist der Anblick einer Welt, die nicht gerade schön ist.
Doch jetzt ist es nicht die Folge eines Fiebers, sondern schlicht die Schau. Meine Güte!... Wie ich dir sagte, es gibt alles, alle Möglichkeiten – und wahrscheinlich sah ich wegen der Qualität der Aura [von Mutter] nichts, was wirklich unsauber oder häßlich gewesen wäre. Obwohl es das geben muß, nur findet es offenbar keinen Einlaß.
Aber was man sieht, ist großartig in seinem Humor. Dinge... wie zum Beispiel die hehren Ambitionen der Menschen, und dann ihre Selbstzufriedenheit, die Meinung, die sie von sich selbst hegen, ach, wie komisch das alles ist! Und diese Leben werden gezeigt im Vergleich und wie in Verbindung mit dem Licht der Wahrheit; somit erscheint der Unterschied zwischen der Bewegung der Menschen (oder dem Gedanken, der Einstellung, der Handlung oder des Bewußtseinszustandes) und der Wahrheit, dem Zustand der Wahrheit so deutlich. Ach, wenn du wüßtest!... Aber all dies wird nicht von jemandem gesehen, der streng oder bösartig wäre, durchaus nicht, sondern von einem Wesen mit großem Scharfsinn, mit einer sehr pointierten, wunderbar humorvollen und liebenswerten Sicht der Dinge.
Das wimmelt nur so...
Also sagte ich ihm kürzlich, gestern oder vorgestern: "Ist ja alles gut und recht, aber jetzt möchte ich gern in die Stille und den Frieden und eine lichte Weite eintreten" – weißt du noch, wie in der Meditation, die wir hier einmal zusammen hatten – das ist sehr viel angenehmer. Daraufhin beruhigte es sich.
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* *
(Satprem hat Mutter soeben das Gespräch vom 30. September vorgelesen, in dem sie den möglichen Übergang des Menschen zum neuen Wesen schilderte.)
Nach meinem Gefühl (einer Art Empfindung) erfordert es Zwischenstufen. Und wenn man dann sieht, wie der Mensch gegen die ganze Natur kämpfen mußte, um zu existieren, so hat man den Eindruck, daß diejenigen, die diese Wesen verstehen und achten, eine Beziehung der Hingabe, Zuneigung und des Dienens zu ihnen haben werden wie die Tiere zum Menschen; diejenigen aber, die sie nicht lieben... das werden gefährliche Wesen sein. Ich erinnere mich, wie ich einmal eine sehr deutliche Vision von der prekären Situation dieser neuen Wesen hatte, und ich sagte – das war noch vor 1956, vor der Herabkunft der supramentalen Macht: "Das Supramental wird sich zunächst unter seinem Aspekt der Macht manifestieren, weil dies für die Sicherheit der Wesen unerläßlich ist." Und tatsächlich kam die Macht als erstes herab – die Macht und das Licht. Das Licht, das Wissen und Macht verleiht.
Das ist etwas, was ich mehr und mehr spüre: die Notwendigkeit von Zwischenphasen... Es ist völlig offensichtlich, daß etwas abläuft, aber es ist nicht dieses "Etwas", das gesehen und vorausgesagt wurde und welches das Endergebnis sein wird. Es ist eines der Stadien in seinem Ablauf, nicht das Endergebnis.
Sri Aurobindo sagte auch: "Zuerst wird die Macht kommen, das Leben beliebig zu verlängern" (in Wirklichkeit ist es noch viel subtiler und wunderbarer). Aber dies ist ein Bewußtseinszustand, der gerade dabei ist, sich durchzusetzen: eine gewisse ständige Verbindung und ein festetablierter Kontakt mit dem höchsten Herrn, wodurch dem Verschleiß und der Abnutzung ein Ende gesetzt wird. Die Abnutzung wird ersetzt durch eine außergewöhnliche Flexibilität und Plastizität. Doch der SPONTANE Zustand der Unsterblichkeit ist nicht möglich – jedenfalls noch nicht heute. Diese Struktur muß sich in etwas anderes verwandeln, und dazu braucht es, wie die Dinge nun mal liegen, viel Zeit. Es kann viel schneller gehen als in der Vergangenheit, aber selbst wenn sich die Bewegung beschleunigt, braucht es immer noch Zeit – gemäß unserer Vorstellung von Zeit. Bemerkenswert ist, daß man, um in jenem Bewußtseinszustand zu sein, in dem es keinen Verschleiß mehr gibt, seinen Zeitsinn verändern muß. Man gerät in einen Zustand, wo die Zeit nicht mehr dieselbe Realität aufweist. Sie ist etwas anderes, sehr seltsam... eine mannigfaltige Gegenwart. Ich weiß nicht... Selbst die Gewohnheit, vorauszudenken oder vorauszusehen, was sein wird, oder... all dies stört, denn es kettet einen an die alte Seinsweise.
So viele, viele Gewohnheiten sind zu ändern.
Voilà.
Gut, ich wünsche dir ein gutes neues Jahr.
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(Nachmittags schickte Mutter Satprem die folgende Notiz, wie eine Fortsetzung des morgendlichen Gesprächs, mit der sie sagen will, daß die integrale Verwirklichung des neuen Wesens nur möglich sein wird, wenn...)
Oh, spontan göttlich zu sein,
ohne sich dabei zu beobachten,
weil man das Stadium überschritten hat,
in dem man göttlich sein möchte.