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Mutters

Agenda

achten Band

30. August 1967

Seit einigen Nächten verbringe ich fast die ganze Nacht – mehrere Stunden – an einem Platz, der sicher zum Subtilphysischen gehört, wo man das materielle Leben neu organisiert. Es ist unermeßlich – unermeßlich –, eine unübersehbare Menge; aber es handelt sich um Individuen, keine Masse, ich habe mit jedem von ihnen zu tun. Gleichzeitig gibt es Dokumente und Tische, auf denen man schreibt, aber keine Wände. Ein sehr merkwürdiger Ort.

Mehrere Male fragte ich mich, ob die Erinnerung an die physischen Formen mich diese Welt so sehen läßt oder ob sie wirklich so IST? Manchmal besteht kein Zweifel, denn es hat seinen vollkommen eigenen Charakter, aber manchmal bin ich mir nicht sicher, und ich frage mich, ob es nicht in der aktiven Erinnerung ist. Denn ich bin mir dabei sehr bewußt, und alles ist äußerst natürlich. Es ist permanent: ich finde dieselben Dinge am selben Platz wieder, manchmal mit kleinen Unterschieden, aber Unterschiede, die durch die Aktion notwendig waren. Es ist eine zusammenhängende Welt, keine zügellose Phantasie. Aber in welchem Maße sind diese Formen eine Widerspiegelung der materiellen Formen? In welchem Maße SIND sie so, oder SEHEN wir sie nur so? Ich bin mir noch nicht ganz sicher. Früher hatte ich dasselbe Problem, als ich ins Übermental ging und die Götter sah: ich zögerte immer, ob sie wirklich so sind oder ob wir sie nur wegen unserer physischen Gewohnheiten so wahrnehmen... Dort kam ich nach einiger Zeit zu einer Schlußfolgerung, aber hier, physisch?...

Seltsamerweise gibt es dort keine Türen, Fenster, Decken oder Böden, alles besteht in sich selbst und scheint gar nicht dem Gesetz der Schwerkraft unterworfen zu sein, das heißt, es gibt keine magnetische Anziehungskraft der Erde, dennoch scheint es ein Federhalter zu sein, wenn man schreibt. Wenn man auf etwas schreibt, scheint es Papier zu sein. Gibt es Dokumente, so scheinen sie in Fächern zu liegen... Man fühlt wohl, daß die Substanz nicht die gleiche ist, aber das Aussehen ist sehr ähnlich. Gerade bei dieser Erscheinung erhebt sich für mich das Problem: Legen wir wegen des gewohnheitsmäßigen Funktionierens unseres Gehirns diese Erscheinungsform darüber, oder ist sie wirklich so?

Dort treffe ich fast alle Leute. Ich habe es dir erzählt: sehr regelmäßig bist du da, und wir arbeiten. Du selbst erinnerst dich nicht. Andere erinnern sich, aber ihre Erinnerung ist... (Mutter dreht leicht den Finger) nur ein klein bißchen verschoben, das heißt, es ist nicht identisch mit dem, was ich sah. Wenn sie dann mit mir darüber sprechen, habe ich ganz den Eindruck, ja, daß es an der Übertragung in ihrem Gehirn liegt... Die objektive Realität der materiellen Welt rührt daher, daß das gleiche Objekt, wenn man es zehnmal sieht, stets ähnlich erscheint, mit Unterschieden, die logisch sind, die zum Beispiel Unterschiede der Abnützung sein können – aber dort ist es auch so. Wenn man es sorgfältig studiert, sehen zwei Leute auch in der physischen Welt die Dinge nicht genau auf die gleiche Art. Dort ist die Variation vielleicht betonter, aber es scheint ein ähnliches Phänomen zu sein...

Die Erklärung wird sehr einfach, sehr leicht, wenn man in das Bewußtsein eintritt, wo die materielle Realität zur Illusion wird – sie ist illusorisch, sie ist nicht genau: die innere Realität ist viel wahrer. In dem Falle ist es dann einfach. Vielleicht ist nur unser Mental erstaunt?

Nimm zum Beispiel die Schrift; ich bemerkte es nicht im Detail, aber wenn man dort schreibt, scheint man viel müheloser zu schreiben... ich weiß nicht, wie ich es erklären soll... Es nimmt viel weniger Zeit in Anspruch; die Dinge werden auf Papier notiert, aber ist es Papier? Es ähnelt Papier, aber es wird viel direkter notiert... Vielleicht besteht nur eine Ähnlichkeit: Wenn man zum Beispiel einen Federhalter oder einen Bleistift benützt, ist es nicht exakt ein Federhalter oder ein Bleistift, sondern es ähnelt... (wie soll ich sagen?) dem Prototyp oder Prinzip des Objektes. Aber ich wollte sagen, wenn wir noch in der Zeit der Gänsefeder oder des Stäbchens, das man in Flüssigkeit taucht, lebten, sähe ich es wahrscheinlich auf die Art!... Es muß die ESSENZ oder das Prinzip der Sache sein, die sich in der Erinnerung durch eine Ähnlichkeit ausdrückt.

Aber es ist eine Aktion. Ich kenne die Zeit nur, wenn ich zurückkomme, denn ich nahm die Gewohnheit an, jedesmal, wenn ich zum materiellen Bewußtsein zurückkomme, nach der Zeit zu sehen (ich habe eine Uhr neben meinem Bett), deshalb kann ich sagen: es dauerte eine Stunde, es dauerte zwei Stunden. Aber dort hat man gar kein Zeitgefühl, es ist überhaupt nicht dasselbe Empfinden – INHALT der Handlung zählt, und während dieser Stunden werden wirklich sehr viele Dinge getan. Ich treffe dich regelmäßig, aber auch viele andere, und ich bin an vielen Plätzen gleichzeitig. Wenn mir jemand sagt: "Ach, ich habe Sie letzte Nacht gesehen, Sie taten dies und jenes, dort oben irgendwo", antworte ich: "Nun ja, das ist wahr." Der andere sieht es mit ganz kleinen Unterschieden (dieselbe Geste der Drehung), aber die Essenz der Sache ist dieselbe.

Ich bemerkte, daß die Dinge, die sehr nah am Physischen sind, verschwinden, wenn man brüsk aufwacht und vor allem, wenn man sich beim Aufwachen bewegt, wenn man eine Bewegung macht oder sich umwendet. Erst später, wenn ich zu gegebener Zeit sehr ruhig bin und in mich gehe, kann ich wieder mit diesem Zustand in Beziehung treten. Deshalb erstaunt es mich nicht, daß die meisten Leute sich nicht erinnern. An die Erfahrungen im Vital und im Mental erinnert man sich viel leichter, aber das, was dem Physischen sehr nahe steht...

Es ist von einer solchen Beschaffenheit, daß man etwas verrückt erscheinen würde, wenn man beim Erwachen das Bewußtsein davon beibehielte. Vor zwei Tagen hatte ich diese Erfahrung und lernte viel – ich betrachtete es, studierte es, bis ich es verstand. Es geschah während der Ruhestunde am Nachmittag. Nachmittags schlafe ich überhaupt nicht, aber ich trete in das innere Bewußtsein ein, und bevor ich begann, hatte ich beschlossen, daß ich zu einer bestimmten Zeit "aufwachen" würde, das heißt, ich würde aufstehen; als es Zeit war, war ich noch völlig in meiner Aktion, und sie dauerte an, der Bewußtseinszustand setzte sich mit offenen Augen fort, und in dem Bewußtseinszustand... (ich kann nicht sagen "ich", denn es war nicht dasselbe Ich, in dem Moment bin ich viele Personen), aber das Ich dieses Moments hatte die Angewohnheit, eine Uhr aus Gold zu tragen (Geste zum Handgelenk) – nicht materiell hier, sondern "dort oben" –, und es hatte vergessen, die Uhr anzulegen, es schaute hin und merkte es: "Ach, ich vergaß, meine Uhr anzulegen, was ist aus der Uhr geworden? Warum habe ich sie vergessen?" In dieser Weise. Beim Zurückkommen (hier trage ich keine Uhr) bestanden die beiden Bewußtseinszustände gleichzeitig, und ich sagte mit lauter Stimme: "Wo ist meine Uhr? Ich habe vergessen, meine Uhr anzulegen." Als ich das sagte, wurde es mir klar. Das gab mir zu denken, ich studierte es, betrachtete es gründlich und sah deutlich, daß in dem Augenblick die beiden Bewußtseinszustände (Mutter legt die beiden Handflächen eng aufeinander) absolut simultan waren.

Das ist sehr interessant. Oh, allerlei Probleme wurden durch diese Erfahrung gelöst. Zum Beispiel das Problem vieler Leute, die man für verrückt hält und die einfach in dem subtilen Bewußtsein sind (dieselbe überlagernde Geste), das in einem gegebenen Augenblick vorherrscht. Das läßt sie Dinge äußern, die hier keinen Sinn ergeben, aber dort einen sehr klaren Sinn haben, und das Bewußtsein ist so (aufeinanderliegende, fast verschmolzene Geste). Das erklärt viele Fälle von angeblicher Verrücktheit. Auch Fälle von scheinbarer Unaufrichtigkeit sind so, denn das Bewußtsein sieht sehr klar in dem Bereich, und es ist ein so naher Bereich, daß man den Dingen die gleichen Namen geben kann (sie scheinen dieselben Formen zu haben oder ganz ähnliche Formen), aber es ist nicht das, was man hier die "greifbare Realität" nennt: materiell, äußerlich sind die Dinge nicht völlig so. Es gibt Fälle von vermeintlicher Unaufrichtigkeit, die einfach eine Mischung von zwei zu eng nebeneinanderliegenden Bewußtseinszuständen sind – zu eng, um sie aktiv unterscheiden zu können.

Oh, ein ganzer Bereich wurde erhellt – nicht nur erhellt, sondern es enthielt auch den Schlüssel zur Heilung oder Transformation. In innerer, psychologischer Hinsicht erklärte es sehr viele Dinge. Es verringert die Fälle tatsächlicher Geistesstörung und wirklicher Lügen erheblich, das heißt den Fall, wo man willentlich und bewußt das Gegenteil dessen, was geschehen ist, sagt – das kann nicht so häufig sein, wie man glaubt. Viele Leute sagen Dinge auf die Art (fließende Geste), die nicht exakt sind, aber die sie in einer anderen, nicht rein materiellen Welt bemerken, mit einer zu engen Vermischung und einem ungenügenden Unterscheidungsvermögen, um die Vermischung zu erkennen... Sri Aurobindo sagte oft, daß echter böser Wille, echte Feindseligkeit und Lügen recht seltene Fälle sind ("echt" im Sinne des Absoluten, in sich selbst bewußt und willentlich – absichtlich, absolut, bewußt), das ist selten, und daß man diese als feindliche Wesen beschreibt. Aber alles andere ist eine Art Illusion des Bewußtseins, Bewußtseinszustände, die sich überlagern (Mutter schiebt die Finger ihrer rechten Hand zwischen die der linken), ohne ein präzises Unterscheidungsvermögen zwischen den verschiedenen Bewußtseinszuständen, die so vermischt sind (dieselbe Geste), abwechselnd ineinander reichend.

(Schweigen)

Als Ergebnis sah ich die Ungeheuerlichkeit des zu lösenden Problems und des noch bevorstehenden Weges und der zu vollziehenden Transformation... Betrachtet man es in rein psychologischer Hinsicht, ist es relativ leicht und direkt, aber wenn man dorthin kommt (Mutter berührt ihren Körper), zur äußeren Form und zur sogenannten Materie, ach, das ist eine ganze Welt! Jede Lektion... sie gleichen Lektionen, die einem aufgegeben werden, das ist wirklich interessant! Lektionen mit allen Konsequenzen und allen Erklärungen. Man verbringt ein oder zwei Tage für eine winzig kleine Entdeckung. Man sieht, daß nach diesem Tag oder jenen Stunden der Arbeit im körperlichen Bewußtsein das Licht da ist, es ist verändert – die Reaktionen sind nicht mehr die gleichen, aber... (Geste einer ganzen Welt von Arbeit).

Die neue Gegenwart wird immer vertrauter, immer konkreter, und in diesen Augenblicken... in manchen Augenblicken (Geste des Anschwellens) ist es derartig konkret, daß es wie eine Absolutheit ist, und dann (Geste der Überdeckung) tritt ein anderer Bewußtseinszustand ein, und alles muß wieder von vorn begonnen werden.

Das ist interessant.

Es lehrt einen so vieles... die großen Worte, die großen Haltungen, die großen Erfahrungen, all das ist sehr gut für dort oben, aber hier... nichts Spektakuläres – alles ist sehr bescheiden, sehr still, sehr unauffällig. Sehr bescheiden. Gerade das ist die Bedingung des Fortschritts, die Bedingung der Transformation.

So sieht es aus, mein Kind.

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