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Mutters

Agenda

neunten Band

8. Juni 1968

Ich habe gerade ein Problem studiert...

Im Grunde genommen, wenn man den Firnis abkratzt – den Firnis der guten Manieren –, akzeptiert der Mensch die Existenz Gottes nur unter der Bedingung, daß dieser Gott sich einzig und allein mit der Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse und Wünsche abzugeben habe – das mögen kollektive Bedürfnisse sein oder "planetarische" Wünsche, wie es Y ausdrückt, aber die Sache läuft letztlich darauf hinaus.

Dies trifft vor allem auf die Vorstellung eines Gottes zu, der einen Körper angenommen hat... Im Grunde erscheint es den Menschen ganz natürlich, daß Christus für ihr Heil gekreuzigt wurde – diese Vorstellung fand ich schon immer monströs.

Ich sehe jetzt... wie spontan das geschieht. Hier in Indien ist es genauso mit der Vorstellung des Gurus, des Avatars: Der Guru ist einzig und allein dafür da (und wird nur dafür anerkannt), um alle Forderungen zu erfüllen, nicht weil er mit einem menschlichen Körper ausgestattet ist, sondern weil er der Repräsentant der höchsten Macht ist. Und diese höchste Macht akzeptiert man, man gibt vor, ihr zu gehorchen, man unterwirft sich ihr, aber mit dem Hintergedanken: "Sie existiert allein zur Befriedigung meiner Wünsche." Die Qualität dieser Wünsche hängt vom Individuum ab: die einen haben ihre winzigen persönlichen Bedürfnisse, die anderen haben hochtrabende Bedürfnisse für die ganze Menschheit oder selbst für noch höhere Verwirklichungen, aber letztlich läuft es immer auf dasselbe hinaus. Das scheint die Vorbedingung für die Hingabe zu sein.

Man muß aus dem menschlichen Bewußtsein, d.h. aus dem aktiven, schaffenden Bewußtsein heraustreten, um sich davon lösen zu können.

Das geht so weit, daß, wenn jemand es wagt zu behaupten, die Welt und alle Schöpfungen bestünden allein für die Befriedigung des Göttlichen, es sofort zu den heftigsten Protesten kommt und man ihm alles mögliche entgegenhält: "Aber dieses Göttliche ist ein Monstrum, eine Ausgeburt an Egoismus!", ohne sich zu vergegenwärtigen, daß man genauso ist.

(Schweigen)

Das ist nicht sehr lustig.

Ach, wir sollten lieber am "Bulletin" arbeiten.

Ja, aber liegt das Göttliche denn nicht auch am Ursprung unseres Wunsches nach einer höheren und schöneren Verwirklichung?

Aber ja.

Ich wollte nur sagen, daß man die den Menschen eigene Art von Bewußtsein bis ins Unendliche erweitern und ausdehnen kann – und es ist nichts. Es muß überschritten werden, denn diese Auffassung von Egoismus gehört noch ganz und gar der Menschlichkeit an.

Siehst du, jedes menschliche Wesen setzt sich spontan und selbstverständlich in den Mittelpunkt und organisiert die Welt um sich herum (und dieses Phänomen trotzt jeder Entwicklung und jeder Erweiterung); für sie bleibt daher auch das Göttliche notgedrungen etwas, das sich in den Mittelpunkt stellt und die Welt um sich herum organisiert.

Für einige Stunden (ich weiß es nicht mehr genau, denn ich habe nicht auf die Zeit geachtet) war das Bewußtsein plötzlich... ich weiß nicht, umgekehrt (wie soll ich sagen?), und es gab kein Zentrum mehr, dieses Zentrum, um das alles organisiert war, existierte absolut nicht mehr. Das göttliche Bewußtsein war kein zentrales Bewußtsein, um das herum alles organisiert war – in keiner Weise. Es war etwas... außerordentlich Einfaches und gleichzeitig ungeheuer Vielschichtiges.

(Mutter verharrt lange Zeit schweigend)

Jetzt ist es nur noch eine Erinnerung, also ist es nicht mehr "das". Es bleibt nur noch als tastende Erinnerung.

Es gab nicht einmal mehr die Möglichkeit einer Trennung...

Jetzt kann ich es sehen (Mutter schließt die Augen).

Es wäre wie eine Einheit, die aus unzähligen – aus Milliarden – leuchtenden Lichtpunkten besteht. Ein EINZIGES Bewußtsein – ein einziges –, das aus unzähligen hellen Lichtpunkten besteht, die sich ihrer selbst bewußt sind.

Das mag völlig idiotisch klingen, aber...

Es handelt sich nicht um die Gesamtheit von all dem, das ist es ja! Es ist keine Gesamtheit sondern eine Einheit. Aber eine mannigfaltige Einheit. Allein die Tatsache, daß man es in Worten ausdrückt, macht es idiotisch.

Unmöglich. Die Sprache ist unzulänglich.

Ach, laß uns arbeiten!

*
*   *

(Etwas später geht es um ein altes Gespräch aus den Entretiens vom 24. Juni 1953, wo von den Krankheiten die Rede ist.)

Seit einiger Zeit existiert jetzt beides gleichzeitig (Mutter führt ihre beiden Zeigefinger zusammen), in dem Sinne, als das Bewußtsein in jeder Minute (nicht jede "Minute", aber immerhin) weiß: Ist die Haltung so (Mutter neigt den linken Zeigefinger ein wenig nach links), handelt es sich um eine Krankheit; ist die Haltung hingegen so (Mutter neigt den rechten Zeigefinger ein wenig nach rechts), bleibt alles in Ordnung. Dazu erscheint, "wie es wieder in Ordnung kommt". Das ist ungeheuer interessant.

Ich warte noch ein wenig, das zu formulieren, bis es sich besser gefestigt hat, bis es klarer und genauer geworden ist, völlig... nun eine wissenschaftliche Haltung. Es ist aber sehr interessant.

Nimmt man diese Haltung ein (gleiche Geste nach links), wird es zur Krankheit; nimmt man jene Haltung ein (gleiche Geste nach rechts), wird es Teil der Evolution.

Im Körper?

Im Körper.

Wie der Körper bewußt an seiner Transformation teilnehmen kann.

Das ist jedoch ein längeres Thema, und ich möchte es lieber erst weiter ausreifen lassen. Noch befinde ich mich im Versuchsfeld. Wenn es besser gefestigt ist, werde ich darüber sprechen.

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