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Mutters

Agenda

neunten Band

20. Juli 1968

(Mutter scheint es besser zu gehen, obwohl sie noch hustet.
Jetzt hat Satprem hingegen Fieber.)

Das kommt von dort (vom Vatikan), es hat den gleichen Ursprung wie bei mir. Das erste Mal war ich auf der Hut, diesmal aber hat es mich überrumpelt... Solange sie das amüsiert...

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*   *

Etwas später

Ich kann nicht sprechen... (Mutter hustet). Z hat mir "gebeichtet" und mir Fragen gestellt. Ich wollte heute antworten, aber jetzt habe ich meine Stimme verloren. Wenn du es vorlesen möchtest (Mutter reicht Satprem einen Brief).

"Ich habe das Gefühl einer Spaltung und Verwirrung in meinem Geist, wahrscheinlich zwischen den verschiedenen Teilen meines Wesens, deren ich mir nicht deutlich bewußt bin.

In einem dieser Teile ist das Göttliche oder das Höchste eine formlose Sache, unbegrenzt und weit, etwas, das ich nicht wirklich kenne, das ich aber kennenlernen möchte und zu dem meine Gedanken und meine Liebe gehen, solange kein anderer Teil oder Umstand dazwischen tritt. Dies verspüre ich von tiefstem Herzen. Darin finde ich auch die Erklärung und den Daseinsgrund aller Dinge, und jeder Tag gestattet mir, im Verhältnis zu meiner eigenen Kleinheit einen neuen Aspekt dessen zu entdecken. Dort gibt es keine Schwierigkeiten, keine Probleme, alles ist glücklich und zufrieden.

In einem anderen Teil, der komplexer ist, geht das alltägliche Leben und die gewöhnliche Persönlichkeit ihren Gang. Dort sind die Dinge vollkommen anders. Der zentrale Pol dieses Teils war bis jetzt die Liebe, Liebe jedoch so, wie ich sie hier verstehe, nicht etwas Feinstoffliches, das aufsteigt, sondern etwas Konkretes, das lebt und sich austauscht und das für seine Existenz die physische Gegenwart braucht, das "Miteinander leben", andernfalls hat sie keinen Daseinsgrund, denn sie hätte keine Stütze, keine konkrete Form und Gestalt. Aus diesem Grund hast Du mir sicherlich gesagt, daß ich die Liebe liebe und keine Personen. Damit hast Du sehr recht, denn für mich sind Personen nichts als eine Gelegenheit, die Liebe zu leben oder das, was ich als solche bezeichne.

Nun gibt es in meinem Leben kein menschliches Wesen mehr, nichts; vielleicht ist es diese Leere, welche die letzte Krise ausgelöst hat. Ich verspüre verschwommen etwas, das mich stört und das ich nicht zu definieren vermag, das mir jedoch sehr mißfällt, als versuchte ein Teil meiner selbst, mit Dir das zu leben, was er nicht mehr mit den Menschenwesen zu leben vermag... Meine augenblickliche Schwierigkeit rührt daher, daß es mir unmöglich ist, diese beiden Teile meines Wesens in Einklang zu bringen, das Innere und das Äußere, und die Scheidung, die dies mit sich bringt, betrifft auch Dich. Könntest Du mich über die folgenden Fragen aufklären: ..."

Ach! Es gibt Fragen.

"1) Ist das, was ich das Höchste nenne und dem ich mich in meinem Innersten zuwende, eine Realität im Ausmaß meiner Geringfügigkeit, und ist meine innere Bewegung in dieser Richtung etwas Echtes, Authentisches, oder handelt es sich um eine Einbildung und eine Ausflucht vor einer anderen Realität, die ich mich weigere anzuerkennen?"

Das läßt sich einfach beantworten.

"2) Welche Beziehung besteht zwischen dem, was ich das Höchste nenne und innen suche, und Dir selbst?"

(Lachend) Sie erwartet wohl nicht, daß ich ihr darauf antworte!

"3) Was bedeutet auf der praktischen Ebene des Yogas, daß man, wie Sri Aurobindo sagt, durch Dich gehen muß, um die Verwirklichung zu erlangen ..."

Hat er gesagt, man solle durch die Mutter gehen?

Ja. Er sagte, wenn man sich ausschließlich an das Unpersönliche wende, erlange man eine starre, statische Verwirklichung, während man, wenn man durch dich gehe, eine dynamische Verwirklichung erziele.

Ach! Das ist es...

Und dann?

"... Was beinhaltet das, soweit es mich betrifft, in bezug auf die richtige Haltung dem Höchsten und Dir gegenüber?"

Ist das alles?

Ja. Sie bildet eine Trennung.

Ja. Das ist absurd.

Ich wollte ihr antworten, aber ich kann nicht sprechen. Sie wird warten müssen.

(langes Schweigen)

Ich habe mich mehrere Male selbst folgendes gefragt, von einem ganz praktischen Standpunkt aus: ich habe eine spontane Tendenz, wenn ich mich konzentriere, mich auf "Das" zu konzentrieren, das, was ich nicht definiere, eben "Das".

(Mutter stimmt lebhaft zu) Ja, ja!

Mitunter frage ich mich jedoch, ob es nicht besser wäre, mich auf eine genauere Form, wie zum Beispiel die deinige, zu konzentrieren – ich mache keine Unterschiede.

Ich bin nicht dieser Meinung.

Du bist nicht dieser Meinung?

Das schränkt zu sehr ein.

Ich mache keine Unterschiede, wie: "Hier ist Mutter, da ist das Höchste", so nicht, ich frage mich jedoch, ob es praktisch nicht besser wäre, wenn "du" es bist anstelle von "Dem".

Nein, nein! Auf gar keinen Fall. Wenn man mich fragt, sage ich ganz entschieden nein. Denn trotz allem, selbst wenn man versteht, ist man durch die Tatsache einer persönlichen Form, einer persönlichen Erscheinung, einer scharf umrissenen Persönlichkeit beeinflußt – all dies ist wertlos. Einige ziehen es vor, mit der Idee "der Mutter", d.h. der ausführenden Kraft, zum Höchsten zu gelangen... Für mich hingegen... für mich ergibt dies natürlich keinen Sinn. Aber ich sehe sehr wohl, ich weiß, daß es niemals hier landet, wenn mich Leute rufen (Mutter bezeichnet ihre Person), es geht in jedem Fall unmittelbar zum Höchsten; selbst das, was das aktive Bewußtsein berührt, geht unmittelbar zum Höchsten. Für Menschen mit einer solchen Einstellung ist es mitunter einfacher. Also lasse ich sie gewähren, aber... Denn eigentlich ist das belanglos; diese Person (Mutter) ist ganz und gar... wie soll man das nennen?... Sie ist nicht einmal ein Abbild, vielleicht eher ein Symbol... Manche Leute brauchen einen Anhaltspunkt, um ihre Aufmerksamkeit darauf zu fixieren. Ich merke das die ganze Zeit: anstatt direkt zu gehen (zum Höchsten), was für die Leute etwas verschwommen bleibt, geht es so (zu Mutter), es sammelt sich hier, und dann geht es dorthin (zum Höchsten).

(Mutter bezeichnet mit den Händen eine Art Kreislauf, der auf sie zugeht, zum Höchsten aufsteigt, um dann wieder durch sie zu den Personen zurückzufließen. Die Form des Kreislaufs erinnert deutlich an den Umriß eines einzigen Wesens.)

Auch bewirkt hier (in Mutter) die Tatsache der physischen Präsenz, daß die Richtung der Kräfte präziser ist. Ich sehe, wie die Kraft von oben wirkt (Geste eines Drucks oder einer herabsteigenden Masse), und durch die Ähnlichkeit der Schwingungen kommen sie in Kontakt. Außerdem entsteht dabei (beim Hindurchfließen durch Mutter) dieses physische, materielle Wissen, das das Wirken der Kraft präzisiert und konkretisiert. Vom Standpunkt der Hilfe aus ist es... Sri Aurobindo hatte recht: die Hilfe ist direkter. Dies erspart den Leuten Arbeit. Ich sehe, was kommt, diese Art Atmosphäre – es ist viel mehr als eine Atmosphäre: eine beständige Präsenz, verstehst du, sie ist ständig da –, und in diesem Bewußtsein (Mutters) präzisiert sich deren Wirkung: sie präzisiert sich individuell, je nach den Fällen, den Erfordernissen und Gegebenheiten. Eine fast automatische Arbeit. Natürlich stelle ich mir vor, daß dies die Leute weiterbringt. Sie brauchen im allgemeinen etwas Persönliches – "persönlich" heißt: wessen Schwingung mit der ihrigen identisch ist.

Ich weiß nicht, ob es aufgrund der Erkältung ist (ich glaube nicht – ich weiß sehr wohl, wo das herrührt), aber den ganzen Vormittag (die Nacht über und den Vormittag) bestand eine Art Wahrnehmung aller Arten von Bewußtseinszuständen, durch die dieser Körper hindurchgegangen ist, auch verschiedene Konstellationen von Umständen, und bei alldem eine solch konkrete, absolute Wahrnehmung: "Wo ist die Person? Wo ist das Individuum, wo befindet sich denn die Person, wo...?" Und mit einer so klaren Vision des höchsten Bewußtseins, das als EINZIGES permanent ist – das höchste Bewußtsein, das darin spielt, in all dem, in allen Regungen, allen Bewegungen, allen Handlungen, allen... Dies wurde auf derart konkrete Art und Weise verspürt und durchlebt, daß ich sah, wie dieser Körper, den die Leute noch für den gleichen halten, der vor mehr als neunzig Jahren geboren wurde, in gar keiner Weise mehr derselbe ist. Alles hat sich verändert: die Zellen haben sich verändert, alles hat sich verändert. Alles: der Bewußtseinszustand ist ein vollkommen anderer; wo befindet sich nun die Person in all dem?... Das drängte sich auf einen Schlag auf: "Wo befindet sich diese Persönlichkeit... Wo ist sie nur?..." Es gab nichts als Das (Geste nach oben): Bewußtsein. Und dann die Vision des Ganzen, wie die Dinge sich gestalten, wie... (Wellenbewegung eines Ganzen, das sich in unzähligen Formen und Gestalten ausfächert).

Diese Erfahrung, die man sonst im höheren Mental oder im Psychischen hat, erlebt nun der Körper – der Körper selbst hat sie in seinem Zellaufbau. Er hatte diese Erfahrung heute morgen: nur Das war beständig – Das, was in sämtlichen unzähligen Veränderungen sich gleich bleibt... (reglose, unerschütterliche Geste mit der Handfläche).

Eine so konkrete Erfahrung – so konkret für den Körper –, daß er sich fragt, wie er denn überhaupt noch seine Gestalt erhalten kann.

All die üblichen Vorstellungen... ergeben überhaupt keinen Sinn mehr. Überhaupt keinen Sinn, all dies will nichts besagen.

Es begann gestern mit der Erfahrung des unendlich Kleinen und aller Welten, die auf diese Weise organisiert sind (vielleicht macht Mutter eine Anspielung auf ihre Vision der Zelle in einer übergroßen Hand). Und ich hatte den Eindruck einer größeren Persönlichkeit (insofern als sie sozusagen mehr Raum einnahm), die Menschen, alle Menschen waren darin nichts als ganz winzige Bestandteile von etwas viel Größerem... So war es gestern. Heute kam nun die umgekehrte, aber sie ergänzende Erfahrung. Das führt dann zu dieser Vision des Ganzen und aller Dinge – des Ganzen, das wir aufgrund unserer Schwäche immer mit Grenzen sehen.

(Mutter tritt in eine lange Kontemplation ein,
plötzlich lächelt sie)

Ich weiß nicht, ob es aufgrund dessen kam, was ich dir erzählte, oder wegen etwas anderem, aber ich sah ein ungeheuer großes Wesen, das daherkam und ein kleines Kind an der Hand hielt... und das kleine Kind warst du. Das Wesen kam und stellte das Kind so vor mich hin (Geste zu Mutters Füßen). Es war ungeheuer groß, viel-viel größer als das Haus, verstehst du: das kleine Kind war wie ein Daumen für es (Mutter deutet auf das Ende ihres kleinen Fingers). Es hat dich so gehalten und kam, um dich vor mich zu stellen (Mutter lacht).

Vielleicht handelt es sich um die Fortsetzung von dem, was ich dir erzählte? Dabei war es sehr konkret. 1

Sri Aurobindo sagte, wenn man über das Unpersönliche hinausgehe, finde man das Persönliche: DIE Person. Ich bin sicher, daß er selbst diese Erfahrung hatte... Meine eigene Wahrnehmung dieses Phänomens ist eine Art Verschmelzung – eine Verschmelzung aller möglichen Auffassungen von Persönlichkeit in... ich möchte nicht sagen in eine Unpersönlichkeit, das stimmt nicht, sondern in etwas, das keine Grenzen hat, das im engeren Sinne des Wortes überhaupt nicht persönlich ist, dabei jedoch mit der ganzen konkreten Realität der Person ausgestattet. Verstehst du, es handelt sich um eine Erfahrung des Körpers (in den anderen Bereichen hatte ich nie Schwierigkeiten), eine Erfahrung DES KÖRPERS. Der Körper hat andauernd die Erfahrung dieser Verschmelzung; andauernd ist es, als verschmelze er darin, aber... für ihn ist dies trotzdem eine Bewegung vom Identischen zum Identischen, und die Empfindung (oder die Wahrnehmung) eines "anderen" oder eines Andersseins empfindet er als seine eigene Unzulänglichkeit. Und doch handelt es sich in keiner Weise um die Erfahrung eines maßlos übersteigerten Ichs, absolut nicht, sondern... Was völlig konkret ist, ist das All-Bewußtsein (er spürt sehr wohl, daß es sich dabei um viel mehr als das handelt, daß dies nur ein Aspekt ist). Das ist jedoch eine ununterbrochene Erfahrung.

Und diese Auffassung eines Persönlichen und Unpersönlichen ergibt keinen Sinn. Sie hat keinerlei reale Entsprechung. Der Körper hat das Gefühl seiner Persönlichkeit vollkommen verloren, absolut, und das ist seltsam.

Beispielsweise... (alles überträgt sich jetzt in ein Bewußtseinsphänomen), beispielsweise geschieht, ich weiß nicht wie oft am Tag, folgendes: Plötzlich entsteht das Bewußtsein einer Störung, eines Schmerzes oder eines Leidens in irgendeinem Körperteil – nicht auf diesen Körper beschränkt (Mutter deutet auf ihren Körper) sondern wie in einem ungeheuer großen Körper oder Ort; und wenig später oder nach einigen Stunden höre ich, daß diese oder jene Person dies oder jenes Leiden hatte, das folglich als ein Teil dieses ungeheuren Körpers empfunden wurde... Das hat sich wirklich merkwürdig entwickelt. Und es hat mit dieser Erkältung noch bedeutend zugenommen. Weißt du, ich empfange weniger Leute, ich arbeite weniger und ruhe mehr – aus Gewohnheit sage ich "ich", dies entspricht aber nicht mehr ganz dem gegenwärtigen Zustand... Das "Ich" ist, als versetzte ich mich in das Bewußtsein der Leute und beschriebe den Vorgang von dort aus; das entspricht aber in gar keiner Weise der Empfindung dessen, was geschieht.

Ach, ich fange an, dich zu langweilen...

Nein! Während du eben meditiertest, hatte ich einen so physischen Eindruck, eine so physische Erfahrung in meinem Körper wie selten zuvor.

Ach?

Ja, ich spürte das sehr stark: etwas, das sich überhaupt nicht dort oben abspielt sondern hier.

(Mutter nickt und verharrt schweigend)

Ja, im Grunde wie ein Bewußtsein hier im Körper. 2

Ja, ja.

(Schweigen)

Es ist wirklich bemerkenswert, daß mit einem... einem solch gewaltigen Kraftstrom, wie er in deiner Nähe oder auf dir oder in dir existiert, es nicht noch physischer wird.

Weißt du, durch die Neuigkeiten, die die Leute bringen, und die Dinge, die sich zutragen, habe ich immer mehr den Eindruck eines solch ungeheuren Stromes, daß... Ich glaube, daß es sich so verhält, ich glaube, daß es dabei ist, alles zu verändern, und zwar in einem phantastischen Tempo, dessen wir aber nicht gewahr werden – man wird es erst später erkennen. Denn die Fülle an Details – es sind deren Hunderte – und der Eindruck als Ganzes ist ungeheuer. Weißt du, wenn das Bewußtsein sich konzentriert – und aus irgendeinem Grund sich hier in diesem Körper konzentriert –, so entsteht der Eindruck, als würde alles bersten – kochen und bersten –, so daß ich mich öfters frage: "Habe ich denn Fieber?" – Natürlich habe ich überhaupt kein Fieber. Und mit der Reglosigkeit, der äußeren Inaktivität und der Konzentration des Bewußtseins entsteht stets eine so unermeßliche, ungeheure Dichte, und... Es ist Frieden, eine erhabene Ruhe. Ein Frieden... unaussprechlich – inmitten einer ungeheuren Aktion. Und dann...

(Mutter geht in Kontemplation)

*
*   *

Am Schluß der Gesprächszeit

Es bleibt noch die Antwort an Monsignore R – das letzte Mal las ich dir seinen Brief vor.

Er erwartet eine Antwort?

Er erwartet etwas.

Ich habe ihm ausführlich und sehr konkret geantwortet – sehr konkret –, mit großer Konzentration... ich weiß nicht, ob es sich um einen empfindsamen Menschen handelt.

Die Verbindung war lang, sehr vollständig und die Arbeit sehr präzise. Ich antwortete in einer viel wahrhaftigeren Weise, als es Worte vermögen.

Ich erwägte, bestimmte Dinge zu sagen, aber all dies ist vergleichsweise belanglos. Die großen Phrasen, all dies führt zu nichts, das verabscheue ich. All das ist so klein und mickerig.

Ich werde sehen, ob es ankommt.

 

1 Satprem geht davon aus, daß es sich bei diesem ungeheuer großen Wesen um "Das" handelt, dem er sich anstelle Mutters zuwendet. Und "Das" kam, um ihn an seinen Platz zu stellen.

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2 Satprem steigt von seinen "Höhen" herab. Es ist höchste Zeit!

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