Mutters
Agenda
zehnten Band
(Mutter wirkt etwas niedergeschlagen)
Ich habe nichts zu sagen.
Hast du nichts, keine Neuigkeiten?
Ich habe keine Neuigkeiten, aber hier ist etwas. In Pavitras Sachen fand man eine Tonbandaufnahme mit einer Erfahrung, die er vor drei Jahren hatte, als er zuerst an Krebs erkrankte. Interessiert es dich, den Text der Erfahrung zu hören?...
Ist es interessant?... Ich habe nichts zu sagen. Die Dinge gehen weiter... Es ist schwierig.
Ja.
Aber nun...
Pavitra bleibt da, überhaupt nicht vermischt – zeitweilig völlig bewußt und sonst sehr ruhig. Das ist gut – gar nicht störend, verstehst du... Von Zeit zu Zeit manifestiert er etwas, was beweist, daß er bewußt bleibt. Das ist alles.
Ich mache weiter... es ist nicht leicht. Das ist alles. Ich kann mir den Text anhören.
(Satprem liest vor:)
Erfahrung von Pavitra in der Nacht vom 5. zum 6. Februar 1966
"Es ist eine Nacht vollbewußter spiritueller Erfahrungen, eine Nacht der Folter und der Glorie.
Ich durchschritt große Säle, in denen Wesen ohne Verbindung mit der Außenwelt lebten, und andere Säle, in denen elende Wesen ein elendes Dasein fristeten. Sie bemerkten meine Gegenwart, die ihnen einen gewissen Lichtstrahl von außen brachte. Einige reagierten positiv mit einem Lächeln; andere flüchteten. Manche stießen gegen mich. Dann ging ich weiter in andere Säle. Immer schien dasselbe Ziel meine Anwesenheit zu rechtfertigen, denn einige zeigten bei meinem Vorbeigehen ein Hoffnungszeichen, aber gleichzeitig befielen mich Hindernisse, Leiden und Foltern aller Art. Es waren keine absichtlich zugefügten Foltern sondern Reaktionen der Unwissenheit und des Leidens.
Allmählich fiel mir diese Arbeit immer schwerer. Ich konnte mich nur noch mit großer Mühe bewegen, ging immer langsamer, wie beladen, bis ich schließlich nur noch unter großen Schwierigkeiten meinen Weg fand ..., um zu entfliehen.
Diese Erfahrungen schienen lange zu dauern. Als sie aufhörten, fand ich mich in meinem physischen Körper wieder, überrascht, daß er keine Zeichen von alldem, was er gerade durchgemacht hatte, trug.
Langsam begann ich den Sinn des Geschehenen zu verstehen. Eine ungeheure Dankbarkeit stieg von meinem Herzen zum Höchsten auf, zusammen mit einer gänzlichen Hingabe meiner selbst, auf daß sich sein Wille überall erfüllen möge.
Ich erfaßte den Sinn des großen Versprechens:
"Ich werde dich von allem Übel befreien, fürchte nichts!" 1
Dieses Versprechen des Sieges des auf der Erde inkarnierten Göttlichen versetzte mich in Freude.
Ich wiederhole, daß ich während der ganzen Dauer dieser Erfahrungen voll bewußt war.
Das ist alles, was ich zu sagen habe."
Und danach erkrankte er?
Es stimmt mit diesem Zeitpunkt überein. Damals begann er an zwei Krücken zu gehen.
(Nach einem langen Schweigen) Das würde bedeuten, daß er die Last von etlichen Leuten auf sich genommen hat... Das würde auch erklären, was geschah: Am Tag seines Ablebens wurden mehrere Leute sehr heftig von Dingen attackiert, die gleichsam auf sie zurückfielen; Dinge, von denen sie befreit worden waren, die nun wieder auf sie zurückfielen – besonders einige Frauen.
(langes Schweigen)
In ihm steckte ein Wesen, das bewußter war als er. Das ist offensichtlich.
Und dieses Wesen nahm diese Dinge [die Übel der anderen] auf sich.
Will das heißen, indem man sich auf der Erde inkarniert, kann man diese Welten befreien?
(Mutter hörte die Frage nicht)
Kann man diese subtilen Welten, in denen Gefangenschaft herrscht, befreien, indem man sich auf der Erde inkarniert?
Das sind Welten des Vitals.
Gewiß [sich inkarnieren, um sie zu befreien].
(Mutter tritt in Kontemplation,
zuweilen stöhnt sie)
Ich verstehe jetzt besser, warum er eingetreten ist [in Mutter].
Er tat es, um all diesen Schrecken zu entgehen.
Gut.
Es gibt nur eine Lösung, und zwar der direkte Kontakt des Physischen mit dem Höchsten. Das ist der einzige Weg.
Die Zellen des Körpers... (ich weiß nicht, ob das nur für meinen Körper gilt, aber ich kann mir nicht vorstellen, daß er so außergewöhnlich ist), sie sind ABSOLUT überzeugt, und sie versuchen ständig, ständig, bei jeder Not, bei jeder Schwierigkeit, bei jedem... – es gibt nur eine Lösung, nur eine: "Du, Du allein, zu Dir – Du allein existierst." Genau dies führt im Bewußtsein der Buddhisten und anderer ähnlich Gesinnter zum Eindruck, die Welt sei eine Illusion, doch das ist nur eine Halbwahrheit.
Die wahre Übersetzung lautet: "Du allein existierst, Du allein." Der ganze Rest... Alles andere ist Elend. Elend, Leiden... Dunkelheit.
Ach...
Vielleicht gibt es... Nach Sri Aurobindos Auffassung ist das Supramental offensichtlich frei von all diesem Elend.
Es gibt nur Das. Ansonsten ist es schwierig.
Vielleicht genügen jetzt Halbheiten nicht mehr... Ich weiß es nicht. Vielleicht ist es an der Zeit, ganz Stellung zu nehmen.
Dieser Körper hat seine Stellung bezogen. Aber ich dachte, daß... Man muß äußerst ausdauernd sein – deshalb habe ich die anderen nie gedrängt, dies zu versuchen; aber das 2 will vielleicht sagen: ES IST AN DER ZEIT. Ich weiß es nicht.
Ach...
Wir werden es schaffen.
Ja! (Mutter lacht) Natürlich werden wir es schaffen.
Ich wünschte, ich könnte sagen: Wir sind dabei, es zu schaffen.
1 Bhagavat-Gita, XVIII.IV.66
2 Wir haben den Eindruck, daß "das" sich auf die Schwierigkeiten der gegenwärtigen Situation bezieht, vielleicht meint Mutter aber auch den Weggang Pavitras.