Sri Aurobindo
Das Göttliche Leben
Buch 1
Kapitel XXVIII. Supramental, Mental und Übermental-Maya
Es gibt ein
Beständiges, eine Wahrheit, die von einer Wahrheit verborgen wird, wo der
Sonnen-Gott seine Pferde ausspannt. Die Zehnhunderte (seiner Strahlen) kamen
zusammen – Dieses Eine. Ich sah die herrlichsten Gestalten der Götter.
Rig Veda, V.62.1.
Das Antlitz der Wahrheit wird verborgen durch ein goldenes Augenlid. Entferne dieses, o Hilfreicher Sonnen-Gott, um des Gesetzes der Wahrheit willen, damit wir sehen. O Sonne, o einziger Seher, ordne deine Strahlen, falte sie zusammen, – zeige mir deine glücklichste Gestalt, überall jenes Bewußte Wesen. Er bin ich.
Isha Upanishad, Verse 15, 16.
Die Wahrheit, das flechte, das Unermeßliche.
Atharva Veda, XII.1.1.
Es wurde zu beidem, zu Wahrheit und Falschheit. Es wurde zur Wahrheit, eben zu all diesem, das ist.
Taittiriya Upanishad, II. 6.
Ein Punkt, den wir bis jetzt in Dunkelheit ließen, muß
noch geklärt werden: der Prozeß des Falls in die Unwissenheit. Denn wir haben
gesehen, daß nichts in der ursprünglichen Art von Mental, Leben und Materie ein
Herausfallen aus dem Wissen notwendig macht. Es wurde zwar gezeigt, daß Teilung
des Bewußtseins die Basis der Unwissenheit ist: die Absonderung des
individuellen Bewußtseins aus dem kosmischen und transzendenten Bewußtsein, von
dem es dennoch zuinnerst Teil und im Wesen unabtrennbar ist, Loslösung des
Mentals aus der supramentalen Wahrheit, von der es eine untergeordnete Aktion
sein sollte, Trennung des Lebens von der ursprünglichen Kraft, von deren
Energieauswirkungen es eine ist, Heraustreten der Materie aus dem ursprünglichen
Sein, von dessen stofflichen Formen es nur eine ist. Es muß aber noch geklärt
werden, wie diese Teilung im Unteilbaren zustande kam, durch welche besondere
Aktion der Bewußtseins-Kraft im Seienden, sich selbst zu vermindern oder
auszulöschen. Denn das dynamische und wirksame Phänomen der Unwissenheit kann
nur durch solch eine Aktion der Verdunklung der
Fülle ihres eigenen Lichtes und ihrer Macht entstanden sein, da alles Bewegung
dieser Kraft ist. Dieses Problem kann aber vorerst zurückgestellt werden, damit
wir später das duale Phänomen Wissen-Unwissenheit eingehender untersuchen, das
unser Bewußtsein zu einer Mischung von Licht und Finsternis macht, zu einem
Halb-Licht zwischen dem vollen Tag der supramentalen Wahrheit und der Nacht
materieller Nicht-Bewußtheit. Notwendig, uns zu merken, ist jetzt allein, daß es
in seinem wesenhaften Charakter ausschließliche Konzentration auf eine einzige
Bewegung und einen einzigen Status des Bewußten Wesens sein muß, die alles
übrige Bewußtsein und Wesen zurückdrängt und es vor der jetzt partiellen
Erkenntnis dieser einzigen Bewegung verschleiert.
Es gibt aber einen Aspekt dieses Problems, der sofort
betrachtet werden muß, das ist die Kluft, die geschaffen wurde zwischen dem
Mental, wie wir es kennen, und dem supramentalen Wahrheits-Bewußtsein, von dem,
wie wir fanden, Mental in seinem Ursprung ein untergeordneter Prozeß ist. Denn
diese Kluft ist recht groß. Ein Übergang von der einen in die andere
Bewußtseins-Ebene scheint im höchsten Grad unwahrscheinlich, wenn nicht
unmöglich zu sein, wenn es keine Stufenleiter zwischen beiden gibt: weder bei
der absteigenden Involution des Geistes in die Materie, noch bei der
entsprechenden Evolution der in der Materie verborgenen Grade, die zurück zum
Geist führen. Denn das Mental, wie wir es kennen, ist eine Macht der
Unwissenheit, die nach der Wahrheit sucht, mit Mühe danach tastet, sie zu
finden, aber dabei nur mentale Konstruktionen und Darstellungen von ihr in Wort
und Idee, in Mental-Gestaltungen, in Sinnen-Gebilden fertig bringt, wie wenn
klare oder verschwommene Photos oder Filme einer entfernten Wirklichkeit alles
wären, was das Mental erreichen kann. Im Gegensatz dazu ist das Supramental im
aktuellen und natürlichen Besitz der Wahrheit. Seine Gestaltungen sind Formen
der Wirklichkeit, keine Konstruktionen, Repräsentationen oder andeutende
Figuren. Zweifellos ist das sich in uns entwickelnde Mental dadurch behindert,
daß es in die Dunkelheit von Leben und Körper eingeschlossen ist. Das
ursprüngliche Mental-Prinzip besitzt in seinem involutionären Herabkommen eine
größere Macht, die wir noch nicht voll erlangt haben. Es kann in seiner eigenen
Sphäre oder Provinz in Freiheit wirken, um Konstruktionen von mehr
Offenbarungskraft, klarer inspirierte Gebilde und subtilere und
bedeutungsvollere Verkörperungen zu erschaffen,
in denen das Licht und die Wahrheit gegenwärtig und wahrnehmbar ist. Aber auch
das ist seinem charakteristischen Wirken nach kaum wesentlich anders, denn auch
es ist eine Bewegung zur Unwissenheit, kein noch nicht losgetrennter Teil des
Wahrheits-Bewußtseins. Irgendwie muß es in der absteigenden und aufsteigenden
Stufenleiter des Wesens eine vermittelnde Macht und eine Bewußtseins-Ebene
geben, vielleicht etwas mehr als das, etwas von ursprünglicher schöpferischer
Kraft, durch die der involutionäre Übergang von dem im Wissen verankerten Mental
zum in die Unwissenheit herabgesunkenen Mental bewirkt wurde und durch die der
evolutionäre umgekehrte Übergang wieder verständlich und möglich wird. Für den
involutionären Übergang ist dieses vermittelnde Zwischenglied logisch zwingend
und für den evolutionären ist es praktisch notwendig. Denn in der Evolution gibt
es in der Tat radikale Übergänge: von unbestimmter Energie zur organisierten
Materie, von der unbelebten Materie zum Leben, vom unterbewußten oder
untermentalen Leben zum wahrnehmenden, fühlenden und handelnden Leben, von der
primitiven Tier-Mentalität zum begrifflich denkenden, logisch urteilenden
Mental, das das Leben beobachten und lenken kann, das auch sich selbst
beobachtet und fähig ist, als unabhängige Wesenheit zu handeln, ja, bewußt
danach zu trachten, sich selbst zu transzendieren. Aber wenn diese Sprünge in
der Evolution auch beträchtlich sind, so sind sie doch bis zu einem gewissen
Grad durch langsame Stufenfolgen vorbereitet, die sie begreiflich und
durchführbar machen. Dort kann es keine so immense Kluft geben, wie sie zwischen
dem supramentalen Wahrheits-Bewußtsein und dem Mental in der Unwissenheit zu
bestehen scheint.
Wenn aber solche Zwischenstufen existieren, müssen sie
offensichtlich für das menschliche Mental überbewußt sein, das offenbar in
seinem normalen Zustand keinen Zugang zu diesen höheren Graden des Wesens hat.
Der Mensch ist in seinem Bewußtsein durch das Mental und eben durch dessen
festgelegte Reichweite oder Stufenfolge begrenzt: Was unterhalb seines Mentals
liegt, submental oder zwar mental, jedoch unter dessen Skala ist, erscheint ihm
sofort als unterbewußt oder als nicht unterscheidbar von völliger
Nicht-Bewußtheit. Was darüber liegt, ist für ihn überbewußt. Er neigt fast dazu,
es als leer von Wahrnehmung anzusehen, irgendwie als lichtvolle
Nicht-Bewußtheit. Genauso wie für ihn wegen seiner Begrenztheit auf eine gewisse Stufenleiter von Tönen oder Farben alles, was über oder unter dieser
Skala liegt, unhörbar, unsichtbar oder zumindest nicht unterscheidbar ist, so
ist auch seine Skala mentalen Bewußtseins an beiden äußersten Enden durch
Unfähigkeit begrenzt, die den oberen und unteren Abschluß seines Bereichs
kennzeichnet. Er hat keine ausreichenden Kommunikations-Mittel, selbst nicht zum
Tier, das sein mentaler Art-Verwandter, wenn auch nicht sein Art-Gleicher ist,
und er bestreitet sogar dem Tier ein Mental oder wirkliches Bewußtsein, weil
dessen Erscheinungsformen andere und begrenztere sind als jene, durch die er mit
sich selbst und seinen Art-Genossen vertraut ist. Der Mensch kann untermentales
Wesen von außen beobachten, er kann aber nicht mit ihm in Kommunikation treten
oder in seine Natur eindringen. Ebenso ist das Überbewußte für ihn ein
verschlossenes Buch, das sehr wohl nur aus leeren Seiten bestehen könnte. Auf
den ersten Blick könnte es also so aussehen, als besitze er keine Mittel, um mit
diesen höheren Stufen des Bewußtseins in Kontakt zu kommen: Trifft das zu, dann
können sie nicht als Verbindungen und Brücken dienen. Dann müßte die Evolution
des Menschen mit der jetzt von ihm erreichten mentalen Stufe aufhören, die er
nicht überschreiten könnte. Wenn die Natur diese endgültigen Grenzen zog, hat
sie vor sein weiteres Aufwärtsstreben ein “ finis” geschrieben.
Bei näherem Zusehen erkennen wir aber, daß diese
Normalität trügerisch ist, daß das menschliche Mental tatsächlich in
verschiedenen Richtungen über sich hinausreicht und die Tendenz hat, sich selbst
zu transzendieren. Das sind gerade die nötigen Kontakt-Linien oder die
verhüllten oder halb-verhüllten Übergänge, die es mit den höheren
Bewußtseins-Graden des sich selbst manifestierenden Geistes verbinden. An erster
Stelle haben wir hier die Stelle erwähnt, die die Intuition innerhalb der
menschlichen Erkenntnis-Mittel einnimmt. Intuition ist ihrer wahren Natur nach
eine Projektion des charakteristischen Wirkens dieser höheren Grade auf das
Mental der Unwissenheit. Es ist wahr, ihr Wirken ist im menschlichen Mental
großenteils durch die Interventionen unserer gewöhnlichen Intelligenz verborgen.
Reine Intuition ist eine seltene Begebenheit in unserer mentalen Betätigung. Was
wir mit diesem Namen benennen, ist gewöhnlich ein Moment unmittelbarer
Erkenntnis, der sofort erfaßt und mit mentalem Stoff überkleidet wird, so daß er
uns nur als unsichtbarer oder winziger Kern einer Kristallisation dienen kann,
die in ihrer Masse intellektuell oder sonstwie mental
in ihrem Charakter ist. Oder der Blitz einer Intuition wird schnell durch
nachahmende mentale Bewegung, durch Einsicht, rasche Wahrnehmung oder einen jäh
aufspringenden Denkvorgang ersetzt oder abgefangen, bevor er eine Chance hat,
sich zu manifestieren. Das alles verdankt sein Erscheinen der Anregung durch die
kommende Intuition, setzt aber ihrem Eindringen Widerstand entgegen oder
überdeckt sie mit einer mentalen Ersatz-Anregung, die wahr oder irrig, in keinem
Fall aber eine authentische intuitive Bewegung ist. Trotzdem genügt die Tatsache
dieser Intervention von oben als Beweis, daß faktisch hinter all unserem
ursprünglichen Denken oder authentischen Wahrnehmen der Dinge ein verhülltes,
halb-verhülltes oder rasch enthülltes intuitives Element vorhanden ist,
ausreichend, um eine Verbindung zwischen dem Mental und dem herzustellen, was
über ihm ist. Das öffnet einen Durchgang zu Kommunikation mit und Zugang zu den
höheren Geist-Bereichen. Auch gibt es ein Ausgreifen des Mentals selbst, um über
die persönliche Ich-Beschränkung hinauszukommen und die Dinge in einer gewissen
Apersonalität und Universalität zu schauen. Apersonalität ist der erste
bezeichnende Aspekt des kosmischen Selbsts. Universalität, Unbegrenztheit durch
den einzelnen oder beschränkenden Gesichtspunkt, ist bezeichnend für kosmische
Wahrnehmung und Erkenntnis. Diese Tendenz will also, wenn auch nur rudimentär,
die begrenzten Mental-Bereiche ausweiten zum kosmischen Wesen, zu einer
Eigenschaft, die der wahre Charakter der höheren mentalen Ebenen ist, – zu jenem
überbewußten kosmischen Mental, das, wie wir andeuteten, der Natur der Dinge
gemäß die ursprüngliche Mental-Aktion sein muß, von der die unsrige nur ein
abgeleiteter niederer Prozeß ist. Andererseits fehlt es nicht völlig am
Eindringen von oben in unsere mentalen Grenzen. Erscheinungen wie die des Genies
sind in Wirklichkeit durch ein solches Eindringen verursacht, – zweifellos noch
verhüllt, da sich das Licht des höheren Bewußtseins nicht nur innerhalb enger
Grenzen, gewöhnlich auf einem besonderen Gebiet, ohne gelenkte besondere
Organisation seiner charakteristischen Energien auswirkt, oft sogar ziemlich
launenhaft, exzentrisch und unter übernormaler oder abnormer unverantwortlicher
Leitung. Aber auch hier ist es so, daß sich diese höhere Einwirkung bei ihrem
Eintritt in das Mental der Mental-Substanz unterwirft und anpaßt, so daß uns nur
die modifizierte oder verminderte Dynamik erreicht, nicht alle ursprüngliche
göttliche Leuchtkraft dessen, was man das Bewußtsein oberhalb
des Hauptes, jenseits von unserem Ich, nennen könnte. Doch sind hier
Phänomene vorhanden, deren Ursprung unmißverständlich ist: Inspiration,
offenbarendes Schauen, intuitive Wahrnehmung, intuitive Urteilskraft, die über
unsere weniger erleuchtete oder weniger machtvolle übliche Mental-Tätigkeit
hinausgehen. Schließlich gibt es das unermeßliche und vielseitige Gebiet
mystischer und spiritueller Erfahrung. Hier stehen die Tore schon weit für die
Möglichkeit offen, unser Bewußtsein über seine gegenwärtigen Grenzen hinaus zu
erweitern, – falls wir nicht durch Obskurantismus, der weiteres Forschen
ablehnt, oder durch Bindung an die Grenzen unserer gewöhnlichen Mentalität diese
Erfahrungen ausschließen oder uns von den Ausblicken abwenden, die sich vor uns
auftun. In unserer gegenwärtigen Untersuchung können wir es uns aber nicht
leisten, die Möglichkeiten zu mißachten, die uns diese Bereiche menschlichen
Bemühens eröffnen, auf die zusätzliche Erkenntnis unseres Selbsts und der
verhüllten Wirklichkeit zu verzichten, mit der sie das menschliche Mental
beschenken: auf das hellere Licht, das die eingeborene Macht ihres Seins ist und
sie mit dem Recht wappnet, auf uns einzuwirken.
Es gibt zwei aufeinanderfolgende, zwar schwierige, aber
durchaus im Bereich unserer Fähigkeit liegende Bewußtseins-Bewegungen, durch die
wir Zugang zu den höheren Stufen unseres bewußten Daseins finden können. Da ist
zuerst eine Bewegung nach innen, durch die wir, statt in unserem vordergründigen
Mental zu leben, die Wand zwischen unserem äußeren Ich und unserem jetzt noch
subliminalen Selbst durchbrechen. Wir können das zustande bringen durch
stufenweises Bemühen, durch eine Disziplin oder einen heftigen Übergang,
manchmal durch einen kraftvollen unwillkürlichen Durchbruch, – letzteres ist für
das begrenzte menschliche Mental, das gewohnt ist, sich nur innerhalb seiner
normalen Grenzen sicher zu fühlen, keineswegs ungefährlich, – es kann aber, ob
sicher oder gefährlich, getan werden. Innerhalb dieses verborgenen Teils unseres
Selbsts entdecken wir ein inneres Wesen, eine Seele, ein inneres Mental, ein
inneres Leben, eine innere, subtil-physische Wesenheit, die in ihren
Wirkungsmöglichkeiten viel umfassender, formbarer, machtvoller und begabter zu
vielfältiger Erkenntnis und Kraftentfaltung ist als Mental, Leben und Körper
unserer vordergründigen Person. Dieses innere Wesen ist besonders fähig zu
direkter Kommunikation mit den universalen Kräften, Bewegungen und Objekten des
Kosmos, sie unmittelbar zu fühlen und für sie
offen zu sein, unmittelbar auf sie einzuwirken und sich selbst über die Grenzen
des personalen Mentals, Lebens und Körpers hinaus auszuweiten. Dadurch fühlen
wir uns immer mehr als ein universales Wesen, das nicht mehr durch die
vorhandenen Trennungswände unseres allzu engen mentalen, vitalen und physischen
Daseins eingeengt ist. Wir können uns dabei so sehr ausweiten, daß wir völlig in
das Bewußtsein des kosmischen Mentals eintreten und uns mit dem universalen
Leben einen, gar eins werden mit der universalen Materie. Das ist dennoch eine
Identifikation entweder mit einer herabgeminderten kosmischen Wahrheit oder mit
der kosmischen Unwissenheit.
Sobald dieses Eingehen in das innere Wesen vollendet
ist, finden wir, daß sich das innere Selbst öffnen und zu Dingen emporsteigen
kann, die jenseits unseres gegenwärtigen mentalen Niveaus liegen. Das ist die
zweite spirituelle Möglichkeit in uns. Als ihr erstes, gewöhnlichstes Ergebnis
entdecken wir ein unermeßlich weites statisches, schweigendes Selbst, das wir
als unser wirkliches oder fundamentales Sein empfinden, als die Grundlage all
dessen, was wir sind. Es mag dabei sogar zum Auslöschen, einem Nirvana, unseres
aktiven Wesens ebenso wie des Empfindens unseres Selbsts und zum Aufgehen in
eine Wirklichkeit kommen, die undefinierbar und unausdrückbar ist. Wir können
aber auch einsehen, daß dieses Selbst nicht nur das eigene spirituelle Wesen,
sondern auch das wahre Selbst aller anderen Wesen ist. Es stellt sich uns dann
dar als die dem kosmischen Dasein zugrundeliegende Wahrheit. Es ist möglich, in
einem Nirvana, dem Erlöschen aller Individualität, zu verbleiben, bei einer
statischen Realisation haltzumachen oder die kosmische Bewegung nur als Spiel an
der Oberfläche oder als Illusion anzusehen, die dem schweigenden Selbst
auferlegt ist. So können wir in einen erhabenen unbeweglichen und
unveränderlichen Zustand jenseits des Universums übergehen. Doch bietet sich uns
auch eine andere, weniger negative Linie übernormaler Erfahrung an. Hier
ereignet sich ein außerordentliches dynamisches Herabkommen von Licht,
Erkenntnis, Macht, Seligkeit oder anderer übernormaler Energien in unser Selbst
des Schweigens. Wir können auch in höhere Regionen des Geistes emporsteigen, wo
dessen unbeweglicher Zustand die Grundlage für diese mächtigen lichtvollen
Energien ist. In beiden Fällen sind wir offensichtlich über das Mental der
Unwissenheit in einen spirituellen Zustand emporgelangt. Bei der dynamischen
Bewegung kann sich die dadurch auftretende größere Aktion
von Bewußter Kraft entweder einfach als rein spirituelle Dynamik darstellen, die
in ihrem Charakter nicht sonstwie bestimmt ist, oder als eine spirituelle
Mental-Ebene offenbaren, auf der das Mental nicht mehr unwissend der
Wirklichkeit gegenübersteht. Das ist noch keine Ebene des Supramentals, wird
aber vom supramentalen Wahrheits-Bewußtsein beeinflußt und ist noch erfüllt mit
einem gewissen Licht seines Wissens.
In letzterer Alternative finden wir das von uns
gesuchte Geheimnis: das Mittel zum Übergang, den erforderlichen Schritt zu einer
supramentalen Transformation. Erkennen wir doch eine Stufenfolge des Aufstiegs,
eine Kommunikation mit immer hellerem Licht und unermeßlicher Macht von oben,
eine Stufenfolge intensiver Erfahrungen, die wir als ebensoviele Stufen im
Aufstieg vom Mental wie in der Herabkunft von Jenem, das jenseits von ihm ist,
in das Mental sehen können. Wir erkennen, wie, einem Ozean gleich, Massen eines
spontanen Wissens herabströmen, das den Charakter von Denken annimmt. Es ist
aber von anderer Art als der von uns gewohnte Denkprozeß: Hier gibt es kein
Suchen, keine Spur von mentaler Konstruktion, kein spekulatives Mühen oder
schwieriges Entdecken. Es ist ein automatisches und spontanes Erkennen aus einem
Höheren Mental, das im Besitz der Wahrheit zu sein scheint und nicht nach
verborgenen, uns vorenthaltenen Wirklichkeiten zu suchen braucht. Wir
beobachten, daß dieses Denken viel eher fähig ist als das Mental, gleichzeitig
eine Masse von Erkenntnis in einer einzigen Schau zusammenzufassen. Es hat
kosmischen Charakter, trägt nicht den Stempel individuellen Denkens. Jenseits
von diesem Wahrheits-Denken können wir eine größere Erleuchtung unterscheiden,
die erfüllt ist von vermehrter Macht, Intensität und Antriebskraft, eine
Lichtfülle von der Art eines Wahrheits-Schauens mit Denk-Formulierungen nur als
dessen minderer und abhängiger Wirkensweise. Wenn wir das vedische Bild von der
Sonne der Wahrheit annehmen, – ein Bild, das in dieser Erfahrung zu einer
Wirklichkeit wird, – können wir das Wirken des Höheren Mentals mit ruhigem,
klaren heiteren Sonnenschein vergleichen. Die Energie des Erleuchteten Mentals
über ihm entspricht einem Ausbruch massierter Blitze von flammender
Sonnensubstanz. Weiter oben können wir auf eine noch größere Ansammlung von
Wahrheits-Kraft treffen, auf unmittelbare exakte Wahrheits-Schau, ein
Wahrheits-Denken, Wahrheits-Empfinden, Wahrheits-Fühlen, Wahrheits-Handeln, dem
wir in besonderem Sinn den Namen Intuition geben
können. Wenn wir auch dieses Wort mangels eines besseren für jede
supra-intellektuelle unmittelbare Art des Erkennens verwendet haben, so ist doch
das, was wir tatsächlich als Intuition kennen, nur diese eine spezielle Bewegung
selbst-seienden Wissens. Dieser neue Bereich ist sein Ursprung. Er vermittelt
unseren Intuitionen etwas von seinem besonderen Charakter und ist ganz deutlich
Vermittler eines größeren Wahrheits-Lichtes, mit dem unser Mental nicht
unmittelbar in Verbindung treten kann. Am Ursprung dieser Intuition entdecken
wir ein überbewußtes kosmisches Mental, das in direktem Kontakt mit dem
Supramentalen Wahrheits-Bewußtsein steht, eine ursprüngliche Intensität, die
bestimmend wirkt auf alle Bewegungen unterhalb von ihr und auf alle mentalen
Energien, – nicht ein Mental, wie wir es kennen, sondern ein Obermental, das wie
mit den weiten Schwingen einer schöpferischen Überseele diese ganze niedere
Hemisphäre von Wissen-Unwissenheit bedeckt, sie mit jenem größeren
Wahrheits-Bewußtsein verbindet, wobei es jedoch zugleich mit seinem brillanten
goldenen Lid das Antlitz der noch höheren Wahrheit vor unserem Blick verbirgt.
Mit seiner Flut unendlicher Möglichkeiten wirkt es zwischen beiden Hemisphären
zugleich als Hindernis gegen und als Übergang für unser Suchen nach dem
spirituellen Gesetz unseres Daseins, seinem höchsten Ziel, seiner geheimen
Wirklichkeit. Das also ist die geheime Verbindung, nach der wir ausschauen. Das
ist die Macht, die das Höchste Wissen und die kosmische Unwissenheit zugleich
miteinander verbindet und voneinander trennt.
Seiner Art und seinem Gesetz nach ist das Übermental
ein Delegierter des Supramental-Bewußtseins, dessen Delegierter zur
Unwissenheit. Wir könnten von ihm auch als von einem schützenden Doppel
sprechen: es ist ein Vorhang von unähnlicher Ähnlichkeit, durch den das
Supramental mittelbar auf eine Unwissenheit einwirken kann, deren Dunkelheit die
unmittelbare Einwirkung eines höchsten Lichtes nicht ertragen oder empfangen
könnte. Gerade durch die Projektion dieser leuchtenden Übermental-Korona wurde
es überhaupt möglich, daß sich ein vermindertes Licht in der Unwissenheit
ausbreiten und jenen Gegenschatten, die Nichtbewußtheit, werfen konnte, der in
sich alles Licht verschlingt. Das Supramental sendet alle seine Wirklichkeiten
zum Übermental, überläßt es ihm aber, sie in einer Bewegung und im Einklang mit
einer Einsicht in die Dinge zu formulieren, die noch eine Schau der Wahrheit, zugleich aber auch erster Urheber der Unwissenheit
ist. Zwischen Supramental und Übermental ist eine Trennungslinie, die eine freie
Übertragung zuläßt, der niederen Macht erlaubt, alles aus der höheren Macht zu
entnehmen, was sie festhält oder sieht, ihm aber automatisch beim Durchgang eine
Übergangs-Verwandlung aufzwingt. Die Vollständigkeit des Supramentals hält immer
an der wesenhaften Wahrheit der Dinge fest, wobei die totale Wahrheit und die
Wahrheit ihrer individuellen Selbst-Bestimmung deutlich miteinander verknüpft
sind. Diese supramentale Vollständigkeit bewahrt in ihnen eine untrennbare
Einheit und läßt sie einander völlig durchdringen, wobei alle ein freies und
volles Bewußtsein voneinander haben. Im Übermental hingegen ist diese
Vollständigkeit nicht mehr vorhanden. Dennoch ist sich das Übermental der
wesenhaften Wahrheit der Dinge wohl bewußt. Es umfaßt die Totalität, es
verwendet die individuellen Selbstbestimmungen, ohne durch sie eingeengt zu
sein. Aber obwohl es ihre Einheit kennt und diese in spiritueller Erkenntnis
realisieren kann, wird es in seiner dynamischen Bewegung nicht unmittelbar von
ihr festgelegt, während es sich um seiner Sicherheit willen zugleich auf sie
verläßt. Die Übermental-Energie wirkt sich aus durch eine unbegrenzte Fähigkeit,
die Mächte und Aspekte der integralen, unteilbaren, alles umgreifenden Einheit
voneinander zu trennen und wieder miteinander zu verbinden. Sie nimmt jeden
Aspekt, jede Macht an und gibt ihnen ein unabhängiges Wirken, in dem sie volle
gesonderte Bedeutung zu erwerben und sozusagen ihre eigene Schöpfungswelt
herauszuarbeiten fähig sind. Purusha und prakriti, Bewußte Seele
und exekutive Kraft der Natur, sind in der supramentalen Harmonie der
Doppelaspekt einer einzigen Wahrheit eines Wesens und einer Dynamik der
Wirklichkeit. Dort kann es keine Störung des Gleichgewichts oder die
Vorherrschaft des einen Aspekts über den anderen geben. Im Übermental haben wir
den Ursprung der Spaltung, jene scharfe Unterscheidung, wie sie durch die
Sankhya-Philosophie getroffen wird, wo sie als zwei voneinander unabhängige
Wesenheiten erscheinen: als prakriti fähig, über purusha zu
herrschen und seine Freiheit und Macht zu verhüllen, ihn in die Rolle eines
beobachtenden Zeugen und Empfängers ihrer Formen und Aktionen zurückzudrängen,
während purusha zu seiner gesonderten Existenz zurückkehren und in freier
Selbst-Souveränität dadurch verharren kann, daß er ihr ursprünglich trübendes
materielles Prinzip zurückweist. So ist es auch
mit
den anderen Aspekten oder Mächten der Göttlichen Wirklichkeit, mit dem Einen und
den Vielen, der Göttlichen Personalität und der Göttlichen Apersonalität und
allem übrigen. Zwar ist jeder noch ein Aspekt und eine Macht der einen
Wirklichkeit, hat aber nun Vollmacht, als unabhängige Wesenheit innerhalb des
Ganzen zu handeln, zur Erfüllung der Möglichkeiten seines gesonderten Ausdrucks
zu kommen und die dynamischen Konsequenzen dieser Gesondertheit zu entwickeln.
Im Übermental ist diese Gesondertheit zugleich noch auf die Basis einer
inbegriffenen, zugrundeliegenden Einheit gestellt. Alle Möglichkeiten von
Verbindung und Beziehung zwischen den getrennten Mächten und Aspekten, jeder
Austausch und alle gegenseitigen Einwirkungen ihrer Energien sind frei
organisiert, und ihre Verwirklichung ist immer möglich.
Betrachten wir die Mächte der Wirklichkeit als ebensoviele Gottheiten, können wir sagen: das Übermental setzt eine Million Gottheiten in Aktion, von denen jede ermächtigt ist, ihre eigene Welt zu erschaffen. Jede Welt ist fähig zu Beziehungen zu den anderen, zur gegenseitigen Kommunikation und zum Kräftespiel mit den anderen. Im Veda gibt es verschiedene Formulierungen für die Natur der Götter. Man sagt, sie sind alle ein einziges Sein, dem die Weisen verschiedene Namen geben. Dennoch wird jeder Gott so verehrt, als sei er selbst jenes Sein, ein einziger, der alle anderen Götter zugleich ist oder alle in seinem Wesen enthält. Doch ist jeder wieder eine besondere Gottheit, die manchmal im Einklang mit verwandten Gottheiten, manchmal getrennt und manchmal sogar in scheinbarem Widerspruch zu anderen Gottheiten desselben Seins handelt. Im Supramental würde das alles als ein harmonisiertes Spiel des Einen Seins zusammengehalten werden. Im Übermental könnte aber jede dieser drei Beziehungen die getrennte Aktion oder Grundlage einer Aktion sein und ihr eigenes Entfaltungsprinzip mit seinen Konsequenzen besitzen und dennoch die Macht behalten, sich mit den anderen in gemeinsamer Harmonie zu verbinden. Wie mit dem Einen Sein, so ist es auch mit dem Bewußtsein und seiner Kraft. Das Eine Bewußtsein ist in viele unabhängige Formen von Bewußtsein und Wissen zertrennt. Jede verfolgt ihre eigene Wahrheits-Linie, die sie zu verwirklichen hat. Die einzige totale und vielseitige Real-Idee wird in ihre vielen Seiten aufgespalten. Jede wird zu einer unabhängigen Ideen-Kraft mit der Macht, sich selbst zu realisieren. So wird die eine Bewußtseins-Kraft freigesetzt in ihre Millionen Kräfte.
Jede dieser Kräfte hat
das Recht, sich zur Erfüllung zu bringen oder notfalls auch eine Führung zu
übernehmen und die anderen Kräfte für die eigenen Zwecke in sich aufzunehmen.
Ebenso steht es mit der Seins-Seligkeit: Aus ihr werden alle Arten von Wonnen
ausgelöst, und jede kann ihre unabhängige Fülle oder ihr souveränes Extrem in
sich tragen. Das Übermental verleiht so dem Einen Sein-Bewußtsein-Seligkeit den
Charakter einer brodelnden Masse unendlicher Möglichkeiten, die in eine Menge
von Welten entfaltet oder in eine einzige Welt zusammengeworfen werden können,
in der das endlos variable Ergebnis ihres Kräftespiels der bestimmende Faktor
der Schöpfung, ihres Prozesses, Ablaufs und dessen Konsequenz ist.
Da die Bewußtseins-Kraft des Ewigen Seins die
universale Schöpferin ist, wird der Charakter einer gegebenen Welt davon
abhängen, in welcher Selbst-Formulierung dieses Bewußtsein sich in dieser Welt
zum Ausdruck bringt. Ebenso wird für jeden individuellen Menschen die Art, wie
er die Welt, in der er lebt, sieht oder sich vorstellt, von dem Kräfteausgleich
und der Gestaltung abhängen, die dieses Bewußtsein in ihm angenommen hat. Unser
mentales Bewußtsein sieht die Welt in Teilen, die von der Vernunft und den
Sinnen zurechtgeschnitten und in ein Gebilde zusammengesetzt werden, das auch
wieder aus Sektionen besteht. Das von ihm erbaute Haus ist so geplant, daß es
die eine oder andere verallgemeinerte Formulierung der Wahrheit bequem
unterbringt, die übrigen aber ausschließt oder nur einige Gäste oder Bedienstete
im Haus zuläßt. Das Übermental-Bewußtsein ist in seiner Erkenntnis global und
kann jede Menge scheinbar fundamentaler Verschiedenheiten in vereinigender Schau
zusammenhalten. So sieht die mentale Vernunft die Person und das Apersonale als
Gegensätze. Das Übermental begreift ein apersonales Sein, in dem Person und
Personalität Fiktionen der Unwissenheit oder zeitweilige Konstruktionen sind.
Oder es kann, umgekehrt, die Person als die primäre Wirklichkeit sehen, das
Apersonale dagegen als mentale Abstraktion oder nur als Stoff oder Mittel der
Manifestation. Für die Übermental-Intelligenz sind das trennbare Mächte des
einen Seins, die ihre unabhängige Selbst-Behauptung verfolgen, aber auch ihre
verschiedenen Wirkensweisen miteinander vereinigen und sowohl in ihrer
Unabhängigkeit wie in ihrer Vereinigung verschiedene Zustände von Bewußtsein und
Wesen erschaffen können, von denen alle gültig sind und alle zur Koexistenz
fähig sein können. Ein rein apersonales Sein oder Bewußtsein ist wahr und möglich, ebenso aber ein völlig persönliches Bewußtsein
und Sein. Das Apersonale Göttliche Wesen, nirguna brahman, und das
Personale Göttliche Wesen, saguna brahman, sind hier einander
gleichgestellte und koexistente Aspekte des Ewigen. Apersonalität kann sich so
manifestieren, daß Person ihr als Ausdrucksform untergeordnet ist. In gleicher
Weise kann Person die Realität sein und Apersonalität ein Modus ihrer Art: Beide
Aspekte der Manifestation stehen sich von Angesicht zu Angesicht in der
unendlichen Verschiedenartigkeit Bewußten Seins gegenüber. Was für die mentale
Vernunft unvereinbare Unterschiede sind, stellt sich der Übermental-Intelligenz
dar als koexistente Korrelate. Was für die mentale Vernunft Gegensätze sind, ist
für die Übermental-Intelligenz Sich-Ergänzendes. Unser Mental betrachtet alle
Dinge als aus Materie oder aus materieller Energie entstanden, sie existieren
durch sie und kehren in sie zurück. So kommt es zu dem Schluß: Materie ist der
ewige Faktor, die primäre und höchste, letzte Wirklichkeit, brahman. Oder
es sieht alle Dinge als aus Lebens-Kraft oder aus Mental entstanden und nur
durch Leben oder Mental existieren. Es schließt daraus: Diese Welt ist eine
Schöpfung der kosmischen Lebens-Kraft oder eines kosmischen Mentals oder Logos.
Oder es schaut die Welt und alle Dinge an als aus der Real-Idee oder dem
Wissens-Willen des Geistes entstanden, durch ihn existierend und zu ihm oder zum
Geist selbst zurückkehrend. Daraus folgert es eine idealistische oder
spirituelle Betrachtung des Universums. So kann sich das Mental auf eine dieser
Betrachtungsweisen festlegen; für sein normales trennendes Schauen schließt aber
jeder dieser Wege die anderen aus. Das Übermental-Bewußtsein erkennt, daß jede
Anschauung getreu dem Wirken des Prinzips entspricht, das sie gestaltet. Es kann
erkennen, daß es eine materielle Welt-Formel, eine vitale Welt-Formel, eine
mentale Welt-Formel, eine spirituelle Welt-Formel gibt. Jede kann in ihrer
eigenen Welt vorherrschend sein. Gleichzeitig können sich alle zu einer einzigen
Welt als deren konstituierende Mächte vereinigen. Für die Übermental-Betrachtung
ist die Selbst-Formulierung der Bewußten Kraft, auf die unsere Welt aufgebaut
ist, eine normale und leicht vorstellbare Schöpfung: eine scheinbare
Nicht-Bewußtheit, die in sich ein höchstes Bewußtes Sein verbirgt und die in
ihrer nichtbewußten Verborgenheit alle Mächte des Wesens zusammenhält, eine Welt
universaler Materie, die in sich selbst Leben, Mental, Übermental, Supramental
und Geist verwirklicht, wobei jede von ihnen der
Reihe
nach die anderen als Mittel zu ihrem Selbst-Ausdruck empornimmt, so daß die
Materie in dieser spirituellen Schau beweist, sie selbst sei immer eine
Manifestation des Geistes gewesen. Das Übermental ist in seiner Macht als
Ur-Sache und im Prozeß seiner ausführenden Dynamik ein Organisator vieler
Entfaltungsmöglichkeiten des Seins. Jede setzt sich als besondere Wirklichkeit
durch, und doch sind alle fähig, sich auf viele verschiedene doch gleichzeitige
Weisen zusammenzuschließen. Das Übermental ist ein Zauberer, ein Künstler, mit
Vollmacht, den vielfarbigen Teppich mit Kette und Schuß der Manifestation einer
einzigen Wesenheit in einem komplexen Universum zu weben.
In dieser simultanen Entwicklung vielartiger
unabhängiger oder kombinierter Mächte oder Entfaltungsmöglichkeiten gibt es noch
- oder bis jetzt noch – kein Chaos, keinen Konflikt, kein Absinken aus der
Wahrheit oder dem Wissen. Das Übermental ist ein Schöpfer von Wahrheiten, nicht
von Illusionen oder falschen Dingen: Was in einer gegebenen übermentalen
Energieentfaltung oder Bewegung ausgearbeitet wird, ist die Wahrheit des
Aspekts, der Macht, Idee, Kraft und Seligkeit, die in eine unabhängige
Aktion freigesetzt wird; es ist die Wahrheit der Konsequenzen ihrer Wirklichkeit
in dieser Unabhängigkeit. Da gibt es kein Ausschließendes, das sich als die
einzige Wahrheit des Wesens durchsetzt oder die anderen als untergeordnete
Wahrheiten unterdrückt: Jeder Gott kennt alle Götter und ihren Platz im Dasein.
Jede Idee läßt alle anderen Ideen und ihr Existenzrecht zu. Jede Kraft gesteht
allen anderen Kräften, ihrer Wahrheit und ihren Konsequenzen den ihnen
entsprechenden Ort zu. Keine Seligkeit eines gesondert erfüllten Daseins oder
einer getrennten Erfahrung bestreitet oder verurteilt die Seligkeit eines
anderen Daseins, einer anderen Erfahrung. Das Übermental ist ein Prinzip
kosmischer Wahrheit. Unermeßliche und grenzenlose Katholizität ist sein
eigentlicher Geist. Seine Energie ist eine All-Dynamik und auch ein Prinzip
gesonderter Entfaltungen von Energien: es ist eine Art niederes Supramental,
obwohl es sich nicht vorwiegend mit Absolutheiten befaßt, sondern mit dem, was
man die dynamischen Potentiale oder pragmatischen Wahrheiten der Wirklichkeit
nennen könnte, oder mit Absolutheiten hauptsächlich wegen ihrer Macht,
pragmatische oder schöpferische Werte zu erschaffen. Sein umgreifendes Verstehen
der Dinge ist aber mehr global als integral, da sich seine Totalität auf globale
Ganzheiten gründet oder durch getrennte
unabhängige Wirklichkeiten konstituiert wird, die sich vereinigen oder
zusammenwachsen. Von ihm wird zwar die wesentliche Einheit als das Grundlegende
der Dinge und als das sich in ihrer Manifestation Durchsetzende begriffen und
gefühlt, doch ist das nicht mehr, wie im Supramental, ihr innigstes, immer
gegenwärtiges Geheimnis, ihr dominierender Inhalt, der ständig erkennbare
Erbauer des harmonischen Ganzen ihrer Aktivität und Natur.
Wenn wir den Unterschied zwischen diesem globalen
Übermental-Bewußtsein und unserem trennenden und nur unvollkommen
zusammenfügenden mentalen Bewußtsein verstehen wollen, erleichtern wir es uns,
wenn wir das strikt Mentale mit dem vergleichen, was eine übermentale
Betrachtung von Aktivitäten in unserem materiellen Universum ergäbe. Für das
Übermental wären z. B. alle Religionen wahr, da sie die Entfaltung der einzigen
ewigen Religion sind. Alle Philosophien wären gültig, eine jede im eigenen Feld
als Darstellung ihrer Auffassung des Universums von ihrem Blickwinkel her. Alle
politischen Theorien wären mit ihrer Praxis die legitime Ausarbeitung einer
Ideen-Kraft mit dem Recht, im Spiel der Energien der Natur angewandt und
praktisch entwickelt zu werden. In unserem trennenden Bewußtsein, in dem nur
unvollkommene Ahnungen von Katholizität und Universalität auftauchen, existieren
diese Dinge als Gegensätze. Jede Seite behauptet, die Wahrheit zu sein, und
wirft den anderen Irrtum und Falschheit vor. Jede fühlt sich gezwungen, die
anderen zu widerlegen oder zu vernichten, damit sie selbst die Wahrheit sei und
lebe: Bestenfalls muß jede behaupten, überlegen zu sein, und alle anderen nur
als einen minderwertigen Ausdruck der Wahrheit gelten lassen. Übermentale
Intelligenz würde es ablehnen, eine solche Auffassung oder diese Tendenz zur
Ausschließlichkeit auch nur für einen Augenblick zu hegen. Sie würde allen
erlauben, als notwendig für das Ganze zu leben, würde jeden an seinen richtigen
Platz im Ganzen stellen oder jedem seinen Bereich der Verwirklichung und des
Bemühens zuweisen. Bei unserem Mental ist das anders, weil das Bewußtsein hier
völlig in die Zerteilungen der Unwissenheit herabgesunken ist. Wahrheit ist
nicht mehr etwas Unendliches oder ein kosmisches Ganzes mit vielen möglichen
Formulierungen. Vielmehr ist sie starre Behauptung, die jede andere Behauptung
deswegen für falsch hält, weil sie verschieden von ihr und in anderen Grenzen
verfestigt ist. Unser mentales Bewußtsein kann tatsächlich in seiner Erkenntnis
sehr nahe zum alles umgreifenden Verstehen und
zur Katholizität gelangen. Es scheint aber jenseits seiner Macht zu liegen, das
auch im Handeln und im Leben zu organisieren. Das evolutionäre Mental wirft,
sobald es in Individuen und Kollektiven manifest ist, eine Vielfalt
auseinandergehender Gesichtspunkte und auseinanderlaufender Linien des Handelns
auf und läßt sie sich Seite an Seite oder im Zusammenprall miteinander oder in
gegenseitiger Vermischung ausarbeiten. Es kann ausgewählte Harmonien herstellen,
aber nicht zu harmonischer Beherrschung der wahren Totalität kommen. Wie alle
Ganzheiten muß das kosmische Mental, selbst in der evolutionären Unwissenheit,
solch eine Harmonie haben, wenn auch von vereinbarten Übereinstimmungen und
Uneinigkeiten. Es gibt in ihm auch eine zugrunde liegende Dynamik des Einsseins.
Es verbirgt aber die Vollkommenheit dieser Dinge in seinen Tiefen, vielleicht in
einer supramental-übermentalen Unterschicht. Es teilt sie nicht dem
individuellen Mental in der Evolution mit und bringt sie nicht aus den Tiefen an
die Oberfläche oder hat sie noch nicht hervorgebracht. Eine Übermental-Welt wäre
eine Welt von Harmonien. Die Welt der Unwissenheit, in der wir leben, ist eine
Welt von Disharmonien und von Kampf.
Im Übermental können wir nun die ursprüngliche
kosmische maya entdecken. Das ist aber nicht die maya der
Unwissenheit, sondern eine maya des Wissens. Doch ist sie eine Macht, die
die Unwissenheit ermöglichte, sogar unvermeidlich machte. Denn wenn jedes zum
Wirken erschaffene Prinzip seiner unabhängigen Linie folgen und seine
Konsequenzen vollständig durchführen muß, hat auch das Prinzip der Absonderung
seinen Lauf vollständig zu Ende zu führen. Es muß zu seiner absoluten Konsequenz
gelangen dürfen. Das ist die unvermeidliche Herabkunft, facilis descensus.
Ihr folgt das Bewußtsein, sobald es das trennende Prinzip zuläßt, bis es durch
die verfinsternde unendliche Fragmentierung, tucchyena (Rig Veda,
X., 129.3), in die materielle Nicht-Bewußtheit eingeht, – “in den Unbewußten
Ozean” des Rig Veda. Wenn das Eine aus diesem durch seine eigene Erhabenheit
geboren wird, bleibt es doch zuerst durch ein fragmentarisches trennendes Sein
und Bewußtsein verborgen. Das ist unser Bewußtsein. In ihm müssen wir die Dinge
wieder Stück für Stück zusammensetzen, um zu einem Ganzen zu kommen. In diesem
langsamen, schwierigen Hervortreten gewinnt der Ausspruch Heraklits in gewissem
Sinn seine Wahrheit, daß der Krieg der Vater aller Dinge sei. Jede Idee und
Kraft, jedes gesonderte Bewußtsein, jeder
lebende Mensch stößt mit anderen durch die zwingende Notwendigkeit seiner
Unwissenheit zusammen und versucht, durch Selbst-Behauptung seiner
Unabhängigkeit und nicht durch Harmonie mit allem übrigen Dasein, für sich
selbst zu leben, zu wachsen und sich zu erfüllen. Aber doch existiert das
unbekannte zugrunde liegende Einssein, das uns zwingt, langsam um eine Form von
Harmonie, von gegenseitiger Abhängigkeit, von einträchtigem statt zwieträchtigem
Zusammenleben, von schwer zu erlangender Einheit zu ringen. Harmonie und
Einheit, nach denen wir streben, können aber dynamisch bis in alle Fasern
unseres Wesens und bis zu ihrem umfassenden Selbst-Ausdruck – also nicht allein
in unvollkommenen Versuchen, unvollständigen Konstruktionen und immer
wechselnden Annäherungen – nur verwirklicht werden, indem durch unsere Evolution
die verborgenen überbewußten Mächte der kosmischen Wahrheit und der Wirklichkeit
entfaltet werden, in der sie eins sind. Die höheren Bereiche des spirituellen
Mentals über unserem Wesen und Bewußtsein müssen sich erschließen, auch das, was
noch jenseits des spirituellen Mentals ist, muß in uns zum Vorschein kommen,
wenn wir die göttliche Möglichkeit unserer Geburt in das kosmische Dasein hinein
erfüllen wollen.
Bei seiner Herabkunft erreicht das Übermental eine
Linie, die die kosmische Wahrheit von der kosmischen Unwissenheit trennt. An
dieser Trennungslinie wird es für die Bewußtseins-Kraft möglich, durch die
Hervorhebung der Besonderheit jeder vom Übermental erschaffenen unabhängigen
Bewegung und durch die Verdunkelung ihrer Einheit das Mental durch exklusive
Konzentration von seinem übermentalen Ursprung zu trennen. Eine ähnliche
Loslösung hat schon einmal stattgefunden, als das Übermental sich von seinem
supramentalen Ursprung löste, wobei aber der Vorhang zwischen beiden transparent
blieb, so daß eine bewußte Übertragung ermöglicht und eine gewisse erleuchtete
Verwandtschaft bewahrt wurde. Hier ist aber der Vorhang undurchsichtig und die
Übertragung der Übermental-Motive in das Mental unverständlich und dunkel. Das
gesonderte Mental handelt, als sei es ein unabhängiges Prinzip. Jeder mentale
Mensch, jede grundlegende mentale Idee, Macht und Kraft steht in ähnlicher Weise
auf ihrem gesonderten Ich. Wenn sie mit anderen Verbindung aufnehmen, sich
vereinigen oder Kontakte herstellen, geschieht das nicht mit der allumfassenden
Universalität der Übermental-Bewegung, auf der Basis zugrunde
liegenden Einsseins, vielmehr schließen sich unabhängige Einheiten zusammen, um
ein getrenntes konstruiertes Ganzes zu bilden. Durch diese Bewegung kommen wir
von der kosmischen Wahrheit hinüber zur kosmischen Unwissenheit. Auf dieser
Ebene umgreift das kosmische Mental zweifellos seine Einheit noch mit innerem
Verstehen. Es wird aber nicht seines eigenen Ursprungs und seiner Grundlage im
Geist inne, oder es kann diese nur durch die Intelligenz, aber nicht durch
fortdauernde Erfahrung verstehen. Es handelt in sich so, als ob es rechtmäßig
für sich allein sei, und verarbeitet das, was es empfängt, als Material, ohne
unmittelbare Kommunikation mit der Quelle, aus der es empfängt. Ebenso handeln
seine Einheiten in Unkenntnis voneinander und vom kosmischen Ganzen. Sie
erkennen nur durch äußere Kontakte und Kommunikation. Hier gibt es nicht mehr
das Grundempfinden von Identität, kein gegenseitiges Durchdringen und inneres
Verstehen, die von dort herrühren. Alle Wirkensweisen dieser Mental-Energie
gehen von der entgegengesetzten Basis der Unwissenheit und ihren Zerteilungen
aus. Obwohl sie die Resultate einer gewissen bewußten Erkenntnis sind, ist das
eine partielle Erkenntnis, kein wahres, vollständiges Wissen vom Selbst und
keine wahre vollständige Erkenntnis der Welt. Dieses Gepräge des Wissens dauert
im Leben und in der subtilen Materie weiter an und erscheint wieder im
grob-materiellen Universum, das vom endgültigen Absturz in die Nichtbewußtheit
herrührt.
Dennoch bleibt, wie in unserem subliminalen oder
inneren Mental, so auch in diesem Mental noch eine umfassendere Macht von
Kommunikation und Gegenseitigkeit bestehen, ein freieres Spiel von Mentalität
und Sinnen, als es unser menschliches Mental besitzt, und die Unwissenheit ist
noch nicht vollständig. Eine bewußte Harmonie, eine Organisation der rechten
Beziehungen in gegenseitiger Abhängigkeit ist eher möglich: Das Mental ist noch
nicht von blinden Lebens-Kräften verwirrt oder von unempfänglicher Materie
verdunkelt. Es ist eine Ebene der Unwissenheit, aber noch nicht der Falschheit
und des Irrtums, zumindest ist der Absturz in Falschheit und Irrtum noch nicht
unvermeidlich. Diese Unwissenheit legt zwar Grenzen auf, verfälscht aber noch
nicht notwendigerweise. Hier gibt es eine Begrenzung der Erkenntnis, eine
Organisation partieller Wahrheiten, aber noch kein Leugnen von Wahrheit und
Erkenntnis oder Widerspruch dagegen. Dieses Gepräge einer Organisation
partieller Wahrheiten auf der Grundlage trennender Erkenntnis dauert fort im
Leben und in der subtilen Materie, denn die ausschließliche
Konzentration der Bewußtseins-Kraft, die sie in das separative Wirken versetzt,
trennt noch nicht völlig das Mental vom Leben oder Mental und Leben von der
Materie und verschleiert sie nicht voreinander. Die vollständige Abtrennung kann
erst dann stattfinden, wenn die Stufe der Unbewußtkeit erreicht ist und unsere
Welt vielfältiger Unwissenheit aus jenem dämmrigen Mutterschoß hervorgeht. Diese
anderen noch bewußten Stufen der Involution sind sicherlich Organisationen von
Bewußter Kraft, in denen jede aus ihrer eigenen Mitte heraus lebt, ihre eigenen
Möglichkeiten bis zu Ende verfolgt und wo das vorherrschende Prinzip, sei es
Mental, Leben oder Materie, selbst die Dinge auf seiner eigenen unabhängigen
Grundlage ausarbeitet. Was so herausgebracht wird, sind aber Wahrheiten eben
dieses Prinzips, keine Illusionen und kein Wirrwarr aus Wahrheit und Falschheit,
aus Wissen und Unwissenheit. Wenn aber die Bewußtseins-Kraft durch
ausschließliche Konzentration auf Kraft und Form in den Erscheinungen das
Bewußtsein von der Form zu trennen versucht oder wenn sie das Bewußtsein in
einem blinden, in Form und Kraft versunkenen Schlaf absorbiert, muß sich das
Bewußtsein durch fragmentarische Evolution, die den Irrtum notwendig und die
Falschheit unvermeidlich macht, zu sich selbst zurückkämpfen. Trotzdem sind auch
diese Dinge keine Illusion, die aus einem ursprünglichen Nicht-Sein entsprungen
wären. Wir könnten sagen, sie sind unvermeidliche Wahrheiten einer Welt, die aus
der Unbewußtheit entstanden ist. Denn die Unwissenheit ist in Wirklichkeit noch
ein Wissen, das nach seinem hinter der ursprünglichen Maske der Nichtbewußtheit
verborgenen Selbst sucht. Es verfehlt es, und es findet es. Seine Ergebnisse
sind auf ihrer je eigenen Linie natürlich, ja unvermeidlich. Sie sind die wahre
Konsequenz des Absturzes, – gewissermaßen sogar ein richtiges Handeln, um vom
Sturz zu genesen. Das erste Ergebnis dieses Absturzes ist: Sein versinkt in
scheinbares Nicht-Sein, Bewußtsein in scheinbare Nicht-Bewußtheit,
Seins-Seligkeit in weite kosmische Empfindungslosigkeit. Bei der Rückkehr aus
diesem Fall durch mühevolle fragmentarische Erfahrung besteht der notwendige
Prozeß der Arbeit zur Entdeckung des Selbsts aus der Wiedergabe von Bewußtsein
in den dualen Begriffen von Wahrheit und Falschheit, Erkenntnis und Irrtum, des
Seins in den dualen Begriffen von Leben und Tod, der Seins-Seligkeit in den
dualen Begriffen von Schmerz und Lust. Eine reine Erfahrung von Wahrheit,
Wissen, Seligkeit, unvergänglichem Dasein wäre hier in sich selbst
ein Widerspruch gegen die Wahrheit der Dinge. Das könnte nur dann
anders sein, wenn alle Menschen in der Evolution stillschweigend empfänglich
wären für die seelischen Elemente in ihrem Inneren und für das Supramental, das
allem Wirken der Natur zugrunde liegt. Hier wirkt sich aber das
Übermental-Gesetz aus, daß jede Kraft ihre eigenen Möglichkeiten ausarbeiten
muß. Die natürlichen Möglichkeiten einer Welt, in der ursprüngliche
Nichtbewußtheit und Zerteilung von Bewußtsein die Hauptprinzipien sind, würden
das Hervortreten von Kräften der Finsternis bewirken, die gezwungen sind, an der
Unwissenheit, durch die sie leben, festzuhalten: Das wäre unwissendes Ringen um
Wissen, ein Bemühen, das der Ursprung des Falschen und des Irrtums ist, ein
ignorantes Bemühen, durch Hervorrufen von Unrecht und Bösem zu leben, ein
egoistischer Genuß daran, Urheber eines zerspaltenen Lebens in Freuden,
Schmerzen und Leiden zu sein. Unvermeidlich sind das wohl die zuerst
ausgeprägten Eigenschaften, aber nicht die einzigen Möglichkeiten unseres
evolutionären Daseins. Weil doch das Nicht-Sein ein verborgenes Sein, die
Nicht-Bewußtheit ein verborgenes Bewußtsein, die Unempfindlichkeit ein
vermummtes, schlafendes ananda ist, müssen diese verborgenen
Wirklichkeiten hervortreten. Am Ende müssen sich auch das verborgene Übermental
und das Supramental in dieser ihnen dem äußeren Anschein nach entgegengesetzten
Organisation aus einem dunkeln Unendlichen heraus zur Erfüllung bringen.
Zwei Dinge machen diese höchste Erfüllung leichter, als
es sonst möglich wäre. Bei seinem Abstieg in die materielle Schöpfung hat das
Obermental Abwandlungen seiner selbst hervorgebracht – besonders die Intuition
mit ihren durchdringenden Lichtblitzen von Wahrheit, die bestimmte Punkte und
Bereiche in unserem Bewußtsein erleuchten, die die verborgene Wahrheit der Dinge
unserem umgreifenden inneren Verstehen näherbringen können. Wenn wir uns immer
weiter, zuerst im inneren Wesen und dann, als Folge davon, in unserem äußeren
Menschsein auch für die Botschaften aus diesen höheren Bereichen des Bewußtseins
öffnen und in sie hineinwachsen, können wir selbst zu intuitiven und
übermentalen Menschen werden, die nicht durch den Intellekt und die Sinne
begrenzt, sondern fähig sind, in allumfassender Weise innerlich zu begreifen und
die Wahrheit in ihrem eigentlichen Selbst und Leib unmittelbar zu berühren.
Tatsächlich kommen schon Lichtblitze der Erleuchtung aus diesen höheren
Bereichen zu uns. Dieses Eingreifen ist aber zumeist fragmentarisch,
gelegentlich und partiell. Wir müssen in uns ein
höheres Wirken der Wahrheit organisieren, dessen wir potentiell fähig sind.
Zweitens müssen aber Übermental, Intuition und sogar Supramental nicht nur, wie
wir gesehen haben, die der Nicht-Bewußtheit innewohnenden, in sie involvierten
Prinzipien sein, aus denen wir in der Evolution emporsteigen und uns, unserer
Bestimmung gemäß, unausweichlich herausentwickeln müssen, sondern sie sind
verborgen schon in uns gegenwärtig und in geheimer Weise aktiv mit Lichtblitzen
intuitiven Emportauchens in der kosmischen Aktivität von Mental, Leben und
Materie. Es ist wahr, daß ihr Wirken verborgen ist. Selbst wenn sie
hervortreten, geschieht das so, daß sie durch das materielle, vitale und mentale
Medium, in dem sie wirken, eingeschränkt und nicht leicht erkennbar sind. Das
Supramental kann sich nicht von Anfang an als die Schöpfer-Macht im Universum
manifestieren. Würde es das tun, wären Unwissenheit und Nicht-Bewußtheit
unmöglich, oder die notwendige langsame Evolution würde sich in das Schauspiel
schneller Transformation verwandeln. Dennoch können wir auf jeder Stufe der
materiellen Energie den Stempel der unvermeidlichen Entwicklung erkennen, der
ihr vom supramentalen Schöpfer aufgeprägt wird. Und wir sehen in der ganzen
Entwicklung von Leben und Mental das Spiel der Linien von Möglichkeit und
Kombination, die das Eingreifen des Übermentals charakterisiert. So wie Leben
und Mental in der Materie freigesetzt wurden, müssen auch diese größeren Mächte
der verborgenen Gottheit zu ihrer Zeit aus der Involution hervortreten, und ihr
erhabenes Licht muß von oben auf uns herabkommen.
Ein Göttliches Leben ist also in der irdischen Manifestation nicht nur möglich als das hohe Ergebnis und Lösegeld für unser gegenwärtiges Leben in der Unwissenheit. Vielmehr ist es, wenn die Dinge so liegen, wie wir sie gesehen haben, das unvermeidliche Ergebnis und die höchste Erfüllung des evolutionären Bemühens der Natur.
E N D E
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