Sri Aurobindo
Das Göttliche Leben
Buch 1I
Kapitel XVI. Das integrale Wissen und das Ziel des Lebens. Vier Theorien des Daseins
Wenn alles Begehren, das
sich ans Herz klammert, von ihm losgelöst ist, wird der Sterbliche unsterblich,
besitzt er hier schon das Ewige.
Brihadaranyaka Upanishad, IV, 4.7.
Er wird zum Ewigen und geht fort ins Ewige.
Brihadaranyaka Upanishad, IV, 4. 7.
Dieses körperlose und unsterbliche leben und Licht ist das brahman.
Brihadaranyaka Upanishad, IV, 4.8.
Lang und eng ist der uralte Pfad – ich habe ihn berührt, ich habe ihn gefunden – der Pfad, auf dem die Weisen, die vom Ewigen Wissenden, indem sie zur Erlösung gelangten, von hier fortgehen zur hohen Welt des Paradieses.
Brihadaranyaka Upanishad, IV. 4.8.
Ich bin ein Sohn der Erde, der Boden ist meine Mutter... Möge sie an mich ihren vielfältigen Schatz, ihre geheimen Reichtümer verschwenden... Über deine Schönheit wollen wir sprechen, o Erde, die In deinen Dörfern ist und Wäldern und Versammlungen, in Krieg und Kämpfen.
Atharva Veda, XII, 1.12, 44, 56.
Möge die Erde, souverän über das Vergangene und das Zukünftige, uns eine weite Welt schaffen... Erde, die das Wasser auf dem Ozean war und deren Lauf die Denker folgen durch die Magie ihres Wissens, sie, die ihr Herz von Unsterblichkeit bedeckt hat mit der Wahrheit im höchsten Äther, möge sie uns Licht und Macht in jenem höchsten Reich verschaffen.
Atharva Veda, XII, 1.1,8.
O Flamme, du gründest Tag für Tag den Sterblichen in einer höchsten Unsterblichkeit zur Vermehrung inspirierten Wissens. Für den Seher, den nach der zweifachen Geburt dürstet, erschaffst du göttliche Wonne und menschliche Freude.
Rig Veda, I,31.7.
O Gottheit, hüte für uns das Unendliche und überschütte uns mit dem Endlichen.
Rig Veda, IV, 2. 11
Bevor wir nun die
Grundsätze und den Ablauf des evolutionären Aufstiegs des Bewußtseins
untersuchen, ist es nötig, nochmals das festzustellen, was unsere Theorie des
vollständigen Wissens als fundamentale Wahrheiten der Wirklichkeit und ihrer
Manifestation behauptet und was sie als wirksame Charakterzüge und dynamische
Aspekte zugibt, aber nicht für eine vollständige Erklärung des Seins und des
Universums als ausreichend anerkennen kann. Denn Wahrheit des Wissens muß die
Grundlage sein für Wahrheit des Lebens, sie muß das Ziel des Lebens bestimmen.
Der evolutionäre Prozeß selbst ist die Entfaltung einer Wahrheit des Seins, die
hier in einer ursprünglichen Unbewußtheit verborgen ist, aus ihr herausgestellt
durch ein hervortretendes Bewußtsein, das von Stufe zu Stufe seiner
Selbst-Entfaltung emporsteigt, bis es in sich die volle Wirklichkeit der Dinge
und eine vollständige Selbst-Erkenntnis offenbaren kann. Von der Art jener
Wahrheit, von der es ausgeht und die es zu offenbaren hat, muß der Verlauf der
evolutionären Entwicklung abhängen, – die Stufen ihres Fortschritts und deren
Bedeutung.
Erstens bejahen wir ein Absolutes als den Ursprung, die
Stütze und die verborgene Wirklichkeit aller Dinge. Man kann die Absolute
Wirklichkeit nicht durch mentales Denken definieren und durch mentale Sprache
benennen. Sich gegenüber ist sie selbst-seiend und selbst-bezeugend, wie alle
absoluten Dinge selbst-bezeugend sind. Unsere mentalen Bejahungen oder
Verneinungen können sie weder begrenzen noch definieren, ob man sie gesondert
oder zusammen erklären will. Zugleich gibt es aber ein spirituelles Bewußtsein,
ein spirituelles Wissen, eine Erkenntnis durch Identität, durch die man die
Wirklichkeit in ihren fundamentalen Aspekten wie in ihren manifestierten Mächten
und Gestaltungen begreifen kann. Alles, was ist, gehört in eine solche
Beschreibung hinein. Wenn es durch dieses Wissen in seiner eigenen Wahrheit oder
in seiner verborgenen Bedeutung geschaut wird, kann es als Ausdruck der
Wirklichkeit und selbst als eine Wirklichkeit betrachtet werden. In diesen fundamentalen Aspekten ist diese geoffenbarte
Wirklichkeit selbst-seiend. Denn alle zugrundeliegenden Wirklichkeiten bringen
etwas heraus, das im Absoluten ewig und ursprünglich wahr ist. Alles jedoch, was
nicht fundamental ist, alles Vorübergehende, ist phänomenal, ist Form und Macht,
ist abhängig von der Wirklichkeit, die es ausdrückt. Es ist wirklich durch diese
und durch seine eigene Wahrheit und Bedeutung, durch die Wahrheit dessen, was es
in sich trägt. Ist es doch Jenes und nicht etwas Zufälliges, etwas ohne
Grundlage, etwas Illusorisches, kein zwecklos konstruiertes Gebilde. Selbst das,
was diese Wahrheit entstellt oder verbirgt – wie die Lüge die Wahrheit entstellt
und vermummt, wie der Böse das Gute entstellt und sich damit maskiert hat eine
vorübergehende Wirklichkeit als wahre Konsequenzen der Unbewußtheit. Aber diese
entgegengesetzten Gestaltungen sind, wenn auch etwas Wirkliches in ihrem eigenen
Feld, doch nichts Wesenhaftes. Sie sind nur Zusätze zur Manifestation und dienen
ihr als vorübergehende Form oder Macht ihrer Bewegung. Das Universale ist
demnach etwas Wirkliches dank des Absoluten, dessen Selbst-Offenbarung es ist.
Alles, was es enthält, ist wirklich dank des Universalen, das ihm Form und
Gestalt gibt
Das Absolute manifestiert sich in zwei Begriffen, im
Sein und im Werden. Das Sein ist die fundamentale Wirklichkeit. Das Werden ist
eine wirksame Wirklichkeit: Es ist dynamisch an Macht und Resultat, eine
schöpferische Energie, eine Ausarbeitung des Seins, eine beharrliche, jedoch
veränderliche Form, Prozeß und Ergebnis seiner unveränderlichen, formlosen
Wesenheit. Alle Theorien, die das Werden als etwas für sich selbst Ausreichendes
darstellen, sind deshalb nur Halb-Wahrheiten, gültig für eine bestimmte
Erkenntnis der Manifestation, die man durch ausschließliche Konzentration auf
das gewinnt, was diese Theorien behaupten und ins Auge fassen. Abgesehen davon
sind sie aber nur deshalb gültig, weil das Sein vom Werden nicht gesondert,
vielmehr in diesem gegenwärtig ist, es konstituiert, und ebenso in seinem
winzigsten Atom wie in seiner grenzenlosen Ausbreitung und Ausdehnung enthalten
ist. Das Werdende kann sich selbst nur dann völlig erkennen, wenn es sich als
ein Seiendes begreift. Im Werden gelangt die Seele zur Erkenntnis des Selbsts
und zur Unsterblichkeit, wenn sie den Höchsten und Absoluten erkennt und die
Natur des Unendlichen und Ewigen besitzt. Das zu tun, ist höchstes Ziel unseres
Daseins, denn es ist die Wahrheit unseres Wesens und muß deshalb auch das
ursprüngliche Ziel, das notwendige Ergebnis
unseres Werdens sein. Diese Wahrheit unseres Wesens muß notwendigerweise in der
Seele manifestiert werden. In der Materie ist sie eine geheime Kraft. Im Leben
wird sie zu einem Drang und einer Tendenz, zu Begehren und Suchen. Im Mental ist
sie Wille, Ziel, Bemühen und Zweck. Das zu manifestieren, was von Anfang an im
Innern verborgen ist, ist die ganze geheime Absicht der evolutionären Natur.
Wir erkennen also die Wahrheit an, die die Philosophien des suprakosmischen Absoluten zur Grundlage nehmen. Der Illusionismus selbst kann, auch wenn wir seine letzten Schlußfolgerungen bestreiten, doch als der Weg angenommen werden, durch den die Seele im Mental, das mentale Wesen, die Dinge in einer spirituell-pragmatischen Erfahrung sehen muß, wenn sie sich vom Werden lostrennt, um sich dem Absoluten zu nahen und darin einzugehen. Aber auch das ist keine vollständige Philosophie des Seins, da das Werden wirklich ist und unvermeidlich in der eigentlichen Selbst-Macht des Unendlichen und Ewigen enthalten sein muß. Für die Seele im Werden ist es möglich, sich selbst als das Seiende zu erkennen und das Werdende zu besitzen. Sie kann sich selbst als ein Unendliches in ihrer Wesenhaftigkeit erkennen aber auch als das Unendliche, das seinen Selbst-Ausdruck im Endlichen findet; und als das zeitlos Ewige, das sich selbst und seine Werke in dem sie begründenden Zustand und in der sich entwickelnden Bewegung von Zeit-Ewigkeit betrachtet. Diese Realisation ist die höchste Höhe des Werdenden. Sie ist die Erfüllung des Seienden in seiner dynamischen Wirklichkeit. Auch das muß also Teil der vollständigen Wahrheit der Dinge sein. Denn das allein verleiht dem Universum volle spirituelle Bedeutung und rechtfertigt die Seele in der Manifestation. Eine Erklärung der Dinge, die das kosmische und das individuelle Dasein jeder Bedeutung beraubt, kann nicht die ganze Erklärung oder jene Lösung sein, die sie als das einzig wahre Ergebnis anbietet.
Weiter behaupteten wir, daß die fundamentale
Wirklichkeit des Absoluten für unsere spirituelle Wahrnehmung ein Göttliches
Sein ist, ein Bewußtsein und eine Seligkeit des Wesens, die eine selbst-seiende
überkosmische Wirklichkeit, aber auch die geheime Wahrheit ist, die aller
Manifestation zugrundeliegt. Denn die fundamentale Wahrheit des Seins muß
notwendig auch die fundamentale Wahrheit des Werdens sein. Alles ist eine
Manifestation von Jenem. Denn Jenes wohnt eben in
allem, was seine Gegensätze zu sein scheint. Sein im Verborgenen auf sie
ausgeübter Zwang, es zu enthüllen, ist die Ursache der Evolution. Ebenso ein
Druck auf die Unbewußtheit, aus sich heraus ihr geheimes Bewußtsein zu
entfalten; auf das scheinbar Nicht-Seiende, in ihm selbst das geheime
spirituelle Sein zu offenbaren; auf die empfindungslose Neutralität der Materie,
eine andersartige Freude am Sein zu entfalten, die wachsen muß, indem sie sich
von den untergeordneten Begriffen, den entgegengesetzten Dualitäten von Schmerz
und Lust freimacht für die wesenhafte tiefe Daseinsfreude, das spirituelle
ananda.
Das Seiende ist eines. Diese Einheit ist aber unendlich und enthält in sich eine unendliche Vielheit oder Vielfalt ihrer selbst: Das Eine ist das All. Es ist nicht nur ein essentielles Sein, sondern ein All-Sein. Die unendliche Vielfalt des Einen und die ewige Einheit der Vielen sind die beiden Wirklichkeiten oder Aspekte einer einzigen Wirklichkeit, auf die sich die Manifestation gründet. Wegen dieser fundamentalen Wahrheit der Manifestation stellt sich das Seiende unserer kosmischen Erfahrung in drei Kräfte-Verhältnissen dar: als das suprakosmische Sein, als der kosmische Geist und als das individuelle Selbst in den Vielen. Die Vielfalt gestattet aber in der Erscheinung eine Zerteilung des Bewußtseins, effektive Unwissenheit, in der die Vielen, die Individuen, aufhören, des ewigen selbst-seienden Einseins inne zu sein. Sie vergessen auch die Einheit des kosmischen Selbsts, in der und durch die sie leben, sich bewegen und ihr Wesen haben. Durch die Kraft der verborgenen Einheit wird aber die Seele im Werden durch ihre eigene unsichtbare Wirklichkeit und durch den verborgenen Druck der evolutionären Natur gezwungen, aus diesem Zustand der Unwissenheit herauszukommen und schließlich das Wissen von dem Einen Göttlichen Wesen und von ihrem Einssein mit ihm wiederzugewinnen. Zugleich erlangt sie ihre spirituelle Einheit mit allen individuellen Wesen und mit dem ganzen Universum. Sie muß nicht nur ihrer selbst im Universum innewerden, sondern auch des Universums in ihr selbst und des Wesens des Kosmos als ihres größeren Selbsts. Das Individuum soll sich universal ausweiten und in derselben Bewegung seiner suprakosmischen Transzendenz gewahr werden. Dieser dreifache Aspekt der Wirklichkeit muß in die totale Wahrheit der Seele und der kosmischen Manifestation einbezogen werden. Diese Notwendigkeit muß die endgültige Richtung des Ablaufs der evolutionären Natur bestimmen.
Alle Betrachtungen des
Seins, die vor der Transzendenz haltmachen und sie nicht beachten, müssen
unvollständige Darstellungen der Wahrheit des Seienden bleiben. Die
pantheistische Anschauung von der Identität des Göttlichen Wesens mit dem
Universum ist eine Wahrheit, denn all das, was ist, ist brahman. Aber sie
macht halt vor der ganzen Wahrheit, wenn sie die suprakosmische Wirklichkeit
verfehlt und ausschließt. Auf der anderen Seite irrt jede Betrachtung, die nur
den Kosmos bejaht, die aber das Individuum als ein Nebenprodukt der kosmischen
Energie beiseite schiebt, da sie den einen ins Auge fallenden Tatsachen-Aspekt
der Welt-Aktion zu stark betont. Das trifft nur für das natürliche Individuum zu
und ist nicht einmal dessen ganze Wahrheit. Denn das natürliche Individuum, das
Natur-Wesen, ist zwar sicherlich ein Produkt der universalen Energie. Es ist
aber zugleich auch eine Natur-Persönlichkeit der Seele, eine Gestaltung, die das
innere Wesen und die innere Person zum Ausdruck bringt. Diese Seele ist keine
vergängliche Zelle, kein auflösbarer Bestandteil des kosmischen Geistes. Sie
besitzt vielmehr ihre ursprüngliche unsterbliche Wirklichkeit in der
Transzendenz. Es ist eine Tatsache, daß sich das kosmische Wesen durch das
individuelle Wesen zum Ausdruck bringt. Ebenso ist aber auch wahr, daß sich die
Transzendente Wirklichkeit durch beide, das individuelle Dasein und den Kosmos,
ausdrückt. Die Seele ist ein ewiger Bestandteil des Höchsten und nicht ein
Bruchteil der Natur. In gleicher Weise muß jede Anschauung, die das Universum so
betrachtet, als existiere es nur im individuellen Bewußtsein, offensichtlich
fragmentarisch sein. Sie wird durch die Wahrnehmung gerechtfertigt, derzufolge
das spirituelle Individuum allumfassend ist und die Macht hat, das ganze
Universum mit seinem Bewußtsein zu umfangen. Aber weder der Kosmos noch das
individuelle Bewußtsein sind die fundamentale Wahrheit des Seins. Denn beide
sind abhängig vom transzendenten Göttlichen Wesen und existieren durch dieses.
Dieses Göttliche Wesen, saccidananda, ist
zugleich apersonal und personal. Es ist ein Sein, der Ursprung und die Grundlage
aller Wahrheiten, Kräfte, Mächte und Seins-Gestaltungen. Es ist aber auch das
Eine Transzendente Bewußte Wesen und die All-Person, deren Selbste und
Personalitäten alle bewußten Wesen sind. Denn Er ist ihr höchstes Selbst und die
universale innewohnende Gegenwart. Für die Seele im Universum ist es eine
Notwendigkeit – und deshalb die innerste Tendenz
der evolutionären Energie und ihre höchste Absicht –, diese Wahrheit von sich
selbst zu wissen und in sie hineinzuwachsen, eins mit dem Göttlichen Wesen zu
werden, ihre Natur zur Göttlichen Natur, ihr Sein in das Göttliche Sein, ihr
Bewußtsein in das Göttliche Bewußtsein, ihre Wesens-Seligkeit in die Göttliche
Seins-Seligkeit emporzuheben. Sie soll all das in ihr Werden empfangen. Sie soll
dadurch das Werden zu einem Ausdruck jener höchsten Wahrheit machen, so daß ihr
Besitzer in ihrem Innern das Göttliche Selbst und der Meister ihrer Existenz
ist. Zugleich soll sie aber auch Ihn voll besitzen und von Seiner Göttlichen
Energie bewegt werden. Sie soll in völliger Selbst-Hingabe und
Selbst-Überantwortung leben und handeln. Hier drücken die dualistischen und
theistischen Anschauungen vom Dasein, die das ewige, wirkliche Sein Gottes und
der Seele sowie die ewige wirkliche Existenz und das kosmische Wirken der
Göttlichen Energie behaupten, auch eine Wahrheit des Integralen Seins aus. Ihre
Formulierung macht aber vor der völligen Wahrheit halt, wenn sie die wesenhafte
Einheit von Gott und Seele oder ihre Fähigkeit zum äußersten Einssein bestreitet
oder wenn sie das mißachtet, was der höchsten Erfahrung im Aufgehen der Seele in
der Göttlichen Einheit durch Liebe, Einung des Bewußtseins und Verschmelzen von
Sein in Sein zugrundeliegt.
Die Manifestation des Seienden nimmt in unserem
Universum die Form einer Involution an, die der Ausgangspunkt für die Evolution
ist – Materie ist die allerniedrigste Stufe, Geist die erhabene Höhe. Bei dem
Hinabgehen in die Involution kann man sieben Prinzipien des manifestierten
Wesens unterscheiden, sieben Stufen des manifestierten Bewußtseins, von denen
wir hier eine Wahrnehmung, eine konkrete Realisation ihrer Gegenwart und
Immanenz oder eine reflektierte Erfahrung bekommen können. Die ersten drei sind
die ursprünglichen und fundamentalen Prinzipien. Sie bilden universale
Bewußtseins-Zustände, zu denen wir emporkommen können. Tun wir das, so können
wir auch höchster Ebenen oder Stufen der grundlegenden Offenbarung oder
Selbst-Formulierung der spirituellen Wirklichkeit bewußt werden, in der die
Einheit des Göttlichen Seins, die Macht des Göttlichen Bewußtseins, die Wonne
der Göttlichen Seins-Seligkeit herausgestellt wird – das alles aber nicht so
verborgen und vermummt wie hier; vielmehr können wir sie in ihrer vollen
unabhängigen Wirklichkeit besitzen. Ein viertes Prinzip, das supramentale Wahrheits-Bewußtsein, ist mit ihnen verbunden. Da es die
Einheit in einer unendlichen Vielheit manifestiert, ist es die charakteristische
Macht des Unendlichen, sich selbst durch Begrenzung zu bestimmen. Diese
vierfache Macht von höchstem Sein, Bewußtsein und seliger Freude konstituiert
eine obere Hemisphäre der Manifestation, die sich auf das ewige Wissen des
Geistes vom Selbst gründet. Gehen wir in diese Prinzipien oder in eine Ebene des
Seienden ein, auf der es die reine Gegenwart des Wirklichen gibt, so finden wir
in ihnen vollständige Freiheit und Erkenntnis. Die anderen drei Mächte und
Ebenen des Seienden, deren wir hier und jetzt inne werden, bilden eine
niedrigere Hemisphäre der Manifestation, die Hemisphäre von Mental, Leben und
Materie. Diese sind an sich Mächte der höheren Prinzipien. Wo sie sich aber
getrennt von ihren spirituellen Ursprüngen manifestieren, erleiden sie im
Resultat einen Absturz in das Phänomenale, in eine zerteilte statt in die wahre
unzerteilte Welt des Seins. Dieser Absturz, diese Lostrennung, bewirkt einen
Zustand von begrenztem Wissen, das ausschließlich auf seine eigene begrenzte
Welt-Ordnung konzentriert ist und alles, was seinen Hintergrund bildet, sowie
die zugrundeliegende Einheit vergißt. Darum ist es ein Zustand von kosmischer
und individueller Unwissenheit.
Bei dem Herabkommen in die materielle Ebene, dessen
Ergebnis unser natürliches Leben ist, findet dieser Fall seine absolute Tiefe in
einer totalen Unbewußtheit, aus der sich ein involviertes Wesen und Bewußtsein
stufenweise herausentwickeln müssen. Diese unvermeidliche Evolution entfaltet
zuerst unumgänglich die Materie und ein materielles Universum. In der Materie
erscheint das Leben mit lebenden physischen Wesen. Im Leben manifestiert sich
das Mental, das verkörperte denkende lebende Wesen. Im Mental muß unvermeidlich
durch eine fortschreitende Vermehrung seiner Mächte und Aktivitäten in Formen
von Materie das Supramental, das Wahrheits-Bewußtsein, hervortreten, und zwar
durch die Kraft dessen, was in der Unbe-wußtheit und in der Notwendigkeit der
Natur enthalten ist, es zu manifestieren. Das erscheinende Supramental
manifestiert das Wissen des Geistes vom Selbst und sein Wissen vom Ganzen in
einem supramentalen lebenden Wesen. Durch dasselbe Gesetz, die innewohnende
Notwendigkeit und Unvermeidlichkeit, muß es die dynamische Manifestation des
göttlichen Seins, Bewußtseins und der Seins-Seligkeit
bewirken. Hierin liegt die Bedeutung des Plans und der Ordnung der Evolution auf
Erden. Diese Notwendigkeit muß alle ihre Stufen und Grade, ihr Prinzip und ihren
Ablauf bestimmen. Mental, Leben und Materie sind die verwirklichten Mächte der
Evolution und uns wohlbekannt. Das Supramental und der dreieinige Aspekt von
saccidananda sind die geheimen Prinzipien, die bislang nicht nach außen
hervorgebracht worden sind, sondern erst noch in den Formen der Manifestation
realisiert werden müssen. Wir kennen sie nur durch Andeutungen und ein
partielles, fragmentarisches Wirken, das sich noch nicht von der niederen
Bewegung losgelöst hat und deshalb nicht leicht erkennbar ist. Aber auch ihre
Evolution ist ein Teil der Bestimmung der Seele im Werden. Es muß innerhalb des
Erden-Lebens in der Materie eine Realisierung und Dynamisierung nicht nur des
Mentals, sondern alles dessen geben, was oberhalb von diesem zwar tatsächlich in
das Erden-Leben und in die Materie herniedergekommen, aber noch verborgen ist.
Unsere Theorie vom integralen Wissen erkennt das Mental
als ein schöpferisches Prinzip, als eine Macht des Seienden an und weist ihm
seinen Platz in der Manifestation zu. In ähnlicher Weise akzeptiert sie Leben
und Materie als Mächte des Geistes; auch in diesen ist eine schöpferische
Energie. Aber die Anschauung, die das Mental zum alleinigen oder zum höchsten
schöpferischen Prinzip macht, und die Philosophien, die dem Leben oder der
Materie dieselbe einzige Wirklichkeit oder Vorherrschaft beimessen, sind
Ausdruck einer Halb-Wahrheit und kein integrales Wissen. Es ist wahr, daß die
Materie, wenn sie als erstes hervortritt, zum beherrschenden Prinzip wird. In
ihrem eigenen Feld erscheint sie als die Grundlage aller Dinge – und ist es
auch. Sie konstituiert alle Dinge und ist das Ende aller Dinge. Wir erkennen
aber die Materie selbst als das Ergebnis von etwas, das nicht Materie ist,
nämlich von Energie. Diese Energie kann aber nicht etwas Selbst-Seiendes sein
und im Leeren wirken, sondern sie kann sich erweisen – und erweist sich auch,
wenn wir sie bis in ihre tiefsten Tiefen erforschen -gleichsam als das Wirken
eines geheimen Bewußtseins und Wesens. Wenn das spirituelle Wissen und die
spirituelle Erfahrung hervortreten, wird dies zu einer Gewißheit. Man sieht
dann, daß die schöpferische Energie in der Materie eine Bewegung der Macht des
Geistes ist. Materie selbst kann nicht die ursprüngliche und letzte Wirklichkeit
sein. Zugleich wird auch die Auffassung, die Materie und Geist voneinander trennt und sie als Gegensätze einander gegenüberstellt, unannehmbar.
Materie ist eine Form des Geistes, eine Wohnung des Geistes. Hier, in der
Materie selbst, kann es eine Realisierung des Geistes geben. Weiter trifft zu,
daß das Leben dann, wenn es hervortritt, vorherrschend wird und die Materie in
ein Werkzeug seiner Manifestation verwandelt. Dann sieht es anfänglich so aus,
als wäre das Leben selbst das geheime ursprüngliche Prinzip, das in die
Schöpfung hervorbricht und sich in den Formen der Materie verhüllt. In diesem
Anschein liegt Wahrheit. Man muß einräumen, daß diese Wahrheit ein Teil der
integralen Erkenntnis ist. Leben ist, wenn auch nicht die ursprüngliche
Wirklichkeit, so doch eine ihrer Formen, Mächte, deren Mission, als
schöpferisches Drängen in der Materie zu wirken, hier vollzogen werden muß.
Darum müssen wir das Leben als das Mittel für unser Wirken und als eine
dynamische Form annehmen, in die wir das Göttliche Sein hineingießen sollen. Es
kann aber nur deshalb als solches anerkannt werden, weil es eine Form der
Göttlichen Energie ist, die selbst größer ist als die Lebens-Kraft. Das
Lebens-Prinzip ist nicht die ganze Grundlage und der Ursprung der Dinge. Sein
schöpferisches Wirken kann erst dann vervollkommnet und souverän zur Erfüllung
gebracht werden, erst dann seinen wahren Ablauf finden, wenn es sich selbst als
eine Energie des Göttlichen Wesens erkennt und sein Wirken emporhebt und so
verfeinert, daß das Ausströmen der höheren Natur frei durch es hindurchgehen
kann.
Wenn das Mental seinerseits hervortritt, wird es
dominierend. Es verwendet Leben und Materie als Mittel, um sich auszudrücken,
als Feld für sein eigenes Wachsen und seine Souveränität. Es beginnt, so zu
wirken, als wäre es die wahre Wirklichkeit und ebenso der Schöpfer, wie es der
beobachtende Zeuge des Daseins ist. Aber auch das Mental ist eine begrenzte und
abgeleitete Macht. Es tritt aus dem Übermental hervor oder ist hier ein lichter
Schatten, der vom göttlichen Supramental geworfen wird. Es kann nur dadurch zu
seiner Vervollkommnung gelangen, daß es das Licht einer höheren Erkenntnis
einläßt. Es muß seine eigenen mehr unwissenden, unvollkommenen und einander
widersprechenden Mächte und Werte in die auf göttliche Art wirkungsstarken
Potenzen und harmonischen Werte des supramentalen Wahrheits-Bewußtseins
umwandeln. Alle die Mächte der niederen Hemisphäre mit ihren Strukturen der
Unwissenheit können ihr wahres Selbst nur dadurch finden, daß sie sich in jenes
Licht transformieren, das aus der höheren
Hemisphäre eines ewigen Selbst-Wissens zu uns herniederkommt.
Diese drei niederen Mächte des Seienden bauen sich auf der Unbewußtheit auf und scheinen von ihr verursacht und gefördert zu sein. Der schwarze Drache der Unbewußtheit trägt und erhält mit seinen gewaltigen Schwingen und auf seinem Rücken von Finsternis das ganze Gebäude des materiellen Universums. Seine Energien setzen den Strom der Dinge in Gang. Seine dunklen Einwirkungen scheinen der Ausgangspunkt des Bewußtseins selbst und die Quelle für jeden Lebens-Impuls zu sein. Darum wird jetzt, infolge dieser Verursachung und Vorherrschaft, das Unbewußte von einer gewissen Richtung der Forschung als der wirkliche Ursprung und Schöpfer angenommen. Tatsächlich darf man davon ausgehen, daß eine unbewußte Kraft, eine unbewußte Substanz der Ausgangspunkt der Evolution ist. In der Evolution tritt aber ein bewußter Geist, nicht ein unbewußtes Wesen, hervor. Das Unbewußte und sein anfängliches Wirken sind von einer Aufeinanderfolge immer höherer Mächte des Seienden durchdrungen und werden so dem Bewußtsein unterworfen, damit seine Obstruktionen gegen die Evolution, seine Kreisbewegungen zur Einschränkung allmählich zerbrochen werden. Die Python schlängelt sich aus ihrer Finsternis heraus, getroffen von den Pfeilen des Sonnen-Gottes. So werden die Begrenzungen durch unsere materielle Substanz so weit vermindert, bis sie transzendiert und bis Mental, Leben und Körper transformiert werden können, indem ein höheres Gesetz aus göttlichem Bewußtsein, göttlicher Energie und göttlichem Geist von ihnen Besitz ergreift. Das integrale Wissen erkennt die Wahrheiten aller Anschauungen des Daseins in ihrem eigenen Bereich als gültig an. Es sucht aber, sich von ihren Begrenzungen und Verneinungen zu befreien und die partiellen Wahrheiten zu harmonisieren und miteinander zu versöhnen in einer umfassenden Wahrheit, die die vielen Seiten unseres Wesens in einem allgegenwärtigen Sein zu Erfüllung bringt.
An diesem Punkt müssen wir einen Schritt weitergehen
und immer mehr die metaphysische Wahrheit, die wir festgestellt haben, als einen
bestimmenden Faktor nicht nur für unser Denken und die inneren Vorgänge, sondern
auch für die Lenkung unseres Lebens und zu einer dynamischen Lösung unserer
Selbst- und Welt-Erfahrung anerkennen. Natürlich sollten unser metaphysisches
Wissen und unsere Anschauung von der fundamentalen Wahrheit des Universums und
dem Sinn des Daseins der bestimmende Faktor
unserer ganzen Auffassung vom Leben und unserer Haltung ihm gegenüber sein. Das
Ziel des Lebens, wie wir es begreifen, muß auf dieser Basis gegründet sein. Eine
metaphysische Philosophie ist ein Versuch, die grundlegenden Wirklichkeiten und
Prinzipien des Seienden festzustellen im Unterschied zu seinen Prozessen und den
Phänomenen, die bei der Realisierung entstehen. Diese Prozesse hängen aber von
den fundamentalen Wirklichkeiten ab: Unser eigener Lebens-Verlauf, sein Ziel und
seine Methode sollten in Übereinstimmung stehen mit der Wahrheit des Seienden,
wie wir sie sehen. Andernfalls kann unsere metaphysische Wahrheit nur ein Spiel
des Intellekts ohne jede dynamische Bedeutung sein. Es trifft zu, daß der
Intellekt nach der Wahrheit um ihrer selbst willen suchen muß, ohne daß sich
eine vorgefaßte Idee von ihrer Nützlichkeit für das Leben einmischt. Dennoch muß
die Wahrheit, wenn sie einmal entdeckt ist, in unserem inneren Wesen und unseren
äußeren Betätigungen verwirklichbar sein. Ist sie das nicht, mag sie
intellektuelle, nicht aber integrale Bedeutung gewinnen. Eine Wahrheit für den
Intellekt wäre für unser Leben nicht mehr als die Lösung eines Denk-Rätsels,
eine abstrakte Unwirklichkeit oder ein toter Buchstabe. Die Wahrheit des
Seienden muß die Wahrheit des Lebens beherrschen. Es kann nicht sein, daß diese
beiden keine Beziehung zueinander hätten oder nicht voneinander abhängig wären.
Die höchste Bedeutung des Lebens für uns, die fundamentale Wahrheit des Seins,
muß auch der anerkannte Sinn unseres eigenen Lebens, unseres Ziels und unseres
Ideals sein.
Von diesem Gesichtspunkt aus gibt es etwa vier
Haupt-Theorien oder vier Theorie-Kategorien mit ihren entsprechenden mentalen
Haltungen und Idealen im Einklang mit vier verschiedenen Begriffen der Wahrheit
des Seins. Wir können sie nennen: die suprakosmische, die kosmische und
irdische, die überirdische oder außerweltliche und die integrale, synthetische
oder harmonisierte. Diese Theorien versuchen, jene drei Faktoren – oder etwa
zwei von ihnen – miteinander zu versöhnen, die die anderen Anschauungen
voneinander zu trennen bestrebt sind. In diese letzte Kategorie würde die
Anschauung gehören, daß unser Dasein hier ein Werden ist, dessen Ursprung das
Göttliche Wesen und dessen Ziel eine fortschreitende Manifestation, eine
spirituelle Evolution ist, deren Ursprung und Unterstützung das Suprakosmische
und deren sie bedingendes und verbindendes Glied das Außer-Weltliche ist. Das Kosmische und Irdische bilden ihr Feld, das menschliche Mental
und Leben sind ihr Knoten- und Wendepunkt der Befreiung zu höherer und höchster
Vervollkommnung. Unsere Betrachtung muß sich also mit den drei ersteren
befassen, um zu sehen, wo sie von der vervollständigenden Lebensanschauung
abweichen und inwiefern die Wahrheiten, auf denen sie fußen, in jene Struktur
hineinpassen.
Bei der suprakosmischen Betrachtung der Dinge ist
allein die Höchste Wirklichkeit völlig real. Ein gewisses Empfinden des
Illusorischen, ein Gefühl für die Eitelkeit des kosmischen Daseins und des
individuellen Wesens ist eine charakteristische Tendenz bei dieser Betrachtung
der Dinge. Sie ist aber nicht essentiell, kein unentbehrliches Zubehör zu ihrem
hauptsächlichen Denk-Prinzip. In den extremsten Formen dieser Weltanschauung hat
das menschliche Dasein keine wirkliche Bedeutung. Es ist ein Fehler der Seele
oder ein Delirium des Willens zum Leben, ein Irrtum oder eine Unwissenheit, die
irgendwie die absolute Wirklichkeit überdeckt. Die einzige wirkliche Wahrheit
ist das Überkosmische. Jedenfalls ist das Absolute, parabrahman, Ursprung
und Ziel alles Seins. Alles übrige ist ein Zwischenspiel, ohne bleibende
Bedeutung. Wäre das aber so, würde daraus folgen: Das einzige, was zu tun, der
einzige weise und notwendige Ausweg für unser Wesen ist, allem Lebendigen, ob
irdisch oder himmlisch, zu entkommen, sobald unsere innere Entwicklung oder ein
verborgenes Gesetz des Geistes das möglich macht. Es ist wahr, die Illusion ist
sich selbst gegenüber etwas Wirkliches. Die Eitelkeit gibt vor, voller
Zweckmäßigkeiten zu sein. Aber ihre Gesetze und Fakten – es sind nur Fakten,
nicht aber Wahrheiten, empirische, nicht aber wahre Wirklichkeiten – binden uns
nur so lange, wie wir im Irrtum verharren. Von jedem Standpunkt wirklichen
Wissens aus, in jeder Anschauung der wirklichen Wahrheit der Dinge, würde diese
ganze Selbst-Täuschung kaum besser aussehen als die Ordnung eines kosmischen
Irrenhauses: Solange wir verrückt sind und im Irrenhaus zu bleiben haben, sind
wir zwangsläufig seinen Gesetzen unterworfen und müssen, je nach unserem
Temperament, das Beste oder das Schlimmste aus ihnen machen. Immer bleibt es
aber das eigentliche Ziel, daß wir von dieser Krankheit geheilt werden und in
das Licht, die Wahrheit und Freiheit entkommen. Wie sehr man die Strenge dieser
Logik auch abschwächen und was für Konzessionen man für den jetzigen Augenblick
auch zur Aufwertung von Leben und Persönlichkeit
machen mag, so muß doch von diesem Gesichtspunkt aus das wahre Gesetz des Lebens
in alldem bestehen, was uns dazu helfen kann, so bald wie möglich zum Wissen vom
Selbst und auf den Weg zurückzukehren, der uns unmittelbar ins nirvana
führt. So muß das wahre Ideal ein Auslöschen des Individuums und des Universalen
sein, seine Selbst-Vernichtung ins Absolute. Dieses Ideal der
Selbst-Vernichtung, das kühn und klar von den Buddhisten verkündet wird, ist
aber im vedantischen Denken ein Finden des Selbsts. Für das Individuum könnte
das aber nur dann ein Selbst-Finden sein, wenn es in sein wahres Wesen im
Absoluten hineinwächst, wenn also beides miteinander verbundene Wirklichkeiten
sind. Das würde aber nicht zutreffen bei einer endgültigen, die Welt
vernichtenden Selbst-Bejahung des Absoluten in einem unwirklichen oder
vergänglichen Individuum dadurch, daß zugleich mit der Annullierung des falschen
personalen Wesens auch alles individuelle und kosmische Dasein für dieses
individuelle Bewußtsein zerstört würde, wie sehr auch diese Irrtümer, gestattet
vom Absoluten, in der Welt der Unwissenheit noch zwangsläufig und unvermeidlich
in einer universalen, ewigen und unzerstörbaren kosmischen Unwissenheit,
avidya, weitergehen.
Die Vorstellung von der völligen Sinnlosigkeit des
Lebens ist aber durchaus keine unvermeidliche Konsequenz der suprakosmischen
Seins-Theorie. Im Vedanta der Upanishaden wird das Werden des brahman als
Wirklichkeit angenommen. Deshalb gibt es hier auch Raum für die Wahrheit des
Werdens. In dieser Wahrheit gibt es ein richtiges Gesetz des Lebens, eine
erlaubte Befriedigung des hedonistischen Elements in unserem Wesen, seiner
Freude am vorübergehenden Dasein, eine effektive Verwendung seiner praktischen
Energie, der exekutiven Kraft des Bewußtseins in ihm. Wenn aber Wahrheit und
Gesetz seines zeitlich begrenzten Werdens erfüllt sind, muß die Seele zu ihrer
endgültigen Selbst-Verwirklichung zurückkehren, denn ihre natürliche höchste
Erfüllung ist eine Erlösung, eine Befreiung in ihr ursprüngliches Wesen, in ihr
ewiges Selbst, in ihre zeitlose Wirklichkeit. Es gibt einen Kreislauf des
Werdens, der vom Ewigen Seienden ausgeht und wieder in ihm endet. Vom
Gesichtspunkt des Höchsten als einer personalen oder überpersonalen Wirklichkeit
aus gesehen, gibt es ein zeitlich begrenztes Kräfte-Spiel, ein Schauspiel von
Werden und Leben im Universum. Hier bestimmt offensichtlich keine andere Bedeutung das Leben als der Wille des Seienden zum Werden,
der Wille des Bewußtseins und das Drängen seiner Kraft zum Werden, sowie seine
tiefe Freude am Werden. Für das Individuum hört, wenn es von ihm zurückgezogen
wird oder in ihm erfüllt und nicht länger aktiv ist, das Werden auf; unabhängig
davon dauert das Universum fort. Oder es kehrt immer wieder in die Manifestation
zurück, weil der Wille zum Werden etwas Ewiges ist und auch sein muß, da er der
innewohnende Wille eines ewigen Seins ist. Man könnte sagen, es sei einer der
Mängel dieser Betrachtung der Dinge, daß jegliche fundamentale Wirklichkeit dem
Individuum fehlt, ihm kein bleibender Wert und keine Bedeutung für seine
natürliche oder seine spirituelle Tätigkeit beigelegt werde. Darauf kann man
antworten, diese Forderung nach einer dauernden persönlichen Bedeutung, nach
einer ewigen Dauer der Person, sei ein Irrtum unseres unwissenden,
vordergründigen Bewußtseins. Das Individuum sei nur ein vorübergehendes Werden
des Seienden, und das sei völlig ausreichend als sein Wert und seine Bedeutung.
Hinzufügen könnte man, in einem reinen oder absoluten Sein könne es keine Werte
und Bedeutungen geben. Im Universum existierten Werte, und sie seien dort
unentbehrlich, jedoch nur als relative und vorübergehende Strukturen. In einer
Zeit-Struktur könne es keine absoluten Werte, keine ewigen und selbst-seienden
Bedeutungen geben. Das klingt zwar schlüssig, und scheinbar kann auch nichts
weiter über die Sache ausgesagt werden. Dennoch bleibt die Frage offen. Denn der
Nachdruck auf unser individuelles Wesen, die Forderung an es, der Wert, der auf
individuelle Vervollkommnung und Erlösung gelegt wird, ist zu groß, um als ein
nur für untergeordnetes Wirken Geschaffenes abgetan werden zu können, für das
Aufziehen und Ablaufenlassen einer bedeutungslosen Spiralfeder in den großen
Kreisläufen des Werdens des Ewigen im Universum.
Die kosmisch-irdische Betrachtungsweise, die wir jetzt
als den genauen Gegensatz zur suprakosmischen behandeln, erkennt das kosmische
Dasein als etwas Wirkliches. Sie geht darüber hinaus und nimmt es als die
einzige Wirklichkeit an. Ihre Anschauung beschränkt sich gewöhnlich auf das
Leben im materiellen Universum. Gott – wenn es ihn gibt – sei ein ewiges Werden.
Oder, falls Gott nicht existiert, sei die Natur ein immerwährendes Werden – was
wir auch unter Natur verstehen mögen, ob wir sie als ein Spiel der Kraft mit der
Materie oder als ein großes kosmisches Leben ansehen oder ob wir gar ein universales apersonales Mental im Leben und in der Materie anerkennen.
Erde sei das Feld oder eines der zeitweiligen Felder des Lebens. Der Mensch sei
seine höchstmögliche Gestaltung oder nur eine der vorübergehenden Formen des
Werdens. Der Mensch mag individuell durchaus sterblich sein. Auch die Menschheit
mag nur für eine kurze Periode während des Daseins der Erde existieren. Die Erde
mag das Leben nur für eine längere Periode ihres Daseins im Sonnensystem auf
sich tragen. Dieses System selbst mag eines Tages zu einem Ende kommen, oder es
mag zumindest aufhören, ein aktiver oder produktiver Faktor im Werden zu sein.
Das Universum, in dem wir leben, mag sich selbst auflösen, oder es mag sich
wieder in den Keimzustand seiner Energie zusammenziehen. Aber das Prinzip des
Werdens sei ewig – zumindest so ewig, wie etwas in der dunklen Zweideutigkeit
des Daseins ewig sein könne. Es ist in der Tat möglich, für den Menschen als
Individuum eine Dauer in der Zeit als psychische Wesenheit anzunehmen, als
kontinuierliche irdische oder kosmische Beseelung oder Wiederverkörperung ohne
ein Leben danach in einem Jenseits oder ein Leben irgendwo anders. In diesem
Fall kann man als Ziel dieses endlosen Werdens als Ideal anerkennen, daß der
Mensch entweder seine Vollkommenheit ständig vermehre oder daß er sich der
Vollkommenheit annähere oder daß er zu einer dauernden Glückseligkeit irgendwo
im Universum heranwachse. Bei einer extremen irdischen Anschauung kann man das
aber nur mit Mühe aufrechterhalten. Gewisse Spekulationen menschlichen Denkens
sind in dieser Richtung gegangen. Sie haben aber keine substantielle Gestalt
angenommen. Ein dauerndes Verharren im Werden wird gewöhnlich mit der Annahme
eines höheren überirdischen Daseins verbunden.
Bei der gewöhnlichen Auffassung von einem einzigen
irdischen Leben oder von einem begrenzten vorübergehenden Durchgang durch das
materielle Universum – denn es könnte möglicherweise denkende lebende Wesen auf
einem anderen Planeten geben – bleibt es die einzige annehmbare Wahl für den
Menschen, seine Sterblichkeit zu akzeptieren, sie passiv zu ertragen oder sich
aktiv mit einem begrenzten personalen oder kollektiven Leben und dessen
Lebens-Zielen auseinanderzusetzen. Dem individuellen menschlichen Wesen bleibt
dann aber als einziger hoher und vernünftiger Weg – wenn er sich nicht damit
zufrieden gibt, nur seine persönlichen Interessen zu verfolgen oder, bis sein Leben ihn verläßt, dieses sonstwie zu verbringen daß er
die Gesetze des Werdens studiert und sie möglichst vorteilhaft gebraucht, um,
rational oder intuitiv, innerlich oder in den dynamischen Bereichen des Lebens,
dessen potentielle Energien in sich oder für sich oder in der Rasse, der er
zugehört, oder für diese zu verwenden. Dann ist es sein Bemühen, aus den
aktuellen Dingen, wie sie sich ergeben, das Bestmögliche zu machen und die
höchsten Möglichkeiten, die hier entfaltet werden können oder die im Werden
sind, zu ergreifen oder zu diesen emporzukommen. Das könnte dann aber nur die
Menschheit als Ganzes wirkungsvoll unternehmen: durch die Massenhaftigkeit der
individuellen oder kollektiven Aktion, in dem Verlauf der Zeit und in der
Evolution der Rassen-Erfahrung. Zu diesem Ziel zu gelangen, kann der Einzelne
nur innerhalb seiner eigenen Grenzen verhelfen. Er kann das alles für sich
selbst bis zu einem gewissen Grad innerhalb der kurzen Lebensspanne, die ihm
zubemessen ist, tun. Dabei kann besonders sein Denken und Handeln einen Beitrag
zu dem gegenwärtigen intellektuellen, moralischen und vitalen Wohl der
Menschheit leisten und für ihren künftigen Fortschritt wirken. Er ist zu einem
gewissen Adel seines Wesens fähig. Da er seinen unvermeidlichen und baldigen Tod
akzeptiert, hindert ihn nichts daran, hohen Gebrauch von seinem Willen und
Denken, die sich in ihm entfaltet haben, zu machen, diese auf hohe Ziele zu
lenken, die von der Menschheit ausgearbeitet werden sollen. Selbst die Tatsache,
daß auch das kollektive Wesen der Menschen etwas Vorübergehendes ist, bedeutet
dabei nicht so sehr viel – außer bei der am meisten materialistischen Auffassung
vom Leben. Denn solange das universale Werden die Form eines menschlichen
Körpers und Mentals annimmt, werden das Denken und Wollen, die es in seinem
menschlichen Geschöpf entwickelt hat, sich selbst weiter auswirken. Dies klug zu
befolgen, ist das natürliche Gesetz und die beste Regel für das menschliche
Leben. In bezug auf das Ziel unseres Wesens bieten sich der Menschheit, solange
sie auf der Erde weiterlebt, ihre Wohlfahrt und ihr Fortschritt als das
umfassendste Betätigungsfeld und als natürliche Begrenzung an. Darum sollte ihre
übergeordnete Dauer und die Größe und Bedeutung des kollektiven Lebens die Art
und den Horizont unserer Ideale bestimmen. Wenn aber Fortschritt oder Wohlfahrt
der Menschheit entfallen oder nicht unsere Aufgabe, gar eine Täuschung sind,
bleibt doch das Individuum übrig. Dann wird es Sinn des Lebens
sein, daß der Mensch seine höchstmögliche Vollkommenheit erlangt oder
das Bestmögliche aus seinem Leben macht, wie das eben seine Natur von ihm
verlangt.
Die überirdische Anschauung erkennt die Wirklichkeit des materiellen Kosmos an und akzeptiert auch die zeitlich begrenzte Dauer von Erde und menschlichem Leben als die ersten Tatsachen, von denen wir ausgehen müssen. Sie fügt aber hinzu, daß es eine Wahrnehmung von anderen Welten oder Ebenen des Seins gibt, die eine ewige, zumindest längere Dauer besitzen. Hinter der Sterblichkeit des körperlichen Lebens des Menschen nimmt sie die Unsterblichkeit der Seele in seinem Innern wahr. Das Schlüsselwort für diese Auffassung vom Leben ist ein Glaube an die Unsterblichkeit, an die ewige Dauer des individuellen menschlichen Geistes getrennt vom Körper. Das erfordert von selbst seinen weiteren Glauben an Ebenen des Seins, die höher sind als die materiellen oder irdischen, da es für den vom Körper getrennten Geist keinen bleibenden Platz in einer Welt gäbe, bei der jeder Vorgang von einem Kräftespiel in oder mit den Gestaltungen der Materie abhängig ist, sei er spirituell, mental, vital oder materiell. Aus dieser Anschauung der Dinge entsteht die Vorstellung, die wahre Heimat des Menschen sei im Jenseits, das Erdenleben sei auf diese oder jene Art nur eine Episode innerhalb seiner Unsterblichkeit oder der Abweg aus einem himmlischen oder spirituellen in ein materielles Dasein.
Was ist dann aber der Charakter, der Ursprung und das
Ende dieses Herunterkommens? Wir haben hier zunächst die Vorstellungen gewisser
Religionen, die sich lange hielten, jetzt aber erschüttert oder in Mißkredit
geraten sind: Der Mensch sei ein Wesen, das zuerst als lebender materieller
Körper auf der Erde erschaffen, in den eine neugeborene Seele eingeatmet oder
mit dem sie durch das Machtwort eines allmächtigen Schöpfers verbunden wurde.
Dieses Leben sei nur eine Episode, jedoch die einzige Gelegenheit für den
Menschen, aus der er in eine Welt ewiger Seligkeit oder in eine Welt ewigen
Elends voranschreite, je nachdem die allgemeine oder überwiegende Bilanz seiner
Taten gut oder böse ist. Oder je nachdem er einen bestimmten Glauben, eine Art
der Gottesverehrung oder einen göttlichen Mittler annehme oder zurückweise. Oder
auch entsprechend der willkürlichen vorherbestimmenden Laune seines Schöpfers.
Das ist aber die überirdische Theorie des Lebens in ihrer am wenigsten
rationalen Form eines fragwürdigen Glaubens oder
Dogmas. Nehmen wir zum Ausgangspunkt jene Vorstellung, die Seele sei bei der
physischen Geburt erschaffen worden, so könnten wir dennoch annehmen, der Rest
ihres Daseins müsse nach einem natürlichen Gesetz, das allen gemeinsam wäre, in
einem Jenseits, auf einer überirdischen Ebene verbracht werden, sobald die Seele
ihre ursprüngliche Umhüllung abgeschüttelt hat. Das sei etwa so, wie wenn ein
Schmetterling aus seiner puppe ausschlüpft und sich auf seinen leichten farbigen
Flügeln in die Luft emporschwingt. Wir könnten es auch vorziehen, eine Existenz
der Seele vor ihrer irdischen Geburt anzunehmen, ihren Fall oder Abstieg in die
Materie und ihren Wiederaufstieg in ein himmlisches Wesen. Wenn wir aber von der
Präexistenz der Seele ausgehen, besteht kein Grund, letztere Möglichkeit als
gelegentliches spirituelles Ereignis derart auszuschließen, daß wir uns
vorstellen, ein Wesen, das zu einer anderen Ebene des Seins gehört, nehme für
irgendeinen besonderen Zweck den menschlichen Körper und seine Natur an. Das ist
wahrscheinlich nicht das universale Prinzip der Erd-Existenz, kein völlig
zureichender Grund für die Erschaffung eines materiellen Universums.
Manchmal hat man auch angenommen, dieses einzige Leben
auf der Erde sei nur eine Stufe, jedoch vollziehe sich die Entwicklung des
Wesens als Annäherung an seine ursprüngliche Herrlichkeit in einer
Aufeinanderfolge von Welten, die ebensoviele andere Stufen seines Wachstums,
Stadien seiner Reise darstellen. Das materielle Universum oder die Erde im
besonderen wären dann ein dem Menschen von einer göttlichen Macht, Weisheit oder
Laune zugeteiltes, mit aller Pracht ausgestattetes Wirkungsfeld, damit er hier
seine Rolle in diesem Zwischenspiel aufführe. Je nach dem Gesichtspunkt, den wir
für unsere Betrachtung wählen, werden wir in ihr den Ort der Qual, ein Feld für
unsere Entwicklung oder eine Szene unseres spirituellen Falls und unseres Exils
sehen. Es gibt auch eine indische Anschauung, die die Welt als einen Garten für
das göttliche lila ansieht, für das Spiel des göttlichen Wesens mit den
Bedingungen des kosmischen Daseins in dieser Welt einer niederen Natur. Die
Seele des Menschen nimmt an diesem lila eine lange Reihe von Geburten
hindurch teil, sie ist aber dazu bestimmt, zuletzt wieder auf ihre eigene Ebene
des Göttlichen Wesens emporzusteigen und sich dort der ewigen Nähe und
Gemeinschaft mit ihm zu erfreuen. Das verleiht dem schöpferischen Prozeß und dem
spirituellen Abenteuer einen gewissen rationalen
Grund, der in den anderen Darstellungen dieser Art der Seelen-Bewegung oder des
Seelen-Zyklus entweder fehlt oder nicht klar aufgezeigt wird. In all diesen
verschiedenartigen Darstellungen eines gemeinsamen Prinzips gibt es drei
charakteristische Dinge: erstens den Glauben an die individuelle Unsterblichkeit
des menschlichen Geistes; zweitens, als notwendige Folge davon, die Vorstellung
von dessen Reise auf der Erde als einem kurzfristigen Durchgang oder von einem
Abfall aus seiner höchsten ewigen Natur oder von einem jenseitigen Himmel als
seiner eigentlichen Heimat; drittens Betonung der Entwicklung des ethischen und
spirituellen Wesens als des Mittels zum Aufstieg der Seele und darum der einen
eigentlichen Aufgabe des Lebens in dieser Welt der Materie.
Das sind die drei fundamentalen Arten, das Leben zu betrachten, eine jede mit ihrer mentalen Haltung ihm gegenüber, wie man sie im Hinblick auf unser Dasein einnehmen kann. Die übrigen sind gewöhnlich Stationen auf diesem Weg oder Variationen oder Kombinationen, die sich freier der Kompliziertheit des Problems anzupassen versuchen. Ist es doch für den Menschen, als Rasse genommen, praktisch unmöglich, sein Leben, was auch immer einzelne Individuen mit Erfolg tun mögen, ständig oder einzig und allein nach einem Leitmotiv aus einer dieser drei Haltungen zu führen und dabei den Anspruch der anderen an seine Natur auszuschließen. Sein Weg, mit den verschiedenen Impulsen seines komplexen Wesens und mit den Intuitionen seines Mentals, die um Zustimmung an ihn appellieren, führt zu einer verworrenen Verbindung von zweien oder mehreren von ihnen, zum Konflikt oder einer Aufteilung seiner Lebens-Motive zwischen diesen oder aber zum Versuch einer Synthese. Normalerweise widmen fast alle Menschen den größeren Teil ihrer Energie dem Leben auf Erden, den irdischen Bedürfnissen, Interessen, Sehnsüchten, den Idealen des Individuums und der Menschheit. Das ist unausweichlich so. Denn die Sorge um den Leib, um ausreichende Entwicklung und Befriedigung des vitalen und mentalen Wesens des Menschen, das Verfolgen hoher individueller und kollektiver Ideale, die von der Vorstellung ausgehen, durch seine normale Entwicklung könne der Mensch die Vollkommenheit erlangen oder ihr näher kommen, sind uns allein schon durch den Charakter unseres irdischen Wesens auferlegt. Sie sind Teil seines Gesetzes, seines natürlichen Impulses, seiner Ordnung und seiner Wachstumsbedingungen. Ohne diese Dinge könnte der Mensch nicht sein volles Menschsein erreichen.
Jede Anschauung über
unser Wesen, die sie vernachlässigt, ungebührlich herabsetzt oder intolerant
verdammt, ist allein schon durch diese Tatsache ungeeignet, eine allgemeine oder
vollständige menschliche Lebensordnung zu sein, mag sie für einzelne Träger
eines bestimmten Temperaments oder einer gewissen Stufe spiritueller Entwicklung
auch eine Wahrheit, einen Wert oder einen Nutzen enthalten oder geeignet sein.
Die Natur ist sorgfältig darauf bedacht, daß die menschliche Rasse ihre
Absichten nicht vernachlässigt, die ein notwendiger Teil ihrer Entwicklung sind;
denn sie gehören zur Methode und den Stufen des göttlichen Plans mit uns, und
unser Wachsein für die ersten Stufen und die Erhaltung ihrer mentalen und
materiellen Grundlage ist ein dringendes Anliegen der Natur, das sie nicht in
den Hintergrund drängen läßt, weil diese Dinge zum Fundament und zur Struktur
ihres Aufbaus gehören.
Die Natur hat aber auch ein Empfinden dafür in uns
eingepflanzt, daß es in der Zusammensetzung unserer Anlagen etwas gibt, das über
diese erste irdische Natur des Menschseins hinausgeht. Aus diesem Grund kann
auch die Menschheit eine Anschauung vom Seienden nicht zulassen oder auf längere
Zeit hinaus befolgen, die dieses höhere und feinere Empfinden unbeachtet läßt
und sich müht, uns ausschließlich auf eine rein erdgebundene Lebensart zu
beschränken. Die Intuition von einem Jenseits, die Idee und das Gefühl für eine
Seele und einen Geist in uns, die etwas anderes sind als Mental, Leben und
Körper oder größer als diese und nicht beschränkt durch ihre Ausgestaltung,
kommt wieder zu uns und nimmt schließlich von uns Besitz. Der gewöhnliche Mensch
befriedigt dieses Empfinden leicht genug, indem er ihm seine außergewöhnlichen
Stunden widmet oder den späteren Teil seines Lebens, wenn das Alter schon das
Ungestüm seiner irdischen Natur abgestumpft hat oder er Jenes als etwas
anerkennt, das hinter oder über seinem normalen Wirken liegt, auf das er nun
mehr oder minder unvollkommen sein natürliches Wesen hinlenken kann. Der
außergewöhnliche Mensch wendet sich dem Überirdischen als dem einzigen Ziel und
Gesetz des Lebens zu und schwächt seine irdischen Seiten ab oder läßt sie soweit
wie möglich absterben in der Hoffnung, so seine himmlische Natur zu entfalten.
Es hat Epochen gegeben, in denen diese überirdische Anschauung die Menschheit
stark ergriff und es ein Schwanken zwischen einer unvollkommenen menschlichen
Lebensweise gab, die ihre umfassende natürliche Ausweitung nicht stark genug leisten kann, und einem kranken asketischen Sehnen nach dem
himmlischen Leben, das in nicht mehr als nur einigen wenigen Menschen seine
beste, reine und glückliche Entfaltung finden kann. Das ist ein Zeichen dafür,
daß im Wesen des Menschen ein falscher Konflikt ausgebrochen ist, indem man
einen Maßstab oder eine Norm aufgestellt hat, die das Gesetz der evolutionären
Begabung mißachtet, oder indem etwas überbetont wird, was den versöhnenden
Ausgleich verfehlt, der in der göttlichen Veranlagung unserer Natur stets
vorhanden sein muß. Schließlich sollen wir aber in dem Maß, wie sich unser
mentales Leben vertieft und ein feineres Erkennen entwickelt, offener werden für
die Wahrnehmung, daß das Irdische und das Überirdische nicht die einzigen
Grundbegriffe des Seienden sind. Es gibt etwas, das überkosmisch und der
höchste, ferne Ursprung unseres Daseins ist. Durch spirituellen Enthusiasmus,
durch die Höhe und Glut der Sehnsucht der Seele, durch den philosophischen
Höhenflug oder die strikt logische Intoleranz unseres Intellekts, durch das
ungestüme Drängen unseres Willens oder die krankhafte Abscheu in unserem vitalen
Wesen, das durch die Schwierigkeit des Lebens entmutigt oder durch dessen
Ergebnisse enttäuscht ist, – durch einige oder alle diese Motivkräfte wird diese
Wahrnehmung aber leicht mit dem Empfinden verbunden, daß alles andere als jenes
entfernte Höchste völlig eitel sei: Das menschliche Leben erscheint als eitel,
das kosmische Dasein ist unwirklich, die Erde ist voller bitterer Häßlichkeit
und Grausamkeit, auch der Himmel kann keinen Ausgleich bieten, die Wiederholung
der Geburten im Körper ist etwas Sinnloses. Mit solchen Vorstellungen kann der
gewöhnliche Mensch nicht wirklich leben. Sie können ihn höchstens mit
Unzufriedenheit dem grauen und ruhelosen Leben gegenüber erfüllen, in dem er
doch immer weiterleben muß. Der außergewöhnliche Mensch gibt dagegen alles hin,
um der Wahrheit zu folgen, die er geschaut hat. Für ihn können jene Dinge nur
die notwendige Nahrung für seinen spirituellen Impuls oder ein Antrieb sein,
allein das zu erreichen, was für ihn nun das einzige ist, auf das es ankommt. Es
hat Zeiten und Länder gegeben, in denen diese Betrachtung des Seienden sehr
mächtig war. Ein beträchtlicher Teil der Menschheit hat sich dem abseitigen
Leben des Asketen zugekehrt – nicht immer mit wirklicher Berufung dazu. Die
übrigen hingen weiter dem normalen Leben an, wenn auch mit der zugrundeliegenden
Überzeugung von dessen Unwirklichkeit. Wird aber eine solche Überzeugung zu oft
wiederholt und zu nachdrücklich eingeprägt, kann das zu einer
Entnervung des Lebens-Impulses und zu einer wachsenden Verminderung
seiner Antriebe führen. Oder es kann durch subtile Reaktion darauf und weil wir
im gewöhnlichen engen Leben aufgehen, dazu kommen, daß unsere natürliche
Reaktion auf die umfassendere Freude des Göttlichen Wesens am kosmischen Dasein
versagt und wir zu dem großen fortschrittlichen menschlichen Idealismus unfähig
werden, durch den wir zur kollektiven Selbst-Entwicklung und zur edlen
Begeisterung für Kampf und Arbeit angespornt werden. Auch hier zeigt sich
wieder, daß die Aussage über die Suprakosmische Wirklichkeit ungenügend ist.
Vielleicht ist ihre Darstellung zu überbetont, vielleicht handelt es sich auch
um eine irrige Gegenüberstellung. Oder es fehlt die göttliche Ausgeglichenheit,
das allumfassende Empfinden für die Schöpfung und den ganzen Willen des
Schöpfers.
Wir können diesen Ausgleich nur finden, wenn wir Sinn
und Tragweite unserer komplexen menschlichen Natur an ihrem rechten Platz in der
kosmischen Bewegung erkennen. Notwendig ist, jedem Teil unseres kombinierten
Wesens und unserem vielseitigen Streben seinen vollen legitimen Wert zu geben
und den Schlüssel für ihre Einung wie zum Verständnis ihrer Verschiedenheit zu
finden. Dieses Finden muß in Form einer Synthese oder Einbeziehung geschehen. Da
aber eindeutig Entwicklung das Gesetz der menschlichen Seele ist, wird es sehr
wahrscheinlich durch eine evolutionäre Synthese vollzogen. Eine Synthese dieser
Art wurde in der alten Kultur Indiens versucht. Sie erkannte vier legitime
Motive für das menschliche Leben an: die vitalen Interessen und Bedürfnisse des
Menschen, sein Begehren, sein ethisches und religiöses Streben, sein höchstes
spirituelles Ziel und seine Bestimmung. Mit anderen Worten, es wurden anerkannt
die Ansprüche seines vitalen, physischen und emotionalen Wesens; die Ansprüche
seines ethischen und religiösen Wesens, die von einer Erkenntnis des Gesetzes
Gottes, der Natur und des Menschen regiert wurden; und die Ansprüche seines
spirituellen Sehnens nach einem Jenseitigen, für dessen Befriedigung er eine
letzte Befreiung vom unwissenden weltlichen Dasein suchte. Diese Synthese sah
vor: eine Periode der Erziehung und Vorbereitung, die auf diese Auffassung vom
Leben gegründet ist; eine Periode normalen Lebens, um die menschlichen Wünsche
und Interessen unter der mäßigenden Lenkung durch die ethische und religiöse
Seite in uns zu befriedigen; eine Periode, in der sich der Mensch aus dem Leben
zurückzieht und spirituell vorbereitet; und eine letzte Periode des Verzichts auf das Leben, also eine Befreiung empor in den Geist. Offensichtlich
würde diese vorgeschriebene Norm, diese Festlegung der Kurve unseres Lebenswegs,
wenn sie als universales Gesetz angewandt wird, an der Tatsache vorbeiführen,
daß unmöglich alle Menschen in einer einzigen kurzen Lebenszeit den ganzen Kreis
einer solchen Entwicklung durchlaufen können. So wurde sie durch die Theorie
modifiziert, daß die vollständige Entwicklung erst durch eine lange
Aufeinanderfolge von Wiedergeburten vollzogen wird, bevor man für eine
spirituelle Befreiung reif sein kann. Diese Synthese hat durch ihre spirituelle
Einsicht, die umfassende Weite ihrer Anschauung, ihre Symmetrie und
Vollständigkeit viel dazu beigetragen, daß das menschliche Leben reicher getönt
wurde. Schließlich ist sie aber zusammengebrochen. Sie mußte einer Übertreibung
des Impulses zur Lebens-Verneinung weichen, was die Symmetrie des Systems
zerstörte und es in zwei Bewegungen des Lebens zerteilte, die in Gegensatz
zueinander standen: das normale Leben der Interessen und Wünsche, das ethisch
und religiös gefärbt war, und das abnorme oder übernormale innere Leben, das
sich auf die Entsagung gründet. Die alte Synthese trug in der Tat in sich selbst
den Keim zu dieser Übertreibung und mußte darum zerfallen. Denn wenn wir das
Entkommen aus dem Leben als unser begehrenswertes Ziel ansehen, wenn wir es
unterlassen, eine höhere Lebens-Erfüllung anzubieten, und wenn das Leben in sich
selbst keine göttliche Bedeutung enthält, muß schließlich die Ungeduld des
menschlichen Intellekts und Willens zu einem Kurzschluß hintreiben, damit man
von möglichst vielen der mühevolleren und verzögernden Prozesse des Lebens
befreit wird. Wenn das Leben das nicht tun kann oder unfähig ist, den
Abkürzungsweg zu gehen, wird es dem Ich und seinen Befriedigungen überlassen. Es
hat aber dann nichts Höheres, was hier erreicht werden kann. So wird es
gespalten in das spirituelle und in das weltliche Leben. Dabei kann es nur einen
abrupten Übergang aber keine Harmonie oder Versöhnung dieser Seiten unserer
Natur geben.
Die Verknüpfung, die wir für die Versöhnung zwischen
Leben und Geist benötigen, ist eine spirituelle Evolution, die Entfaltung des
Wesens hier in unserem Innern von einer Geburt zur anderen. Ihr zentrales
Instrument ist der Mensch. Das menschliche Leben stellt in seiner höchsten
Entwicklung den Wendepunkt dar. Denn sie erlaubt uns, daß wir die gesamte Natur
des Menschen berücksichtigen und den legitimen Platz dessen anerkennen, was in
dreifacher Weise seine Anziehung auf ihn ausübt:
die Erde, der Himmel und die Höchste Wirklichkeit. Zu einer vollständigen
Auflösung der Gegensätze des Lebens können wir aber nur auf der Grundlage
gelangen, daß das niedere Bewußtsein von Mental, Leben und Körper zu seiner
vollen Bedeutung erst dann kommen kann, wenn es zu einer höheren Frequenz
gebracht, neu formuliert und transformiert wird durch das Licht, die Macht und
Freude des höheren spirituellen Bewußtseins, während das höhere erst dann in
seiner vollen rechten Beziehung zu dem niederen steht, wenn es dieses nicht
zurückweist, sondern empornimmt, seine Macht auf es ausübt, seine unerfüllten
Werte zu sich aufhebt und das niedere Wesen neu statuiert und transformiert,
also dadurch, daß die mentale, vitale und physische Natur spiritualisiert und
supramentalisiert wird. Das irdische Ideal, das im modernen Bewußtsein so
mächtig ist, hat den Menschen, sein Leben auf Erden und die kollektive Hoffnung
der Menschheit zu einer hervorragenden Stellung emporgehoben und ein
nachdrückliches Verlangen nach einer Lösung geschaffen. Das ist das Gute, das es
vollbracht hat. Durch seine Übertreibung und seine Ausschließlichkeit schränkte
es aber den Gesichtskreis des Menschen ungebührlich ein. Es ließ unbeachtet, was
in ihm das Höchste und letzten Endes das Umfassende ist. Durch diese Begrenzung
vermochte es nicht, sein eigenes Ziel voll zu erreichen. Wäre das Mental das
Höchste im Menschen und in der Natur, würde es sicher nicht zu dieser
Enttäuschung gekommen sein. Zwar gäbe es dennoch diese Begrenzung des Horizonts,
nur eine enge Möglichkeit und einen fest umrissenen Ausblick. Ist aber das
Mental nur eine partielle Entfaltung des Bewußtseins und gibt es Mächte jenseits
davon, zu denen die Natur im Menschengeschlecht fähig ist, dann hängt nicht nur
unsere Hoffnung für die Erde, geschweige denn für das, was jenseits davon ist,
von dessen Entwicklung ab, sondern diese wird zum einzig richtigen Weg unserer
Evolution.
Mental und Leben selbst können erst dann zu ihrer Fülle
heranwachsen, wenn sich in ihnen das umfassendere und höhere Bewußtsein öffnet,
dem das Mental nur nahekommt. Solch ein umfassenderes und höheres Bewußtsein ist
das spirituelle. Denn das Spirituelle ist nicht nur höher als die übrigen
Bewußtseins-Frequenzen sondern auch umfassender. Da es sowohl universal wie
transzendent ist, kann es Mental und Leben in sein Licht emporheben und ihnen
die wahre und äußerste Realisation all dessen verleihen, nach dem sie suchen.
Denn es besitzt ein größeres Instrumental an
Wissen, eine Quelle größerer Macht und stärkeren Willens, eine unbegrenzte
Reichweite und Intensität von Liebe, Freude und Schönheit. Das sind die Dinge,
nach denen Mental, Leben und Körper suchen, nach Wissen, Macht und Freude. Das
zurückzuweisen, wodurch sie alle zu ihrer höchsten Erfüllung gelangen, heißt,
sie von ihrer eigenen höchsten Vollendung auszuschließen. Eine entgegengesetzte
Übertreibung, die nur die farblose Reinheit spirituellen Seins verlangt, macht
das schöpferische Wirken des Geistes zunichte und schließt von uns all das aus,
was die Gottheit in ihrem Wesen manifestiert. Es läßt nur Raum für eine
Evolution ohne Sinn und Erfüllung, denn ein Ausmerzen von allem, was entwickelt
worden ist, erscheint hier als die einzige und höchste Errungenschaft. Das
verwandelt den Prozeß unseres Wesens in die sinnlose Kurve eines Absturzes in
die Unwissenheit und Rückkehr aus dieser. Oder es erschafft ein Rad kosmischen
Werdens mit nur einem einzigen Ziel, der Flucht aus ihm. Die Vermittlungsstufe,
das überirdische Streben, schneidet die Erfüllung des Wesens nach oben hin
dadurch ab, daß das Wesen nicht bis zur höchsten Realisation des Einsseins
gelangen kann, und sie mindert es nach unten hin, indem sie ihm nicht die
eigentliche Fülle der Empfindung seines Daseins im materiellen Universum und die
Annahme seines Lebens in einem irdischen Leib gestattet. Eine weite Beziehung
von Einheit, Einbeziehung, stellt das Gleichgewicht wieder her, erleuchtet die
volle Wahrheit des Wesens und verbindet die Stufen der Natur miteinander.
In dieser Integration steht die kosmische Wirklichkeit
da als die höchste Wahrheit des Seienden. Sie zu realisieren, ist die äußerste
Höhe, die unser Bewußtsein erreichen kann. Aber diese höchste Wirklichkeit ist
ebenso das kosmische Wesen, das kosmische Bewußtsein, der kosmische Wille und
das kosmische Leben. Sie hat diese Dinge hervorgebracht, jedoch nicht außerhalb
ihrer selbst sondern innerhalb ihres eigenen Wesens, nicht als ein
entgegengesetztes Prinzip sondern als ihre eigene Selbst-Entfaltung und als
ihren Selbst-Ausdruck. Das kosmische Wesen ist keine sinnlose Laune, keine
Phantasie, kein Zufalls-Irrtum. In ihm gibt es eine göttliche Bedeutung und
Wahrheit: Der vielfältige Selbst-Ausdruck des Geistes ist das Ziel unseres
irdischen Daseins. Wir können es nur dann erreichen, wenn wir der höchsten
Wirklichkeit bewußt geworden sind. Denn nur, wenn das Absolute uns anrührt,
können wir zu unserem eigenen Absoluten gelangen. Das kann aber auch nicht dadurch getan werden, daß wir die kosmische
Wirklichkeit ausschließen: Wir müssen universal werden, denn das Individuum
bleibt unvollkommen, wenn es sich nicht in die Universalität hinein öffnet. Wenn
sich das Individuum vom AM trennt, um das Höchste zu erlangen, verliert es sich
selbst in den höchsten Höhen. Wenn der Mensch das kosmische Bewußtsein in sich
einbezieht, gewinnt er die volle Ganzheit seines Selbsts und hält doch an seinem
höchsten Gewinn von Transzendenz fest. Er erfüllt es und sich selbst in der
kosmischen Fülle. Eine realisierte Einheit des Transzendenten, des Universalen
und des Individuellen ist die unentbehrliche Vorbedingung für die Fülle des sich
selbst zum Ausdruck bringenden Geistes. Denn das Universum ist das Feld der
Totalität seines Selbst-Ausdrucks, während seine evolutionäre Selbst-Entfaltung
durch das Individuum hier ihren Höhepunkt erreicht. Das setzt aber nicht nur
voraus, daß das Individuum ein wirkliches Wesen ist, sondern auch die
Offenbarung unseres geheimen ewigen Einsseins mit dem Höchsten und mit dem
gesamten kosmischen Dasein. In der Selbst-Integration muß die Seele des
einzelnen Menschen zu Universalität und Transzendenz erwachen.
Das überirdische Sein ist ebenfalls eine Wahrheit des
Wesens, denn die materielle Ebene ist nicht die einzige unseres Daseins. Es gibt
andere Ebenen des Bewußtseins, zu denen wir gelangen können. Diese haben bereits
ihre verborgenen Verbindungen mit uns. Wenn wir nicht zu den höheren Bereichen
der Seele, die uns offenstehen, emporstreben, wenn wir nicht ihre Erfahrung
machen und nicht ihr Gesetz in uns erkennen und offenbaren, bedeutet es, daß wir
vor der Höhe und Fülle unseres Wesens zurückschrecken. Doch sind Welten eines
höheren Bewußtseins nicht die einzige Szene und Heimat für die vervollkommnete
Seele. Wir können auch nicht in einer unveränderlichen Typenwelt den endgültigen
oder vollkommenen Sinn des Selbst-Ausdrucks des Geistes im Kosmos finden. Die
materielle Welt, diese Erde, dieses menschliche Leben sind ein Teil des
Selbst-Ausdrucks des Geistes; sie besitzen ihre göttliche Möglichkeit. Diese
Möglichkeit ist evolutionär und enthält in sich die Möglichkeiten aller anderen
Welten, der unverwirklichten, jedoch verwirklichbaren. Das Erdenleben ist kein
Absturz in den Schlamm von etwas Ungöttlichem, etwas Eitlem und Elendem, das
irgendeine Macht sich selbst als Schauspiel darbietet oder das für die
verkörperte Seele etwas sein soll, das sie erleiden und dann wegwerfen muß. Es
ist die Bühne, auf der sich die Evolution des Seienden vollzieht, die bis zur Offenbarung eines höchsten spirituellen Lichtes und einer
Macht, einer Freude, eines Einsseins fortschreitet, die aber auch in sich die
Vielfalt und Verschiedenheit des sein Selbst verwirklichenden Geistes enthält.
Es gibt ein alles überragendes Ziel in der irdischen Schöpfung. Ein göttlicher
Plan wirkt sich aus durch alle seine Widersprüche und Verwirrungen hindurch, die
ein Zeichen sind für die vielseitigen Erfolge, zu denen das Wachstum der Seele
und das Mühen der Natur hingeführt werden sollen.
Es ist wahr, daß die Seele zu den Welten eines höheren Bewußtseins jenseits der Erde emporkommen kann. Es ist ebenso wahr, daß die Macht dieser Welten, die Macht eines höheren Bewußtseins, sich hier zu entfalten hat. Die Verkörperung der Seele hier ist das Mittel, damit sie auch jene Verkörperung erlangen kann. Alle die höheren Mächte des Bewußtseins existieren deshalb, weil sie Mächte der Höchsten Wirklichkeit sind. Dieselbe Wahrheit liegt auch unserem irdischen Wesen zugrunde: Es ist ein Werden der Einen Wirklichkeit, das in sich jene höheren Mächte zu verkörpern hat. Seine gegenwärtige Erscheinung ist eine verhüllte und partielle Gestaltung. Begrenzen wir uns auf diese erste Gestalt, auf die gegenwärtige Formel eines unvollkommenen Menschseins, dann schließen wir unsere göttlichen Verwirklichungsmöglichkeiten aus. Wir müssen einen umfassenderen Sinn in unser menschliches Leben hineinbringen und in ihm das viel Umfassendere manifestieren, das wir insgeheim sind. Unsere Sterblichkeit ist nur im Lichte unserer Unsterblichkeit gerechtfertigt. Unsere Erde kann sich nur dann völlig erkennen und selbst ganz das sein, wenn sie sich für die Himmel öffnet. Der einzelne Mensch kann sich selbst erst richtig sehen, kann seine Welt erst richtig verwenden, wenn er in höhere Ebenen des Seienden eingetreten ist, wenn er das Licht des Höchsten geschaut hat und im Wesen und in der Macht des Göttlichen und Ewigen lebt.
Eine Integration dieser Art wäre unmöglich, wäre nicht
eine spirituelle Evolution der Sinn unserer Geburt und irdischen Existenz. Die
Evolution von Mental, Leben und Geist in der Materie ist das Zeichen dafür, daß
diese Integration, diese vollständige Offenbarung eines in ihr enthaltenen
geheimen Selbsts ihr tieferer Sinn ist. Vollständige Involution all dessen, was
der Geist ist, und evolutionäre Selbst-Entfaltung bilden den Doppelbegriff
unseres materiellen Daseins. Es gibt eine Möglichkeit, daß sich der Geist durch
eine immer mehr enthüllte lichtvolle Enwicklung des
Wesens zum Ausdruck bringt. Es gibt aber auch die Möglichkeit, daß er sich
unterschiedlich in Typen ausdrückt, die in ihrer Art festgelegt und vollkommen
sind. Das ist das Prinzip des Werdens in den höheren Welten. Sie sind in ihrem
Lebens-Prinzip geprägt, nicht evolutionär. Jeder Typus existiert in seiner
eigenen Vollkommenheit, jedoch innerhalb der Grenzen einer feststehenden
Welt-Formel. Es gibt aber auch die Möglichkeit, sich dadurch zum Ausdruck zu
bringen, daß man das Selbst findet. Diese Entfaltung nimmt die Form der
Verhüllung des Selbsts an und schreitet durch das Abenteuer der Wiedergewinnung
des Selbsts vorwärts. Das ist das Prinzip des Werdens in diesem Universum,
dessen erste Erscheinung darin besteht, daß sich das Bewußtsein involviert und
der Geist in der Materie verbirgt.
Involution des Geistes in der Unbewußtheit ist der
Anfang. Evolution in der Unwissenheit mit ihrem Spiel der Möglichkeiten einer
partiell sich entfaltenden Erkenntnis ist die Mitte. Sie ist die Ursache der
Anomalien unserer gegenwärtigen Natur. Unsere Unvollkommenheit ist das Zeichen
für einen Übergangszustand, für ein noch nicht vollendetes Wachstum, für ein
Bemühen, das seinen Weg findet. Die Gipfelhöhe dieses Wegs liegt darin, daß wir
eine Vollendung in der Entfaltung des Selbst-Wissens des Geistes und der
Selbst-Macht seines göttlichen Wesens und Bewußtseins erlangen. Das sind die
drei Stufen dieses Zyklus, in dem sich der Geist fortschreitend im Leben selbst
zum Ausdruck bringt. Die beiden Stufen, die bereits ihr Kräftespiel entfalten,
scheinen auf den ersten Blick die Möglichkeit der letzten, alles überhöhenden
Stufe des Zyklus auszuschließen. Logischerweise setzen sie aber ihr Hervortreten
voraus. Denn wenn das Unbewußte die Bewußtheit entwickelt hat, muß sich das
bereits erreichte partielle Bewußtsein gewiß in das vollständige Bewußtsein
entwickeln. Die Erd-Natur sucht nach einem vervollkommneten und vergöttlichten
Leben. Dieses Suchen ist ein Zeichen für den göttlichen Willen in der Natur. Es
gibt auch andere Formen des Suchens; auch diese finden die Mittel zu ihrer
Selbst-Erfüllung. Innerhalb der Erd-Existenz steht es der Seele frei, sich in
den erhabenen Frieden oder in die Ekstase, die Seligkeit der Göttlichen
Gegenwart, zurückzuziehen. Denn das Unendliche besitzt in seiner Manifestation
viele Möglichkeiten und ist nicht durch seine Formulierungen beschränkt. Jedoch
kann keine dieser Arten, sich zurückzuziehen, hier die fundamentale Absicht im
Werden sein. Denn dann wäre ein evolutionärer Fortschritt nicht unternommen
worden. Ein solches Vorwärtsschreiten hier kann
nur als Ziel haben, sich selbst zur Erscheinung zu bringen. Eine fortschreitende
Manifestation dieser Art kann als tieferen Sinn nur die Offenbarung des Seins in
einem vollkommenen Werden haben.