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Sri Aurobindo

Das Göttliche Leben

Buch 1

Buch 1

I. Das Streben des Menschen

II. Die beiden Verneinungen. 1.Die Ablehnung des Materialisten

III. Die beiden Verneinungen. 2.Die Zurückweisung des Asketen

IV. Allgegenwärtige Wirklichkeit

V. Die Bestimmung des Einzelnen

VI. Der Mensch im Universum

VII. Das Ich und die Dualitäten

VIII. Die Methoden vedantischer Erkenntnis

IX. Das Reine Seiende

X. Bewußte Kraft

XI. Seins-Seligkeit: Das Problem

XII. Seins-Seligkeit: Die Lösung

XIII. Die Göttliche Maya

XIV. Das Supramental als Schöpfer

XV. Das Höchste Wahrheits-Bewußtsein

XVI. Der dreifache Status des Supramentals

XVII. Die Göttliche Seele

XVIII. Mental und Supramental

XIX. Leben

XX. Tod, Begehren und Untauglichkeit

XXI. Der Aufstieg des Lebens

XXII. Das Problem des Leben

XXIII. Die doppelte Seele im Menschen

XXIV. Materie

XXV. Der Knoten der Materie

XXVI. Die aufsteigende Reihe der Substanz

XXVII. Das siebenfache Geflecht des Seienden

XXVIII. Supramental, Mental und Übermental-Maya

Buch 2

XV. Wirklichkeit und integrales Wissen

XVI. Das integrale Wissen und das Ziel des Lebens. Vier Theorien des Daseins

XVII. Der Fortschritt zum Wissen. Gott, Mensch und Natur

XVIII. Der Entwicklungsprozeß. Aufstieg und Integration

XIX. Aus der siebenfachen Unwissenheit zum siebenfachen Wissen

XX. Die Philosophie der Wiedergeburt

XXI. Die Ordnung der Welten

XXII. Wiedergeburt und andere Welten. Karma, Seele und Unsterblichkeit

XXIII. Mensch und Evolution

XXIV. Die Entwicklung des spirituellen Menschen

XXV. Die dreifache Umwandlung

XXVI. Der Aufstieg zum Supramental

XXVII. Der gnostische Mensch

XXVIII. Das Göttliche Leben

Kapitel I. Das Streben des Menschen

Usha folgt denen zum Ziel, die ins Jenseitige weitergehen. Sie ist die erste in der Folge der ewigen Morgendämmerungen, die kommen, – sie weitet sich aus, bringt das Lebendige hervor, erweckt einen Gestorbenen... Wie weit reicht sie, wenn sie Einklang schafft zwischen den Morgendämmerungen, die früher leuchteten, und denen, die jetzt scheinen müssen? Sie sehnt sich nach den Morgen der Vergangenheit und bringt ihr Licht zu vollem Glanz. Sie strahlt ihr Licht in die Zukunft und eint sich mit denen, die noch kommen sollen.

Kutsa Angirasa – Rig Veda, I.113.8.10.

Dreifach sind jene höchsten Geburten dieser göttlichen Kraft, die in der Welt ist, sie sind wahr, sie sind begehrenswert. Dort regt Er sich, weit-offenbar, im Inneren des Unendlichen, und leuchtet klar, lichtvoll, Erfüllung bringend... Was in Sterblichen unsterblich ist und im Besitz der Wahrheit, ist ein Gott, er wohnt im Innern als eine Kraft, die sich in unseren göttlichen Mächten auswirkt... Erhebe dich hoch über alles, o Stärke, zerreiße alle Schleier und offenbare in uns die Dinge der Gottheit.

Vamadeva – Rig Veda, IV.1.7., IV.2.1., IV.4.5.

Das früheste Anliegen im erwachten Denken des Menschen und, wie es scheint, sein unentrinnbares und letztes ist auch das höchste, das sein Denken sich vorstellen kann, – denn es überlebt die längsten Zeiträume des Skeptizismus und kehrt nach jeder Verbannung wieder zurück. Es offenbart sich in der Ahnung der Gottheit, im Impuls zur Vollkommenheit, im Suchen nach reiner Wahrheit und unvermischter Seligkeit, im Empfinden einer geheimen Unsterblichkeit. Die frühen Morgendämmerungen menschlicher Erkenntnis bezeugen dieses ständige Streben. Heute sehen wir, daß sich eine Menschheit anschickt, zu ihren ursprünglichen Sehnsüchten zurückzukehren, gesättigt und doch nicht befriedigt von der sieghaften Analyse des Äußeren der Natur. Die älteste Formulierung der Weisheit verspricht auch ihre letzte zu sein: Gott, Licht, Freiheit, Unsterblichkeit.

Diese unvergänglichen Ideale der Menschheit stehen andererseits in Widerspruch zu ihrer alltäglichen Erfahrung und sind die Bestätigung höherer und tieferer Erfahrungen, die für die Menschheit im allgemeinen ungewöhnlich sind und in ihrer organischen Vollständigkeit nur durch eine revolutionäre individuelle Anstrengung oder durch einen evolutionären allgemeinen Fortschritt erlangt werden können. Als die Offenbarung Gottes in der Materie und als das Ziel der Natur in ihrer irdischen Evolution wird uns verheißen: Wir sollen in einem tierhaften, vom Ego bestimmten Bewußtsein das göttliche Wesen erkennen, besitzen und sein. Wir dürfen unsere zwielichtige oder verfinsterte physische Mentalität in die Fülle supramentaler Erleuchtung verwandeln. Wir können Frieden und eine aus dem Selbst seiende Seligkeit dort erbauen, wo es jetzt nur die Spannung vergänglicher Befriedigungen gibt, die stets bedrängt werden vom physischen Schmerz und Leiden des Gemüts. Wir vermögen die Fundamente zu einer unendlichen Freiheit in der Welt zu legen, die sich uns als ein Komplex mechanischer Notwendigkeiten präsentiert. Wir sollen unsterbliches Leben in einem Leib entdecken und verwirklichen, der dem Tod und ständiger Veränderung unterworfen ist. Für den gewöhnlichen materiellen Intellekt, der seine gegenwärtige Bewußtseins-Organisation als äußerste Grenze seiner Möglichkeiten ansieht, ist der direkte Widerspruch zwischen den unverwirklichten Idealen und der verwirklichten Tatsächlichkeit ein endgültiges Argument gegen den Wert jener Ideale. Wenn wir aber die Wirkensweisen der Natur gründlicher erforschen, kommt uns diese direkte Widersprüchlichkeit eher vor als Teil der tiefsinnigen Methode der Natur und als das Siegel ihrer vollen Zustimmung.

Denn alle Probleme des Daseins sind im wesentlichen Probleme der Harmonie. Sie entstehen aus der Wahrnehmung einer unaufgelösten Disharmonie und dem unbewußten Verlangen nach einer unentdeckten Übereinstimmung oder Einheit. Die praktischen und mehr animalischen Schichten im Menschen bringen es fertig, sich mit einer unaufgelösten Disharmonie zufriedenzugeben. Das ist aber für sein voll erwachtes Mental unmöglich. Gewöhnlich gehen selbst seine praktischen Seiten der allgemeinen Notwendigkeit einer Lösung nur dadurch aus dem Wege, daß sie entweder das Problem ausklammern oder einen faulen, unerleuchteten Nützlichkeitskompromiß eingehen. Denn die gesamte Natur sucht wesenhaft nach Harmonie: das Vital und die Materie in ihrem eigenen Bereich ebenso wie das Mental durch die Ordnung seiner Wahrnehmungen. Je größer die scheinbare Unordnung der dargebotenen Materialien oder die scheinbare Verschiedenheit, selbst bis zur unvereinbaren Gegensätzlichkeit der Elemente, die verwendet werden müssen, ist, desto stärker der Ansporn zur Harmonie. Er drängt nach einer feineren und machtvolleren Ordnung, als sie normalerweise durch ein weniger schweres Bemühen zustande kommen kann. Das aktive Leben in Einklang zu bringen mit einem zu formenden Material, in dem Trägheit die Grundlage der Aktivität zu sein scheint, ist ein Problem des Entgegengesetzten, das die Natur gelöst hat und in immer umfassenderer Vielfalt zu lösen sucht. Seine vollkommene Lösung wäre die materielle Unsterblichkeit eines völlig durchorganisierten, das Mental unterstützenden Tierkörpers. Ein anderes Problem des Entgegengesetzten, bei dem die Natur erstaunliche Ergebnisse zustande gebracht hat und nach immer neuen höheren Wundern strebt, ist der Einklang zwischen bewußtem Mental und bewußtem Willen mit einer Gestalt und einem Leben, die an sich nicht offenkundig ihres Selbsts bewußt sind und bestenfalls einen mechanischen oder unterbewußten Willen aufbringen können. Ihr höchstes Wunder wäre hier das Bewußtsein eines Tierwesens, das nach der Wahrheit und dem Licht nicht mehr nur sucht, sondern beide zugleich mit der praktischen Allmacht besitzt, die aus dem Besitz eines unmittelbaren, vervollkommneten Wissens herrührt. So ist also dieser Aufwärtsdrang im Menschen nach Harmonisierung immer umfassenderer Gegensätze nicht nur an sich vernunftgemäß, sondern einzig mögliche Erfüllung eines Gesetzes und Bemühens, wie sie einer grundlegenden Methode der Natur und dem wahren Sinn ihres universalen Ringens zu entsprechen scheinen.

Wir sprechen von der Evolution des Lebens in der Materie, von der Evolution des Mentals in der Materie. Evolution ist aber ein Wort, das eigentlich nur das Phänomen feststellt, ohne es zu erklären. Denn es scheint keinen Grund zu geben, warum sich Leben aus materiellen Elementen oder Mental aus lebendigen Formen durch Evolution entfalten sollte, wenn wir nicht die vedantische Lösung annehmen, daß Leben schon in Materie und Mental schon in Leben involviert ist, weil ihrem Wesen nach Materie eine Form verhüllten Lebens und Leben eine Form verhüllten Bewußtseins ist. Dann dürfte nur wenig gegen einen weiteren Schritt in der Reihe und gegen die Zustimmung dazu eingewendet werden können, daß mentales Bewußtsein selbst nur eine Form und eine Verhüllung höherer Zustände ist, die jenseits des Mentals liegen. In diesem Fall erweist sich der unbesiegbare Drang des Menschen zu Gott, Licht, Seligkeit, Freiheit, Unsterblichkeit wohl an seinem richtigen Platz in der Kette einfach als der zwingende Impuls, durch den Natur die Evolution über das Mental hinaus sucht, und er erscheint ebenso natürlich, wahr und richtig zu sein wie der Impuls zum Leben, den sie in gewisse Formen der Materie einpflanzte, und wie der Impuls zum Mental, den sie gewissen Formen von Leben eingab. Wie dort, so existiert dieser Impuls hier mehr oder minder dunkel in ihren verschiedenen Gefäßen mit einer immer höher ansteigenden Reihe in der Macht seines Willens-zum-Sein. Wie dort, so entwickelt er sich hier in Stufen und muß die notwendigen Organe und Fähigkeiten voll zur Entfaltung bringen. So wie der Impuls zum Mental von den empfindsameren Reaktionen des Lebens in Metall und Pflanze bis zu seiner vollen Organisation im Menschen emporreicht, so gibt es auch im Menschen die gleiche emporsteigende Reihe, die Vorbereitung, wenn nicht noch mehr, eines höheren göttlichen Lebens. Das Tier ist ein lebendiges Laboratorium, in dem die Natur sozusagen den Menschen erarbeitet hat. Der Mensch mag sehr wohl ein denkendes, lebendiges Laboratorium sein, in dem sie mit seiner bewußten Mitwirkung den Über-Menschen, den Gott erarbeiten will. Oder sollten wir nicht besser sagen: Gott offenbaren will? Denn wenn die Evolution die fortschreitende Offenbarung seitens der Natur von dem ist, was in ihr schlief oder involviert in ihr wirkte, ist die Natur auch die offenbare Realisation von dem, was sie insgeheim ist. Wir dürfen sie also nicht auf einer gewissen Stufe ihrer Evolution bitten, innezuhalten, und wir haben auch nicht das Recht, mit den Vertretern der Religion als verkehrt und anmaßend oder, mit den Vertretern des Rationalismus, als Krankheit oder Halluzination ihre etwaige Absicht oder ihr Bemühen zu verurteilen, über die jetzige Stufe hinauszugehen. Wenn es wahr ist, daß Geist in Materie involviert und sichtbare Natur insgeheim Gott ist, dann ist es für den Menschen auf Erden das erhabenste und legitime Ziel, in sich selbst das Göttliche zu offenbaren und Gott im Innern und nach außen hin zu verwirklichen.

So rechtfertigt sich vor der überlegenden Vernunft wie vor dem drängenden Instinkt oder der Intuition der Menschheit das ewige Paradoxon und die ewige Wahrheit eines göttlichen Lebens in einem Tierkörper, der einem sterblichen Gehäuse innewohnenden unsterblichen Sehnsucht oder Wirklichkeit eines sich in begrenzten Mentalwesen und getrennten Ichs repräsentierenden einzigen und universalen Bewußtseins, eines transzendenten, unbegrenzbaren, zeitlosen und raumlosen Wesens, das allein Zeit, Raum und Kosmos möglich und in diesen allen die höhere Wahrheit durch den niedrigeren Begriff realisierbar macht. Man hat manchmal den Versuch unternommen, Fragen, die schon so oft vom logischen Denken für unlösbar erklärt wurden, endgültig loszuwerden und die Menschen zu überreden, ihre mentale Betätigung auf die praktischen unmittelbaren Probleme ihrer materiellen Existenz im Universum zu beschränken. Solche Fluchtversuche hatten aber nie dauerhafte Wirkung. Die Menschheit kehrt von ihnen mit nur noch heftigerem Drang zum Forschen und noch stärkerem Hunger nach unmittelbarer Lösung zurück. Aus diesem Hunger zieht der Mystizismus seinen Nutzen, und neue Religionen entstehen, um die alten zu ersetzen, die man zerstörte oder ihrer Bedeutung beraubte durch einen Skeptizismus, der selbst nicht befriedigte, da das Forschen zwar sein Beruf, er aber nie willens war, gründlich genug zu ermitteln. Eine Wahrheit ableugnen oder ersticken zu wollen, weil sie in ihrem äußeren Wirken noch unerleuchtet ist und nur zu oft durch finsteren Aberglauben oder eine rohe Glaubensform dargestellt wird, ist selbst eine Art von Obskurantismus. Schließlich erweist sich, daß der Wille, sich einer kosmischen Notwendigkeit deshalb zu entziehen, weil es mühevoll und schwierig ist, sie durch leicht greifbare Ergebnisse zu rechtfertigen, und weil es lange dauert, ihre Abläufe unter Kontrolle zu bringen, keine Anerkennung der Wahrheit der Natur, sondern eine Revolte gegen den geheimen mächtigeren Willen der Großen Mutter ist. Es ist besser und vernünftiger, wir nehmen das, was sie uns als Menschheit zu verwerfen verbietet, an und erheben es aus dem Bereich blinden Instinkts, unerleuchteter Intuition und ziellosen Strebens empor in das Licht der Vernunft und in einen aufgeklärten und bewußt vom Selbst gelenkten Willen. Wenn es dann ein höheres Licht erleuchteter Intuition oder sich selbst enthüllender Wahrheit gibt, die jetzt im Menschen blockiert oder unwirksam ist oder nur zeitweise wie durch einen Schleier aufblitzt oder nur gelegentlich aufleuchtet wie das Nordlicht an unserem materiellen Himmel, auch dann sollen wir uns nicht fürchten, weiter zu streben. Denn wahrscheinlich wird das der nächsthöhere Zustand eines Bewußtseins sein, demgegenüber das Mental nur eine Vorform und Verschleierung darstellt. Der Pfad unserer fortschreitenden Selbst-Ausweitung in jenen höchsten Zustand, der am Ende der Ruheplatz der Menschheit ist, mag durch die Herrlichkeiten dieses Lichtes hindurchführen

Kapitel II. Die beiden Verneinungen. 1. Die Ablehnung des Materialisten

Er verlieh der Bewußtseinskraft Nachdruck, (in der strengen Disziplin des Denkens) und kam zu der Erkenntnis, daß Materie das brahman ist. Denn aus Materie werden alle Wesen geboren. Nach der Geburt wachsen sie durch Materie und gehen wieder in Materie ein, wenn sie von hinnen scheiden. Dann ging er zu Varuna, seinem Vater, und sprach: “Herr, belehre mich über das brahman.” Der aber antwortete ihm: “Konzentriere in dir (erneut) die Bewußtseinskraft; denn die Kraft ist brahman”.

Taittiriya Upanishad III, 1,2.

Die Behauptung, es gebe ein göttliches Leben auf Erden und ein Erfühlen der Unsterblichkeit im sterblichen Dasein, kann nur dann eine feste Grundlage haben, wenn wir nicht allein ewigen Geist als den Bewohner dieser körperlichen Behausung und Träger dieses veränderlichen Gewandes anerkennen, sondern auch Materie, aus der der Körper gemacht ist, als ein geeignetes und edles Material annehmen, aus dem Er ständig Seine Gewänder webt und immer neu die unendliche Reihe Seiner Wohnungen erbaut.

Das genügt jedoch nicht, uns davon abzuhalten, daß wir vor dem Leben im Körper zurückschrecken, es sei denn, wir nehmen mit den Upanishaden hinter den Erscheinungen die Identität im Wesentlichen dieser beiden extremen Begriffe des Daseins wahr und können darum in der Sprache jener alten Schriften sagen: “Auch Materie ist brahman.” So erst geben wir dem kraftvollen Bild seine volle Bedeutung, womit das physische Universum als der äußere Leib des Göttlichen Wesens beschrieben wird. Diese Identifikation überzeugt jedoch den rationalen Intellekt durchaus nicht – so weit sind offensichtlich diese beiden extremen Begriffe voneinander getrennt –, wenn wir nicht eine Reihe von Begriffen in aufsteigender Folge zwischen Geist und Materie anerkennen wollen: Leben, Mental, Supramental und die Stufen, die Mental und Supramental verbinden. Sonst müssen die beiden als unversöhnbare Gegner erscheinen, die durch eine unglückliche Ehe aneinander gebunden sind, deren Scheidung die einzig vernünftige Lösung wäre. Identifiziert man beide und stellt jeden in den Begriffen des anderen dar, dann wird daraus ein künstliches Gebilde des Denkens, das der Logik der Tatsachen widerspricht und nur durch irrationalen Mystizismus möglich ist.

Bejahen wir nur einerseits reinen Geist und andererseits mechanische, nicht intelligente Substanz oder Energie und nennen wir das eine Gott oder Seele und das andere Natur, dann wird es unvermeidlich sein, daß wir schließlich entweder Gott verleugnen oder uns von der Natur abkehren. Sowohl für das Denken als auch für das Leben wird also eine Entscheidung zwingend. Denken kommt entweder zur Verleugnung des einen als einer Illusion der Phantasie oder des anderen als einer Illusion der Sinne. Leben klammert sich fest an das Immaterielle und flieht in Abscheu oder selbstvergessener Ekstase vor sich selber, oder es verleugnet seine eigene Unsterblichkeit, orientiert sich nicht mehr an Gott, sondern am Tier. Dann haben purusha und prakriti, die passiv-lichtvolle Seele der Sankhyas und deren mechanisch-aktive Energie nichts miteinander gemein, nicht einmal ihre entgegengesetzten Seins-Zustände trägen Beharrens. Ihre Antinomien können nur dadurch aufgelöst werden, daß die von Trägheit angetriebene Aktivität sich in die unbewegliche Ruhe auflöst, auf die sie die bedeutungslose Aufeinanderfolge ihrer Bilder in wirkungsloser Weise projiziert hatte. Shankaras weltfreies, inaktives Selbst und seine maya der vielen Namen und Formen sind in gleicher Weise unvereinbare, unversöhnbare Einheiten. Ihr starrer Widerstreit kann nur dadurch aufhören, daß sich die vielfältige Illusion in die alleinige Wahrheit ewigen Schweigens auflöst.

Der Materialist hat es leichter. Wenn er den Geist leugnet, kann er zu einer eher überzeugenden einfachen Behauptung gelangen, zu einem wirklichen Monismus der Materie oder auch der Kraft. Er kann aber nicht auf die Dauer bei dieser einseitigen Behauptung bleiben. Auch er muß schließlich ein Unerkennbares als unbeweglich beharrend annehmen, fern dem bekannten Universum, den passiven purusha oder den schweigenden atman. Das dient aber nur dem Zweck, durch vage Konzession die unerbittlichen Forderungen des Denkens beiseite zu schieben, oder als Entschuldigung für die Weigerung, die Grenzen des Forschens weiter auszudehnen.

Darum kann sich das menschliche Mental mit diesen unfruchtbaren Widersprüchen nicht zufriedengeben. Es muß immer weiter nach vollständiger Bejahung suchen. Sie kann es nur durch erleuchtete Aussöhnung der Gegensätze finden. Um diese Aussöhnung zu erreichen, muß es durch alle Stufen gehen, die uns unser inneres Bewußtsein auferlegt, und dabei entweder durch die objektive Methode der Analyse, angewandt auf das Leben und das Mental wie bisher auf die Materie, oder durch subjektive Synthese und Erleuchtung zu dem Ruhepunkt der höchsten Einheit gelangen, ohne dabei der Energie ihren Ausdruck in der Vielfalt zu verbieten. All die vielförmigen und scheinbar einander widersprechenden Gegebenheiten des Daseins können allein in solch vollständiger und allumfassender Bejahung harmonisiert werden. Nur so können die zahlreichen, einander bekämpfenden Kräfte, die unser Denken und Leben beherrschen, die zentrale Wahrheit entdecken, die sie hier symbolisieren und verschiedenartig zur Erfüllung bringen. Nur so kann unser Denken, das eine wahre Mitte erlangt hat, aufhören, die Dinge zu umkreisen. Es kann nun so wirken wie das brahman der Upanishaden: tief gegründet und standfest in seinem Kräftespiel und weltweitem Herumschweifen. Unser Leben kennt nun sein Ziel und kann ihm ebenso mit heiterer unwandelbarer Freude und Erleuchtung wie mit rhythmisch wechselnder Kraft dienen.

Ist dieser Rhythmus aber einmal gestört, dann ist es für den Menschen nötig und dienlich, jeden dieser beiden großen Gegensätze gesondert in seiner extremen Behauptung nachzuprüfen. Es ist die natürliche Art des Mentals, dann mit vollkommener Klarheit zu der Bejahung, die es verloren hatte, zurückzukehren. Es mag unterwegs den Versuch machen, auf den dazwischenliegenden Stufen anzuhalten und alle Dinge auf die Begriffe von ursprünglicher Lebens-Energie oder von Sinnesempfindung oder von Ideen zurückzuführen. Solche ausschließenden Lösungen haben aber immer den Charakter von etwas Unwirklichem. Sie mögen eine Zeitlang die logische Vernunft zufrieden stellen, die nur mit reinen Ideen umgeht. Sie können aber nicht den Sinn des Mentals für Aktualität befriedigen. Denn dieses weiß, daß hinter ihm etwas steht, das nicht die Idee ist. Andererseits weiß es auch, daß etwas in seinem Inneren ist, das mehr ist als der vitale Atem. Sowohl Geist wie Materie können es eine Zeitlang meinen lassen, sie seien die absolute Wirklichkeit. Keines der dazwischenliegenden Prinzipien kann das tun. Darum muß das Mental zuerst zu den beiden Extremen gehen, bevor es sich wieder erfolgreich dem Ganzen zuwenden kann. Dem Intellekt steht ein Sinnenapparat zur Verfügung, der seiner Eigenart gemäß nur Teile des Daseins deutlich und klar wahrnehmen kann und sich einer Sprache bedienen muß, die nur dann deutlich wird, wenn sie sorgfältig trennt und abgrenzt. Hat er diese Vielfalt elementarer Prinzipien vor sich, so wird er bei seinem Suchen nach der Einheit dazu getrieben, alles rücksichtslos auf die Begriffe eines einzigen Prinzips zurückzuführen. Um dieses durchzusetzen, versucht er praktisch, die anderen auszuschließen. Will aber der Intellekt ohne diesen Prozeß des Ausschaltens den wahren Ursprung der Identität erkennen, muß er entweder den Sprung über sich selbst hinaus wagen oder den Kreis ganz durchlaufen, um am Ende zu finden, daß sich alles in gleicher Weise auf Jenes zurückführen läßt, das über jede Definition und Beschreibung erhaben und doch nicht nur wirklich, sondern auch erreichbar ist. Auf welchem Weg wir auch gehen mögen, Jenes ist immer das Ziel, zu dem wir gelangen, und wir können es nur verfehlen, wenn wir uns weigern, die Reise zu vollenden.

Darum ist es verheißungsvoll, daß wir heute nach vielen Experimenten und verbalen Lösungen wieder den beiden Extremen gegenüberstehen, die allein so lange Zeit die strengsten Nachprüfungen durch die Erfahrung ausgehalten haben und am Ende der Erfahrung beide zu einem Ergebnis kamen, dem das universale Grundgefühl in der Menschheit, dieser verhüllte Richter, Hüter und Vertreter des universalen Geistes der Wahrheit, die Anerkennung als richtig oder befriedigend verweigert. In Europa und in Indien haben sich in gleicher Weise die Ablehnung des Materialisten und die Entsagung des Asketen als die einzige Wahrheit zu behaupten und das Verständnis des Lebens zu beherrschen gesucht. Wenn das Ergebnis in Indien ein reiches Anhäufen der Schätze des Geistes, oder doch mancher von ihnen, gewesen ist, so führte es auf der anderen Seite zu einem folgenschweren Bankrott des Lebens. In Europa hat dagegen die Fülle an Reichtümern und die triumphale Beherrschung der Mächte und Schätze dieser Welt fortschreitend zu einem gleichen Bankrott in den Dingen des Geistes geführt. Der Intellekt, der die Lösung aller Probleme in dem einen Begriff der Materie suchte, fand keine Befriedigung in der erhaltenen Antwort. Darum wird die Zeit reif -und dahin bewegt sich auch die Tendenz der Welt – für eine neue umfassende Bejahung im Denken, in der inneren und äußeren Erfahrung und für die ihr entsprechende neue, reiche Selbst-Erfüllung in einem vollständigen Menschsein für den Einzelnen wie für die Menschheit.

Aus dem Unterschied in den Beziehungen des Geistes und der Materie zu dem Unerkennbaren, das sie beide repräsentieren, ergibt sich auch ein Unterschied der Wirksamkeit in den materiellen und den spirituellen Verneinungen. Die Ablehnung des Materialisten ist zwar nachdrücklicher und unmittelbar erfolgreicher, sie spricht auch die Masse der Menschheit viel leichter an. Sie ist aber von geringerer Dauer und letztlich weniger wirkungsstark als die verzehrende, gefährliche Entsagung des Asketen. Denn sie trägt ihre eigene Überwindung in sich. Ihr stärkstes Element ist der Agnostizismus, der das Unerkennbare hinter aller Manifestation zugibt, aber die Grenzen des Unerkennbaren soweit ausdehnt, daß es alles umfaßt, was noch unbekannt ist. Seine Voraussetzung ist, daß die physischen Sinne unser einziges Erkenntnismittel sind und darum die Vernunft, selbst bei weitesten und kühnsten Höhenflügen, dem Bereich der Sinne nicht entkommen kann. Sie muß sich immer und ausschließlich mit den Tatsachen auseinandersetzen, die jene ihr liefern oder nahelegen. Und selbst diese Anregungen müssen stets fest an ihren Ursprung gebunden bleiben. Wir können nicht über sie hinausgehen und können sie nicht als Brücke verwenden, die uns in einen Bereich führt, in dem machtvollere und weniger begrenzte Fähigkeiten eine Rolle spielen und eine andere Forschungsmethode angewandt werden muß.

Eine so willkürliche Voraussetzung spricht sich ihr eigenes Urteil der Unzulänglichkeit. Man kann sie nur aufrechterhalten, wenn man den ganzen weiten Bereich von Evidenz und Erfahrung, der ihr widerspricht, unbeachtet läßt oder wegerklärt, wenn man edle und nützliche Eigenschaften bestreitet oder herabsetzt, die in allen menschlichen Wesen bewußt, verborgen oder zumindest latent vorhanden sind, und sich weigert, supra-physische Phänomene zu erforschen, wenn sie nicht in Beziehung zur Materie und ihren Bewegungen hervortreten und als untergeordnete Wirkung materieller Kräfte aufgefaßt werden können. Sobald wir die Wirkungsweisen von Mental und Supramental zu untersuchen beginnen und dabei jenes Vorurteil fallen lassen, das in ihnen von Anfang an nur einen der Materie untergeordneten Begriff sehen will, kommen wir mit einer Masse von Phänomenen in Berührung, die dem starren Zugriff und einengenden Dogmatismus der materialistischen Formel völlig entgehen. In dem Augenblick, wo wir anerkennen – was uns unsere sich immer mehr ausweitende Erfahrung anzuerkennen zwingt –, daß es im Universum erkennbare Wirklichkeiten außerhalb der Reichweite der 22 - Sinne gibt und daß im Menschen Mächte und Fähigkeiten vorhanden sind, die viel eher die materiellen Organe bestimmen, durch die sie sich in Berührung mit der Welt der Sinne, mit dieser äußeren Schale unseres wahren vollständigen Daseins, halten, als daß sie durch diese bestimmt werden – verschwindet die Prämisse des materialistischen Agnostizismus. Nun sind wir für eine umfassende Darstellung und eine sich immer weiter entwickelnde Erforschung der Tatsachen bereit.

Zuerst sollten wir aber den außerordentlichen, unentbehrlichen Nutzen anerkennen, den wir der kurzen Periode des rationalistischen Materialismus, durch die die Menschheit hindurchgegangen ist, verdanken. Denn man kann jenes weite Gebiet von Tatsachen und Erfahrungen, dessen Tore sich jetzt wieder vor uns zu öffnen beginnen, nur dann mit Sicherheit betreten, wenn der Intellekt streng zu einer klaren, nüchternen Disziplin trainiert worden ist. Wenn sich das Mental unreifer Menschen dieses Gebietes bemächtigt, führt das zu gefährlichen Entstellungen und irreführenden Phantastereien. Tatsächlich hat das in der Vergangenheit einen wirklichen Wahrheitskern mit einer solchen Kruste entstellenden Aberglaubens und vernunftwidriger Dogmen überzogen, daß dadurch jeder Fortschritt zu wahrer Erkenntnis unmöglich wurde. Da war es zu einer gewissen Zeit nötig, reine Bahn zu schaffen und dabei die Wahrheit zusammen mit ihrer irreführenden Entstellung hinauszufegen, damit der Weg für einen neuen Anfang und ein gesicherteres Fortschreiten frei werde. Die rationalistische Tendenz des Materialismus hat der Menschheit diesen großen Dienst erwiesen.

Die die Sinne transzendierenden Befähigungen wurden, durch die Tatsache, daß sie in die Materie verstrickt, in einen physischen Körper entsandt sind, um dort zu wirken, und unter ein Joch gespannt sind, um den einen Wagen zusammen mit den Sehnsüchten des Gefühlslebens und den Impulsen der Nerven zu ziehen, einem vermischten Wirken ausgesetzt, wobei sie in Gefahr stehen, eher eine Verwirrung zu erleuchten, als die Wahrheit aufzuhellen. Dieses vermischte Tätigsein ist besonders dann gefährlich, wenn Menschen mit ungeläutertem Mental und unreinen Empfindungen sich in die höheren Bereiche spiritueller Erfahrung zu erheben versuchen. Wie oft verlieren sie sich durch diese voreiligen und überstürzten Abenteuer in Bereiche ungreifbarer Wolkengebilde, halberhellten Nebels und einer Finsternis, von Blitzen zerrissen, die mehr blenden als leuchten. Das Abenteuer war auf dem Weg, auf dem die Natur ihren Fortschritt zu bewirken beliebt – und sie amüsiert sich ja auch bei ihrem Wirken, – gewiß notwendig, für die Vernunft war es aber doch überstürzt und voreilig.

Darum ist es unerläßlich, daß sich die vorwärtsschreitende Erkenntnis auf einen klaren, reinen und disziplinierten Intellekt gründet. Ebenso nötig ist auch, daß sie von Zeit zu Zeit ihre Irrtümer durch die Beschränkung auf die sinnlich wahrnehmbare Tatsache korrigiert und zu den konkreten Wirklichkeiten der physischen Welt zurückkehrt. Dem Sohn der Erde erbringt, selbst wenn er nach supraphysischem Wissen sucht, die Berührung mit der Erde stets eine Erneuerung seiner Kraft. Man kann sogar sagen, daß wir das Supraphysische nur dann in seiner ganzen Fülle meistern – zu seinen Höhen können wir immer emporstreben wenn wir unsere Füße fest auf dem irdischen Grund behalten. “Die Erde ist seiner Füße Stand,” sagt die Upanishad, wenn immer sie das Selbst betrachtet, das sich im Universum manifestiert (Mundaka Upanishad, II. 1. 4. und Brihadaranyaka Upanishad, I. 1. 1.). Es steht sicherlich fest: Je weiter wir unsere Erkenntnis der physischen Welt ausdehnen und je gesicherter wir sie machen, desto breiter und tragfähiger wird auch die Fundierung der höheren Erkenntnis, selbst für das höchste Wissen, selbst für brahmavidya.

Wenn wir also aus der materialistischen Periode menschlicher Erkenntnis auftauchen, müssen wir uns davor hüten, vorschnell das zu verurteilen, was wir hinter uns lassen, oder auch nur ein Tüttelchen ihrer Errungenschaften wegzuwerfen, bevor wir über Wahrnehmungen und Mächte verfügen können, die klar verstanden und gesichert genug sind, um sie zu ersetzen. Vielmehr sollen wir das, was der Atheismus für das Göttliche tat, mit Achtung betrachten und die Dienste bewundern, die jener Agnostizismus vorbereitend für die grenzenlose Vermehrung des Wissens leistete. In unserer Welt ist Irrtum ständig Diener und Pfadfinder von Wahrheit. Denn Irrtum ist in Wirklichkeit halbe Wahrheit, deren Fehler nur in ihrer Begrenztheit liegt. Oft ist er Wahrheit, die sich vermummt, um unbeachtet ihrem Ziel nahezukommen. Es wäre gut, er könnte immer das sein, was er in dem großen Zeitabschnitt war, den wir nun verlassen; der treue Diener, streng, gewissenhaft, mit reinen Motiven, innerhalb seiner Grenzen erleuchtet, zwar nur halbe Wahrheit, aber nicht rücksichtslose, anmaßende Verirrung.

Ein gewisser Agnostizismus ist die endgültige Wahrheit jeder Erkenntnis. Denn wenn wir an das Ende jeglichen Pfades gelangen, erscheint uns das Universum nur als ein Symbol, als äußere Erscheinung einer unerkennbaren Wirklichkeit, die sich hier in verschiedenen Systemen von Werten zum Ausdruck bringt: physischen, vitalen und sinnlichen, sowie intellektuellen, idealen und spirituellen Werten. Je mehr Jenes für uns zur Wirklichkeit wird, desto mehr wird erkannt, daß es stets jenseits des definierenden Denkens und des formulierenden Ausdrucks steht. “Dorthin reicht nicht das Mental und auch nicht die Sprache” (Kena Upanishad, I. 3.). Dennoch kann man, wie von Seiten der Illusionisten, die Unwirklichkeit der Erscheinung ebenso wie die Nichterkennbarkeit des Unerkennbaren übertreiben. Wenn wir von Ihm als dem Unerkennbaren sprechen, meinen wir in Wirklichkeit, daß Es sich dem Zugriff unseres Denkens und unserer Sprache entzieht, dieser Instrumente, die stets mit dem Sinn der Unterscheidung vorgehen und mit der Methode der Definition darstellen. Ist Es aber auch nicht durch das Denken erkennbar, so ist Es doch durch eine höchste Bemühung von Bewußtsein erreichbar. Es gibt überdies eine Art Erkenntnis, die mit Identität eins ist und durch die Es in gewissem Sinn erkannt werden kann. Gewiß kann eine solche Erkenntnis nicht zutreffend in den Begriffen von Denken und Sprache ausgedrückt werden. Wenn wir sie aber erlangt haben, ergibt sich daraus eine Neubewertung von Jenem in den Symbolen unseres kosmischen Bewußtseins, und zwar nicht nur in einem einzigen, sondern in allen Symbolbereichen. Das führt zu einer Umwandlung unseres inneren Wesens und, durch die innere Umwandlung, zu einer Verwandlung unseres äußeren Lebens. Außerdem gibt es eine Art des Erkennens, durch die Jenes sich mittels all dieser Namen und Gestaltungen des phänomenalen Daseins offenbart, die Es vor der gewöhnlichen Intelligenz verbergen. Zu diesem höheren (wenn auch noch nicht höchsten) Verfahren des Erkennens können wir gelangen, wenn wir die Grenzlinien der materialistischen Formel überschreiten und Leben, Mental und Supramental in den Phänomenen untersuchen, die für sie charakteristisch sind, und nicht mehr nur in jenen untergeordneten Abläufen, durch die sie sich mit der Materie verknüpfen.

Das Unbekannte ist nicht das Unerkennbare. (“Anders ist Jenes als das Erkannte; es steht auch über dem Unerkannten”, Kena Upanishad, I. 3.). Es braucht für uns nicht das Unerkannte zu bleiben, wenn wir nicht Unwissenheit vorziehen oder in unseren anfänglichen Begrenzungen stecken bleiben wollen. Denn allen Dingen, die nicht unerkennbar sind, also allen Dingen im Universum, entsprechen in diesem Universum Eigenschaften, die sie zur Kenntnis nehmen können. Im Menschen, dem Mikrokosmos, sind diese Fähigkeiten stets existent und auf einer bestimmten Stufe entwicklungsfähig. Wir können vorziehen, sie nicht zu entfalten. Wo sie nur teilweise entwickelt sind, können wir sie anhalten und ihnen eine Art Unterernährung auferlegen. Grundsätzlich ist alles, was erkennbar ist, auch der Erkenntnis des Menschen zugänglich. Da nun im Menschen dieser unveräußerliche Drang der Natur zu seiner Selbst-Verwirklichung liegt, kann sich auch kein Kampf des Intellekts für immer durchsetzen, das Wirken unserer Fähigkeiten auf einen begrenzten Bereich einzuschränken. Wenn wir die Materie erforscht und ihre verborgenen Eigenschaften als wirklich erkannt haben, muß dieselbe Erkenntnis, die sich in jener zeitweiligen Begrenzung als nützlich erwiesen hatte, uns nun (wie die Treiber im Veda) zurufen: “Vorwärts, drängt nun weiter auch in andere Gefilde!”, Rig Veda, I. 4. 5.).

Wäre der moderne Materialismus nur ein nicht-intelligentes Sich-zufriedengeben im materiellen Leben, dann wäre der Fortschritt auf unbestimmte Zeit verzögert. Da aber seine wahre Seele das Suchen nach der Erkenntnis ist, kann er diesem unmöglich selbst ein Halt zurufen. Wenn er die Schranken der Sinneserkenntnis und der Vernunftschlüsse aus der Sinneserkenntnis erreicht hat, wird sein eigener Schwung ihn darüber hinwegtragen. Die Schnelligkeit und Sicherheit, mit der er das sichtbare Universum erfaßt hat, ist nur ein Unterpfand für die Energie und den Erfolg, die wir bei der Eroberung dessen, was jenseits der Sinnenwelt existiert, wiederholt zu sehen hoffen, wenn einmal der Schritt über die Schranke hinweg getan ist. Wir sehen dieses Vordringen jetzt schon in seinen verborgenen Anfängen.

Erkenntnis hat, auf welchem Pfad man auch nach ihr strebt, die Tendenz, nicht nur in dem einen letzten Begriff, sondern auch auf der großen Linie ihrer allgemeinen Ergebnisse eins zu werden. Hierfür kann nichts auffallender und überzeugender sein als der Umfang, bis zu dem die moderne Naturwissenschaft auf dem Gebiet der Materie die Auffassungen und sogar die Formeln der Sprache bestätigt, zu denen man mit einer ganz anderen Methode im Vedanta gekommen ist, und zwar im ursprünglichen Vedanta der Upanishaden, nicht dem der verschiedenen Schulen metaphysischer Philosophie. Diese offenbaren andererseits ihre volle Bedeutung und ihre reicheren Inhalte erst, wenn man sie in dem neuen Licht betrachtet, das durch die Entdeckungen der modernen Naturwissenschaften auf sie geworfen wird. Das gilt beispielsweise für jenen vedantischen Ausdruck, der die Dinge im Kosmos als eine einzige Saat beschreibt, die von der universalen Energie in vielfachen Formen entfaltet worden ist (Svetasvatara Upanishad, VI. 12.). Bedeutungsvoll ist besonders die Tendenz der Naturwissenschaften zu einem Monismus, der sich mit der Vielfalt verträgt, also zur Idee des Veda von dem einen wesenhaften Sein mit seinen vielfachen Werdeformen. Selbst wenn man auf der dualistischen Erscheinung von Materie und Kraft besteht, widerspricht das doch nicht diesem Monismus. Denn es wird offenkundig, daß Materie ihrem Wesen nach etwas für die Sinne nicht Existentes, sondern nur, wie das pradhana der Sankhya-Philosophen, eine begriffliche Form der Substanz ist. Tatsächlich hat man immer schneller den Punkt erreicht, an dem nur noch eine willkürliche Unterscheidung im Denken die Form der Substanz von der Form der Energie trennt.

Schließlich ist Materie Ausdruck der Formulierung einer unbekannten Kraft. Auch das Leben, dieses noch nicht ausgelotete Mysterium, offenbart sich als eine geheime Energie von Empfindungsfähigkeit, die in ihre materielle Formulierung eingesperrt ist. Ist die trennende Unwissenheit überwunden, die uns eine Kluft zwischen Leben und Materie empfinden läßt, können wir nur schwer annehmen, Mental, Leben und Materie seien etwas anderes als eine einzige in einer dreifachen Formel ausgedrückte Energie, die dreifache Welt der vedischen Seher. Dann wird sich auch die Auffassung von einer rohen materiellen Kraft als Mutter des Mentals nicht mehr halten lassen. Die Energie, die die Welt erschafft, kann nichts anderes sein als ein Wille, und Wille ist Bewußtsein, das sich in den Dienst eines Wirkens und eines Resultats stellt.

Was sollte dieses Werk und dieses Ergebnis anderes sein als eine Selbst-Involution von Bewußtsein in die Form und eine Selbst-Evolution aus der Form, um so die mächtige Möglichkeit im Universum, das es geschaffen hat, zu aktualisieren? Was ist der Wille im Menschen anderes als ein Wille zu unendlichem Leben, zu unbegrenztem Wissen und zu ungefesselter Macht? Selbst die Naturwissenschaft träumt heute von einem physischen Sieg über den Tod, sie drückt einen unersättlichen Durst nach Wissen aus und schafft irgendwie an einer irdischen Allmacht für die Menschheit. Raum und Zeit ziehen sich durch ihr Wirken fast bis zum Nullpunkt zusammen. Sie versucht auf hundert Wegen, den Menschen zum Herrn über die Umstände zu machen und ihm so die Fesseln der Kausalität zu erleichtern. Die Vorstellung von einer Begrenzung, von einem “unmöglich” wird immer verschwommener. Statt dessen sieht es so aus, als ob der Mensch das, was er beharrlich will, schließlich auch zu tun fähig sein muß. Denn das Bewußtsein in der Menschheit findet am Ende immer die Mittel dazu. Diese Allmacht drückt sich aber nicht im einzelnen Menschen aus, sondern der kollektive Wille der Menschheit bewirkt das und verwendet das Individuum als Werkzeug. Schauen wir aber noch tiefer, dann ist das nicht ein bewußter Wille des Kollektivs, vielmehr eine überbewußte Macht, die das Individuum als Zentrum und Mittel und das Kollektiv als Grundbedingung und Feld verwendet. Was ist dieser Wille aber anderes als der Gott im Menschen, die unendliche Identität, die vielfältige Einheit, der Allwissende, der Allmächtige? Den Menschen hat Er zu Seinem Ebenbild erschaffen und ihm das Ich als Zentrum des Wirkens gegeben. Und Er erschuf die Menschheit, den kollektiven narayana,1 um darin den Menschen zu prägen und zu begrenzen. Nun sucht Er in den universalen Menschen, visvamanava, irgendein Ebenbild von Einheit, Allwissenheit und Allmacht zum Ausdruck zu bringen, in denen das Göttliche Wesen sich selbst versteht. “Was unsterblich in den Menschen lebt, das ist ein Gott. Er wohnt in ihrem Inneren als eine Kraft, die sich in unseren göttlichen Kräften auswirkt” (Rig Veda, IV. 2. 1.). Diesem ungeheuren kosmischen Impuls dient die moderne Welt, ohne daß sie ihr Ziel recht erkennt, mit all ihren Aktivitäten, und sie bemüht sich unbewußt um dessen Erfüllung.

Doch gibt es stets Begrenzung und Behinderung, Begrenzung in der Er-Kenntnis durch den materiellen Bereich, und Behinderung in der Macht durch den materiellen Mechanismus. Aber auch hier ist die neueste Bestrebung bedeutungsvoll für eine freiere Zukunft. So wie die Außenposten der wissenschaftlichen Erkenntnis immer mehr an die Grenzen hinausgeschoben werden, die das Materielle vom Immateriellen scheiden, so suchen die höchsten Errungenschaften der praktischen Naturwissenschaft die technischen Mittel, mit denen man die höchsten Wirkungen erzielt, immer mehr zu vereinfachen und bis auf den Nullpunkt zu reduzieren. Drahtlose Telegraphie ist äußeres Zeichen der Natur und Hinweis auf eine neue Orientierung. Das sinnenfällige physische Mittel für die unmittelbare Übertragung der physischen Kraft ist beseitigt. Es wird nur noch an den Punkten der Sendung und des Empfangs beibehalten. Schließlich müssen auch diese noch verschwinden. Denn wenn man die Gesetze und Kräfte des Supraphysischen vom richtigen Ausgangspunkt her studiert, wird man unfehlbar für das Mental Mittel und Wege finden, die physische Energie unmittelbar zu erfassen und genau auf ihrem Weg zum Ziel zu beschleunigen. Wenn wir das einmal erkennen, stehen uns die Tore für ungeheure Ausblicke in die Zukunft offen. Selbst wenn wir das volle Wissen und die vollständige Kontrolle über die Welten unmittelbar oberhalb der Materie hätten, wäre auch dort noch eine Grenze und noch ein Jenseits davon. Der letzte Knoten unserer Gebundenheit befindet sich an jenem Punkt, an dem das Äußere in die Einung mit dem Inneren übergeht. Dort wird der Mechanismus des Ichs selbst bis zum Nullpunkt verfeinert. Das Gesetz für unser Handeln ist letztlich Einheit, die Vielfalt umfaßt und in sich selbst besitzt. Da ist nicht mehr wie jetzt Vielfalt, die um Gestaltung der Einheit ringt. Hier ist der zentrale Thron des kosmischen Wissens, von wo es sein ausgedehntes Reich überschaut. Hier ist das Reich unseres Selbsts eins mit dem Reich unserer Welt: svarajya und samrajya, das doppelte Ziel, das sich der Yoga der Alten gesetzt hatte. Hier ist das Leben in dem ewig erhabenen Wesen: salokya-mukti, Befreiung durch das Dasein in einer einzigen Welt des Seienden zusammen mit dem Göttlichen Wesen. Hier ist die Verwirklichung Seiner Göttlichen Natur in unserem menschlichen Dasein: sadharmya-mukti, die Befreiung durch die Annahme der Göttlichen Natur.

Kapitel III. Die beiden Verneinungen. 2. Die Zurückweisung des Asketen

All dies ist das brahman; dieses Selbst ist das brahman, und das Selbst ist vierfältig. (Es ist) jenseits von Beziehung, gestaltlos, undenkbar, in ihm ist alles still.

Mandukya Upanishad, Verse 2,7.

Es gibt doch noch ein Jenseits davon.

Denn auf der anderen Seite des kosmischen Bewußtseins gibt es, für uns unerreichbar, ein noch mehr transzendentes Bewußtsein – nicht nur transzendent zum Ich, sondern auch zum Kosmos selbst demgegenüber das Universum wie ein winziges Bild vor einem unermeßlichen Hintergrund dazustehen scheint. Jenes trägt und erhält die universale Aktivität – oder duldet sie vielleicht nur. Es umfaßt das Leben mit Seiner ungeheuren Weite, – oder lehnt es vielleicht von Seiner Unendlichkeit her ab.

Der Materialist ist zwar von seinem Gesichtspunkt her gerechtfertigt, wenn er darauf besteht, die Materie sei die Wirklichkeit, die relative Welt das einzige, dessen wir einigermaßen gewiß sein könnten, das Jenseits etwas völlig Unerkennbares, wenn nicht gar Nicht-Seiendes, ein Traum des Mentals, eine Abstraktion des Denkens, das sich von der Wirklichkeit geschieden hat. Andererseits ist auch der in das Jenseits verliebte Sannyasin von seinem Gesichtspunkt aus gerechtfertigt, wenn er darauf besteht, der reine Geist sei die Wirklichkeit, das einzige, das frei ist von Wechsel, Geburt und Tod, das Relative sei nur eine Schöpfung des Mentals und der Sinne, ein Traum, eine Abstraktion im umgekehrten Sinn einer Mentalität, die sich vom reinen und ewigen Wissen zurückziehe.

Gibt es eine Rechtfertigung durch Logik und Erfahrung, die zur Stütze für das eine Extrem vorgebracht werden kann, der man nicht auch eine ebenso zwingende Logik und eine in gleicher Weise gültige Erfahrung vom anderen Ende her entgegenstellen könnte? Die Welt der Materie wird durch die Erfahrung der physischen Sinne bestätigt, und da diese als solche nicht fähig sind, etwas Nichtmaterielles oder nicht als grobe Materie Organisiertes wahrzunehmen, möchten sie uns davon überzeugen, das Übersinnliche sei das Unwirkliche. Dieser primitive simple Irrtum unserer körperlichen Organe gewinnt dadurch nicht an Gültigkeit, daß er in das Gebiet des philosophischen Vernunftdenkens erhoben wird. Seine anmaßende Behauptung ist offensichtlich unbegründet. Selbst in der Welt der Materie existiert manches, das die physischen Sinne zu erkennen unfähig sind. Dennoch gründet sich dieses Leugnen des Übersinnlichen, es sei notwendigerweise eine Illusion oder Halluzination, auf die dauernde, sinnenhafte Gleichsetzung des Wirklichen mit dem materiell Wahrnehmbaren, was doch selbst eine Halluzination ist. Da es durchweg das, was es zu beweisen sucht, schon voraussetzt, kommt es zu einem Zirkelschluß und kann darum keinen Wert für ein unparteiisches Vernunftdenken beanspruchen.

Nicht nur gibt es physische Wirklichkeiten von übersinnlicher Art, sondern auch – wenn Evidenz und Erfahrung überhaupt eine Probe auf die Wahrheit bieten – Sinne, die supraphysisch sind, die nicht nur die Wirklichkeiten der materiellen Welt ohne die Hilfe der körperlichen Sinnesorgane erkennen, sondern uns auch in Berührung mit anderen supraphysischen Wirklichkeiten bringen können, die einer anderen Welt angehören, – sozusagen eingeschlossen in eine Organisation bewußter Erfahrungen, die von einem anderen Prinzip abhängen als dem der groben Materie, aus dem unsere Sonnen und Erden gebildet zu sein scheinen (suksma indriya, subtile Organe, die im subtilen Körper, suksma deha, existieren und Mittel des subtilen Sehens und Erfahrens sind, suksma drsti).

Diese Wahrheit, durch Erfahrung und Glauben der Menschheit seit den Ursprüngen des Denkens dauernd behauptet, wird jetzt, da der Zwang zu einer ausschließlichen besonderen Beschäftigung mit den Geheimnissen der materiellen Welt nicht länger besteht, immer mehr durch neu entdeckte Formen wissenschaftlicher Forschung gerechtfertigt. Den immer zahlreicheren Beweisen, von denen nur die offensichtlichsten, äußerlichsten unter dem Namen Telepathie und verwandten Erscheinungen bekannt sind, kann nur die mentale Haltung solcher Menschen widersprechen, die noch im brillanten Gehäuse der Vergangenheit eingeschlossen sind, deren Intellekt trotz seiner Schärfe durch die Begrenzung auf das Feld ihrer Erfahrung und Forschung beschränkt ist oder die die Aufklärung und Vernunft mit der gutgläubigen Wiederholung von Formeln verwechseln, die, von einem verflossenen Jahrhundert uns vererbt, nun eifersüchtig als tote oder sterbende Dogmen konserviert werden.

Gewiß ist der Einblick in supraphysische Wirklichkeiten, der durch methodische Forschung erworben wird, noch unvollkommen und ungenügend bestätigt, denn die dabei verwendeten Methoden sind noch primitiv und fehlerhaft. Jedoch hat man diese wiederentdeckten subtilen Sinne schließlich als vertrauenswürdige Zeugen physischer Tatsachen erkannt, die jenseits der Reichweite körperlicher Organe liegen. Es ist also unberechtigt, sie falsche Zeugen zu schelten, wenn sie supraphysische Tatsachen jenseits des Bereiches der materiellen Bewußtseinsorganisation bezeugen. Ihr Zeugnis muß wie jede Evidenz, also auch die der physischen Sinne selbst, kontrolliert, erforscht und durch die Vernunft geordnet werden. Man muß es richtig auswerten, in die richtigen Beziehungen setzen, seinen Geltungsbereich, seine Gesetze und Verfahrensweisen genau bestimmen. Die Wahrheit großer Erfahrungsbereiche, deren Objekte in einer subtileren Substanz existieren und durch subtilere Instrumente als durch die der groben physischen Materie wahrgenommen werden, beansprucht letztlich dieselbe Geltung wie die Wahrheit des materiellen Universums. Die jenseitigen Welten existieren: Sie haben ihren universalen Rhythmus, ihre erhabenen Linien und Gestaltungen, ihre aus sich seienden Gesetze, mächtigen Energien und die ihnen entsprechenden lichtvollen Erkenntnismittel. Sie üben auf unsere hiesige physische Existenz und in unserem physischen Körper ihren Einfluß aus. Hier organisieren sie auch die Mittel für ihre Manifestation und entsenden hierher ihre beauftragten Boten und Zeugen. Die Welten sind jedoch nur Rahmen für unsere Erfahrung, die Sinne nur Instrumente der Erfahrung und Ausdrucksmittel. Die große zugrunde liegende Tatsache ist das Bewußtsein. An es, den universalen Beobachter und Zeugen, für den die Welt ein Feld und die Sinne Instrumente sind, appellieren die Welten und ihre Gegenstände zur Bestätigung ihrer Wirklichkeit, der einen oder der vielen Welten, der physischen ebenso wie der supraphysischen Welt; denn wir haben keinen anderen Beweis dafür, daß sie existieren. Man hat eingewendet, das sei keine der Konstitution der Menschheit und ihrer Betrachtung einer objektiven Welt eigentümliche Beziehung, sondern gerade die wahre Natur des Daseins an sich. Denn alles phänomenale Dasein bestehe aus einem beobachtenden Bewußtsein und einer aktiven Objektivität, und die Aktion könne nicht ohne den beobachtenden Zeugen vor sich gehen, weil das Universum nur im Bewußtsein und für das Bewußtsein existiere, das beobachtet, und unabhängig davon keine Wirklichkeit besitze. In Erwiderung darauf hat man dann behauptet, das materielle Universum erfreue sich einer ewigen Existenz aus sich selbst: Es war schon hier, bevor Leben und Mental in Erscheinung traten, es wird überleben, wenn sie wieder verschwunden sind und den ewigen unbewußten Rhythmus der Sonnen nicht mehr mit ihrem vergänglichen Ringen und ihren beschränkten Gedanken stören. Der Unterschied zwischen diesen Auffassungen, nur scheinbar ein metaphysischer, ist praktisch von größter Bedeutung, er bestimmt die gesamte Anschauung des Menschen vom Leben, vom Ziel, dem er all sein Bemühen weiht, und vom Feld, auf das er seine Energien konzentrieren soll. Er stellt die Frage nach der Wirklichkeit des kosmischen Daseins und, was noch wichtiger ist, nach dem Wert des menschlichen Lebens.

Verfolgen wir den materialistischen Schluß konsequent genug, ergibt sich daraus die Bedeutungslosigkeit und Unwirklichkeit des Lebens des Einzelnen und der Menschheit. Logischerweise läßt uns das nur folgende Wahl: Der Einzelne muß mit fieberhaftem Bemühen aus seinem vergänglichen Dasein alles, was er kann, an sich reißen, um, wie man sagt, “sein Leben auszuleben”. Oder er muß der Menschheit und dem Einzelnen leidenschaftslos und absichtslos dienen, wobei er gut weiß, daß der Einzelne nur eine vorübergehende Fiktion des nervlichen Mentals und die Menschheit nur die ein wenig länger lebende kollektive Form desselben regulären nervlichen Spasmas der Materie ist. Dann arbeiten oder genießen wir unter dem Zwang einer materiellen Energie, die uns mit dem kurzen Wahn des Lebens betrügt oder mit der edleren Täuschung irreleitet, es gebe ein sittliches Ziel und höchste mentale Erfüllung. Materialismus wie spiritueller Monismus gelangen zu einer maya, die ist und doch auch nicht ist: Sie ist, denn sie ist gegenwärtig und zwingend, und sie ist nicht, denn sie ist nur eine Erscheinung und in ihren Wirkungen vorübergehend. Wenn wir vom anderen Ende her zu viel Nachdruck auf die Unwirklichkeit der objektiven Welt legen, gelangen wir auf anderem Weg zu ähnlichen, sogar noch einschneidenderen Schlüssen: zum fiktiven Charakter des individuellen Ichs, zur Unwirklichkeit und Zwecklosigkeit des menschlichen Daseins, zur Rückkehr in das Nichtsein oder in das beziehungslose Absolute, der einzig vernünftigen Flucht aus dem sinnlosen Wirrwarr des Lebens in einer Scheinwelt.

Aber diese Frage kann eben nicht durch logisches Argumentieren aufgrund der Gegebenheiten unseres gewöhnlichen physischen Daseins gelöst werden. Denn in diesen Gegebenheiten gibt es immer eine Lücke der Erfahrung, die keine Auseinandersetzung zu einem Schluß kommen läßt. Normalerweise haben wir weder die definitive Erfahrung eines kosmischen Mentals oder eines Supramentals, die nicht an das Leben des individuellen Körpers gebunden wäre, noch besitzen wir eine feste Erfahrungsgrenze, die uns zu der Vermutung berechtigen könnte, unser subjektives Selbst sei wirklich von dem physischen Rahmen abhängig und könne diesen weder überleben noch sich über den individuellen Körper hinaus ausweiten. Dieser uralte Streit kann nur entschieden werden durch Ausweitung unseres Bewußtseins oder durch unverhofftes Wachsen unserer Erkenntnis-Instrumente.

Um befriedigend zu sein, muß die Ausweitung unseres Bewußtseins notwendigerweise eine innere Ausdehnung der individuellen zur kosmischen Existenz sein. Denn wenn der beobachtende Zeuge existiert, ist er nicht das individuelle verkörperte Mental, das in die Welt hineingeboren ist, sondern jenes kosmische Bewußtsein, das das Universum umfängt und zugleich als immanente Intelligenz in all dessen Wirken erscheint. Beide Welten werden ewig und wirklich von Ihm erhalten als Sein eigenes aktives Dasein, oder sie werden aus ihm geboren und verschwinden wieder in es durch einen Akt von Wissen oder einen Akt bewußter Macht. Nicht das organisierte Mental ist der beobachtende Zeuge des kosmischen Daseins und sein Herr, sondern Jenes, das still und ewig gleichmäßig in der lebendigen Erde und dem lebenden menschlichen Körper west, für das Mental und Sinne entbehrliche Instrumente sind.

Nach und nach wird in der modernen Psychologie die Möglichkeit eines kosmischen Bewußtseins in der Menschheit ebenso wie die Möglichkeit elastischer Werkzeuge der Erkenntnis zugegeben, wenn sie auch, obwohl ihnen Wert und Macht zugestanden wird, noch als Halluzination eingestuft werden. In der Psychologie des Ostens wurde das kosmische Bewußtsein immer als Wirklichkeit und Ziel unserer weiteren subjektiven Entfaltung anerkannt. Das Wesentliche für den Übergang zu diesem Ziel ist, daß wir die uns durch den Ich-Sinn aufgezwungenen Schranken durchschreiten, am Wissen aus dem Selbst zumindest teilnehmen und, als höchstes Ziel, uns mit ihm, das insgeheim in allem Leben und in dem, was uns als unbelebt erscheint, west, identifizieren.

Wenn wir in jenes Bewußtsein eingehen, können wir, ebenso wie Es, weiter im universalen Dasein verweilen. Dann beginnen alle unsere Begriffe des Bewußtseins und auch unsere sinnenhafte Erfahrung, sich zu verwandeln, und wir werden dessen gewahr, daß die Materie ein einziges Sein ist. Die Körper sind seine Gestaltungen, in die sich das einzige Sein, das auch in allen anderen Körpern ist, von sich selbst physisch absondert, obwohl es wiederum durch physische Mittel eine Kommunikation zwischen diesen zahllosen Punkten seines Wesens herstellt. Ähnlich erfahren wir Mental und Leben als das gleiche Sein, eins in seiner Vielfalt, sich trennend und sich auf jedem Gebiet wieder durch die jener Bewegung angemessenen Mittel vereinend. Wenn wir wollen, können wir so weitergehen und nach zahlreichen verbindenden Stufen eines Supramentals innewerden, dessen universale Wirksamkeit der Schlüssel für alle untergeordneten Aktivitäten ist. Dabei werden wir dieses kosmischen Seins nicht nur bewußt, sondern zugleich in ihm bewußt. Wir empfangen es in unserem Empfinden, und wir treten in einem Innewerden in es ein. Wir leben nun in ihm, wie wir vorher im Ich-Sinn gelebt haben: aktiv, immer mehr in Verbindung, ja, geeint mit Mental, Leben und Körpern, die anders sind als der Organismus, den wir den unseren nennen, und dadurch Wirkungen auf unser moralisches und mentales Wesen und auf das subjektive Wesen anderer Menschen hervorrufen ebenso wie auf die physische Welt und ihre Ereignisse durch Mittel, die der göttlichen Begabung näher liegen als jene, die unserer ichhaften zur Verfügung stehen.

Das kosmische Bewußtsein ist also für den Menschen, der mit ihm in Kontakt gekommen ist oder in ihm lebt, etwas Wirkliches, und zwar von größerer Wirklichkeit, als es die physische ist. Es ist wirklich an sich, in seinen Auswirkungen und Werken. Ist es so für die Welt, die sein eigener totaler Ausdruck ist, etwas Wirkliches, so ist auch die Welt für es wirklich. Sie ist es jedoch nicht als ein unabhängiges Dasein. Denn in jener höheren, weniger behinderten Erfahrung nehmen wir wahr, daß Bewußtsein und Seiendes nichts voneinander Verschiedenes sind, sondern daß alles Seiende ein höchstes Bewußtsein und alles Bewußtsein ein Selbst-Sein ist ewig in sich selbst, wirklich in seinem Wirken, weder ein Traum noch eine Evolution. Die Welt ist genau deshalb wirklich, weil sie nur im Bewußtsein existiert. Denn sie ist eine Bewußte Energie, eins mit dem Seienden, das sie erschafft. Das Dasein einer materiellen Gestaltung aus eigener Vollmacht, unabhängig von der aus dem Selbst erleuchteten Kraft, die diese Form annimmt, – das wäre ein Widerspruch gegen die Wahrheit der Dinge, ein Phantasiegebilde, ein Albdruck, etwas Unmögliches, Falsches.

Aber dieses bewußte Seiende als die Wahrheit des unendlichen Supramentals Ist mehr als das Universum und lebt unabhängig davon ebenso in Seiner eigenen unausdrückbaren Unendlichkeit wie in den kosmischen Harmonien. Durch Jenes lebt die Welt, Jenes lebt nicht durch die Welt. Ebenso wie wir in das kosmische Bewußtsein eingehen und eins sein können mit allem kosmischen Dasein, so können wir auch in das die Welt transzendierende Bewußtsein eingehen und über alle kosmische Existenz erhoben werden. Und dann stellt sich die Frage, die uns zuerst begegnete, ob diese Transzendenz notwendigerweise auch eine Ablehnung des Universums bedeutet. Welche Beziehung hat dieses Universum zu dem Jenseits?

An den Toren der Transzendenz steht jener reine, vollkommene Geist, der in den Upanishaden beschrieben wird: lichtvoll, lauter, er trägt die Welt und erhält sie, ist aber in ihr inaktiv, ohne Kraftanspannung, ohne den Makel der Dualität, ohne die Narben der Zerteilung, ein Einziger, Identischer, bar aller Erscheinung von Relation und Vielfalt, das reine Selbst der Advaitins (der vedantischen Monisten), das intakte brahman, das transzendente Schweigen. Wenn das Mental plötzlich, ohne vermittelnde Übergänge, durch diese Tore hindurchgeht, überkommt es ein Empfinden, die Welt sei unwirklich, wirklich sei allein das Schweigen. Das ist eine der machtvollsten und überzeugendsten Erfahrungen, deren das menschliche Mental fähig ist. Hier haben wir in der Wahrnehmung des reinen Selbsts oder des Nichtseins hinter ihm den Ausgangspunkt für eine zweite Verneinung, am anderen Pol, parallel zur materialistischen. Sie ist aber vollständiger, endgültiger, gefährlicher in ihren Auswirkungen auf die einzelnen Menschen und auf die Kollektive, wenn sie ihren machtvollen Anruf hören, in die Wüste zu gehen –, die Entsagung des Asketen.

Diese Revolte des Geistes gegen die Materie hat zweitausend Jahre lang immer stärker die Mentalität Indiens beherrscht seit der Buddhismus das Gleichgewicht der alten arischen Welt erschütterte. Zwar ist das Empfinden, der Kosmos sei eine Illusion, nicht der ganze Ausdruck indischen Denkens. Es gibt noch andere philosophische Aussagen und religiöse Strebungen. Es fehlte auch nicht an manchen Versuchen, selbst von seiten der extremsten Philosophien, zu einem Ausgleich zwischen den beiden Aussagen zu kommen. Alle haben aber im Schatten der großen Entsagung gelebt, und für alle ist das höchste Ziel des Lebens das Gewand des Asketen. Die allgemeine Auffassung des Daseins ist durchsetzt von der buddhistischen Lehre von der Kette des Karma, der konsequenten Antinomie von Gebundenheit und Freiheit, Gebundenheit durch Geburt und Befreiung, wenn das Geborenwerden aufhört. Deshalb vereinen sich alle Stimmen zu einem großen Einklang: Nicht hier in dieser Welt der Dualitäten kann unser Himmelreich sein, sondern im Jenseits, entweder in den Wonnen des ewigen vrinda-van (goloka, dem Vaishnava-Himmel ewiger Schönheit und Seligkeit), oder in der hohen Seligkeit des brahmaloka (dem höchsten Zustand von reinem Sein, Bewußtsein und Wonne, den die Seele erlangen kann, ohne selbst völlig im Undefinierbaren ausgelöscht zu werden), oder jenseits von allen Manifestationen in einem unaussprechlichen nirvana (nicht notwendigerweise dem Erlöschen alles Seienden, aber doch des Wesens, wie wir es kennen: Auslöschung des Ego, des Begehrens, ichhaften Handelns und ichhafter Mentalität), oder dort, wo alle besondere Erfahrung in der gestaltlosen Einheit des unbestimmbaren Seins aufgegangen ist. Viele Jahrhunderte hindurch hat ein großes Heer leuchtender Zeugen, von Heiligen und Lehrern, von Namen, die der indischen Erinnerung heilig sind und die Vorstellungswelt Indiens beherrschen, immer dasselbe Zeugnis abgelegt und mit anschwellendem Klang denselben erhabenen weltfernen Ruf erhoben: Entsagung ist der einzige Pfad zur Erkenntnis, Annahme des physischen Lebens der Akt des Unwissenden, Beendigung des Geborenwerdens der rechte Gebrauch der menschlichen Geburt. Das ist die Forderung des Geistes, die Abkehr von der Materie.

Für ein Zeitalter ohne Sympathie für den asketischen Geist – in der ganzen Welt scheint die Stunde des Einsiedlers vorbei zu sein oder vorüberzugehen – ist es leicht, diese so hochbedeutsame Richtung dem Nachlassen der vitalen Energie einer alten Rasse zuzuschreiben, die müde wurde unter ihrer Bürde, ihrem einst gewaltigen Anteil am gemeinsamen Fortschritt, und erschöpft ist durch ihren vielseitigen Beitrag zur Summe des Ringens und Wissens der Menschheit. Wir haben aber erkannt, daß der asketische Geist einer Wahrheit des Daseins, einem Zustand bewußter Realisation entspricht, die auf der höchsten Stufe unserer Möglichkeit steht. Auch im praktischen Leben ist der asketische Geist ein unentbehrliches Element für die menschliche Vervollkommnung. Solange die Menschheit am entgegengesetzten Ende steht und ihren Intellekt und ihr Vitalwesen nicht vom Hörigsein einer immer aufdringlicheren Tierhaftigkeit befreit hat, kann man auf seine besondere Betonung nicht verzichten.

Gewiß suchen wir nach einer vollständigeren und umfassenderen Bejahung. Wir erkennen, daß in dem indischen asketischen Ideal die große vedantische Formel: “Der Eine ohne einen Zweiten” nicht genügend im Licht jener anderen, in gleicher Weise zwingenden Formel gelesen wurde: “Alles dieses ist das brahman.” Das leidenschaftliche Streben des Menschen empor zum Göttlichen Wesen wurde nicht stark genug mit dem Herniederkommen des Göttlichen Wesens verbunden, das Sich herabneigt, um ewig Seine Manifestation zu umfassen. Seine Bedeutung in der Materie ist nicht ebenso klar verstanden worden wie Seine Wahrheit im Geist. Die Wirklichkeit, die der Sannyasin sucht, ist in ihrer vollen Höhe begriffen worden, aber nicht, wie von den alten Vedantins, in ihrer vollen Ausdehnung und umfassenden Fülle. Wir dürfen bei unserer vollständigeren Bejahung nicht die Rolle des reinen spirituellen Impulses unterschätzen. Wie wir gesehen haben, was für einen großen Dienst der Materialismus den Zielen des Göttlichen Wesens geleistet hat, so müssen wir auch den noch größeren Dienst anerkennen, der dem Leben von den Asketen geleistet wurde. In der endgültigen Harmonie werden wir die Wahrheiten der materialistischen Naturwissenschaften und ihren wirklichen Nutzen auch dann bewahren, wenn manche oder gar alle ihrer bestehenden Formen zerbrochen oder zurückgelassen werden müssen. Eine noch größere Gewissenhaftigkeit in der richtigen Bewahrung muß uns bei unserem Umgang mit dem Vermächtnis der arischen Vergangenheit leiten, selbst wenn es heute geringer eingeschätzt oder entwertet wird

Kapitel IV. Allgegenwärtige Wirklichkeit

Wenn jemand Ihn als brahman, das Nicht-Seiende, erkennt, wird er nur zum Nicht-Seienden. Wenn einer erkennt, daß brahman Ist, dann wird er erkannt als der wirklich Seiende.

Taittiriya Upanishad, II.6.

Da wir also den Anspruch des reinen Geistes anerkennen, in uns seine absolute Freiheit zu offenbaren, wie auch den Anspruch der universalen Materie, Prägeform und Voraussetzung für unsere Manifestation zu sein, müssen wir nun eine Wahrheit finden, die diese Widersacher völlig aussöhnen, beiden den ihnen zukommenden Anteil am Leben und die ihnen zustehende Rechtfertigung vor dem Denken geben kann. Dabei dürfen wir keinen in seinen Rechten beschränken, keinem seine souveräne Wahrheit bestreiten, aus der selbst seine Irrtümer und auch die Ausschließlichkeit seiner Übertreibungen ständig ihre Kraft herleiten. Wir dürfen dessen sicher sein, daß wir überall dort, wo eine extreme Behauptung einen so starken Eindruck auf das menschliche Mental macht, vor etwas stehen, das nicht nur Irrtum, Aberglaube oder Halluzination ist, sondern vor einer souveränen verhüllten Tatsache, die von uns Loyalität verlangt und sich rächen wird, wenn wir sie leugnen oder ausschließen. Hierin liegt die Schwierigkeit für eine zufriedenstellende Lösung und die Ursache für diese fehlende Endgültigkeit, die allem Kompromiß zwischen Geist und Materie anhaftet. Ein Kompromiß ist immer ein Schachern, ein Interessengeschäft zwei miteinander streitender Mächte. Er ist keine wahre Versöhnung, die stets von einem gegenseitigen Verstehen ausgeht, das zu einer Art inniger Einheit führt. Wir werden also am ehesten durch die bestmögliche Einigung von Materie und Geist zu der sie versöhnenden Wahrheit und der besten Grundlage ausgleichender Praxis im inneren Leben des Einzelnen wie in seiner äußeren Existenz gelangen.

Im kosmischen Bewußtsein haben wir bereits einen Treffpunkt gefunden, wo Materie den Geist und Geist die Materie, beide sich gegenseitig als wirklich anerkennen. Im kosmischen Bewußtsein sind Mental und Leben vermittelnde Mächte und nicht mehr – was sie in der gewöhnlichen, vom Ich beherrschten Mentalität zu sein scheinen – Bewirker der Trennung, Anstifter eines künstlichen Streits zwischen den positiven und negativen Prinzipien derselben unerkennbaren Wirklichkeit. Wenn das Mental das kosmische Bewußtsein erlangt, durch eine Erkenntnis erleuchtet ist, die zugleich die Wahrheit der Einheit und die Wahrheit der Vielfalt wahrnimmt und die Formeln ihres Zusammenwirkens begreift, findet es seine Disharmonien zugleich erklärt und durch die göttliche Harmonie ausgesöhnt. In sich befriedet, ist es bereit, Bewirker jener höchsten Einung zwischen Gott und leben zu werden, nach der wir streben. Da offenbart sich dann dem wirklichkeitsoffenen Denken und den verfeinerten Sinnen die Materie als Gestalt und Körper des Geistes, – als Geist in seiner sich selbst formenden Ausdehnung. Durch dieselben übereinstimmenden Bewirker offenbart sich der Geist als Seele, Wahrheit und Wesen der Materie. Beide erkennen und bekennen sich gegenseitig als göttlich, wirklich und im Wesenhaften eins. In dieser Erleuchtung werden Mental und Leben zugleich als Gestaltungen und Instrumente des höchsten Bewußten Seins geoffenbart, durch die Es Sich ausbreitet und Sich Wohnung in der materiellen Form schafft. In dieser Form enthüllt Es Sich seinen vielfachen Bewußtseinszentren. Das Mental erlangt seine Selbst-Erfüllung, wenn es zum reinen Spiegel für die Wahrheit des Seienden wird, die sich in den Symbolen des Universums zum Ausdruck bringt. Das Leben kommt zur Erfüllung, wenn es seine Energien bewußt der vollkommenen Selbst-Darstellung des Göttlichen Wesens in immer neuen Gestaltungen und Betätigungen des universalen Daseins zur Verfügung stellt.

Im Lichte dieser Auffassung können wir die Möglichkeit eines göttlichen Lebens in der Welt für den Menschen ins Auge fassen. Es wird zugleich die Naturwissenschaft rechtfertigen, indem es einen lebendigen Sinn für die kosmische und irdische Evolution und ihr für die Intelligenz erkennbares Ziel enthüllt, und durch die Verwandlung der menschlichen in die göttliche Seele den großen idealen Traum aller Hochreligionen verwirklichen.

Was wird dann aber aus jenem schweigenden Selbst, das sich uns als inaktiv, rein, selbst-existent, wonnevoll in sich als die dauernde Rechtfertigung des Asketen darstellte? Auch hier muß eine Harmonie, nicht unversöhnlicher Gegensatz die erleuchtende Wahrheit sein. Das schweigende und der aktive brahman sind keine verschiedenen, entgegengesetzten und unvereinbaren Wesenheiten, von denen die eine kosmische Illusion bestreitet, während die andere sie behauptet. Sie sind das eine brahman in zwei Aspekten, dem positiven und dem negativen, und beide füreinander notwendig. Aus diesem Schweigen tritt ewig das Wort hervor, das die Welten erschafft; denn das Wort bringt zum Ausdruck, was im Schweigen selbst-verborgen ist. Eine ewige Passivität macht die vollkommene Freiheit und Allmacht einer ewigen göttlichen Aktivität in unzählbaren kosmischen Systemen möglich. Die Werdeformen dieser Aktivität beziehen ihre Energien und ihre unbegrenzbare Macht zu Variation und Harmonie aus dem unparteiischen Beistand des unveränderlichen Seins, aus seiner Zustimmung zu dieser unendlichen Schöpferkraft seiner eigenen dynamischen Natur.

Auch der Mensch wird erst dann vollkommen, wenn er in sich selbst jene absolute Stille und Passivität des brahman gefunden hat und durch sie eine freie unerschöpfliche Aktivität mit der gleichen göttlichen Toleranz und Schöpferfreude trägt und fördert. Wer so in seinem Innern die Stille besitzt, kann stets wahrnehmen, wie aus ihrem Schweigen der ewige Zustrom der Energien emporsprudelt, die im Universum wirken. Darum ist es nicht die Wahrheit des Schweigens, wenn man von ihm sagt, in seiner Natur liege die Verwerfung der Aktivität im Kosmos. Die scheinbare Unvereinbarkeit der beiden Zustandsformen ist ein Irrtum des beschränkten Mentals, das so sehr an scharfe Gegenüberstellungen von Bejahung und Verneinung und an den plötzlichen Übergang von dem einen Pol zum anderen gewöhnt ist, daß es ein allumfassendes, weites und genügend starkes Bewußtsein nicht begreifen kann, das die beiden Pole in gleichzeitiger Umfassung einbezieht. Das Schweigen lehnt die Welt nicht ab, es hält sie in Gang. Oder besser gesagt, es fördert mit gelassener Unparteilichkeit die Aktivität und das Zurücktreten aus der Aktivität. Es billigt auch deren Aussöhnung, durch die die Seele frei und still bleibt, selbst wenn sie sich für jegliches Handeln hergibt.

Trotzdem gibt es das absolute Sich-Zurückziehen, es gibt das NichtSeiende. Die alte Schrift sagt: Aus dem Nicht-Seienden erschien das Seiende. (“Am Anfang war dies alles das Nicht-Seiende. Aus diesem wurde das Seiende geboren.” Taittiriya Upanishad, II. 7.). Also muß es wieder in das Nicht-Seiende zurücksinken. Wenn das unendliche unterschiedslose Sein alle Möglichkeiten der Unterscheidung und vielfältigen Verwirklichung zuläßt, verneint und verwirft dann nicht das Nicht-Seiende als der Urzustand und die einzige konstante Wirklichkeit letztlich alle Möglichkeit eines wirklichen Universums? Dann wäre das Nihil gewisser Schulen des Buddhismus die wahre asketische Lösung. Das Selbst wäre ebenso wie das Ich nur eine ideative Gestaltung durch ein illusionäres phänomenales Bewußtsein.

Wieder finden wir, daß wir durch Worte irregeführt und getäuscht werden, durch die scharfen Gegenüberstellungen unserer begrenzten Mentalität, die sich gern auf verbale Unterscheidungen verläßt, als ob sie in vollkommener Weise letzte Wahrheiten darstellen könnten, und unsere supramentalen Erfahrungen im Sinne dieser einander ausschließenden Unterscheidungen umdeutet. Nicht-Seiendes ist nur ein Wort. Untersuchen wir die Tatsache genauer, die es darstellt, können wir nicht mehr dessen gewiß sein, daß das absolute Nicht-Sein bessere Aussicht hat als das unendliche Selbst, mehr zu sein als nur ein Denkgebilde des Mentals. In Wirklichkeit meinen wir mit diesem Nichts etwas, das jenseits des letzten Begriffs liegt, auf den wir unsere reinste Auffassung und unsere abstrakteste und subtilste Erfahrung des aktuell Seienden zurückführen können, wie wir es erkennen und begreifen, solange wir in diesem Universum leben. Dieses Nichts ist also eigentlich ein Etwas, das jenseits positiven Begreifens liegt. Wir errichten die Fiktion einer Nichtheit, damit wir durch die Methode totalen Ausschließens noch über alles hinauskommen, was wir wissen können und dessen wir bewußt sind. Wenn wir das Nihil gewisser Philosophien näher untersuchen, nehmen wir immer deutlicher wahr, daß es eine Nulldimension ist, die zugleich das All oder ein undefinierbares Unendliches ist, das dem Mental als etwas Leeres erscheint, weil dieses nur endliche Konstruktionen begreift. Tatsächlich ist es jedoch das einzig wahre Sein.2

Wenn wir sagen, aus dem Nicht-Seienden erschien das Seiende, merken wir, daß wir in Begriffen von Zeit über etwas sprechen, das jenseits der Zeit liegt. Wann war denn jenes schicksalhafte Datum in der Geschichte des ewigen Nichts, an dem Seiendes aus ihm geboren wurde, und wann wird jenes ebenfalls schreckliche Datum kommen, an dem ein unwirkliches All wieder in die ewig dauernde Leere zurücksinken wird? Wenn sat und asat beide zu bejahen sind, müssen wir sie doch so auffassen, daß sie gleichzeitig ihre Geltung besitzen. Sie erkennen einander an, wenn sie auch ablehnen, sich miteinander zu vermischen. Beide sind, da wir uns in Begriffen der Zeit ausdrücken müssen, ewig. Wer soll ein ewiges Seiendes davon überzeugen, daß es in Wirklichkeit nicht existiert, sondern daß nur ein ewiges Nicht-Seiendes etwas Wirkliches ist? Wie sollen wir dann in einer solchen Verneinung aller Erfahrung die Lösung finden, die alle Erfahrung erklärt?

Das Unerkennbare bejaht Sich Selbst als reines Seiendes, als die freie Basis alles kosmischen Daseins. Wir benennen mit Nicht-Seiendes eine entgegengesetzte Bejahung, daß Es frei ist von aller kosmischen Existenz, – also frei von allen positiven Begriffen aktuellen Daseins, die ein Bewußtsein im Universum sich selbst gegenüber formulieren kann, selbst vom abstraktesten, sogar vom transzendenten Begriff. Es bestreitet sie nicht als wirklichen Ausdruck Seiner Selbst. Es bestreitet aber, daß Es durch alles oder irgendetwas, das Es zum Ausdruck bringt, eingeschränkt werde. Das Nicht-Seiende ermöglicht ebenso das Seiende, wie das Schweigen die Aktivität zuläßt. Für die erwachte menschliche Seele wird durch diese gleichzeitige Verneinung und Bejahung, die einander nicht aufheben, sondern sich so ergänzen, wie es alle anderen Gegensätze tun, die gleichzeitige Wahrnehmung eines bewußten Selbst-Seienden als Wirklichkeit und des Unerkennbaren jenseits davon als die gleiche Wirklichkeit realisierbar. So war es für den Buddha möglich, den Zustand des nirvana zu erlangen und doch machtvoll in der Welt zu wirken, apersonal in seinem inneren Bewußtsein und doch im Handeln die machtvollste Persönlichkeit, von der wir wissen, daß sie gelebt und große Einwirkungen auf die Erde hervorgebracht hat.

Wenn wir über diese Dinge nachdenken, erkennen wir immer besser, wie unzureichend die von uns verwendeten Worte in ihrer ichhaften Anmaßung und wie verwirrend sie durch ihre fehlleitende Betonung der Unterschiedlichkeit sind. Außerdem sehen wir immer besser, daß die Begrenzungen, die wir brahman auferlegen, aus einer Enge der Erfahrung im individuellen Mental herrühren, das sich auf den einen Aspekt des Nichterkennbaren konzentriert und von da aus weitergeht, um alle übrigen Aspekte zu verneinen oder zu entwerten. Wir neigen immer dazu, das, was wir vom Absoluten erfassen oder wissen können, zu starr in die Begriffe unserer besonderen Relativität zu übertragen. Wir bejahen betont den Einen und Identischen, indem wir leidenschaftlich die Meinungen und partiellen Erfahrungen anderer diskriminieren und die Ichhaftigkeit unserer eigenen Meinungen und partiellen Erfahrungen dagegensetzen. Es ist weiser, zu warten, zu lernen und zu wachsen. Da wir um unserer Selbst-Vervollkommnung willen von diesen Dingen sprechen müssen, die eigentlich keine menschliche Sprache ausdrücken kann, sollen wir lieber nach der weitesten, biegsamsten und umfassendsten positiven Aussage suchen und auf sie die größte, alles umschließende Harmonie gründen.

Wir erkennen also, daß es für das individuelle Bewußtsein möglich ist, in einen Zustand einzutreten, in dem das relative Dasein scheinbar aufgelöst wird und sogar das Selbst ein unangemessener Begriff zu sein scheint. Es ist möglich, hinüberzugehen in ein Schweigen jenseits des Schweigens. Aber das ist nicht das Ganze unserer höchsten Erfahrung, und es ist auch nicht die einzige, alles andere ausschließende Wahrheit. Denn wir finden, daß dieses Nirvana, dieses Sichselbstauslöschen, der Seele zwar absoluten Frieden und Freiheit im Inneren gibt, dennoch im Handeln mit einem vom Begehren freien starken Wirken nach außen vereinbar ist. Diese Möglichkeit einer völlig bewegungslosen Apersonalität und leeren Stille im Innern, während man nach außen die Werke der ewigen Wahrheiten, Liebe, Wahrheit und Gerechtigkeit erfüllt, diese Überlegenheit gegenüber dem Ego, der Kette ichhaft-persönlicher Handlungen und der Identifizierung mit der veränderlichen Form und Idee, und nicht das kleinliche Ideal einer Flucht vor Kummer und Leiden infolge der physischen Geburt war vielleicht einst der wirkliche Kern der Lehre des Buddha. Jedenfalls könnte die völlig bewußte Seele des Menschen, ebenso wie der vollkommene Mensch Schweigen und Aktivität in sich vereinen kann, in die absolute Freiheit des Nicht-Seienden zurücktreten, ohne dadurch ihren Halt am Seienden und am Universum zu verlieren. Sie könnte so in sich selbst ständig neu das ewige Wunder des Göttlichen Seins vollziehen im Universum und zugleich jenseits davon und sozusagen auch jenseits ihrer selbst. Die entgegengesetzte Erfahrung wäre nur eine Konzentration der Mentalität des Individuums auf das Nichtsein mit dem Ergebnis, daß es seine kosmische Aktivität vergißt und sich persönlich aus ihr, die doch immer im Bewußtsein des Ewig-Seienden weitergeht, zurückzieht.

So erkennen wir, nachdem wir Geist und Materie im kosmischen Bewußtsein ausgesöhnt haben, im transzendenten Bewußtsein die Versöhnung zwischen der endgültigen Bejahung des Alls und seiner Verneinung. Wir entdecken, daß alle Bejahungen Behauptungen eines Zustands oder einer Aktivität des Unerkennbaren sind und daß alle entsprechenden Verneinungen behaupten, es sei frei von oder in diesem Zustand oder dieser Aktivität. Das Unerkennbare ist Etwas für uns, das erhaben, wunderbar und unaussprechlich ist, das Sich ständig unserem Bewußtsein gegenüber formuliert, Sich aber immer wieder dieser Formulierung entzieht, die Es gemacht hat. Das tut es aber nicht etwa wie ein bösartiger Geist oder ein heimtückischer Zauberer, der uns von einer Unwahrheit zu einer noch größeren Unwahrheit und schließlich zur endgültigen Verneinung aller Dinge führt, sondern gerade hier als der Weise, der hoch über unserer Weisheit steht und uns von einer Wirklichkeit zu einer noch tieferen und umfassenderen Wirklichkeit leitet, bis wir die tiefste und weiteste finden, deren wir fähig sind. Das brahman ist eine allgegenwärtige Wirklichkeit, nicht eine allgegenwärtige Ursache ständiger Illusionen.

Wenn wir so eine positive Grundlage für unsere Harmonie annehmen – worauf könnte sonst Harmonie gegründet werden? –, müssen die verschiedenen begrifflichen Formulierungen des Unerkennbaren, von denen jede eine Wahrheit darstellt, die jenseits des Begreifens liegt, soweit wie möglich in ihrer Beziehung zueinander und in ihrer Auswirkung auf das Leben verstanden, statt voneinander getrennt, statt einander ausschließend, statt in der Weise bejaht zu werden, daß sie alle anderen Bejahungen aufheben oder ungebührlich herabsetzen. Der wirkliche Monismus, das wahre advaita, erkennt alle Dinge als das eine brahman an und versucht nicht, Sein Dasein in zwei unvereinbare Wesenheiten zu zertrennen: in ewige Wahrheit und ewige Unwahrheit, brahman und Nicht-brahman, Selbst und Nicht-Selbst, ein wirkliches Selbst und eine unwirkliche, aber doch ewig dauernde maya. Wenn es wahr ist, daß das Selbst allein existiert, muß auch wahr sein, daß alles dieses das Selbst ist. Wenn dieses Selbst, Gott oder brahman, kein hilfloser Zustand, keine gefesselte Macht, keine begrenzte Personalität, sondern das Seiner Selbst bewußte All ist, muß es in ihm auch einen triftigen, ihm ureigenen Grund für die Manifestation geben. Um ihn zu entdecken, müssen wir von der Hypothese ausgehen, in allem, was manifestiert ist, wirkt eine mächtige Kraft, Weisheit und Wahrheit des Seienden. Die Disharmonie und das offenkundige Böse der Welt müssen innerhalb ihrer Sphäre zugegeben werden; wir dürfen sie aber nicht als Sieger über uns anerkennen. Das tiefste Grundgefühl der Menschheit sucht immer und klugerweise Weisheit als das letzte Wort der universalen Manifestation, nicht eine ewige Irreführung und Illusion, – ein geheimes, letztlich triumphierendes Gutes, nicht ein all-schöpferisches, unbesiegbares Böses – zuletzt Sieg und Erfüllung und nicht das enttäuschte Zurückschrecken der Seele vor ihrem großen Abenteuer.

Wir können doch nicht annehmen, die einzige Wesenheit werde von etwas, das außerhalb von ihr besteht oder anders ist als sie, beherrscht, da so etwas nicht existiert. Auch können wir nicht annehmen, sie unterwerfe sich gegen ihren Willen einem Teilgebilde ihres Selbst, das in ihrem Selbst ihrem ganzen Wesen feindlich gegenüberstehe, von ihr abgelehnt werde und dennoch zu stark für sie sei. Das würde nur bedeuten, daß wir mit anderen Worten den Widerspruch zwischen einem All und etwas, das anders ist als das All, wiederherstellen. Selbst wenn wir sagen, das Universum existiere nur deshalb, weil das Selbst in seiner absoluten Unparteilichkeit alle Dinge in gleicher Weise toleriere und alle Tatsachen und Möglichkeiten mit Gleichgültigkeit betrachte, gibt es dennoch etwas, das die Manifestation will, sie trägt und erhält. Dieses Etwas kann nichts anderes sein als das All. Brahman ist unteilbar in allen Dingen. Was in der Welt gewollt wird, geschieht letzten Endes durch den Willen des brahman. Nur unser relatives Bewußtsein sucht, durch die Phänomene des Bösen, der Unwissenheit und des Leidens im Kosmos bestürzt und verwirrt, brahman von der Verantwortung für sich selbst und seine Werke zu entbinden, indem es ein Gegenprinzip, maya oder mara, einen bewußten Teufel oder ein selbstseiendes Prinzip des Bösen aufstellt. Es gibt nur Einen Herrn und Ein Selbst; die Vielen sind nur Seine Repräsentanten und Werdeformen.

Sollte also die Welt ein Traum, eine Illusion oder ein Irrtum sein, so ist sie ein Traum, der vom Selbst in seiner Totalität nicht nur verursacht und gewollt, sondern auch gefördert und ständig erhalten wird. Überdies existiert dieser Traum in einer Wirklichkeit. Der Stoff, aus dem er gebildet ist, ist eben jene Wirklichkeit. Brahman muß das Material der Welt ebenso sein wie ihre Grundlage und ihr ganzer Inhalt. Wenn das Gold, aus dem ein Gefäß gebildet ist, wirklich existiert, wie sollten wir dann annehmen, das Gefäß selbst sei ein Wahngebilde? Wir sehen, daß solche Worte wie Traum und Illusion nur die Kunstgriffe unserer Sprache sind, Gewohnheiten unseres relativen Bewußtseins. Sie stellen eine gewisse Wahrheit, sogar eine bedeutende Wahrheit dar, aber sie entstellen diese auch. Ebenso wie sich das Nicht-Seiende als etwas anderes herausstellt als eine Nichtsheit, so erweist sich auch der kosmische Traum als etwas anderes als ein reines Phantasiegebilde oder eine Halluzination des Mentals. Das Phänomen ist kein Phantasiegebilde, es ist substantielle Form der Wahrheit.

Wir gehen also vom Begriff einer allgegenwärtigen Wirklichkeit aus, von der weder das Nicht-Seiende am einen, noch das Universum am anderen Ende Negationen sind, die einander aufheben. Vielmehr sind sie verschiedene Zustandsformen der Wirklichkeit, Bejahung auf der Vorder- und Rückseite derselben Münze. Die höchste Erfahrung dieser Wirklichkeit im Universum erweist diese nicht nur als ein bewußtes Sein, sondern als höchste Intelligenz, Kraft und selbst-seiende Seligkeit. Jenseits dieses Universums ist noch ein anderes unerkennbares Sein, eine andere höchste, unaussprechliche Seligkeit. Darum sind wir zur Annahme berechtigt, daß sich die Dualitäten des Universums, wenn wir sie nicht wie jetzt nur durch unsere sinnenhaften partiellen Begriffe, sondern durch unsere befreite Intelligenz und Erfahrung interpretieren, auch in diese höchsten Begriffe auflösen lassen. Solange wir uns noch unter dem Druck der Gegensätzlichkeiten abmühen, muß sich diese Auffassung zweifellos ständig auf einen Glaubensakt stützen, wenn auch auf einen Glauben, den die höchste Vernunft, die umfassende und geduldigste Reflexion nicht ablehnen, sondern bestätigen. Gewiß wurde dieser Glaube der Menschheit verliehen, um ihr auf ihrem Weg zu helfen, bis sie zu einer Stufe ihrer Entwicklung gekommen ist, da sich der Glaube in Wissen und in die vollkommene Erfahrung verwandelt und die Weisheit durch ihre Werke gerechtfertigt wird.

Kapitel V. Die Bestimmung des Einzelnen

Durch die Unwissenheit überschreiten sie die Grenze des Todes, und durch das Wissen genießen sie Unsterblichkeit... Durch das Nicht-Geborenwerden überschreiten sie die Grenze des Todes, und durch die Geburt genießen sie Unsterblichkeit.

Isha Upanishad, II.14.

Eine allgegenwärtige Wirklichkeit ist die Wahrheit alles Lebens und Daseins, ob es absolut oder relativ, körperlich oder unkörperlich, belebt oder unbelebt, intelligent oder unintelligent ist. Die Wirklichkeit ist eine einzige, und nicht eine Summe oder Ansammlung, in all ihren unendlich verschiedenen, ja ständig entgegengesetzten Ausdrucksweisen, von den Widersprüchen, die unserer gewöhnlichen Erfahrung am nächsten liegen, bis hin zu jenen entlegensten Antinomien, die sich am Rande des Unaussprechlichen verlieren. In dieser Wirklichkeit haben alle Variationen ihren Ursprung. In ihr haben alle Variationen ihren Bestand. Zu ihr kehren alle Variationen wieder zurück. Alle Bejahungen werden nur deshalb verneint, um hin zu einer umfassenderen Bejahung derselben Wirklichkeit zu führen. Alle Antinomien treten einander entgegen, damit sie in ihren einander entgegengesetzten Aspekten eine einzige Wahrheit anerkennen und durch die Methode des Widerstreits ihre beiderseitige Einheit zutiefst umfassen. Brahman ist das Alpha und das Omega. Brahman ist das Eine, neben dem nichts anderes existiert. Diese Einheit ist aber ihrer Natur nach undefinierbar. Wenn wir versuchen, sie uns durch unser Mental vorzustellen, müssen wir durch eine unendliche Reihe von Begriffen und Erfahrungen hindurchgehen. Und doch werden wir am Ende genötigt, unsere weitesten Begriffe und umfassendsten Erfahrungen zu negieren, um zu der Feststellung zu gelangen, daß die Wirklichkeit über alle Definitionen hinausgeht. Wir kommen zu der Formel der indischen Weisen neti neti: “Es ist nicht dieses, Es ist nicht jenes”. Es gibt keine Erfahrung, durch die man Es begrenzen, auch keinen Begriff, durch das man Es definieren kann.

Die Einheit ist ein Unerkennbares, das uns in vielen Zuständen und Eigenschaften des Seins, in vielen Bewußtseinsformen, in vielen Energiewirkungen erscheint. Nur so viel kann letzten Endes das Mental aussagen über das Sein, das wir selbst sind und das wir in allem sehen, was sich unserem Denken und unseren Sinnen darbietet. In diesen Zuständen, Formen, Wirkungen und durch sie haben wir uns dem Unerkennbaren zu nahen und es darin zu erkennen. Unsere Gedanken versündigen sich aber gegen Seine Unerkennbarkeit und kommen nicht zur wahren Einheit. Sie gelangen vielmehr zu einer Zerteilung des Unteilbaren, wenn wir in unserer Hast, zu einer Einheit zu finden, die unser Mental begreifen und festhalten kann, und in unserem Drang, das Unendliche in unseren Begriff einzuschränken, die Wirklichkeit mit irgendeinem definierbaren Zustand des Seienden, sei er noch so rein und ewig, mit einer besonderen Eigenschaft, sei sie noch so allgemein und umfassend, und mit einer festen Formulierung von Bewußtsein, sei sie in ihrem Horizont noch so weit, oder mit einer Energie oder Aktivität, sei sie in ihrer Anwendung noch so grenzenlos, identifizieren und alles übrige ausschließen.

So stark war diese in alten Zeiten erfaßte Wahrheit, daß die vedantischen Seher selbst dann, als sie zur krönenden Idee, zur überzeugenden Erfahrung von saccidananda als dem für unser Bewußtsein höchsten positiven Ausdruck der Wirklichkeit gelangt waren, in ihren Spekulationen ein asat errichteten oder in ihren Begriffen zu ihm weitergingen, zu einem jenseitigen Nicht-Seienden, das nicht das äußerste Sein, das reine Bewußtsein, die unendliche Seligkeit ist, deren Ausdruck oder Entstellung alle unsere Erfahrungen sind. Wenn es überhaupt ein Sein, ein Bewußtsein, eine Seligkeit gibt, dann liegt das jenseits der höchsten und reinsten positiven Form dieser Dinge, die wir hier besitzen können, und ist darum anders als das, was wir hier unter diesen Namen kennen. Der Buddhismus, der etwas willkürlich von den Theologen zu einer unvedischen Lehre erklärt wurde, weil er die Autorität der Schriften ablehnte, geht jedoch auf diese wesentlich vedantische Auffassung zurück. Nur betrachtete die positive und synthetische Auffassung der Upanishaden sat und asat nicht als Gegensätze, die einander aufheben, sondern als äußerste Antinomie, durch die wir zum Unerkennbaren emporblicken. In allem Handeln unseres positiven Bewußtseins muß die Einheit auch die Vielfalt berücksichtigen; denn die Vielen sind auch brahman. Durch vidya, das Wissen vom Einssein, erkennen wir Gott. Ohne es ist avidya, das relative vielfältige Bewußtsein, die Nacht der Finsternis und die Unordnung der Unwissenheit. Wenn wir aber den Bereich dieser Unwissenheit ausschalten, wenn wir avidya verwerfen, als sei es etwas Nichtseiendes und Unwirkliches, wird Erkenntnis selbst zu einer Art Dunkelheit und Ursprung der Unvollkommenheit. Wir werden zu Menschen, die durch ein Licht so geblendet sind, daß sie nicht mehr den Bereich sehen können, den jenes Licht erleuchtet.

Still, weise und klar ist die Lehre unserer ältesten Weisen. Sie hatten die Geduld und Stärke, zu finden und zu erkennen. Sie besaßen auch die Klarheit und Demut, die Begrenztheit unserer Erkenntnis zuzugeben. Sie gewahrten die Grenzen, über die unsere Erkenntnis hinausgehen muß in einen Bereich jenseits von ihr. Eine spätere Ungeduld von Herz und Mental, das heftige Hingezogensein zu einer höchsten Seligkeit oder hohen Meisterschaft reiner Erfahrung und scharfer Intelligenz suchte den Einen, um die Vielen zu verneinen. Weil man den Atem der Höhen verspürt hatte, verachtete man das Geheimnis der Tiefe und schreckte vor ihr zurück. Das beharrliche Schauen der alten Weisheit sah aber, daß man, um Gott wirklich zu erkennen, Ihn überall gleich und ohne Unterschied erkennen muß, die Gegensätzlichkeiten, durch die Er hindurchscheint, wohl erwägend und wertend, aber nicht von ihnen überwältigt.

Wir werden also die scharfen Unterscheidungen einer unvollständigen Logik übergehen, die erklärt, da das Eine die Wirklichkeit ist, seien die Vielen eine Illusion, und weil das Absolute, sat, das einzige Sein ist, sei das Relative asat und nicht-seiend. Wenn wir dem Einen beharrlich in den Vielen nachgehen, kehren wir mit dem Segen und der Offenbarung des Einen zurück, das sich in den Vielen bestätigt.

Wir wollen uns auch vor der übertriebenen Bedeutung hüten, die das Mental jenen besonderen Anschauungen beilegt, zu denen es bei seinen machtvolleren Höhenflügen und Übergängen gelangt. Die Auffassung des spiritualisierten Mentals, das Universum sei ein unwirklicher Traum, kann für uns keinen absoluteren Wert haben als die des materialisierten Mentals, Gott und das Jenseits seien illusorische Gedanken. Im einen Fall ist das Mental, da es nur auf die Evidenz der Sinne eingestellt ist und Wirklichkeit auf das körperliche Faktum gründet, entweder nicht daran gewöhnt, andere Mittel der Erkenntnis zu verwenden, oder unfähig, den Begriff Wirklichkeit auf eine supraphysische Erfahrung auszudehnen. Im anderen Fall überträgt dasselbe Mental das zu überwältigender Erfahrung unkörperlicher Wirklichkeit im Jenseitigen gelangt, einfach jene selbe Unfähigkeit und das daraus folgende Empfinden von Traum und Halluzination auf die Erfahrungen der Sinne. Aber wir erkennen auch die Wahrheit, die beide Auffassungen entstellen. Es ist wahr, daß für diese Welt der Form, in die wir zu unserer Selbst-Verwirklichung hineingestellt sind, nichts voll gültig ist, wenn es nicht unser physisches Bewußtsein in Besitz genommen und sich auf den niedersten Ebenen in Harmonie mit seiner Manifestation auf den höchsten Gipfeln geoffenbart hat. Ebenso wahr ist, daß Gestaltung und Materie, wenn sie sich als selbstseiende Wirklichkeit behaupten, eine Illusion der Unwissenheit sind. Form und Materie können nur als Gestalt und Substanz einer Manifestation für das Unkörperliche und Unmaterielle gültig sein. Sie sind ihrer Natur nach ein Akt göttlichen Bewußtseins und nach ihrem Zweck und Ziel die Darstellung eines Zustandes des Geistes.

Mit anderen Worten: Wenn brahman in die Form eingegangen ist und Sein Wesen in materieller Substanz dargestellt hat, kann das nur sein, weil es sich der Selbst-Manifestation in den Gebilden relativen und phänomenalen Bewußtseins erfreuen will. Brahman ist in dieser Welt, um Sich in den Werten des Lebens darzustellen. Leben existiert in brahman, damit es brahman in sich selbst entdeckt. Darum ist der Mensch in der Welt wichtig, damit er ihr zu jener Entwicklung von Bewußtsein verhilft, in der ihre Umgestaltung durch vollkommene Entdeckung des Selbst möglich wird. Gott im Leben zur Erfüllung zu bringen, ist des Menschen Menschsein. Er geht hervor aus der Tier-Vitalität und deren Wirkensweisen. Sein Ziel ist aber ein göttliches Dasein.

Wie im Denken, so ist auch im Leben das wahre Gesetz der Selbst-Verwirklichung ein stets fortschreitendes umfassendes Verstehen. Brahman bringt Sich in vielen aufeinanderfolgenden Bewußtseinsformen zum Ausdruck. Sie folgen in ihrer Beziehung aufeinander, selbst wenn sie im Seienden koexistent und in der Zeit gleichzeitig sind. So muß sich auch das Leben bei seiner Selbst-Entfaltung in immer neue Bereiche seines eigenen Wesens erheben. Wenn wir aber aus Eifer für unsere neue Errungenschaft beim Übergang von einem Bereich in den anderen das verwerfen, was uns bisher gegeben war, wenn wir also beim Eintritt in das mentale Leben das physische Leben, das unsere Grundlage ist, wegwerfen oder gering achten oder wenn wir, angezogen vom Spirituellen, das Mentale und das Physische zurückweisen, bringen wir Gott nicht integral zur Erfüllung und leisten wir auch den Bedingungen Seiner Selbst-Manifestation nicht Genüge. Wir werden nicht vollkommen, sondern wechseln nur das Feld unserer Unvollkommenheiten oder erreichen höchstens eine begrenzte Höhe. Wie hoch wir auch emporsteigen, und sei es bis zum Nicht-Seienden, unser Anstieg ist doch falsch, wenn wir unsere Basis vergessen. Die wahre Göttlichkeit der Natur besteht darin, daß wir die niedere nicht sich selbst überlassen, sondern in das Licht der höheren umwandeln, die wir erreicht haben. Brahman ist vollständig und vereinigt gleichzeitig viele Bewußtseinszustände. Auch wir, die die Natur des brahman offenbaren, sollten vollständig und allumfassend werden.

Neben dem Zurückscheuen vor dem physischen Leben gibt es im asketischen Impuls noch eine andere Übertreibung, die vom Ideal vollständiger Manifestation korrigiert wird. Im Leben ist der Knotenpunkt die Beziehung zwischen drei allgemeinen Bewußtseinsformen: dem individuellen, universalen und transzendenten oder suprakosmischen Bewußtsein. In seiner üblichen Haltung zu den Lebensbetätigungen betrachtet sich der Einzelne als ein gesondertes Wesen, das in das Universum einbezogen ist. Beide, Individuum und Universum, sind abhängig von Jenem, das sowohl Individuum wie Universum transzendiert. Dieser Transzendenz geben wir gewöhnlich den Namen Gott, der dadurch für unsere Auffassung nicht so sehr über-kosmisch als außer-kosmisch wird. Eine natürliche Folge dieser Trennung ist die Herabsetzung und Entwertung des Einzelnen und des Universums. Logischerweise wäre der äußerste Schluß, daß Individuum und Universum aufhören müssen, wenn wir die Transzendenz erlangt haben.

Die integrale Schau der Einheit von brahman vermeidet diese Konsequenzen. Wie wir das körperliche Leben nicht aufzugeben brauchen, um das mentale und das spirituelle zu erlangen, können wir zu einer Anschauung gelangen, in der die Beibehaltung individueller Betätigungen nicht mehr im Widerspruch dazu steht, daß wir das kosmische Bewußtsein erfassen oder das transzendente und suprakosmische erlangen. Das die Welt Transzendierende umfaßt das Universum, ist eins mit ihm und schließt es nicht aus. Ebenso umfaßt das Universum den einzelnen Menschen, ist eins mit ihm und schließt ihn nicht aus. Der einzelne Mensch ist ein Mittelpunkt des ganzen universalen Bewußtseins. Das Universum ist eine Gestaltung und Begrenzung, die von der Immanenz des Formlosen und Unbegrenzbaren völlig eingenommen wird.

Dies ist immer die wahre Beziehung, die durch unsere Unwissenheit und unser falsches Bewußtsein von den Dingen vor uns verhüllt ist.

Wenn wir zum Wissen oder zum richtigen Bewußtsein gelangen, wird zwar nichts Wesentliches in der ewigen Beziehung geändert, doch verwandeln sich vom individuellen Mittelpunkt her der Einblick und der Ausblick grundlegend und, als Folge davon, auch Geist und Wirkungskraft ihrer Betätigung. Der Einzelne ist für das Wirken des Transzendenten im Universum weiterhin notwendig, und die Möglichkeit zu diesem Wirken in ihm hört durch seine Erleuchtung nicht auf. Im Gegenteil, da die bewußte Offenbarung des Transzendenten im Individuum das Mittel ist, durch das das Kollektiv, das Universale, ebenso seiner bewußt werden soll, ist es zwingend notwendig im Welten-Spiel, daß der erleuchtete Einzelne in der Welt weiter handelt. Wäre es Gesetz, daß er gerade durch die Tatsache der Erleuchtung zwangsläufig aus der Welt verschwinden müßte, wäre die Welt dazu verurteilt, ewig der Schauplatz unerlöster Finsternis, des Todes und des Leidens zu bleiben. Eine solche Welt kann nur fürchterliche Qual oder mechanische Illusion sein.

Als solche will die asketische Weltanschauung sie auch begreifen. Die Erlösung des Einzelnen kann aber nicht wirklich Sinn haben, wenn das Dasein im Kosmos selbst eine Illusion ist. Nach der monistischen Anschauung ist die individuelle Seele eins mit dem Erhabenen. Ihr Empfinden von Getrenntheit ist Unwissenheit, Flucht aus diesem Empfinden und Identität mit dem Erhabenen ist die Erlösung. Wem aber nützt dann diese Flucht? Nicht dem Erhabenen Selbst, denn bei ihm wird vorausgesetzt, daß es immer und unwandelbar frei, still, schweigend und rein ist. Auch nicht der Welt, denn sie bleibt ständig in der Gebundenheit und wird durch die Flucht einer einzelnen Seele nicht von der universalen Illusion befreit. Es ist die individuelle Seele selbst, die sich ihr höchstes Gut durch die Flucht aus Kummer und Trennung in den Frieden und die Seligkeit bewirkt. Also könnte es so aussehen, als gäbe es gerade im Ereignis der Befreiung und Erleuchtung eine gewisse Wirklichkeit der individuellen Seele, unterschieden von der Welt und vom Erhabenen. Für den Anhänger der IIlusionstheorie ist aber die individuelle Seele Illusion und nur existent im unerklärlichen Geheimnis von maya. So ergibt sich: Die Flucht einer illusorischen, nicht-seienden Seele aus illusorischer, nicht-seiender Gebundenheit in einer illusorischen, nicht-seienden Welt ist das höchste Gut, nach dem diese nicht-seiende Seele trachten muß! Denn das ist das letzte Wort dieser Erkenntnis: “Es gibt niemand, der gebunden, niemand, der befreit ist und niemand, der frei zu werden sucht.” So wird vidya letztlich ebenso sehr ein Teil des Phänomenalen wie avidya. Maya tritt uns gerade bei unserer Flucht in den Weg und lacht über die triumphierende Logik, die den Knoten ihres Geheimnisses zu durchschneiden schien.

Man sagt also, diese Dinge könnten nicht erklärt werden. Sie seien das ursprüngliche, unauflösbare Wunder. Sie seien uns eine praktische Tatsache und müßten akzeptiert werden. Durch Konfusion sollen wir der Konfusion entkommen. Die individuelle Seele könne den Knoten des Ego nur durch einen höchsten Akt von Egoismus durchhauen, indem sie sich ausschließlich an ihre individuelle Erlösung bindet, was auf absolute Bejahung ihrer gesonderten Existenz in maya hinausläuft. Wir sollen andere Seelen so ansehen, als seien sie Phantasiegebilde unseres Mentals. Ihre Erlösung sei unwichtig, unsere Seele allein sei ganz wirklich und ihre Erlösung das einzige, worauf es ankomme. Ich soll also meine persönliche Flucht aus der Gebundenheit als wirklich ansehen, während andere Seelen, die ebenso mein eigenes Ich sind, in ihrer Gebundenheit zurückbleiben!

Nur wenn wir jede unvereinbare Antinomie zwischen Selbst und Welt unbeachtet lassen, ordnen sich die Dinge durch eine weniger paradoxe Logik an ihrem richtigen Platz ein. Wir müssen die Vielseitigkeit der Manifestationen akzeptieren, indem wir zugleich die Einheit des Manifestierten behaupten. Ist das aber nicht gerade die Wahrheit, die uns überall begegnet, wohin wir schauen, wenn wir es nicht vorziehen wollen, nichts zu sehen? Ist das nicht letzten Endes das vollkommen natürliche und einfache Geheimnis des Bewußten Seienden, daß Es weder durch seine Einheit noch durch seine Vielfalt gebunden ist? Es ist “absolut” in dem Sinne, daß es völlig unabhängig und frei ist, auf Seine Weise alle möglichen Begriffe, in denen Es sich selbst ausdrückt, einzubeziehen und zu arrangieren. Da ist niemand gebunden, niemand befreit, niemand, der sucht, frei zu werden. Denn immer ist Jenes vollkommene Freiheit. Es ist so frei, daß es sogar nicht einmal durch seine Freiheit gebunden ist. Es kann den Gebundenen spielen, ohne in eine wirkliche Gebundenheit zu geraten. Seine Fessel ist eine selbst-auferlegte Vereinbarung. Seine Eingrenzung in das Ich ist eine vorübergehende Maßnahme, die Es verwendet, um seine Transzendenz und Universalität im Schema des individuellen brahman zu wiederholen. Das Transzendente, das Suprakosmische ist absolut und in sich selbst frei, jenseits von Zeit und Raum, jenseits der begrifflichen Gegensätze von endlich und unendlich. Im Kosmos aber gebraucht es seine Freiheit der Selbst-Gestaltung, seine maya, um aus Sich Selbst ein System in den komplementären Begriffen von Einheit und Vielfalt herzustellen. Es konstituiert diese vielfältige Einheit in den drei Bewußtseinsformen des Unterbewußten, Bewußten und Überbewußten. Denn wir sehen tatsächlich, daß die Vielen, die in einer Gestaltung in unserem materiellen Universum objektiviert sind, als eine unterbewußte Einheit anfangen, die sich deutlich genug in kosmischer Aktion und kosmischer Substanz kundtut, deren sie selbst aber nach außen hin nicht bewußt sind. Im Bewußten wird das Ich zu jenem Punkt an der Oberfläche, an dem das Gewahrwerden der Einheit hervortreten kann. Es wendet seinen Begriff der Einheit aber nur auf die äußere Form und das oberflächliche Handeln an und nimmt, weil es all das nicht berücksichtigt, was im Hintergrund wirkt, auch nicht wahr, daß es nicht nur in sich selbst eins ist, sondern auch eins mit den anderen. Diese Einschränkung des universalen Ich auf den getrennten Ich-Sinn konstituiert unsere unvollkommene individualisierte Personalität. Wenn aber das Ich das personale Bewußtsein transzendiert, schließt es das immer mehr ein, was für uns überbewußt ist, und wird davon überwältigt. Es erkennt die kosmische Einheit und geht in das Transzendente Selbst ein, das der Kosmos hier in vielfältiger Einheit ausdrückt.

Die Befreiung der individuellen Seele ist also der Schlüssel zum definitiven göttlichen Wirken. Sie ist die grundlegende göttliche Notwendigkeit und der Angelpunkt, um den sich alles andere dreht. Sie ist der Licht-Punkt, an dem die beabsichtigte völlige Selbst-Manifestation in den Vielen hervorzutreten beginnt. Aber die befreite Seele dehnt ihre Wahrnehmung der Einheit sowohl horizontal wie vertikal aus. Ihre Einheit mit dem transzendenten Einen ist unvollständig ohne ihre Einheit mit den kosmischen Vielen. Diese Einheit überträgt sich nach den Seiten hin durch Multiplikation, eine Reproduktion ihres eigenen befreiten Zustands an anderen Punkten in der Vielfalt. Die göttliche Seele vervielfacht sich in ähnlichen befreiten Seelen, wie sich das Tier in ähnlichen Körpern reproduziert. Darum besteht überall dort, wo eine einzelne Seele befreit ist, die Tendenz zur Ausdehnung, sogar zur Explosion desselben göttlichen Selbstbewußtseins in anderen individuellen Seelen unserer irdischen Menschheit und – wer weiß? – vielleicht sogar jenseits des irdischen Bewußtseins. Wo sollen wir die Grenze dieser Ausdehnung festlegen? Ist es wirklich nur eine Legende, wenn berichtet wird, Buddha habe, als er an der Schwelle des Nirvana, des Nicht-Seienden, stand, seine Seele zurückgewandt und das Gelübde getan, er wolle nie den unwiderruflichen Schritt hinüber tun, solange noch ein einziges Wesen unerlöst auf der Erde lebe, gefesselt durch den Knoten des Leidens und die Gebundenheit des Ichs?

Wir können aber das Höchste erlangen, ohne uns im kosmischen Bereich auszulöschen. Brahman behält immer Seine beiden Grundhaltungen von innerer Freiheit und Gestaltung nach außen. Es bringt sich zum Ausdruck und bleibt doch frei von diesem Ausdruck. Da wir Jenes brahman sind, können wir den gleichen göttlichen Besitz unseres Selbsts erlangen. Die Harmonie dieser beiden Tendenzen ist die Grundvoraussetzung alles Lebens, das wirklich göttlich zu sein strebt. Wenn man die Freiheit dadurch erstrebt, daß man das wegwirft, worüber man hinausgekommen ist, führt diese Freiheit auf dem Weg der Negation zur Ablehnung dessen, was Gott angenommen hat. Übt man die Aktivität so aus, daß man ganz im Wirken und in der Energie aufgeht, so führt das zur Bejahung niederer Werte und zur Verleugnung des Höchsten. Warum sollte denn der Mensch unbedingt das scheiden wollen, was Gott zusammengefügt hat und in einer Synthese vereint? Vollkommen zu sein, so wie Er vollkommen ist, ist die Bedingung, wenn man Ihn integral erlangen will.

Durch avidya, die Vielfalt, hindurch führt unser Weg aus dem vorübergehenden ichhaften Selbst-Ausdruck, in dem Tod und Leiden vorherrschen. Durch vidya, die mit avidya durch das vollkommene Empfinden von Einheit selbst in der Vielfalt übereinstimmt, genießen wir integral Unsterblichkeit und Seligkeit. Indem wir zum Ungeborenen jenseits von allem Werden gelangen, werden wir von dieser niederen Geburt und vom Tod befreit. Indem wir das Werden als das Göttliche Wesen frei annehmen, dringen wir mit dieser unsterblichen Seligkeit in die Sterblichkeit ein und werden zu erleuchteten Zentren ihres bewußten Selbst-Ausdrucks in der Menschheit.

Kapitel VI. Der Mensch im Universum

Des Menschen Seele, ein Reisender, wandert in diesem Zyklus des brahman, gewaltig groß, eine Totalität von Lebensabläufen, eine Totalität von Zuständen. Sie wähnt sich verschieden von Ihm, der den Impuls gibt zur Reise. Ist sie von Ihm angenommen, erlangt sie ihr Ziel der Unsterblichkeit.

Svetasvatara Upanishad, I.6.

Die fortschreitende Offenbarung einer großen, lichtvollen, transzendenten Wirklichkeit, deren Mittel und Material, Grundlage und Feld die vielfachen Relativitäten dieser Welt sind, die wir sehen, und jener anderen Welten, die wir nicht sehen, erscheint mithin als der Sinn des Universums, – da es eine Bedeutung und ein Ziel hat und weder zwecklose Illusion noch ein zufälliges Ereignis ist. Dieselbe logische Überlegung, die uns zu dem Schluß führt, das Welt-Dasein sei kein irreführender Kunstgriff des Mentals, rechtfertigt gleicherweise die Gewißheit, daß das Universum keine blinde, träge, aus sich selbst seiende Masse gesonderter äußerer Erscheinungen ist, die auf ihrer Bahn durch die Ewigkeit so gut sie können zusammenhalten und miteinander ringen. Es ist auch keine ungeheure Selbst-Schöpfung, kein Selbst-Impuls einer unwissenden Kraft ohne geheime Intelligenz im Innern, die sich ihres Ausgangspunktes und ihres Zieles bewußt ist und ihren Verlauf wie ihre Bewegung lenkt. Vielmehr hält ein seiner selbst voll bewußtes Sein, das uneingeschränkter Herr seiner selbst ist, das phänomenale Wesen, in das es involviert ist, in seinem Besitz, verwirklicht sich in Gestaltung und entfaltet sich im Individuum.

Dieses lichtvolle Hervortreten ist der Tagesanbruch, den die arischen Ahnen anbeteten. Seine erfüllte Vollkommenheit ist jener höchste Schritt des die Welt durchdringenden Vishnu, den sie schauten, wie wenn ein Auge seine seherische Kraft bis in die reinsten Himmel des Mentals ausweitet. Denn dieses Licht existiert schon als alles offenbarende und lenkende Wahrheit der Erscheinungen. Es wacht über die Welt und zieht den sterblichen Menschen zu sich hin, zuerst ohne die Erkenntnis seines bewußten Mentals durch den allgemeinen Gang der Natur, zuletzt aber bewußt durch fortschreitendes Erwachen und Selbst-Ausweitung, empor zu seinem göttlichen Aufstieg. Dieser Aufstieg zum Göttlichen Leben ist des Menschen Reise, sein Werk der Werke, sein willkommenes Opfer. Er allein ist des Menschen wirkliche Aufgabe und die Rechtfertigung für sein Dasein in der Welt. Ohne ihn wäre er nur ein Insekt, das zwischen anderen Eintagsfliegen auf einem Fleck aus Schlamm und Wasser herumkriecht, der es fertig brachte, sich inmitten der schauerlichen Unermeßlichkeiten des physischen Universums zu gestalten.

Diese Wahrheit der Dinge, die aus den Widersprüchen der Welt der Erscheinungen hervorleuchten soll, wird als unendliche Seligkeit und ein seines Selbsts bewußtes Sein erklärt, das überall, in allen Dingen, zu allen Zeiten und jenseits der Zeit dasselbe ist, seiner selbst bewußt hinter all diesen Phänomenen. Durch deren intensivste Vibrationen von Aktivität oder umfassendste Totalität kann es nie völlig ausgedrückt oder irgendwie eingeschränkt werden. Es existiert in sich selbst und hängt bezüglich seines Daseins nicht von seinen Manifestationen ab. Diese repräsentieren es hier, erschöpfen es aber nicht. Sie weisen auf es hin, enthüllen es aber nicht. Dieses Sein ist innerhalb ihrer Gestaltungen nur sich selbst gegenüber offenbar. Das in die Formen involvierte bewußte Sein gelangt bei seiner Evolution zur Erkenntnis seiner selbst durch Intuition, Selbst-Schau und Selbst-Erfahrung. Es wird in der Welt es selbst, indem es sich selbst erkennt. Es erkennt sich selbst, indem es es selbst wird. Indem das Sein sich innerlich auf diese Weise besitzt, teilt es auch seinen Gestaltungen und Eigenschaften die bewußte Seligkeit von saccidananda mit. Die beabsichtigte Umwandlung sowie Wert und Zweck des individuellen Daseins ist das Hervortreten von unendlichem Seligkeit-Sein-Bewußtsein im Werdeprozeß von Mental, Vital und Körper, – denn unabhängig von ihnen existiert saccidananda ewig. Es offenbart sich so durch das Individuum in der Beziehung, wie es in der Identität in sich selbst ist.

Daß das Unerkennbare sich selbst als saccidananda erkennt, ist die eine erhabene positive Grundthese des Vedanta. Sie enthält alle anderen, oder diese sind aus ihr abgeleitet. Das ist die eine wirkliche Erfahrung, die übrig bleibt, wenn wir alles abgerechnet haben: entweder negativ, indem wir ihre äußeren Gestaltungen und Hüllen eliminieren, oder positiv, indem wir ihre Namen und Formen auf die beständige Wahrheit zurückführen, die sie enthalten. Um das Leben zur Erfüllung zu bringen oder um es zu transzendieren, ferner ob Reinheit, Stille, Freiheit im Geist unser Ziel ist oder Machtfülle, Freude und Vollkommenheit, saccidananda ist dafür der unvorstellbare, allgegenwärtige, unentbehrliche Begriff, nach dem das menschliche Bewußtsein im Erkennen und Fühlen oder im Empfinden und Handeln ewig sucht.

Das Universum und das Individuum sind die beiden wesentlichen Erscheinungen, in die das Unerkennbare herniederkommt und durch die man sich ihm nahen muß. Denn die anderen Kollektive zwischen diesen beiden entstehen nur aus ihrem Zusammenwirken. Dieses Herabkommen der höchsten Wirklichkeit ist seiner Natur nach Selbst-Verhüllung. Bei dem Herabkommen entstehen aufeinanderfolgende Ebenen, bei der Verhüllung immer weitere Schleier. Notwendigerweise nimmt die Enthüllung die Form eines Aufstiegs an, und ebenso müssen Aufstieg und Enthüllung beide progressiv sein. Denn jede der aufeinanderfolgenden Ebenen des Herniederkommens des Göttlichen Wesens wird für den Menschen zur Stufe eines Aufstiegs. Jede Hülle, die den unbekannten Gott verbirgt, wird für den Gott-Liebenden und Gott-Suchenden zum Anlaß, Ihn zu enthüllen. Um sich aus dem rhythmischen Schlummer der materiellen Natur zu befreien, die der Seele und Idee noch unbewußt ist, die jedoch den geordneten Wirkungsablauf ihrer Energie in ihrer dumpfen, mächtigen materiellen Trance aufrechterhalten, ringt sich so die Welt empor in einen rascheren, unterschiedlicheren, aber auch ungeordneteren Rhythmus des Lebens, das sich bis zu den Grenzgebieten des Selbst-Bewußtseins müht. Aus dem Leben kämpft sich die Welt weiter hinauf bis zum Mental, in dem das Einzelwesen zu sich selbst und seiner Welt gegenüber zum Bewußtsein erwacht. Durch dieses Erwachen gewinnt das Universum den erforderlichen Hebel für sein höchstes Werk. Es gewinnt die ihrer selbst bewußte Individualität. Das Mental nimmt dieses Werk jedoch nur auf, um es fortzusetzen, nicht um es zu vollenden. Es ist ein Arbeiter mit scharfer aber begrenzter Intelligenz, der das Durcheinander von Materialien aufgreift, das ihm vom Leben angeboten wird. Wenn er diese nach seinen Kräften verarbeitet, angepaßt, abgeändert und eingestuft hat, reicht er sie weiter an den erhabensten Künstler unseres göttlichen Menschseins. Dieser Künstler hat seinen Sitz im Supramental, denn supermind is superman, das Supramental ist der Obermensch. Deshalb muß unsere Welt noch über das Mental emporkommen zu einem noch höheren Prinzip, zu einem höheren Zustand und einer höheren Kraftentfaltung, in der Universum und Individuum das erkennen und in Besitz nehmen, was beide eigentlich schon sind. Darum stehen beide sich nun in vollem gegenseitigen Verstehen gegenüber, in Harmonie und geeint.

Die Unordnungen von Leben und Mental hören auf, wenn wir das Geheimnis einer Ordnung entdecken, die vollkommener ist als die physische. Die Materie unterhalb von Leben und Mental enthält zwar in sich die Ausgewogenheit vollkommener Ruhe und der Aktion unermeßlicher Kraft, aber sie ist nicht im Besitz dessen, was sie in sich enthält. Ihr Friede trägt die Maske stumpfer, unerleuchteter Trägheit, eines Schlafes in Unbewußtheit oder gar eines betäubten, eingesperrten Bewußtseins. Da sie von einer Kraft getrieben wird, die ihr wahres Selbst ist, deren Sinn sie aber nicht begreifen, noch sich zu eigen machen kann, besitzt sie nicht die voll erwachte Freude an ihren eigenen harmonischen Energien.

Leben und Mental erwachen zum Empfinden dieses Mangels in der Form ringender und suchender Unwissenheit und verworrenen, gehemmten Verlangens. Das sind die ersten Schritte zur Selbst-Erkenntnis und Selbst-Erfüllung. Wo ist dann aber das Reich ihrer Selbst-Erfüllung? Es kommt dadurch zu ihnen, daß sie über sich selbst hinausgelangen. Jenseits von Leben und Mental gewinnen wir bewußt in seiner göttlichen Wahrheit, was die Ausgeglichenheit der materiellen Natur in grober Weise darstellte, – Ruhe, die weder Trägheit noch in sich verschlossene Trance des Bewußtseins ist, vielmehr Konzentration einer absoluten Kraft und Selbst-Erkenntnis, das Wirksamwerden einer unermeßlichen Energie, die zugleich ein Aufwallen unsagbarer Seligkeit ist. Denn nun ist jeder einzelne Akt Ausdruck nicht mehr von Mangel und unwissendem Mühen, sondern von absolutem Frieden und Selbst-Meisterschaft. Wenn unsere Unwissenheit das erlangt, nimmt sie das Licht wahr, dessen verdüsterter, partieller Widerschein sie war. Dann kommen unsere Begehren zur Ruhe in Überfluß und hoher Erfüllung, worauf sie, selbst in ihren groben materiellen Formen, stets ihre wenn auch verdüsterte und gefallene Sehnsucht gerichtet haben.

Universum und Individuum brauchen einander zu ihrem Aufstieg. Tatsächlich existieren sie immer füreinander und haben voneinander ihren Nutzen. Das Universum ist eine Ausbreitung des göttlichen Alls in die Unendlichkeit von Raum und Zeit. Das Individuum ist dessen Konzentration innerhalb der Grenzen von Raum und Zeit. Das Universum sucht in unendlicher Ausdehnung nach der göttlichen Totalität, die zu sein es fühlt, ohne sie völlig verwirklichen zu können. Denn bei der Ausbreitung treibt das Sein hin zu einer pluralistischen Summe seiner selbst, die weder die ursprüngliche noch die letzte Einheit sein kann, vielmehr eine sich wiederholende Dezimale ohne Ende oder Anfang. Darum erschafft das Universum in sich eine ihres Selbsts bewußte Konzentration des Alls, durch die es sein Streben befriedigen kann. Im bewußten Individuum wendet sich prakriti nach innen, um purusha wahrzunehmen; die Welt sucht nach dem Selbst. So wie Gott ganz und gar zur Natur geworden ist, sucht die Natur nun fortschreitend danach, Gott zu werden.

Andererseits wird das Individuum durch das Universum gezwungen, sich selbst zu verwirklichen. Das Universum ist ihm nicht nur Grundlage, Mittel, Feld und Stoff für das göttliche Wirken, der individuelle Mensch muß sich notwendigerweise auch universal und apersonal machen, damit er das göttliche All, das seine Wirklichkeit ist, manifest machen kann. Denn die Konzentration des universalen Lebens, das er ist, findet innerhalb von Beschränkungen statt und ist nicht, wie die intensivere Einheit von brahman, bar jedes Begriffs von Grenze und Ende. Dennoch ist ihm geboten, selbst dann, wenn er sich am weitesten in eine Bewußtseins-Universalität ausdehnt, ein geheimes, transzendentes Etwas zu bewahren, das sich ihm dunkel und ichhaft in dem Empfinden von Personalität darstellt. Andernfalls hätte er sein Ziel verfehlt, das ihm gestellte Problem würde nicht gelöst, und das göttliche Wirken, für das er die Geburt angenommen hatte, würde nicht geleistet.

Das Universum tritt dem Individuum als Leben entgegen, als ein Kräftespiel, dessen ganzes Geheimnis er zu meistern hat, als eine Masse zusammenprallender Ergebnisse, als ein Wirbel potentieller Energien. Er soll aus diesen eine erhabene Ordnung und noch nicht verwirklichte Harmonie freimachen. Das ist schließlich der wirkliche Sinn des menschlichen Fortschritts. Er soll nicht einfach nur in leicht veränderten Formulierungen das noch einmal feststellen, was die physische Natur bereits zustande gebracht hat. Auch darin kann das Ideal des menschlichen Lebens nicht bestehen, daß er einfach das Tierleben auf der höheren Stufe seiner Mentalfunktionen wiederholt. Sonst würden irgendein System oder eine Ordnung, die ein erträgliches Wohlbefinden und eine mäßige mentale Zufriedenheit sichern, unsern Fortschritt zum Stillstand bringen. Das Tier begnügt sich mit einer bescheidenen Befriedigung seiner Bedürfnisse. Die Götter sind mit ihren Herrlichkeiten zufrieden. Nur der Mensch kann erst dann dauernd zur Ruhe kommen, wenn er ein höchstes Gut erlangt hat. Deshalb ist er auch das höchste der lebendigen Wesen, weil er das unzufriedenste ist, das am meisten den Druck seiner Begrenztheit fühlt. Vielleicht ist er allein dazu fähig, vom göttlichen Wahnsinn der Sehnsucht nach einem fernen Ideal ergriffen zu werden.

Für den Geist im Leben ist darum das Individuum, in dem sich seine potentiellen Kräfte konzentrieren, in besonderer Weise der Mensch, purusha. Der Sohn des Menschen ist im höchsten Grade dazu ausersehen, Gott zu inkarnieren. Der Mensch ist manu, der Denker, mano-maya purusha, die mentale Person oder die Seele als Träger des Mentals nach der Auffassung der Weisen des Altertums. Er ist nicht nur ein Säugetier höherer Art, sondern eine geistig empfängliche Seele, die ihre Grundlage im animalischen Leib in der Materie hat. Er ist bewußter Name, numen. Er nimmt Gestalt an und verwendet sie als ein Mittel, durch das die Person mit der Substanz umgehen kann. Das aus der Materie hervortretende animalische Leben ist nur der untergeordnete Begriff seiner Existenz. Das Leben in Denken, Fühlen, Wollen und bewußtem Impuls, das wir in seiner Gesamtheit mit Mental bezeichnen und das sich müht, die Materie und ihre vitalen Energien in seine Macht zu bekommen und sie dem Gesetz seiner fortschreitenden Transformation zu unterwerfen, ist der mittlere Begriff, in dem der Mensch bei seinem Wirken vorübergehend Station macht. Auch hier gibt es aber einen noch höheren Begriff, nach dem das Mental im Menschen sucht. Ihn möchte er finden und ihm in seiner mentalen und leiblichen Existenz eine sichere Grundlage geben. Diese praktische Bejahung von etwas, das dem gegenwärtigen Ich des Menschen wesenhaft überlegen ist, ist das Fundament für das göttliche Leben im menschlichen Dasein. Ist der Mensch zu einem Wissen von sich erwacht, das tiefer ist als seine erste mentale Idee über sich selbst, beginnt er, sich von dem, was er so sicher zu bejahen hat, eine gewisse Formel auszudenken und ein Wahrnehmungsbild zu erfassen. Dann kommt es ihm aber vor, als sei diese Bejahung zwischen zwei Verneinungen gestellt. Wenn er jenseits dessen, was er bis jetzt erlangt hat, die Macht, das Licht, die Seligkeit eines seiner selbst bewußten unendlichen Seins wahrnimmt oder davon berührt wird und seine Gedanken darüber oder seine Erfahrung davon in die Begriffe überträgt, die seiner Mentalität entsprechen – Unendlichkeit, Allwissenheit, Allmacht, Unsterblichkeit, Freiheit, Liebe, Seligkeit, Gott –, scheint ihm diese Sonne seines Schauens zwischen einer doppelten Nacht zu leuchten, einer Finsternis unter und einer noch mächtigeren Finsternis über ihr. Denn wenn er sich müht, sie bis zum äußersten zu erkennen, scheint sie in etwas überzugehen, das weder ein einzelner dieser Begriffe noch ihre Summe darstellen kann. Sein Mental verneint schließlich Gott zugunsten eines Jenseits, zumindest scheint es zu finden, Gott transzendiere Sich Selbst und verweigere Sich begrifflicher Erfassung. Aber auch hier, in der Welt, in ihm selbst und in seiner Umgebung, begegnen dem Menschen stets die Gegensätze zu seinen Bejahungen. Immer ist der Tod bei ihm, Beschränkung umlagert sein Wesen und seine Erfahrung, Irrtum, Unbewußtheit, Schwäche, Trägheit, Kummer, Schmerz, das Böse – sie alle sind fortwährende Unterdrücker seines Bemühens. So wird er auch hier dazu getrieben, Gott zu verleugnen, zumindest scheint das Göttliche Wesen sich selbst zu verneinen, sich in einer äußeren Erscheinung oder in einem Ergebnis zu verbergen, das anders ist als seine wahre, ewige Wirklichkeit.

Die Begriffe dieses Leugnens sind nicht wie die jener anderen, entlegeneren Verneinung dem Verstehen des Menschen unerreichbar, darum natürlicherweise geheimnisvoll und für sein Mental unerkennbar, sie scheinen vielmehr erkennbar, bekannt und klar zu sein – und dennoch mysteriös. Er weiß nicht, was sie sind, warum sie existieren, wie sie ins Seiende gekommen sind. Er sieht ihre Vorgänge so, wie sie sich auf ihn auswirken und wie sie ihm erscheinen. Er kann aber ihre wesenhafte Wirklichkeit nicht ergründen.

Vielleicht sind sie unergründlich? Vielleicht sind sie in ihrem Wesen auch wirklich unerkennbar? Oder sie besitzen überhaupt keine wesenhafte Wirklichkeit, sind eine Illusion, asat ein Nicht-Seiendes. Die Negation auf höherer Ebene erscheint uns manchmal als ein Nihil, als ein Nicht-Sein. So mag auch die Negation auf der niederen Ebene ihrem Wesen nach ein Nihil sein, ein Nicht-Sein. Aber wie wir schon jene Ausflucht aus der Schwierigkeit im Blick auf die höhere Verneinung von uns gewiesen haben, so weisen wir sie auch für dieses niedere asat zurück. Die Wirklichkeit dieser Negation gänzlich zu bestreiten oder ihr dadurch entrinnen zu wollen, daß wir sie als bloße verhängnisvolle Illusion erklären, bedeutet, daß wir das Problem einfach von uns weisen und unserem Werk davonlaufen. Für das Leben sind die Dinge, die Gott zu bestreiten und Gegensätze zu saccidananda zu sein scheinen, auch dann wirklich, wenn sie sich als etwas nur Zeitweiliges herausstellen. Sie und ihre Gegensätze, das Gute, das Wissen, Freude und Lust, Leben und Überleben, Stärke und Macht, fortschreitendes Wachstum, sind gerade das Material, mit dem das Leben arbeitet. Es ist in der Tat wahrscheinlich, daß sie das Ergebnis oder vielmehr die untrennbaren Begleiterscheinungen, zwar nicht einer Illusion, aber doch einer falschen Beziehung sind, deshalb unrichtig, weil sie sich auf eine falsche Auffassung von dem gründen, was das Individuum im Universum ist. Daher kommt die falsche Haltung des Menschen sowohl zu Gott und zur Natur, wie zu sich selbst und zu seiner Umgebung. Denn das, was er bisher geworden ist, hat jede Harmonie mit dem verloren, was die Welt seiner Wohnstätte ist und was er selbst sein sollte und werden muß. Darum ist der Mensch diesen Widersprüchen gegen die geheime Wahrheit der Dinge unterworfen. Ist das aber so, dann sind sie nicht die Strafe für einen Sündenfall, sondern Voraussetzungen seines Fortschritts. Sie sind die ersten Elemente für das Werk, das er zu vollbringen hat, und der Preis, den er für die Krone entrichten muß, die er zu erringen hofft. Sie sind der enge Pfad, auf dem die Natur aus der Materie heraus in das Bewußtsein entrinnt. Sie sind zugleich ihr Lösegeld und ihr Kapital.

Denn aus diesen falschen Beziehungen und mit ihrer Hilfe müssen wir die wahren Beziehungen finden. Mittels der Unwissenheit müssen wir den Weg über den Tod hinaus finden. So spricht der Veda auch in rätselhaften Andeutungen von Energien, die wie Frauen sind, böse in ihrem Impuls, vom rechten Weg abgekommen und ihrem Herrn Harm zufügend, dennoch bauen sie, obwohl sie an sich falsch und unglücklich sind, am Ende diese ungeheure Wahrheit auf, diese Wahrheit, die Seligkeit ist. So wäre dann für den Menschen das Opfer vollbracht, die Reise vollendet, Himmel und Erde wären miteinander zum Ausgleich gekommen und beide in der Seligkeit des Höchsten geeint, wenn der Mensch, statt das Böse in der Natur durch einen Akt moralischer Chirurgie aus sich herauszuoperieren oder sich mit Abscheu aus dem Leben zurückzuziehen, den Tod in ein vollkommeneres Leben umwandelt, die kleinen Dinge der menschlichen Beschränktheit in die hohen Dinge der göttlichen unbegrenzten Weite emporhebt, das Leiden in Seligkeit umformt, das Böse in sein eigentliches Gutes umkehrt und Irrtum und Lüge in ihre geheime Wahrheit überträgt.

Wie können aber solche Gegensätze ineinander übergehen? Durch welche Alchimie soll dieses Blei der Sterblichkeit verwandelt werden In das Gold göttlichen Wesens? Wie aber, wenn sie in ihrer Essenz überhaupt keine Gegensätze, wenn sie Offenbarungen einer einzigen Wirklichkeit und in ihrer Substanz identisch sind? Dann allerdings wird eine göttliche Umwandlung vorstellbar.

Wir haben gesehen, daß das jenseitige Nicht-Seiende sehr wohl ein unbegreifliches Sein und vielleicht eine unaussprechliche Seligkeit sein kann. Jedenfalls stellt sich in der Psychologie des befreiten, auf der Erde weiter wirkenden Menschen das nirvana des Buddhismus – der ein voll erleuchtendes Bemühen des Menschen formuliert, das höchste Nicht-Sein zu erlangen und in ihm zur Ruhe zu kommen – als unaussprechlicher Friede und als Freude dar. Seine praktische Auswirkung ist das Erlöschen alles Leidens durch das Verschwinden aller ichhaften Vorstellung oder Empfindung. Wir kommen einem positiven Begriff von Nirvana am nächsten, wenn wir es als eine unaussprechliche Glückseligkeit verstehen – falls dieser Name oder überhaupt ein Name einem Frieden beigelegt werden kann, der so inhaltslos ist – der Begriff der eigenen Existenz scheint völlig aufgesogen und verschwunden zu sein. Es ist ein saccidananda, auf das wir selbst die höchsten Begriffe von sat, chit und ananda nicht mehr anzuwenden wagen. Alle Begriffe werden hier zunichte, und alle erkennende Erfahrung bleibt weit zurück.

Andererseits haben wir die Vermutung gewagt: Da alles eine einzige Wirklichkeit ist, kann auch diese untergeordnete Verneinung, dieser andere Widerspruch oder dieses Nicht-Sein von saccidananda nichts anderes sein als saccidananda selbst. In Wahrheit kann es durch den Intellekt begriffen, in der Schau wahrgenommen und sogar durch die Empfindungen erfaßt werden als das, was es zu bestreiten scheint. Für unsere bewußte Erfahrung wäre das immer so, wenn die Dinge nicht durch einen ungeheuren fundamentalen Irrtum verfälscht würden und durch Unwissenheit, die alles in ihrem Besitz und unter ihrem Zwang hält durch maya oder avidya. In diesem Empfinden könnte eine Lösung gesucht werden, vielleicht keine zufriedenstellende metaphysische Lösung für das logische Mental, denn wir stehen hier an der Grenzlinie zum Unerkennbaren und Unaussprechlichen und bemühen uns vergeblich, hinüberzuschauen, aber eine ausreichende Grundlage in der Erfahrung zum Praktizieren des göttlichen Lebens.

Dazu müssen wir wagen, tiefer als nur in die helle Oberfläche der Dinge einzudringen, bei der das Mental so gern verweilt. Wir müssen es mit dem Unermeßlichen und Dunklen aufnehmen, in die unergründlichen Tiefen des Bewußtseins untertauchen, uns mit Zuständen des Wesens identifizieren, die nicht unsere eigenen sind. Bei solchem Forschen leistet die menschliche Sprache nur geringe Hilfe. Wir könnten jedoch in ihr zumindest einige Symbole und Bilder finden, mit einigen gerade noch ausdrückbaren Andeutungen zurückkehren, die für das Licht der Seele eine Hilfe sind und auf das Mental einen Widerschein von dem unaussprechlichen Plan werfen.

Kapitel VII. Das Ich und die Dualitäten

Die Seele, die ihren Sitz auf demselben Baum der Natur hat, wird aufgezehrt und getäuscht und hat Kummer, weil nicht sie der Herr ist. Wenn sie aber jenes andere Selbst und dessen Hoheit schaut und mit ihm, der der Herr ist, zur Einung kommt, schwindet ihr Kummer dahin.

Svetasvatara Upanishad, IV, 7.

Wenn in Wahrheit alles saccidananda ist, können Tod, Leiden, Böses, Beschränkung nur die in der praktischen Wirkung positive, im Wesen negative Schöpfung eines verzerrenden Bewußtseins sein, das aus der totalen, einenden Erkenntnis seiner selbst in den Irrtum von Trennung und partieller Erfahrung verfallen ist. Das ist der Sündenfall des Menschen, wie er in dem poetischen Gleichnis der hebräischen Genesis versinnbildlicht ist. Jener Fall des Menschen ist sein Abirren aus der völligen, lauteren Annahme Gottes und seiner selbst, oder vielmehr Gottes in sich selbst, in ein trennendes Bewußtsein, das jenes ganze Gefolge der Gegensatzpaare nach sich zieht: Leben und Tod, Gutes und Böses, Freude und Leid, Fülle und Mangel, die Frucht eines zerteilten Wesens. Das ist die Frucht, die Adam und Eva, purusha und prakriti, die von der Natur verführte Seele, gegessen haben. Die Erlösung kommt dadurch, daß wir das Universale im Individuum und den spirituellen Begriff im physischen Bewußtsein wiedererlangen. Nur dann kann es der Seele in der Natur erlaubt sein, an der Frucht des Lebensbaumes teilzuhaben, wie Gott zu sein und für immer zu leben. Nur dann kann der Zweck, weshalb sie in das materielle Bewußtsein herabgekommen ist, erfüllt werden, wenn die Erkenntnis von Gut und Böse, von Freude und Leiden, von Leben und Tod dadurch vollendet wurde, daß die menschliche Seele ein höheres Wissen erlangt, das diese Gegensätze miteinander versöhnt, sie im Universalen zur Identität bringt und ihre Zertrennungen in das Ebenbild der göttlichen Einheit umwandelt.

Für saccidananda, das in allen Dingen in weitester Allgemeinheit und unparteilicher Universalität ausgebreitet ist, können Tod, Leiden, Böses und Begrenzung höchstens die ins Extreme umgekehrten Begriffe, die Schattengestalten ihrer lichtvollen Gegensätze sein. So wie alle diese Dinge von uns gefühlt werden, sind sie nur Töne einer Disharmonie. Sie formulieren Absonderung, wo sie Einheit, und Mißverständnis, wo sie Einverständnis sein sollten. Sie versuchen, zu unabhängigen Harmonien zu kommen, wo sich jedes Instrument von selbst in das Ganze des Orchesters einfügen sollte. Jede Totalität muß – und wäre sie auch nur eine Totalität in einem einzigen Schema der universalen Vibrationen, nur eine Totalität des physischen Bewußtseins – ohne den Besitz all dessen, was jenseits von ihr und hinter ihr in Bewegung ist, in ihrem Bereich eine Rückverwandlung in die Harmonie und eine Versöhnung der schrillen Gegensätze sein. Andererseits können aber für saccidananda, das die Gestaltungen des Universums transzendiert, die dualen Begriffe als solche, gerade wenn man sie so versteht, nicht mehr mit Recht anwendbar sein. Transzendenz gestaltet um. Sie versöhnt nicht die Gegensätze, sie wandelt sie vielmehr in etwas Übergeordnetes um, das ihre Gegensätzlichkeiten beseitigt.

Zuerst müssen wir aber danach streben, das Individuum wieder in Beziehung zur Harmonie des gesamten Universums zu bringen. Hier ist es für uns nötig – sonst gibt es kein Entkommen aus dem Problem –, daß wir klar sehen: Die Begriffe, in denen unser jetziges Bewußtsein die Werte des Universums darbietet, sind, auch wenn sie praktisch für die Zwecke von Erfahrung und Fortschritt des Menschen gerechtfertigt sind, nicht die einzigen, in denen man diese Werte wiedergeben kann, und sie dürften auch nicht die vollständigen, rechten und letzten Formulierungen sein. So wie es Sinnesorgane oder Träger von Sinnesbefähigungen geben kann, die unsere physische Welt in verschiedener Weise und vielleicht besser wahrnehmen, weil sie vollkommener sind als unsere Sinnesorgane oder Sinnesbefähigung, mag es auch andere mentale und supramentale Betrachtungsweisen des Universums geben, die über die unsrigen hinausgehen. Es gibt Bewußtseinszustände, in denen Tod nur eine Verwandlung innerhalb unsterblichen Lebens ist, Schmerz heftige Rückflut der Wogen universalen Entzückens, Begrenztheit eine Rückwendung des Unendlichen zu sich selbst, Böses ein Kreisen des Guten um seine eigene Vollkommenheit. Das ist keineswegs nur so im abstrakten Begreifen, sondern auch in aktueller Schau und in ständiger und substantieller Erfahrung. Zu solchen Bewußtseinszuständen zu gelangen, sollte für den Einzelnen einer der wichtigsten und unentbehrlichsten Schritte seines Fortschreitens zur Selbst-Vervollkommnung sein.

Gewiß müssen die von unseren Sinnen und vom dualistischen Sinnen-mental gegebenen praktischen Werte in ihrem eigenen Bereich Geltung behalten und als Standard für die gewöhnliche Lebenserfahrung so lange akzeptiert werden, bis eine umfassendere Harmonie fertig ist, in die sie eingehen und sich umwandeln können, ohne den Halt an jenen Wirklichkeiten zu verlieren, die sie repräsentieren. Würde man die Sinnesbefähigungen ohne das Wissen erweitern, das den alten Sinneswerten ihre richtige Deutung von dem neuen Standpunkt aus gibt, so könnte das zu ernstlichen Störungen, zu Unfähigkeiten führen und den Menschen unbrauchbar machen für das praktische Leben und für die geordnete, disziplinierte Verwendung der Vernunft. Ebenso kann die Ausweitung unseres mentalen Bewußtseins über die Erfahrung der ichhaften Dualitäten hinaus in ein unreguliertes Einswerden mit einer Form totalen Bewußtseins leicht Verwirrung und Behinderung des aktiven menschlichen Lebens innerhalb der geltenden Ordnung der Beziehungen in der Welt herbeiführen. Das liegt zweifellos der Mahnung der Gita an den Menschen zugrunde, der das Wissen besitzt, er dürfe die Lebens- und die Denkgrundlage der Unwissenden nicht in Verwirrung bringen, denn sie würden durch sein Vorbild verführt, wären aber unfähig, das Prinzip seines Handelns zu begreifen, und würden so ihr eigenes Wertsystem verlieren, ohne zu einer höheren Grundlegung zu gelangen.

Solch eine Störung und Leistungsverminderung kann man für sich persönlich akzeptieren, und viele große Seelen haben das für eine Übergangszeit getan und so den Preis für ihren Eintritt in ein umfassenderes Dasein entrichtet. Das wahre Ziel des menschlichen Fortschritts muß aber bleiben, wirkungsvoll und synthetisch das Gesetz jenes erweiterten Daseins in einer neuen Ordnung von Wahrheiten neu zu interpretieren und es in einer richtigen, machtvolleren Einwirkung dieser Befähigungen auf das Lebens-Material des Universums darzustellen. Für die menschlichen Sinne wandert die Sonne rund um die Erde, sie war für die Menschen Daseinsmittelpunkt, und die Bewegungen des Lebens wurden auf der Grundlage eines Mißverstehens geordnet. Die Wahrheit ist das genaue Gegenteil davon; aber ihre Entdeckung hätte wenig genützt, wenn es nicht eine Naturwissenschaft gäbe, die die neue Anschauung zum Mittelpunkt einer rationalen und geordneten Erkenntnis macht, die den Wahrnehmungen der Sinne ihre richtigen Werte beilegt. Genauso kreist für das mentale Bewußtsein Gott um das personale Ich, und alle Seine Werke und Wege werden vor das Gericht unserer ichhaften Empfindungen, Gefühle und Auffassungen gestellt und erhalten hier Werte und Deutungen, die zwar eine Verdrehung und Umkehrung der Wahrheit der Dinge, aber doch nützlich und praktisch ausreichend sind für eine gewisse Entwicklung menschlichen Lebens und Fortschritts. Sie sind eine primitive praktische Systematisierung unserer Erfahrung der Dinge und so lange gültig, als wir noch in einer gewissen Ordnung von Ideen und Aktivitäten zu Hause sind. Sie stellen aber nicht den letzten und höchsten Zustand menschlichen Lebens und Wissens dar. “Wahrheit ist der Weg, nicht die Unwahrheit.” Es ist nicht die Wahrheit, daß Gott das Ich als das Zentrum des Daseins umkreist und vom Ich und seiner Schau der Dualitäten beurteilt werden kann, sondern daß das göttliche Wesen selbst die Mitte ist und daß das Individuum nur dann seine wirkliche Wahrheit erfährt, wenn es diese in den Begriffen des Allumfassenden und Transzendenten erkennt. Würde man die bisherige ichhafte Auffassung durch diese neue ohne angemessene Erkenntnisgrundlage ersetzen, so führte das dazu, daß man alte Ideen durch neue ersetzt, die aber immer noch unrichtig und willkürlich sind, und so anstelle einer ruhigen Unordnung richtiger Werte eine ungestüme Unordnung hervorbringt. Solche Unordnung kennzeichnet oft das Auftreten neuer Philosophien und Religionen und leitet wertvolle Umwälzungen ein. Das wahre Ziel wird aber nur erreicht, wenn wir um die richtige zentrale Auffassung ein vernunftgemäßes, wirkungsvolles Wissen ordnen können, in dem das ichhafte Leben alle seine Werte umgewandelt und verbessert wieder finden kann. Dann werden wir jene neue Ordnung von Wahrheiten besitzen, die es uns ermöglichen, unser jetziges Dasein durch ein mehr göttliches Leben zu ersetzen und gotterfüllter und kraftvoller mit unseren Fähigkeiten auf das Lebens-Material des Universums einzuwirken.

Jenes neue Leben und jene neue Macht des integralen menschlichen Selbsts muß notwendigerweise auf wirklicher Einsicht in die großen Wahrheiten beruhen, die eine Übersetzung der Natur des göttlichen Seins in unsere Art des Erfassens der Dinge sind. Das muß dadurch geschehen, daß das Ich auf seinen falschen Standpunkt und seine falschen Gewißheiten verzichtet, in die richtige Beziehung und Harmonie zu den Totalitäten eintritt, deren Teil es bildet, und zu den Transzendenzen, denen es entstammt. Es soll sich vollkommen für eine Wahrheit und ein Gesetz öffnen, die über seine herkömmlichen Ordnungen hinausgehen, für eine Wahrheit, die seine eigene Erfüllung ist, und für ein Gesetz, das seine Befreiung bringt. Sein Ziel muß dabei sein, jene Werte aufzugeben, die Schöpfungen der egoistischen Betrachtung der Dinge sind. Dessen Krönung ist, Beschränkung, Unwissenheit, Tod, Leiden und das Böse zu transzendieren.

Hier auf Erden und in unserem menschlichen Leben können wir so lange nicht die Dualitäten transzendieren und beseitigen, wie die Grundbegriffe dieses Lebens zwangsläufig an unsere gegenwärtigen ichzentrierten Bewertungen gebunden sind. Solange das Leben seiner Natur nach ein individuelles Phänomen und nicht Repräsentation eines universalen Seins und das Atmen eines mächtigen Lebens-Geistes ist, solange die Gegensatzpaare, die Antwort des Individuums auf seine Kontakte mit dem Leben, nicht nur eine Reaktion, sondern das wirkliche Wesen und die Grundbedingungen alles Lebens sind, solange die Begrenztheit die unabänderliche Natur der Substanz ist, aus der unser Mental und unser Körper gebildet sind, solange Zersetzung durch den Tod die erste und letzte Bedingung des Lebens, sein Ende und sein Anfang sind, solange Lust und Schmerz der untrennbare duale Stoff jeder Empfindung, solange Freude und Leid das notwendige Licht und der Schatten jedes Gefühls und solange Wahrheit und Irrtum die beiden Pole sind, zwischen denen ewig jede Erkenntnis sich bewegen muß – solange können wir das alles nur dann transzendieren, wenn wir das menschliche Leben in einem Nirvana jenseits von allem Dasein aufgeben oder in eine andere Welt, in einen Himmel gelangen, der ganz anders konstituiert ist als dieses materielle Universum.

Für das herkömmliche Mental des Menschen, der an seine vergangenen und gegenwärtigen Assoziationen gebunden bleibt, ist es nicht sehr leicht, sich ein zwar noch menschliches, aber doch radikal verändertes Dasein innerhalb unserer jetzigen festgelegten Lebensverhältnisse vorzustellen. Im Blick auf unsere mögliche höhere Evolution sind wir eigentlich in der Lage des Affen, der nach Darwins Theorie unser Ahne ist. Für jenen Affen, der sein Instinkt-Leben auf den Urwaldbäumen führte, wäre die Vorstellung unmöglich gewesen, eines Tages würde ein Geschöpf seiner Art auf Erden eine neue, Vernunft genannte, Fähigkeit auf die Materialien seiner inneren und äußeren Existenz anwenden, würde mit dieser Macht seine Instinkte und Gewohnheiten beherrschen und die Bedingungen seines physischen Lebens verändern, würde sich Häuser aus Stein erbauen, die Kräfte der Natur manipulieren, über die Meere fahren, durch die Lüfte fliegen, würde Gesetze für sein Verhalten schaffen und bewußte Methoden entwickeln für seine mentale und spirituelle Entfaltung. Auch wenn eine solche Vorstellung dem Affen-Mental möglich gewesen wäre, hätte der Affe sich doch wohl schwerlich vorstellen können, er selbst werde sich durch Fortschritt der Natur oder durch langes Bemühen des Willens und seiner eigenen Tendenz in jenes Geschöpf entwickeln können. Da der Mensch Vernunft erwarb und darüber hinaus die Macht seiner Phantasie und Intuition einsetzte, kann er sich ein Dasein vorstellen, das höher steht als sein eigenes, und er kann sogar seinen persönlichen Aufstieg über seinen jetzigen Zustand hinaus zu jenem Dasein ins Auge fassen. Seine Idee von einem höchsten Zustand ist eine Verabsolutierung all dessen, was seinen eigenen Auffassungen positiv und seinem instinktiven Streben wünschenswert erscheint: Erkenntnis ohne den negativen Schatten von Irrtum, Seligkeit ohne Verneinung in der Leidenserfahrung, Macht ohne ständige Infragestellung durch Unfähigkeit, Reinheit und Seinsfülle ohne das gegenteilige Empfinden von Mangel und Beschränkung. So stellt er sich seine Götter vor, ebenso konstruiert er seine Himmel. Jedoch stellt sich seine Vernunft eine mögliche Erde und eine mögliche Menschheit nicht ebenso vor. Sein Traum von Gott und Himmel ist in Wirklichkeit ein Traum von seiner eigenen Vollkommenheit. Wenn er dessen praktische Verwirklichung hier als sein höchstes Ziel annehmen will, steht er aber vor der gleichen Schwierigkeit, wie es seinem Ahnen, dem Affen, ergangen wäre, hätte man von ihm gefordert, er solle an sich selbst als an den zukünftigen Menschen glauben. Seine Phantasie und religiösen Bestrebungen mögen dem Menschen jenes Ziel vor Augen halten. Setzt sich aber sein rationales Denken durch, verwirft es Phantasie und transzendente Intuition und legt sie als brillanten Aberglauben beiseite, der den harten Tatsachen des materiellen Universums widerspreche; so wird daraus allenfalls eine ihn inspirierende Vision des Unmöglichen. Möglich erscheinen ihm nur bedingtes Wissen, begrenzte Freude und Macht, ein immer bedrohtes Gutes.

Dennoch ist im Prinzip der Vernunft selbst die Bejahung einer Transzendenz enthalten. Denn nach ihrem ganzen Ziel und Wesen ist Vernunft das Suchen nach Erkenntnis, sozusagen das Streben nach Wahrheit durch Ausschluß von Irrtum. Sie blickt und strebt nicht nur nach dem Übergang von einem größeren zu einem geringeren Irrtum, sondern sie setzt eine positive, präexistente Wahrheit voraus, auf die wir uns durch die Dualitäten von richtiger und falscher Erkenntnis hindurch fortschreitend hinbewegen können. Wenn unsere Vernunft hinsichtlich der anderen Bestrebungen der Menschheit nicht die gleiche instinktive Gewißheit besitzt, so deshalb, weil ihr dort die gleiche eingeborene wesenhafte Erleuchtung fehlt, die sie ihrer eigenen positiven Betätigung zugrunde legt. Wir können uns wohl eine positive absolute Verwirklichung von Glück vorstellen, weil das Herz, dem dieses Urgefühl für das Glück angehört, seine eigene Form von Gewißheit hat, zum Glauben fähig ist und weil unser Denken sich die Ausschaltung von unbefriedigtem Mangel, dem offensichtlichen Grund des Leidens, vorstellen kann. Wie sollen wir uns aber die Ausschaltung des Schmerzes aus unserem nervlichen Empfinden oder des Todes aus dem leiblichen Leben vorstellen? Dennoch ist die Zurückweisung des Schmerzes ein vorherrschender Instinkt der Empfindungen und die Ablehnung des Todes eine dominierende Forderung, tief gegründet im Wesen unserer Vitalität. Aber diese Dinge stellen sich unserer Vernunft dar als instinktives Streben und nicht als verwirklichbare Möglichkeiten.

Dennoch sollte das gleiche Gesetz überall gelten. Der Irrtum der praktischen Vernunft liegt in ihrer übermäßigen Unterwerfung unter die augenfällige Tatsächlichkeit, die sie unmittelbar als wirklich empfinden kann, und darin, daß ihr der Mut fehlt, tiefer liegende Tatsachen einer möglichen Verwirklichung bis hin zu ihrem logischen Schluß zu verfolgen. Was jetzt ist, ist die Realisierung einer vorausgegangenen möglichen Verwirklichung. Was gegenwärtig nur potentiell verwirklichbar ist, ist der Hinweis auf eine künftige Realisierung. Und hier existiert eine potentielle Verwirklichung; denn die Bemeisterung der augenfälligen Dinge hängt davon ab, daß wir ihre Ursachen und Abläufe kennen, und wenn wir die Gründe für Irrtum, Kummer, Schmerz, Tod wissen, können wir mit einiger Hoffnung auf ihre Beseitigung hinarbeiten. Wissen ist Macht, Erkenntnis ist Meisterschaft.

Tatsächlich verfolgen wir als Ideal, soweit wir damit kommen, die Ausschaltung all dieser negativen oder uns feindlichen Phänomene. Ständig versuchen wir, die Ursachen von Irrtum, Schmerz und Leiden zu verringern. Die Naturwissenschaft träumt davon, daß sie, je weiter ihre Erkenntnisse reichen, die Geburt regulieren und das Leben grenzenlos verlängern, wenn nicht den Tod überhaupt besiegen kann. Da wir aber bloß äußere oder sekundäre Ursachen ins Auge fassen, können wir nur daran denken, diese in gewissem Umfang zu beseitigen, nicht jedoch die Wurzeln dessen ausrotten, gegen das wir kämpfen. Wir sind deshalb so eingeschränkt, weil wir um sekundäre Wahrnehmungen ringen und nicht um eine Grund-Erkenntnis, weil wir zwar die Abläufe der Dinge kennen, aber nicht ihr Wesen. So gelangen wir zwar zu einer machtvolleren Bewältigung der Umstände, aber nicht zu einer wesentlichen Herrschaft über sie. Könnten wir die wesentliche Natur und die wesentliche Ursache von Irrtum, Leiden und Tod begreifen, dann dürften wir hoffen, zu einer Herrschaft über sie zu gelangen, die dann keine relative, sondern eine vollständige sein würde. Wir könnten sogar hoffen, jene ganz und gar auszuschalten und so den mächtigen Instinkt unserer Natur dadurch zu rechtfertigen, daß wir jenes absolute Gute gewinnen: Seligkeit, Erkenntnis, Unsterblichkeit, die wir in unserer Intuition als den wahren, höchsten Zustand des menschlichen Wesens erkennen.

Der alte Vedanta bietet uns eine solche Lösung im Begriff und in der Erfahrung des brahman als der einzigen universalen und wesentlichen Tatsache und der Natur des brahman als saccidananda. In dieser Schau ist das Wesentliche alles Lebens die Bewegung eines universalen und unsterblichen Seins, das Wesentliche alles Empfindens und Fühlens das Spiel einer universalen selbst-seienden Seins-Seligkeit, das Wesentliche alles Denkens und Wahrnehmens die Ausstrahlung einer universalen, alles durchdringenden Wahrheit, das Wesentliche aller Aktivität die fortschreitende Entfaltung eines universalen, aus dem Selbst wirkenden Guten.

Spiel und Bewegung verkörpern sich aber in einer Vielfalt von Formen, einer Vielartigkeit von Tendenzen, einem Zusammenspiel von Energien. Die Vielfalt läßt das Einwirken eines bestimmenden, zeitweise entstellenden Faktors zu: des individuellen Ego. Die Natur des Ichs ist Selbst-Begrenzung des Bewußtseins durch ein gewolltes Nicht-Erkennen der übrigen Wirkungen des vielfältigen Spiels und sein ausschließliches Aufgehen in einer einzigen Form, einer einzigen Kombination von Tendenzen, einem einzigen Bereich von Energiebewegungen. Ego ist der Faktor, der die Reaktionen von Irrtum, Kummer, Schmerz, Bösem und Tod bestimmt; denn es legt diese Werte Bewegungen bei, die sonst in ihrer richtigen Beziehung zum Einen Sein, zur Seligkeit, Wahrheit und dem Guten repräsentiert würden. Fänden wir wieder die richtige Beziehung, könnten wir die vom Ego bestimmten Reaktionen ausschalten und sie schließlich auf ihre wahren Werte zurückführen. Diese Entdeckung kann dadurch bewirkt werden, daß der Einzelne in der rechten Weise am Bewußtsein der Totalität teilnimmt und des Transzendenten bewußt wird, das die Totalität repräsentiert.

In den späteren Vedanta schlich sich folgende Idee ein und wurde zum starren Dogma: Das begrenzte Ego sei nicht nur die Ursache der Dualitäten, sondern wesenhafte Grundbedingung für die Existenz des Universums. Wenn wir uns von der Unwissenheit des Ichs und von den daraus herrührenden Begrenzungen befreien, schalten wir die Dualitäten aus; mit ihnen eliminieren wir aber auch unsere Existenz in der kosmischen Bewegung. So gelangen wir wieder dahin zurück, daß die Natur der menschlichen Existenz ihrem Wesen nach böse und illusorisch sei und alles Ringen um Vollkommenheit im Leben der Welt eitel. Hier könnten wir allenfalls ein relatives Gutes suchen, das aber immer mit seinem Gegenteil verknüpft sei. Bekennen wir uns aber zu der umfassenderen und tieferen Idee, derzufolge das ich nur eine zwischenstufige Repräsentation von etwas ist, das jenseits von ihm existiert, entrinnen wir dieser Konsequenz und können den Vedanta zur Erfüllung des Lebens verwenden, statt dem Leben zu entfliehen. Die wesenhafte Ursache und Grundlage universalen Daseins ist der Herr, ishvara oder purusha, der sich in individuellen und universalen Formen offenbart und sie in Besitz hält. Das begrenzte Ich ist nur das Bewußtseins-Phänomen der Zwischenstufe, das für eine gewisse Entwicklungslinie notwendig ist. Folgt der Einzelne dieser Linie, so kann er zu dem gelangen, das jenseits von ihm ist und das er repräsentiert. Er kann es auch weiter repräsentieren, aber dann nicht mehr als ein unerleuchtetes beschränktes Ego, sondern als Mittelpunkt Göttlichen Wesens und universalen Bewußtseins, das alle individuellen Bestimmungen umfaßt, verwendet und in Harmonie mit dem Göttlichen Wesen umwandelt.

Wir haben also die Manifestation des Göttlichen Bewußten Wesens in der Totalität der physischen Natur als die Grundlage menschlichen Daseins im materiellen Universum. Wir haben das Hervortreten dieses Bewußten Wesens in einem involvierten und darum unvermeidlich evolvierenden Leben, Mental und Supramental als die Grundlagen unseres aktiven Wirkens. Diese Evolution hat es dem Menschen ermöglicht, in der Materie in Erscheinung zu treten. Sie wird es ihm auch ermöglichen, fortschreitend Gott im Körper zu manifestieren, – die universale Inkarnation. In der vom Ich bestimmten Gestalt besitzen wir den Vermittlungsfaktor von entscheidender Bedeutung, der es dem Einen möglich macht, als die bewußten Vielen aus jener indeterminierten, allgemeinen, finsteren und gestaltlosen Totalität emporzutauchen, die wir das Unterbewußte nennen, hrdya samudra, “das Ozean-Herz in den Dingen” nach dem Rig Veda. Wir haben die Dualitäten Leben und Tod, Freude und Leid, Lust und Schmerz, Wahrheit und Irrtum, Gutes und Böses als die ersten Gestaltungen ichhaften Bewußtseins, als das natürliche, unvermeidliche Ergebnis seines Versuchs, Einheit in einer künstlichen Konstruktion seiner selbst zu realisieren außerhalb der totalen Wahrheit des Guten, des Lebens und der Seins-Seligkeit im Universum. Diese ichhafte Konstruktion wird dadurch aufgelöst, daß der Einzelne sich selbst für das Universum und für Gott öffnet als das Mittel, um zu jener höchsten Erfüllung zu gelangen, von der das ichhafte Leben in gleicher Weise nur ein Vorspiel ist, wie es das Tierleben für das Menschenleben war. Wir realisieren das All im Individuum, indem wir das begrenzte Ich in ein bewußtes Zentrum göttlicher Einheit und Freiheit umwandeln. Das ist das Ziel, bei dem diese Erfüllung anlangt. So strömt das unendliche, absolute Sein, die Wahrheit, das Gute, und die Seligkeit des Wesens auf die Vielen in der Welt über als das göttliche Endergebnis, auf das sich die Zyklen unserer Evolution hinbewegen. Das ist die erhabene Geburt, die die mütterliche Natur in sich trägt. Sie ringt danach, hiervon entbunden zu werden.

Kapitel VIII. Die Methoden vedantischer Erkenntnis

Dieses geheime Selbst in allen Wesen ist nicht äußerlich sichtbar, es wird aber mittels der höchsten, der subtilen Vernunft von denen gesehen, die die subtile Schau haben.

Katha Upanishad, III.12.

Worin besteht aber das Wirken dieses saccidananda in der Welt, und durch welche sachlichen Verfahren werden die Beziehungen zwischen ihm und dem Ich, das es zuerst verkörpert, hergestellt und dann zur Vollendung gebracht? Denn von diesen Beziehungen und dem dabei befolgten Verfahren hängt die ganze Philosophie und Praxis eines göttlichen Lebens für den Menschen ab.

Wir gelangen zum Begriff und zur Erkenntnis eines göttlichen Daseins, indem wir über die Evidenz der Sinne hinauskommen und in das Jenseits der Mauern des physischen Mentals eindringen. Solange wir uns nur auf die Beweiskraft der Sinne und auf das physische Bewußtsein beschränken, können wir nichts anderes begreifen und erkennen als die materielle Welt und ihre Phänomene. Wir haben jedoch gewisse Fähigkeiten, die es unserer Mentalität ermöglichen, zu Auffassungen zu gelangen, die wir in der Tat durch Vernunftschlüsse oder durch Variationen unserer Phantasie aus den Tatsachen der physischen Welt, wie wir sie sehen, ableiten können, die aber nicht durch rein physische Gegebenheiten oder physische Erfahrung begründet sind. Das erste dieser Instrumente ist die Reine Vernunft.

Menschliche Vernunft wirkt auf doppelte Weise, auf vermischte oder abhängige und auf reine oder souveräne Art. Die Vernunft begnügt sich mit einem vermischten Wirken, wenn sie sich auf den Kreis unserer sinnlichen Erfahrung beschränkt, deren Gesetz als endgültige Wahrheit anerkennt und sich nur mit der Erforschung des Phänomens befaßt, also mit den äußeren Erscheinungen der Dinge in ihren Beziehungen, Abläufen und Verwendungsmöglichkeiten. Diese Art der Vernunftbetätigung kann unmöglich das erkennen, was wirklich ist. Sie erkennt nur das, was zu sein scheint. Sie hat kein Lot, um mit ihm die Tiefen des Seins zu ergründen, und sie kann sich über den Bereich des Werdenden nur einen allgemeinen Überblick verschaffen. Andererseits bringt die Vernunft ihr reines Wirken zur Geltung, wenn sie unsere Sinneserfahrungen nur als Ausgangspunkt nimmt, sich jedoch keinesfalls durch sie einschränken läßt, vielmehr hinter sie zurücktritt, sie beurteilt, aus eigener Vollmacht arbeitet und nach allgemeinen, unveränderlichen Begriffen zu gelangen strebt, die nicht durch die äußeren Erscheinungen der Dinge gebunden sind, sondern sich auf das gründen, was hinter diesen steht. Sie mag zu ihrem Ergebnis durch unmittelbares Urteilen gelangen, indem sie, unvermittelt von der äußeren Erscheinung, zu dem durchdringt, was dahinter steht. In diesem Fall mag es so aussehen, als sei der so gewonnene Begriff ein Ergebnis der sinnlichen Erfahrung und von ihr abhängig, obwohl er in Wirklichkeit ein Begriff der aus eigener Vollmacht wirkenden Vernunft ist. Die Begriffe der Reinen Vernunft können auch – und das ist für ihr Wirken charakteristischer – die Erfahrung, von der sie ausgehen, nur zum Anlaß nehmen und sie dann weit hinter sich lassen, bevor sie zu ihrem Ergebnis gelangen, so weit, daß das Ergebnis das direkte Gegenteil von dem zu sein scheint, was unsere sinnliche Erfahrung uns diktieren will. Dieser Vorgang ist legitim und unentbehrlich, da unsere normale Erfahrung einerseits nur einen kleinen Teil der universalen tatsächlichen Gegebenheiten erfaßt, andererseits selbst innerhalb dieser Grenzen ihres eigenen Bereichs mangelhafte Instrumente verwendet und uns falsche Gewichte und Maße liefert. Wir müssen über diese normale Erfahrung hinauskommen, uns von ihr distanzieren und ihre Aufdringlichkeit oft bestreiten, wenn wir zu angemessenen Begriffen von der Wahrheit der Dinge gelangen wollen. Daß der Mensch die Irrtümer des Sinnenmentals durch den Gebrauch der Vernunft korrigieren kann, ist eine der wertvollsten Mächte, die von ihm entwickelt wurden, und der Hauptgrund für seine überlegene Stellung unter den irdischen Geschöpfen.

Der vollständige Gebrauch der Reinen Vernunft bringt uns schließlich von der physischen zur metaphysischen Erkenntnis. Die Begriffe metaphysischer Erkenntnis befriedigen aber an sich die Forderung unseres integralen Wesens nicht vollständig. Sie sind zwar für die Reine Vernunft selbst völlig befriedigend, da sie der Stoff ihres eigenen Seins sind. Unsere Natur sieht aber die Dinge immer durch zwei Augen, denn sie betrachtet sie doppelt als Idee und als Faktum. Darum ist für uns jeder Begriff so lange unvollständig und für den einen Teil unserer Natur so lange unwirklich, bis er zu einer Erfahrung wird. Die jetzt infrage stehenden Wahrheiten gehören aber zu einer Ordnung, die unserer normalen Erfahrung nicht unterworfen ist. Sie stehen ihrer Natur nach “jenseits der Wahrnehmung der Sinne, können aber durch das Wahrnehmen der Vernunft erfaßt werden”. Darum ist eine andere Erfahrungsfähigkeit notwendig, durch die die Forderung unserer Natur erfüllt werden kann. Diese kann, da wir es mit dem Supraphysischen zu tun haben, nur durch Ausweitung der psychologischen Erfahrung kommen.

In gewissem Sinn ist unsere gesamte Erfahrung psychologisch, da auch das, was wir durch die Sinne empfangen, erst dann für uns Bedeutung und Wert gewinnt, wenn es in die Begriffe des Sinnen-Mentals, des manas der indischen philosophischen Terminologie, übersetzt ist. Unsere Philosophen sagen, manas sei der sechste Sinn. Wir können sogar sagen, manas sei der einzige Sinn, und die anderen Sinne – Sehen, Hören, Tasten, Riechen, Schmecken – seien nur Spezialfunktionen des Sinnen-Mentals, das zwar normalerweise die Sinnesorgane als Grundlage seiner Erfahrung verwendet, aber umfassender als diese und zu unmittelbarer Erfahrung befähigt ist, die der ihm ursprünglich eigenen Wirkensweise entspricht. Infolgedessen ist die psychische Erfahrung, genauso wie bei den Erkenntnissen der Vernunft, mit doppelter Wirkensweise im Menschen begabt: vermischt oder abhängig und rein oder souverän. Vermischt wirkt sie gewöhnlich dann, wenn das Mental die äußere Welt, das Objekt, wahrzunehmen sucht. Rein wirkt sie, wenn sie ihrer selbst, des Subjekts, bewußt werden will. Bei der ersteren Wirkensart hängt die psychische Erfahrung von den Sinnen ab und bildet ihre Wahrnehmungen im Einklang mit ihrer Evidenz. Bei letzterer wirkt sie in ihrem eigenen Innern und wird der Dinge unmittelbar durch eine Art von Identität mit ihnen inne. Auf diese Weise beobachten wir unsere Gefühle. Wir sind uns des Zorns bewußt, weil wir, wie jemand scharfsinnig sagte, selbst Zorn werden. Wir sind uns ebenso unseres eigenen Daseins bewußt, und hier wird die Natur der Erfahrung als eine Erkenntnis durch Identität sichtbar. In Wirklichkeit ist jede Erfahrung ihrer geheimen Natur nach eine Erkenntnis durch Identität. Ihr wahrer Charakter bleibt aber vor uns verborgen, da wir uns von der übrigen Welt durch Ausschließung, durch die Unterscheidung zwischen uns selbst als dem Subjekt und allem anderen als dem Objekt, abgesondert haben. So müssen wir nun Verfahren und Organe entwickeln, durch die wir wieder in eine Kommunikation mit allem eintreten können, was wir ausgeschlossen haben. Wir müssen das unmittelbare Erkennen mittels bewußter Identität ersetzen durch ein indirektes Erkennen, das durch physischen Kontakt und mentale Sympathie verursacht zu sein scheint. Diese Einschränkung ist eine fundamentale Schöpfung des Ichs und ein Beispiel für die Art und Weise, wie es überall verfährt. Es fängt bei einem ursprünglich falschen Ausgangspunkt an und überdeckt die wirkliche Wahrheit der Dinge mit weiteren, dadurch bedingten Verfälschungen, die für uns zu praktischen Wahrheiten der Beziehung werden.

Aus dieser Natur mentaler und sinnenhafter Erkenntnis, wie sie gegenwärtig in uns organisiert ist, folgt, daß in unseren jetzt bestehenden Einschränkungen keine unentrinnbare Notwendigkeit liegt. Sie sind das Ergebnis einer Evolution, in der sich das Mental daran gewöhnt hat, von gewissen physiologischen Funktionen und ihren Reaktionen als seinen normalen Mitteln abhängig zu sein, durch die es in Beziehung zum materiellen Universum tritt. Obwohl wir also in der Regel, wenn wir die äußere Welt wahrzunehmen suchen, dies mittelbar durch die Sinnesorgane tun müssen und nur soviel von der Wahrheit über Dinge und Menschen erfahren können, als uns die Sinne einbringen, ist diese Regel nur die Regelmäßigkeit einer herrschenden Gewohnheit. Das Mental kann ohne die Hilfe der Sinnesorgane die Objekte der Sinne zur Kenntnis nehmen – was für es natürlich wäre, wenn es dazu überredet werden könnte, sich von seiner Zustimmung zur Herrschaft der Materie über es zu befreien – wie in Experimenten der Hypnose und bei verwandten psychologischen Phänomenen. Da aber unser Wachbewußtsein durch das Gleichgewicht zwischen Mental und Materie, das durch das Leben in seiner Evolution hergestellt wurde, festgelegt und begrenzt wird, ist dieses unmittelbare Erkennen in unserem gewöhnlichen Wachzustand unmöglich und muß deshalb dadurch zustande gebracht werden, daß das wache Mental in einen Schlafzustand versenkt wird, der das wahre oder subliminale Mental befreit. Dann kann das Mental seinen wahren Charakter als der eine und zureichende Sinn durchsetzen und auf die Sinnesobjekte sein reines, souveränes statt vermischtes und abhängiges Wirken ausüben. Diese Ausweitung der mentalen Befähigung ist in Wirklichkeit nicht unmöglich, jedoch in unserem Wachzustand nur schwieriger, – wie allen bekannt ist, die auf gewissen Wegen psychischen Experimentierens weit genug vorangeschritten sind. Das souveräne Wirken des Sinnen-Mentals kann dazu verwendet werden, außer den fünf Sinnen, die wir gewöhnlich gebrauchen, noch andere zu entwickeln. Es ist z. B. möglich, genau und ohne physische Mittel das Gewicht eines Gegenstands zu bestimmen, den wir in der Hand halten. Hier wird das Empfinden von Kontakt und Druck genauso nur als Ausgangspunkt verwendet wie von der Reinen Vernunft die Gegebenheiten der Sinneserfahrung. In Wirklichkeit ist es aber nicht der Tastsinn, der den Wert des Gewichts dem Mental mitteilt. Dieses findet den richtigen Wert durch seine eigene unabhängige Wahrnehmung und verwendet das Tasten nur, um mit dem Gegenstand in Beziehung zu treten. Wie bei der Reinen Vernunft, kann auch beim Sinnen-Mental die Sinneserfahrung nur als Ausgangspunkt dienen, von dem aus es zu einer Erkenntnis gelangt, die nichts mit den Sinnesorganen zu tun hat und oft ihrer Evidenz widerspricht. Auch ist die Befähigungs-Ausweitung nicht nur auf Oberflächen-Erscheinungen begrenzt. Sobald wir durch einen der Sinne mit einem äußeren Objekt in Beziehung getreten sind, ist es möglich, manas so anzuwenden, daß wir den Inhalt des Objekts wahrnehmen. So können wir z. B. die Gedanken und Gefühle anderer empfangen oder wahrnehmen, ohne deren Äußerung, Gebärden, Handeln oder Gesichtsausdruck als Hilfe zu gebrauchen, sogar im Widerspruch zu deren immer nur partiellen und oft irreführenden Daten. Schließlich können wir die inneren Sinne unmittelbar verwenden, d. h. die Sinnen-Mächte als solche in ihrem rein mentalen oder subtilen, im Unterschied zu ihrem physischen Wirken, das doch nur eine Auswahl aus ihrer totalen und allgemeinen Betätigung für die Zwecke des äußeren Lebens ist, und Sinneserfahrungen, Erscheinungen und Abbildungen von Dingen wahrnehmen, die anders sind als die zur Organisation unserer materiellen Umgebung gehörigen. Alle diese Ausweitungen unserer Befähigung werden zwar vom physischen Mental nur mit Zögern und Ungläubigkeit angenommen, da sie für das gewöhnliche Schema unseres alltäglichen Lebens und für unsere Erfahrung zu abnorm sind, zu schwer zu betätigen und noch schwerer zu systematisieren, als daß man aus ihnen eine systematische, gebrauchsfähige Anordnung von Instrumenten machen könnte. Dennoch müssen wir sie anerkennen, da sie das unvermeidliche Ergebnis jedes Versuchs zur Ausweitung des Bereiches unseres oberflächlich aktiven Bewußtseins sind: entweder durch dilettantisches Bemühen und einen zufälligen, schlecht geordneten Effekt oder durch wissenschaftliches, wohlreguliertes Praktizieren.

Doch nichts davon bringt uns zu dem Ziel, das wir im Auge haben: zur psychischen Erfahrung jener Wahrheiten, die “jenseits der Sinneserfahrung liegen, jedoch der wahrnehmenden Vernunft erfaßbar sind” (buddhigrahyam atindriyam, Gita VI. 21). Wir bekommen dadurch nur Zugang zu einem umfassenderen Bereich von Phänomenen und wirkungsvolleren Mitteln zu ihrer Beobachtung. Die Wahrheit der Dinge entzieht sich stets in ein Jenseits der Sinne. Es gibt aber ein gesundes, ursprünglich zur Konstitution des universalen Daseins gehöriges Gesetz, demzufolge dort, wo man durch die Vernunft Wahrheiten erlangen kann, auch im Organismus der Vernunft ein Mittel vorhanden sein muß, um durch Erfahrung zu diesen Wahrheiten zu gelangen oder ihre Wirklichkeit zu bestätigen. Das einzige Mittel, das unserer Mentalität verbleibt, ist eine Ausweitung jener Form der Erkenntnis durch Identität, die uns das Innewerden unseres eigenen Seins ermöglicht. In Wirklichkeit gründet sich die Erkenntnis der Inhalte unseres Selbsts auf ein uns mehr oder minder bewußtes Wahrnehmen unseres Selbsts, das unserem Begreifen mehr oder weniger gegenwärtig ist. Mit einer allgemeineren Formel kann man das auch so ausdrücken: Die Erkenntnis der Inhalte ist in der Erkenntnis des Beinhaltenden enthalten. Wenn wir also unsere Fähigkeit zur Selbst-Erkenntnis durch unser Mental ausweiten können, so daß wir des Selbsts jenseits und außerhalb von uns, des atman oder brahman der Upanishaden, innewerden, können wir jene Wahrheiten in den Besitz unserer Erfahrung bringen, die die Inhalte von atman und brahman im Universum bilden. Auf diese Möglichkeit hat sich jener indische Vedanta gegründet. Er hat durch die Erkenntnis des Selbsts das Universum zu erkennen gesucht.

Der Vedanta hat aber die mentale Erfahrung und die Begriffe der Vernunft stets so verstanden, daß sie, selbst auf ihrer höchsten Stufe, eine Widerspiegelung in mentalen Identifikationen sind, nicht die höchste, aus dem Selbst seiende Identität. Wir müssen über das Mental und die Vernunft hinausgehen. Die in unserem Wachbewußtsein aktive Vernunft ist nur ein Vermittler zwischen dem unterbewußten All, von dem wir in unserer aufsteigenden Evolution herkommen, und dem überbewußten All, zu dem wir durch diese Evolution gedrängt werden. Das Unterbewußte und das Überbewußte sind zwei verschiedene Formulierungen für dasselbe All. Das Schlüsselwort für das Unterbewußte heißt Leben, das Schlüsselwort für das Überbewußte heißt Licht. Im Unterbewußten ist Erkenntnis oder Bewußtsein in Wirken involviert, denn Aktivität ist das Wesen des Lebens. Im Überbewußten tritt das Wirken wieder in das Licht zurück und enthält keine involvierte Erkenntnis mehr, sondern ist selbst in einem höchsten Bewußtsein enthalten. Erkenntnis durch Intuition ist beiden gemein. Grundlage der Intuitions-Erkenntnis ist bewußte oder effektive Identität dessen, das erkennt, mit dem, das erkannt wird. Das ist jener Zustand eines gemeinsamen Daseins im Selbst, da der Erkennende und das Erkannte durch das Erkennen eins werden. Im Unterbewußten manifestiert sich die Intuition jedoch im Wirken, in Wirksamkeit, und Erkenntnis oder bewußte Identität ist entweder völlig oder mehr oder minder im Wirken verborgen. Da das Gesetz und Prinzip des Überbewußten Licht ist, offenbart sich im Gegensatz dazu die Intuition hier ihrer wahren Natur gemäß als eine Erkenntnis, die aus bewußter Identität hervorgeht, und die Wirksamkeit des Handelns ist eher der Begleitumstand oder die daraus folgende Notwendigkeit; sie spielt sich nicht mehr als das primäre Faktum auf. Zwischen diesen beiden Zuständen wirken Vernunft und Mental als Vermittler, die es dem Menschen erlauben, die Erkenntnis aus dem Gefangensein im Wirken zu befreien und darauf vorzubereiten, daß sie ihren wesenhaften Vorrang einnimmt. Wenn das Selbst-Innesein im Mental sowohl auf das die Erkenntnis Enthaltende, also das eigene Selbst, wie auf das andere Selbst, also das in der Erkenntnis Enthaltene, angewendet wird und sich in die erleuchtete, selbst-manifeste Identität emporhebt, wandelt sich auch die Vernunft in die Form der aus dem Selbst erleuchteten Intuitions-Erkenntnis3 um. Das ist der höchstmögliche Zustand unserer Erkenntnis, da sich nun das Mental im Supramental zur Erfüllung bringt. Auf einem solchen Schema menschlichen Selbst-Verstehens waren die Schlußfolgerungen des ältesten Vedanta aufgebaut. Hier die Ergebnisse auszubreiten, zu denen die Weisen des Altertums auf dieser Grundlage kamen, ist nicht meine Absicht. Es ist aber notwendig, kurz einige ihrer wichtigsten Schlußfolgerungen zu betrachten, soweit sie das Problem des Göttlichen Lebens beeinflussen, mit dem wir uns hier allein befassen. In jenen Ideen werden wir vorläufig die besten Grundlagen für das finden, was wir jetzt wieder aufbauen wollen. Wenn auch, wie bei jeder Erkenntnis, ein alter Ausdruck in gewissem Maß durch einen neuen, für eine spätere Mentalität passenden ersetzt werden muß und, wie eine Morgendämmerung der anderen folgt, altes Licht sich mit neuem vereinigen muß, so sollen wir mit dem alten Schatz als unserem Anfangskapital, soviel wir noch davon wiedergewinnen können, zu unserem eigenen Vorteil sorgsam umgehen, um daraus die größten Gewinne zu ziehen, wenn wir uns erneut mit dem unwandelbaren und doch sich ständig wandelnden Unendlichen befassen.

Sad brahman, Reines, Undefinierbares, Unendliches, Absolutes Sein ist der äußerste Begriff, zu dem vedantische Analyse bei ihrer Schau des Universums gelangt, jene fundamentale Wirklichkeit, die die vedantische Erfahrung hinter aller Bewegung und Gestaltung, die die phänomenale Wirklichkeit konstituieren, entdeckte. Offensichtlich gehen wir, wenn wir diesen Begriff aufstellen, weit über das hinaus, was unser gewöhnliches Bewußtsein und unsere normale Erfahrung enthalten oder verbürgen. Die Sinne und das Sinnen-Mental wissen absolut nichts von einem reinen oder absoluten Sein. Alles, was unsere Sinneserfahrung uns mitteilen kann, ist Form und Bewegung. Zwar existieren Gestaltungen, aber ihr Dasein ist nicht rein, vielmehr stets vermischt, kombiniert, zusammengesetzt und relativ. Wenn wir in unser Inneres gehen, mögen wir von der präzisen äußeren Form frei werden, aber wir können uns nicht der Bewegung und Wandlung entledigen. Bewegung von Materie im Raum, Bewegung der Wandlung in der Zeit scheinen Grundbedingung des Daseins zu sein. Tatsächlich können wir nur etwa sagen: Das ist Dasein, die Idee von Dasein an sich entspricht keiner entdeckbaren Wirklichkeit. Höchstens beim Phänomen des Selbst-Innewerdens oder hinter ihm bekommen wir manchmal einen flüchtigen Eindruck von etwas Unbeweglichem, Unveränderlichem. Wir schauen etwas ganz unbestimmt, oder wir stellen uns vor, wir seien jenseits von allem Leben und Tod, jenseits von allem Wechsel, aller Gestaltung und Wirksamkeit. Da ist in uns etwas wie eine Tür, die sich manchmal öffnet, so daß wir die Herrlichkeiten einer jenseitigen Wahrheit schauen, die, bevor sich die Tür wieder schließt, einen ihrer Strahlen auf uns fallen läßt, eine erleuchtende Andeutung, an der wir uns, wenn wir die Kraft und Ausdauer besitzen, mit unserem Glauben festhalten und die wir zum Ausgangspunkt für das Kräftespiel eines Bewußtseins machen können, das anders ist als das des Sinnen-Mentals, das Kräftespiel der Intuition. Wenn wir Intuition sorgfältig erforschen, finden wir, daß sie unser erster Lehrer ist. Intuition steht immer verhüllt hinter der Tätigkeit unseres Mentals. Intuition bringt dem Menschen jene brillanten Botschaften aus dem Unbekannten, die der Anfang einer höheren Erkenntnis sind. Vernunft kommt erst hinterher, um zu sehen, welchen Vorteil sie für sich aus der leuchtenden Ernte ziehen kann. Intuition gibt uns jene Idee, daß etwas hinter und jenseits von allem existiert, das wir erkennen und zu sein scheinen, das den Menschen stets im Widerspruch zu seiner niederen Vernunft und zu all seiner normalen Erfahrung verfolgt und zwingt, jene gestaltlose Wahrnehmung in die eher positiven Ideen von Gott, Unsterblichkeit, Himmel und all dem anderen zu formulieren, durch das wir sie dem Mental gegenüber auszudrücken suchen. Denn Intuition ist so stark wie die Natur selbst, aus deren Seele sie entsprungen ist, und sie kümmert sich nicht um die Widersprüche der Vernunft oder die Ablehnungen der Erfahrung. Sie weiß, was ist, weil es ist, weil sie selbst es aus Jenem ist und weil sie aus Jenem kam. Sie will das nicht dem Urteil dessen unterwerfen, das lediglich etwas Werdendes und nur eine Erscheinung ist. Das, wovon die Intuition zu uns spricht, ist nicht so sehr das Sein, als vielmehr Der (Das) Seiende, denn sie nimmt ihren Ursprung aus jenem einen Lichtpunkt in uns, der ihr ihre Überlegenheit gibt, jene manchmal geöffnete Tür in unserer Selbst-Wahrnehmung. Der alte Vedanta ergriff diese Botschaft der Intuition und formulierte sie in den drei großen Erklärungen der Upanishaden: ,,Ich bin Er”, “Du bist Jenes, o Svetaketu”, “Alles ist das brahman; dieses Selbst ist das brahman.”

Da Intuition aber infolge der Eigenart ihres Wirkens, das hinter dem Schleier und von dort her geschieht, hauptsächlich in den unerleuchteten, weniger deutlich artikulierten Schichten des Menschen aktiv ist und als Gehilfen vor dem Schleier in dem beschränkten Licht, das unser Wachbewußtsein ist, nur jene Werkzeuge hat, die unfähig sind, sich ihre Botschaften voll anzugleichen, kann sie uns die Wahrheit nicht in jener geordneten und deutlich artikulierten Form vermitteln, die unsere Natur verlangt. Bevor sie in uns eine solche Vollständigkeit unmittelbarer Erkenntnis zustande bringen könnte, müßte sie sich in unserem äußeren Wesen konstituieren und den hier führenden Teil in ihren Besitz nehmen. In unserem äußeren Wesen ist aber nicht die Intuition, sondern die Vernunft organisiert und hilft uns, unsere Wahrnehmungen, Gedanken und Handlungen zu ordnen. Darum mußte das Zeitalter intuitiver Erkenntnis, repräsentiert durch das alte vedantische Denken der Upanishaden, dem Zeitalter rationaler Erkenntnis Platz machen. Die inspirierte Schrift wich der metaphysischen Philosophie, wie danach die metaphysische Philosophie von der experimentellen Naturwissenschaft verdrängt wurde. Intuitives Denken, das ein Botschafter aus dem Überbewußten und darum unsere höchste Begabung ist, wurde durch Reine Vernunft ersetzt, die nur eine Art Stellvertreter darstellt und den mittleren Schichten unseres Wesens angehört. Reine Vernunft wurde ihrerseits eine Zeitlang durch das vermischte Wirken jener Vernunft ersetzt, die auf unseren Ebenen und niederen Erhebungen wohnt und in ihrer Schau nicht über den Horizont jener Erfahrung hinausschaut, die das physische Mental und die Sinne oder solche Hilfen uns einbringen, die wir für sie erfinden. Dieser Vorgang, der ein Abstieg zu sein scheint, ist in Wirklichkeit ein Kreislauf des Fortschritts. Denn in jedem Fall ist die niedrigere Befähigung gezwungen, so viel sie assimilieren kann von dem aufzunehmen, was die höhere bereits hergegeben hatte, und zu versuchen, es durch eigene Methoden wieder neu zur Geltung zu bringen. Durch diesen Versuch vergrößert sich ihre Blickweite und gelangt sie schließlich zu einer verfeinerten und reicheren Selbst-Anpassung an die höheren Fähigkeiten. Gäbe es nicht diese Aufeinanderfolge und den Versuch zu einer gesonderten Assimilation, müßten wir immer unter der ausschließlichen Herrschaft eines Teils unserer Natur bleiben, während der Rest entweder unterdrückt und zu sehr unterworfen oder in seinem Bereich abgesondert und darum in seiner Entwicklung rückständig bliebe. Durch die Aufeinanderfolge und den gesonderten Assimilationsversuch wird der rechte Ausgleich hergestellt, eine vollkommenere Harmonie unserer Erkenntnisgebiete vorbereitet.

Wir beobachten diese Aufeinanderfolge in den Upanishaden und in den darauffolgenden indischen Philosophien. Die Weisen des Veda und Vedanta verließen sich völlig auf Intuition und spirituelle Erfahrung. Irrtümlich sprechen Gelehrte manchmal von großen Debatten oder Diskussionen in der Upanishad. Wo immer eine Kontroverse zu sein scheint, geschieht sie nicht durch Diskussion, durch Dialektik oder den Gebrauch logischer Vernunft, sondern durch ein Vergleichen von Intuitionen und Erfahrungen, in denen die weniger erleuchteten den erleuchteteren, die engeren, fehlerhafteren oder weniger wesentlichen den umfassenderen, vollkommeneren und wesentlicheren wichen. Der eine Denker fragte den anderen: “Was weißt du?” und nicht: “Was denkst du?”, auch nicht: “Zu welchem Schluß ist deine logische Vernunft gekommen?” Nirgendwo in der Upanishad finden wir eine Spur dessen, daß man zur Unterstützung der Wahrheiten des Vedanta auf das logische Vernunftdenken drängte. Offensichtlich waren die Weisen davon überzeugt, daß Intuition durch vollkommenere Intuition korrigiert werden müsse; dabei können die logischen Vernunftschlüsse nicht ihr Richter sein.

Dennoch verlangt die menschliche Vernunft zu ihrer Befriedigung nach einer eigenen Methode. Darum nahmen, als das Zeitalter rationalistischer Spekulation begann, die indischen Philosophen, aus Ehrfurcht vor dem Erbe der Vergangenheit, eine doppelte Haltung zu der Wahrheit ein, die sie suchten. Sie erkannten im sruti, in den früheren Ergebnissen der Intuition oder, wie sie es lieber nannten, in der inspirierten Offenbarung, eine Autorität an, die der Vernunft überlegen ist. Gleichzeitig gingen sie von der Vernunft aus und prüften die Ergebnisse nach, die diese ihnen gab. Sie hielten dabei nur solche Schlußfolgerungen für gültig, die durch die höchste Autorität gestützt wurden. So vermieden sie bis zu einem gewissen Grad die Gewohnheits-Sünde der Metaphysik, die Tendenz, in den Wolken zu kämpfen, da sie mit Worten umgeht, als ob diese zwingende Tatsachen seien, während sie doch nur Symbole sind, die immer sorgfältig nachgeprüft und ständig auf den Sinn dessen zurückgeführt werden müssen, was sie darstellen. Ihre Spekulationen hatten anfangs die Tendenz, sich nahe dem Zentrum der höchsten und tiefsten Erfahrung zu halten und unter der vereinten Zustimmung beider großen Autoritäten Vernunft und Intuition vorwärtszuschreiten. Trotzdem triumphierte tatsächlich der natürliche Drang der Vernunft, ihre eigene Überlegenheit durchzusetzen, über die Theorie, sie sei unterzuordnen. So kamen die miteinander streitenden Schulen auf, von denen sich jede in der Theorie auf den Veda gründete und dessen Texte als Waffe gegen die anderen benutzte. Die höchste intuitive Erkenntnis schaut die Dinge im Ganzen, im Umfassenden, und die Einzelheiten nur als Seiten des unteilbaren Ganzen. Sie tendiert zu einer unmittelbaren Synthese und zur Einheit der Erkenntnis. Im Gegensatz dazu arbeitet die Vernunft mit Analyse und Trennung und sammelt ihre Tatsachen, um ein Ganzes zu bilden. In der so geschaffenen Zusammensetzung gibt es aber Gegensätze, Anomalien, logische Unvereinbarkeiten. Die natürliche Tendenz der Vernunft will die einen bejahen, die anderen, die ihren bevorzugten Schlußfolgerungen widersprechen, verneinen, damit sie ein fehlerloses logisches System bilden kann. So wurde die Einheit der ersten intuitiven Erkenntnis zerbrochen. Die Genialität der Logiker erfand immer neue Kunstgriffe, Methoden der Interpretation und Maßstäbe unterschiedlicher Wertung, durch die unbequeme Texte der Schrift praktisch für ungültig erklärt und volle Freiheit für die metaphysische Spekulation gewonnen werden konnten.

Trotzdem erhielten sich teilweise die wichtigsten Begriffe des älteren Vedanta in den verschiedenen philosophischen Systemen. Von Zeit zu Zeit wurden Anstrengungen unternommen, sie wieder in ein Abbild der alten Katholizität und Einheit intuitionalen Denkens zusammenzufassen. Hinter dem Denken aller Systeme überlebte in verschiedener Darstellung der grundlegende Begriff purusha, atman oder sad brahman, das Reine Seiende der Upanishaden, oft in eine Idee oder einen psychologischen Zustand rationalisiert, aber stets die alte Bürde einer unausdrückbaren Wirklichkeit tragend. Was mag die Beziehung der Bewegung des Werdens, die wir die Welt nennen, zu dieser absoluten Einheit sein? Wie kann das Ich – ob es durch diese Bewegung erschaffen wurde oder selbst die Ursache dieser Bewegung ist – zu jenem wahren Selbst, der Divinität oder Wirklichkeit zurückkehren, die vom Vedanta verkündet wird? Das waren die spekulativen und praktischen Fragen, die stets das Denken Indiens beschäftigt haben.

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Kapitel IX. Das Reine Seiende

Ein einziges Unzerteilbares, das ist reines Sein.

Chhandogya Upanishad, Vl.2.1.

Ziehen wir unseren Blick aus einer ichhaften Vorliebe für begrenzte und flüchtige Interessen zurück und betrachten die Welt mit leidenschaftslosen, wißbegierigen Augen, die nur nach der Wahrheit forschen, dann ist unser erstes Ergebnis die Wahrnehmung einer grenzenlosen Energie unendlichen Seins, unendlicher Bewegung, unendlicher Aktivität, die sich in unbegrenzten Raum, in ewige Zeit ergießt. Dieses Sein ist unendlich erhaben über unser Ich, über jedes Ich und jede Ich-Kollektivität. Auf der Waage dieser Energien sind die grandiosen Schöpfungen von Äonen nur der Staub eines Augenblicks: In ihrer unberechenbaren Summe gelten zahllose Myriaden der Gestirne nur als ein winziger Schwarm. Wir handeln, fühlen und weben unsere Lebens-Gedanken instinktiv so, als ob diese ungeheure Welt-Bewegung um uns als Mittelpunkt kreise und wirke zu unserem Nutzen, uns zu Hilfe oder Harm, oder als ob ihr Hauptanliegen eigentlich die Befriedigung unserer egoistischen Sehnsüchte, Gefühle, Ideen und Wertungen wäre, so wie wir sie zu unserem Hauptinteresse machen. Wenn wir aber wirklich zu sehen beginnen, erkennen wir, daß die Welt-Energie für sich selbst existiert und nicht für uns. Sie hat ihre eigenen gigantischen Ziele, ihre eigene komplexe, grenzenlose Idee, ihr eigenes mächtiges Verlangen oder Entzücken, das sie zu erfüllen sucht. Sie hat ihre eigenen ungeheuren Maßstäbe, die auf unsere Armseligkeit wie mit einem nachsichtigen und ironischen Lächeln herabblicken. Trotzdem dürfen wir unser Pendel nicht zum anderen Extrem ausschlagen lassen und uns eine zu positive Vorstellung von unserer eigenen Unwichtigkeit bilden. Auch das wäre ein Akt der Unwissenheit. Wir würden dabei unsere Augen vor wichtigen Tatsachen des Universums verschließen.

Denn diese grenzenlose Bewegung betrachtet uns nicht so, als ob wir für sie unwichtig wären. Die Naturwissenschaft offenbart uns, wie ihre Sorgfalt bis ins kleinste reicht, wie klug ihr Plan, wie intensiv die Hingabe ist, die sie ihren geringsten wie ihren größten Werken widmet. Diese mächtige Energie ist eine allen gleichermaßen gerechte, unparteiische.

Mutter, samam brahma, nach dem bedeutungsvollen Begriff der Gita. Ihre Intensität und Bewegungskraft ist dieselbe, ob sie ein System von Sonnen erschafft und erhält oder das Leben in einem Ameisenhaufen organisiert. Die Illusion von Größe und Quantität verführt uns dazu, das eine als groß und das andere als geringfügig anzusehen. Wenn wir im Gegensatz dazu nicht auf die Masse der Quantität, sondern auf die Kraft der Qualität schauen, werden wir die Ameise für größer halten als das Sonnensystem, das sie bewohnt, und den Menschen für bedeutender als die ganze unbelebte Natur zusammengenommen. Aber das ist wieder die Illusion der Qualität. Treten wir hinter beide zurück und untersuchen nur die Intensität der Bewegung, deren Aspekte Qualität und Quantität sind, nehmen wir wahr, daß brahman gleichermaßen in allem wohnt, was ist. Da alles gleichermaßen an seinem Wesen teilhat, sind wir versucht zu sagen: brahman ist mit seiner Energie gleichermaßen an alle verteilt. Aber auch das ist eine Illusion der Quantität. Brahman wohnt in allem unteilbar, und es scheint nur so, als ob es zerteilt und ausgeteilt sei. Schauen wir noch einmal und prüfen mit Beobachtung, die nicht von intellektuellen Begriffen beherrscht ist, sondern durch Intuition gebildet wird und ihren Höhepunkt in der Erkenntnis durch Identität findet, dann sehen wir, daß das Bewußtsein dieser unendlichen Energie ein anderes ist als unser mentales Bewußtsein. Es ist unteilbar. Es gibt nicht einen gleichen Teil seiner selbst, sondern sein ganzes Selbst zu ein und derselben Zeit sowohl an das Sonnensystem wie an den Ameisenhaufen. Für brahman gibt es nicht ein Ganzes und Teile davon, sondern jedes Ding ist selbst ganz brahman und empfängt sein volles Genüge durch das Ganze des brahman. Qualität und Quantität sind verschieden, das Selbst ist gleichmäßig dasselbe. Form der Aktionskraft, ihre Art und das Resultat ihrer Stärke variieren unendlich, aber die ewige, ursprüngliche, unendliche Energie ist dieselbe in allen. Die Kraft der Stärke, die den starken Menschen ausmacht, ist kein bißchen größer als die Kraft der Schwäche, die den Schwachen charakterisiert. Die Energie, die in der Repression verausgabt wird, ist ebenso groß wie die auf die Expression verwendete. Sie ist dieselbe in Verneinung und Bejahung, im Schweigen wie im Laut.

Die erste Abrechnung, die wir in Ordnung zu bringen haben, ist darum diejenige zwischen der unendlichen Bewegung, der Energie des Seins, das die Welt ist, und uns selbst. Gegenwärtig führen wir noch eine falsche Buchhaltung. Wir sind für das All unendlich wichtig, aber für uns ist das All nebensächlich. Wir nehmen nur uns selbst wichtig. Das ist das Kennzeichen der Ur-Unwissenheit, die die Wurzel des Ichs ist, das nur mit sich selbst als Mittelpunkt denken kann, als ob es das All wäre, und von dem, was nicht es selbst ist, nur so viel akzeptiert, als anzuerkennen es mental geneigt oder worauf Rücksicht zu nehmen es durch die Schockwirkungen seiner Umgebung gezwungen ist. Wenn das Ich nun gar zu philosophieren beginnt, behauptet es dann nicht, die Welt existiere nur in seinem Bewußtsein und durch dieses? Die einzige Probe auf die Wirklichkeit sind ihm sein eigener Bewußtseinszustand oder seine mentalen Maßstäbe. Alles, was außerhalb dieses Gesichtskreises liegt, erscheint ihm leicht als falsch oder nicht-existent. Diese mentale Selbstgenügsamkeit des Menschen bewirkt ein System falscher Rechnungsführung, die uns davon abhält, dem Leben den rechten vollen Wert abzugewinnen. Die Ansprüche des menschlichen Mentals und Ichs beruhen zwar in gewissem Sinn auf Wahrheit, aber diese Wahrheit tritt erst hervor, wenn das Mental seine Unwissenheit verstanden, das Ich sich dem All unterworfen und in ihm seine gesonderte Selbstbehauptung verloren hat. Denn das ist der Anfang wahren Lebens, das wir anerkennen: wir, oder vielmehr die Ergebnisse und äußeren Erscheinungen, die wir mit “wir” bezeichnen, sind nur eine Teilbewegung der unendlichen Bewegung, und dieses Unendliche ist es, das wir unbedingt erkennen, das wir bewußt sein und das wir mit voller Hingabe zur Erfüllung bringen müssen. Der andere Teil der richtigen Abrechnung liegt in der Einsicht, daß wir in unserem wahren Selbst eins sind mit der Gesamtbewegung und ihr gegenüber nicht als von geringerem oder untergeordnetem Wert gelten. Das alles in der Art unseres Seins, Denkens, Fühlens und Handelns zum Ausdruck zu bringen, ist notwendig für die höchste Stufe eines wahren oder göttlichen Lebens.

Um die Abrechnung richtig machen zu können, müssen wir wissen, was dieses All, diese unendliche, allmächtige Energie ist. Hier stoßen wir auf eine neue Schwierigkeit. Denn von der Reinen Vernunft wird uns versichert – und das scheint auch vom Vedanta behauptet zu werden –, daß in der gleichen Weise, wie wir dieser Bewegung untergeordnet und ein Aspekt von ihr sind, so auch diese Bewegung einem Etwas untergeordnet und ein Aspekt von etwas anderem als sie selbst ist, von einer großen, zeitlosen, raumlosen Stabilität, sthanu, die unveränderlich, unerschöpflich, unveräußerlich ist. Sie handelt selbst nicht, obwohl sie diese ganze Aktion in sich enthält. Sie ist nicht Energie sondern reines Sein. Wer nur diese Welt-Energie wahrnimmt, kann tatsächlich erklären, daß es so etwas nicht gibt. Die Vorstellung von einer ewigen Stabilität, einem unveränderlichen reinen Sein sei eine Fiktion unserer intellektuellen Begriffe, die von einer falschen Idee des Stabilen ausgehe. Denn es gebe nichts, das stabil sei. Alles sei Bewegung, und unser Begriff des Stabilen sei ein künstliches Gebilde unseres mentalen Bewußtseins, durch das wir uns einen festen Standpunkt sichern wollen, um mit der Bewegung praktisch umgehen zu können. Man kann leicht zeigen, daß das innerhalb der Bewegung selbst wahr ist. Dort gibt es nichts, das stabil wäre. Alles, was feststehend zu sein scheint, ist nur ein Block von Bewegung, die Formulierung einer im Wirken begriffenen Energie, die unser Bewußtsein so beeinflußt, daß sie ihm ruhend zu sein scheint. Das ist etwa so, wie uns die Erde still zu stehen scheint oder wie ein Eisenbahnzug uns, die wir in ihm fahren, als bewegungslos erscheint, während draußen die Landschaft vorüberfliegt. Ist es nun aber ebenso wahr, daß es nichts gibt, das dieser Bewegung zugrunde liegt, sie fördert und erhält, selbst aber bewegungslos und unveränderlich ist? Ist es wahr, daß das Dasein nur aus Aktion der Energie besteht? Oder ist diese Energie nicht vielmehr ein Ausströmen aus dem Sein?

Wir sehen sofort, daß ein solches Sein, wenn es überhaupt existiert, ebenso wie die Energie, unendlich sein muß. Weder Vernunft noch Erfahrung, weder Intuition noch Phantasie bezeugen uns die Möglichkeit, daß es irgendwo schließlich einen Endpunkt geben kann. Alles, was endet und beginnt, setzt etwas voraus, das jenseits von Ende und Anfang liegt. Ein absolutes Ende und ein absoluter Anfang sind nicht nur begrifflich ein Widerspruch, sondern auch ein Widerspruch zum Wesen der Dinge, Vergewaltigung und Fiktion. Unendlichkeit legt sich den Erscheinungen der Endlichkeit durch ihr unausweichliches Selbst-Sein auf.

Das ist jedoch nur Unendlichkeit im Blick auf Zeit und Raum, eine ewige Dauer, eine unbegrenzte Ausdehnung. Die Reine Vernunft geht weiter. Wenn sie in ihrem farblosen strengen Licht Zeit und Raum betrachtet, weist sie darauf hin, daß beide Kategorien des Bewußtseins sind, Bedingungen, unter denen wir unsere Wahrnehmung der Phänomene ordnen. Wenn wir auf das Sein an sich schauen, verschwinden Zeit und Raum. Wenn es überhaupt eine Ausdehnung gibt, ist sie keine räumliche, sondern eine psychologische Ausdehnung. Gibt es überhaupt eine Dauer, dann ist sie keine zeitliche, sondern eine psychologische Dauer. Dann können wir leicht einsehen, daß Ausdehnung und Dauer nur Symbole sind, die dem Mental etwas vergegenwärtigen, das nicht in intellektuelle Begriffe übersetzt werden kann: eine Ewigkeit, die uns als der gleiche, alles in sich enthaltende, immer neue Augenblick, und eine Unendlichkeit, die uns als der gleiche, alles in sich enthaltende, alles durchdringende Punkt ohne räumliche Größe erscheint. Dieser Konflikt der Begriffe, der so scharf und doch ein so genauer Ausdruck von jenem Etwas ist, das wir wirklich wahrnehmen, zeigt uns, daß hier Mental und Sprache ihre Grenzen überschritten haben und darum ringen, eine Wirklichkeit auszudrücken, in der die eigenen konventionellen Vorstellungen und notwendigen Widersprüchlichkeiten in eine unbeschreibliche Identität verschwinden.

Ist das aber eine wahre Darstellung? Könnte es nicht sein, daß Zeit und Raum nur deshalb verschwinden, weil das Sein, das wir betrachten, eine Fiktion des Intellekts ist, ein phantastisches Nihil als Sprachschöpfung, die wir in begriffliche Wirklichkeit auszubauen versuchen? Wieder betrachten wir jenes Sein-an-sich und sagen nein. Es gibt hinter dem Phänomen nicht nur etwas Unendliches, sondern Undefinierbares. Von keinem Phänomen und von keiner Totalität von Phänomenen können wir behaupten, daß sie absolut existieren. Selbst wenn wir alle Phänomene auf ein einziges grundlegend universales Phänomen der Bewegung oder der Energie zurückführen, das keine weitere Reduktion zuläßt, erhalten wir nur ein undefinierbares Phänomen. Der eigentliche Begriff der Bewegung enthält in sich die potentielle Gegebenheit der Ruhe und verrät dadurch, daß sie Aktivität eines Seins ist. Die wahre Idee von Energie in Aktion enthält in sich die Idee von Energie, die sich der Aktion enthält. Eine absolute Energie, die nicht in Aktion ist, ist einfach und rein absolutes Sein. Wir haben nur diese Alternative: entweder ein undefinierbares reines Sein oder eine undefinierbare Energie in Aktion. Ist letztere allein wahr, ohne stabile Basis oder Ursache, dann ist Energie ein durch die allein existierende Aktion oder Bewegung erzeugtes Ergebnis oder Phänomen. Dann haben wir kein Sein, oder wir haben das Nihil der Buddhisten, bei dem das Sein nur Eigenschaft eines ewigen Phänomens, der Aktion, des Karma, der Bewegung ist. Das, so versichert die Reine Vernunft, läßt meine Wahrnehmungen unbefriedigt. Es widerspricht meinem fundamentalen Schauen, deshalb kann es nicht sein. Das führt uns empor, auf Stufen eines Aufstiegs, der zuletzt abrupt aufhört, und die ganze Treppe hängt ohne Widerlager im Leeren.

Wenn dieses undefinierbare, unendliche, zeitlose und raumlose Sein ist, dann ist es notwendig ein reines Absolutes. Es kann nicht in irgendeiner Quantität oder in viele Quantitäten summiert werden; es kann auch nicht aus einer Qualität oder aus einer Kombination von Qualitäten zusammengesetzt sein. Es ist kein Aggregat von Formen oder formales Substrat für Formen. Würden alle Formen, Quantitäten und Qualitäten verschwinden, so würde dieses Sein doch bleiben. Ein Sein ohne Quantität, ohne Qualität und ohne Form ist nicht nur begrifflich denkbar, es ist das einzige, das wir hinter diesen Phänomenen begreifen können. Notwendigerweise meinen wir, wenn wir sagen, es sei ohne diese Eigenschaften, daß es sie überragt, daß es etwas ist, in das sie auf solche Weise eingehen, daß das zu sein aufhört, was wir Form, Qualität und Quantität nennen, und daß sie aus ihm als Form, Qualität und Quantität in die Bewegung hervortreten. Sie gehen nicht in eine einzige Form, eine einzige Qualität oder eine einzige Quantität ein, die allem übrigen zugrunde liegt – denn so etwas gibt es nicht – sondern in etwas, das durch keinen dieser Begriffe definiert werden kann. So gehen alle Dinge, die Zustandsformen und Erscheinungen der Bewegung sind, in Jenes ein, aus dem sie herkamen. Dort werden sie, insoweit sie existieren, zu etwas, das nicht mehr mit den Begriffen beschrieben werden kann, die für sie in der Bewegung zutreffen. Darum sagen wir, das reine Sein ist ein Absolutes. Es ist an sich selbst durch unser Denken unerkennbar, obwohl wir in höchster Identität, die über die Begriffe der Erkenntnis hinausgeht, in es zurücktreten können. Im Gegensatz dazu ist die Bewegung das Feld des Relativen. Doch enthalten nach der eigentlichen Definition des Relativen alle Dinge in der Bewegung in sich das Absolute, sie sind in Ihm enthalten, und sie sind das Absolute. Die vom Vedanta gegebene Illustration, die diese Identität in ihrem Unterschied zum Absoluten und Relativen am nächsten darstellt, ist die Beziehung der Phänomene der Natur zum fundamentalen Äther, der in ihnen enthalten ist, sie konstituiert, sie in sich enthält und doch so verschieden von ihnen ist, daß sie, wenn sie in ihn eingehen, das zu sein aufhören, was sie jetzt sind. Wenn wir von Dingen sagen, sie kehren in das zurück, aus dem sie kamen, verwenden wir notwendigerweise die Sprache unseres Zeit-Bewußtseins und müssen uns dabei vor seinen Illusionen hüten. Das Hervortreten der Bewegung aus dem Unbeweglichen ist ein ewiges Phänomen. Unsere Begriffe und Wahrnehmungen sind nur deshalb gezwungen, dieses Phänomen in eine zeitliche Ewigkeit von aufeinanderfolgender Dauer zu versetzen – womit die Ideen von immer wiederkehrenden Anfang, Mitte und Ende verbunden sind weil wir es uns nicht in jenem anfang- und endlosen, immer-neuen Augenblick vorstellen können, der die Ewigkeit des Zeitlosen ist.

Man könnte einwenden, dies alles sei nur so lange gültig, als wir die Begriffe der Reinen Vernunft akzeptieren und ihnen unterworfen bleiben. Die Begriffe der Vernunft hätten aber keine zwingende Kraft. Wir dürften das Sein nicht durch das beurteilen, was wir mental begreifen, sondern durch das, was wir als seiend sehen. Die reinste, freieste Form der Einsicht in das Dasein, wie es ist, zeige uns nichts als Bewegung. Es existieren nur zwei Dinge, Bewegung im Raum und Bewegung in der Zeit, wobei die erstere objektiv, die letztere subjektiv ist. Ausdehnung ist wirklich, Dauer ist wirklich, Raum und Zeit sind etwas Wirkliches. Selbst wenn wir hinter die Ausdehnung im Raum zurücktreten und diese als psychisches Phänomen wahrnehmen könnten, als einen Versuch des Mentals, das Dasein praktisch handhabbar zu machen, daß wir das unzertrennbare Ganze auf einen begrifflichen Raum verteilen, könnten wir doch nicht hinter die Bewegung von Aufeinanderfolge und Wechsel in der Zeit zurücktreten. Denn diese sei der eigentliche Stoff unseres Bewußtseins. Wir und die Welt seien eine Bewegung, die dauernd vorwärtsschreitet und sich dadurch vermehrt, daß sie alle Aufeinanderfolgen der Vergangenheit in ein Gegenwärtiges einbezieht, das sich uns wieder als den Anfang aller Aufeinanderfolgen der Zukunft darstellt – ein Beginnen, ein Gegenwärtiges, das sich uns immer wieder entzieht, weil es nicht ist, denn es ist schon vergangen, bevor es geboren wird. Was ist, sei die ewige unteilbare Aufeinanderfolge der Zeit, die auf ihrem Strom eine progressive Bewegung von Bewußtsein trage, das auch unteilbar sei.4 Dauer also, ewig aufeinanderfolgende Bewegung und Wechsel in der Zeit, sei das einzige Absolute. Werden sei das einzige Sein.

In Wirklichkeit ist dieser Gegensatz zwischen tatsächlicher Einsicht in das Sein und begrifflichen Fiktionen der Reinen Vernunft trügerisch. Wenn in dieser Sache Intuition wirklich im Gegensatz zu Intelligenz stünde, könnten wir nicht ein rein begriffliches Vernunftdenken gegen fundamentale Einsicht vertrauensvoll unterstützen. Aber diese Berufung auf die intuitive Erfahrung ist unvollständig. Sie ist nur insoweit gültig, als sie fortschreitet, und irrt dort, wo sie kurz vor der vollständigen Erfahrung Halt macht. Solange sich die Intuition nur an das klammert, was wir werden, sehen wir uns in dauerndem Vorwärtsschreiten von Bewegung und Wechsel des Bewußtseins in der ewigen Aufeinanderfolge von Zeit. Wir sind der Strom, die Flamme in der Bildsprache des Buddhismus. Es gibt aber eine höchste Erfahrung und höchste Intuition, durch die wir hinter das Ich unserer Außenseite zurücktreten und finden, daß dieses Werden, dieser Wechsel und diese Aufeinanderfolge nur die äußere Erscheinung unseres Wesens sind und daß es Jenes in uns gibt, das überhaupt nicht in das Werden involviert ist. Wir können nicht nur die Intuition von diesem Etwas haben, das stabil und ewig in uns ist, können nicht nur in der Erfahrung einen flüchtigen Blick werfen hinter den Schleier der ständig dahinflutenden Erscheinungen des Werdens, sondern wir können uns auch dorthin zurückziehen und ganz in ihm leben. Dadurch bewirken wir eine völlige Wandlung in unserem äußeren Leben, in unserer Haltung gegenüber der Bewegung der Welt und in unserer Einwirkung auf sie. Die Stabilität, in der wir so leben können, ist genau das, was die Reine Vernunft uns bereits gegeben hat, obwohl man auch ohne das Vernunftdenken dahin gelangen kann und ohne im voraus zu wissen, was es ist: Es ist reines Sein, ewig, unendlich, undefinierbar, frei von den Einwirkungen der Aufeinanderfolge der Zeit, nicht involviert in die Ausdehnung des Raums, jenseits von Form, Quantität und Qualität. Es ist das Selbst, allein und absolut.

Das reine Sein ist also eine Tatsache und kein bloßer Begriff. Es ist die fundamentale Wirklichkeit. Wir wollen aber sofort hinzufügen: Bewegung, Energie, Werden sind ebenso Tatsache und Wirklichkeit Die höchste Intuition und die ihr entsprechende Erfahrung mögen die andere korrigieren, darüber hinausgehen, ja sie auch suspendieren; aber sie schaffen sie nicht ab. Wir haben also zwei fundamentale Tatsachen des reinen Seins und des Welt-Daseins, eine Tatsache des Seins und eine Tatsache des Werdens. Die eine oder die andere zu bestreiten, ist leicht. Die Tatsachen des Bewußtseins anzuerkennen und ihre Beziehungen zueinander zu entdecken, ist die wahre, fruchttragende Weisheit.

Wir müssen uns daran erinnern, daß Stabilität und Bewegung nur unsere psychischen Repräsentationen des Absoluten sind, wie das auch bei Einheit und Vielheit der Fall ist. Das Absolute steht jenseits von Stabilität und Bewegung, ebenso jenseits von Einheit und Vielfalt. Es hat seinen ewigen Stand der Ruhe in dem Einen und Stabilen, aber es wirbelt um sich selbst unendlich, unfaßbar, sicher in der Bewegung und vielfältig. Welt-Dasein ist der ekstatische Tanz Shivas, der den Körper des Gottes vor den Augen des Schauenden zahllos vervielfältigt: er beläßt aber jenes farblos-weiße Sein genau dort, wo und was es war, immer ist und ewig sein wird. Sein einziger absoluter Zweck ist die Freude am Tanz.

Da wir aber das Absolute an sich weder beschreiben noch ausdenken können, jenseits von Stabilität und Bewegung, jenseits von Einheit und Vielheit, und da uns das auch nicht zusteht, müssen wir die doppelte Tatsache annehmen und beide, Shiva und Kali, anerkennen. Wir müssen zu erkennen suchen, was diese unermeßliche Bewegung in Zeit und Raum im Blick auf jenes zeitlose und raumlose Reine Sein ist, das Eine und Stabile, auf das Meßbarkeit und Unmeßbarkeit unanwendbar sind. Wir haben gesehen, was Reine Vernunft, Intuition und Erfahrung über das Reine Sein, über sat zu sagen haben. Was haben sie aber über die Kraft, die Bewegung, über shakti zu sagen?

Als erstes haben wir uns zu fragen: Ist diese Kraft einfach nur Kraft, nur intelligenzlose Bewegungsenergie? Oder ist das Bewußtsein, das aus ihr in diese materielle Welt, in der wir leben, hervorzutreten scheint, nicht allein eines ihrer phänomenalen Resultate, vielmehr ihre eigene wahre und geheime Natur? In Begriffen des Vedanta: ist diese Kraft einfach prakriti, nur eine Bewegung von Kraftwirkung und Verfahren, oder ist prakriti in Wirklichkeit eine Macht von chit, ihrer Natur nach eine Kraft schöpferischer Selbstbewußtheit? Um die Lösung dieses wesentlichen Problems dreht sich alles übrige.

Kapitel X. Bewußte Kraft

Sie schauten die Selbst-Kraft des Göttlichen Wesens, tief verborgen durch seine eigenen bewußten Wirkensweisen.

Svetasvatara Upanishad, I.3.

Dieses ist Er, der wach ist in denen, die schlafen.

Katha Upanishad, V.8.

Alles phänomenale Dasein äßt sich auf Kraft, auf eine Bewegung von Energie zurückführen. Diese nimmt mehr oder minder materielle, mehr oder minder grobe oder feine Formen an, um sich ihrer eigenen Erfahrung gegenüber selbst darzustellen. In alten Gleichnissen, durch die sich menschliches Denken Ursprung und Gesetz des Wesens verständlich und wirklich zu machen versuchte, wurde dieses unendliche Dasein von Kraft als ein Meer dargestellt. Am Anfang ist es völlig ruhig und darum frei von Formen. Aber die erste Dünung, der Anfang einer Bewegung, macht das Erschaffen von Gestaltungen notwendig. Das ist der Keim des Universums.

Materie ist die Darstellung von Kraft, die für unsere Intelligenz am leichtesten vorstellbar ist, zumal sie durch Kontaktwirkungen in der Materie geprägt ist, auf die ein in ein materielles Gehirn involviertes Mental reagiert. Nach Auffassung der Physiker des Alten Indien ist der Elementarzustand materieller Kraft ein Zustand rein materieller Ausdehnung im Raum, deren besondere Eigentümlichkeit Vibration ist, die für uns durch das Phänomen von Klang typisiert wird. Vibration reicht aber in diesem Zustand von Äther nicht aus, um Formen zu erschaffen. Zuerst muß in der Strömung des Kraft-Ozeans ein Widerstand auftreten, ein Sich-Zusammenziehen und ein Sich-Ausdehnen, ein Wechselspiel von Vibrationen, ein Zusammenstoß von Kräften, um einen Anfang fester Beziehungen und gegenseitiger Wirkungen zu erschaffen. Wenn materielle Kraft ihren ersten ätherartigen Zustand verändert, nimmt sie einen zweiten, in der alten Sprache luftartig genannten, an, dessen besondere Eigentümlichkeit der Kontakt von Kraft zu Kraft ist, die Grundlage für alle materiellen Beziehungen. Wir haben jedoch noch keine wirklichen Formen, sondern nur variierende Kräfte. Ein weiteres Prinzip ist nötig, das Dauer schafft. Es wird durch eine dritte Selbst-Abwandlung der ursprünglichen Kraft bewirkt, deren Prinzip von Licht, Elektrizität, Feuer und Wärme die für uns charakteristische Manifestation ist. Nun können wir zwar Formen von Kraft haben, die ihren eigenen Charakter und ihre besonderen Wirkensweisen bewahren, aber noch keine stabilen Formen von Materie sind. Ein vierter Zustand wird durch Ausbreitung im Raum und einen ersten Vermittlungsstoff für Dauerwirkungen von Anziehung und Abstoßung charakterisiert, der anschaulich mit Wasser oder mit flüssiger Zustand bezeichnet wird. Ein fünfter Zustand von Kohäsion, Erde oder fester Zustand genannt, vollendet die Zahl der erforderlichen Elemente.

Alle Formen von Materie, die wir wahrnehmen, alle physischen Dinge bis zu den allerfeinsten, werden durch Kombination dieser fünf Elemente aufgebaut. Von ihnen hängt auch unsere ganze sinnenhafte Erfahrung ab. Durch den Empfang von Vibration kommt der Sinn für Klang. Durch Kontakt der Dinge in einer Welt von Vibrationen der Kraft entsteht der Tastsinn. Durch die Einwirkung von Licht bei den Formen, die durch die Kraft von Licht, Feuer und Wärme zum Leben gebracht, ausgeformt und erhalten werden, entsteht der Gesichtssinn. Durch das vierte Element bildet sich der Geschmackssinn. Das fünfte Element erschafft den Geruchssinn. Das alles ist im wesentlichen die Reaktion auf Vibrationskontakte zwischen den Kräften. Auf diese Weise überbrückten die Denker des Altertums die Kluft zwischen der reinen Kraft und ihren letzten Ausgestaltungen. Sie überwanden damit die Schwierigkeit, die das gewöhnliche Mental des Menschen am Verstehen hindert: Warum können alle diese Formen, die für seine Sinne so wirklich, fest und dauerhaft sind, in Wahrheit nur vorübergehende Phänomene sein, und warum kann etwas wie reine Energie, die für die Sinne nicht-existent, ungreifbar und eigentlich unglaubhaft ist, die einzige dauernde kosmische Realität sein?

Das Problem des Bewußtseins wird durch diese Theorie nicht gelöst. Sie erklärt nicht, inwiefern der Kontakt von Kraft-Vibrationen bewußte Empfindungen entstehen lassen sollte. Die Sankhya-Philosophen, die analytischen Denker, nahmen darum hinter den fünf Elementen noch zwei Prinzipien an, die sie mahat und ahankara nannten, Prinzipien, die in Wirklichkeit nicht-materiell sind. Ersteres ist nichts anderes als das ungeheure kosmische Prinzip von Kraft, letzteres ist das einteilende Prinzip der Ich-Formation. Trotzdem werden diese beiden Prinzipien, ebenso wie das Prinzip der Intelligenz, buddhi, im Bewußtsein nicht aufgrund der Kraft selbst aktiv, sondern dank einer inaktiven Bewußten Seele oder von Seelen, in denen ihre Aktivitäten reflektiert werden und die durch diese Reflexion die Tönung von Bewußtsein annehmen.

Diese Deutung wird von einer Schule indischer Philosophie angeboten, die den modernen materialistischen Ideen am nächsten kommt. Sie hat die Idee einer mechanischen oder unbewußten Kraft in der Natur so weit entwickelt, als es ernsthaft forschendem indischen Denken möglich war. Bei all seinen Mängeln war ihr Hauptgedanke doch so unbestreitbar, daß er allgemein angenommen wurde. Wie man auch immer das Phänomen Bewußtsein erklären mag, ob Natur nur ein träger Impuls oder ein bewußtes Prinzip ist, ganz gewiß ist es Kraft. Das Prinzip der Dinge ist eine gestaltende Bewegung von Energien. Alle Formen entstehen durch Zusammentreffen und gegenseitige Anpassung zwischen ungestalteten Kräften. Jede Empfindung und Betätigung ist Antwort von etwas in einer Form von Kraft auf Kontakte anderer Formen von Kraft. Das ist die Welt, wie wir sie erfahren. Von dieser Erfahrung müssen wir immer ausgehen.

Die physikalische Analyse der Materie durch die moderne Naturwissenschaft ist zum selben allgemeinen Schluß gekommen, auch wenn noch ein paar letzte Fragen in der Schwebe bleiben. Intuition und Erfahrung bestätigen diese Übereinstimmung zwischen Naturwissenschaft und Philosophie. Die Reine Vernunft findet in ihr die Bestätigung ihrer eigenen wesentlichen Auffassungen. Selbst wenn man die Welt ihrem Wesen nach als einen Akt von Bewußtsein auffaßt, ist eben ein Akt vorausgesetzt und im Akt eine Bewegung von Kraft, ein Spiel von Energie. Den gleichen Beweis für die fundamentale Art der Welt erhalten wir, wenn wir von innen her unsere eigene Erfahrung untersuchen. All unsere Aktivitäten sind das Spiel der dreifachen Kraft der alten Philosophien: Erkenntnis-Kraft, Begehrens-Kraft, Aktions-Kraft; sie alle erweisen sich in Wirklichkeit als drei Ströme einer einzigen ursprünglichen und identischen Macht, adya shakti. Selbst unsere Ruhezustände sind nur die Ausgeglichenheit oder das Gleichgewicht des Spiels ihrer Bewegung.

Wenn man annimmt, daß Bewegung von Kraft die ganze Natur des Kosmos ausmacht, erheben sich zwei Fragen. Zuerst: Wie kam es dazu, daß diese Bewegung überhaupt im Innern des Seins stattfand? Wenn wir annehmen, Kraft sei nicht nur ewig, sondern das eigentliche Wesen alles Seins, entsteht diese Frage nicht. Wir haben aber diese Theorie abgelehnt. Wir wissen um ein Sein, das nicht unter dem Zwang der Bewegung steht. Wie kann diese Bewegung, die der ewigen Ruhe des Seins fremd ist, in ihm stattfinden? Aus welcher Ursache? Durch welche Möglichkeit? Unter welchem geheimnisvollen Antrieb?

Die vom alten indischen Denken am meisten gebilligte Antwort lautet: Kraft ist dem Sein innewohnend. Shiva und Kali, brahman und shakti, sind eins, nicht zwei, die voneinander trennbar sind. Die dem Sein innewohnende Kraft mag in Ruhe oder in Bewegung sein. Auch wenn sie in Ruhe ist, existiert sie nichtsdestoweniger. Sie ist dann nicht aufgehoben, vermindert oder irgendwie in ihrem Wesen verändert. Diese Antwort ist völlig rational und in Übereinstimmung mit der Natur der Dinge, daß wir sie ohne Zögern annehmen können. Denn es ist unmöglich, weil ein Widerspruch gegen die Vernunft, anzunehmen, die Kraft sei etwas, das dem einen unendlichen Sein fremd gegenübersteht und von außen her in es eingedrungen ist oder das nicht-existent war und erst an einem gewissen Punkt der Zeit in ihm auftrat. Selbst die Theorie der Illusionisten muß zugeben, daß maya, die Macht der Selbst-Illusion, in brahman, im ewigen Wesen potentiell ewig ist. Dann erhebt sich als einzige Frage die nach ihrer Manifestation oder Nicht-Manifestation. Die Sankhya-Philosophie behauptet ebenfalls die ewige Koexistenz von prakriti und purusha, von Natur und Bewußter Seele, und die miteinander abwechselnden Zustände bei prakriti von Ruhe oder Gleichgewicht und von Bewegung oder Störung des Gleichgewichts.

Da aber Kraft so dem Sein eingeboren und es die Natur der Kraft ist, diese doppelte Kraftentfaltung von Ruhe und Bewegung, also von Selbst-Konzentration in Kraft und Selbst-Ausbreitung in Kraft, zu besitzen, erhebt sich gar nicht die Frage nach dem Wie der Bewegung, ihrer Möglichkeit, dem auslösenden Impuls oder der zwingenden Ursache. Wir können also leicht verstehen, daß sich diese Potentialität entweder darstellen muß als alternierender Rhythmus von Ruhe und Bewegung, die in der Zeit aufeinander folgen, oder als ewige Selbst-Konzentration von Kraft im unbeweglichen Sein mit einem oberflächlichen Spiel von Bewegung, Wechsel und Formation wie das Steigen und Fallen von Wogen auf der Oberfläche des Ozeans. Dieses Oberflächenspiel – von dem wir hier notwendigerweise in unzureichenden Bildern sprechen -kann entweder mit der Selbst-Konzentration gleichzeitig und selbst auch ewig sein oder in der Zeit anfangen und enden und immer wieder in einer Art von konstantem Rhythmus aufgenommen werden; dann ist es nicht in der Kontinuität, jedoch in der Wiederkehr ewig.

Nachdem wir so das Problem des Wie ausgeschaltet haben, steht vor uns die Frage nach dem Warum. Warum sollte diese Möglichkeit eines Spiels von Bewegung der Kraft überhaupt aktuell werden? Warum sollte die Kraft des Seins nicht ewig in sich selbst konzentriert bleiben, unendlich, frei von aller Variation und Gestaltung? Auch diese Frage stellt sich uns nicht, wenn wir annehmen, das Sein sei nicht-bewußt, die Bewußtheit sei nur eine Entfaltung materieller Energie, die wir irrtümlich für immateriell halten. Dann könnten wir einfach sagen, dieser Rhythmus sei die Art von Kraft im Sein, und es bestehe absolut kein Grund dafür, nach einem Warum zu suchen, nach einer Ursache, einem ursprünglichen Motiv oder einem letzten Zweck für das, was seiner Natur nach ewig selbst-seiend ist. Wir können diese Frage nicht an das ewige Selbst-Sein richten und es darüber ausforschen, warum es existiert oder wie es ins Dasein gekommen ist. Ebensowenig können wir die Selbst-Kraft des Seins und die ihr eingeborene Natur des Impulses über die Bewegung befragen. Erforschen können wir also nur ihre Art der Selbst-Manifestation, ihre Prinzipien von Bewegung und Gestaltung, ihren Evolutionsprozeß. Da beide, das Sein und die Kraft, träge sind, dumpf in Zustand und Impuls, beide unbewußt und unintelligent, kann es keinen Zweck, kein letztes Ziel in der Evolution, keine ursprüngliche Ursache oder Absicht geben.

Wenn wir aber vermuten oder entdecken, das Sein sei bewußtes Wesen, stellt sich uns das Problem. Wir können tatsächlich ein bewußtes Wesen annehmen, das untergeordnet ist seiner Natur von Kraft, von der es beherrscht wird, und darum keine Wahl hat, sich im Universum zu manifestieren oder nicht. Von solcher Art ist der kosmische Gott der Tantriker und Mayavadins, der shakti oder maya untertan ist. Purusha ist in maya involviert oder von shakti kontrolliert. Offensichtlich ist aber ein solcher Gott nicht das höchste unendliche Sein, von dem wir ausgegangen sind. Er ist zugegebenermaßen nur eine Gestalt von brahman im Kosmos, brahman geht logischerweise shakti und maya zeitlich voraus, die brahman wieder in sein transzendentes Wesen zurücknimmt, wenn sie von ihrem Wirken zurücktreten. Bei einem bewußten Sein, das absolut ist, unabhängig von seinen Gestaltungen, nicht determiniert durch sein Wirken, müssen wir die eingeborene Freiheit voraussetzen, die Potentialität von Bewegung zu manifestieren oder nicht zu manifestieren. Ein von prakriti beherrschtes brahman ist nicht brahman, sondern ein träges Unendliches, das in sich einen aktiven Inhalt besitzt, der machtvoller ist als das Beinhaltende, ein bewußter Träger von Kraft, dessen Kraft sein Gebieter ist. Wenn wir sagen, brahman sei von sich selbst als Kraft, also von seiner eigenen Natur, beherrscht, werden wir Widerspruch und Ausflucht unseres ersten Postulats nicht los. Wir müßten zu einem Sein zurückgehen, das in Wirklichkeit nichts anderes wäre als Kraft: Kraft in Ruhe oder in Bewegung, vielleicht eine absolute Kraft, aber kein absolutes Sein.

Wir müssen also die Beziehung zwischen Kraft und Bewußtsein erforschen. Was verstehen wir aber unter letzterem Begriff? Gewöhnlich verstehen wir darunter die uns nächstliegende Vorstellung von einem wachen mentalen Bewußtsein, wie es der Mensch während des größeren Teils seines körperlichen Daseins besitzt, wenn er nicht schläft, betäubt oder sonstwie seiner physischen und äußeren Empfindungen beraubt ist. Bei einer solchen Auffassung ist deutlich genug in der Ordnung des materiellen Daseins Bewußtsein die Ausnahme und nicht die Regel. Selbst wir Menschen besitzen es nicht ständig. Aber diese gewöhnliche oberflächliche Auffassung der Eigenart des Bewußtseins muß nun, wenn sie auch immer noch unser gewöhnliches Denken und unsere Gedankenverbindungen färbt, definitiv aus dem philosophischen Denken verschwinden. Wir wissen, daß es in uns etwas gibt, das auch dann bewußt bleibt, wenn wir schlafen, betäubt sind, unter der Wirkung von Drogen stehen oder in Ohnmacht liegen, also in allen scheinbar unbewußten Zuständen unseres physischen Wesens. Aber nicht nur das; vielmehr können wir jetzt sicher sein, daß die Denker des Altertums Recht hatten, wenn sie erklärten, auch in unserem Wachzustand selbst sei das, was wir unser Bewußtsein nennen, nur eine kleine Auswahl aus unserem ganzen bewußten Wesen. Es ist eine Oberflächenerscheinung, nicht einmal das Ganze unseres Mentalbereiches. Hinter ihm liegt, viel umfassender als es, ein subliminales oder unterbewußtes Mental, das der größere Teil unserer selbst ist und Höhen und Tiefen enthält, die noch kein Mensch je gemessen oder ausgelotet hat. Diese Erkenntnis verschafft uns den Ausgangspunkt für eine wahre Wissenschaft von der Kraft und ihren Wirkensweisen. Sie befreit uns endgültig von Einschränkung durch das Materielle und der Illusion des Handgreiflichen. Der Materialismus besteht freilich darauf, daß jede mögliche Ausweitung des Bewußtseins ein materielles Phänomen und von unseren physischen Organen unabtrennbar sei. Nicht das Bewußtsein verfüge über sie, es sei ihr Erzeugnis. Gegen die Flut wachsender Erkenntnis kann diese orthodoxe Behauptung aber ihr Feld nicht länger verteidigen. Ihre Erklärungen werden immer unzureichender und verkrampfter. Es wird immer klarer, daß die Leistungsfähigkeit unseres totalen Bewußtseins nicht nur bei weitem über unsere Organe, die Sinne, die Nerven, das Gehirn hinausgeht, sondern daß selbst für unser gewöhnliches Denken und Bewußtsein diese Organe nur deren gewohnheitsmäßige Werkzeuge, nicht ihre Erzeuger sind. Das Bewußtsein verwendet das Gehirn, das sein Drängen nach höherer Entwicklung hervorgebracht hat. Nicht das Gehirn hat das Bewußtsein produziert, noch verwendet es dieses. Es gibt sogar abnorme Vorkommnisse, die beweisen, daß unsere Organe nicht völlig unentbehrliche Instrumente sind. Der Herzschlag ist für das Leben ebensowenig absolut notwendig wie das Atmen, auch die organisierten Gehirnzellen sind es nicht für das Denken. Unser physischer Organismus verursacht oder erklärt Denken und Bewußtsein ebensowenig wie die Konstruktion einer Maschine die Antriebskraft des Dampfes oder der Elektrizität verursacht oder erklärt. Die Kraft ist das Primäre, nicht das physische Instrument.

Folgenschwere logische Konsequenzen ergeben sich hieraus. An erster Stelle dürfen wir fragen: Könnte nicht – da selbst dort mentales Bewußtsein existiert, wo wir nur Unbelebtheit und Trägheit sehen – auch in materiellen Objekten ein universales unterbewußtes Mental vorhanden sein, obwohl es nicht handeln und sich aus Mangel an Organen seinem äußeren Wesen nicht mitteilen kann? Ist der materielle Zustand eine Leere an Bewußtsein, ist er nicht vielmehr ein Schlaf des Bewußtseins, unter dem Gesichtspunkt der Evolution vielleicht ein ursprünglicher Schlaf und nicht der eines Zwischenzustandes? Belehrt durch das menschliche Beispiel, verstehen wir ja unter Schlaf nicht Suspendierung des Bewußtseins, sondern daß dieses nach innen gesammelt ist und sich von der bewußten physischen Reaktion auf die Einwirkungen äußerer Dinge zurückgezogen hat. Ist das nicht gerade der Zustand alles Daseins, das noch keine Mittel für Kommunikation mit der äußeren physischen Welt entwickelt hat? Gibt es nicht eine Bewußte Seele, purusha, die ewig wacht gerade in allem, das schläft?

Wir können noch weitergehen. Wir sollten, wenn wir vom unterbewußten Mental sprechen, mit diesem Ausdruck etwas meinen, das von der äußeren Mentalität nicht verschieden ist, sondern nur unter der Oberfläche wirkt, dem wachen Menschen unbekannt in diesem Sinne, außer wenn er tiefer hinabdringt und einen weiteren Horizont gewinnt. Aber die Phänomene des subliminalen Selbsts gehen weit über die Grenzen einer solchen Definition hinaus. Es umschließt ein Wirken, das an Leistungsfähigkeit dem, was wir als die Mentalität unseres wachen Selbsts erkennen, nicht nur unermeßlich überlegen, sondern auch der Art nach völlig verschieden ist. Wir haben darum ein Recht zu der Vermutung, es gibt in uns ein Überbewußtes ebenso wie ein Unterbewußtes, einen Bereich bewußter Fähigkeiten und entsprechend eine Organisation von Bewußtsein, die sich weit über jene psychische Schicht erhebt, der wir den Namen Mentalität geben. Kann aber dieses subliminale Selbst in uns, das sich über den Mentalbereich empor in das Überbewußte erhebt, nicht auch in das Unterbewußte unterhalb des Mentals hinabreichen? Gibt es in uns und in der Welt nicht Bewußtseinsformen, die submental sind und denen wir die Bezeichnung vitales und physisches Bewußtsein geben könnten? Wenn das so ist, müssen wir auch in der Pflanze und im Metall eine Kraft annehmen, die wir Bewußtsein nennen können, obwohl sie nicht die Mentalität von Mensch oder Tier ist, der wir bisher das Monopol dieser Bezeichnung vorbehalten hatten.

Das ist nicht nur wahrscheinlich, sondern gewiß, wenn wir die Dinge objektiv betrachten. Es gibt in uns solch ein vitales Bewußtsein, das in den Zellen des Körpers und in den automatischen Funktionen so wirkt, daß wir sinnvolle Bewegungen ausüben und Anziehungen und Abstoßungen gehorchen, denen unser Mental fremd gegenübersteht. Bei Tieren ist dieses vitale Bewußtsein ein noch wichtigerer Faktor. In Pflanzen nehmen wir es intuitiv wahr. Das suchende Sich-Ausstrecken und Sich-Zusammenziehen der Pflanze, ihre Lust und ihr Schmerz, ihr Schlaf und ihr Wachsein und all jenes geheimnisvolle Leben, dessen Wirklichkeit ein indischer Forscher durch streng wissenschaftliche Methoden ans Licht gebracht hat, sind alles Bewegungen von Bewußtsein, jedoch nicht, soweit wir sehen können, von Mentalität. Es gibt also ein Untermentales, ein vitales Bewußtsein, das genau dieselben anfänglichen Reaktionen hat wie das mentale, jedoch in der Konstitution seiner Selbst-Erfahrung vom mentalen Wesen ebenso verschieden ist wie das Überbewußte in der Konstitution seiner Selbst-Erfahrung von ihm.

Hört der Bereich dessen, was wir Bewußtsein nennen können, bei der Pflanze, bei dem auf, worin wir das Dasein eines unter-animalischen Lebens erkennen? Wäre das so, müßten wir eine Kraft des Lebens und des Bewußtseins voraussetzen, die ursprünglich der Materie fremd war, trotzdem – vielleicht aus einer anderen Welt – in sie eindrang und von ihr Besitz ergriff. Woher kann sie sonst gekommen sein?5 Die Denker des Altertums glaubten an die Existenz solch anderer Welten, die vielleicht Leben und Bewußtsein unserer Welt fördern und erhalten oder es sogar durch ihren Druck hervorrufen, es aber nicht dadurch erschaffen, daß sie selbst in diese Welt eintreten. Nichts kann sich aus der Materie entwickeln, das nicht bereits in ihr enthalten ist.

Es gibt aber keinen Grund zu der Annahme, die ganze Skala von Leben und Bewußtsein breche ab und mache vor dem Halt, was uns als rein materiell erscheint. Die Entwicklung neueren Forschens und Denkens scheint auf etwas wie einen dunklen Anfang von Leben und vielleicht auch auf eine Art von stumpfem oder unterdrücktem Bewußtsein im Metall, in den Erden und in anderen “unbelebten” Gestaltungen hinzuweisen, oder es könnte dort zumindest der Urstoff von dem, was in uns zum Bewußtsein wird, vorhanden sein. Doch ist ein Bewußtsein der Materie, der trägen Form, für uns tatsächlich schwer zu verstehen oder vorstellbar, während wir in der Pflanze das, was ich vitales Bewußtsein nannte, dunkel erkennen und begreifen können. So nehmen wir uns das Recht heraus, das, was wir für unser Verstehen und unsere Vorstellung zu schwierig finden, einfach zu bestreiten. Trotzdem wird, wenn man Bewußtsein weit genug bis in die Tiefen verfolgt, nicht glaubhaft, daß da plötzlich in der Natur eine solche Kluft sein sollte. Unser Denken hat ein Recht, auch dort eine Einheit anzunehmen, wo jene Einheit, die bei allen anderen Klassen von Phänomenen anerkannt wird, bei einer bestimmten Klasse zwar nicht bestritten wird, jedoch viel verborgener ist als in den anderen. Wenn wir annehmen, daß es in der Einheit keinen Bruch gibt, gelangen wir zum Dasein von Bewußtsein in allen Formen von Kraft, wo immer sie auch in der Welt am Werk ist. Selbst wenn es keinen bewußten oder überbewußten purusha geben sollte, der allen Formen innewohnt, gibt es doch in jenen Formen eine bewußte Kraft des Seienden, an der selbst ihre äußeren Teile aktiv oder passiv teilnehmen.

Bei einer solchen Anschauung verändert natürlich das Wort Bewußtsein seine Bedeutung. Es ist nicht mehr synonym mit Mentalität, sondern es bezeichnet eine ihrer selbst innegewordene Kraft des Seins, für die Mentalität nur ein Mittelbegriff ihrer vollen Entfaltung ist. Unterhalb der Mentalität sinkt das Bewußtsein in vitale und materielle Bewegungen hinab, die für uns unterbewußt sind. Oberhalb davon steigt es in das supramentale Bewußtsein empor, das für uns das Überbewußte ist. In allem ist es aber ein und dieselbe Sache, die sich in verschiedener Weise organisiert. Das ist wieder die indische Auffassung von chit, das als Energie die Welten erschafft. Im wesentlichen kommen wir so zu jener Einheit, die die materialistische Naturwissenschaft vom anderen Ende her wahrnimmt, wenn sie behauptet, das Mental könne keine andere Kraft sein als Materie, vielmehr allein Entfaltung und Ergebnis materieller Energie. Wo das Denken in Indien seine größte Tiefe erreicht hat, versichert es seinerseits, Mental und Materie sind in Wahrheit nur verschiedene Grade derselben Energie, verschiedene Organisationen einer einzigen bewußten Kraft des Seins.

Was für ein Recht haben wir aber zu der Annahme, Bewußtsein sei die zutreffende Beschreibung dieser Kraft? Bewußtsein setzt doch irgendwie Intelligenz, Zielbewußtsein, Selbsterkenntnis voraus, auch wenn diese nicht die Formen annehmen sollten, an die unsere Mentalität gewöhnt ist. Selbst von diesem Gesichtspunkt aus unterstützt alles eher die Idee einer universalen Bewußten Kraft, als daß es ihr widerspricht. Wir sehen zum Beispiel im Tier Betätigungen vollkommenen Zielbewußtseins und eines exakten, eigentlich wissenschaftlich genauen Wissens, die beide völlig jenseits der Fähigkeiten des Tier-Mentals liegen. Der Mensch kann diese nur durch lange Ausbildung und Erziehung erwerben, und selbst dann verwendet er sie viel weniger sicher und rasch. Wir sind berechtigt, in dieser allgemeinen Tatsache den Beweis für eine bewußte Kraft im Tier und im Insekt am Werk zu sehen, die intelligenter, zweckbewußter, klarer über ihre Absicht, ihre Ziele, Mittel und Bedingungen ist als die höchste Mentalität, die bisher auf Erden in individueller Form sichtbar hervorgetreten ist. Bei den Vorgängen in der unbelebten Natur finden wir dasselbe alles durchdringende charakteristische Anzeichen einer verborgenen höchsten Intelligenz: “Sie ist verborgen in den Verfahrensweisen ihres eigenen Wirkens.”

Das einzige Argument gegen eine bewußte, intelligente Ursache für dieses zweckbestimmte Wirken, für diese Betätigung von Intelligenz, von Auswahl, Anpassung und suchendem Tasten ist jenes weitverbreitete Element in den Abläufen der Natur, dem wir den Namen Verschwendung geben. Offensichtlich gründet sich aber dieser Einwand auf die Begrenztheit des menschlichen Intellekts, der den allgemeinen Verfahren der Welt-Kraft seine ihm eigene, besondere Rationalität aufzudrängen sucht, die gut genug ist für beschränkte menschliche Ziele. Sehen wir doch nur einen Teil vom Zweck und Ziel der Natur und nennen alles, was diesem Ausschnitt nicht förderlich ist, Verschwendung. Aber selbst unser eigenes menschliches Handeln ist voll von scheinbarer Vergeudung, die zwar vom individuellen Gesichtspunkt aus als solche erscheint, die aber, dessen können wir sicher sein, sehr wohl den weiten universalen Zweck der Dinge fördert. Jenen Teil ihrer Absicht, den wir überschauen können, bekommt die Natur ganz gewiß erfüllt trotz, vielleicht sogar tatsächlich mit Hilfe ihrer scheinbaren Verschwendung. Darum dürfen wir ihr auch voll für das übrige, das wir noch nicht überschauen können, vertrauen.

Alles in allem kann man unmöglich die Antriebskraft einer starken Zweckmäßigkeit, die Führung durch eine scheinbar blinde Tendenz und die Tatsache übersehen, daß die Weltkraft zuletzt oder auch unmittelbar das anvisierte Ziel trifft, das für ihre Wirkensweisen in Tier, Pflanze und unbelebten Dingen charakteristisch ist. Solange für das wissenschaftliche Denken die Materie Alpha und Omega gewesen ist, war es ehrlicher Zweifel, wenn man sich scheute zuzugeben, daß Intelligenz die Mutter von Intelligenz sein könne. Jetzt ist es nur noch ein fadenscheiniges Paradoxon zu behaupten, das Bewußtsein des Menschen, seine Intelligenz und Meisterschaft könne aus einem unintelligenten, blind antreibenden Nicht-Bewußtsein kommen, in dem keine Form oder Substanz von diesen vorher existiert. Das Bewußtsein des Menschen kann nichts anderes sein als eine Erscheinungsform des Bewußtseins der Natur. Es ist in anderen Formen unterhalb des Mentals involviert. Es tritt im Mental hervor. Es wird sich in noch höhere Formen jenseits des Mentals erheben. Denn die Kraft, die die Welten baut, ist eine Bewußte Kraft. Das Sein, das sich in ihnen manifestiert, ist ein Bewußtes Wesen. Ein vollkommenes Hervortreten all ihrer Potentialitäten in Gestaltung ist das einzige Ziel, das wir vernunftgemäß für die Manifestation der Bewußten Kraft in dieser Welt der Formen begreifen können.

Kapitel XI. Seins-Seligkeit: Das Problem

Wer könnte denn leben oder atmen, gäbe es nicht diese Seins-Seligkeit als den Äther, in dem wir wohnen? Aus der Seligkeit sind alle diese Wesen geboren, durch Seligkeit existieren und wachsen sie, in die Seligkeit kehren sie zurück.

Taittiriya Upanishad, II.7., III.6.

Selbst wenn wir dieses Reine Sein, dieses brahman, dieses sat als absoluten Anfang, Ende und Gefäß der Dinge und ein in brahman eingeborenes Selbstbewußtsein annehmen, das untrennbar ist von seinem Wesen, das sich als eine Kraft der Bewegung des Bewußtseins ausbreitet und schöpferisch wirkt in Kräften, Formen und Welten, haben wir immer noch die Frage zu beantworten: “Warum sollte brahman, das doch vollkommen, absolut und unendlich ist, nichts nötig hat und nichts begehrt, überhaupt Bewußtseins-Kraft aus sich hervorbringen, um in sich selbst diese Welten der Formen zu erschaffen?” Wir haben die Lösung abgelehnt, brahman werde durch seine eigene Kraft-Natur gedrängt zu erschaffen, es sei durch seine eigene Potenz an Bewegung und Gestaltung dazu gezwungen, in Formen einzugehen. Zwar trägt brahman diese Potenz in sich, aber es ist dadurch nicht begrenzt, gebunden oder gezwungen; es ist frei. Wenn es also frei ist, sich zu bewegen oder ewig in Ruhe zu verbleiben, sich selbst in Formen zu verausgaben oder die Potenz zur Form in sich selbst zurückzubehalten, und trotzdem seine Macht zu Bewegung und Gestaltung genießt und einsetzt, kann das nur aus einem Grunde geschehen: zu seiner Freude. Dieses ursprüngliche, höchste und ewige Sein ist, wie die Vedantins erkannt haben, nicht nur leeres Sein, auch kein bewußtes Sein, dessen Bewußtsein rohe Kraft oder Macht wäre. Vielmehr ist es ein bewußtes Sein, dessen Wesens-Inbegriff und Inbegriff seines Bewußtseins Seligkeit ist. So wie es im absoluten Sein kein Nichts, keine Nacht von Unbewußtheit und keinen Mangel, also kein Versagen der Kraft geben kann – denn gäbe es etwas davon, wäre es nicht absolut –, so kann es hier auch kein Leiden, keine Verneinung der Seligkeit geben. Absolutheit bewußten Seins ist unbegrenzbare Wonne bewußten Seins; beides sind nur verschiedene Ausdrücke für dieselbe Sache. Alle Unbegrenzbarkeit, alle Unendlichkeit, alle Absolutheit ist reine Seligkeit. Selbst in unserem relativen Menschsein machen wir die Erfahrung, daß alles Unbefriedigtsein Begrenzung, Widerstand bedeutet. Befriedigung tritt ein bei Verwirklichung von Versagtem, bei Überschreiten der Begrenzung, bei Überwindung des Hindernisses. Das kommt daher, weil unser ursprüngliches Wesen das Absolute ist, im vollen Besitz unendlichen und unbegrenzbaren Selbst-Bewußtseins und seiner Selbst-Macht, einem Selbst-Besitz, dessen anderer Name Selbst-Seligkeit ist. Je mehr das Relative mit diesem Selbst-Besitz in Berührung kommt, desto mehr nähert es sich der Zufriedenheit, berührt es die Freude.

Diese Selbst-Seligkeit des brahman ist aber nicht durch den stillen, bewegungslosen Besitz seines absoluten Selbst-Seins eingeschränkt. Ebenso wie seine Bewußtseins-Kraft fähig ist, sich unendlich und mit endloser Variation in Formen zu verausgaben, so ist auch seine Selbst-Seligkeit fähig zu Bewegung und Variation. Sie kann in jenem unendlichen Strömen und in der Verwandlungsfähigkeit des eigenen Wesens schwelgen, das sich im Wirbel zahlloser Systeme des Universums darstellt. Diese unendliche Bewegung und Variation seiner Selbst-Seligkeit auszulösen und sich daran zu erfreuen, ist der Zweck seines weit ausgebreiteten oder schöpferischen Spiels von Kraft.

Mit anderen Worten: Was sich da in Formen ausgegossen hat, ist ein dreieiniges Sein-Bewußtsein-Seligkeit, saccidananda, dessen Bewußtsein seiner Natur nach eine schöpferische, oder vielmehr eine sich selbst zum Ausdruck bringende Kraft ist, fähig, ihr selbstbewußtes Wesen in Phänomen und Form endlos zu variieren und sich an der Wonne dieser Variation unendlich zu erfreuen. Daraus folgt, daß alle existierenden Dinge sind, was sie sind, als Begriffe jenes Seins, als Begriffe jener bewußten Kraft, als Begriffe jener Seligkeit des Seienden. Genauso wie wir finden, daß alle Dinge veränderliche Formen des einen unveränderlichen Seins sind, endliche Resultate der einen unendlichen Kraft, so werden wir alle Dinge als den veränderlichen Selbst-Ausdruck der einen unveränderlichen, alles umfassenden Seligkeit des Selbst-Seins erkennen. In allem, was ist, wohnt die bewußte Kraft, und es existiert und ist, was es ist, durch diese bewußte Kraft. So ist auch in allem, was ist, die Freude des Seins, und es existiert und ist, was es ist, dank dieser Seligkeit.

Gegen diese alte vedantische Theorie vom Ursprung des Kosmos machen im Mental des Menschen sofort zwei mächtige Einwände Front: das Bewußtsein von Schmerz in Gefühl und Sinnen und das ethische Problem des Bösen. Wie können wir uns das allgemeine Vorhandensein von Kummer, Leid und Schmerz erklären, wenn die Welt ein Ausdruck von saccidananda sein soll, nicht nur von einem Sein, das bewußte Kraft ist – denn das kann man leicht zugeben –, sondern von einem Sein, das auch unendliche Selbst-Seligkeit ist? Diese Welt erscheint viel eher als eine Welt des Leidens, denn als eine Welt der Seins-Seligkeit. Gewiß ist diese Anschauung von der Welt übertrieben, ein Irrtum der Perspektive. Wenn wir die Welt leidenschaftslos und mit der einzigen Absicht betrachten, sie genau und ohne Emotionen einzuschätzen, finden wir, daß die Summe der Daseins-Lust bei weitem die Summe des Daseins-Schmerzes überwiegt, unbeschadet des gegenteiligen Anscheins und des Widerspruchs individueller Fälle, und daß, aktiv oder passiv, an die Oberfläche hervortretend oder darunter liegend, Daseins-Lust der Normalzustand der Natur ist. Der Schmerz ist ein Ereignis des Gegenteils, das diesen Normalzustand zeitweilig aufhebt oder überlagert. Gerade aus diesem Grund empfinden wir die geringere Summe von Schmerz intensiver, wirft sie oft einen bedrohlicheren Schatten auf unser Dasein als die größere Summe von Lust. Gerade weil letztere das Normale ist, schätzen wir sie nicht so sehr, nehmen wir sie eigentlich kaum wahr, es sei denn, sie steigert sich zu einer intensiveren Form ihrer selbst, zu einer Woge von Glücksempfinden und zum Überschwang von Freude oder Begeisterung. Dies ist es, was wir dann Seligkeit nennen und suchen, aber die normale Zufriedenheit im Dasein, die immer da ist, unabhängig von irgendeinem Ereignis, einem besonderen Grund oder Gegenstand empfinden wir als etwas Neutrales, das weder Lust noch Schmerz bringt. Sie ist eben da, eine wunderbare praktische Tatsache, denn ohne sie hätten wir nicht den allgemeinen, uns beherrschenden Selbsterhaltungstrieb. Aber das ist es nicht, was wir suchen. Darum tragen wir es in unserer Gewinn- und Verlustrechnung nicht auf dem Konto unserer Gefühle und Empfindungen ein. In dieser Abrechnung zählen wir auf der einen Seite nur positive Freuden, auf der anderen die Unannehmlichkeiten und Schmerzen auf. Schmerz berührt uns intensiver, weil er unserem Wesen abnorm erscheint, unserer natürlichen Tendenz entgegengesetzt ist und wir ihn als bösartige Einwirkung auf unser Dasein, als Beleidigung und Angriff von außen gegen das empfinden, was wir sind und zu sein suchen.

Indessen wird davon nicht die philosophische Streitfrage berührt, ob der Schmerz etwas Unnormales, ob seine Summe größer oder kleiner ist. Einerlei, ob größer oder kleiner, sein Dasein als solches verursacht das ganze Problem. Wenn alles saccidananda ist, wie können Schmerz und Leid überhaupt existieren? Dieses wirkliche Problem wird oft noch weiter kompliziert durch eine falsche Einstellung, die von der Idee eines persönlichen außerkosmischen Gottes ausgeht, und durch eine Teilfrage, die ethische Schwierigkeit.

Das Argument lautet dann etwa so: saccidananda ist Gott, ein bewußtes Wesen, der Urheber des Daseins. Wie kann dann Gott eine Welt erschaffen haben, in der Er Seinen Geschöpfen Leiden auferlegt, den Schmerz billigt und das Böse zuläßt? Wenn Gott der All-Gute ist, wer hat dann den Schmerz und das Böse erschaffen? Wenn wir sagen, Schmerz sei eine Prüfung und Heimsuchung, lösen wir das moralische Problem nicht, sondern haben dann einen Gott, der amoralisch oder nicht-moralisch ist – vielleicht ein ausgezeichneter Welt-Techniker, ein sehr kluger Psychologe, aber nicht ein Gott des Guten und der Liebe, den wir verehren können, sondern nur ein Gott der Macht, dessen Gesetzen wir uns zu unterwerfen haben oder von denen wir hoffen dürfen, seine Launen zu besänftigen. Wer die Quälerei als Mittel zur Prüfung oder Heimsuchung erfindet, steht gerichtet da, entweder wegen absichtlicher Grausamkeit oder wegen sittlicher Empfindungslosigkeit. Wenn er überhaupt ein moralisches Wesen ist, steht er niedriger als der höchste Instinkt seiner Geschöpfe. Wenn wir aber, um aus dieser moralischen Schwierigkeit herauszukommen, den Schmerz ein unvermeidliches Ergebnis und eine natürliche Strafe für das sittlich Böse nennen, – eine Erklärung, die nicht einmal mit den Fakten des Lebens übereinstimmt, oder wir müßten jene Theorie von Karma und Wiedergeburt anerkennen, wonach die Seele jetzt für Sünden leiden muß, die sie vor dieser Geburt in anderen Körpern begangen hat –, entgehen wir doch nicht dem wirklichen ethischen Grundproblem: Wer hat dann dieses moralisch Böse erschaffen? Warum und woraus wurde es erschaffen, das die Strafe von Schmerz und Leiden nach sich zieht? Wenn wir aber einsehen, daß das sittliche Böse in Wirklichkeit eine Form mentaler Krankheit oder Unwissenheit ist, erhebt sich wieder die Frage: Wer oder was hat dieses Gesetz oder diese unerbittliche Verbindung erschaffen, die eine mentale Krankheit oder einen Akt der Unwissenheit mit einer so schrecklichen Zurückweisung und durch Qualen bestraft, die oft so übertrieben und entsetzlich sind? Ein solches unerbittliches Karmagesetz ist unvereinbar mit einem höchsten sittlichen und persönlichen Gottwesen. Darum hat die klare Logik des Buddha die Existenz eines freien, alles regierenden, persönlichen Gottes abgelehnt und erklärt: Alle Personalität ist eine Schöpfung von Unwissenheit und dem Karma unterworfen.

In Wahrheit entsteht diese hier so kraß hervorgehobene Schwierigkeit nur, wenn wir die Existenz eines außer-kosmischen persönlichen Gottes annehmen, der nicht Selbst auch das Universum ist, eines Gottes, der das Gute und Böse, Schmerz und Leiden, für Seine Kreaturen geschaffen hat, Selbst darüber steht und davon nicht betroffen wird, der über einer leidenden, ringenden Welt wacht, sie regiert und Seinen Willen an ihr vollzieht oder, wenn Er dabei nicht Seinen Willen durchführt, erlaubt, daß die Welt durch ein unerbittliches Gesetz gehetzt wird, ohne daß sie bei Ihm Hilfe, höchstens ungenügende Hilfe finden kann,- eines Gottes, der eben nicht Gott, nicht all-mächtig, nicht all-gut und nicht all-liebend ist. Es gibt keine Theorie von einem außer-kosmischen moralischen Gott, mit der das Böse und das Leiden – die Erschaffung des Bösen und des Leidens – erklärt werden kann, man müßte denn zu einer unbefriedigenden Ausflucht greifen, die der aufgeworfenen Frage ausweicht, statt sie zu beantworten, oder einen direkten oder indirekten Manichäismus vertreten, der praktisch die Gottheit dadurch annulliert, daß er ihre Wege zu rechtfertigen oder ihre Werke zu entschuldigen sucht. Ein solcher Gott ist aber nicht das vedantische saccidananda. Das saccidananda des Vedanta ist ein Sein ohne ein Zweites. Alles was ist, ist Er. Wenn also das Böse und das Leiden existieren, ist Er es, der das Böse und das Leiden in der Kreatur trägt, in der Er Sich Selbst verkörpert hat. So ändert sich das Problem vollständig. Die Frage ist nicht mehr, wie Gott dazu kam, für Seine Geschöpfe Leiden und Böses zu erschaffen, das Er Selbst nicht auf Sich zu nehmen fähig, wogegen Er also immun ist, die Frage ist vielmehr: wie die einzige und unendliche Sein-Bewußtsein-Seligkeit dazu kam, in sich eindringen zu lassen, was nicht Seligkeit ist, sondern dessen unmittelbare Verneinung zu sein scheint.

So verschwindet die eine Hälfte der ethischen Schwierigkeiten – jene in ihrer einen unbeantwortbaren Form. Sie erhebt sich nun nicht mehr und kann auch nicht mehr vorgebracht werden. Grausamkeit anderen gegenüber, wobei Ich immun bleibe oder sogar an ihrem Leiden teilhabe und es danach bereue oder verspätetes Mitleid bezeige, ist die eine Sache.

Wenn Ich mir aber selbst Leid zufüge, Ich, der Ich das einzige Sein bin, ist das eine ganz andere Sache. Dennoch kann die ethische Schwierigkeit noch in einer abgewandelten Form neu vorgebracht werden: Da All-Seligkeit notwendigerweise auch All-Güte und All-Liebe sein muß, wie kann das Böse und das Leiden in saccidananda existieren, da dieses doch kein mechanisches Dasein, sondern ein freies und bewußtes Wesen ist, also frei, das Böse und das Leiden zu verurteilen und zurückzuweisen? Wir müssen jedoch erkennen, daß das so formulierte Problem die Frage falsch stellt. Denn man wendet dabei die Begriffe einer partiellen Behauptung an, als ob diese auf das Ganze angewandt werden dürften. Die Ideen von Güte und Liebe, die wir so in den Begriff der All-Seligkeit hineinbringen, entstammen einer dualistischen und zerteilenden Auffassung der Dinge. Sie gründen sich allein auf die Beziehungen zwischen den Kreaturen. Dennoch bestehen wir darauf, sie auf ein Problem anzuwenden, das im Gegensatz dazu von der Annahme des Einen ausgeht, der alles ist. Wir haben also zuerst zu untersuchen, wie das Problem in seiner ursprünglichen Reinheit auf der Basis der Einheit in Verschiedenheit aussieht und wie es gelöst werden kann. Nur dann können wir mit Sicherheit die Teilprobleme und ihre Abwandlungen behandeln, also die Beziehungen von Kreatur zu Kreatur auf der Grundlage der Zertrennung und Dualität.

Wenn wir so das Ganze überschauen und uns nicht nur auf die menschliche Schwierigkeit und den menschlichen Standpunkt beschränken, müssen wir erkennen, daß wir nicht in einer ethischen Welt leben. Der Versuch menschlichen Denkens, dem Ganzen der Natur einen ethischen Sinn aufzuzwingen, ist eine jener Handlungen willkürlicher, hartnäckiger Selbst-Verwirrung, einer von jenen bedauerlichen Versuchen des Menschen, sich selbst und sein beschränktes gewohnheitsmäßiges menschliches Ich in alle Dinge hineinzulesen und sie von dem Standpunkt aus zu beurteilen, den er persönlich entwickelt hat. Gerade das verhindert aber am wirkungsvollsten, zu wirklicher Erkenntnis und umfassender Schau zu kommen. Die materielle Natur ist nicht ethisch. Das Gesetz, das sie regiert, ist eine Koordinierung fester Gewohnheiten, die Gut und Böse nicht beachten, nur Kraft, die erschafft, Kraft, die ordnet und erhält, Kraft, die unparteiisch und unethisch stört und zerstört aufgrund eines geheimen Willens in ihr, im Einklang mit der stummen Befriedigung dieses Willens in seinen Selbst-Gestaltungen und Selbst-Zerstörungen. Auch die animalische und vitale Natur ist unethisch, obwohl sie in ihrer fortschreitenden Entwicklung das Rohmaterial hervorbringt, aus dem das höhere Tierwesen den ethischen Impuls entwickelt. Wir machen dem Tiger so wenig Vorwürfe, weil er seine Beute zerreißt und verschlingt, wie wir den Sturm tadeln, weil er zerstört, oder das Feuer, weil es quält und tötet. Die Bewußtheits-Kraft im Sturm, im Feuer oder im Tiger macht sich auch selbst keine Vorwürfe und verurteilt sich nicht. Vorwurf und Verurteilung oder vielmehr Selbst-Vorwurf und Selbst-Verurteilung sind der Anfang wahrer Ethik. Wenn wir anderen Vorwürfe machen, ohne dasselbe Gesetz auch uns gegenüber anzuwenden, sprechen wir nicht mit einem wahren ethischen Urteil, sondern verwenden wir nur die Sprache, die die Ethik entwickelt hat, zu unseren Gunsten für einen Gefühls-Impuls, für Abscheu oder Mißfallen gegenüber dem, was uns ärgert oder verletzt.

Dieses Verabscheuen oder Mißfallen ist der primäre Ursprung der Ethik, aber selbst nichts Ethisches. Die Furcht des Rehs vor dem Tiger, die Wut des starken Geschöpfs gegen seinen Angreifer sind ein vitales Zurückschrecken der Daseins-Seligkeit des Individuums vor dem, was es bedroht. Bei weiterem Fortschritt der Mentalität verfeinert sich das zu Widerwillen, Mißfallen, Mißbilligung. Diese Mißbilligung dessen, was uns bedroht und verletzt, und die Billigung dessen, was uns schmeichelt und befriedigt, verfeinern sich nun in den Begriff dessen, was gut und böse ist für uns selbst, für unsere Gemeinschaft, für andere als uns, für andere Gemeinschaften als die unsrige und zuletzt zu allgemeiner Billigung des Guten und Mißbilligung des Bösen. Aber die grundlegende Natur der Sache bleibt durchweg dieselbe. Der Mensch verlangt danach, sich selbst auszudrücken, sich selbst zu entwickeln, mit anderen Worten, er bejaht in sich das progressive Spiel der Bewußten Kraft des Seins. Darin findet er seine fundamentale Seligkeit. Was diesen Selbst-Ausdruck, diese Selbst-Entfaltung und Befriedigung seines progressiven Selbsts verletzt, ist für ihn böse. Was ihm hilft, es bestätigt, erhöht, ausweitet und adelt, ist für ihn gut. Nur verändert sich sein Verständnis für seine Selbst-Entfaltung, es wird umfassender und höher. Er beginnt, über seine begrenzte Persönlichkeit hinauszuwachsen, andere mit einzubeziehen und schließlich alles in seinem Gesichtskreis zu umfassen.

Mit anderen Worten: Ethik ist eine Stufe in der Evolution. Allen Stufen gemeinsam ist das Drängen von saccidananda, das Selbst auszudrücken. Dieses Drängen ist zunächst nicht-ethisch. Danach ist es im Tier unter-ethisch. Im intelligenten Tierwesen wird es sogar anti-ethisch, denn es läßt zu, daß wir eine Verletzung, die anderen zugefügt wird, billigen, während wir sie mißbilligen, wenn sie uns angetan wird. In dieser Beziehung ist der Mensch heute erst halb-ethisch. So, wie alles unter uns unter-ethisch ist, mag oberhalb von uns, wohin wir schließlich gelangen werden, etwas Über-ethisches sein, das auf die Ethik verzichten kann. Ethischer Impuls und ethische Haltung sind zwar für die Menschheit hochwichtig, jedoch nur ein Mittel, mit dem sie sich aus der niedrigeren Harmonie und Universalität in eine höhere emporringt. Die niedere gründet sich auf die Unbewußtheit und wird durch das Leben in individuelle Gegensätzlichkeiten zerbrochen. Die höhere ruht auf einem bewußten Einssein mit allen Wesen des Daseins. Wenn wir zu diesem Ziel gelangen, wird das Mittel der Ethik nicht mehr notwendig, sogar nicht mehr möglich sein, da die Eigenschaften und Gegensätze, von denen sie abhängt, sich natürlicherweise in endgültiger Versöhnung auflösen und verschwinden.

Besitzt also der ethische Standpunkt seine Gültigkeit nur für einen zeitweiligen, wenn auch höchst wichtigen Übergang aus der einen Universalität in eine andere, können wir ihn nicht auf die Gesamtlösung des Problems des Universums anwenden, sondern nur als ein Element neben anderen für diese Lösung anerkennen. Andernfalls laufen wir Gefahr, alle Tatsachen des Universums und den ganzen Sinn der Evolution unterhalb und oberhalb von uns zu verfälschen, um ihn einer temporären Betrachtung und einer nur halb-entwickelten Anschauung von der Nützlichkeit der Dinge anzupassen. Diese Welt ist dreischichtig: unterethisch, ethisch und überethisch. Wir müssen herausfinden, was ihnen gemeinsam ist. Nur so können wir das Problem lösen.

Als das allen Gemeinsame haben wir erkannt: die Befriedigung der bewußten Kraft des Seins, die sich in den Gestaltungen entfaltet und in dieser Entfaltung ihre selige Erfüllung sucht. In dieser Befriedigung oder Seligkeit des Selbst-Seins hat sie offenbar ihren Ursprung. Das ist das für sie Normale, hieran klammert sie sich, das macht sie zu ihrer Grundlage. Aber sie sucht nach immer neuen Formen von sich. Beim Übergang zu höheren Formen tritt das Phänomen von Schmerz und Leiden auf, das der fundamentalen Natur ihres Wesens zu widersprechen scheint. Das und dies allein, ist das grundlegende Problem.

Wie sollen wir es aber lösen? Sollen wir sagen: saccidananda ist nicht Anfang und Ende der Dinge? Sollte Anfang und Ende etwa das Nihil, ein neutrales Leeres, sein, das an sich nichts ist, aber doch alle Potenzen des Seins und des Nicht-Seins, des Bewußtseins und des Nicht-Bewußtseins, der Seligkeit und der Un-Seligkeit in sich enthält? Wir mögen, wenn wir wollen, diese Antwort vielleicht akzeptieren. Obwohl wir aber durch sie alles zu erklären suchen, haben wir in Wirklichkeit gar nichts erklärt. Wir haben nur in dieses Nichts alles hineingepackt. Ein Nichts, mit allen Potenzen angefüllt, ist der vollständigste Gegensatz gegen mögliche Begriffe und Dinge. Wir haben also nur einen geringeren Widerspruch durch einen größeren erklärt, indem wir den Selbst-Widerspruch der Dinge bis auf die höchste Spitze getrieben haben. Ein Nichts ist das Leere, in dem es keine Potentialitäten geben kann. Ein neutrales Unbestimmtes aller Potentialitäten ist Chaos. Und wir haben nur das Chaos in das Leere getan, ohne zu erklären, wie es dorthin gekommen ist. Wir wollen also wieder zu unserem ursprünglichen Begriff von saccidananda zurückkehren und sehen, ob nicht auf jener Grundlage eine vollständigere Lösung möglich ist.

Zunächst müssen wir uns klarmachen: Wenn wir von universalem Bewußtsein sprechen, meinen wir etwas, das andersartig, wesenhafter und umfassender ist als das wache mentale Bewußtsein des menschlichen Wesens. Ebenso meinen wir, wenn wir von universaler Seins-Seligkeit sprechen, etwas, das andersartig, wesenhafter und umfassender ist als das gewöhnliche emotionale und sinnenhafte Vergnügen des individuellen menschlichen Geschöpfes. Die Worte Lust, Freude und Wonne bedeuten so, wie sie der Mensch verwendet, begrenzte, gelegentliche Regungen, die von gewissen gewohnten Ursachen abhängen, in gleicher Weise wie ihr Gegenteil, Schmerz und Kummer, die auch begrenzte und gelegentliche Regungen sind. Beide treten aus einem Hintergrund hervor, der etwas anderes ist als sie. Seligkeit des Wesens ist universal, unbegrenzbar, selbst-seiend. Sie hängt nicht von bestimmten Ursachen ab. Sie ist der Hintergrund aller Hintergründe, aus dem Lust, Schmerz und die anderen, mehr neutralen Erfahrungen auftauchen. Sobald sich die Seins-Seligkeit als Seligkeit des Werdens zu realisieren sucht, tritt sie hervor in die Bewegung von Kraft und nimmt selbst dabei verschiedene Formen von Bewegung an, deren positive und negative Strömungen Lust und Schmerz sind. Unterbewußt in der Materie, überbewußt jenseits der Mentals, sucht sich diese Seligkeit in Mental und Leben dadurch zu verwirklichen, daß sie im Werden, im wachsenden Selbst-Bewußtsein der Bewegung in Erscheinung tritt. Ihre ersten Phänomene sind zwiespältig und unrein. Sie bewegen sich zwischen den Polen von Lust und Schmerz. Die Seligkeit strebt aber danach, sich in der Reinheit einer höchsten Seligkeit des Wesens zu offenbaren, die selbst-seiend und unabhängig ist von Objekten und Ursachen. So wie saccidananda hinstrebt zur Realisation des universalen Seins im Individuum und zu dem die Form überwindenden Bewußtsein in der Form von Körper und Mental, so bewegt es sich auch hin zur Realisation einer universalen, selbst-seienden und objektlosen Seligkeit im Strom besonderer Erfahrungen und Objekte. Diese Anlässe und Inhalte suchen wir jetzt als anregende Ursachen für eine vorübergehende Lust und Befriedigung. Sind wir aber frei und im Besitz unseres Selbsts, werden wir sie nicht mehr suchen, vielmehr als Reflektoren – statt als Ursachen – einer Seligkeit besitzen, die ewig ist.

In dem vom Ich bestimmten menschlichen Wesen, in der mentalen Person, die aus der dunkeln Schale der Materie hervortritt, ist die Seins-Seligkeit neutral, halb-verborgen, noch im Schatten des Unterbewußten, kaum mehr als ein noch unsichtbarer Pflanzboden, der einmal reiche Frucht bringen kann, jetzt aber durch das Verlangen mit dem üppigen Wuchs giftigen Unkrauts und kaum weniger giftiger Blumen bedeckt ist: mit den Schmerzen und Lüsten unseres egoistischen Daseins. Wenn die Göttliche bewußte Kraft, die insgeheim in uns wirkt, diese Gewächse des Verlangens verzehrt hat, wenn (nach dem Bild des Rig Veda) das Feuer Gottes den Wildwuchs der Erde abgebrannt hat, wird das, was an den Wurzeln dieser Schmerzen und Lüste verborgen ist, ihre Ursache und ihr geheimes Wesen, der Saft der Seligkeit in ihnen, in neuen Formen hervortreten: in Formen einer aus dem Selbst seienden frohen Befriedigung, nicht mehr in jenen des Verlangens. Die Lust des sterblichen Wesens wird durch die Wonne der Unsterblichkeit ersetzt werden. Diese Transformation ist deshalb möglich, weil die Gewächse der Sinne und Gefühle in ihrem wesenhaften Sein, die Schmerzen nicht weniger als die Lust, jene Seins-Seligkeit sind, die sie zwar suchen, aber noch nicht offenbaren können. Sie versagen wegen der Zertrennung, der Unkenntnis des Selbsts und der Ichhaftigkeit.

Kapitel XII. Seins-Seligkeit: Die Lösung

Seligkeit ist der Name von Jenem. Als die Seligkeit müssen wir Es verehren und nach Ihm suchen.

Kena Upanishad, IV.6.

In diesem Begriff einer unveränderlichen zugrunde liegenden Seins-Seligkeit, in der alle unsere äußeren oder vordergründigen Empfindungen ein positives, negatives oder neutrales Spiel sind, Wellen und Schaumkronen jener unendlichen Tiefe, finden wir die wahre Lösung des Problems, das wir untersuchen. Das Selbst der Dinge ist ein unendliches, unteilbares Sein. Die wesenhafte Natur oder Macht dieses Seins ist eine unendliche, unzerstörbare Kraft von selbst-bewußtem Wesen. Und die wesenhafte Natur oder das Wissen von sich selbst dieses Selbst-Bewußteins ist wiederum eine unendliche, unveränderliche Seligkeit des Seienden. In der Formlosigkeit und in allen Formen, in seinem ewigen Innesein des unendlichen, unteilbaren Seins und in den vielförmigen Erscheinungen der endlichen Zerteilung bewahrt sich dieses Selbst-Sein ständig seine Selbst-Seligkeit. Wie unsere Seele in der scheinbaren Unbewußtheit der Materie, sobald sie aus ihrer Gebundenheit an ihre eigene oberflächliche Gewohnheit und die besondere Art von selbstbewußtem Dasein hinauswächst, jene unendliche Bewußte Kraft entdeckt, die beständig, unbeweglich brütet, so entdeckt sie immer mehr in der scheinbaren Nicht-Empfindsamkeit der Materie eine unendliche, bewußte Seligkeit, unerschütterlich, ekstatisch, allumfassend, und kann sich auf sie einstimmen. Diese Seligkeit ist ihre eigene Seligkeit, und dieses Selbst ist ihr eigenes Selbst in allen Wesen. Aber für unsere gewöhnliche Anschauung vom Selbst und von den Dingen, die nur auf den Oberflächen wach ist und sich dort bewegt, bleibt sie verborgen, tief, unterbewußt. Wie diese Seligkeit allen Formen innewohnt, ist sie in allen Erfahrungen, ob erfreulich, schmerzlich oder neutral. Verborgen, tief, unterbewußt ist sie dort auch das, was es den Dingen möglich macht und sie zwingt, im Dasein zu verbleiben. Sie ist der Grund für jenes Sich-ans-Dasein-Klammern, für jenen alles beherrschenden Willen-zum-Sein, der, ins Vitale übersetzt, zum Selbst-Erhaltungstrieb wird, im Physischen zur Unzerstörbarkeit der Materie, im Mental zum Empfinden der Unsterblichkeit. Sie begleitet das geformte Dasein durch alle Phasen seiner Selbst-Entwicklung. Selbst der gelegentliche Impuls zur Selbst-Zerstörung ist nur eine umgekehrte Ausdrucksform von ihr, ein Hingezogenwerden zu einem anderen Seins-Zustand und die daraus folgende Flucht aus dem jetzigen Seins-Zustand. Seligkeit ist Sein, Seligkeit ist das Geheimnis der Schöpfung, Seligkeit ist der Ursprung der Geburt, Seligkeit ist der Grund, im Dasein zu verbleiben, Seligkeit ist das Ende der Geburt und jenes, in das sich die Schöpfung wieder auflöst. Die Upanishad sagt: “Aus ananda sind alle Wesen geboren, durch ananda bleiben sie im Sein und wachsen, zu ananda gehen sie fort.”

Wenn wir diese drei Aspekte wesenhaften Seins betrachten, die in Wirklichkeit eins, in unserem mentalen Schauen drei-einig und nur in der Erscheinung als die Phänomene des zerteilten Bewußtseins voneinander trennbar sind, können wir die auseinandergehenden Formeln der alten Philosophie an ihren richtigen Platz stellen, so daß sie sich vereinigen, eins werden und ihren uralten Streit beenden. Wenn wir das Welt-Dasein nur in seinen äußeren Erscheinungsformen betrachten, nur in seiner Beziehung zum reinen, unendlichen, unteilbaren, unveränderlichen Sein, sind wir berechtigt, es als maya anzusehen, zu beschreiben und zu realisieren. Im ursprünglichen Sinn bedeutet maya ein allumfassendes und aufnehmendes Bewußtsein, das die Dinge umgreifen, messen und begrenzen und darum Gestaltungen bilden kann. Maya legt die Umrisse fest und mißt aus, prägt Formen im Formlosen, versieht sie mit psychischen Fähigkeiten, scheint das Unerkennbare erkennbar zu machen, erkennt geometrische Gesetze, mit denen es das Unbegrenzte meßbar zu machen scheint. Später verlor dies Wort seine ursprüngliche Bedeutung von Erkenntnis, Geschicklichkeit und Intelligenz und bekam die abwertende Bedeutung von List, Trug, Illusion. In der Gestalt von Verführung oder Illusion wird maya dann von den philosophischen Systemen verwendet.

Welt ist maya. Weit ist nicht unwirklich in dem Sinne, daß sie nicht ein gewisses Sein hätte. Denn wenn sie auch nur ein Traum des Selbsts wäre, würde sie noch sein, in Ihm als ein Traum, wirklich für Es in der Gegenwart, wenn auch letztlich unwirklich. Wir sollten von der Welt nicht sagen, sie sei unwirklich in dem Sinn, daß sie nicht eine gewisse ewige Existenz besitzt. Obwohl sich bestimmte Welten und bestimmte Formen vielleicht (oder wirklich) physisch auflösen und mental aus dem Bewußtsein der Manifestation in die Nicht-Manifestation zurückkehren, sind doch die Form als solche und die Welt als solche ewig. Unvermeidlich kehren sie aus der Nicht-Manifestation wieder in die Manifestation zurück. Wenn sie auch keine ewige Dauer besitzen, so haben sie doch eine ewige Wiederkehr, eine ewige Unveränderlichkeit in ihrer Summe und in ihrer Grundlage, neben einer ewigen Veränderlichkeit in Aspekt und Erscheinung. Auch haben wir keinerlei Sicherheit für die Annahme, daß es je in der Zeit eine Periode gab oder geben wird, da sich keine Form von Universum und kein Spiel des Seienden vor sich selbst im ewigen Bewußten Wesen abspielt. Wir haben nur eine intuitive Auffassung dessen, daß die Welt, die wir kennen, aus Jenem in die Erscheinung treten kann und tritt und ständig in Es zurückkehrt.

Dennoch ist die Welt maya, weil sie nicht die wesenhafte Wahrheit des unendlichen Seins ist, sondern nur eine Schöpfung des seines Selbsts bewußten Wesens, – keine Schöpfung im Leeren, keine Schöpfung im Nichts und aus dem Nichts, vielmehr in der ewigen Wahrheit und aus der ewigen Wahrheit jenes Selbst-Wesens. Ihr Gefäß, Ursprung und Stoff sind das wesenhafte wirkliche Sein; ihre Formen sind veränderliche Gestaltungen von Jenem, zu Seiner eigenen bewußten Wahrnehmung, durch Seine eigene schöpferische bewußte Kraft determiniert. Sie sind befähigt zur Manifestation, zur Nicht-Manifestation und auch zur Anders-Manifestation. Wenn wir wollen, können wir sie deshalb Illusionen des unendlichen Bewußtseins nennen und damit kühn einen Schatten unseres eigenen mentalen Empfindens, dem Irrtum und der Unfähigkeit unterworfen zu sein, auf jenes zurückwerfen, das größer ist als das Mental und erhaben ist über unser Unterworfensein unter Irrtum und Illusion. Da wir aber sehen, daß das Essentielle und die Substanz des Seins keine Lüge sind und daß alle Irrtümer und Entstellungen unseres zerteilten Bewußtseins doch irgendeine Wahrheit des unteilbaren, seines Selbsts bewußten Seins darstellen, können wir nur sagen: Die Welt ist nicht wesenhafte Wahrheit von Jenem, doch phänomenale Wahrheit aus Seiner freien Vielfalt und unendlichen Veränderlichkeit an Seiner Außenseite, sie ist nicht Wahrheit Seiner fundamentalen, unveränderlichen Einheit.

Wenn wir andererseits Welt-Dasein nur in seiner Beziehung zum Bewußtsein und zur Kraft des Bewußtseins betrachten, können wir es ansehen, beschreiben und realisieren als eine Bewegung von Kraft, die einem geheimen Willen oder sonstigem Zwang gehorcht, der ihm gerade durch die Existenz des Bewußtseins auferlegt wird, das es besitzt und betrachtet. Dann ist Welt-Dasein ein Spiel von prakriti, der exekutiven Kraft, um purusha Genüge zu tun, dem Bewußten Wesen, das ihr zuschaut und sich an ihr freut. Oder Welt-Dasein ist das Spiel von purusha, der sich in den Bewegungen der Kraft widerspiegelt und sich mit ihnen identifiziert. Welt ist dann das Spiel der Mutter der Dinge, die dazu gedrängt ist, Sich Selbst ewig in die unendlichen Formen auszuprägen, und ewig danach strebt, Erfahrungen zu verströmen.

Betrachten wir dann wieder das Welt-Dasein in seiner Beziehung zur Selbst-Seligkeit des ewig seienden Wesens, können wir es ansehen, beschreiben und erkennen als lila. Die Seele der Dinge, ewig jung, dauernd unerschöpflich, Sich Selbst in Sich Selbst erschaffend und immer neu erschaffend aus reiner Wonne an dieser Selbst-Schöpfung, an dieser Selbst-Darstellung: das ist lila, das Spiel, die Freude des Kindes, die Freude des Dichters, die Freude des Schauspielers, die Freude des Technikers, – Er Selbst ist das Spiel, Er Selbst der Spieler, Er Selbst das Spielfeld. Diese drei allgemeinen Begriffe des Spiels des Seins in seiner Beziehung zum ewigen und beständigen, unveränderlichen saccidananda, die von den drei Auffassungen von maya, prakriti und lila ausgehen und sich in unseren philosophischen Systemen als einander widersprechende Philosophien darstellen, sind in Wirklichkeit voll miteinander vereinbar, einander ergänzend und in ihrer Totalität notwendig für integrale Anschauung des Lebens und der Welt. Die Welt, von der wir ein Teil sind, ist in ihrer offensichtlichsten Erscheinung eine Bewegung von Kraft. Wenn wir aber durch die Erscheinungen dieser Kraft hindurchdringen, erweist sie sich als ein ständiger und doch ewig veränderlicher Rhythmus von schöpferischem Bewußtsein, das in sich phänomenale Wahrheiten seines eigenen unendlichen, ewigen Wesens emporsteigen läßt und nach außen projiziert. Dieser Rhythmus ist seinem Wesen, seiner Ursache und seinem Zweck nach ein Spiel unendlicher Seligkeit des Seins, die sich in ihren eigenen unzählbaren Selbst-Darstellungen stets betätigt. Diese dreifache oder dreieinige Schau muß der Ausgangspunkt für unser ganzes Verstehen des Universums sein.

Da nun also die Wurzel der ganzen Sache ewige und unveränderliche Seligkeit des Seins ist, die in unendliche, veränderliche Seligkeit des Werdens ausströmt, müssen wir ein einziges, unteilbares, bewußtes Wesen hinter all unseren Erfahrungen begreifen, das sie durch seine unveränderliche Seligkeit trägt und erhält und das durch seine Bewegung die Variationen von Lust, Schmerz und neutraler Indifferenz in unserem empfindenden Dasein bewirkt. Jenes ist unser wirkliches Selbst. Da das mentale Wesen der dreifachen Vibration unterworfen ist, kann es nur eine Repräsentation unseres wahren Selbsts sein, das für die Zwecke dieser sinnlichen Erfahrung der Dinge herausgestellt wurde, die der erste Rhythmus unseres zerteilten Bewußtseins in seiner Antwort und Reaktion auf die vielfältigen Kontakte des Universums ist, eine unvollkommene Reaktion, ein verworrener und unharmonischer Rhythmus. Er soll nur das volle einheitliche Spiel des bewußten Wesens in uns vorbereiten und präludieren (vorspielen), ist noch nicht die wahre und vollkommene Symphonie, die uns einmal geschenkt werden soll, sobald wir uns in den Einklang des Gefühls mit dem Einen in allen Variationen eingefügt haben und in die gesamte absolute universale Harmoniefülle einstimmen können.

Wenn diese Betrachtung richtig ist, drängen sich uns unvermeidlich Folgerungen auf. Zunächst kann, da wir in unseren Tiefen selbst jener Eine, in der Wirklichkeit unseres Wesens das unteilbare All-Bewußtsein und darum auch die unveränderliche All-Seligkeit sind, die Anordnung unserer sinnlichen Erfahrung in den drei Vibrationen von Schmerz, Lust und Indifferenz nur eine vordergründige Anlage sein, die durch jenen begrenzten Teil von uns erschaffen wurde, der ganz oben in unserem Wachbewußtsein zutage tritt. Dahinter muß in uns etwas sein – viel weiter, tiefer und wahrer als das oberflächliche Bewußtsein –, das unparteiisch in all unseren Erlebnissen seine Seligkeit findet. Diese Seligkeit fördert und erhält insgeheim das vordergründige mentale Wesen und gibt ihm die Kraft, in allen Mühen, Leiden und Heimsuchungen der turbulenten Bewegung des Werdens durchzuhalten. Was wir unser Ich nennen, ist nur ein zitternder Strahl an der Oberfläche. Dahinter liegt das ganze unermeßliche Unterbewußte, das unermeßliche Überbewußte, das sich all diese Erfahrungen des äußeren Menschen zunutze macht und sie seinem äußeren Selbst auferlegt, das es wie einen lichtempfindlichen Film den Kontakten der Welt aussetzt. Das wahre Selbst bleibt verhüllt. Es empfängt diese Kontakte und assimiliert sie in die Werte einer wahreren, tieferen, beherrschenden und schöpferischen Erfahrung. Aus seinen Tiefen sendet es sie an die Oberfläche zurück in Formen von Stärke, Charakter, Wissen, Impuls zum Handeln, deren Wurzeln für uns deshalb geheimnisvoll sind, weil unser Mental sich nur unsicher zitternd an der Oberfläche bewegt und noch nicht gelernt hat, sich zu konzentrieren und in den Tiefen zu leben.

In unserem gewöhnlichen Leben ist diese Wahrheit vor uns verborgen, oder sie taucht nur gelegentlich flüchtig vor unserem Blick auf oder wird unvollkommen erfaßt und begriffen. Wenn wir es aber lernen, in unserem Innern zu leben, erwachen wir unfehlbar zur Erkenntnis dieser Gegenwart in uns, die unser wirklicheres Selbst ist: eine tiefe, stille, frohe und machtvolle Gegenwart, deren Meister nicht die Welt ist, eine Gegenwart, die, wenn sie nicht der Herr Selbst, dann doch die Strahlung des Herrn in unserem Innern ist. Wir werden ihrer inne, da sie unser äußerlich erscheinendes und vordergründiges Selbst fördert und ihm hilft, seiner Lust und seinen Schmerzen zulächelt, als sei es der Irrtum und die Leidenschaft eines kleinen Kindes. Und wenn wir zurücktreten können in uns selbst und uns identifizieren, nicht mit unserer oberflächlichen Erfahrung, sondern mit dem strahlenden Lichtkreis des Göttlichen Wesens, vermögen wir den Kontakten der Welt gegenüber in dieser Haltung zu leben. Indem wir in unserem ganzen Bewußtsein hinter den Erfahrungen von Lust und Schmerz des Körpers, des vitalen Wesens und des Mentals zurückstehen können, besitzen wir sie zwar als Erfahrungen, ihre Natur kann aber, oberflächlich wie sie ist, unsern Kern und wahres Wesen nicht berühren oder beeindrucken. Nach den höchst ausdrucksvollen Begriffen des Sanskrit gibt es ein anandamaya hinter dem manomaya, ein unermeßliches Seligkeits-Selbst hinter dem begrenzten mentalen Selbst. Letzteres ist nur ein Schattenbild und ein entstellter Reflex des ersteren. Die Wahrheit unserer selbst liegt in unserem Inneren und nicht an der Oberfläche.

Wiederum kann diese dreifache Vibration von Lust, Schmerz und Indifferenz deshalb in sich keine Absolutheit, keine Notwendigkeit besitzen, weil sie vordergründig, Anordnung und Ergebnis unserer unvollkommenen Evolution ist. Es gibt für uns keinen wirklichen Zwang, einen besonderen Kontakt mit einer besonderen Reaktion von Lust, Schmerz oder neutralem Empfinden zu beantworten. Es gibt nur einen Zwang der Gewohnheit. Bei einem besonderen Kontakt fühlen wir Lust oder Schmerz, weil unsere Natur diese Gewohnheit gebildet und weil der Empfänger diese ständige Beziehung zwischen sich und diesem Kontakt festgelegt hat. Es liegt durchaus innerhalb unserer Macht, mit der entgegengesetzten Reaktion zu antworten, mit Lust, wo wir uns an Schmerz gewöhnt hatten, mit Schmerz, wo wir gewöhnlich mit Lust reagierten.

Ebenso liegt es aber auch innerhalb unserer Kompetenz, unser äußeres Wesen daran zu gewöhnen, daß es, statt der mechanischen Reaktionen von Lust, Schmerz oder Indifferenz, jene freie Antwort unveränderlicher Seligkeit erteilt, die die ständige Erfahrung des wahren, weiten Seligkeits-Selbsts in unserem Innern ist. Das ist ein noch größerer Sieg und ein noch tieferer, vollständigerer Besitz unseres Selbsts, als wenn wir die gewohnten Reaktionen unserer Außenseite nur froh und unbeteiligt in den Tiefen aufnehmen. Diese Haltung ist nicht mehr nur reines Akzeptieren, ohne unterworfen zu sein, freie Zustimmung zu unvollkommenen Werten der Erfahrung, sondern sie gibt uns die Kraft, Unvollkommenes in Vollkommenes, falsche in wahre Werte umzuwandeln; die ständige aber wahrhaftige Seligkeit des Geistes in den Dingen übernimmt den Platz jener Dualitäten, die vom mentalen Wesen erfahren werden.

In den Dingen des Mentals kann man unschwer diese rein gewohnheitsmäßige Relativität der Reaktionen von Lust und Schmerz wahrnehmen. Dagegen ist das nervliche Wesen in uns an eine gewisse feste Geltung in diesen Beziehungen und an einen falschen Eindruck ihrer Absolutheit gewöhnt. Für es sind Sieg, Erfolg, Ehre, Glück aller Art an sich selbst absolut erfreuliche Dinge, die genauso Freude hervorrufen müssen, wie Zucker süß schmecken muß. Dagegen sind für es Niederlage, Versagen, Enttäuschung, Schande, Unglück aller Art an sich absolut unerfreuliche Dinge, die ebenso sicher Kummer hervorrufen müssen, wie die Wermutwurzel bitter schmecken muß. Diese Reaktionen zu verändern, bedeutet für unser Nervensystem ein Abweichen von der faktischen Wirklichkeit, ist unnormal und krankhaft. Das nervliche Wesen ist an die Gewohnheit versklavt. Es ist an sich ein von der Natur dazu bestimmtes Mittel, in Beziehungen des Menschen zum Leben Konstanz der Reaktion, Gleichheit der Erfahrung und ein feststehendes Schema zu bringen. Das mentale Wesen dagegen ist frei. Es ist das von der Natur zu Elastizität und Variation, Wechsel und Fortschritt bestimmte Mittel. Der Mensch als mentales Wesen ist nur solange unterworfen, als er sich dafür entscheidet, unterworfen zu bleiben, lieber in der einen mentalen Gewohnheit als einer anderen zu verharren. Er ist unfrei, solange er sich von seinem nervlichen Instrument beherrschen läßt. Das mentale Wesen ist absolut nicht gezwungen, über Niederlage, Schande und Verlust Kummer zu empfinden. Diesen wie allen Dingen kann es mit vollkommener Gleichgültigkeit gegenübertreten. Es kann ihnen sogar mit vollkommener Freude begegnen. Darum erkennt der Mensch, daß seine Freiheit um so größer wird, je mehr er sich weigert, sich von Nerven und Körper beherrschen zu lassen, je mehr er sich aus seiner Verstrickung in seine physischen und vitalen Schichten zurückzieht. Er wird zum Meister seiner eigenen Reaktionen auf die Berührungen der Welt, bleibt nicht länger Sklave äußerer Einwirkungen.

Bei Lust und Schmerz des physischen Wesens ist es schwieriger, diese universale Wahrheit anzuwenden. Denn hier ist der eigentliche Bereich der Nerven und des Körpers, Zentrum und Sitz dessen in uns, was seiner Natur nach von äußerem Kontakt und Druck beherrscht wird. Aber selbst hier haben wir einen flüchtigen Anblick der Wahrheit. Wir sehen sie in der Tatsache, daß, je nach Gewohnheit, dieselbe physische Berührung erfreulich oder schmerzlich sein kann, nicht nur für verschiedene Individuen, sondern auch für denselben Menschen unter verschiedenen Umständen oder auf verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Wir sehen diese Wahrheit in der Tatsache, daß Menschen in Zeiten großer Erregung oder eines hohen Enthusiasmus physisch gegen Schmerz gleichgültig oder seiner unbewußt bleiben, während dieselben Einwirkungen ihnen unter gewöhnlichen Umständen harte Qualen oder Leiden verursachen würden. In vielen Fällen kehrt erst dann das Empfinden von Leiden zurück, wenn es den Nerven gelungen ist, sich wieder zu behaupten und das Mental an seine gewohnheitsmäßige Verpflichtung zum Leiden zu erinnern. Aber diese Rückkehr zum üblichen Zwang ist nicht unvermeidlich, sie ist nur gewohnheitsmäßig. Wir sehen, daß man bei Hypnose der hypnotisierten Person nicht nur erfolgreich verbieten kann, den Schmerz einer Wunde oder eines Stiches zu fühlen, solange sie im abnormen Zustand ist, sondern sie auch mit gleichem Erfolg daran hindern kann, nach dem Erwachen wieder zu ihrer gewohnten Reaktion des Leidens zurückzukehren. Der Grund für dieses Phänomen ist ganz einfach: Der Hypnotiseur schaltet das gewöhnliche wache Bewußtsein aus, das der Sklave der nervlichen Gewohnheiten ist, und kann nun an das subliminale mentale Wesen in den Tiefen appellieren, an das innere mentale Wesen, das – sofern der Mensch es will – der eigentliche Herr über Nerven und Körper ist. Diese Freiheit, die durch Hypnose rasch in abnormer Weise, ohne daß man im Besitz seiner selbst ist, durch fremden Willen, bewirkt wird, kann man ebenso gut auf normale Weise gewinnen: allmählich, durch wirkliche Bemeisterung seiner selbst, durch eigenen Willen, so daß man teilweise oder vollständig einen Sieg des mentalen Wesens über die gewohnheitsmäßigen nervlichen Reaktionen des Körpers erringen kann.

Schmerz des Mentals und Körpers ist ein Kunstgriff der Natur, das heißt der Kraft in ihren Werken, der einem bestimmten vorübergehenden Zweck in ihrer Evolution nach oben dienen soll. Vom Standpunkt des Individuums aus ist die Welt ein Spiel, ein komplexes Aufeinanderprallen vielfältiger Kräfte. Inmitten dieses komplexen Spiels steht der einzelne Mensch als ein beschränkt konstruiertes Wesen mit einer begrenzten Menge an Kraft. Er ist zahllosen Schocks ausgesetzt, die ihn verwunden, verkrüppeln, zerbrechen oder sogar die Struktur dessen, was er sein Ich nennt, völlig zersetzen oder auflösen können. Seiner Natur nach ist Schmerz ein nervliches und physisches Zurückschrecken vor einer gefährlichen und schädlichen Berührung. Er ist ein Teil dessen, was die Upanishad jugupsa nennt, das Zurückscheuen des begrenzten Wesens vor dem, was nicht es selbst ist, was nicht in Sympathie und Harmonie mit ihm steht. Er ist sein Impuls der Selbstverteidigung gegen “andere”. Von diesem Gesichtspunkt aus ist er ein Hinweis der Natur auf das, was vermieden werden oder, wenn es nicht erfolgreich vermieden werden kann, wieder in Ordnung gebracht werden soll. In der rein physischen Welt kommt der Schmerz nicht vor, solange das Leben nicht in sie eintritt. Bis dahin reichen die mechanischen Methoden aus. Die Aufgabe des Schmerzes beginnt, wenn das Leben mit seiner Gebrechlichkeit und unvollkommenen Herrschaft über die Materie auftritt. Er wächst mit dem Wachsen des Mentals im Leben. Seine Funktion dauert solange, wie das Mental in Leben und Körper, die es verwendet, gefesselt ist, von ihnen abhängt, um Erkenntnis zu gewinnen und sie zum Handeln zu verwenden, und ihren Beschränkungen, ichhaften Impulsen und Zielen unterworfen ist, die aus diesen Beschränkungen entstehen. Wenn und sobald das Mental im Menschen fähig wird, frei, ich frei zu werden und in Harmonie zu kommen mit allen anderen Wesen und mit dem Spiel der universalen Kräfte, vermindern sich Nutzen und Dienst des Leidens. Seine Daseinsberechtigung muß schließlich aufhören, und es kann nur noch als Atavismus der Natur fortdauern, als eine Gewohnheit, die ihre Nützlichkeit überlebt hat – ein Weiterbestehen des Niederen in der noch unvollkommenen Organisation des Höheren. Das Leiden zuletzt völlig auszuschalten, muß wesentliches Ziel sein bei dem vom Schicksal bestimmten Sieg der Seele über ihre Unterwerfung unter die Materie und über die egoistische Einschränkung im Mental.

Diese Ausschaltung ist möglich, weil Schmerz und Lust an sich Strömungen der Seins-Seligkeit sind, die eine unvollkommen, die andere übertrieben. Der Grund für diese Unvollkommenheit und Übertriebenheit liegt in der Selbst-Zerteilung des menschlichen Wesens in seinem Bewußtsein durch das Abgrenzen und Einschränken von maya. Die Folge davon ist, daß das Individuum die Kontakte nicht universal aufnimmt, sondern ichhaft und stückweise. Für die universale Seele enthalten alle Dinge und alle Kontakte der Dinge in sich eine Essenz von Seligkeit, die am besten durch den Sanskrit-Begriff der Ästhetik als rasa beschrieben wird; das bedeutet zugleich den Saft oder die Essenz einer Sache und ihren Geschmack. Weil wir nicht das Wesenhafte einer Sache bei ihrem Kontakt mit uns suchen, sondern nur auf die Art ihrer Einwirkung schauen, auf unsere Begierden und Befürchtungen, unser vielfaches Verlangen und angstvolles Zurückschrecken, nimmt rasa die Formen von Kummer und Schmerz, einer unvollkommenen, vorübergehenden Lust oder der Gleichgültigkeit an, rein wegen unserer Unfähigkeit, die Essenz der Dinge zu erfassen. Wenn wir in Mental und Herz vollkommen ohne ichhafte Interessen sein und dieses Losgelöstsein unserem nervlichen Wesen auferlegen könnten, wäre die immer stärkere Ausschaltung dieser unvollkommenen und übertriebenen Formen von rasa möglich und der wahre wesenhafte Geschmack der unveränderlichen Seins-Seligkeit mit all ihren Variationen für uns erreichbar. Wir gewinnen etwas von dieser Befähigung zur variablen aber universalen Freude bei der ästhetischen Aufnahme von Dingen, die uns durch die Bildenden Künste und die Poesie dargestellt werden. Dort können wir rasa, den Geschmack, auch des Leidvollen, Schrecklichen, selbst des Furchtbaren und Abstoßenden genießen. (In der Sanskrit-Rhetorik heißen die Begriffe dieses rasa: karuna, bhayanaka und bibhatsa.) Der Grund dafür ist, daß wir losgelöst, ohne ichhaftes Interesse sind, nicht an uns selbst oder unsere Selbst-Verteidigung, jugupsa, denken, sondern nur an die Sache und an ihr Wesen. Sicher ist ein solches ästhetisches Empfangen der Kontakte kein genaues Bild und auch keine Widerspiegelung der Reinen Seligkeit, die supra-mental und supra-ästhetisch ist. Letztere würde Kummer, Angst, Schrecken und Abscheu zusammen mit ihren Ursachen beseitigen, während erstere sie noch bestehen läßt; aber sie stellt partiell und unvollkommen eine der Stufen der progressiven Seligkeit der Universalen Seele in ihrer Manifestation in den Dingen dar und führt uns in dieser einen Schicht unserer Natur hin zu jener Losgelöstheit vom ichhaften Empfinden und zu jener universalen Haltung, durch die die Eine Seele dort Harmonie und Schönheit schaut, wo wir zerteilten Wesen eher Chaos und Zwietracht erfahren. Unsere vollständige Befreiung kann aber erst durch eine ähnliche Befreiung in allen unseren Schichten kommen, ist die universale Empfindung des Schönen, der universale Stand in der Erkenntnis, die universale Losgelöstheit von allen Dingen und dennoch eine Sympathie mit allen in unserem nervlichen und emotionalen Wesen.

Die Natur des Leidens besteht darin, daß die Bewußte Kraft in uns versagt, die Schocks des Daseins auszuhalten, deshalb zurückschreckt und sich zusammenzieht; darum liegt an seiner Wurzel eine Unausgeglichenheit zwischen der Kraft, die aufnimmt, und der Kraft, die das Aufgenommene im Besitz hält. Die Ursache ist unser Selbst-Eingeschränktsein durch Ichhaftigkeit als Folge der Unkenntnis unseres Selbsts, des saccidananda. Darum muß zur Ausschaltung des Leidens zuerst titiksa das jugupsa ersetzen: daß wir allen Schocks des Daseins standhalten, sie ertragen und überwinden, statt vor ihnen zurückzuschrecken und uns in uns zusammenzuziehen. Durch dieses Ertragen und Überwinden kommen wir weiter zur Gelassenheit, die entweder gelassene Indifferenz allen Kontakten gegenüber sein mag oder gelassene Freude in allen Kontakten. Diese Gelassenheit muß eine feste Grundlage dadurch bekommen, daß das saccidananda-Bewußtsein, das die All-Seligkeit ist, das Ich-Bewußtsein ersetzt, das Freude und Leid empfindet. Das saccidananda-Bewußtsein kann dabei dem Universum gegenüber transzendent und erhaben sein. Zu diesem Zustand einer entrückten Seligkeit führt der Pfad gleichmütiger Indifferenz, der Pfad des Asketen. Oder das saccidananda-Bewußtsein mag gleichzeitig transzendent und universal sein. Zu diesem Zustand gegenwärtiger und all-umfassender Seligkeit führt der Pfad der Unterwerfung und Hingabe des Ichs an das Universale und der Besitz einer alles durchdringenden gelassenen Freude. Das ist der Pfad der Weisen der alten Zeit, der Kenner des Veda. Aber das erste unmittelbare und natürliche Ergebnis der Selbst-Disziplin der Seele ist Neutralität gegenüber den unvollkommenen Einwirkungen von Lust und den übertriebenen Einwirkungen von Schmerz. Wandlung zur gelassenen Freude kann gewöhnlich erst danach kommen. Die unmittelbare Transformation der dreifachen Vibration in ananda ist möglich, aber für das menschliche Wesen weniger leicht.

Eine solche Betrachtung des Universums ergibt sich also aus der integralen bejahenden Erkenntnis des Vedanta. Ein unendliches, unteilbares Sein, all-wonnevoll in seiner reinen Selbst-Bewußtheit, tritt aus seiner fundamentalen Reinheit in das vielartige Spiel der Kraft, die Bewußtsein ist, in die Bewegung von prakriti, die das Spiel von maya ist. Die Seligkeit seines Seins ist zuerst im Selbst gesammelt, ganz absorbiert und unterbewußt in der Basis des physischen Universums. Dann tritt sie in einer großen Masse neutraler Bewegung hervor, die aber noch nicht das ist, was wir mit Empfindung bezeichnen. Sie kommt weiter heraus mit dem Wachsen des Mentals und des Ichs in der dreifachen Vibration von Schmerz, Lust und Indifferenz, die der Eingrenzung der Bewußtseins-Kraft in die Form entspringt und der Tatsache, daß sie den Schocks der universalen Kraft ausgesetzt ist, die sie als fremdes Element und Disharmonie empfindet gegenüber ihrem eigenen Maß und Standard. Zuletzt tritt saccidananda voll und bewußt in seinen Schöpfungen hervor durch Universalität, Gelassenheit, den Besitz des Selbsts und den Sieg über die Natur. Dieses ist der Lauf und die Bewegung der Welt.

Wenn man also fragt, warum das Eine Sein in einer solchen Bewegung Freude finden sollte, liegt die Antwort in der Tatsache, daß Seiner Unendlichkeit alle Möglichkeiten eingeboren sind und daß die Seins-Seligkeit – und zwar in ihrem veränderlichen Werden, nicht nur in ihrem unveränderlichen Sein – genau im Bereich der verschiedengestaltigen Verwirklichungen seiner Möglichkeiten liegt. Die Möglichkeit, die hier im Universum, von dem wir ein Teil sind, herausgearbeitet wird, fängt damit an, daß sich saccidananda in dem verbirgt, was als sein eigenes Gegenteil erscheint, und daß es sich selbst gerade inmitten der Begriffe des ihm Entgegengesetzten finden muß. Unendliches Sein verliert sich an die Erscheinung des Nicht-Seienden und tritt daraus hervor in der Erscheinung einer endlichen Seele. Unendliches Bewußtsein verliert sich selbst an die Erscheinung einer unermeßlichen indeterminierten Unbewußtheit und tritt in der Erscheinung eines oberflächlichen begrenzten Bewußtseins wieder hervor. Unendliche sich selbst erhaltende Kraft verliert sich in die Erscheinung eines Chaos von Atomen und tritt in der Erscheinung einer unsicheren Gleichgewichtslage einer Welt wieder hervor. Unendliche Seligkeit verliert sich selbst an die Erscheinung einer empfindungslosen Materie und tritt wieder hervor in der Erscheinung eines disharmonischen Rhythmus von abwechselndem Schmerz, Lust und neutralem Fühlen, von Liebe, Haß und Indifferenz. Unendliche Einheit verliert sich selbst in die Erscheinung eines vielfältigen Chaos und taucht in einer Disharmonie von Kräften und Wesen wieder auf, die eine Einheit dadurch wiederzugewinnen suchen, daß sie einander in Besitz nehmen, zerstören und verschlingen wollen. In einer solchen Schöpfung muß das wirkliche saccidananda hervortreten. Der Mensch, das individuelle Wesen, muß zu einem universalen Wesen werden und als solches leben. Sein beschränktes mentales Bewußtsein muß sich zu der überbewußten Einheit ausweiten, in der jeder einzelne alle umschließt. Sein enges Herz muß die unendliche Umarmung lernen. Es muß seine Gelüste und Zwiespältigkeiten durch universale Liebe ersetzen. Sein eingeengtes mentales Wesen soll dem ganzen Schock des Universums gewachsen sein und darin die universale Seligkeit empfinden können. Sogar sein physisches Wesen soll von sich wissen, daß es keine abgesonderte Gestaltung, sondern eins ist mit dem ganzen Strom jener unteilbaren Kraft, die in allen Dingen ist, und daß es diese in sich trägt und nährt. Seine ganze Natur soll im Individuum die Einheit, Harmonie und das Eins-in-allen-Sein der Höchsten Seins-Bewußtseins-Seligkeit immer neu darstellen.

Mitten in diesem ganzen Spiel ist die geheime Wirklichkeit immer die eine und selbe Seins-Seligkeit. Sie ist dieselbe in der Seligkeit des unterbewußten Schlafs, bevor das Individuum hervortritt, in der Seligkeit des Widerstreits und all der Spielarten, Schicksalsschläge, Übertreibungen, Wandlungen, Umkehrungen des Bemühens, sich im Gewirr des halb-bewußten Traums zurechtzufinden, dessen Mittelpunkt das Individuum ist. Sie ist dieselbe in der Seligkeit des ewigen überbewußten Selbst-Besitzes, zu der der Mensch erwachen und dort eins werden soll mit dem unteilbaren saccidananda. Das ist das Spiel des Einen, des Herrn, des Alls, wie es sich unserer befreiten und erleuchteten Erkenntnis von dem es empfangenden Standpunkt dieses materiellen Universums her offenbart.

Kapitel XIII. Die Göttliche Maya

Im Namen des Herrn und in ihrem Namen gestalteten und maßen sie die Kraft der Mutter des Lichts. Macht um Macht dieser Kraft trugen die Herren der maya als ein Gewand und arbeiteten so die Form aus in diesem Seienden. Die Meister von maya gestalteten alles durch Seine maya. Die Väter, die die göttliche Schau haben, setzten Ihn ins Innere wie ein Kind, das geboren werden soll.

Rig Veda, III,38.7.; IX,83.3.

Sein, das durch die Macht und aus reiner Freude seines bewußten Wesens wirkt und erschafft, ist die Wirklichkeit, die wir sind, das Selbst all unserer Seinsweisen und Stimmungen, Ursache, Zweck und Ziel all unseres Handelns, Werdens und Erschaffens. Wie der Dichter, Künstler oder Musiker, wenn er etwas erschafft, in Wirklichkeit nichts anderes tut, als eine in seinem nichtmanifestierten Selbst enthaltene Potenz in eine Form der Manifestation zu entfalten, wie Denker, Staatsmann, Techniker nur das in dingliche Gestaltung herausbringen, was in ihnen selbst verborgen lag, was sie selbst waren und auch dann noch sind, wenn es in Form geprägt ist, so ist es mit der Welt und mit dem Ewigen. Alle Schöpfung oder alles Werden ist nichts als diese Selbst-Manifestation. Aus dem Keim entwickelt sich, was schon im Keim enthalten ist, präexistent war, im Wesen prädestiniert ist in seinem Willen zum Werden, im voraus angelegt ist auf die Seligkeit des Werdens. Das ursprüngliche Plasma enthielt schon in sich, in der Kraft des Wesens, den aus ihm entstehenden Organismus. Denn immer ist es jene geheime, die Last der Schöpfung tragende, selbst-bewußte Kraft, die sich unter ihrem eigenen unwiderstehlichen Impuls abmüht, die Form ihrer selbst zu manifestieren, mit der sie belastet ist. Allein der individuelle Mensch, der aus sich heraus etwas erschafft oder entwickelt, macht einen Unterschied zwischen sich, der in ihm wirkenden Kraft und dem von ihm bearbeiteten Material. In Wirklichkeit ist er die Kraft selbst. Das individualisierte Bewußtsein, das der Kraft als Werkzeug dient, ist er selbst. Das Material, das sie verwendet, ist er selbst. Und auch die sich ergebende Form ist er selbst. Mit anderen Worten: es gibt nur ein einziges Sein, eine einzige Kraft, eine einzige Seligkeit des Wesens, die sich an verschiedenen Punkten konzentriert und an jedem Punkt sagt: “Dieses bin ich” und dort durch ein vielfältiges Spiel der Selbst-Kraft für ein vielfältiges Spiel der Selbst-Gestaltung wirkt.

Was diese Selbst-Kraft hervorbringt, ist sie selbst. Es kann nichts anderes als sie selbst sein. Sie arbeitet ein Spiel aus, einen Rhythmus, eine Entfaltung ihres eigenen Seins, ihrer eigenen Bewußtseins-Kraft und ihrer Seins-Seligkeit. Darum sucht alles, was in die Welt eintritt, nichts anderes als dies: zu sein, zu der beabsichtigten Gestaltung zu gelangen, sein Selbst-Sein in dieser Gestalt auszuweiten, das Bewußtsein und die ihm innewohnende Macht zu entwickeln, zu manifestieren, zu vermehren, bis ins Unendliche zu realisieren. Es will die Freude seines Eintritts in die Manifestation besitzen: die Seligkeit der Form des Seienden, die Seligkeit des Rhythmus des Bewußtseins, die Seligkeit des Spiels der Kraft. Diese Freude will es mit allen verfügbaren Mitteln vergrößern und vervollkommnen, in jeder Richtung, durch jede Idee seiner selbst, die ihm nahe gelegt wird durch das Sein, die Bewußtseins-Kraft und die Seligkeit, die in seinem tiefsten Wesen wirksam wird.

Wenn es ein Ziel, eine Vollkommenheit gibt, nach der alles strebt, kann es – beim Individuum ebenso wie bei dem Ganzen, das die Einzelnen konstituieren – nur die Vervollkommnung seines Selbst-Seins sein, seiner Macht, seines Bewußtseins und seiner Freude als Seiendes. Solange aber das individuelle Bewußtsein innerhalb der Grenzen der individuellen Gestaltung konzentriert ist, kann es keine solche Vollkommenheit haben. Eine absolute Vollkommenheit ist im Endlichen nicht erreichbar, weil sie dem Selbst-Begriff des Endlichen fremd ist. Darum ist einzig mögliches Endziel das Hervortreten des unendlichen Bewußtseins im individuellen Menschen. So entdeckt er wieder die Wahrheit von sich selbst durch Selbst-Erkenntnis und Selbst-Verwirklichung, die Wahrheit des Unendlichen im Seienden, des Unendlichen im Bewußtsein, des Unendlichen in der Freude, die er wieder in Besitz nimmt als sein eigenes Selbst und als Wirklichkeit, von der das Endliche nur Maske und Instrument ist, um es in verschiedenartiger Weise auszudrücken.

So müssen wir uns, gerade durch die Natur des Welt-Spiels, wie es von saccidananda in der ungeheuren Weite Seines als Raum und Zeit ausgebreiteten Seins verwirklicht wurde, zuerst eine Involution und Selbst-Absorption des bewußten Wesens in die Dichtigkeit und unendliche Teilbarkeit des Stoffs vorstellen. Anders kann es keine endliche Variation geben. Ferner müssen wir erkennen, wie die Kraft, die sich selbst in das geformte, in das lebendige und in das denkende Wesen einsperrte, daraus hervortritt. Schließlich sehen wir, wie das gestaltete denkende Wesen in die freie Verwirklichung seiner selbst als das Eine und Unendliche freigesetzt wird, das in der Welt sein Spiel aufführt. Durch die Befreiung erlangt es wieder die grenzenlose Seins-Bewußtseins-Seligkeit, die es jetzt schon insgeheim wirklich und ewig ist. Diese dreifache Bewegung ist der ganze Schlüssel des Welt-Rätsels.

Auf diese Weise nimmt die alte ewige Wahrheit des Vedanta die moderne, an den äußeren Erscheinungen orientierte Wahrheit der Evolution im Universum in sich auf, erleuchtet und rechtfertigt sie und zeigt uns ihre volle Bedeutung. Nur so kann diese moderne Wahrheit der Evolution, die die alte Wahrheit des Universals ist, das sich in der Aufeinanderfolge der Zeit entfaltet, ihre volle Bedeutung und Rechtfertigung finden. Durch das Studium von Kraft und Materie allein wird sie nur dunkel geschaut, sie erleuchtet sich selbst durch das Licht der alten ewigen Wahrheit, die für uns noch in den vedantischen Schriften aufbewahrt ist. Dieser gegenseitigen Selbst-Entdeckung und Selbst-Erleuchtung durch die Verschmelzung alter östlicher und neuer westlicher Erkenntnis wendet sich heute das Denken der Welt zu.

Dennoch ist noch nicht alles erklärt, wenn wir gefunden haben, alle Dinge sind saccidananda. Wir erkennen zwar die Wirklichkeit des Universums, kennen aber nicht den Prozeß, durch den sich diese Wirklichkeit in diese Welt der Erscheinung verwandelt hat. Wir besitzen zwar den Schlüssel des Rätsels, müssen aber noch das Schloß finden, in das er paßt. Denn dieses Sein, diese Bewußte Kraft, diese Freude handelt nicht unmittelbar oder mit souveräner Unverantwortlichkeit wie ein Zauberer, der Welten und Systeme des Universums durch das reine Gebot seines Wortes aufbaut. Wir nehmen einen Prozeß wahr und erkennen ein Gesetz.

Es ist wahr, daß sich bei unserer Analyse dieses Gesetz in ein Gleichgewicht des Spiels von Kräften und in eine Bestimmung dieses Spiels durch bestimmte Grundregeln aufzulösen scheint, die durch das Zusammentreffen von Entwicklung und gewohntem Ablauf früher verwirklichter Energie wirken. Diese scheinbare und sekundäre Wahrheit ist aber für uns nur so lange gültig, als wir allein Kraft wahrnehmen. Wenn wir erkennen, daß Kraft ein Selbstausdruck des Seins ist, müssen wir auch einsehen, daß die von der Kraft eingeschlagene Richtung einer Selbst-Wahrheit jenes Seins entspricht, das die konstante Kurve und Bestimmung der Kraft regiert und determiniert. Da Bewußtsein die Natur des ursprünglichen Seins und das Wesen seiner Kraft ist, muß diese Wahrheit eine Selbst-Wahrnehmung im Bewußten Seienden sein und diese Bestimmung der von der Kraft eingeschlagenen Richtung von der Macht eines selbst-dirigierenden Wissens herrühren, das dem Bewußtsein eingeboren ist und es dazu befähigt, seine Kraft unwiderstehlich auf die logische Bahn ursprünglicher Selbst-Wahrnehmung zu lenken. Also gibt es im universalen Bewußtsein eine selbst-bestimmende Macht, eine Fähigkeit im Selbst-Innesein des unendlichen Seins, eine gewisse Wahrheit in sich selbst zu erkennen und ihre Kraft zur Schöpfung auf der Linie dieser Wahrheit, die ständig über der kosmischen Manifestation waltet, zu leiten.

Warum sollten wir aber zwischen das unendliche Bewußtsein selbst und das Resultat seines Wirkens eine besondere Macht oder Befähigung einschieben? Könnte sich dieses Selbst-Innesein des Unendlichen nicht frei entfalten und Gestaltungen schaffen, die nachher solange im Spiel bleiben, als über sie kein Gebot ausgesprochen wird, das verlangt, sie sollten aufhören, – etwa so, wie uns die alte Offenbarung der Semiten berichtet: “Gott sprach, es werde Licht, und es ward Licht”? Wenn wir nun sagen: “Gott sprach, es werde Licht”, nehmen wir den Akt einer Bewußtseins-Macht an, die entscheidet, daß Licht aus allem anderen entstehen soll, das nicht Licht ist. Wenn wir weiter sagen: “und es ward Licht”, setzen wir eine lenkende Kraft voraus, eine aktive Macht, die der ursprünglichen, wahrnehmenden Macht entspricht und das Phänomen hervortreten läßt. Da sie Licht gemäß der ursprünglichen Wahrnehmung herausarbeitet, verhindert sie, daß es von all den unendlichen Möglichkeiten überwältigt wird, die anders sind als es. Ein unendliches Bewußtsein kann in seiner unendlichen Aktion nur unendliche Resultate zustande bringen. Um auf der Grundlage einer feststehenden Wahrheit oder einer Ordnung von Wahrheiten eine Welt in Übereinstimmung mit dem zu errichten, was festgelegt ist, ist eine auswählende Kraft des Wissens erforderlich, die den Auftrag hat, eine endliche Erscheinung aus der unendlichen Wirklichkeit zu gestalten.

Diese Macht war den vedischen Sehern unter dem Namen maya bekannt. Für sie bedeutet maya die Macht unendlichen Bewußtseins, aus der unermeßlichen, unbegrenzten Wahrheit unendlichen Seins Namen und Gestalt zu begreifen, in sich zu enthalten und abzugrenzen, d. h. zu formen – denn Form ist Abgrenzung. So wird durch maya jene statische Wahrheit des wesenhaft Seienden zur geordneten Wahrheit des aktiv Seienden, oder – in einer mehr metaphysischen Sprache – aus dem Höchsten Wesen, in dem alles ohne die Schranke eines trennenden Bewußtseins alles ist, tritt das phänomenale Dasein hervor, in dem alles in jedem einzelnen und jeder einzelne in allem ist, für das Spiel des Seins mit dem Sein, des Bewußtseins mit dem Bewußtsein, der Kraft mit der Kraft und der Seligkeit mit der Seligkeit. Dieses Spiel aller im einzelnen und jedes einzelnen in allem wird anfangs vor uns verborgen durch das mentale Spiel oder die Illusion von maya, das den einzelnen zwar davon überzeugt, daß er in allem ist, daß aber nicht alle in ihm seien, daß er unter allen als ein abgesondertes Wesen lebe, nicht aber als ein Wesen, das immer untrennbar eins ist mit dem übrigen Dasein. Später müssen wir aus diesem Irrtum in das supramentale Spiel oder in die Wahrheit von maya kommen, wo “jeder einzelne” und “alle” in der untrennbaren Einheit der einen Wahrheit und des vielfältigen Symbols zusammen existieren. Zuerst müssen wir diese niedere, gegenwärtige und täuschende mentale maya akzeptieren, um sie dann zu überwinden. Es ist Gottes Spiel mit Zerteilung, Finsternis und Begrenzung, mit Begehren, Widerstreit und Leiden, in dem Er Sich Selbst der Kraft unterstellt, die aus Ihm Selbst hervorging und Ihm ihre unerleuchtete Art als Leiden der Verfinsterung auferlegt. An jener anderen maya, die durch diese mentale maya verborgen ist, müssen wir zuerst vorübergehen. Später müssen wir sie völlig annehmen, denn sie ist Gottes Spiel der Unendlichkeiten des Seins, der Herrlichkeiten des Wissens, der Wunder der bemeisterten Kraft und der Entzückungen unbegrenzter Liebe, bei dem Er aus der Umschlingung durch die Kraft frei hervortritt, statt dessen nun sie umarmt und in ihr, der erleuchteten, das zur Erfüllung bringt, wofür sie am Anfang aus Ihm hervorgegangen war.

Diese Unterscheidung zwischen niederer und höherer maya ist in Denken und kosmischer Tatsache das Band, das die pessimistischen und illusionistischen Philosophien übersehen oder mißachten. Für sie ist die mentale maya – oder vielleicht ein Übermental – die Schöpferin der Welt. Eine von mentaler maya erschaffene Welt wäre tatsächlich ein unerklärliches Paradoxon und ein zwar formulierter aber ungreifbar fließender Albdruck bewußten Seins, das man weder als Illusion noch als Wirklichkeit bezeichnen kann. Wir müssen einsehen, daß das Mental nur der Begriff einer Stufe zwischen dem schöpferischen lenkenden Wissen und der in ihre Werke eingesperrten Seele ist. Saccidananda, durch eine Seiner niederen Bewegungen in selbst-vergessene Inanspruchnahme jener Kraft verwickelt, die sich in die Gestalt ihrer eigenen Wirkensweisen verloren hat, kehrt aus dieser Selbst-Vergessenheit zu Sich Selbst zurück. Das Mental ist nur eines Seiner Instrumente beim Herniederkommen und Emporsteigen. Es ist ein Instrument der niederkommenden Schöpfung, aber nicht die verborgene Schöpferin – eine Übergangsstufe beim Emporsteigen, nicht die hohe Quelle unseres Ursprungs und der höchste Zielbegriff kosmischen Seins.

Jene Philosophien, die allein das Mental als Schöpfer der Welten anerkennen oder ein ursprüngliches Prinzip annehmen, wobei das Mental der einzige Vermittler zwischen ihm und den Gestaltungen des Universums ist, können in die rein nominalistischen und die idealistischen Philosophien eingeteilt werden. Die rein nominalistischen erkennen im Kosmos nur das Werk des Mentals, des Denkens, der Idee an. Idee kann aber rein willkürlich sein und braucht keine wesenhafte Beziehung zu einer wirklichen Wahrheit des Seins zu haben. Oder eine solche Wahrheit kann, wenn sie überhaupt existiert, als reines Absolutes angesehen werden, das erhaben über allen Beziehungen schwebt und unvereinbar ist mit einer Welt von Beziehungen. Die idealistische Deutung setzt eine Beziehung zwischen der Wahrheit im Hintergrund und der von ihr konzipierten Welt der Erscheinung im Vordergrund voraus, die Beziehung nicht nur einer Antinomie und Opposition. Die von mir hier dargestellte Anschauung geht in der Richtung des Idealismus weiter. Sie erkennt die schöpferische Idee als Real-Idee an, als eine Macht Bewußter Kraft, die das wirkliche Wesen zum Ausdruck bringt, aus dem wirklichen Wesen geboren ist und an seiner Natur teilnimmt, die also weder ein Kind der Leere ist noch ein Webmeister von Fiktionen. Sie ist bewußte Wirklichkeit, die sich in veränderliche Formen ihrer eigenen unvergänglichen und unveränderlichen Substanz ausprägt. Darum ist die Welt keine Begriffs-Fiktion im universalen Mental, sondern eine bewußte Geburt aus Jenem, das jenseits des Mentals existiert, in Gestaltungen aus Jenem selbst. Eine Wahrheit von bewußtem Wesen stützt und erhält diese Gestaltungen und bringt sich in ihnen zum Ausdruck, und das so ausgedrückte, dieser Wahrheit entsprechende Wissen regiert als supramentales Wahrheits-Bewußtsein,6 indem es reale Ideen in einer vollkommenen Harmonie organisiert, bevor sie in die mental-vital-materielle Prägeform gegossen werden. Mental, Leben und Körper sind ein untergeordnetes Bewußtsein und partieller Ausdruck. Sie streben danach, in der Art einer wandelbaren Evolution zu jenem übergeordneten Ausdruck ihres Selbst zu gelangen, der schon im Jenseits-des-Mentals vorhanden ist. Was in jenem Jenseits-des-Mentals existiert, ist das Ideal, das zu realisieren das Mental sich unter seinen eigenen Bedingungen abmüht.

Unter dem Gesichtspunkt unseres Emporsteigens können wir sagen: Das Wirkliche steht hinter allem, was existiert. Es bringt sich selbst mittelbar in einem Ideal zum Ausdruck, das eine harmonisierte Wahrheit seiner selbst ist. Das Ideal projiziert eine phänomenale Wirklichkeit von veränderlichem Bewußt-Seiendem nach außen, die unwiderstehlich zu ihrer eigenen wesenhaften Wirklichkeit hingezogen wird und versucht, diese zuletzt wieder vollständig zu erlangen, entweder durch einen gewaltigen Sprung oder, normalerweise, durch das Ideal, das sie hervorbrachte. Diese Tatsache erklärt die unvollkommene Wirklichkeit des menschlichen Daseins, wie sie vom Mental geschaut wird, und das instinktive Streben im mentalen Wesen zu einer Vervollkommnung immer jenseits seiner selbst, zu der verborgenen Harmonie des Ideals und zu dem höchsten Aufschwung des Geistes über das Ideal hinaus zum Transzendenten. Die wirklichen Tatsachen unseres Bewußtseins, seine Konstitution und sein Bedürfnis setzen eine solche dreifache Ordnung voraus. Sie verneinen die zweite, unversöhnliche Antithese eines bloßen Absoluten gegenüber einer bloßen Relativität.

Das Mental reicht nicht hin, das Sein im Universum zu erklären. Unendliches Bewußtsein muß sich zuerst in unendliche Kraft zum Wissen übertragen oder, wie wir es von unserem Gesichtspunkt aus nennen, Allwissenheit. Das Mental ist aber keine Befähigung zum Wissen und auch kein Instrument der Allwissenheit. Es besitzt die Fähigkeit, nach Wissen zu suchen, in gewissen Formen relativen Denkens so viel davon auszudrücken, wie es erlangen kann, und es zu gewissen Leistungen des Handelns zu verwenden. Selbst wenn das Mental etwas findet, besitzt es dieses doch nicht. Es kann sich immer nur ein gewisses Kapital an gängiger Münze der Wahrheit, jedoch nie die Wahrheit selbst, in der Bank des Gedächtnisses halten, um je nach seinen Bedürfnissen davon abzuheben. Denn das Mental ist etwas, das nicht weiß, sondern zu wissen trachtet, und das niemals direkt, sondern nur indirekt weiß “wie in einem dunklen Spiegel”. Es ist die Macht, die die Wahrheit des universalen Seins für die praktischen Verwendungen in einer gewissen Ordnung der Dinge interpretiert. Es ist nicht die Macht, die jenes Sein kennt oder lenkt. Darum kann es auch nicht die Macht sein, die es erschaffen und manifestiert hat.

Setzen wir aber ein unendliches Mental voraus, frei von unseren Einschränkungen, könnte das nicht vielleicht der Schöpfer des Universums sein? Ein solches Mental wäre aber etwas von der Definition des Mentals, wie wir es kennen, völlig Verschiedenes. Es wäre etwas jenseits der Mentalität. Es wäre die supramentale Wahrheit. Ein unendliches Mental, konstruiert nach den Begriffen der Mentalität, wie wir sie kennen, könnte nur ein unendliches Chaos erschaffen, einen ungeheuren Zusammenprall von Zufällen, Unfällen, Wechselfällen. Es würde sich immer auf ein unbestimmtes Ziel hin bewegen, nach dem es mit unsicherem Suchen tastet und strebt. Ein unendliches, allwissendes und allmächtiges Mental wäre überhaupt kein Mental. Es wäre supramentales Wissen.

Mental, wie wir es kennen, ist ein reflektierender Spiegel, der Darstellungen oder Bilder einer prä-existenten Wahrheit oder Tatsache empfängt, die für es etwas außerhalb von ihm Befindliches, zumindest etwas viel Umfassenderes ist als es selbst. Es vergegenwärtigt sich von Augenblick zu Augenblick das Phänomen, das ist oder gewesen ist. Es besitzt auch die Fähigkeit, in sich selbst mögliche Bilder zu konstruieren, die anders sind als die ihm dargebotene aktuelle Tatsache. Das bedeutet, es kann sich nicht nur das Phänomen vergegenwärtigen, das gewesen ist, sondern auch ein Phänomen, das sein könnte. Dabei ist zu beachten, daß es sich kein Phänomen vergegenwärtigen kann, das mit aller Sicherheit eintreten muß, außer wenn es eine sichere Wiederholung dessen ist, was jetzt ist oder schon gewesen ist. Schließlich hat es noch die Fähigkeit, neue Abwandlungen vorauszusagen, die es aus dem Zusammentreffen von dem, was gewesen ist, und dem, was kommen mag, zu konstruieren sucht: aus der erfüllten und der noch unerfüllten Möglichkeit. Solche Konstruktionen gelingen ihm manchmal mehr oder weniger genau. Manchmal verwirklichen sie sich aber gar nicht. Gewöhnlich findet es sie dann in anderen Formen ausgeprägt, als es sie vorausgesehen hatte, und daß sie zu anderen Zwecken dienen müssen, als es wünschte oder beabsichtigte.

Ein unendliches Mental dieses Charakters könnte vielleicht einen verhängnisvollen Kosmos aus einander widerstreitenden Möglichkeiten konstruieren; es könnte ihn in etwas Veränderliches, immer Vorübergehendes, in seinem Dahintreiben immer Ungewisses gestalten, das weder wirklich noch unwirklich ist und kein definitives Ziel und keinen endgültigen Zweck besitzt, nur eine endlose Aufeinanderfolge von zeitbedingten Zielen wäre, die schließlich nirgendwohin führt, – da es keine übergeordnete lenkende Macht des Wissens gibt. Der einzige logische Schluß aus einer solchen reinen Ideen-Lehre ist Nihilismus oder Illusionismus oder eine verwandte Weltanschauung. Ein so konstruierter Kosmos wäre eine Darstellung oder Widerspiegelung von etwas, das nicht selbst ein Kosmos ist, sondern immer und bis zum Ende eine falsche Darstellung, eine verzerrte Spiegelung. Die gesamte kosmische Existenz wäre ein Mental, das danach ringt, seine eigenen Phantasien vollständig auszuarbeiten, damit aber versagt, weil diese keine zwingende Grundlage in einer Wahrheit des Selbsts besitzen. Überwältigt und vorwärtsgerissen vom Strom seiner eigenen vergangenen Energien, würde es unbestimmt für immer ohne Zweck und Ziel weiter dahingetragen werden, wenn es nicht oder bis es sich entweder selbst vernichtet oder in ewige Stille versinken kann. Das ist, bis an die Wurzeln zurückverfolgt, Nihilismus und Illusionismus, und es ist die einzige Weisheit, wenn wir von der Voraussetzung ausgehen, unsere menschliche Mentalität oder überhaupt etwas wie sie stelle die höchste kosmische Kraft und die ursprüngliche Konzeption dar, die im Universum am Werk ist.

Jedoch wird von dem Augenblick an, wo wir in der ursprünglichen Macht des Wissens eine höhere Kraft entdecken als die durch unsere menschliche Mentalität dargestellte, diese Auffassung des Universums unzureichend und darum ungültig. In ihr liegt zwar eine Wahrheit, doch nicht die ganze Wahrheit. Sie ist ein Gesetz der unmittelbaren Erscheinung des Universums, aber nicht das seiner ursprünglichen Wahrheit und letzten Tatsächlichkeit. Denn wir nehmen hinter dem Wirken von Mental, Leben und Körper etwas wahr, das nicht vom Strom der Kraft umfaßt wird, sondern diesen in sich einbezieht und kontrolliert. Dieses Umfassende wurde nicht in eine Welt hineingeboren, die es zu interpretieren sucht, sondern es hat in seinem Wesen eine Welt erschaffen, deren Allwissenheit es besitzt. Es müht sich nicht ständig ab, etwas aus sich zu gestalten, um dabei selbst auf den es überwältigenden Wogen vergangener Energien, die es nicht mehr kontrollieren kann, dahingetrieben zu werden. Vielmehr trägt es in seinem Bewußtsein bereits eine vollkommene Form seiner selbst, die es hier stufenweise entfaltet. Die Welt ist der Ausdruck einer vorausgeschauten Wahrheit, gehorcht einem vorausbestimmenden Willen, verwirklicht eine ursprüngliche gestaltende Selbst-Schau – sie ist das immer deutlicher hervortretende Ebenbild einer göttlichen Schöpfung.

Solange wir nur durch unsere von den Erscheinungen beherrschte Mentalität wirken, kann das, was jenseits von uns, hinter uns und doch uns immanent wirkt, nur eine indirekte Schlußfolgerung sein oder vage als eine Gegenwart gefühlt werden. Wir nehmen ein Gesetz zyklischen Fortschritts wahr und schließen daraus indirekt auf eine zunehmende Vervollkommnung von etwas, das irgendwo vorausgewußt wird. Denn wir sehen überall ein Gesetz, das im Selbst-Seienden gegründet ist, und finden, wenn wir in den rationalen Grund seines Verfahrens eindringen, daß dieses Gesetz der Ausdruck eines eingeborenen Wissens ist, das ursprünglich dem Sein innewohnt, das aus dem Sein selbst hervortritt und in der Kraft enthalten ist, die es ausdrückt. Ein Gesetz, das durch Wissen so entfaltet wird, daß es Fortschritt zuläßt, setzt ein göttlich geschautes Ziel voraus, zu dem die Bewegung hingelenkt wird. Außerdem sehen wir, daß unsere Vernunft aus dem hilflosen Getriebensein durch unsere Mentalität herauszukommen und Herr über sie zu werden versucht. Dabei kommen wir zu der Erkenntnis, daß Vernunft nur Bote, Stellvertreter oder Schatten eines höheren Bewußtseins ist, das jenseits von ihr existiert und für sich den Vernunftgebrauch gar nicht nötig hat, da es alles ist und alles weiß, was es ist. Von da aus können wir weiter schließen, diese Quelle der Vernunft sei mit dem Wissen identisch, das als Gesetz in der Welt wirkt. Dieses Wissen bestimmt souverän sein eigenes Gesetz, weil es weiß, was gewesen ist, was ist und was sein wird. Es weiß das, weil es ewig ist und sich selbst ohne Grenzen kennt. So wird Seiendes, das unendliches Bewußtsein ist, und unendliches Bewußtsein, das allmächtige Kraft ist, wenn es eine Welt – das heißt eine Harmonie seiner selbst – zum Gegenstand von Bewußtsein macht, für unser Denken als ein kosmisches Sein erkennbar, das seine eigene Wahrheit weiß und in Gestaltungen verwirklicht, was es weiß.

Dieses andere Bewußtsein wird aber für uns erst dann wirklich offenbar, wenn wir aufhören, uns allein auf die Vernunft zu verlassen, und tief in unser Inneres eindringen, in jenen geheimen Bereich, wo die Aktivität des Mentals stillgelegt ist – auch wenn diese Manifestation noch unvollkommen ist, weil wir so lange an die mentale Reaktion und Beschränktheit gewöhnt sind. Wir können nun in wachsender Erleuchtung und Gewißheit das erkennen, was wir nur unsicher im blassen, flackernden Licht der Vernunft wahrgenommen hatten. Wissen wartet auf uns; sein Sitz ist jenseits von Mental und intellektuellem Vernunft-Denken, sein Thron steht in den leuchtenden Weiten unbegrenzbarer Selbst-Schau.

Kapitel XIV. Das Supramental als Schöpfer

Alle Dinge sind Selbst-Entfaltungen des Göttlichen Wissens.

Vishnu Purana, II.12.39.

Ein Prinzip aktiven Willens und Wissens, dem Mental übergeordnet und Schöpferin der Welten, ist die vermittelnde Macht und der Zustand des Seienden zwischen jenem Selbst-Besitz des Einen und dem Fluten der Vielen. Dieses Prinzip ist uns nicht völlig fremd. Es gehört nicht ausschließlich und unmittelbar einem Wesen an, das völlig anders wäre als wir selbst, oder einem Seins-Zustand, von dem wir auf geheimnisvolle Weise in die Geburt geworfen, aber auch zurückgestoßen werden, unfähig zurückzukehren. Wenn dieses Prinzip auch auf Höhen weit oberhalb von uns zu liegen scheint, so sind das doch Höhen unseres eigenen Wesens, unserem Schritt erreichbar. Wir können jene Wahrheit uns nicht nur logisch erschließen und flüchtig sehen, wir sind auch befähigt, sie zu realisieren. Wir können durch immer stärkere Ausweitung unseres Selbsts oder durch eine plötzliche erleuchtete Selbst-Transzendierung in unvergeßlichen Augenblicken uns zu diesen Höhen emporschwingen oder für die Dauer von Stunden oder Tagen höchster übermenschlicher Erfahrung auf ihnen verweilen. Wenn wir wieder herabsteigen, verbleiben uns Tore der Kommunikation dorthin, die wir immer offen halten oder wieder auftun können, wenn sie sich auch ständig schließen sollten. Dort, auf diesem letzten höchsten Gipfel des erschaffenen und schöpferischen Seienden dauernd zu verweilen, ist schließlich das erhabene Ideal unseres sich entwickelnden menschlichen Bewußtseins, wenn es seine Selbst-Vervollkommnung, nicht seine Selbst-Vernichtung sucht. Denn das ist, wie wir gesehen haben, die ursprüngliche Idee und die endgültige Harmonie und Wahrheit, zu der unser Selbst, das sich stufenweise in der Welt zum Ausdruck bringt, zurückkehrt und die zu erlangen seine Bestimmung ist.

Dennoch mögen wir zweifeln, ob es jetzt oder überhaupt möglich ist, dem menschlichen Intellekt einen Bericht von diesem Zustand zu geben oder seine göttlichen Wirkensweisen für die Erhöhung unseres menschlichen Wissens und Handelns in einer mittelbaren und organisierbaren Weise zu verwenden. Der Zweifel erhebt sich nicht nur aus der Seltenheit und fragwürdigen Art bekannter Phänomene, die eine menschliche Betätigung dieser göttlichen Kraft verraten, oder aus der großen Distanz, die dieses Wirken von der Erfahrung und beweisbaren Erkenntnis gewöhnlichen Menschseins trennt. Zweifel wird auch durch den offensichtlichen Widerspruch, sowohl im Wesen wie im Funktionieren, zwischen der menschlichen Mentalität und dem göttlichen Supramental höchst nahe gelegt.

Gewiß wäre es ganz unmöglich, unseren menschlichen Vorstellungen von diesem Bewußtsein Bericht zu geben, wenn es überhaupt keine Beziehung zum Mental noch irgendeine Identität mit dem mentalen Wesen hätte. Wäre andererseits in seiner Natur nur Schau in Erkenntnis und überhaupt keine dynamische Macht der Erkenntnis, könnten wir vielleicht hoffen, durch den Kontakt mit ihm in einen seligen Zustand mentaler Erleuchtung zu gelangen, nicht aber zu mehr Licht und stärkerer Macht für unser Wirken in der Welt. Da dieses Bewußtsein aber die Schöpferin der Welt ist, muß es nicht nur ein Zustand von Wissen sein, sondern eine Macht des Wissens, nicht nur ein Wille zu Licht und Schau, sondern ein Wille zu Macht und Wirken. Weil auch das Mental aus ihm erschaffen wurde, muß das Mental eine Entfaltung durch Begrenzung aus dieser ursprünglichen Kraft und diesem vermittelnden Akt höchsten Bewußtseins und deshalb fähig sein, sich durch umgekehrte Entwicklung und Ausweitung wieder in es zurückzuverwandeln. Im Wesenhaften muß das Mental mit dem Supramental stets identisch sein und verborgen die Potenz des Supramentals enthalten, so andersartig, ja entgegengesetzt es in seinen aktuellen Formen und festgelegten Verfahrensweisen geworden sein mag. Darum ist es vielleicht kein irrationaler und nutzloser Versuch, durch die Methode von Vergleich und Kontrast danach zu streben, sich das Supramental vom Standpunkt und den Begriffen unserer intellektuellen Erkenntnis her vorzustellen. Gewiß mögen deren Idee und Begriffe unangemessen sein. Sie dienen uns aber doch als Scheinwerfer, der uns einen Weg vorausleuchtet, wie wir ihn, mindestens bis zu einer gewissen Entfernung, beschreiten können. Überdies hat das Mental die Fähigkeit, sich über sich selbst zu erheben bis In bestimmte Höhen oder Ebenen des Bewußtseins, die in ihrem Bereich ein abgewandeltes Licht oder eine Macht des supramentalen Bewußtseins empfangen, und dieses durch Erleuchtung, Intuition, direkten Kontakt oder Erfahrung zu erkennen, wenn auch dem Menschen noch nicht ermöglicht wurde, in jenen Bereichen des Bewußtseins zu leben, von dorther zu schauen und zu handeln.

Zuerst wollen wir einen Augenblick innehalten und uns fragen, ob wir nicht in der Vergangenheit ein Licht finden können, das uns zu diesen noch wenig erforschten Bereichen führen kann. Wir brauchen einen Namen und einen Ausgangspunkt. Wir haben diesen Bewußtseins-Zustand das Supramental genannt. Das Wort ist aber doppelsinnig. Man könnte darunter ein Mental verstehen, das “super-eminent” ist, zwar über die gewöhnliche Mentalität emporgehoben, aber nicht radikal umgewandelt. Oder das Wort könnte im Gegensatz dazu auch die Bedeutung von alldem haben, was jenseits vom Mental liegt. Dann würde es einen viel zu weiten Begriffsumfang annehmen, der letztlich sogar das Unnennbare mit einbeziehen würde. Eine Hilfs-Beschreibung ist notwendig, die seine Bedeutung genauer eingrenzen soll.

Hier helfen uns die geheimnisvollen Verse des Veda, denn sie enthalten, wenn auch verborgen, die Botschaft vom göttlichen und unsterblichen Supramental, und durch die Verhüllung kommen einige erleuchtende Strahlen zu uns. Durch diese Äußerungen hindurch können wir den Begriff dieses Supramentals erkennen als unermeßliche Weite jenseits der gewöhnlichen Horizonte unseres Bewußtseins, in denen die Wahrheit des Wesens in lichtvoller Weise eins ist mit allem, das sie zum Ausdruck bringt, und unausweichlich sicherstellt die Wahrheit von Schau, Formulierung, Anordnung, Wort, Akt und Bewegung und darum auch die Wahrheit des Ergebnisses der Bewegung, des Ergebnisses von Aktion und Ausdruck, unfehlbarer Anordnung oder Gesetz. Unbegrenztes Allumgreifendsein, lichtvolle Wahrheit und Harmonie des Seienden in dieser Unendlichkeit, nicht vages Chaos oder selbst-verlorene Finsternis, Wahrheit von Gesetz, Wirken und Erkenntnis, die diese harmonische Wahrheit des Seienden zum Ausdruck bringen: das scheinen die wesentlichen Begriffe der Beschreibung im Veda zu sein. Die Götter sind in ihrer höchsten geheimen Wesensart Mächte dieses Supramentals, aus ihm geboren, in ihm thronend als in ihrem eigentlichen Heim, in ihrem Wissen “Wahrheits-bewußt” und bei ihrem Handeln im Besitz des “Seher-Willens”. Ihre bewußte Kraft, dem Wirken und Erschaffen zugewandt, ist im Besitz und wird gelenkt von einem vollkommenen und unmittelbaren Wissen dessen, das getan werden muß, von dessen Wesen und Gesetz, – einem Wissen, das eine vollwirksame Willens-Macht bestimmt, die in ihrem Verfahren oder in ihrem Ergebnis nicht abirrt oder schwankt, sondern spontan und unumgänglich das im Wirken zum Ausdruck und zur Erfüllung bringt, was in der Vision geschaut wurde. Hier ist Licht geeint mit Kraft, die Vibrationen des Erkennens mit dem Rhythmus des Wollens, und beide sind vollkommen ohne Suchen, Tasten oder Bemühen eins mit dem gesicherten Ergebnis. Diese göttliche Natur hat eine doppelte Macht, eine spontane Selbst-Formulierung und Selbst-Anordnung, die in natürlichster Weise aus der Wesenhaftigkeit der geoffenbarten Sache strömt und ihre ursprüngliche Wahrheit ausdrückt, sowie eine Selbst-Kraft von Licht, die der Sache selbst eingeboren und die Quelle ihrer spontanen, unbeirrbaren Selbst-Anordnung ist.

Hier gibt es untergeordnete aber wichtige Einzelheiten. Die vedischen Seher scheinen von zwei ursprünglichen Fähigkeiten der “wahrheitsbewußten” Seele zu sprechen. Das sind Sehen und Hören, womit unmittelbare Betätigungen eines eingeborenen Wissens gemeint sind, die als Wahrheits-Schau und Wahrheits-Hören beschrieben werden und von weit her in unserer Mentalität durch die Fähigkeiten der Offenbarung und Eingebung reflektiert werden. Außerdem scheint in den Wirkensweisen des Supramentals unterschieden zu werden zwischen einem Wissen durch ein verstehendes und durchdringendes Bewußtsein, das der subjektiven Erkenntnis durch Identität sehr nahe kommt, und einem Wissen durch projizierendes, gegenüberstellendes und wahrnehmendes Bewußtsein, das der Anfang objektiver Kenntnisnahme ist. Das sind die vedischen Andeutungen. Aus dieser alten Erfahrung können wir den Hilfsbegriff “Wahrheits-Bewußtsein” übernehmen, um den Begriffsinhalt des elastischen Ausdrucks Supramental abzugrenzen.

Wir sehen sofort, daß ein so charakterisiertes Bewußtsein eine vermittelnde Formulierung sein muß, die einerseits zurückweist auf einen Begriff oberhalb von ihm und andererseits nach vorn weist auf einen anderen Begriff, der unterhalb von ihm liegt. Zugleich sehen wir, daß dieses Bewußtsein offensichtlich das Verbindungsglied und Mittel ist, durch das sich das Niedere aus dem Höheren entfaltet, und in gleicher Weise auch das Verbindungsglied und Mittel sein soll, durch das es sich wieder zurück zu seinen Ursprung entwickeln kann. Der Begriff oberhalb ist das unitarische oder unteilbare Bewußtsein des reinen saccidananda, in dem es keine trennenden Unterscheidungen gibt. Der Begriff unterhalb ist das analytische oder zerteilende Bewußtsein des Mentals, das nur durch Trennung und Unterscheidung erkennen kann und darum höchstens eine vage und abgeleitete äußerliche Wahrnehmung von Einheit und Unendlichkeit besitzt, – denn, obwohl es durch eine Synthese seine Trennungen wieder zusammenzufügen vermag, kann es doch nicht zu wahrer Totalität gelangen. Zwischen beiden liegt das begreifende, schöpferische Bewußtsein. Durch seine Macht zu eindringender und verstehender Erkenntnis ist es das Kind jenes Selbst-Inneseins durch Identität, das die Gelassenheit von brahman ist. Durch seine Macht zu projizierender, gegenüberstellender, wahrnehmender Erkenntnis ist es der Vater jenes Gewahrwerdens durch Unterscheidung, das der Denkprozeß des Mentals ist.

Darüber steht die ewig feststehende und unveränderliche Formel von dem Einen, darunter die Formel von den Vielen, die, ewig veränderlich, im Fluß der Dinge einen festen unveränderlichen Standpunkt sucht, aber kaum findet. Dazwischen ist der Ort aller Dreieinigkeiten, von allem was zwei-einig ist, von allem, was zu den Vielen-im-Einen wird und doch Eins-in-Vielen bleibt, weil es ursprünglich Eines war, das potentiell stets Viele ist. Dieser Vermittlungsbegriff ist deshalb Anfang und Ende, Alpha und Omega jeglicher Schöpfung und Anordnung, der Ausgangspunkt aller Unterschiedlichkeit, das Instrument für alle Vereinigung, Urheber aller realisierten oder realisierbaren Harmonien, ihr bevollmächtigter Bewirker und ihr Vollender. Er hat das Wissen des Einen, ist aber fähig, aus dem Einen seine verborgenen Vielheiten herauszuziehen. Er manifestiert die Vielen, verliert sich aber nicht an ihre Unterschiedlichkeiten. Sollten wir also nicht sagen, gerade seine Existenz weist zurück auf Etwas, das jenseits unserer höchsten Wahrnehmungen der unaussprechlichen Einheit liegt, ein Etwas, das unnennbar und mental unbegreiflich ist, nicht wegen seines Einsseins und seiner Unteilbarkeit, sondern weil es selbst von diesen Formulierungen unseres Mentals frei ist, – ein Etwas jenseits von beidem, von Einheit und Vielfalt? Das wäre das äußerste Absolute und Wirkliche, das uns gerade deshalb unser Wissen von Gott und unsere Erkenntnis der Welt rechtfertigt.

Diese Begriffe sind jedoch umfassend und schwer zu begreifen. Wir wollen sie darum präzisieren. Wir sprechen von dem Einen als von saccidananda. In der Beschreibung stellen wir aber drei Weisheiten nebeneinander und vereinigen sie, um zu einer Dreieinigkeit zu kommen. Wir sagen: “Sein, Bewußtsein, Seligkeit” und sagen dann: “sie sind eins”.

Das ist ein Denkvorgang des Mentals. Für das unitarische Bewußtsein ist ein solches Denken unzulässig. Sein ist Bewußtsein, es kann keinen Unterschied zwischen ihnen geben. Bewußtsein ist Seligkeit, auch hier kann zwischen beiden kein Unterschied bestehen. Da aber selbst dieser Unterschied nicht existieren kann, wie kann es da eine Welt geben? Wenn Jenes die einzige Wirklichkeit ist, existiert die Welt nicht und hat nie existiert, sie kann auch niemals konzipiert worden sein. Denn ein unteilbares Bewußtsein ist nicht zum Zerteilen fähig und kann darum auch nicht der Ursprung von Trennung und Unterschiedlichkeit sein. Das ist aber eine reductio ad absurdum. Wir könnten sie nur dann zulassen, wenn wir uns damit begnügen würden, alles auf das Fundament eines unmöglichen Paradoxon und der Unvereinbarkeit einer Antithese aufzubauen.

Andererseits kann das Mental nur getrennte Dinge mit Genauigkeit als wirklich begreifen. Es kann zwar eine synthetische Totalität oder das Endliche begreifen, das sich unendlich ausdehnt. Es kann Zusammensetzungen geteilter Dinge und die ihnen zugrunde liegende Gleichartigkeit begreifen. Aber letzte Einheit und absolute Unendlichkeit sind für sein bewußtes Verstehen der Dinge abstrakte Begriffe und ungreifbare Quantitäten, nichts, was für sein Erfassen wirklich wäre, viel weniger etwas, das allein wirklich ist. Hier steht also der dem unitarischen Bewußtsein völlig entgegengesetzte Begriff vor uns. Wir haben der wesenhaften und unteilbaren Einheit eine wesenhafte Vielfalt konfrontiert, die nicht zur Einheit gelangen kann, ohne sich selbst aufzuheben, und gerade durch diesen Akt bekennt, daß sie eigentlich nie wirklich existiert haben konnte. Dennoch hat sie existiert; denn sie ist das, was Einheit gefunden und sich damit aufgehoben hat. Wieder haben wir eine reductio ad absurdum, die das scharfe Paradoxon wiederholt, das das Denken durch Lähmung und die unvereinte und unvereinbare Antithese zu überzeugen sucht.

Die Schwierigkeit verschwindet in ihrem niederen Begriff, wenn wir uns klarmachen, daß das Mental nur eine vorbereitende Form unseres Bewußtseins ist. Das Mental ist ein Instrument für Analyse und Synthese, aber nicht für wesenhafte Erkenntnis. Seine Funktion besteht darin, vage aus dem unbekannten Ding-an-sich etwas herauszuschneiden, diese Maßeinheit und Abgrenzung aus dem Unbekannten das Ganze zu nennen, um dann wieder dieses Ganze in seinen Teilen zu analysieren, die es als gesonderte mentale Gegenstände betrachtet. Das Mental kann nur die Teile und ihr Zubehör definitiv sehen und auf seine Art erkennen. Seine einzige definitive Idee vom Ganzen ist eine Zusammenstellung von Teilen oder eine Totalität von Eigenschaften und Zubehör. Wenn das Ganze nicht als Teil von etwas anderem oder in seinen eigenen Teilen, Eigenschaften und Nebenerscheinungen betrachtet werden kann, ist es für das Mental nichts anderes als eine vage Vorstellung. Erst wenn es analysiert und als besonders konstituierter Gegenstand für sich dargestellt worden ist, als Totalität innerhalb einer größeren Totalität, kann das Mental zu sich sagen: “Das kenne ich nun.” In Wirklichkeit kennt es das aber nicht. Es kennt nur seine eigene Analyse des Gegenstandes und die Vorstellung, die es sich von ihm durch eine Synthese gesonderter Teile und Eigenschaften gebildet hat, wie es sie sah. Hier hören seine charakteristische Macht und sein sicheres Funktionieren auf. Wenn wir zu einem höheren, tieferen und wirklichen Wissen gelangen wollen – zu wahrem Wissen, nicht nur einem ungeformten Empfinden, wie es manchmal in bestimmten tiefen, aber nicht ausdrucksfähigen Schichten unserer Mentalität aufsteigt –, muß das Mental einem anderen Bewußtsein weichen. Dieses wird das Mental dadurch zur Erfüllung bringen, daß es jenes transzendiert oder seine Verfahrensweisen umkehrt und auf diese Weise richtig stellt, nachdem es sie übersprungen hat: Die höchste Höhe mentaler Erkenntnis ist nur ein Sprungbrett, von dem aus dieser Sprung gemacht werden kann. Die äußerste Sendung des Mentals besteht darin, unser unerleuchtetes Bewußtsein, das aus dem finsteren Gefängnis der Materie heraustrat, zu trainieren, seine blinden Instinkte, Zufalls-Intuitionen und vagen Auffassungen zu erleuchten, bis es für dieses höhere Licht und diesen höheren Aufstieg fähig wird. Das Mental ist ein Übergang, nicht ein Höhepunkt.

Andererseits kann das unitarische Bewußtsein oder die unteilbare Einheit nicht jenes unmögliche Gebilde sein, ein Ding ohne Inhalte, aus dem alle Inhalte hervorgegangen sind, in das sie wieder verschwinden und in dem sie zunichte werden. Es muß eine ursprüngliche Selbst-Konzentration sein, in der alles, jedoch auf eine andere Art als in dieser zeitlichen und räumlichen Manifestation, enthalten ist. Jenes, das sich so selbst konzentriert hat, ist das äußerste, unnennbare und unbegreifliche Sein, das sich der Nihilist seinem Mental gegenüber als das negative Leere von allem vorstellt, was wir wissen und sind, das der Transzendentalist aber aus dem gleichen Grund seinem Mental gegenüber auffassen kann als die positive, wenn auch nicht unterscheidbare Wirklichkeit alles dessen, was wir wissen und sind. Der Vedanta sagt: “Im Anfang war das eine Sein ohne ein zweites.” Aber vor und nach dem Anfang, jetzt, ewig, jenseits der Zeit, existiert das, was wir nicht einmal als das Eine beschreiben können, selbst wenn wir sagen, daß nichts existiert außer Jenem. Wessen wir innewerden können, ist erstens seine ursprüngliche Selbst-Konzentration, die wir als das unteilbare Eine zu realisieren bemüht sind; zweitens die Ausbreitung und scheinbare Selbst-Auflösung alles dessen, was in dieser Einheit konzentriert gewesen ist, was der Auffassung des Mentals vom Universum entspricht; drittens seine starke Selbst-Ausweitung im Wahrheits-Bewußtsein. Sie enthält die Ausbreitung, hält sie in Bestand und hindert sie daran, zu wirklicher Selbstauflösung zu werden, sie wahrt Einheit auch in äußerster Verschiedenartigkeit, sichert Stabilität auch in der äußersten Veränderlichkeit, drängt auf Harmonie selbst in der Erscheinung alles zersetzenden Streites und Zusammenpralls, erhält einen ewigen Kosmos, wo das Mental es nur zu einem Chaos bringen würde, das dauernd den Versuch macht, sich zu gestalten. Das alles ist das Supramental, das Wahrheits-Bewußtsein, die Real-Idee, die sich selbst erkennt; zu alledem wird sie.

Das Supramental ist die unendliche Selbst-Ausbreitung des brahman, das enthält und entwickelt. Durch die Idee entfaltet es das trinitarische Prinzip von Sein, Bewußtsein und Seligkeit aus ihrer unteilbaren Einheit. Es differenziert, aber zerteilt sie nicht. Es errichtet eine Dreieinigkeit, die aber nicht, wie beim Mental, von den dreien ausgeht, um zum Einen zu gelangen, sondern die drei aus der Einheit offenbart – denn es manifestiert und entfaltet und bewahrt sie trotzdem in der Einheit –, denn es kennt und enthält sie in sich. Durch die Differenzierung ist es fähig, die eine oder andere von ihnen als die bewirkende Gottheit hervortreten zu lassen, die die anderen involviert oder nach außen entfaltet in sich enthält. Diesen Vorgang macht es zur Grundlage aller anderen Differenzierungen. Durch dasselbe Verfahren wirkt das Supramental auf alle Prinzipien und Möglichkeiten ein, die es aus dieser alles konstituierenden Dreieinigkeit entwickelt. Es besitzt die Macht zur Entfaltung, zur Evolution, um nach außen hervortreten zu lassen. Diese Macht enthält in sich jene andere Macht zur Involution, zur Verhüllung, zum Einbehalten der Entfaltung. In einem gewissen Sinn kann man sagen, die ganze Schöpfung ist eine Bewegung zwischen zwei Involutionen: Sie ist Geist, in den alles involviert ist und aus dem alles nach unten zum anderen Pol, zur Materie, evolviert. Und sie ist Materie, in der ebenfalls alles involviert ist und aus der alles nach oben zum anderen Pol, zum Geist, evolviert.

So besteht der ganze Vorgang der Differenzierung durch die Real-Idee, die das Universum erschafft, darin, daß Prinzipien, Kräfte und Gestaltungen herausgestellt werden, die für das verstehende Bewußtsein alles übrige Dasein in sich enthalten und das äußerlich auffassende Bewußtsein dem ganzen übrigen Sein, das hinter ihnen verhüllt ist, konfrontieren. Darum existiert alles in jedem einzelnen, wie jedes einzelne in allem. So birgt jeder Keim der Dinge in sich die ganze Unendlichkeit der verschiedenartigen Möglichkeiten, ist aber an ein einziges Gesetz von Verfahren und Resultat durch den Willen, d. h. durch die Wissens-Kraft des Bewußten Wesens gebunden, der sich offenbart und, der Idee in sich gewiß, durch sie seine eigenen Formen und Abläufe im voraus bestimmt. Der Keim ist die Wahrheit seines eigenen Wesens, die dieses Selbst-Sein in sich selbst schaut. Das Ergebnis aus diesem Keim der Selbst-Schau ist die Wahrheit der Selbst-Aktion, das natürliche Gesetz von Entfaltung, Gestaltung und Funktionieren, das unverbrüchlich auf die Selbst-Schau folgt und sich an die Verfahrensweisen hält, die in der ursprünglichen Wahrheit involviert sind. So ist die gesamte Natur einfach der Seher-Wille und die Wissens-Kraft des Bewußten Wesens, das am Werk ist, um in Kraft und Form die gesamte unverbrüchlich gültige Wahrheit der Idee zu entfalten, in die es sich ursprünglich entäußert hat.

Diese Auffassung der Idee zeigt uns den wesentlichen Gegensatz zwischen unserem mentalen Bewußtsein und dem Wahrheits-Bewußtsein. Wir sehen im Denken etwas vom Sein Getrenntes, Abstraktes, Nicht-Substantielles, von der Wirklichkeit Verschiedenes, das, man weiß nicht woher, in Erscheinung tritt und sich von der objektiven Wirklichkeit loslöst, um sie zu beobachten, zu verstehen und zu beurteilen. So erscheint und ist deshalb das Denken unserer alles zerteilenden und analysierenden Mentalität. Die erste Aufgabe des Mentals besteht darin, “diskret”, d. h. abstrakt und unterscheidbar zu machen, wodurch es aber eher Zertrennungen hervorruft als unterscheidet. Auf diese Weise hat das Mental die lähmende Spaltung zwischen Denken und Wirklichkeit geschaffen. Im Supramental ist dagegen alles Wesen auch Bewußtsein, und alles Bewußtsein kommt aus dem Wesen. Die Idee, eine mit Gestaltung trächtige Vibration des Bewußtseins, ist ebenso auch eine Vibration des Wesens, das trächtig ist von sich selbst. In einem schöpferischen Selbst-Wissen tritt aus seinem Ursprung das hervor, was dort in einem unschöpferischen Selbst-Innesein konzentriert lag. Es kommt hervor als Idee, die eine Wirklichkeit ist. Diese Wirklichkeit der Idee entwickelt sich selbst, immer durch ihre eigene Macht und ihr Bewußtsein von sich selbst, immer des Selbsts bewußt, immer das Selbst durch den der Idee eingeborenen Willen entfaltend, immer das Selbst durch das im Kern jedes Impulses enthaltene Wissen verwirklichend. Das ist die Wahrheit aller Schöpfung, aller Evolution.

Im Supramental sind Wesen, Bewußtsein des Wissens und Bewußtsein des Willens nicht so voneinander getrennt, wie sie in unseren mentalen Prozessen erscheinen. Dort sind sie eine Dreieinigkeit, eine einzige Bewegung mit drei wirksamen Aspekten. Jeder von ihnen hat seine eigene Wirkung: Wesen wirkt sich als Substanz aus. Bewußtsein hat den Effekt von Wissen, der selbstlenkenden und gestaltenden Idee, von innerem und äußerem Wahrnehmen. Wille bringt die sich selbst erfüllende Kraft hervor. Die Idee ist aber nur das Licht der Wirklichkeit, die sich selbst erleuchtet; sie ist weder mentales Denken noch Phantasie, sondern wirksames Selbst-Innesein. Sie ist Real-Idee.

Im Supramental ist Wissen in der Idee nicht abgetrennt vom Willen in der Idee, sondern eins mit ihm – genauso wie es nicht verschieden ist vom Wesen und von der Substanz, sondern eins mit dem Wesen und eine leuchtende Macht der Substanz. Wie die Kraft eines brennenden Lichts nicht von der Substanz des Feuers verschieden ist, so ist auch die Macht der Idee nicht verschieden von der Substanz des Wesens, das sich in der Idee und ihrer Entfaltung auswirkt. In unserer Mentalität sind alle voneinander verschieden. Wir haben eine Idee und einen Willen im Einklang mit der Idee. Oder wir haben einen Willensimpuls und eine Idee, die sich davon loslöst. So unterscheiden wir effektiv die Idee vom Willen und beide von uns selbst: Ich bin. Die Idee ist eine geheimnisvolle Abstraktion, die in mir erscheint. Der Wille ist ein anderes Geheimnis, eine Kraft, die der Konkretheit näher, doch nicht eigentlich konkret, sondern immer etwas ist, was ich nicht bin, sondern habe, bekomme oder wovon ich ergriffen bin, was ich selbst aber nicht bin. So mache ich auch eine Kluft zwischen meinem Willen, seinen Mitteln und der Auswirkung; denn letztere betrachte ich als konkrete Wirklichkeiten außerhalb von mir und als anders als ich bin. Darum sind weder ich selbst noch die Idee noch der Wille in mir selbst-wirksam Die Idee kann mir entfallen, der Wille versagen, die Mittel können mir fehlen, und ich selbst mag, wenn einer oder alle dieser Mängel mich befallen, unerfüllt bleiben.

Im Supramental gibt es keine solch lähmende Trennung, da Wissen hier nicht, wie im Mental, in sich selbst-zertrennt, Kraft nicht selbst-zertrennt und Wesen nicht selbst-zertrennt sind. Sie sind weder in sich selbst zerspalten, noch haben sie sich voneinander geschieden. Denn das Supramental ist das unermeßliche Weite. Es geht von der Einheit aus, nicht von der Zertrennung. Es ist in seinem Ursprung all-umgreifend, Differenzierung ist erst ein sekundärer Akt. Was auch immer die zum Ausdruck gebrachte Wahrheit des Wesens sein mag, immer entspricht ihm genau die Idee. Die Willens-Kraft entspricht der Idee – die Kraft ist nur eine Macht des Bewußtseins –, und das Ergebnis entspricht dem Willen. Die Idee prallt auch nicht mit anderen Ideen, der Wille oder die Kraft nicht mit einem anderen Willen oder einer anderen Kraft zusammen wie im Menschen und seiner Welt. Denn es gibt nur ein einziges unermeßlich weites Bewußtsein, das alle Ideen als seine eigenen in sich enthält und miteinander in Beziehung setzt. Es gibt nur den einen ungeheuer starken Willen, der alle Energien als seine eigenen in sich enthält und zueinander in Beziehung setzt. Er hemmt diese Energien und treibt jene vorwärts, jedoch im Einklang mit seinem eigenen im voraus konzipierenden Ideen-Willen.

Das ist die Rechtfertigung für die bestehenden religiösen Anschauungen von der All-Gegenwart, All-Wissenheit und All-Macht des Göttlichen Wesens. Weit davon entfernt, irrationale Phantasie zu sein, sind sie im Gegenteil vollkommen rational und widersprechen in keiner Weise der Logik einer allumfassenden Philosophie oder den Hinweisen von Beobachtung oder Erfahrung. Ihr Irrtum besteht darin, daß sie eine unüberbrückbare Kluft zwischen Gott und Mensch, zwischen brahman und Welt errichten. Dieser Irrtum übertreibt eine tatsächliche und praktische Unterschiedlichkeit in Wesen, Bewußtsein und Kraft bis zu einer wesenhaften Zertrennung. Auf diesen Aspekt der Frage müssen wir später noch zurückkommen. Im Augenblick sind wir bei einer Bejahung und einer gewissen Auffassung vom göttlichen und schöpferischen Supramental angekommen, in dem alles eins ist in Wesen, Bewußtsein, Willen und Seligkeit, jedoch mit einer unendlichen Fähigkeit zur Differenzierung, die die Einheit entfaltet, aber nicht zerstört: Im Supramental ist die Substanz Wahrheit. Wahrheit erhebt sich in die Idee, und Wahrheit tritt hervor in der Gestaltung. So gibt es nur eine einzige Wahrheit von Wissen und Willen, eine einzige Wahrheit von Selbst-Erfüllung und darum von Seligkeit. Denn alle Selbst-Erfüllung ist vollbefriedigende Erfüllung des Wesens. Darum entsteht auch in allen Mutationen und Kombinationen stets eine selbst-seiende und unveräußerliche Harmonie.

Kapitel XV. Das Höchste Wahrheits-Bewußtsein

Einer, thronend im Schlaf der Über-Bewußtheit, eine ungeheure Intelligenz, voller Seligkeit und Genießer der Seligkeit... Das ist der Allmächtige, das ist der Allwissende, das ist die innere Herrschaft, das ist der Ursprung von allem.

Mandukya Upanishad, Verse 5, 6.

Dieses Supramental, das alles in sich enthält, alles verursacht und alles aufs Höchste erfüllt, müssen wir als die Natur des Göttlichen Wesens erkennen, und zwar nicht in seinem absoluten Selbst-Sein, sondern in seinem Wirken als Herr und Schöpfer seiner eigenen Welten. Das ist die Wahrheit dessen, was wir Gott nennen. Offensichtlich ist er nicht die allzu personhafte und begrenzte Gottheit, der vergrößerte und übernatürliche Mensch der üblichen westlichen Auffassung. Diese Auffassung errichtet ein allzu menschliches Idol einer gewissen Beziehung zwischen dem schöpferischen Supramental und dem Ich. Wir dürfen gewiß nicht den persönlichen Aspekt der Gottheit ausschließen, denn der apersonale ist nur der eine Aspekt des Seins. Das Göttliche Wesen ist All-Sein, aber es ist auch der Eine Seiende, es ist das einzige Bewußt-Seiende, aber doch ein Seiendes. Wir befassen uns jedoch im Augenblick nicht mit diesem Aspekt. Wir suchen die apersonale psychologische Wahrheit des Göttlichen Bewußtseins zu ergründen: Wir müssen es jetzt in einem umfassenden geklärten Begriff festlegen.

Das Wahrheits-Bewußtsein ist als ein ordnendes Wissen aus dem Selbst überall im Universum gegenwärtig, durch das das Eine die Harmonien seiner unendlichen potentiellen Vielfalt offenbart. Ohne dieses ordnende Selbst-Wissen wäre die Manifestation nur ein dahintreibendes Chaos, gerade weil die Potentialität unendlich ist und, sich selbst überlassen, nur zu einem Spiel unkontrollierten schrankenlosen Zufalls führen würde. Gäbe es nur eine unendliche Entwicklungsmöglichkeit ohne ein Gesetz lenkender Wahrheit und harmonischer Selbst-Schau, ohne eine vorausbestimmende Idee, die schon im Keim der Dinge enthalten ist, wenn er zur Evolution ausgestreut wird, könnte die Welt nichts anderes sein als ein Durcheinander massenhafter, gestaltloser, verworrener Ungewißheit.

Das Wissen aber, das erschafft – denn was es erschafft, sind Gestaltungen und Mächte aus ihm selbst, also nichts, was etwas anderes wäre als es selbst –, besitzt in seinem eigenen Wesen die Schau der Wahrheit und des Gesetzes, das jede Potentialität beherrscht, zugleich damit ein ins einzelne gehendes Gewahrsein seiner Beziehung zu anderen Potentialitäten, ferner der Harmonien, die zwischen ihnen möglich sind. Es enthält in einer allgemein bestimmenden Harmonie vorgeformt, was die gesamte rhythmische Idee eines Universums schon bei ihrem Entstehen und bei ihrer Konzeption im Selbst enthalten und sich deshalb unvermeidlich durch das Zusammenspiel dessen, was sie konstituiert, auswirken muß. Es ist Ursprung und Hüter des Gesetzes in der Welt, denn dieses Gesetz ist nichts Willkürliches – es ist Ausdruck einer Eigenart des Selbsts, bestimmt durch die zwingende Wahrheit der Realidee, die jedes Ding ursprünglich ist. Darum ist von Anfang an die gesamte Entfaltung im Selbst-Wissen dieser Wahrheit und in jedem Augenblick in ihrem Selbst-Wirken vorbestimmt: Sie ist das, was sie in jedem Augenblick durch ihre ursprüngliche, eingeborene Wahrheit sein muß. Sie bewegt sich auf das hin, was sie im nächsten Augenblick sein soll, eben infolge ihrer ursprünglichen, eingeborenen Wahrheit. Sie wird am Ende das sein, was in ihrem Keim enthalten und wozu sie bestimmt ist.

Diese Entwicklung der Welt und ihr Fortschritt im Einklang mit einer ursprünglichen Wahrheit ihres eigenen Wesens setzt voraus: eine Aufeinanderfolge der Zeit, eine Beziehung im Raum, eine geregelte Wechselwirkung der aufeinander bezogenen Dinge im Raum, der die Aufeinanderfolge der Zeit den Aspekt der Kausalität verleiht. Zeit und Raum besitzen nach Auffassung des Metaphysikers nur eine begriffliche, keine wirkliche Existenz. Da aber alle Dinge – und nicht nur diese – Formen sind, die vom Bewußt-Seienden in seinem eigenen Bewußtsein angenommen werden, ist diese Unterscheidung nicht von großer Bedeutung. Zeit und Raum sind jenes eine Bewußt-Seiende, das sich selbst in seiner Ausdehnung betrachtet, subjektiv als Zeit und objektiv als Raum. Unsere mentale Betrachtung dieser beiden Kategorien wird durch die Vorstellung vom Messen bestimmt, die der Betätigung des analytischen teilenden Verfahrens des Mentals eingeboren ist. Zeit ist für das Mental eine mobile Ausdehnung, gemessen durch die Aufeinanderfolge von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, wobei das Mental einen gewissen Standort einnimmt, von dem aus es nach vorwärts und rückwärts schaut. Raum ist eine stabile Ausdehnung, die durch die Teilbarkeit der Substanz gemessen wird. Das Mental stellt sich auch hier an einen gewissen Punkt der teilbaren Ausdehnung und betrachtet von da aus die Anordnung der Substanz um sich herum.

Tatsächlich bemißt das Mental Zeit durch Ereignis und Raum durch Materie. In der reinen Mentalität ist es aber möglich, die Bewegung von Ereignis und die Anordnung von Substanz unbeachtet zu lassen und die reine Bewegung der Bewußten Kraft zu betrachten, die Raum und Zeit konstituiert. Dann sind Raum und Zeit nur zwei Aspekte jener universalen Bewußtseinskraft, die, ineinander verflochten, in ihrer Wechselwirkung Kette und Schuß des Gewebes ihrer Einwirkung auf sich selbst umfaßt. Für ein Bewußtsein, das höher ist als das Mental, unsere Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft mit einem einzigen Blick überschauen und die drei in sich enthalten würde, statt in ihnen enthalten zu sein, und das auch nicht auf einen besonderen Augenblick der Zeit als den Ort seines Schauens festgelegt wäre, könnte sich die Zeit wohl als eine ewige Gegenwart darstellen. Für dasselbe Bewußtsein, das nicht auf einen bestimmten Punkt des Raumes fixiert wäre, sondern alle Punkte und Bereiche in sich enthielte, könnte sich der Raum als eine subjektive und unteilbare Ausdehnung darbieten, – nicht weniger subjektiv als die Zeit. In gewissen Augenblicken nehmen wir eine solche unteilbare Schau wahr, die durch ihre unveränderliche selbst-bewußte Einheit die Verschiedenartigkeiten des Universums trägt und zusammenhält. Wir dürfen aber jetzt nicht fragen, wie sich die Inhalte von Zeit und Raum dort in ihrer transzendenten Wahrheit darstellen würden. Denn das kann unser Mental nicht begreifen. Es ist sogar dazu bereit, diesem Unteilbaren jede Möglichkeit zu bestreiten, die Welt auf eine andere Weise zu erkennen als auf die unseres Mentals und unserer Sinne.

Was wir einzusehen haben und auch bis zu einem gewissen Grad begreifen können, ist die einheitliche Schau und die allumfassende Betrachtung, durch die das Supramental die Aufeinanderfolgen der Zeit und die Einteilungen des Raumes umgreift und miteinander vereint. Bestünde nicht dieser Faktor der Aufeinanderfolge von Zeit, gäbe es zunächst weder Veränderung noch Fortschritt. Unablässig würde sich eine vollkommene Harmonie offenbaren, gleichzeitig mit anderen Harmonien in einer Art ewigen Augenblicks, ohne ihnen zeitlich zu folgen in der Bewegung von der Vergangenheit zur Zukunft. Statt dessen haben wir die ständige Aufeinanderfolge einer sich entfaltenden Harmonie, in der die Melodie aus einer anderen, ihr vorausgegangenen, aufsteigt und in sich das birgt, was sie ersetzt hat. Würde die Selbst-Manifestation ohne den Faktor des teilbaren Raums existieren, gäbe es keine veränderliche Beziehung der Formen und kein Aufeinanderprallen der Kräfte. Alles würde wohl existieren, aber nicht zum Wirken entfaltet sein, – ein raumloses, rein subjektives Selbst-Bewußtsein würde alle Dinge in einem unendlichen subjektiven Verständnis in sich enthalten, etwa wie in der Phantasie eines kosmischen Poeten oder Träumers, es würde sich aber nicht in einer unbegrenzten objektiven Selbst-Ausbreitung über sie alle verteilen. Wäre allein die Zeit wirklich, würden ihre Aufeinanderfolgen die reine Entfaltung sein. In subjektiver freier Spontaneität würde eine Melodie aus der anderen aufsteigen wie in einer Komposition in der Musik oder in einer Reihe poetischer Bilder. Statt dessen haben wir eine von der Zeit ausgearbeitete Harmonie in Begriffen von Formen und Kräften, die in einer alles enthaltenden räumlichen Ausdehnung zueinander in Beziehung stehen, eine unaufhörliche Aufeinanderfolge von Mächten und Figuren der Dinge und Ereignisse in unserer Schau des Daseins.

In diesem Feld von Zeit und Raum sind verschiedenartige Potentialitäten verkörpert, räumlich angeordnet und zueinander in Beziehung gesetzt. Jede besitzt ihre Mächte und Möglichkeiten, tritt anderen Mächten und Möglichkeiten entgegen, so daß, im Ergebnis, die Aufeinanderfolgen der Zeit dem Mental als Zusammenprall und Kampf der Dinge erscheinen, nicht als durch spontane Aufeinanderfolge bewirkt. In Wirklichkeit gibt es ein spontanes Ausgestalten der Dinge von innen her. Der äußere Zusammenprall und Kampf ist nur der vordergründige Aspekt dieses schöpferischen Prozesses. Das innere, eingeborene Gesetz des Einen und Ganzen, das notwendigerweise Harmonie ist, regiert die äußeren, das Verfahren bestimmenden Gesetze der Teile oder Formen, die zu kollidieren scheinen. Für die supramentale Schau ist diese höhere und tiefere Wahrheit der Harmonie immer gegenwärtig. Was dem Mental als Disharmonie erscheint, weil es jede Sache gesondert betrachtet, ist für das Supramental ein Element der allgemeinen, immer gegenwärtigen und sich entfaltenden Harmonie, da es alle Dinge in vielfältiger Einheit schaut. Außerdem sieht das Mental nur eine gegebene Zeit und einen gegebenen Raum und schaut viele Möglichkeiten durcheinander als alle mehr oder minder in dieser Zeit und diesem Raum verwirklichbar. Das göttliche Supramental hingegen sieht die ganze Ausdehnung von Zeit und Raum und kann alle Möglichkeiten des Mentals zusammenfassend überblicken und noch viele dazu, die für das Mental nicht sichtbar sind. Es tut das ohne Irrtum, ohne Herumtasten oder Konfusion. Denn es gewahrt jede Potentialität in ihrer eigenen Kraft, ihrer wesenhaften Notwendigkeit und ihrer richtigen Beziehung zu den anderen. Es weiß Zeit, Ort und Umstand ihrer stufenweisen ebenso wie ihrer endgültigen Verwirklichung. Die Dinge stetig zu sehen und als Ganzes zu überschauen, ist für das Mental nicht möglich. Gerade das ist aber die eigentliche Natur des transzendenten Supramentals.

Dieses Supramental hält in seiner bewußten Schau nicht nur alle seine Formen zusammen, die seine bewußte Kraft erschafft, sondern es durchdringt sie auch als eine ihnen innewohnende Gegenwart und als ein sich selbst offenbarendes Licht. Wenn auch verborgen, so ist es doch in jeder Form und Kraft des Universums gegenwärtig. Es bestimmt souverän und spontan ihre Gestalt, Kraft und Funktion. Es begrenzt die Variationen, die seine Macht hervorruft. Es sammelt, zerstreut und modifiziert die Energie, die es verwendet. Das alles geschieht in Einklang mit den “ersten Gesetzen”,7 die sein Selbst-Wissen schon beim Entstehen der Form und am Ausgangspunkt der Kraft festgelegt hat. Es hat seinen Sitz in jeglichem Seienden als der Herr, der im Herzen aller existierenden Wesen thront, “Er, der sie im Kreis herumwirbeln läßt wie auf einer Maschine durch die Macht seiner maya” (Gita XVIII, 61). Er “ist in ihnen und hält sie in seinen Armen als der Göttliche Seher, der in verschiedener Weise die Gegenstände verteilte und ordnete, doch jeden richtig im Einklang mit dem, was seit ewigen Jahren ist” (Isha Upanishad, Vers 8).

So wird alles in der Natur, ob belebt oder unbelebt, mental seiner selbst bewußt oder nicht bewußt, in seinem Wesen und in seinen Wirkensweisen von einer innewohnenden Vision und Macht gelenkt, die für uns unter- oder unbewußt ist, weil wir ihrer nicht bewußt sind, die aber sich selbst gegenüber nicht unbewußt, vielmehr tief und universal ihrer selbst bewußt ist. Darum scheint jedes Ding die Werke einer Intelligenz zu tun, auch wenn es selbst keine Intelligenz besitzt, denn es gehorcht in seinem Inneren der Real-Idee des göttlichen Supramentals, ob unterbewußt wie in Pflanze und Tier, ob halbbewußt wie im Menschen. Das ist aber keine mentale Intelligenz, die alle Dinge und Wesen von innen her formt und lenkt, vielmehr eine Wahrheit des Seienden, die sich selbst wahrnimmt, in der Selbst-Wissen untrennbar ist von Selbst-Sein: Es ist dieses Wahrheits-Bewußtsein, das die Dinge nicht ausdenken muß, sondern sie mit Wissen bewerkstelligt entsprechend der unfehlbaren Selbst-Schau und der unwiderstehlichen Kraft eines einzigen, sich selbst erfüllenden Seins. Mentale Intelligenz denkt aus. Sie ist reflektierende Bewußtseins-Kraft, die nicht erkennt, sondern zu erkennen strebt. Sie folgt in der Zeit Schritt um Schritt dem Wirken eines Wissens, das höher ist als sie selbst, das immer existiert, das ein einziges und ganzes ist, das die Zeit fest in seinem Griff hält, das Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft mit einem einzigen Blick überschaut.

Dies ist also das erste Verfahrens-Prinzip des göttlichen Supramentals. Es ist eine kosmische Schau, die all-umfassend, all-durchdringend und allem innewohnend ist. Da es alle Dinge im Wesen und in statischem Selbst-Innesein subjektiv, zeitlos und raumlos umgreift, begreift es sie alle auch in dynamischer Erkenntnis und regiert ihre objektive Selbst-Verkörperung in Raum und Zeit.

In diesem Bewußtsein sind der Wissende, das Wissen und das Gewußte keine verschiedenen Begriffe, sondern fundamental eins. Unsere Mentalität unterscheidet zwischen diesen dreien, denn sie kann nicht ohne Unterscheiden funktionieren. Verliert sie dieses ihr eigene Mittel und fundamentale Gesetz des Wirkens, wird sie bewegungslos und inaktiv. Darum muß ich, wenn ich mich selbst mental betrachte, auch diese Unterscheidung treffen: Ich bin als der Erkennende. Was ich in mir selbst beobachte, betrachte ich als Objekt meiner Erkenntnis. Ich bin es zwar, doch ist es nicht ich selbst. Die Erkenntnis ist das Verfahren, durch das ich den Erkennenden mit dem Erkannten verknüpfe. Die Künstlichkeit dieses Verfahrens, sein rein praktischer, nützlicher Charakter ist offensichtlich. Es ist klar, daß das nicht die fundamentale Wahrheit der Dinge darstellt. In Wirklichkeit bin ich, der Erkennende, auch das Bewußtsein, das erkennt. Und die Erkenntnis ist ebenfalls jenes Bewußtsein, nämlich ich selbst als Bewirkender der Erkenntnis. Das Erkannte ist ebenfalls ich selbst, eine Form oder Bewegung desselben Bewußtseins. Die drei sind deutlich ein einziges Sein, eine einzige Bewegung, unteilbar, obwohl sie getrennt zu sein scheinen. Das Sein ist nicht an seine Formen verteilt, obwohl es aussieht, als verteile es sich selbst an sie und stehe in jeder Form gesondert da. Das ist aber Erkenntnis, zu der das Mental gelangen, die es mit der Vernunft ausdenken und fühlen, aber nicht leicht zur praktischen Grundlage seiner intelligenten Verfahrensweisen machen kann. Im Blick auf Gegenstände, die außerhalb jener Form von Bewußtsein sind, die ich “ich selbst” nenne, wird die Schwierigkeit fast unüberwindlich. Hier die Einheit auch nur zu fühlen, erfordert ein abnormes Bemühen. Sie festzuhalten und auf ihrer Grundlage ständig zu handeln, würde ein neues, fremdartiges Tun bedeuten, das nicht eigentlich zum Mental gehört. Das Mental kann die Einheit höchstens als eine Wahrheit des Verstandes festhalten, durch die seine eigenen normalen Betätigungen korrigiert und modifiziert werden, die immer weiter auf Trennung beruhen, etwa so, wie wir intellektuell wissen, daß sich die Erde um die Sonne dreht, und dadurch die künstliche, jedoch für uns physisch so praktische Einstellung korrigieren, derzufolge die Sinne ständig weiter die Sonne als die Erde umkreisend betrachten, ohne die Einstellung abzuschaffen.

Das Supramental besitzt fundamental diese Wahrheit der Einheit und wirkt stets auf dieser Grundlage, die für das Mental nur ein sekundärer oder erworbener Besitz und nicht Kern seines Schauens ist. Das Supramental schaut das Universum und seine Inhalte als es selbst in einem einzigen unteilbaren Akt des Erkennens, einem Akt, der sein Leben und die eigentliche Bewegung seines Selbst-Seins ist. Wenn darum dieses allumfassende göttliche Bewußtsein in seinem Aspekt des Willens wirkt, führt oder regiert es nicht so sehr die Entfaltung des kosmischen Lebens, als daß es dieses in sich selbst durch einen Akt von Macht vollkommen erschafft, der von dem Akt des Wissens und der Bewegung des Selbst-Seins unabtrennbar ist, weil in Wirklichkeit ein und derselbe Akt. Wir haben gesehen, die universale Kraft und das universale Bewußtsein sind eins, – kosmische Kraft ist die Auswirkung kosmischen Bewußtseins. So sind auch göttliches Wissen und göttlicher Wille eins; dieselbe fundamentale Bewegung oder dasselbe Wirken des Seins.

Diese Unteilbarkeit des allumfassenden Supramentals, das die gesamte Vielfalt in sich enthält, ohne dadurch seine eigene Einheit aufzuheben, ist eine Wahrheit, auf die wir stets Nachdruck legen müssen, wenn wir den Kosmos verstehen und von dem Grundirrtum unserer analytischen Mentalität frei werden wollen. Ein Baum entwickelt sich aus dem Samen, in dem er bereits enthalten ist. Der Same entwickelt sich aus dem Baum. Ein festes Gesetz, ein unveränderlicher Prozeß regiert mit der Fortdauer der Form der Manifestation, die wir einen Baum nennen. Das Mental betrachtet dieses Phänomen, dieses Entstehen, Leben und Neu-Entstehen eines Baumes als ein Ding für sich und studiert, klassifiziert und erklärt es auf dieser Grundlage. Es erklärt den Baum durch den Samen und den Samen durch den Baum und behauptet, das sei ein Naturgesetz. Es hat aber gar nichts erklärt. Es hat nur den Vorgang eines Geheimnisses analysiert und dargestellt. Angenommen, es kommt so weit, daß es jene geheime bewußte Kraft als die Seele, als das wahre Wesen dieser Form wahrnimmt und alles übrige nur als festgelegtes Verfahren und Manifestation jener Kraft, auch dann will es die Form als ein davon getrenntes Sein mit dessen besonderem Naturgesetz und Entwicklungsprozeß ansehen. Im Tier und im Menschen mit seiner bewußten Mentalität verleitet diese sondernde Tendenz das Mental dazu, sich als abgesondertes Dasein zu betrachten, als das bewußte Subjekt, und andere Formen als davon getrennte Objekte seiner betrachtenden Mentalität. Dieses brauchbare Schema, das für das Leben und als erste Grundlage aller Betätigung des Mentals notwendig ist, wird von ihm als aktuelle Tatsache angenommen, und hieraus entsteht dann der ganze Irrtum des Ichs.

Das Supramental wirkt auf andere Weise. Der Baum und sein Wachstumsprozeß wären nicht das, was sie sind, ja könnten überhaupt nicht existieren, wenn sie gesonderte Existenzen wären. Formgestaltungen sind das, was sie sind, durch die Kraft des kosmischen Seins. Sie entfalten sich so, wie sie es tun, als Ergebnis ihrer Beziehung zu ihm und zu all seinen anderen Manifestationen. Das gesonderte Gesetz ihrer Natur ist nur eine Anwendung des universalen Gesetzes und der Wahrheit der gesamten Natur. Ihre besondere Entwicklung wird durch ihren Platz in der allgemeinen Entwicklung bestimmt. Der Baum erklärt nicht die Saat und die Saat nicht den Baum. Der Kosmos erklärt beide, und Gott erklärt den Kosmos. Das Supramental, das zugleich Baum, Saat und alle Wesen und Gegenstände durchdringt und bewohnt, lebt in diesem höheren Wissen, das unteilbar und eines ist, wenn auch mit einer modifizierten, nicht absoluten Unteilbarkeit und Einheit. In diesem allumfassenden Wissen gibt es kein unabhängiges Seins-Zentrum, kein individuelles abgesondertes Ich, wie wir es in uns erfahren. Für seine Selbst-Wahrnehmung ist das Ganze des Seins eine gleichmäßige Ausdehnung, eins im Einssein, eins in der Vielfalt, eins in allen Umständen und überall. Hier sind das All und das Eine dasselbe Sein. Der individuelle Mensch verliert nicht – und kann nicht verlieren – das Bewußtsein seiner Identität mit allen Wesen und mit dem Einen Wesen. Denn diese Identität gehört ursprünglich zur supramentalen Erkenntnis als Teil der supramentalen Selbst-Evidenz.

In dieser weiträumigen Ausgeglichenheit des Einsseins ist das Sein nicht zerteilt und nicht verteilt. Gleichmäßig selbst-ausgedehnt, als das Eine seine Ausdehnung durchdringend, als das Eine die Vielfalt der Formen bewohnend, ist es überall und gleichzeitig das einzige und gleichmäßige brahman. Denn diese Ausdehnung des Seins in Zeit und Raum und dieses Durchdringen und Innewohnen steht in inniger Beziehung zur absoluten Einheit, aus der es hervorgetreten ist, zu jenem absoluten Unteilbaren, in dem es keinen Mittelpunkt und keine Peripherie gibt, sondern nur das zeitlose und raumlose Eine. Diese hohe Konzentration von Einheit im unausgebreiteten brahman muß sich notwendigerweise in die Ausbreitung übertragen: durch diese in gleicher Weise alles durchdringende Konzentration, diese unteilbare Zusammenfassung aller Dinge, diese universale unverteilte Immanenz, diese Einheit, die kein Spiel der Vielfalt aufheben oder vermindern kann. “Brahman ist in allen Dingen, alle Dinge sind in brahman, alle Dinge sind brahman.” Das ist die dreifache Formel für das allumfassende Supramental, eine einzige Wahrheit der Selbst-Manifestation in drei Aspekten, die es in seiner Selbst-Schau zusammenhält, untrennbar, als das fundamentale Wissen, aus dem es in das Spiel des Kosmos hervortritt.

Was ist nun aber der Ursprung der Mentalität und der Organisation dieses niederen Bewußtseins in den dreifachen Begriffen von Mental, Leben und Materie, so wie wir das Universum betrachten? Da alles, was ist, aus dem Wirken des allwirksamen Supramentals hervorgehen muß, aus seinen Aktivitäten in den drei ursprünglichen Begriffen von Sein, Bewußter Kraft und Seligkeit, muß es ein Vermögen des schöpferischen Wahrheits-Bewußtseins geben, das so wirkt, daß es sie in die neuen Begriffe umprägt, in dieses niedere Trio von Mentalität, Vitalität und physischer Substanz. Wir finden diese Befähigung in einer sekundären Macht des schöpferischen Wissens, in seiner Macht eines projizierenden, konfrontierenden und wahrnehmenden Bewußtseins, in dem sich das Wissen konzentriert und von seinem Wirken zurücktritt, um es zu beobachten. Wenn wir hier von Zentralisation sprechen, meinen wir – im Unterschied zu der gelassenen Konzentration des Bewußtseins, von der wir bisher sprachen – eine unausgeglichene Konzentration, worin der Anfang der Selbst-Zerteilung oder dessen, was phänomenal so aussieht, einsetzt.

Der Erkennende hält sich in erster Linie als Subjekt auf das Erkennen konzentriert und betrachtet die Kraft seines Bewußtseins so, als ob sie ständig aus ihm in die Gestalt seiner selbst hervortrete, in ihr immer wirke, sich dauernd wieder in ihn zurückziehe und ständig wieder aus ihm hervorgehe. Aus diesem einzelnen Akt, durch den sich der Erkennende immer wieder selbst modifiziert, gehen alle praktischen Unterscheidungen hervor, auf die sich die relative Betrachtung des Universums und das relative Handeln in ihm gründen. So wurde die praktische Unterscheidung getroffen: zwischen dem Erkennenden, der Erkenntnis und dem Erkannten, zwischen dem Herrn, Seiner Kraft und den Kindern und Werken der Kraft, zwischen Ihm, der genießt, dem Genießen und dem Gegenstand des Genusses, zwischen dem Selbst, der maya und den Werdeformen des Selbsts.

Zweitens vervielfältigt sich diese Bewußte Seele, die im Erkennen konzentriert ist, dieser purusha, der die Kraft, seine shakti oder prakriti, die aus ihm hervorgegangen ist, beobachtet und lenkt, in jeder Gestaltung seiner selbst. Er begleitet sozusagen seine Bewußtseins-Kraft in ihre Werke hinein Und erzeugt dort immer wieder den Akt der Selbst-Zerteilung, aus dem das äußerlich wahrnehmende Bewußtsein geboren wird. Diese Seele, dieser purusha, wohnt in jeder Gestalt zusammen mit seiner Natur und beobachtet sich an anderen Gestaltungen von dem künstlichen, praktischen Mittelpunkt des Bewußtseins her. In allen ist dieselbe Seele, dasselbe Göttliche Wesen. Die Vervielfältigungen von Zentren ist nur ein praktischer Bewußtseins-Akt mit der Absicht, ein Spiel von Unterscheidung, Gegenseitigkeit, wechselseitigem Erkennen, Zusammenprallen von Kraft und gegenseitiger Freude zustande zu bringen, eine Unterschiedlichkeit, die in wesenhafter Einheit gegründet, eine Einheit, die auf der praktischen Grundlage von Verschiedenheit verwirklicht ist.

Diesen neuen Status des das All durchdringenden Supramentals können wir ein weiteres Heraustreten aus der unitarischen Wahrheit der Dinge und aus dem unteilbaren Bewußtsein nennen, das unveräußerlich die Einheit konstituiert, die für das Dasein des Kosmos wesentlich ist. Wenn diese Linie noch ein wenig weiter verfolgt wird, können wir sehen, wie die Wahrheit zu avidya, zur großen Unwissenheit werden kann, die von der Vielfalt als der fundamentalen Wirklichkeit ausgeht und mit der falschen Einheit des Ichs beginnen muß, um zur wahren Einheit zurückkehren zu können. Wir sehen auch, daß unfehlbar mentales Empfinden, mentale Intelligenz, mentale Aktion des Willens und all ihre Folgeerscheinungen auftreten müssen, sobald das individuelle Zentrum als der determinierende Standpunkt, als der Erkennende, akzeptiert wird. Wir können aber auch sehen, daß Unwissenheit noch nicht eingesetzt hat, solange die Seele im Supramental handelt. Das Feld des Wissens und Handelns ist immer noch das Wahrheits-Bewußtsein, Grundlage ist immer noch die Einheit.

Das Selbst betrachtet sich immer noch als eines in allen und alle Dinge als Werde-Erscheinungen in sich und aus ihm selbst. Der Herr erkennt immer noch seine Kraft an als Er selbst im Akt des Wirkens und jedes Wesen als Er selbst in Seele und Gestalt. Es ist immer noch sein eigenes Wesen, das der Genießende genießt, wenn auch in Vielfalt. Die einzig wirkliche Veränderung liegt in einer ungleichmäßigen Konzentration von Bewußtsein und in einer vielfältigen Verteilung von Kraft. Es gibt im Bewußtsein eine praktische Unterscheidung, aber es gibt keine wesenhafte Verschiedenheit von Bewußtsein oder eine wirkliche Zerteilung in der Schau seiner selbst. Das Wahrheits-Bewußtsein ist an einem Übergangs-Punkt angelangt, wo sich unsere Mental-Struktur vorbereitet, aber noch nicht die unserer Mentalität ist. Gerade diese Übergangsposition müssen wir studieren, um das Mental an seinem Ursprung erfassen zu können, an dem Punkt, wo es den großen Sprung aus der Höhe und unendlichen Weite des Wahrheits-Bewußtseins in die Zerteilung und Unwissenheit macht. Glücklicherweise liegt dieses nach außen gerichtete wahrnehmende Wahrheits-Bewußtsein, prajnana, uns viel näher und ist darum auch für unser Begreifen zugänglicher, denn es wirft die Schatten des Funktionierens unserer Mentalkräfte viel mehr voraus als die entlegenere Realisation, die wir bisher in unserer unzureichenden Sprache des Intellekts auszudrücken uns bemühten. Die Schranke, über die wir hinwegkommen müssen, ist nicht mehr so schrecklich hoch.

Kapitel XVI. Der dreifache Status des Supramentals

Mein Selbst ist das, was alle Wesen fördert und ihr Dasein begründet... Ich bin das Selbst, das in allen Wesen wohnt.

Gita, IX. 5., X.20.

Drei Mächte von Licht stützen drei leuchtende göttliche Welten.

Rig Veda, V. 29.1.

Bevor wir zu dieser leichter verständlichen Deutung der Welt, die wir bewohnen, vom Standpunkt eines wahrnehmenden Wahrheits-Bewußtseins übergehen, das die Dinge so sieht, wie eine individuelle Seele sie schauen würde, die von den mentalen Begrenzungen befreit und zugelassen ist zur Teilnahme am Wirken des Göttlichen Supramentals, müssen wir innehalten und kurz zusammenfassen, was wir vom Bewußtsein des Herrn, des ishvara, erkannt haben und noch erkennen können, wie Er die Welt durch Seine maya aus der ursprünglichen konzentrierten Einheit Seines Wesens zur Entfaltung bringt.

Wir sind von der Feststellung ausgegangen, daß alles, was ist, ein einziges Sein ist, dessen wesenhafte Natur Bewußtsein ist. Die aktive Natur dieses einen Bewußtseins ist Kraft oder Wille. Dieses Sein ist tiefe Freude, dieses Bewußtsein ist tiefe Freude, diese Kraft oder dieser Wille ist tiefe Freude. Ewige, unveränderliche Seligkeit von Sein, Seligkeit von Bewußtsein, Seligkeit von Kraft oder Wille, – ob diese in sich selbst konzentriert und in Ruhe oder ob sie aktiv und schöpferisch ist, – das ist Gott und das sind wir selbst in unserem wesenhaften, nicht-phänomenalen Sein. Wenn es in sich selbst konzentriert ist, besitzt oder besser ist es die wesenhafte, ewige, unveränderliche Seligkeit. Ist es aktiv und schöpferisch, besitzt es oder besser wird es zur seligen Freude des Spiels von Sein, des Spiels von Bewußtsein, des Spiels von Kraft und Willen. Das Spiel ist das Universum, und die Seligkeit ist einzig und allein Ursache, Motiv und Zweck kosmischen Daseins. Das Göttliche Bewußtsein besitzt in sich dieses Spiel und diese Seligkeit ewig und unveränderlich. Unser wesenhaftes Sein, unser wirkliches Selbst, das vor uns durch das falsche Selbst, das mentale Ich, verborgen ist, erfreut sich ebenso ewig und unveränderlich dieses Spiels und dieser Seligkeit. Es kann gar nicht anders, da es im Wesen eins ist mit dem Göttlichen Bewußtsein. Wenn wir also ein göttliches Leben erstreben, können wir es auf keinem anderen Weg erlangen, als daß wir dieses verhüllte Selbst in uns enthüllen, daß wir uns aus unserem gegenwärtigen Status im falschen Selbst oder mentalen Ich in einen höheren Status, in das wahre Selbst, das atman, erheben, indem wir in die Einheit mit jenem Göttlichen Bewußtsein eingehen, an dem sich etwas Überbewußtes in uns immer erfreut – sonst könnten wir gar nicht existieren –, das aber unsere bewußte Mentalität verwirkt hat.

Wenn wir aber dergestalt einerseits die Einheit von saccidananda und die zerteilte Mentalität andererseits feststellen, richten wir zwei entgegengesetzte Bereiche auf, von denen der eine falsch sein muß, wenn man den anderen für wahr halten, der eine beseitigt werden muß, wenn man sich am anderen erfreuen will. Nun existieren wir aber auf Erden im Mental und in seiner Form von Leben und Körper, und göttliches Leben wäre hier unmöglich, wenn wir das Bewußtsein von Mental, Leben und Körper abschaffen müßten, um das eine Sein, Bewußtsein und seine Seligkeit zu erlangen. Wir müßten dann die kosmische Existenz als Illusion aufgeben, um das Transzendente zu genießen oder es wieder zu werden. Hier gibt es ein Entrinnen nur, wenn es ein Vermittlungsglied zwischen beiden gibt, das sie einander erklären und zwischen ihnen eine solche Beziehung herstellen kann, die es uns ermöglicht, das eine Sein, Bewußtsein und seine Seligkeit in der Gestalt von Mental, Leben und Körper zu verwirklichen.

Dieses Verbindungsglied existiert. Wir nennen es das Supramental oder das Wahrheits-Bewußtsein, weil es ein der Mentalität übergeordnetes Prinzip ist und in der fundamentalen Wahrheit und in der Einheit der Dinge und nicht, wie das Mental, in deren Erscheinungsformen und phänomenalen Zerteilungen existiert, handelt und vorwärtsgeht. Die Existenz des Supramentals ist eine logische Notwendigkeit, die sich unmittelbar aus unserer Ausgangsposition ergibt. Denn saccidananda muß an sich ein raumloses und zeitloses Absolutes bewußten Seins sein, das Seligkeit ist. Die Welt ist jedoch im Gegensatz dazu eine Ausdehnung in Zeit und Raum und eine Bewegung, Ausarbeitung und Entfaltung von Beziehungen und Möglichkeiten durch Kausalität – oder durch das, was uns als solche erscheint – in Zeit und Raum. Der wahre Name für diese Kausalität ist Göttliches Gesetz. Das Wesentliche dieses Gesetzes ist eine unbeirrbare Selbst-Entfaltung der Wahrheit der Sache, die, als Idee, im wahren Wesen dessen enthalten ist, was entwickelt wird. Es ist eine im voraus festgelegte Bestimmung relativer Bewegungen aus dem Stoff unendlicher Möglichkeit. Was alle Dinge so zur Entfaltung bringt, muß ein Wissens-Wille oder eine bewußte Kraft sein; denn die gesamte Manifestation des Universums ist ein Spiel der Bewußten Kraft, die die wesenhafte Natur des Seins ist. Aber der entfaltende Wissens-Wille kann nicht mental sein; denn das Mental kennt, besitzt und lenkt dieses Gesetz nicht, vielmehr wird es selbst durch es regiert, ist eines seiner Resultate, bewegt sich innerhalb der Erscheinungen der Selbst-Entfaltung und nicht an ihrer Wurzel, beobachtet die Ergebnisse der Entfaltung als getrennte Dinge und ringt vergebens darum, zu ihrem Ursprung und ihrer Wirklichkeit zu gelangen. Außerdem muß dieser Wissens-Wille, der alles zur Entwicklung bringt, im Besitz der Einheit der Dinge sein und aus ihr deren Vielfalt manifestieren. Das Mental ist aber nicht im Besitz jener Einheit. Es verfügt nur über einen unvollkommenen Besitz eines Teils der Vielfalt.

Darum muß ein dem Mental übergeordnetes Prinzip vorhanden sein, das die Bedingungen erfüllt, vor denen das Mental versagt. Zweifellos ist saccidananda selbst dieses Prinzip, aber nicht jenes, das in seinem reinen unendlichen unveränderlichen Bewußtsein ruht, sondern jenes, das aus diesem ursprünglichen Status der Ruhe heraustritt oder sich auf ihn als seine Grundlage stellt, in ihm wie in einem Behältnis verbleibt und in eine Bewegung eingeht, die seine Form von Energie und sein Instrument für kosmische Schöpfung ist. Bewußtsein und Kraft sind die wesenhaften Zwillingsaspekte der reinen Macht des Seins. Wissen und Wille müssen darum die Form sein, die jene Macht in der Ausdehnung von Zeit und Raum annimmt, um eine Welt gegenseitiger Beziehungen zu erschaffen. Dieses Wissen und dieser Wille müssen eins sein, unendlich, allumfassend, allbesitzend, allgestaltend, sie müssen ewig in sich festhalten, was saccidananda in Bewegung und Gestalt ausprägt. So ist also das Supramental ein Wesen, das nach außen in ein bestimmendes Selbst-Wissen hinaustritt, das gewisse Wahrheiten seiner selbst wahrnimmt und sie in einer zeitlichen und räumlichen Ausdehnung seines eigenen zeitlosen und raumlosen Seins realisieren will. Was in seinem eigenen Wesen enthalten ist, nimmt Form an als Selbst-Wissen, als Wahrheits-Bewußtsein, als Real-Idee; da dieses Selbst-Wissen auch Selbst-Kraft ist, erfüllt und verwirklicht es sich unvermeidlich in Zeit und Raum.

Das ist also die Natur des Göttlichen Bewußtseins, das in sich selbst alle Dinge durch eine Bewegung seiner bewußten Kraft erschafft und ihre Entwicklung durch Selbst-Evolution mittels eines eingeborenen Wissens-Willens der Wahrheit des Seins oder der Real-Idee regiert, die jene gebildet hat. Das Wesen, das auf diese Weise um sich selbst weiß, nennen wir Gott. Offensichtlich muß Er allgegenwärtig, allwissend und allmächtig sein. Allgegenwärtig, denn alle Formen sind Gestaltungen Seines bewußten Wesens, durch dessen Kraft der Bewegung in seiner eigenen Ausdehnung als Raum und Zeit erschaffen; allwissend, denn alle Dinge existieren in Seinem bewußten Wesen, sind durch es geformt und werden in seinem Besitz behalten; allmächtig, denn dies alles besitzende Bewußtsein ist auch eine alles besitzende Kraft und ein alles gestaltender Wille. Dieser Wille und dieses Wissen liegen nicht miteinander im Kampf, wie unser Wille und unser Wissen einander widerstreiten können, denn sie sind nicht verschieden, sondern eine einzige Bewegung desselben Wesens. Gegen sie kann kein anderer Wille, keine andere Kraft und kein anderes Bewußtsein von außen oder innen her Widerspruch erheben, denn es gibt kein Bewußtsein und keine Kraft, die außerhalb von dem Einen wäre, und alle Energien und Gestaltungen von Wissen in ihm sind nichts anderes als das Eine. Sie sind nur ein Spiel des einen alles bestimmenden Willens und des einen alles harmonisierenden Wissens. Was wir als Zusammenprall verschiedener Willenstendenzen und Kräfte sehen – da wir ja im Gesonderten und Zertrennten leben und das Ganze nicht schauen können –, betrachtet das Supramental als die konspirierenden Elemente einer im voraus bestimmten Harmonie, die ihm immer gegenwärtig ist, denn das Ganze der Dinge wird ewig von seinem Blick umfaßt.

Welche Balance der Kräfte oder Form sein Wirken auch annimmt, es wird immer von der Art des göttlichen Bewußtseins sein. Da aber sein Sein in sich selbst absolut ist, ist auch seine Seins-Macht in ihrer Ausdehnung absolut und darum nicht auf eine einzige Kräfte-Balance oder Form von Wirken begrenzt. Wir menschlichen Wesen sind nach unserer äußeren Erscheinung eine besondere Gestaltung von Bewußtsein. Wir sind Zeit und Raum unterworfen. Wir können darum in unserem vordergründigen Bewußtsein – das alles ist, was wir von uns selbst kennen – zur gleichen Zeit nur ein einziges Ding, eine Formation, ein Kräfte-Gleichgewicht des Wesens, ein Aggregat von Erfahrung sein. Dies eine ist für uns die Wahrheit unserer selbst, die wir anerkennen. Alles übrige ist entweder nicht wahr, oder es ist nicht mehr wahr, denn es ist aus unserem Gesichtskreis in die Vergangenheit entschwunden; oder es ist noch nicht wahr, weil es noch in der Zukunft wartet und nicht im Horizont unseres Erkennens liegt. Das göttliche Bewußtsein ist aber nicht so spezialisiert und nicht so begrenzt. Es kann zur selben Zeit viele Dinge zugleich sein und mehr gestalten als nur ein Kräfte-Gleichgewicht auf Dauer oder sogar für alle Zeiten. Wir finden im Prinzip des Supramentals selbst drei solcher allgemeinen Kräfte-Gleichgewichte oder Grundformen für sein die Welt begründendes Bewußtsein. Die erste begründet die unveränderliche Einheit der Dinge. Die zweite modifiziert diese Einheit, um die Manifestation der Vielen im Einen und des Einen in Vielen zu fördern und zu erhalten. Die dritte modifiziert es noch weiter, um die Evolution einer unterschiedlichen Individualität zu unterstützen, die in uns, durch das Wirken der Unwissenheit, auf einer niederen Ebene zur Illusion des gesonderten Ichs wird.

Wir haben gesehen, welches die Natur dieses ersten und primären Kräfte-Gleichgewichts des Supramentals ist, das die unveränderliche Einheit der Dinge begründet. Es ist nicht das reine unitarische Bewußtsein. Denn das ist eine zeit- und raumlose Konzentration von saccidananda in sich selbst, in der sich die Bewußte Kraft nicht in irgendeine Art von Ausbreitung verausgabt: Wenn sie überhaupt das Universum in sich enthält, besitzt sie es in ewiger Potenz, nicht in zeitlicher Aktualität. Im Gegensatz dazu ist es eine gleichmäßige Selbst-Ausdehnung von saccidananda, die alles zusammenfaßt, alles besitzt und alles konstituiert. Dies alles ist aber Eines, nicht eine Vielzahl. Es gibt keine Individualisierung. Wenn der Widerschein des Supramentals auf unser stillgelegtes und geläutertes Selbst fällt, verlieren wir jedes Empfinden von Individualität. Denn hier gibt es keine Konzentration von Bewußtheit, die eine individuelle Entfaltung unterstützen könnte. Alles ist in der Einheit und als eines entfaltet. Alles wird durch dieses göttliche Bewußtsein als Gestaltung seines Seins, nicht als gesonderte Existenzen zusammengehalten. Das ist etwa so, wie uns die in unserem Mental auftauchenden Gedanken und Bilder nicht als gesonderte Wesenheiten vorkommen, sondern als Gestaltungen, die von unserem Bewußtsein gebildet wurden. So ist es auch mit allen Namen und Formen in bezug auf dieses primäre Supramental. Das ist reine göttliche Ideen-Bildung und Gestaltung im Unendlichen, aber eine Ideation und Gestaltung, die nicht wie ein unwirkliches Spiel mentalen Denkens organisiert ist, sondern als wirkliches Spiel bewußten Wesens. Im diesem Kräfte-Ausgleich würde die göttliche Seele keinen Unterschied zwischen Bewußter Seele und Kraft-Seele machen, denn alle Kraft wäre ein Wirken von Bewußtsein. Auch würde sie nicht zwischen Materie und Geist unterscheiden, denn jede materielle Prägeform wäre einfach Form von Geist.

Bei dem sekundären Kräfte-Gleichgewicht des Supramentals tritt das göttliche Bewußtsein in der Idee hinter die Bewegung zurück, die es enthält. Es verwirklicht sie durch eine Art verstehenden Bewußtseins, es folgt ihr, nimmt sie in Besitz und bewohnt ihre Werke, es scheint sich selbst in ihre Gestaltungen zu verteilen. In jedem Namen und jeder Form würde es sich als das stabile Bewußte Selbst, als dasselbe in allem verwirklichen. Aber es würde sich auch als eine Konzentration von Bewußtem Selbst realisieren, das dem individuellen Spiel von Bewegung folgt, es fördert und dessen Differenzierung von anderem Bewegungs-Spiel stützt, – dabei in der Seelen-Wesenheit überall dasselbe sein, doch verschieden in der Seelen-Form. Diese Konzentration, die die Seelen-Form fördert, wäre das individuelle Göttliche Wesen, jivatman, im Unterschied zum universalen Göttlichen Wesen oder dem einen alles konstituierenden Selbst. Da würde es keinen wesenhaften Unterschied geben, nur einen praktischen für das Spiel, der die wahre Einheit nicht aufheben würde. Das universale Göttliche Wesen würde alle Seelen-Gestaltungen als sich selbst anerkennen und trotzdem eine unterschiedliche Beziehung zu jeder getrennt und ebenso auch in jeder zu allen anderen unterhalten. Das individuelle Göttliche Wesen würde sein Sein als eine Seelen-Form und Seelen-Bewegung des Einen ansehen und einerseits durch das umfassend verstehende Wirken von Bewußtsein seine Einheit mit dem Einen und mit allen Seelen-Gestaltungen genießen, andererseits auch durch ein nach vorwärts und nach außen gerichtetes wahrnehmendes Wirken seine individuelle Bewegung unterstützen und sich in ihr seiner Beziehungen einer freien Unterschiedlichkeit in Einheit sowohl zu dem Einen wie auch zu allen seinen Gestaltungen erfreuen. Würde unser geläutertes Mental dieses sekundäre Kräfte-Gleichgewicht des Supramentals widerspiegeln, unsere Seele könnte ihr individuelles Dasein fördern und besitzen und sich gerade darin als das Eine realisieren, das zu allen geworden ist, alle bewohnt und alle in sich enthält. Sie könnte gerade in ihrer besonderen Gestaltung ihre Einheit mit Gott und ihren Mitmenschen pflegen. In keinem anderen Zustand supramentalen Seins würde eine charakteristische Veränderung eintreten. Die einzige Veränderung wäre dieses Spiel des Einen, das seine Vielfalt manifestiert, und der Vielen, die immer noch eines sind, mit allem, das nötig ist, um dieses Spiel in Gang zu halten und durchzuführen.

Ein tertiärer Kräfte-Ausgleich des Supramentals würde eintreten, wenn die zugrunde liegende Konzentration sozusagen nicht länger im Hintergrund der Bewegung stehen, sie mit einer gewissen Überlegenheit bewohnen, ihr in dieser Weise nachfolgen und sich an ihr freuen würde, sondern es sich selbst in die Bewegung hinausprojizieren und in gewisser Weise ihr involvieren würde. Hier würde sich der Charakter des Spiels zwar verändern, doch nur insofern, als nun das individuelle Göttliche Wesen das Spiel der Beziehungen zum Universalen und zu den anderen Gestaltungen auf so vordringliche Weise zum praktischen Feld seiner bewußten Erfahrung machen würde, daß die Realisation seiner äußersten Einheit mit ihnen nur noch eine überragende Begleiterscheinung, ständiger Höhepunkt aller Erfahrung sein würde. Im höheren Kräfte-Ausgleich wäre jedoch die Einheit noch die vorherrschende und fundamentale Erfahrung, die Variation wäre nur ein Spiel der Einheit. Das tertiäre Kräfte-Gleichgewicht wäre also eine Art fundamentalen seligen Dualismus innerhalb der Einheit – nicht mehr Einheit, die durch untergeordneten Dualismus qualifiziert wird – von individuellem Göttlichen Wesen und seinem universalen Ursprung mit allen Konsequenzen, die aus der Aufrechterhaltung und Durchführung eines solchen Dualismus entstünden.

Man kann sagen, die erste Konsequenz wäre ein Hinabsinken in die Unwissenheit von avidya, das die Vielen als die wirkliche Tatsache des Daseins ansieht und den Einen nur als kosmische Summe der Vielen betrachtet. Ein solcher Absturz müßte aber nicht notwendigerweise erfolgen. Denn das individuelle Göttliche Wesen wäre immer noch seiner selbst bewußt als hervorgegangen aus dem Einen und seiner Macht zu bewußter Selbst-Schöpfung, das heißt, seiner vielfältigen Selbst-Zentrierung, die so konzipiert ist, daß das Eine sein vielfältiges Sein in der Ausdehung von Zeit und Raum mannigfach lenken und genießen kann. Dieses wahre spirituelle Individuum würde sich kein unabhängiges oder abgesondertes Dasein anmaßen. Es würde nur die Wahrheit der differenzierenden Bewegung zugleich mit der Wahrheit der feststehenden Einheit betonen und sie als oberen und unteren Pol derselben Wahrheit und als Fundament und höchste Höhe desselben göttlichen Spiels ansehen. Es würde Nachdruck legen auf die Freude an der Differenzierung als notwendig für die Fülle der Freude an der Einheit.

Offenbar würden die drei Kräfte-Gleichgewichte verschiedene Wege sein, mit derselben Wahrheit umzugehen. Die dabei erlebte Freude an der Wahrheit des Seins wäre dieselbe, doch wäre die Art, sie zu genießen, oder vielmehr die Kräfte-Balance der Seele beim Genießen verschieden. Die Seligkeit, ananda, wäre verschiedenartig, sie würde aber immer innerhalb des Status des Wahrheits-Bewußtseins bleiben und nicht zum Absturz in Unwahrheit und Unwissenheit führen. Denn das sekundäre und tertiäre Supramental würde nur in den Begriffen der göttlichen Vielfalt das entwickeln und anwenden, was das primäre Supramental in den Begriffen der göttlichen Einheit enthalten hatte. Wir dürfen also keines dieser drei Kräfte-Gleichgewichte mit dem Stigma von Unwahrheit und Illusion belasten. Wenn die Upanishaden, die höchste Autorität des Altertums in bezug auf die Wahrheiten höherer Erfahrung, vom Göttlichen Sein sprechen, das sich manifestiert, setzen sie die Gleichwertigkeit all dieser Erfahrungen voraus. Wir können nur die Priorität des Einsseins gegenüber der Vielfalt betonen; das ist aber keine zeitliche, sondern bewußtseinsmäßige Priorität. Keine Aussage einer höchsten spirituellen Erfahrung, keine vedantische Philosophie bestreitet diese Priorität oder die ewige Abhängigkeit der Vielen von dem Einen. Weil die Vielen nicht in der Zeit ewig zu sein scheinen, sondern sich aus dem Einen manifestieren und wieder dorthin als in ihre Seins-Grundlage zurückkehren, wird ihnen ihre Realität bestritten. Man könnte aber mit demselben Recht folgern, die ewige Dauer oder, wenn man so will, die ewige Wiederkehr sei ein Beweis dafür, daß die göttliche Vielfalt nicht weniger eine ewige Tatsache des Höchsten jenseits der Zeit ist als die göttliche Einheit. Andernfalls könnte sie nicht die Eigenschaft unvermeidlicher ewiger Wiederkehr in der Zeit haben.

Tatsächlich ergibt sich die Notwendigkeit für diese einander bekämpfenden Schulen der Philosophie nur aus der Tatsache, daß die menschliche Mentalität ausschließlich auf die eine Seite der spirituellen Erfahrung Nachdruck legt und behauptet, diese sei die einzige ewige Wahrheit, und daß sie dies in den Begriffen unserer alles zerteilenden mentalen Logik darstellt. Wenn wir also die alleinige Wahrheit des unitarischen Bewußtseins betonen, beobachten wir das Spiel der göttlichen Einheit, das von unserem Mental irrtümlich in die Begriffe einer wirklichen Differenz übersetzt wird. Wir begnügen uns aber nicht damit, diesen Irrtum des Mentals durch die Wahrheit eines höheren Prinzips zu korrigieren, sondern behaupten, das Spiel selbst sei eine Illusion. Oder wir legen den Nachdruck auf das Spiel des Einen in den Vielen und heben eine qualifizierte Einheit hervor, betrachten die individuelle Seele als eine Seelen-Form des Höchsten, wollen so die Ewigkeit dieses qualifizierten Daseins betonen und bestreiten dabei die Erfahrung reinen Bewußtseins in einer unqualifizierten Einheit. Oder wir betonen allein das Spiel der Unterschiedlichkeit, behaupten, der Höchste und die menschliche Seele seien auf ewig verschieden, und bestreiten so die Gültigkeit einer Erfahrung, die über diese Unterschiedlichkeit hinausgeht und sie offenbar aufhebt. Die Position, die wir hier eingenommen haben, befreit uns von der Notwendigkeit solcher Verneinungen und Ausschließungen: Wir sehen, daß es hinter all diesen Behauptungen eine Wahrheit gibt. Wir erkennen zugleich die Übertreibung, die zu einer schlecht begründeten Verneinung führt. Wir bejahen, wie wir es getan haben, die unbedingte Absolutheit von Jenem, das durch unsere Vorstellung von Einheit ebensowenig eingeschränkt wird wie durch unsere Ideen von Vielheit. Wir bejahen die Einheit als Grundlage der Manifestation der Vielheit und die Vielheit als Grundlage der Rückkehr zur Einheit und zum Erleben der Einheit in der göttlichen Manifestation. Wir brauchen also nicht unsere jetzige Darstellung mit diesen Diskussionen zu belasten oder die vergebliche Arbeit auf uns zu nehmen und die absolute Freiheit des Göttlichen Unendlichen zum Sklaven unserer mentalen Unterscheidungen und Definitionen zu machen.

Kapitel XVII. Die Göttliche Seele

Wie sollte er, dessen Selbst zu allen Wesen im Dasein geworden ist, da er das Wissen besitzt, getäuscht werden, und worüber soll er Kummer haben, er, der überall das Einssein schaut?

Isha Upanishad, Vers

Durch die Auffassung, die wir uns vom Supramental gebildet haben, indem wir es dem Mentalwesen gegenüberstellten, auf das sich unser menschliches Dasein gründet, können wir uns eine genaue, nicht bloß vage Vorstellung von Göttlichkeit und dem göttlichen Leben bilden. Wir wären sonst dazu verurteilt, diese Ausdrücke verschwommen und als ungenaue Bezeichnung für ein weites, fast unausdrückbares Streben zu gebrauchen. Darüber hinaus können wir nun diesen Ideen eine feste Grundlage philosophischen Vernunft-Denkens geben. Wir können sie in klare Beziehung zum menschlichen Wesen und Leben setzen – das alles ist, woran wir uns gegenwärtig erfreuen – und können unsere Hoffnung und unser Streben gerade durch die Eigenart der Welt, unserer eigenen kosmischen Vorfahren und die unausweichliche Zukunft unserer Evolution rechtfertigen. Wir fangen an, intellektuell zu begreifen, was das Göttliche Wesen, die Ewige Wirklichkeit, ist, und zu verstehen, wie die Welt aus ihm entstand. Wir verstehen auch immer besser, wie das, was aus dem Göttlichen Wesen kam, unvermeidlich zu ihm zurückkehren muß. Nun können wir uns mit Aussicht auf Gewinn für uns und eine klarere Antwort fragen, wie wir uns selbst umwandeln und was wir werden müssen, um dorthin zu gelangen, in unserer Natur, in unserem Leben und in unseren Beziehungen zu anderen und nicht nur durch einsame ekstatische Realisation in den Tiefen unseres Wesens. Gewiß gibt es in unseren Voraussetzungen noch einen Mangel. Denn wir haben uns bisher bemüht, für uns selbst zu definieren, was das Göttliche Wesen in seinem Herniederkommen in die begrenzte Natur ist, während das, was wir tatsächlich sind, das Göttliche Wesen im individuellen Menschen ist, das aus der begrenzten Natur zurück zu seiner eigenen wahren Göttlichkeit emporsteigt. Dieser Unterschied der Bewegung muß auch ein Unterschied zwischen dem Leben der Götter, die niemals den Absturz gekannt haben, und dem Leben des erlösten Menschen sein, der die verlorene Göttlichkeit gewonnen hat und die Erfahrung und vielleicht auch die neuen Reichtümer in sich trägt, die er sammeln konnte, indem er das Herniederkommen bis in die äußersten Tiefen annahm. Trotzdem kann es keinen Unterschied in den wesentlichen Eigenschaften geben, sondern nur in der äußeren Prägung und Färbung. Auf der Grundlage unserer Schlußfolgerungen können wir schon jetzt mit Gewißheit die wesentlichen Züge des göttlichen Lebens darstellen, nach dem wir streben.

Wie würde nun das Dasein einer göttlichen Seele sein, die nicht durch den Absturz des Geistes in die Materie und durch die Verfinsterung der Seele durch die materielle Natur in die Unwissenheit herabgesunken ist? Wie würde ihr Bewußtsein sein, würde sie so, wie das Göttliche Sein selbst, in der ursprünglichen Wahrheit der Dinge, in der unveränderlichen Einheit, in der Welt ihres eigenen unendlichen Wesens leben, dabei aber fähig sein, durch das Spiel der Göttlichen maya und durch die Unterscheidung des (intuitiv) begreifenden und (logisch) erfassenden Wahrheits-Bewußtseins, ihre Verschiedenheit von Gott zugleich als Einheit mit Ihm zu genießen und im unendlichen Spiel des selbst-vervielfachten Identischen Verschiedenheit und dennoch Einheit mit anderen göttlichen Seelen zugleich zu umfassen?

Offensichtlich wäre das Sein einer solchen Seele durch ihr Selbst stets im bewußten Spiel von saccidananda enthalten. Es wäre in seinem Wesen reines und unendliches Selbst-Sein, in seinem Werden ein freies Spiel unsterblichen Lebens, in das Tod, Geburt und Wechsel des Körpers nicht eindringen, da die Seele nicht durch Unwissenheit verdunkelt und nicht in die Finsternis unseres materiellen Wesens involviert ist. Ihr Sein wäre in seiner Kraft reines, unbegrenztes Bewußtsein, gelassen in ewiger leuchtender Ruhe als ihrem Fundament und doch fähig, frei mit Gestaltungen von Erkenntnis und Formen von bewußter Macht zu spielen: ruhig, unbeirrt durch das Straucheln mentalen Irrtums und die Mißgriffe unseres ringenden Willens, da sie nie von Wahrheit und Einssein abweicht, nie aus dem ihr eingeborenen Licht und der natürlichen Harmonie ihres göttlichen Seins herausfällt. Schließlich wäre sie in ihrer ewigen Selbst-Erfahrung reine unveränderliche Seligkeit und in der Zeit eine freie Variation von Entzücken, nicht beeinträchtigt, da in ihrem Wesen unzerteilt, durch unsere Verkehrtheiten wie Abneigung, Haß, Unzufriedenheit und Leiden, nicht gehemmt durch Eigenwillen und nicht entstellt durch den ignoranten Antrieb von Verlangen.

Das Bewußtsein der göttlichen Seele wäre aus keinem Teil der unendlichen Wahrheit ausgeschlossen. Es wäre durch kein Kräfte-Gleichgewicht und keinen Status, den sie in ihren Beziehungen zu anderen annehmen könnte, begrenzt und zu keinem Verlust an Selbst-Wissen deshalb verurteilt, weil sie rein phänomenale Individualität und das Spiel praktischer Differenzierung angenommen hat. In ihrer Selbst-Erfahrung würde sie ewig in der Gegenwart des Absoluten leben. Für uns ist das Absolute nur ein intellektueller Begriff undefinierbaren Seins. Der Intellekt sagt uns einfach: Es gibt ein brahman, das höher ist als das Höchste, paratpara, ein Unerkennbares, das sich selbst erkennt auf eine andere Art als die unseres Erkennens. Aber der Intellekt kann uns nicht in seine Nähe bringen. Da die göttliche Seele in der Wahrheit der Dinge lebt, würde sie, im Gegensatz dazu, immer sich selbst bewußt als Manifestation des Absoluten empfinden. Sie würde ihres unveränderlichen Seins als der ursprünglichen “Selbst-Form”, svarupa, jenes Transzendenten, des saccidananda, innesein. Sie würde ihr Spiel bewußten Wesens gewahren als eine Manifestation von Jenem in Formen von saccidananda. In jeder Art des Zustands oder Wirkens der Erkenntnis wäre ihr durch eine Form veränderlichen Selbst-Erkennens das Unerkennbare gegenwärtig, das um sich selbst weiß. In jedem Zustand und Wirken von Macht, Willen oder Kraft würde sie durch eine Form bewußter Macht des Wesens und Wissens der Transzendenz bewußt sein, die sich selbst besitzt. In jedem Zustand und Wirken von Seligkeit, Freude und Liebe würde sie durch eine Form bewußten Erlebens ihres Selbsts der Transzendenz innesein, die sich selbst umarmt. Diese Gegenwart des Absoluten würde für die göttliche Seele nicht ein gelegentlicher flüchtiger Anblick sein oder einer, zu dem sie schließlich nur mit Schwierigkeit gelangt und den sie als zusätzlichen Gewinn oder als höchste Erfahrung festhält, die ihr über ihren gewöhnlichen Seins-Zustand hinaus beschert wird. Sie wäre vielmehr die eigentliche Grundlage ihres Wesens sowohl in der Einheit wie in der Verschiedenheit. Sie wäre ihr gegenwärtig bei allem Erkennen, Wollen, Tun und Genießen, nie von ihr abwesend: weder von ihrem zeitlosen Selbst noch von irgendeinem Augenblick in der Zeit, weder von ihrem raumlosen Wesen noch von irgendwelcher Bestimmung ihres ausgedehnten Daseins, weder von ihrer durch keine Bedingungen beeinträchtigten Reinheit jenseits von Ursache und Umstand, noch von irgendeiner Beziehung des Umstands, der Bedingung und Kausalität. Diese ständige Gegenwart des Absoluten wäre also die Basis ihrer unendlichen Freiheit und Seligkeit. Sie würde ihre Sicherheit im Spiel gewiß machen und ihr Wurzel, Saft und Essenz ihres göttlichen Wesens gewähren.

Eine solche göttliche Seele würde ferner zugleich in den beiden Begriffen des ewigen Seins von saccidananda, in der untrennbaren Bi-Polarität der Selbst-Entfaltung des Absoluten leben, die wir das Eine und die Vielen nennen. Alles Seiende lebt in Wirklichkeit so. Für unsere geteilte Selbst-Bewußtheit gibt es etwas Unvereinbares, eine Kluft zwischen den beiden, die uns zu einer Entscheidung treibt, entweder in der Vielfalt zu leben, die verbannt ist aus dem unmittelbaren und vollständigen Bewußtsein des Einen, oder in der Einheit, die das Bewußtsein der Vielen zurückweist. Die göttliche Seele würde nicht unter diese Trennung und Dualität versklavt sein. Sie wäre in sich selbst sofort der unendlichen Selbst-Konzentration sowie der unendlichen Selbst-Ausdehnung und Ausbreitung bewußt. Sie würde zugleich das Eine gewahren, das in seinem unitarischen Bewußtsein die zahllose Vielfalt in sich enthält – als sei sie potentiell, unausgedrückt und darum für unsere mentale Erfahrung dieses Zustands nicht-existent – und das Eine, das in seinem ausgebreiteten Bewußtsein die Vielfalt enthält, nach außen geworfen und aktiv als das Spiel seines eigenen bewußten Wesens, Wollens und Seligseins. Die göttliche Seele wäre so in gleicher Weise der Vielen inne, die das Eine, das der ewige Ursprung und die Wirklichkeit ihres Daseins ist, immer zu sich herniederziehen, und jener Vielen, die, angezogen von dem Einen, immer zu ihm emporsteigen, weil es höchste Höhe und wonnevolle Rechtfertigung all ihres Spiels der Verschiedenheit ist. Diese weite Betrachtung der Dinge ist die Prägeform des Wahrheits-Bewußtseins, die Grundlage der großen Wahrheit und des Richtigen, die von den vedischen Sehern in ihren Hymnen gepriesen werden. Diese Einheit aller einander gegenüberstehenden Begriffe ist das wahre advaita, das höchste umfassende Wort der Erkenntnis des Unerkennbaren.

Die göttliche Seele wird jeder Variation von Wesen, Bewußtsein, Willen und Seligkeit innesein als des Ausströmens, der Ausbreitung und Ausgießung jener in sich selbst konzentrierten Einheit, die sich entfaltet – nicht in Verschiedenheit und Zertrennung, sondern in eine andere, weit ausgebreitete Form unendlicher Einheit. Sie selbst wird in der Wesenhaftigkeit ihres Seins immer im Einssein konzentriert und manifestiert sein bei unterschiedlicher Ausdehnung ihres Wesens. Alles was in ihr selbst Form annimmt, werden die offenbarten Potentialitäten des Einen sein: das Wort oder der Name, die aus dem namenlosen Schweigen hervorschwingen; die Form, die die formlose Wesenhaftigkeit verwirklicht; der aktive Wille oder die Macht, die aus der ruhigen Kraft hervorgehen; der Strahl der Selbst-Kenntnis, der aus der Sonne zeitlosen Selbst-Inneseins hervorbricht; die Woge des Werdens, die aus dem ewig seiner selbst bewußten Sein in die Gestaltung eines selbst-bewußten Daseins emporsteigt; die Freude und Liebe, die immer aus der ewigen stillen Seligkeit hervorquellen. Das wird das in seiner Selbst-Entfaltung zwei-einige Absolute sein, und jede Relativität in ihm wird sich selbst gegenüber absolut sein, da sie ihrer gewahr wird als das manifestierte Absolute, jedoch ohne jene Unwissenheit, die andere Relativitäten als ihrem eigenen Wesen fremd oder weniger vollständig als sie selbst ausschließt.

in der Ausdehnung wird die göttliche Seele drei Grade des supramentalen Seins wahrnehmen, jedoch nicht so, wie wir sie durch unser Mental betrachten müssen, als verschiedene Grade, sondern als ein dreieiniges Faktum der Selbst-Offenbarung von saccidananda. Sie wird sie in ein und derselben intuitiv begreifenden Selbst-Realisation umfassen können, denn die Fähigkeit zu solch einem umfassenden Begreifen ist die Grundlage des der Wahrheit bewußten Supramentals. Sie wird in göttlicher Weise alle Dinge als das Selbst begreifen, verstehen und erfühlen, als ihr eigenes Selbst, als das eine Selbst aller, als das eine Selbst-Seiende und Selbst-Werden, jedoch nicht aufgeteilt in seinen Werdeformen, da sie, losgetrennt von seinem eigenen Selbst-Bewußtsein, kein Dasein besitzen. Sie wird in göttlicher Weise alle Wesen im Dasein begreifen, verstehen und erfühlen als Seelen-Gestaltungen des Einen, von denen jedes sein eigenes Wesen im Einen hat, seinen eigenen festen Stand im Einen, seine eigenen Beziehungen zu allen anderen existierenden Wesen, die die unendliche Einheit bevölkern, aber alle von dem Einen abhängen, eine bewußte Form von Ihm in Seiner eigenen Unendlichkeit. Die Seele wird in göttlicher Weise all diese Seienden begreifen, verstehen und erfühlen können in ihrer Individualität, an ihrem besonderen Ort lebend als das individuelle Göttliche Wesen, jedes den innewohnenden Einen und Höchsten besitzend. Darum ist keines nur eine Form oder Truggestalt, illusorischer Teil eines wirklichen Ganzen, bloß schäumende Woge auf der Oberfläche eines unbeweglichen Ozeans – das alles sind schließlich nur unangemessene mentale Bilder, sondern ein Ganzes im Ganzen, eine Wahrheit, die die unendliche Wahrheit wiederholt, eine Welle, die das ganze Meer ist, ein Relatives, das sich als das Absolute selbst erweist, wenn wir hinter die Form schauen und es in seiner Vollständigkeit sehen.

Denn diese drei sind Aspekte des Einen Seins. Der erste gründet sich auf jene Selbst-Erkenntnis, die, in unserer menschlichen Realisation des Göttlichen Wesens, von der Upanishad als das Selbst beschrieben wird, das in uns zu allen existierenden Wesen wird. Der zweite Aspekt ist das, was als das Schauen aller existierenden Wesen im Selbst beschrieben wird. Der dritte Aspekt des Einen Seins wird beschrieben als das Sehen des Selbsts in allen existierenden Wesen. Das Selbst, das zu allen existierenden Wesen wird, ist die Grundlage unseres Einsseins mit allen. Das Selbst, das alle Existenzen in sich enthält, ist die Basis für unser Einssein mit ihnen in der Verschiedenheit. Das Selbst, das alle bewohnt, ist die Grundlage für unsere Individualität im Universalen. Wenn der Mangel unseres Mentals, wenn sein Bedürfnis nach exklusiver Konzentration es zwingt, sich auf einen dieser Aspekte der Erkenntnis des Selbsts unter Ausschluß der anderen festzulegen, und wenn eine unvollkommene ebenso wie exklusive Realisation uns ständig dazu veranlaßt, in die eigentliche Wahrheit ein menschliches Element von Irrtum und in die umfassende Einheit ein Element von Konflikt und gegenseitiger Verneinung zu tragen, müssen sich diese Aspekte einem göttlichen supramentalen Wesen durch den wesenhaften Charakter des Supramentals, das umfassendes Einssein und unendliche Totalität ist, dennoch als dreifache, besser dreieinige Realisation darstellen.

Setzen wir voraus, diese Seele nimmt ihr Gleichgewicht, ihren Mittelpunkt im Bewußtsein des individuellen Göttlichen Wesens ein, lebt und handelt in einer fest umrissenen Beziehung zu den “anderen”, so wird sie dennoch im Fundament ihres Bewußtseins die völlige Einheit besitzen, aus der alles hervorgeht. Im Hintergrund dieses Bewußtseins wird sie die ausgebreitete und modifizierte Einheit haben. Sie wird stets zu jeder von diesen zurückkehren und von ihnen aus ihre Individualität betrachten können. Im Veda wird von den Göttern behauptet, daß sie alle diese Positionen einnehmen können. Ihrem Wesen nach sind die Götter ein einziges Sein, das die Weisen mit verschiedenen Namen bezeichnen. Ihrem Wirken nach, das auf das erhabene Wahre und Rechte gegründet ist und von da ausgeht, sagt man jedoch: Agni oder ein anderer seien zugleich alle übrigen Götter. Er ist der Eine, der zu allen wird. Zugleich sagt man von ihm, er enthalte alle Götter so in sich, wie die Nabe eines Rads alle Speichen in sich enthalte: Er ist der Eine, der alle in sich enthält. Dennoch wird er als Agni, als eine gesonderte Gottheit, beschrieben, als einer, der allen anderen hilft, sie an Kraft und Wissen übertrifft, dennoch in kosmischer Stellung ihnen untergeordnet ist und von ihnen als Bote, Priester, Arbeiter angestellt wird, – er, der Weltenschöpfer und Vater, der doch der Sohn ist, der aus unseren Werken geboren wird, er heißt das ursprüngliche und das manifestierte innewohnende Selbst oder Göttliche Wesen, der Eine, der in allen wohnt.

Die Beziehungen der göttlichen Seele zu Gott oder ihrem höchsten Selbst und zu ihren anderen Selbsten in anderen Gestalten werden durch diese umfassende Erkenntnis des Selbsts festgelegt. Diese Relationen werden Beziehungen von Seiendem, Bewußtsein und Erkenntnis, von Willen und Kraft, von Liebe und Seligkeit sein. Da sie in ihrer Variationspotenz unendlich sind, brauchen sie keine mögliche Beziehung von Seele zu Seele auszuschließen, die mit der Bewahrung des unveräußerlichen Empfindens der Einheit vereinbar ist, auch wenn dem jedes Phänomen von Verschiedenheit entgegensteht. So wird die göttliche Seele in ihren Beziehungen freudiger Art die Seligkeit ihrer ganzen eigenen Erfahrung in sich selbst haben. Sie wird die Seligkeit all ihrer Erfahrung von Beziehung zu anderen als Kommunion mit anderen Selbsten in anderen Gestalten erleben, die für ein unterschiedliches Spiel im Universum erschaffen sind. Sie wird auch die Seligkeit der Erfahrungen ihrer anderen Selbste so haben, als wären sie ihre eigenen -was sie auch wirklich sind. Sie wird die Befähigung zu alledem haben, weil sie ihre eigenen Erfahrungen, ihre Beziehungen zu anderen und die Erfahrungen anderer und deren Beziehungen zu ihr als die ganze Freude oder das ananda des Einen erlebt, des höchsten Selbsts, ihres eigenen Selbsts, dadurch differenziert, daß es alle diese Gestalten von seinem eigenen Wesen umfaßt, bewohnt und doch in der Verschiedenheit nur eines ist. Da diese Einheit die Basis all ihrer Erfahrung ist, ist sie frei von den Disharmonien unseres zerteilten Bewußtseins, das durch Unwissenheit und separatistischen Egoismus zertrennt ist. Alle diese Selbste und ihre Beziehungen werden einander bewußt in die Hände spielen. Sie werden sich trennen und wieder miteinander verschmelzen wie die zahllosen Töne einer ewigen Harmonie.

Dasselbe Gesetz wird für die Beziehungen ihres Wesens, Erkennens und Wollens zum Wesen, Erkennen und Wollen anderer gelten. Denn all ihre Erfahrung und Seligkeit wird das Spiel einer in ihrem Selbst freudvollen bewußten Kraft des Wesens sein, in dem, durch Gehorsam gegenüber dieser Wahrheit der Einheit, Wille nicht der Erkenntnis und beide nicht der Seligkeit widerstreiten können. Auch werden Erkenntnis, Wille und Seligkeit der einen Seele nicht mit Erkenntnis, Willen und Seligkeit einer anderen Seele zusammenstoßen, da dort, infolge des Inneseins ihrer Einheit, aller Zusammenstoß, Kampf und alle Disharmonie in unserem zertrennten Wesen zu einem Sichbegegnen, Sichumschließen und Wechselspiel der verschiedenen Noten einer einzigen unendlichen Harmonie wird.

In den Beziehungen zu ihrem höchsten Selbst, zu Gott, wird die göttliche Seele dieses Gefühl des Einsseins des transzendenten und universalen Göttlichen Wesens mit ihrem eigenen Wesen haben. Sie wird sich an diesem Einssein Gottes mit ihr in der eigenen Individualität und mit ihren anderen Selbsten in der Universalität erfreuen. Ihre Beziehungen der Erkenntnis werden das Spiel der göttlichen Allwissenheit sein, denn Gott ist Wissen. Was bei uns Unwissenheit ist, ist dort nur das Einbehalten von Wissen in der Ruhe eines bewußten Selbst-Inneseins, so daß gewisse Formen dieses Selbst-Gewahrseins in die Aktivität von Licht hervorgebracht werden können. Ihre Beziehungen des Willens werden dort das Spiel der göttlichen Allmacht sein, denn Gott ist Kraft, Wille und Macht. Was bei uns Schwäche und Unfähigkeit ist, wird dort das Zurückhalten von Willen in ruhiger konzentrierter Kraft sein, so daß sich gewisse Formen göttlicher bewußter Kraft verwirklichen können, indem sie in einer Form von Macht hervorgebracht werden. Ihre Beziehungen der Liebe und Seligkeit werden das Spiel göttlicher Ekstase sein, denn Gott ist Liebe und Seligkeit. Was bei uns ein Verneinen von Liebe und Seligkeit wäre, wird dort ein Zurückhalten von Freude im stillen Meer von Wonne sein, so daß gewisse Formen göttlicher Einung und Freude in aktivem Aufwallen von Wonne nach außen verströmt werden mögen. So wird für die göttliche Seele auch all ihr Werden eine Gestaltung des göttlichen Wesens in Antwort auf dieses Wirken sein. Was bei uns Aufhören, Tod, Vernichtung ist, wird nur Ruhe, Übergang oder das Zurückhalten der freudvollen schöpferischen maya im ewigen Wesen von saccidananda sein. Zugleich wird dieses Einssein Beziehungen der göttlichen Seele zu Gott, zum höchsten Selbst, nicht ausschließen, die sich auf die Freude der Verschiedenheit gründen, so daß sich die Seele deshalb aus der Einheit trennt, um sich dieser Einheit auf eine andere Weise zu erfreuen. Sie wird die Möglichkeit solcher erlesenen Formen der Freude in Gott nicht vernichten, die das höchste Entzücken des Gott-Liebenden in seiner Umarmung des Göttlichen Wesens sind.

Welches werden aber die Bedingungen sein, unter denen und durch die sich diese Lebensart der göttlichen Seele verwirklichen wird? Alle Erfahrung in einer Beziehung verläuft durch gewisse Kräfte des Wesens, die durch eine Instrumentation Gestalt annehmen, der wir die Namen von Eigenschaften, Qualitäten, Aktivitäten, Fähigkeiten geben. So wie sich etwa das Mental in verschiedenen Formen von Mental-Macht ausprägt, wie Urteil, Beobachtung, Erinnerung, Sympathie, die seinem Wesen entsprechen, so muß auch das Wahrheits-Bewußtsein oder Supramental die Beziehungen von Seele zu Seele durch Kräfte, Befähigungen, Funktionsweisen bewirken, die dem supramentalen Wesen eigentümlich sind. Andernfalls gäbe es kein Spiel der Differenzierung. Was diese Funktionsweisen sind, werden wir sehen, wenn wir später die psychologischen Bedingungen des Göttlichen Lebens betrachten. Gegenwärtig erforschen wir nur seine metaphysischen Grundlagen, seine wesenhafte Natur und Prinzipien. Hier möge die Bemerkung genügen, daß die eine wesentliche Bedingung für das Göttliche Leben Abwesenheit oder Beseitigung des separatistischen Egoismus und der wirksamen Zerteilung des Bewußtseins ist. Ihr Vorhandensein in uns konstituiert unsere Sterblichkeit und unseren Fall aus dem Göttlichen Wesen. Das ist unsere “Ur-Sünde” oder, in einer mehr philosophischen Sprache ausgedrückt, das Abirren aus der Wahrheit und aus dem Rechten des Geistes, aus seiner Einheit, Ganzheit und Harmonie, was die notwendige Voraussetzung schuf für jenen großen Absturz in die Unwissenheit, der das Abenteuer der Seele in der Welt ist und aus der unsere leidende und strebende Menschheit geboren ward.

Kapitel XVIII. Mental und Supramental

Er entdeckte, daß das Mental das brahman war.

Taittiriya Upanishad, III, 4.

Unzerteilbar, aber so als ob zerteilt in Wesen.

Gita, XVIII, 17.

Die Auffassung, die wir uns bisher zu bilden bemüht haben, begreift nur das Essentielle supramentalen Lebens, das die göttliche Seele im Wesen von saccidananda gesichert besitzt, das nun aber die menschliche Seele in diesem hier in der Prägeform eines mentalen und physischen Lebens geformten Körper von saccidananda zu manifestieren hat. Doch soweit wir dieses supramentale Sein bisher erkennen konnten, scheint es überhaupt keine Verbindung oder Entsprechung zu dem uns bekannten Leben zu haben, zum aktiven Leben zwischen den beiden Begriffen unserer normalen Existenz, den Firmamenten von Mental und Körper. Vielmehr scheint es ein Status von Wesen, Bewußtsein, aktiver Beziehung und gegenseitiger Freude zu sein, wie ihn nur körperlose Seelen besitzen und erfahren mögen in einer Welt ohne körperliche Gestaltungen, einer Welt, in der zwar die Differenzierung von Seelen vollendet ist, aber nicht die Differenzierung von Körpern, einer Welt aktiver, freudvoller Unendlichkeiten, nicht formgefangener Geister. Darum könnte man vernünftigerweise zweifeln, ob solch ein göttliches Leben in dem Dasein, wie wir es kennen, möglich sei, bei dieser Beschränkung durch Körpergestalt und dieser Einengung durch formgefangene Mentalität und formbehinderte Kraft.

Wir haben uns in der Tat darum bemüht, einen gewissen Begriff von diesem höchsten unendlichen Wesen, der bewußten Kraft und der Selbst-Seligkeit zu bekommen, wovon unsere Welt eine Schöpfung und unsere Mentalität eine verzerrte Gestaltung ist. Wir versuchten, uns vorzustellen, was diese göttliche maya, dieses Wahrheits-Bewußtsein, diese Real-Idee sein mögen, durch die bewußte Kraft des transzendenten und universalen Seins das Universum, die Ordnung, den Kosmos seiner manifestierten Seins-Seligkeit entwirft, formt und lenkt. Wir haben aber nicht die Verbindungen dieser vier großen göttlichen Begriffe mit jenen drei anderen studiert, mit denen allein unsere menschliche Erfahrung vertraut ist: Mental, Leben und Körper. Wir haben diese andere, scheinbar ungöttliche maya, die die Wurze! all unseres Ringens und Leidens ist, noch nicht erforscht und nicht gesehen, wie sie sich gerade aus der göttlichen Wirklichkeit oder der göttlichen maya entfaltet. Solange wir das nicht getan und das fehlende Band gewoben haben, bleibt unsere Welt noch für uns unerklärt und hat der Zweifel, ob jenes höhere Sein mit diesem niederen Leben vereint werden kann, immer noch eine Basis. Wir wissen, daß unsere Welt aus saccidananda hervorgegangen ist und in Seinem Wesen ruht. Wir begreifen, daß Er in ihr als der sie Genießende und Erkennende, als Herr und Selbst wohnt. Wir haben gesehen, daß unsere dualen Begriffe von Empfindung, Mental, Kraft und Wesen nur Darstellungen Seiner Seligkeit, Seiner bewußten Kraft und Seines göttlichen Seins sein können. Doch sieht es so aus, als ob sie so sehr das Entgegengesetzte sind zu dem, was Er wirklich und erhaben ist, daß wir die göttliche Lebensweise nicht erlangen können, solange wir noch in der Ursache dieser Gegensätze beheimatet und in dem niederen dreifachen Begriff des Daseins festgehalten sind. Entweder müßten wir dieses niedere Wesen in jenen höheren Status emporheben oder den Körper vertauschen gegen jenes reine Sein, dieses Leben gegen jenen reinen Zustand von bewußter Kraft, diese Empfindung und Mentalität gegen jenes reine Entzücken und Erkennen, die in der Wahrheit der spirituellen Wirklichkeit leben. Muß das aber nicht bedeuten, daß wir alle irdische oder begrenzte mentale Existenz für etwas aufgeben, das ihr Gegenteil ist, entweder für den reinen Status des Geistes oder auch für eine Welt der Wahrheit der Dinge – falls sie existiert – oder für andere Welten göttlicher Wonne, göttlicher Kraft, göttlichen Wesens – falls sie existieren? In diesem Fall gibt es die Vollkommenheit des Menschen nicht in der Menschheit selbst. Dann kann der Höhepunkt der Evolution nur der herrliche Gipfel einer sich auflösenden Mentalität sein, von dem aus sie den großen Sprung wagt: in ein formloses Wesen oder zu Welten jenseits der Reichweite des verkörperten Mentals.

In Wirklichkeit kann aber alles, was wir ungöttlich nennen, nur ein Wirken der vier göttlichen Prinzipien selbst sein, ihres Wirkens, wie es notwendig war, um dieses Universum von Formen zu erschaffen. Diese Gestaltungen wurden nicht außerhalb sondern innerhalb des Seins der bewußten Kraft und Wonne des Göttlichen erschaffen, nicht außerhalb sondern im Wirken der göttlichen Real-Idee und als ein Teil von ihr.

Darum ist die Vermutung grundlos, in einer Welt der Formen könne es kein wirkliches Spiel des höheren göttlichen Bewußtseins geben, oder jene Formen und ihre unmittelbaren Stützen – mentales Bewußtsein, Vitalkraft und geformter Stoff – müßten notwendigerweise entstellen, was sie darstellen. Es ist möglich, ja wahrscheinlich, daß Mental, Körper und Leben in reiner Form in der Göttlichen Wahrheit selbst zu finden sind, faktisch als untergeordnete Wirkensweisen ihres Bewußtseins und als Teil der vollständigen Instrumentation, durch die die höchste Kraft stets wirkt. Mental, Leben und Körper müssen also zur Göttlichkeit befähigt sein. Jedoch brauchen ihre Gestaltung und ihr Wirken in der kurzen Periode von vielleicht nur einem einzigen Zyklus der Erden-Evolution, den uns die Wissenschaft enthüllt, nicht alle potentiellen Wirkensweisen dieser drei Prinzipien im lebenden Körper darzustellen. Ihre jetzige Art zu wirken kommt daher, daß sie durch irgendetwas im Bewußtsein getrennt sind von der göttlichen Wahrheit, der sie entstammen. Würde diese Trennung einmal durch die sich in der Menschheit ausbreitende Kraft des Göttlichen Wesens aufgehoben, könnte, ja würde ihr gegenwärtiges Funktionieren sehr wohl durch höchste Evolution und Progression in jenes reinere Wirken verwandelt, das sie im Wahrheits-Bewußtsein haben.

In diesem Fall wäre es nicht nur möglich, das göttliche Bewußtsein in Mental und Körper zu offenbaren und dauernd zu bewahren. Das göttliche Bewußtsein könnte am Ende noch mehr erringen und sogar Mental, Leben und Körper in ein vollkommeneres Ebenbild seiner ewigen Wahrheit umgestalten. Es könnte nicht nur in der Seele, sondern auch im Stoff sein Himmelreich auf Erden verwirklichen. Der erste dieser Siege, der innere, ist auf Erden gewiß in mehr oder weniger hohem Grade von einigen, vielleicht von vielen, errungen worden. Der andere, der äußere, auch wenn er in vergangenen Äonen nie als erster Typus für künftige Zyklen mehr oder weniger verwirklicht und noch in der unterbewußten Erinnerung der Erden-Natur bewahrt worden ist, kann doch als künftig zu erringender Sieg Gottes in der Menschheit beabsichtigt sein. Dieses irdische Leben muß nicht unbedingt und für immer ein Rad halb-frohen und halb-leidvollen Mühens bleiben. Es kann durchaus beabsichtigt sein, daß ein großer Fortschritt erzielt und die Herrlichkeit und Freude Gottes auf Erden geoffenbart werden soll. Als nächstes Problem müssen wir betrachten, was Mental, Leben und Körper in ihren höchsten Ursprüngen sind und was sie in der integralen Vervollkommnung der göttlichen Manifestation sein müssen, wenn sie von der Wahrheit geformt und nicht von ihr abgeschnitten sind durch Trennung und Unwissenheit, in denen wir gegenwärtig leben. Denn dort müssen sie schon ihre Vollkommenheit haben, zu der wir hier emporwachsen, wir, die wir nur die erste, noch gefesselte Bewegung des Mentals sind, das sich in der Materie entwickelt, die wir noch nicht befreit sind von den Bedingungen und Auswirkungen jener Involution des Geistes in die Form, jenes Absturzes des Lichts in seinen eigenen Schatten, durch den das verdunkelte materielle Bewußtsein der physischen Natur geschaffen wurde. Der Typus aller Vollkommenheit, zu dem wir emporwachsen, und die Begriffe unserer höchsten Evolution müssen schon in der göttlichen Real-Idee enthalten sein. Dort müssen sie für uns geformt und bewußt sein, damit wir zu ihnen empor- und in sie hineinwachsen können: Denn diese Präexistenz im göttlichen Wissen ist es, was unsere Mentalität als Ideal bezeichnet und sucht. Das Ideal ist ewige Wirklichkeit, die wir in den Bedingungen unseres eigenen Wesens noch nicht verwirklicht haben. Es ist nicht etwas Nicht-Seiendes, das das Ewige, Göttliche Wesen noch nicht ersonnen hat und das wir unvollkommene Wesen erahnt haben und zu erschaffen meinen. Das Mental ist in erster Linie der gefesselte, behinderte Souverän unserer menschlichen Lebensweise. Mental ist in seinem Wesen ein Bewußtsein, das ausmißt, abgrenzt, aus dem unteilbaren Ganzen Formen der Dinge herausschneidet und sie so in sich behält, als ob jede ein getrenntes Vollständiges sei. Selbst bei dem, was offensichtlich nur als Teil und Fragment existiert, stellt das Mental diese Fiktion seines gewöhnlichen Umgangs her, als ob sie Dinge seien, mit denen es gesondert umgehen könne, nicht nur Aspekte eines Ganzen. Selbst wenn es weiß, daß sie nicht Dinge an und für sich sind, sieht es sich gezwungen, so mit ihnen umzugehen, als seien sie Dinge an und für sich. Sonst könnte es sie nicht seinem charakteristischen Wirken unterwerfen. Diese sein Wesen bezeichnende Methode bedingt das Wirken aller Mächte seines Verfahrens, des Begreifens, Wahrnehmens, Empfindens und des Umgangs mit schöpferischem Denken. Es begreift, nimmt wahr und empfindet Dinge, als seien sie aus einem Hintergrund oder einer Masse starr herausgeschnitten, und verwendet sie als festgelegte Einheiten des ihm zur schöpferischen Gestaltung oder zum Besitzen gegebenen Materials. So hat all sein Wirken und Genießen es mit Ganzheiten zu tun, die Teil eines größeren Ganzen sind; und diese untergeordneten Ganzheiten werden wieder in Teile aufgeteilt, die auch als Ganzheiten für die besonderen Zwecke behandelt werden, denen sie dienen. Das Mental mag teilen, multiplizieren, addieren, subtrahieren, aber es kann nicht über die Grenzen dieser Mathematik hinausgehen. Wenn es sie überschreitet, wenn es ein wirkliches Ganzes zu begreifen sucht, verliert es sich in ein fremdes Element. Es stürzt dann von seinem eigenen festen Grund hinab in den Ozean des Ungreifbaren, in die Abgründe des Unendlichen, wo es seinen Gegenstand weder wahrnehmen, begreifen und empfinden, noch mit ihm zum Erschaffen oder Genießen umgehen kann. Denn wenn das Mental das Unendliche manchmal zu begreifen, wahrzunehmen, zu empfinden oder als Besitz zu genießen vermag, so nur scheinbar und stets in einem Sinnbild des Unendlichen. Was es so vage besitzt, ist nur ein formloses außerordentlich Weites und nicht das wirkliche raumlose Unendliche. Im Augenblick, wo es damit umzugehen und es zu besitzen versucht, stellt sich sofort die unabänderliche Tendenz zur Abgrenzung ein; das Mental findet sich wieder dabei, Bilder, Formen oder Wörter zu behandeln. Das Mental kann das Unendliche nicht besitzen, es kann es nur erleiden oder von ihm in Besitz genommen werden. Es kann nur selig-hilflos unter dem lichtvollen Schatten des Wirklichen daliegen, der aus Seinsebenen jenseits seiner Reichweite auf es geworfen wird. Erst dann können wir in den Besitz des Unendlichen kommen, wenn wir in jene supramentalen Ebenen emporsteigen. Die Erkenntnis des Unendlichen ist erst möglich, wenn wir das Mental passiv den zu uns herabkommenden Botschaften der wahrheitsbewußten Wirklichkeit unterwerfen.

Diese im Wesen des Mentals liegende und sein Wirken begleitende Fähigkeit und Begrenzung sind seine Wahrheit und legen seine wirkliche Natur und Betätigung, svabhava und svadharma, fest. Hier ist das Siegel des göttlichen Gebots, das ihm seine Aufgabe in der vollständigen Instrumentation der Erhabenen maya anweist, eine Aufgabe, durch das bestimmt, was es schon bei seiner Geburt aus der ewigen Selbst-Empfängnis des Selbst-Seienden ist. Sein Amt besteht darin, Unendlichkeit laufend in die Begriffe des Endlichen zu übersetzen, dieses abzumessen, zu begrenzen, einzuteilen. Das leistet das Mental tatsächlich in unserem Bewußtsein unter Ausschluß jedes wahren Empfindens für das Unendliche. Darum ist das Mental der Knoten der großen Unwissenheit, denn es ist es, das ursprünglich trennt und verteilt. Man hat es sogar mißverstanden als die Ursache des Universums und für das Ganze der göttlichen maya gehalten. Die göttliche maya umfaßt aber sowohl vidya wie avidya, das Wissen ebenso wie die Unwissenheit. Offensichtlich ist das Endliche nur eine Erscheinungsform des Unendlichen, ein Ergebnis seines Wirkens, ein Spiel seines Begriffsvermögens. Das Endliche kann nur durch das Unendliche, in ihm und mit ihm als seinem Hintergrund existieren, da es selbst Form aus jenem Stoff und das Wirken jener Kraft ist. Darum muß es ein ursprüngliches Bewußtsein geben, das beide zugleich in sich enthält und beide gleichzeitig betrachtet, das zuinnerst aller Beziehungen des einen mit dem anderen bewußt ist. In diesem Bewußtsein gibt es keine Unwissenheit, da das Unendliche gewußt und das Endliche nicht als unabhängige Wirklichkeit von ihm getrennt ist. Aber es gibt dort noch einen untergeordneten Vorgang von Abgrenzung – sonst könnte keine Welt existieren –, einen Prozeß, durch den das laufend trennende und wieder vereinende Bewußtsein des Mentals, die stets in entgegengesetzter und gleichlaufender Richtung wirkende Aktion des Lebens und die unendlich zerteilte und sich wieder selbst zusammensetzende Substanz der Materie, allesamt durch ein einziges Prinzip und einen ursprünglichen Akt in das phänomenale Wesen eintreten. Dies untergeordnete Wirken des ewigen Sehers und Denkers, der vollkommen erleuchtet, vollkommen Seiner Selbst und des Alls inne ist, der, wohl wissend, was Er tut, des Unendlichen im Endlichen, das Er erschafft, bewußt ist, mag das göttliche Mental genannt werden. Es ist offensichtlich, daß es ein untergeordnetes, aber kein wirklich abgetrenntes Wirken der Real-Idee, des Supramentals, ist und durch die Bewegung des Wahrheits-Bewußtseins wirken muß, die wir als das nach außen gerichtete Verstehen beschrieben haben.

Dieses die Wahrheit verstehende Bewußtsein, prajnana, stellt, wie wir gesehen haben, das Wirken des unteilbaren Alls, das aktiv und formativ ist, als Prozeß und Objekt schöpferischen Erkennens vor das Bewußtsein desselben Alls. Es ist verursachend und erkennend, der Besitzer und beobachtende Zeuge seines eigenen Wirkens, – etwa so, wie wenn ein Dichter die Schöpfungen seines eigenen Bewußtseins, die in ihm vor ihn hingestellt sind, betrachtet, als ob sie etwas anderes wären als der Schöpfer und seine schöpferische Kraft, während sie doch in Wirklichkeit dauernd nur das Spiel der Selbst-Gestaltung seines eigenen Wesens in ihm selbst und darum unabtrennbar sind von ihm, ihrem Schöpfer. So vollzieht prajnana jene fundamentale Trennung, die zu allem übrigen führt: die Trennung des purusha, der bewußten Seele, die weiß, schaut, durch ihre Schau erschafft und anordnet, von prakriti, der Kraft-Seele oder Natur-Seele, die ihr Wissen und Schauen, ihre Schöpfung und alles anordnende Macht ist. Beide sind ein einziges Wesen, ein Sein. Die geschauten und geschaffenen Gestaltungen sind vielfältige Formen dieses Wesens, die von Ihm selbst als ein Wissen vor Ihn als Wissenden und von Ihm selbst als Kraft vor Ihn als Schöpfer gestellt werden. Die letzte Aktion dieses verstehenden Bewußtseins findet statt, wenn der purusha die bewußte Ausbreitung seines Wesens durchwaltet, wenn er gegenwärtig ist an jedem Punkt seiner selbst wie auch in der Totalität, jede Gestaltung bewohnt und das Ganze von jedem der von ihm eingenommenen Standpunkte her betrachtet, als ob er das separat tun würde. Er betrachtet und regiert die Beziehungen jeder Seelenform seiner selbst mit anderen Seelenformen von dem Standpunkt des Wollens und Erkennens her, der jeder einzelnen Form angemessen ist.

So sind die Elemente der Trennung entstanden. Erstens hat sich die Unendlichkeit des Einen übertragen in die Ausdehnung der Begriffe von Zeit und Raum. Zweitens übersetzt sich die Allgegenwärtigkeit des Einen in jener Selbst-bewußten Ausbreitung in die Vielfalt der bewußten Seele, die vielen purusha der Sankhya-Philosophie. Drittens hat sich die Vielfalt der Seelenformen übersetzt in ein geteiltes Einwohnen in der ausgedehnten Einheit. Dieses geteilt Einwohnen ist in dem Augenblick unvermeidlich, da nicht jeder dieser vielfältigen purusha eine eigene gesonderte Welt bewohnt und eine gesonderte prakriti besitzt, die ein gesondertes Universum baut, wo sich vielmehr alle purusha derselben prakriti erfreuen – wie sie es tun müssen, da sie nur Seelenformen des Einen sind, der die vielfältigen Schöpfungen Seiner Macht lenkt – und doch Beziehungen zueinander in der reinen Welt des Seienden haben, die von der einen prakriti erschaffen ist. Purusha identifiziert sich in jeder Form aktiv mit jedem einzelnen. Er grenzt sich in dieser ab und stellt ihr in seinem Bewußtsein seine anderen Formen gegenüber, da sie seine anderen Selbste enthalten, die mit ihm im Wesen identisch, aber in der gegenseitigen Beziehung unterschiedlich sind, verschieden in Ausdehnung, Reichweite von Bewegung, Betrachtung der einzigen Substanz, Kraft, Bewußtheit, Seligkeit, die jede einzelne Seelenform tatsächlich in jedem gegebenen Augenblick von Zeit oder jedem gegebenen Feld von Raum entfaltet. Zugegeben, es gibt im göttlichen Sein, das seiner selbst vollkommen inne ist, keine bindende Begrenzung und keine Identifikation, unter die die Seele versklavt wird und von der sie nicht freiwerden kann, so wie wir unter unsere Selbst-Identifikation mit dem Körper versklavt sind und über die Begrenztheit durch unser bewußtes Ich nicht hinauskommen können, unfähig, einer bestimmten Bewegung unseres Bewußtseins in der Zeit, die unser besonderes Feld im Raum bestimmt, zu entfliehen. Dennoch gibt es eine freie Identifikation von Augenblick zu Augenblick, die allein das unveränderliche Selbst-Wissen der göttlichen Seele daran hindert, sich in einer scheinbar starren Reihe von Trennung und Zeitfolge zu fixieren wie derjenigen, in der unser Bewußtsein fixiert und gefesselt zu sein scheint.

So gibt es bereits die Stückelung: Die Beziehung von Form zu Form, als ob sie gesonderte Wesen wären, von Willen-zum-Sein zu Willen-zum-Sein, als wären sie gesonderte Kräfte, von Erkenntnis-des-Wesens zu Erkenntnis-des-Wesens, als wäre ihr Bewußtsein getrennt, – ist schon grundgelegt. Sie ist jedoch nur “als ob”, denn die göttliche Seele unterliegt nicht der Täuschung; sie gewahrt dieses alles als Phänomen des Seienden und hält fest an ihrem Sein in der Wirklichkeit des Seienden. So geht sie ihrer Einheit nicht verlustig: Sie verwendet das Mental als untergeordnete Wirkensweise des unendlichen Wissens, als Begrenzung der Dinge, ihrem Innesein der Unendlichkeit untergeordnet, als Einschränkung, die abhängig ist von ihrem Wissen um die wesenhafte Totalität, – und zwar nicht jene scheinbare, pluralistische Totalität von Summe und kollektivem Zusammenschluß, die nur ein anderes Phänomen des Mentals ist. Hier gibt es also noch keine wirkliche Begrenzung. Die Seele verwendet ihre abgrenzende Macht für das Spiel wohl-unterschiedener Formen und Kräfte, wird aber nicht selbst von dieser Macht verwendet.

Darum ist ein neuer Faktor, eine neue Aktion bewußter Kraft notwendig, um die Wirksamkeit eines hilflos eingeschränkten Mentals (im Unterschied zu einem sich frei begrenzenden Mental) zu erschaffen, das heißt eines Mentals, das seinem eigenen Spiel unterworfen ist und von ihm getäuscht wird (im Unterschied zu einem Mental, das Herr seines eigenen Spiels ist und in ihm seine Wahrheit schaut): das kreatürliche Mental im Unterschied zum göttlichen. Dieser neue Faktor ist avidya, die Unwissenheit, die das Selbst ignorierende Fähigkeit, die die Aktion des Mentals abtrennt von der Aktion des Supramentals, das sein Ursprung war und es immer noch aus dem Hintergrund lenkt. So gesondert, nimmt das Mental nur das Besondere wahr und nicht das Universale, oder es begreift nur das Besondere, aber es besitzt dieses nicht in einem Universalen; es wird nicht mehr beider, des Besonderen wie des Universalen, bewußt als der Erscheinungsformen des Unendlichen. So haben wir das begrenzte Mental, das jedes Ding der Erscheinung als ein Ding-an-sich betrachtet, als einen aus dem Ganzen abgetrennten Teil, der wieder getrennt in einem größeren Ganzen existiert und so weiter, wobei es zu immer größeren Zusammensetzungen weitergeht, ohne zurückzukehren zum Empfinden wahrer Unendlichkeit.

Da das Mental ein Wirken des Unendlichen (infinitum) ist, zerteilt und vereinigt es ad infinitum. Es zerschneidet das Wesen in Ganzheiten, in immer kleinere Ganzheiten, in Atome und diese Atome in “Uratome”, bis es, wenn es könnte, auch dieses “Uratom” in Nichts auflösen würde. Das kann es aber nicht, denn hinter der teilenden Tätigkeit steht das rettende Wissen des Supramentals, das weiß, daß jede Ganzheit, jedes Atom nur eine Konzentration von All-Kraft, von All-Bewußtsein, von All-Wesen in phänomenalen Formen seiner selbst ist. Für das Supramental ist die Auflösung des Aggregats in das unendliche Nichts, wohin das Mental zu gelangen scheint, nur die Rückkehr des sich selbst konzentrierenden bewußten Wesens aus seiner Erscheinungsform in sein unendliches Sein. Das Bewußtsein kommt, welchen Weg es auch beschreitet, ob den der unendlichen Teilung oder den der unendlichen Ausweitung, immer nur zu sich selbst zurück, zu seiner eigenen unendlichen Einheit, seinem ewigen Wesen. Sobald die Aktion des Mentals bewußt diesem Wissen des Supramentals untergeordnet ist, ist ihm die Wahrheit dieses Vorgangs ebenso bekannt und wird ganz und gar nicht ignoriert. Es gibt keine wirkliche Teilung, sondern nur eine unendliche vielfältige Konzentration in Formen des Wesens und in Anordnungen der Beziehung dieser Formen des Wesens zueinander, in denen Teilung eine untergeordnete Erscheinung des ganzen Prozesses ist, nötig für ihr räumliches und zeitliches Kräftespiel. Wir mögen teilen, soviel wir wollen, hinabgehen bis zum unendlich kleinsten Atom, oder die monströseste mögliche Verbindung von Welten und Systemen bilden, durch keinen der beiden Prozesse können wir zum Ding-an-sich gelangen. Sie alle sind Formen einer Kraft, die allein in sich selbst wirklich ist, während das übrige nur wirklich ist als Selbst-Abbildungen oder sich manifestierende Selbst-Formen des ewigen Kraft-Bewußtseins.

Woher kommt dann ursprünglich die begrenzende Unwissenheit, avidya, dieser Absturz des Mentals aus dem Supramental und die sich daraus ergebende Vorstellung, wirklich getrennt zu sein? Genauer: aus welcher Entstellung supramentaler Tätigkeit entsteht sie? Sie entsteht aus der individuellen Seele, die jedes Ding von ihrem eigenen Standpunkt aus betrachtet und alle anderen ausschließt. Die Unwissenheit kommt sozusagen daher, daß die Seele das Bewußtsein in einer ausschließenden Weise konzentriert, daß sie sich selbst ausschließlich mit einer besonderen zeitlichen und räumlichen Aktion identifiziert, während diese nur ein Teil des Spiels ihres eigenen Wesens ist. Die Unwissenheit beginnt damit, daß die Seele die Tatsache ignoriert, daß alle anderen Seelen auch sie selbst sind, daß jede andere Aktion ihre eigene Aktion ist und alle übrigen Zustände von Wesen und Bewußtsein in gleicher Weise ihre eigenen sind wie die Aktion des einen besonderen Augenblicks in der Zeit, des einen besonderen Standpunkts im Raum und der einen besonderen Gestalt, die sie gegenwärtig einnimmt. Sie konzentriert sich auf den Augenblick, das Feld, die Form und die Bewegung und verliert dabei das übrige. Sie muß dann dieses übrige wieder dadurch zurückgewinnen, daß sie die Aufeinanderfolge der Augenblicke, die Aufeinanderfolge der Raumpunkte, die Aufeinanderfolge der Formen in Zeit und Raum und die Aufeinanderfolge der Bewegungen in Zeit und Raum miteinander verknüpft. Auf diese Weise hat sie die Wahrheit der Unteilbarkeit von Zeit und der Unteilbarkeit von Kraft und Stoff verloren. Sie hat sogar den Blick für die offenkundige Tatsache verloren, daß alle Mentale nur ein einziges Mental sind, das viele Standpunkte einnimmt; daß alle Leben nur ein einziges Leben sind, das viele Ströme von Aktivität entwickelt; daß alle Körper und Gestalten eine einzige Substanz von Kraft und Bewußtsein sind, die sich in vielen scheinbar festen Formen von Kraft und Bewußtsein konzentrieren. In Wahrheit sind aber alle diese Stabilitäten nur ein beständiger Wirbel von Bewegung, die eine Form wiederholt, indem sie sie modifiziert; darüber hinaus sind sie nichts. Denn das Mental versucht, alles in starr festgelegte Formen und scheinbar unabänderliche oder unbewegliche äußere Faktoren zu pressen, weil es sonst nicht wirken kann. Dann denkt es, es habe bekommen, was es wünscht. In Wirklichkeit ist alles ein Fließen von Wechsel und Erneuerung, und es gibt hier keine festgelegten Formen-an-sich und keinen unwandelbaren äußeren Faktor. Nur die ewige Real-Idee ist beständig und erhält eine gewisse geordnete Konstanz von Figuren und Beziehungen im Fließen der Dinge aufrecht, eine Beständigkeit, die das Mental vergebens dadurch nachzuahmen versucht, daß es feste Beständigkeit jenem beilegt, das immer unbeständig ist. Diese Wahrheiten muß das Mental wiederentdecken. Es weiß sie die ganze Zeit jedoch nur im verborgenen hinteren Bereich seines Bewußtseins, im geheimen Licht seines Selbst-Seins. Aber dieses Licht ist für das Mental Finsternis, weil es die Unwissenheit erschaffen hat, weil der Absturz erfolgte aus der teilenden hinab in die zerteilte Mentalität, weil es in seine eigenen Wirkensweisen und Schöpfungen verwickelt wurde. Diese Unwissenheit wird für den Menschen weiter vertieft durch seine Selbst-Identifikation mit dem Körper. Das Mental scheint uns durch den Körper bestimmt zu sein, da es sich vornehmlich mit ihm beschäftigt und sich den körperlichen Funktionen widmet, die es für sein bewußtes Wirken nach außen in der grob-materiellen Welt verwendet. Da es ständig die Arbeit von Gehirn und Nerven gebraucht, die es im Lauf seines eigenen Werdegangs im Körper entwickelt hat, ist es zu sehr von der Beobachtung dessen beansprucht, was ihm dieser körperliche Mechanismus einträgt, als daß es aus ihm in seine eigenen reinen Wirkensweisen zurücktreten könnte; und diese sind für es zumeist unterbewußt. Doch können wir uns ein Lebens-Mental oder ein Lebens-Wesen vorstellen, das über den durch die Evolution begründeten Zwang, so absorbiert zu sein, hinausgegangen und fähig ist, sich selbst zu schauen oder zu erfahren, wie es einen Körper nach dem anderen annimmt und nicht in jedem Körper gesondert neu erschaffen wird und mit ihm endet. Denn derartig ist nur die körperliche Einwirkung des Mentals auf die Materie, nur das körperliche Mentalwesen beschaffen, nicht aber das ganze mentale Wesen. Die körperliche Mentalität ist das Mental unserer Außenseite, nur die äußere Front, die es der körperlichen Erfahrung darbietet. Dahinter gibt es, selbst in unserem irdischen Wesen, jenes andere Mental, das für uns unterbewußt oder subliminal ist, das aber von sich weiß, daß es mehr ist als der Körper und fähig zu einem weniger materialisierten Wirken. Diesem Mentalwesen verdanken wir unmittelbar das meiste der umfassenderen, tieferen und kraftvolleren dynamischen Aktion unseres vordergründigen Mentals. Wenn wir dessen oder seiner Einwirkung auf uns bewußt werden, haben wir die erste Idee oder Realisation einer Seele oder eines inneren Wesens, purusha, das als das Lebens-Wesen, das vitale Wesen wahrgenommen wird, pranamaya purusha.

Auch wenn dieses Lebens-Mental vom Irrtum der Körpergebundenheit frei werden kann, befreit es uns dennoch nicht vom ganzen Irrtum des Mentals. Es bleibt immer noch dem ursprünglichen Akt der Unwissenheit unterworfen, durch den die individualisierte Seele alles von ihrem eigenen Standpunkt aus betrachtet und die Wahrheit der Dinge nur so sehen kann, wie sie sich ihr von außen her präsentieren oder auch wie sie aus ihrem gesonderten zeitlichen und räumlichen Bewußtsein in ihr Blickfeld treten als Formen und Ergebnisse vergangener und gegenwärtiger Erfahrung. Die Seele ist sich ihrer anderen Selbste nur durch die äußeren Hinweise bewußt, die sie von ihrem Dasein geben, Hinweise durch mitgeteiltes Denken, Reden, Handeln, Ergebnisse von Tätigkeiten oder feinere Hinweise vitaler Einwirkung und Beziehung, die nicht unmittelbar vom körperlichen Wesen gefühlt werden. In gleicher Weise ist die Seele ihres eigenen Selbsts ungewiß. Sie kennt ihr Selbst nur durch eine Bewegung in der Zeit und eine Aufeinanderfolge von Lebensabläufen, in denen sie ihre unterschiedlich verkörperten Energien verwendete. So wie unser physisches instrumentales Mental die Illusion des Körpers hat, so hat dieses unterbewußte dynamische Mental die Illusion des Lebens. Von diesem ist es absorbiert, in dieses ist es konzentriert, durch dieses ist es begrenzt, mit diesem identifiziert es sein Wesen. Von hier aus gelangen wir noch nicht zurück zu dem gemeinsamen Bereich von Mental und Supramental, zu dem Punkt, an dem sie sich ursprünglich voneinander trennten.

Es gibt aber noch ein anderes, klareres, reflektierendes Mentalwesen hinter dem dynamischen und vitalen, das solchem Aufgezehrtwerden durch das Leben entgehen kann. Es kann sich selbst betrachten, wie es Leben und Körper annimmt, um in aktiven Beziehungen von Kräften das abzubilden, was es in Willen und Denken wahrnimmt. Das ist der Ursprung des reinen Denkers in uns. Es erkennt das Mental an und für sich; es sieht die Welt nicht in Begriffen von Leben und Körper, sondern mental. Es ist das eigentliche mentale Wesen, manomaya purusha, das wir, wenn wir in es zurücktreten, manchmal irrtümlich ebenso für den reinen Geist halten, wie wir das dynamische Mental mit der Seele verwechseln. Dieses höhere Mental kann andere Seelen wahrnehmen und mit ihnen umgehen, als ob sie andere Gestaltungen seines eigenen reinen Selbsts sind. Es kann sie durch reine Mental-Einwirkung und reine Kommunikation empfinden, nicht mehr nur durch vitale und nervliche Einwirkung und körperlichen Hinweis. Außerdem begreift es ein mentales Bild von Einheit und kann in seiner Aktivität und in seinem Willen unmittelbar – nicht nur indirekt wie im gewöhnlichen physischen Leben – erschaffen und besitzen, und zwar wie in seinem eigenen so auch im Mental und Leben anderer Menschen. Aber selbst dieses reine Mentalwesen entgeht nicht dem Ur-Irrtum des Mentals. Denn es macht immer noch sein gesondertes mentales Selbst zum Richter, Zeugen und Zentrum des Universums und bemüht sich, durch dieses allein zu seinem höheren Selbst und seiner Wirklichkeit zu gelangen. Alle anderen sind “die anderen”, die sich für es um sein Selbst gruppieren: Wenn es wirklich frei werden will, muß es sich aus Leben und Mental zurückziehen, um in der wahren Einheit aufzugehen. Immer noch existiert der von der Unwissenheit, avidya, geschaffene Vorhang zwischen mentalem und supramentalem Wirken; zwar dringt ein Abbild der Wahrheit hindurch, jedoch nicht die Wahrheit selbst.

Erst wenn der Vorhang zerrissen und das zerteilte Mental überwältigt, schweigend und einem supramentalen Wirken gegenüber passiv geworden ist, kehrt das Mental selbst wieder zurück zur Wahrheit der Dinge. Dort finden wir ein erleuchtetes Mentalwesen, das die Göttliche Real-Idee reflektiert, ihr gehorcht und zu ihrem Instrument wird. Dort nehmen wir wahr, was die Welt wirklich ist. Dort erkennen wir in jeder Weise uns selbst in anderen und als andere, die anderen als uns selbst und alles als das universale und selbst-vervielfältigte Eine. Wir geben den streng gesonderten individuellen Standpunkt auf, der die Ursache allen Begrenztseins und Irrtums ist. Ferner erkennen wir, daß alles, was die Unwissenheit des Mentals für die Wahrheit hielt, tatsächlich die Wahrheit war, nur verzerrt, mißverstanden, falsch aufgefaßt. Wir beobachten noch die Zerteilung, die individualisierende, atomisierende Schöpfung, aber erkennen sie und uns selbst nun als das, was sie und wir wirklich sind. So durchschauen wir, daß das Mental in Wirklichkeit eine untergeordnete Wirkensweise und Instrumentation des Wahrheits-Bewußtseins war. Solange sich das Mental in seiner Selbst-Erfahrung nicht vom umgreifenden Meister-Bewußtsein gelöst hat und nicht versucht, sich hier ein selbständiges Heim einzurichten, solange es passiv als Instrumentation dient und nicht darauf aus ist, die Dinge zu seinen eigenen Gunsten zu besitzen, erfüllt es in erleuchteter Weise seine Funktion: innerhalb der Wahrheit durch phänomenale, rein formale Abgrenzung ihrer Aktivität Gestaltungen voneinander getrennt zu halten, hinter denen die lenkende Universalität des Seins bewußt und unberührt bleibt. Das Mental soll die Wahrheit der Dinge empfangen und sie im Einklang mit der von Irrtum freien Wahrnehmung eines höchsten, universalen Auges und Willens verteilen. Es soll eine Individualisierung von aktivem Bewußtsein, Seligkeit, Kraft und Substanz aufrecht erhalten, die all ihre Macht, Wirklichkeit und Freude aus einer dahinter stehenden unveränderlichen Universalität beziehen. Es soll die Vielfalt des Einen in eine scheinbare Aufteilung umwandeln, durch die die Beziehungen abgegrenzt und gegenseitig so auseinander gehalten werden, daß sie einander begegnen und sich wieder vereinigen können. Es soll die Seligkeit von Trennung und Kontakt inmitten ewiger Einheit und Vermischung fest und sicher begründen. Das Mental soll es dem Einen möglich machen, sich so zu erweisen, als ob Er ein Individuum wäre, das mit anderen Individuen umgeht, jedoch immer in Seiner eigenen Einheit verbleibt; das ist es, was die Welt wirklich ist. Das Mental ist die endgültige Wirkensweise des aktiv verstehenden Wahrheits-Bewußtseins, das dies alles möglich macht. Was wir die Unwissenheit nennen, erschafft nichts Neues und keine absolute Falschheit, sondern stellt die Wahrheit nur falsch dar. Die Unwissenheit ist das im Wissen von seiner Wissensquelle getrennte Mental. Es gibt dem harmonischen Spiel der höchsten Wahrheit in ihrer universalen Manifestation eine falsche Starrheit und den irrigen Anschein von Opposition und Konflikt.

Der fundamentale Irrtum des Mentals ist also dieser Absturz aus dem Selbst-Wissen, durch den die individuelle Seele ihre Individualität als Faktum statt als Form des Einsseins begreift, sich zum Mittelpunkt des eigenen Universums macht, statt sich als einen solchen der Konzentrationen des Allumfassenden zu erkennen. Aus diesem ursprünglichen Irrtum ergeben sich alle besonderen Unwissenheiten und Beschränkungen zwangsläufig von selbst. Denn wenn das Mental den Fluß der Dinge nur so betrachtet, wie sie auf es zukommen und durch es hindurchfließen, schafft es eine Beschränkung des Wesens, aus der eine Beschränkung von Bewußtsein und deshalb von Erkenntnis herrührt; eine Begrenzung von bewußter Kraft und bewußtem Willen, darum von Macht; eine Einschränkung von Selbst-Genießen und darum von Seligkeit. Das Mental ist der Dinge bewußt und erkennt sie nur so, wie sie sich seiner Individualität darstellen. Darum verfällt es in Unwissenheit alles übrigen und so in eine irrige Auffassung selbst dessen, was es zu wissen scheint: Denn wenn alles Seiende untereinander abhängig ist, müssen wir entweder die Erkenntnis des Ganzen oder die des Wesenhaften besitzen, um den Teil richtig erkennen zu können. Daher liegt allem menschlichen Erkennen ein Element von Irrtum zugrunde. In ähnlicher Weise muß auch unser Wille wegen seiner Unkenntnis des übrigen All-Willens in irrtümliches Handeln und in einen höheren oder geringeren Grad von Unfähigkeit und Machtlosigkeit fallen. Die Selbst-Seligkeit der Seele und ihr Entzücken an den Dingen muß, da sie die All-Wonne ignoriert und durch fehlerhaftes Wollen und Erkennen unfähig ist, Meister ihrer Welt zu sein, in ein Unvermögen zu bleibender Seligkeit und darum in Leiden versinken. Unkenntnis des eigenen Selbsts ist also die Wurzel aller Verkehrtheit unseres Daseins. Diese Verkehrtheit wird in der Selbst-Beschränkung, im Egoismus, verstärkt, der die von dieser Selbst-Unkenntnis angenommene Form ist.

Dennoch ist alle Unwissenheit und Verkehrtheit nur die Entstellung des Wahren und Richtigen der Dinge und nicht das Spiel einer absoluten Falschheit. Sie ist das Ergebnis eines Mentals, das die Dinge in der Zerteilung schaut, die es selbst vornimmt, avidyayam antare, statt sich und seine Teilungen als Instrumentation und Phänomen des Spiels der Wahrheit von saccidananda zu verstehen. Wenn das Mental in die Wahrheit zurückkehrt, aus der es gefallen ist, wird es wieder zur endgültigen Aktion des Wahrheits-Bewußtseins in seiner umsichtigen Wirkensweise. Und die Beziehungen, die es in jenem Licht und jener Macht erschaffen hilft, werden Beziehungen der Wahrheit und nicht der Verkehrtheit sein. Es werden die geraden und nicht die krummen Dinge sein, um die ausdrucksvolle Unterscheidung der vedischen Rishis zu gebrauchen, das heißt Wahrheiten des göttlichen Wesens mit seinem das Selbst besitzenden Bewußtsein, Willen und Entzücken, die sich harmonisch in ihm bewegen. Jetzt haben wir die verzerrte Zickzackbewegung von Mental und Leben, Entstellungen, geschaffen durch das Ringen der Seele: Sie sucht aus der Vergessenheit ihres wahren Wesens sich selbst wiederzufinden, um allen Irrtum wieder in jene Wahrheit aufzulösen, die von unserer Wahrheit wie von unserem Irrtum, von unserem Rechten wie von unserem Unrechten beschränkt und entstellt wird. Sie will alle Unfähigkeit in jene Stärke verwandeln, die zu erlangen wir durch unsere Macht wie durch unsere Schwäche mit aller Kraft ringen. Sie will alles Leiden in jene Seligkeit aufheben, die zu realisieren wir uns durch unsere Freuden wie unsere Leiden krampfhaft bemühen. Sie will allen Tod in jene Unsterblichkeit verwandeln, zu der heimzukehren sich unser Wesen durch unser Leben und unser Sterben hindurch ständig bemüht.

Kapitel XIX. Leben

Prana – Kraft ist das Leben der Geschöpfe; denn von ihr sagt man, sie ist das universale Prinzip des Lebens.

Taittiriya Upanishad, II.3.

Wir erkennen also, was das Mental in seinem göttlichen Ursprung ist und in welcher Beziehung es zum Wahrheits-Bewußtsein steht, Mental, das höchste der drei niederen Prinzipien, die unser menschliches Dasein konstituieren. Es ist eine besondere Wirkensweise göttlichen Bewußtseins oder besser: die letzte Strähne dessen gesamter schöpferischen Aktion. Purusha kann durch das Mental die Beziehungen seiner eigenen verschiedenen Formen und Kräfte getrennt halten. Es erschafft die Unterschiede der äußeren Erscheinung, die für die aus dem Wahrheits-Bewußtsein gefallene Seele den Anschein radikaler Trennungen annehmen. Das Mental wird infolge dieser ursprünglichen Entstellung zum Erzeuger aller sich daraus ergebenden Verkehrtheiten, die auf uns einwirken als die dem Leben der Seele in der Unwissenheit eigentümlichen Dualitäten und Gegensätzlichkeiten. Solange das Mental aber nicht vom Supramental abgetrennt ist, unterstützt es nicht die Entstellungen und Falschheiten, sondern die vielschichtige Wirkensweise der universalen Wahrheit.

So erscheint das Mental als eine schöpferische kosmische Wirkkraft. Diesen Eindruck haben wir normalerweise nicht von unserer Mentalität. Wir sehen in ihr vielmehr in erster Linie ein wahrnehmendes Organ, das Dinge erkennt, die schon durch eine in der Materie wirkende Kraft erschaffen sind. Die einzige Urheberschaft, die wir ihr zugestehen, ist sekundäre Erschaffung von Formen, die aus den bisher durch die Kraft in der Materie entwickelten neu zusammengestellt werden. Die Erkenntnis, die wir jetzt dank der jüngsten Entdeckungen der Naturwissenschaft gewinnen, zeigt uns immer mehr, daß in dieser Kraft und in dieser Materie ein unterbewußtes Mental am Werk ist, das gewiß für sein eigenes Hervortreten verantwortlich ist: zunächst in den Formen von Leben und dann in den Formen von Mentalität selbst, anfangs im nervlichen Bewußtsein des Lebens in Pflanze und primitivem Tier, danach in den sich immer höher entfaltenden mentalen Funktionen des entwickelten Tiers und des Menschen. Wie wir schon entdeckt haben, daß Materie nur stoffliche Form von Kraft ist, so werden wir entdecken, daß materielle Kraft nur Energie-Form von Mentalität ist. Materielle Kraft ist in der Tat eine unterbewußte Tätigkeit von Willen. Wille, der in uns als das wirkt, was Licht zu sein scheint – obwohl es in Wirklichkeit lediglich ein Halb-Licht ist – und materielle Kraft, die in uns die Finsternis mangelnder Intelligenz zu sein scheint, sind eigentlich und im Wesen dasselbe. Das hat materialistisches Denken stets instinktiv, wenn auch vom falschen oder unteren Ende der Dinge her, gefühlt. Spirituelle Erkenntnis, die von der höchsten Höhe her wirkt, hat das schon lange entdeckt. Wir können also sagen: Diese materielle Welt ist erschaffen von einem unterbewußten Mental oder einer Intelligenz, die Kraft als ihre Antriebsmacht, ihre ausführende Natur, ihre prakriti offenbart.

Wenn das Mental aber, wie wir jetzt erkannt haben, keine unabhängige und ursprünglich wesenhafte Größe, sondern letztlich nur eine Wirkensweise des Wahrheits-Bewußtseins oder Supramentals ist, muß überall, wo Mentalität ist, auch Supramentalität sein. Das Supramental oder Wahrheits-Bewußtsein ist die wirkliche Schöpfermacht des universalen Seins. Selbst wenn das Mental in seinem eigenen verfinsterten Bewußtsein von seinem Ursprung getrennt ist, gibt es doch stets jene umfassendere Bewegung in seinem Wirken. Sie zwingt es, seine rechte Beziehung zu bewahren. Sie entwickelt aus ihm die unvermeidlichen Ergebnisse, die es in sich trägt. Sie bringt den richtigen Baum aus dem richtigen Kern hervor. Sie zwingt selbst das aktive Wirken von etwas so Rohem, Trägem und Verfinstertem wie der materiellen Kraft, schließlich auf eine Welt von Gesetz, Ordnung und rechter Beziehung hinzuarbeiten und nicht, wie sonst ihr Ergebnis wäre, auf ein Durcheinander von Zufall und Chaos. Offensichtlich können diese Ordnung und rechte Beziehung nur relativ sein, nicht jene höchste Ordnung und jenes erhabene Rechte, das herrschen würde, wäre das Mental nicht in seinem Bewußtsein vom Supramental gesondert. Sie ist eine Anordnung, ein System von Ergebnissen, die für das Wirken des trennenden Mentals und sein Erschaffen separativer Gegenüberstellungen, also für seine dual-konträren Seiten der einen Wahrheit, richtig und angemessen sind. Nachdem das Göttliche Bewußtsein die Idee dieser dualen oder zerteilten Darstellung seines Selbsts ersonnen und in Tätigkeit gesetzt hat, leitet es in der Real-Idee seine eigene niedere Wahrheit oder das unvermeidliche Ergebnis verschiedenartiger Beziehung von ihr ab und entwickelt sie praktisch daraus in Lebens-Substanz durch das lenkende Wirken des ganzen hinter ihr stehenden Wahrheits-Bewußtseins. Denn das ist das Eigentümliche von Gesetz und Wahrheit in der Welt, daß in rechtem Wirken das hervorgebracht wird, was im Seienden enthalten, in Wesen und Natur der Sache selbst vorausgesetzt und im Selbst-Sein und Selbst-Gesetz latent ist, svabhava und svadharma, so wie es vom göttlichen Wissen geschaut wird. Um eine jener wundervollen Formulierungen der Upanishad zu gebrauchen, die in wenigen offenbarenden Worten eine Welt von Erkenntnissen enthalten: “Der Selbst-Seiende, der als der Seher und Denker überall im Werden hervortritt, hat alle Dinge in Sich Selbst seit ewigen Zeiten in Einklang mit der Wahrheit dessen, was sie sind, richtig angeordnet” (Isha Upanishad, Vers 8).

Die dreifache Welt von Mental, Vital und Körper, in der wir leben, ist folglich nur in ihrer bisher aktuell vollendeten Evolution dreifach. Das in der Materie involvierte Leben ist in der Form von denkendem und mental bewußtem Leben hervorgetreten. Aber mit dem Mental, das in es, also auch in Leben und Materie involviert ist, ist das Supramental involviert, das Ursprung und Lenker der anderen drei ist und ebenfalls hervortreten muß. Wir suchen am Ursprung der Welt nach einer Intelligenz, denn Intelligenz ist das höchste uns bewußte Prinzip, das uns und unser ganzes Wirken und Erschaffen zu lenken und zu erklären scheint. Darum nehmen wir an: Wenn es überhaupt ein Bewußtsein im Universum gibt, muß es eine Intelligenz, ein mentales Bewußtsein sein. Aber Intelligenz beobachtet, reflektiert und verwendet nur nach dem Maß ihrer Fähigkeit das Wirken einer ihr übergeordneten Wahrheit des Seienden. Die dahinterstehende wirkende Macht muß also eine andere und überlegenere Form von Bewußtsein sein, die zu jener Wahrheit gehört. Darum müssen wir unsere Auffassung entsprechend korrigieren und feststellen: Nicht ein unterbewußtes Mental oder eine unterbewußte Intelligenz, sondern ein involviertes Supramental hat dieses materielle Universum erschaffen. Es hat das Mental aus sich herausgestellt als die unmittelbar aktive besondere Form seines in der Kraft unterbewußten Wissens-Willens und verwendet die materielle Kraft oder den im Stoff des Seienden unterbewußten Willen als seine exekutive Natur, seine prakriti.

Nun ist aber hier, wie wir sehen, Mentalität in einer speziellen Form von Kraft manifestiert, der wir den Namen Leben geben. Was ist dann Leben? Welche Beziehung hat es zum Supramental, zu dieser höchsten Trinität von saccidananda, das mittels der Real-Idee oder des Wahrheits-Bewußtseins in der Schöpfung aktiv ist? Aus welchem Prinzip in der Trinität wird Leben geboren? Durch welche göttliche oder ungöttliche Notwendigkeit der Wahrheit oder der Illusion tritt es ins Dasein? Durch die Jahrhunderte erschallt der alte Aufschrei: Leben ist ein Übel, eine Täuschung, ein Delirium, eine Verrücktheit, aus der wir in die Ruhe des ewigen Seins entfliehen müssen. Ist das so? Und wenn ja, weshalb? Warum hat der Ewige willkürlich dieses Böse auferlegt, warum hat Er Sich Selbst oder den Geschöpfen, die durch Seine furchtbare, alles täuschende maya ins Dasein gebracht wurden, dieses Delirium oder diese Verrücktheit auferlegt? Oder ist Leben vielleicht ein göttliches Prinzip, das sich auf diese Weise zum Ausdruck bringt, eine Macht der Seligkeit ewigen Seins, die sich so ausdrücken mußte und auf diese Weise in Zeit und Raum verausgabt in der ständigen Explosion der Millionen und Abermillionen Formen von Leben, die die unzählbaren Welten des Universums bevölkern?

Erforschen wir dieses Leben, wie es sich auf Erden mit Materie als seiner Basis manifestiert, so beobachten wir, daß es im Wesentlichen eine Form der einen kosmischen Energie ist, eine positive und negative dynamische Bewegung oder Strömung von ihr, ein ständiger Akt oder ein Spiel jener Kraft, die Formen aufbaut, sie durch einen kontinuierlichen Strom von Reizwirkung mit Energie auflädt und durch einen unaufhörlichen Prozeß von Auflösung und Erneuerung ihrer Substanz fördert und erhält. Dieser Vorgang zeigt uns eigentlich, daß der natürliche Gegensatz, den wir zwischen Tod und Leben sehen, ein Irrtum unserer Mentalität, eine dieser falschen Gegenüberstellungen ist, falsch vor der inneren Wahrheit, wenn auch gültig an der Außenseite praktischer Erfahrung, die unser Mental, durch äußeren Schein getäuscht, ständig in die universale Einheit hineinträgt. Tod hat nur als ein Prozeß von Leben Realität. Zersetzung und Erneuerung von Stoff, Bewahrung und Verwandlung von Form sind der dauernde Ablauf des Lebens. Tod ist bloß rasche Auflösung im Dienst der Notwendigkeiten des Lebens zur Verwandlung und Veränderung formeller Erfahrung. Selbst beim Tod des Körpers gibt es kein Aufhören des Lebens; das Material der einen Form von Leben wird nur zerbrochen, um als Material für andere Lebensformen zu dienen. In ähnlicher Weise dürfen wir sicher sein, wenn es in der körperlichen Gestalt eine mentale oder psychische Energie gibt, daß auch diese im einheitlichen Gesetz der Natur nicht zerstört wird, sondern nur aus der einen Gestalt auszieht, um durch einen Vorgang von Metempsychose, durch eine neue Körper-Beseelung, andere Gestalten anzunehmen. Alles erneuert sich selbst, nichts geht zugrunde. Infolgedessen könnte man behaupten, es gibt nur ein einziges, alles durchdringendes Leben oder eine dynamische Kraft – wobei der materielle Aspekt nur deren äußerste Bewegung ist die alle diese Formen des physischen Universums erschafft, ein unvergängliches und ewiges Leben, das auch dann, wenn die ganze Gestaltung des Universums verginge, selbst weiterexistieren und an seiner Stelle ein neues Universum hervorbringen könnte, ja in seinem Erschaffen immer weiter fortfahren müßte, wenn es nicht durch eine höhere Macht in Ruhezustand zurückgehalten oder sich selbst zurückhalten würde. In diesem Fall ist Leben nichts anderes als die Kraft, die die Formen der Welt aufbaut, erhält und zerstört. Es ist Leben, das sich in der Form der Erde ebenso manifestiert wie in der Pflanze, die auf Erden wächst, und in den Tieren, die ihr Dasein fristen durch das Verzehren der Lebens-Kraft der Pflanze oder indem sie einander auffressen. Alles Dasein ist hier ein universales Leben, das die Form von Materie annimmt. Zu diesem Zweck mag sich der Lebens-Prozeß im physischen Prozeß verbergen, bevor er als submentale Empfindungsfähigkeit und mentalisierte Vitalität hervortritt, was aber durchweg noch dasselbe schöpferische Lebens-Prinzip wäre.

Man kann einwenden: Unter Leben verstehen wir etwas anderes. Wir meinen ein besonderes Resultat der universalen Kraft, mit dem wir vertraut sind, das sich nur in Tier und Pflanze offenbart, nicht aber in Metall, Stein, Gas. Es wirkt in der Tierzelle, aber nicht im bloßen physikalischen Atom. Um auf sicherem Boden zu stehen, müssen wir also untersuchen, worin genau dieses besondere Ergebnis des Spiels der Kraft liegt, das wir Leben nennen, und wie es sich von jenem anderen Resultat des Spiels der Kraft in unbelebten Dingen unterscheidet, von dem wir sagen, es ist nicht Leben. Wir erkennen sofort, daß es hier auf Erden drei Bereiche des Spiels der Kraft gibt: das Tierreich der alten Klassifizierung, zu dem wir gehören, das Pflanzenreich und zuletzt das nur materielle Reich, von dem wir behaupten, es sei ganz ohne Leben. Wie unterscheidet sich das Leben in uns vom Leben der Pflanze und das Leben der Pflanze vom Nicht-Leben etwa des Metalls des Mineralreichs der alten Bezeichnung oder jenes neuen Reiches der Chemie, das die Naturwissenschaft entdeckt hat?

Wenn wir von Leben sprechen, meinen wir gewöhnlich das Tierleben, das sich bewegt, atmet, ißt, fühlt, begehrt. Wenn wir von Pflanzenleben sprechen, werden diese Begriffe meist als Metapher verwendet, nicht als Wirklichkeit, denn man betrachtete Pflanzenleben eher als rein materiellen Vorgang denn als biologisches Phänomen. Insbesondere ist für uns Leben mit Atmen eng verbunden. In jeder Sprache spricht man vom Lebensatem, und diese Formulierung trifft zu, wenn wir unsere Auffassung von dem ändern, was wir unter Atem des Lebens verstehen. Es ist aber offensichtlich, daß spontane Bewegung oder Fortbewegungsfähigkeit, Atmen und Essen nur Lebensvorgänge und nicht Leben an sich sind. Sie sind Mittel für das Erzeugen oder Abgeben jener ständigen Reize aussendenden Energie, die unsere Vitalität ist, und für jenen Vorgang von Auflösung und Erneuerung, durch den sie unser stoffliches Dasein unterstützt. Diese Abläufe unserer Vitalität können aber auch auf andere Weise als durch unser Atmen oder unsere Nahrung aufrechterhalten werden. Es ist bewiesene Tatsache, daß selbst menschliches Leben im Körper bestehen bleiben und bei vollem Bewußtsein fortdauern kann, wenn Atmung, Herzschlag und andere, früher für wesentlich gehaltene Bedingungen zeitweilig ausgesetzt werden. An neuen beweiskräftigen Erscheinungen der Pflanze hat man festgestellt, daß sie, wenn wir ihr auch eine bewußte Reaktion absprechen, zumindest physisches Leben hat, das mit unserem eigenen identisch und sogar im Wesen wie unser eigenes organisiert, wenn auch in seiner sichtbaren Organisation verschieden ist. Erweist sich das als richtig, müssen wir mit unseren alten, unhaltbaren und unrichtigen Vorstellungen gründlich aufräumen und, hinter Symptomen und Äußerlichkeiten, der Sache auf den Grund gehen.

Ein bedeutender indischer Physiker hat in neuerlichen Untersuchungen8 – die helles Licht auf die Probleme des Lebens in der Materie werfen müssen, wenn man seine Schlußfolgerungen anerkennt, – auf die Reaktion auf Reize als untrügliches Zeichen für die Existenz von Leben hingewiesen. Durch seine Ergebnisse ist besonders das Phänomen des Pflanzenlebens aufgehellt und in all seinen subtilen Funktionsweisen illustriert worden. Wir dürfen aber nicht übersehen, daß von ihm hinsichtlich der Metalle wie der Pflanze am entscheidenden Punkt der gleiche Beweis für Vitalität erbracht wurde: die Reaktion auf einen Reiz als positiver Zustand von Leben und der negative Zustand, den wir Tod nennen – wenn auch nicht im selben Umfang und gewiß nicht so, daß sich eine wesentlich identische Organisation des Lebens beweisen läßt. Könnten aber die richtigen Instrumente von ausreichender Feinheit erfunden werden, wäre es möglich, mehr Ähnlichkeiten zwischen Metall und Pflanze zu entdecken. Selbst wenn sich das als unrichtig erweisen würde, könnte es bedeuten, daß zwar diese oder jede Lebensorganisation fehlt, dennoch könnten Anfänge von Vitalität vorhanden sein. Wenn aber im Metall Leben existiert, und sei es noch so rudimentär, muß man zugeben: es ist dort vorhanden, vielleicht involviert oder elementar und primitiv, und ebenso in Erde oder in anderen, dem Metall entsprechenden materiellen Daseinsformen. Wenn wir unsere Untersuchungen noch weitertreiben können, ohne gezwungen zu sein, dort Halt zu machen, wo unsere unmittelbaren Forschungsmittel versagen, dürfen wir aufgrund unserer gleichartigen Erfahrung der Natur sicher sein, daß so durchgeführte Forschungen uns letztlich beweisen, es gibt keinen Bruch, keine starre Grenzlinie zwischen Erde und dem in ihr geformten Metall oder zwischen Metall und Pflanze. Verfolgen wir die Synthese noch weiter, existiert diese Abgrenzung auch nicht zwischen den Elementen und Atomen, die Erde oder Metall konstituieren, also auch nicht zwischen den von ihnen konstituierten Erden und Metall. Jede Ebene dieses stufenweise aufsteigenden Daseins bereitet die nächste vor und enthält das in sich, was in der folgenden in Erscheinung tritt. Leben ist überall, verborgen oder offenbar, organisiert oder elementar, involviert oder evolviert, jedoch universal, alles durchdringend, unzerstörbar. Nur seine Erscheinungs- und Organisationsformen sind unterschiedlich. Wir müssen bedenken, daß physische Reaktion auf Reiz nur ein äußerliches Zeichen von Leben ist, ebenso wie es Atmen und Ortsveränderung bei uns sind. Vom Experimentierenden wird ein außergewöhnlicher Reiz angewandt, und es erfolgen lebhafte Reaktionen, die wir sofort im Objekt des Experiments als Anzeichen von Vitalität erkennen können. Während ihres ganzen Daseins antwortet die Pflanze ständig auf eine konstante Masse von Reizen aus ihrer Umgebung. Das heißt: in ihr ist eine konstant bereitgehaltene Kraft, die fähig ist, auf die Einwirkung von Kraft aus ihrer Umgebung zu reagieren. Es wird behauptet, die Idee einer vitalen Kraft in der Pflanze und anderen lebenden Organismen sei durch diese Experimente zerstört worden. Wenn wir aber sagen, ein stimulierender Reiz ist auf die Pflanze angewandt worden, meinen wir: eine erregte Kraft, eine Kraft in dynamischer Bewegung, sei auf dieses Objekt gerichtet worden. Und wenn wir sagen, es werde eine Reaktion gezeigt, meinen wir: Eine erregte Kraft, die zu dynamischer Bewegung und sensitiver Vibration fähig ist, antwortet auf den Schock. Es gibt vibrierende Aufnahme und Antwort wie den Willen zu wachsen und zu sein, Hinweise auf eine untermentale, eine vital-physische Organisation bewußter Kraft, die in der Form des Seienden verborgen ist. Es scheint also Tatsache zu sein: Wie im Universum eine konstante dynamische Energie in Bewegung ist, die verschiedene mehr oder minder subtile oder grobe materielle Formen annimmt, so ist auch in jedem physischen Körper oder Objekt, in Pflanze, Tier oder Metall, dieselbe konstante dynamische Kraft gespeichert und aktiv. Ein gewisser Austausch zwischen beiden liefert uns die Phänomene, die wir mit der Idee von Leben verbinden. Dieses Wirken erkennen wir als die Aktion von Lebens-Energie. Was sich so in Energien umsetzt, ist die Lebens-Kraft. Mental-Energie, Lebens-Energie, materielle Energie sind verschiedenartige Energieformen der einen Welt-Kraft.

Selbst wenn eine Gestaltung uns als tot erscheint, existiert diese Kraft in ihr noch als Potenz, wenn auch ihre vertrauten vitalen Wirkensweisen suspendiert und dabei sind, völlig aufzuhören. In gewissen Grenzen kann das, was tot ist, wieder belebt werden. Man kann die gewöhnlichen Abläufe, Reaktion und Zirkulation aktiver Energie wiederherstellen.

Das beweist, daß das, was wir Leben nennen, noch latent im Körper war, wenn auch nicht aktiv in seinen üblichen Gewohnheiten, den allgemeinen Formen physischer Tätigkeit, nervlichen Spiels und Reagierens, in seinen Gewohnheiten als Lebewesen von bewußt mentaler Reaktion. Man kann nur schwer annehmen, daß es eine andersartige Einheit, Leben genannt, ist, die einen Körper völlig verlassen hat und wieder in ihn eingeht, wenn sie fühlt, daß jemand den Körper stimuliert – wie sollte sie das aber fühlen, wenn es nichts gibt, das sie mit dem Körper verbindet? In gewissen Fällen, so bei kataleptischer Erstarrung, sehen wir, daß die äußeren physischen Anzeichen und Aktivitäten des Lebens suspendiert sind, daß aber die Mentalfunktionen noch da sind, im Besitz des Selbsts und bewußt, wenn auch unfähig, die üblichen physischen Reaktionen durchzusetzen. Gewiß trifft es nicht zu, daß der Mensch physisch tot, mental jedoch am Leben ist oder daß Leben den Körper verließ, während Mentalität ihn noch bewohnt. Hier ist vielmehr die gewöhnliche physische Tätigkeit suspendiert, während das Mental noch aktiv ist.

Ebenso werden in gewissen Formen der Trance das physische Funktionieren und das vordergründige Mental suspendiert. Sie nehmen später ihre Tätigkeit wieder auf, in manchen Fällen durch äußeren Reiz, normalerweise durch spontane Rückkehr zur inneren Aktivität. In Wirklichkeit hat sich die vordergründige Mental-Kraft in das unterbewußte Mental und die vordergründige Vital-Kraft in das subaktive Leben zurückgezogen, und entweder ist der ganze Mensch in unterbewußtes Dasein versunken, oder er zog sein äußeres Leben ins Unterbewußte zurück, während sein inneres Wesen ins Überbewußte emporgehoben wurde. Hauptsache ist jetzt für uns, daß jene Kraft, was immer sie ist, die die dynamische Lebensenergie im Körper bewahrt, ihr vordergründiges Wirken tatsächlich suspendiert hat, doch noch in der Form der organisierten Stofflichkeit wirkt. Es kommt aber ein Punkt, von dem an es nicht mehr möglich ist, die unterbrochenen Aktivitäten wiederherzustellen. Das tritt ein, wenn der Körper eine Verletzung erlitten hat, die ihn für seine gewöhnlichen Funktionen unbrauchbar oder unfähig macht, oder wenn, ohne eine solche Verletzung, der Prozeß der Auflösung einsetzt, d. h. wenn die Kraft, die die Lebensaktion erneuern sollte, völlig erlahmt gegenüber dem Druck der Kräfte aus der Umgebung, mit deren Masse von Reizen sie einen ständigen Austausch zu unterhalten pflegte. Selbst dann ist noch Leben im Körper, aber ein Leben, das nur mit dem Auflösungsprozeß der geformten Stofflichkeit beschäftigt ist, damit es in deren Elemente entweichen und mit ihnen neue Formen bilden kann. Nun zieht sich der Wille in der universalen Kraft, der die Form zusammenhielt, aus ihrer Konstitution zurück und unterstützt dafür einen Zerstreuungsvorgang. Erst dann tritt der wirkliche Tod des Körpers ein. Leben ist also das dynamische Spiel einer universalen Kraft, zu der stets mentales Bewußtsein und nervliche Vitalität in irgendeiner Form oder zumindest prinzipiell gehören und die deshalb in unserer Welt in Erscheinung tritt und sich in den Formen von Materie organisiert. Das Lebens-Spiel dieser Kraft manifestiert sich als Austausch von Reiz und Reaktion auf den Reiz zwischen den verschiedenen Formen, die die Kraft aufgebaut hat und in denen sie ständig dynamisch pulsiert. Jede Gestaltung nimmt konstant den Atem und die Energien der gemeinsamen Kraft in sich ein und gibt sie wieder aus. Jede Gestaltung lebt hiervon und ernährt sich von ihr auf verschiedene Art: entweder mittelbar, indem sie andere Formen, in denen die Energie gespeichert ist, in sich aufnimmt, oder unmittelbar, indem sie die dynamischen Entladungen absorbiert, die sie von außen empfängt. All das ist das Spiel des Lebens. Für uns ist es aber hauptsächlich dort erkennbar, wo seine Organisation so ausgebildet ist, daß wir ihre mehr äußerlichen und komplexen Bewegungen wahrnehmen können, und besonders dort, wo es an jenem nervlichen Typus vitaler Energie Anteil hat, der zu unserer eigenen Organisation gehört. Aus diesem Grund erkennen wir es gern in der Pflanze an, dort gibt es offenkundige Erscheinungsformen von Leben, – und das wird uns noch viel leichter, wenn man dort auf Symptome von Nerventätigkeit hinweisen kann und auf ein von dem unsrigen nicht sehr verschiedenes vitales System. Wir wollen aber Leben nicht anerkennen im Metall, in Erde und im chemischen Atom, wo man diese phänomenalen Entwicklungen nur schwer entdecken kann oder wo sie anscheinend überhaupt nicht existieren.

Ist es wirklich gerechtfertigt, diesen Unterschied als wesenhaft zu erklären? Was ist z. B. der Unterschied zwischen Leben in uns und Leben in der Pflanze? Wir sehen uns erstens darin von ihr unterschieden, daß wir die Macht zur Fortbewegung besitzen; das hat aber offenbar nichts mit dem Wesen der Vitalität zu tun. Zweitens besitzen wir bewußtes Empfinden, das, soweit wir wissen, noch nicht in der Pflanze entwickelt ist. Weithin werden unsere nervlichen Reaktionen – wenn auch keineswegs immer oder in vollem Umfang – von der mentalen Reaktion bewußter Empfindung begleitet. Sie hat ihren Wert ebenso für das Mental wie für das Nervensystem und für den durch die Nerventätigkeit erregten Körper. In der Pflanze scheint es aber auch Symptome nervlicher Empfindung einschließlich derer zu geben, die sich in uns als Lust und Schmerz, Wachsein und Schlafen, Heiterkeit, Stumpfheit und Ermüdung äußern, und auch der Körper ist innerlich durch diese Nerventätigkeit erregt. Doch ist kein Anzeichen vorhanden für die tatsächliche Gegenwart einer mental bewußten Empfindung. Empfindung bleibt aber Empfindung, ob sie mental bewußt oder vital empfindbar ist, und Empfindung ist eine Form von Bewußtsein. Wenn die empfindende Pflanze bei einer Berührung zurückschreckt, dürfte ein nervlicher Affekt vorliegen. Etwas in ihr hat diese Berührung nicht gern und sucht sich deshalb von ihr zurückzuziehen. Mit einem Wort, es gibt in der Pflanze ebenso eine unterbewußte Empfindung, wie es nach unseren Erkenntnissen unterbewußte Vorgänge derselben Art in uns gibt. Im menschlichen System kann man sehr wohl diese unterbewußten Wahrnehmungen und Empfindungen an die Oberfläche des Bewußtseins bringen, noch lange, nachdem sie sich ereigneten und aufhörten, das Nervensystem zu beeindrucken. Eine immer umfangreicher werdende Evidenz hat unwiderleglich in uns das Dasein einer unterbewußten Mentalität festgestellt, die viel umfangreicher ist als die bewußte. Die bloße Tatsache, daß die Pflanze kein vordergründig aufmerksames Mental besitzt, das zur Auswertung ihrer unterbewußten Empfindungen erweckt werden kann, bedeutet für die wesenhafte Identität der Phänomene keinen Unterschied. Da diese Phänomene dieselben sind, muß auch das, was sie manifestieren, dasselbe sein, und dieses ist ein unterbewußtes Mental. Es ist auch leicht möglich, daß es eine mehr rudimentäre Lebensbetätigung des unterbewußten Sinnen-Mentals im Metall gibt, obwohl es dort keine körperliche, der Nervenreaktion entsprechende Erregung gibt. Aber das Fehlen körperlicher Erregung macht für die Anwesenheit von Vitalität im Metall ebensowenig einen Unterschied, wie das Fehlen körperlicher Fortbewegung einen wesenhaften Unterschied für die Anwesenheit von Vitalität in der Pflanze macht.

Was geschieht, wenn im Körper das Bewußte unterbewußt oder das Unterbewußte bewußt wird? Der wirkliche Unterschied liegt darin, daß die bewußte Energie in einen Teil ihres Wirkens absorbiert und dort mehr oder weniger exklusiv konzentriert ist. In gewissen Formen von Konzentration hört das, was wir die Mentalität, prajnana, das vordergründig wahrnehmende Bewußtsein nennen, völlig oder fast auf, bewußt zu wirken. Dennoch geht die Tätigkeit des Körpers, der Nerven und des Sinnen-Mentals unbemerkt, doch konstant und vollkommen weiter. Sie ist ganz unterbewußt geworden. Das Mental ist nur in einer einzigen Aktivität oder in einer Kette von Aktivitäten hell aktiv. Zum Beispiel wird, während ich schreibe, der physische Akt des Schreibens weithin, manchmal völlig, vom unterbewußten Mental geleistet. Der Körper macht, wie wir sagen, unbewußt gewisse nervliche Bewegungen. Das Mental ist nur für das Denken wach, mit dem es beschäftigt ist. Der ganze Mensch kann sogar ins Unterbewußte hinabsinken. Dennoch können gewohnheitsmäßige Bewegungen, die mentales Wirken voraussetzen, weitergehen wie in vielen Erscheinungen des Schlafs. Oder der Mensch mag sich in das Überbewußte erheben und dennoch mit dem subliminalen Mental im Körper aktiv sein, wie bei gewissen Phänomenen von samadhi, der Trance im Yoga. Der Unterschied zwischen dem Empfinden der Pflanze und dem unsrigen ist also offensichtlich einfach der: In der Pflanze ist die sich im Universum manifestierende bewußte Kraft noch nicht völlig aus dem Schlaf der Materie, aus der Absorption hervorgetreten, die die wirksame Kraft vom Ursprung ihres Wirkens im überbewußten Wissen völlig trennt. Darum tut sie unterbewußt das, was sie bewußt tun wird, wenn sie im Menschen aus ihrer Absorption hervortritt und, wenn auch noch mittelbar, zu ihrem Erkenntnis-Selbst zu erwachen beginnt. Sie tut genau dieselben Dinge, nur auf andere Art und von anderem Wert in Begriffen von Bewußtsein.

Jetzt können wir begreifen: Sogar im Atom gibt es etwas, das in uns zu Willen und Begehren, dort zu Anziehung und Abstoßung wird. In ihrer Erscheinung sind sie verschieden, doch im wesentlichen ist es dasselbe wie bei uns Zuneigung und Abneigung. Wir sagen: dort ist es unbewußt oder unterbewußt. Diese Essenz von Wille und Begehren ist überall in der Natur evident. Sie sind, obwohl das noch nicht genügend beachtet wird, mit dem Ausdruck eines Unterbewußten verbunden und eigentlich dessen Ausdruck oder sozusagen ein nicht-bewußtes oder ganz involviertes Empfinden und eine Intelligenz, die alles in gleicher Weise durchdringen. Da all das in jedem Atom der Materie gegenwärtig ist, ist es notwendigerweise auch in allem gegenwärtig, was durch ein Aggregat von Atomen geformt ist. Sie sind im Atom gegenwärtig, weil sie in der Kraft gegenwärtig sind, die das Atom aufbaut und konstituiert.

Diese Kraft ist fundamental das chit-tapas oder die chit-shakti des Vedanta, Bewußtseins-Kraft, eine dem Bewußt-Seienden ursprünglich innewohnende bewußte Kraft, die sich manifestiert: in der Pflanze als nervliche Energie, erfüllt von untermentaler Empfindung, in der primitiven Tierform als Begehrens-Empfinden und Begehrens-Wille, in dem sich entwickelnden Tier als selbstbewußtes Empfinden und Kraft, im Menschen als mentaler Wille und ein Erkennen, das alles andere übertrifft. Leben ist eine Skala der universalen Energie, in der der Übergang vom Unbewußten zum Bewußtsein hergestellt wird. Eine vermittelnde Macht dessen ist in der Materie latent vorhanden oder versunken. Sie wird durch eigene Kraft ins submentale Wesen entbunden und zuletzt durch das Hervortreten des Mentals völlig befreit in die volle Entfaltungsmöglichkeit ihrer Kraftfülle.

Unerachtet aller anderen Erwägungen drängt sich dieser Schluß als logische Notwendigkeit auf, wenn wir eben diesen Vorgang, wie das Mental nach außen hervortritt, im Licht des Themas Evolution betrachten. Es ist von selbst einleuchtend, daß Leben in der Pflanze, wenn auch andersartig als im Tier organisiert, dennoch dieselbe Macht ist, gekennzeichnet durch Geburt, Wachsen und Tod, Fortpflanzung durch Samen, Tod durch Verfall, Krankheit oder Gewalt, Aufrechterhaltung durch Einnahme nährender Elemente von außen, Abhängigkeit von Licht und Wärme, Fruchtbarkeit und Unfruchtbarkeit. Es gibt auch Zustände von Schlaf und Wachsein, Energie und Depression der Lebenskräfte, den Übergang von Kindheit zu Reife und Altern. Überdies enthält die Pflanze die Essenzen der Lebenskraft und ist darum natürliche Nahrung für Tier-Existenzen. Wenn anerkannt ist, daß sie ein Nervensystem und Reaktionen auf Reize besitzt, einen Anfang oder Unterstrom submentaler oder rein vitaler Empfindungen, wird diese Identität noch deutlicher. Doch verbleibt die Pflanze offensichtlich auf einer Zwischenstufe der Lebens-Evolution zwischen der Tier-Existenz und der “unbelebten” Materie. Gerade das muß man erwarten, wenn Leben eine Kraft ist, die sich aus der Materie entwickelt und im Mental ihren Höhepunkt erreicht. Ist dem so, müssen wir auch annehmen, daß es bereits in der Materie selbst existiert, versunken oder latent im materiellen Unterbewußtsein oder in der Nicht-Bewußtheit. Von woher könnte es sonst emportauchen? Evolution von Leben in Materie setzt seine vorhergehende Involution in dieser voraus. Sonst müßten wir annehmen, es sei eine Neuschöpfung, die auf magische und unerklärliche Weise in die Natur eingeführt wurde. Wäre sie das, müßte sie entweder eine Schöpfung aus dem Nichts oder das Ergebnis materieller Vorgänge sein, die durch nichts in den Abläufen selbst und durch kein Element verwandter Natur in ihnen begründet sind. Oder das Leben mag in unfaßbarer Weise von oben herniedergekommen sein, aus einem supraphysischen Bereich oberhalb des materiellen Universums. Die beiden ersten Annahmen können als willkürliche Auffassungen verworfen werden. Die letzte Erklärung ist möglich, sie ist auch begreiflich. In der okkulten Betrachtung der Dinge ist wahr, daß Druck aus einer Lebens-Ebene oberhalb des materiellen Universums das Hervortreten des Lebens hier unterstützt hat. Das schließt aber nicht den Ursprung von Leben aus Materie selbst als die ursprüngliche, notwendige Bewegung aus. Denn die Existenz einer Lebens-Welt oder Lebens-Ebene oberhalb der materiellen führt nicht von selbst zum Hervortreten von Leben in der Materie, wenn jene Lebens-Ebene nicht als formative Stufe im Herniederkommen von Sein durch verschiedene Grade oder Mächte des Seins selbst existiert bis hinab in die Nicht-Bewußtheit, mit dem Ergebnis, daß das Sein sich mit allen diesen Mächten seiner selbst in die Materie involviert, damit sie in einer späteren Evolution aus ihr hervortreten. Es ist keine Frage von entscheidender Bedeutung, ob Anzeichen dieses versunkenen Lebens in materiellen Dingen, noch unorganisiert oder rudimentär, zu entdecken sind, oder ob es keine solchen Hinweise gibt, da dieses involvierte Leben in tiefem Schlaf liegt. Die materielle Energie, die die Aggregate bildet, gestaltet und wieder auflöst,9 ist dieselbe Macht in einem anderen Grad ihrer selbst wie die Lebens-Energie, die sich im Geborenwerden, Wachsen und Sterben ausdrückt, wie sie sich auch, wenn sie ihre Werke von Intelligenz in schlafwandlerischer Unterbewußtheit tut, als dieselbe Macht erweist, die in einem noch anderen Grad den Status des Mentals erlangt. Ihr wahrer Charakter zeigt, daß sie die noch ungeborenen Mächte von Mental und Leben in sich enthält, wenn auch noch nicht in deren charakteristischer Organisation oder Wirkensweise.

Leben offenbart sich als überall wesenhaft dasselbe vom Atom bis zum Menschen. Das Atom enthält den unterbewußten Stoff und die Bewegung von Seiendem, die im Tier in Bewußtsein freigesetzt werden, wobei Pflanzenleben eine Mittelstufe des Weges der Evolution ist. Leben ist in Wirklichkeit ein universales Wirken von Bewußter Kraft, die unterbewußt auf die Materie und in ihr wirkt. Es wirkt, indem es Formen oder Körper erschafft, erhält, zerstört und wiedererschafft und durch das Spiel von Nervenkraft, d. h. durch Ströme von Austausch stimulierender Energie in diesen Körpern bewußtes Empfinden zu erwecken sucht. Bei diesem Vorgang gibt es drei Stufen: Die unterste ist die, in der die Vibration noch im Schlaf der Materie liegt, so völlig unterbewußt, daß sie ganz mechanisch zu sein scheint. Die mittlere Stufe ist die, in der das Leben fähig wird zu reagieren, zwar noch untermental, aber doch im Obergang zu dem, was wir als Bewußtsein kennen. Die höchste Stufe ist die, in der das Leben bewußte Mentalität in der Form mental wahrnehmbarer Empfindung entwickelt, die bei diesem Übergang zur Grundlage wird, auf der sich Sinnen-Mental und Intelligenz entfalten. Auf dieser Mittelstufe erfassen wir die Idee des Lebens als unterschieden von Materie und Mental. In Wirklichkeit ist es dasselbe auf allen Stufen und stets ein Mittelbegriff zwischen Mental und Materie. Es konstituiert letztere und ist erfüllt von der ersteren. Leben ist das Wirken Bewußter Kraft, weder eine reine Gestaltung von Stofflichkeit noch eine Wirkensweise des Mentals, das Stoff und Form zum Objekt seines gestaltenden Erfassens macht. Leben erfüllt vielmehr bewußtes Seiendes mit Energien und wird so zur Ursache und Unterstützung der Formung von Stofflichkeit und zur Vermittlung, Quelle und Stütze bewußten mentalerfassenden Begreifens. Leben befreit durch dieses vermittelnde Erfüllen des bewußten Seienden mit Energie eine Form schöpferischer Kraft des Seins zu empfindender Aktion und Reaktion, die unterbewußt oder unbewußt, absorbiert in ihren eigenen Stoff, schon am Wirken war. Es unterstützt und befreit zum Handeln das auffassende Seins-Bewußtsein, Mental genannt, und gibt ihm eine dynamische Instrumentation, so daß es nicht nur auf seine eigenen Formen einwirken kann, sondern auch auf Formen von Leben und Materie. Außerdem verbindet und unterstützt es, als Mittelbegriff zwischen Mental und Materie, den wechselseitigen Umgang beider. Das leben liefert dieses Mittel der Beziehung zueinander in den ständigen Strömungen ihrer pulsierenden Nervenenergie. Sie enthalten die Kraft der Form als ein Empfinden, um das Mental zu modifizieren, und bringen wieder Mental-Kraft als den Willen zurück, die Materie umzugestalten. Diese Nerven-Energie ist es, die wir gewöhnlich meinen, wenn wir von Leben sprechen. Es ist prana, die Lebenskraft des indischen Systems. Nerven-Energie ist aber nur die Form, die sie im Tierwesen annimmt. Diesselbe Energie von prana ist in allen Formen gegenwärtig bis hinab zum Atom, da es dem Wesen nach überall dasselbe und überall dasselbe Wirken der Bewußten Kraft ist, jener Kraft, die das stoffliche Dasein ihrer eigenen Formen unterstützt und modifiziert, Kraft mit Empfinden und Mentalität, die im Geheimen aktiv, aber zuerst in die Form involviert ist und sich auf das Hervortreten vorbereitet, um schließlich aus ihrer Involution hervorzutreten. Das ist die ganze Bedeutung jenes allgegenwärtigen Lebens, das das materielle Universum manifestiert hat und bewohnt.

Kapitel XX. Tod, Begehren und Untauglichkeit

Im Anfang war alles von Hunger, das ist Tod, bedeckt; dieser bildete für sich Mentalität, so daß er zum Besitz des Selbsts gelangen könnte.

Brihadaranyaka Upanishad, I.2.1.

Dies ist die Macht, die das Sterbliche entdeckt, das die Menge seiner Begehren hat, so daß es alle Dinge tragen könnte. Sie nimmt den Geschmack aller Speisen an und erbaut dem Seienden ein Haus.

Rig Veda, V.7.6.

Im vorigen Kapitel haben wir Leben unter dem Gesichtspunkt des materiellen Daseins und des Erscheinens und Wirkens des vitalen Prinzips in der Materie betrachtet und Schlüsse gezogen aus den Daten, die uns das evolutionäre irdische Dasein bietet. Es ist aber evident, daß das allgemeine Prinzip, wo immer es erscheint und wie es auch unter gleich welchen Bedingungen wirken mag, überall dasselbe sein muß. Leben ist universale Kraft, die aufgrund ihres fundamentalen Charakters wirkt, um zu erschaffen, mit Energie zu erfüllen, zu erhalten und umzugestalten, und dabei so weit geht, daß sie Formen von Substanz im gegenseitigen Kräftespiel und Austausch einer offen oder insgeheim bewußten Energie auflöst und neu konstruiert. In der von uns bewohnten materiellen Welt ist das Mental ebenso im Leben involviert und unterbewußt, wie das Supramental im Mental involviert und unterbewußt ist. Und das Leben, das ein involviertes unterbewußtes Mental in sich enthält, ist selbst wieder in Materie involviert. Darum ist hier Materie die Basis und der sichtbare Anfang. In der Sprache der Upanishaden ist prthvi, das Erd-Prinzip, unsere Grundlage. Das materielle Universum beginnt vom formalen Atom her, das mit Energie aufgeladen und angefüllt ist mit dem ungeformten Stoff von unterbewußtem Begehren, Willen und unterbewußter Intelligenz. Aus dieser Materie offenbart sich das sichtbar werdende Leben und entbindet aus sich mittels des lebendigen Körpers das Mental, das es in sich gefangen hält. Ebenso muß das Mental das in seinem Wirken verborgene Supramental aus sich entbinden. Wir können uns aber auch eine Welt von anderer Konstitution vorstellen, in der das Mental am Anfang nicht involviert ist, sondern bewußt seine ihm eingeborene Energie verwendet, um ursprüngliche Gestaltungen aus Stoff zu erschaffen, also nicht, wie hier, am Anfang nur unterbewußt ist. Wenn sich auch der Ablauf einer solchen Welt von dem der unsrigen ganz verschieden auswirken würde, wäre doch der vermittelnde Träger des Wirkens jener Energie immer Leben. Die Sache würde dieselbe sein, selbst wenn der Prozeß völlig umgekehrt wäre.

Dann wird aber unmittelbar klar, Leben ist nur eine zweckbestimmte Auswirkung der Bewußtseins-Kraft, deren bestimmende Form und schöpferischer Bewirker die Real-Idee ist, ebenso wie das Mental nur eine zweckbestimmte Wirkensart des Supramentals ist. Bewußtsein als Kraft ist die Eigentümlichkeit des Seins, und dieses bewußte Sein, als schöpferischer Wissens-Wille manifestiert, ist die Real-Idee oder das Supramental. Der supramentale Wissens-Wille ist Bewußtseins-Kraft, die wirksam gemacht wurde für die Erschaffung von Formen eines geeinten Wesens in einer geordneten Harmonie, der wir den Namen Welt oder Universum geben. Ebenso sind Mental und Leben dieselbe Bewußtseins-Kraft, derselbe Wissens-Wille, die aber für die Gestaltung und Erhaltung unterschiedlicher individueller Formen wirken: in einer Art Abgrenzung, Gegenüberstellung und gegenseitigem Austausch, wobei die Seele in jeder Form des Wesens ihr eigenes Mental und Leben ausarbeitet, als wären sie von den anderen getrennt, während sie tatsächlich niemals voneinander getrennt sind sondern das Spiel der einen Seele, des einen Mentals und Lebens in unterschiedlichen Gestaltungen ihrer einzigen Wirklichkeit. Mit anderen Worten: so wie das Mental das zweckbestimmte individualisierende Wirken des alles in sich begreifenden und alles nach außen verstehenden Supramentals ist, der Vorgang, durch den sein Bewußtsein, individualisiert in jeder Gestalt, von dem ihr eigentümlichen Standpunkt aus und mit den kosmischen Beziehungen wirkt, die von diesem Standpunkt ausgehen, so ist Leben das zweckbestimmte Wirken, durch das die Kraft des Bewußten Wesens durch den alles besitzenden und allschöpferischen Willen des universalen Supramentals individuelle Gestaltungen fördert, mit Energie erfüllt, konstituiert, rekonstituiert und in ihnen als in der Basis aller Aktivität der so verkörperten Seele handelt. Leben ist die Energie des Göttlichen Wesens, das sich selbst konstant in. Formen wie in einer Kraftmaschine auflädt und nicht nur mit der nach außen wirkenden Batterie ihrer Kraftstöße auf umgebende Formen der Dinge einwirkt, sondern selbst auch die eindringenden Kraftstöße alles umgebenden Lebens empfängt, wenn sie von außen, vom umgebenden Universum her, auf die Form einströmen und sie durchdringen.

Bei dieser Betrachtung erscheint Leben als eine vermittelnde und für die Einwirkung von Mental auf Materie geeignete Form von Bewußtseins-Energie. In gewissem Sinn kann man sagen, es ist ein Energie-Aspekt des Mentals, wenn dieses schöpferisch wirkt und sich nicht nur auf Ideen bezieht, sondern auf Bewegungen von Kraft und auf Formen von Stoff. Man muß aber sofort hinzufügen: ebenso, wie das Mental keine gesonderte Einheit ist, sondern das ganze Supramental hinter sich hat, und das Supramental es ist, das erschafft, mit dem Mental nur als seiner zweckbestimmten individualisierenden Wirkensweise, so ist auch Leben keine gesonderte Einheit oder Bewegung, sondern hat es die ganze Bewußte Kraft bei jeder einzelnen seiner Aktivitäten hinter sich. Und es ist allein jene Bewußte Kraft, die in den erschaffenen Dingen existiert und wirkt. Leben ist nur ihr zweckbestimmtes, zwischen Körper und Mental vermittelndes Wirken. Alles, was wir vom Leben aussagen, muß also durch das qualifiziert sein, was sich aus dieser Abhängigkeit ergibt. Erst dann kennen wir Leben in seiner Eigentümlichkeit und seinem Verfahren, wenn wir jener in ihm wirkenden Bewußten Kraft, deren äußerer Aspekt und Instrumentation es nur ist, inne sind und bewußt werden. Nur dann können wir als individuelle Seelen-Gestaltungen und als mentale und körperliche Instrumente des Göttlichen Wesens mit Erkenntnis den Willen Gottes im Leben wahrnehmen und ausführen. Nur dann können Leben und Mental in immer geraderen Wegen und Bewegungen zur Wahrheit in uns und in den Dingen vorwärtsgehen und die Entstellungen und Krümmungen der Unwissenheit ständig vermindern. Wie das Mental sich bewußt mit dem Supramental einen muß, von dem es sich durch die Einwirkung der Unwissenheit, avidya, absonderte, so muß auch Leben der Bewußten Kraft innewerden, die in ihm auf Ziele hinwirkt und einen Sinn erfüllt, deren das Leben in uns deshalb unbewußt ist, weil es vom bloßen Prozeß zu leben so völlig in Anspruch genommen ist, wie unser Mental von dem bloßen Vorgang absorbiert ist, Leben und Materie zu vergeistigen. Darum ist Leben in seinem verfinsterten Wirken so unbewußt, daß es diesen Prozessen blind und ignorant dient und nicht erleuchtet oder mit einer das Selbst erfüllenden Erkenntnis, Macht und Freude, wie es das in seiner Befreiung und Erfüllung tun muß und will.

Da unser Leben dem verfinsterten und trennenden Wirken des Mentals dient, ist es faktisch selbst verdunkelt, zertrennt und muß die Unterwerfung unter Tod, Beschränkung, Schwäche, Leiden und unwissendes Tätigsein auf sich nehmen, das vom gebundenen, beschränkten geschöpflichen Mental erzeugt und verursacht wird. Die ursprüngliche Quelle der Entstellung war, wie wir gesehen haben, die Selbst-Beschränkung der individuellen Seele. Sie ist an die Unkenntnis ihres Selbsts gebunden, da sie sich infolge einer exklusiven Konzentration für eine besondere, selbst-seiende Individualität hält und jedes kosmische Wirken nur so betrachtet, wie und als was es sich ihrem individuellen Bewußtsein, Erkennen, Wollen, Genießen, ihrer Kraft und begrenzten Wesenheit darbietet, statt sich selbst als bewußte Form des Einen zu erkennen und alles Bewußtsein und Erkennen, alles Wollen, alle Kraft, alles Genießen und alles Wesen als eines mit ihrem eigenen zu umfassen. So wird das universale Leben in uns, das dieser Lenkung durch die im Mental gefangene Seele gehorcht, selbst in eine individuelle Aktion eingesperrt. Es existiert und handelt als gesondertes Leben, begrenzt und unzureichend begabt, Schock und Druck des ganzen es umgebenden kosmischen Lebens unterworfen, das es nicht frei umfassen kann. Als ein armes, begrenztes, individuelles Dasein wird es in den ständigen kosmischen Kraft-Austausch im Universum geworfen. Darum leidet das Leben anfänglich hilflos und muß dem ungeheuren Spiel der aufeinander prallenden Kräfte mit einer nur mechanischen Reaktion auf all das antworten, was es angreift, verschlingt, genießt, verwendet und antreibt. Wenn sich aber Bewußtsein entwickelt, sobald das Licht seines eigenen Wesens aus der dumpfen Finsternis des Involutions-Schlafes hervortritt, wird das individuelle Dasein undeutlich seiner eigenen Macht inne und versucht, zuerst nervlich, dann mental dieses Kräftespiel zu bemeistern, zu verwenden und sich daran zu erfreuen. Dieses Erwachen zur Erfahrung der eigenen inneren Macht ist das stufenweise Wachwerden des Menschen zum Selbst. Leben ist Kraft, Kraft ist Macht, Macht ist Wille, Wille ist das Wirken des Meister-Bewußtseins. Im einzelnen Menschen wird das Leben in seinen Tiefen immer mehr dessen inne, daß auch es der Kraft-Wille von saccidananda, des Meisters des Universums, ist. Nun strebt er selbst danach, individuell Meister seiner eigenen Welt zu werden. Darum ist es der wachsende Impuls alles individuellen Lebens, seine eigene Macht zu realisieren, Meister über die eigene Welt zu werden und diese immer besser zu erkennen.

Dieser Impuls ist wesentliches Kennzeichen der wachsenden Selbst-Manifestation des Göttlichen Wesens im kosmischen Dasein.

Leben ist zwar Macht, und das Wachsen individuellen Lebens bedeutet Zunahme individueller Macht. Doch die bloße Tatsache, daß Leben und Kraft geteilt und individualisiert sind, hindert es daran, in Wirklichkeit Meister seiner Welt zu werden. Denn das würde bedeuten, daß es Meister der All-Kraft wäre. Für ein abgetrenntes, individualisiertes Bewußtsein mit einer zerteilten, individualisierten Macht und deshalb begrenztem Willen ist es aber unmöglich, Meister der All-Kraft zu sein. Nur der All-Wille kann das sein; der individuelle Wille nur dann – falls überhaupt –, wenn er wieder eins wird mit dem All-Willen und dadurch mit der All-Kraft. Wenn nicht, muß das individuelle Leben in individueller Gestalt stets den drei Merkmalen seiner Begrenzung unterworfen bleiben: Tod, Begehren, Unfähigkeit.

Dem individuellen Leben wird Tod sowohl von den Bedingungen seiner eigenen Existenz wie von seinen Beziehungen zur All-Kraft aufgenötigt, die sich im Universum manifestiert. Das individuelle Leben ist ein besonderes Energie-Spiel, darauf spezialisiert, eine der Myriaden Gestaltungen, die dem Gesamtspiel des Universums, jede an ihrem Ort, zu ihrer Zeit und in ihrer Reichweite dienen, zu konstituieren, zu erhalten, mit Kraft zu versorgen und schließlich aufzulösen, wenn es zu nichts mehr nütze ist. Die Lebensenergie im Körper ist dem Angriff der von außen auf ihn einwirkenden Energien im Universum dienstbar. Sie soll diese Kräfte in ihn hineinziehen, sich davon nähren und wird selbst ständig von ihnen verzehrt. Nach der Upanishad ist alle Materie Nahrung. Die Formel für die materielle Welt heißt: “Der Esser, der ißt, wird selbst aufgegessen.” Das im Körper organisierte Leben ist ständig der Möglichkeit ausgesetzt, durch den Angriff des von außerhalb andringenden Lebens zerstört zu werden, wenn seine Fähigkeit, selbst zu verzehren, nicht ausreicht, nicht richtig bedient wird oder wenn kein rechtes Gleichgewicht besteht zwischen der Fähigkeit, selbst zu verzehren, und der Fähigkeit oder Notwendigkeit, Nahrung für das Leben außerhalb zu liefern. Dann kann es sich nicht schützen und wird verzehrt, oder es ist unfähig, sich selbst zu erneuern, und wird vernichtet oder zerbrochen. So muß es durch den Prozeß des Todes hindurch, um neu erbaut oder erneuert zu werden.

Darüber hinaus ist aber – wieder in der Sprache der Upanishad – die Lebenskraft die Nahrung des Körpers und der Körper die Nahrung der Lebenskraft. Mit anderen Worten: die Lebensenergie in uns liefert einerseits das Material, durch das unsere Gestalt aufgebaut, ständig erhalten und erneuert wird, andererseits verbraucht sie dauernd ihre eigene stoffliche Form, die sie so erschafft und am Dasein erhält. Wenn das Gleichgewicht zwischen beiden Wirkensweisen unvollkommen oder gestört wird oder das geordnete Zusammenspiel der verschiedenen Ströme der Lebenskraft aus seinem Gang geraten ist, treten Krankheit und Verfall ein, und der Prozeß der Auflösung beginnt. Gerade das Ringen um bewußte Herrschaft des Mentals, selbst um sein Wachsen, erschwert die Erhaltung des Lebens noch mehr. Denn die Lebenskraft stellt dann höhere Anforderungen an die Gestalt, eine Beanspruchung, die über das ursprüngliche System der Belieferung hinausgeht und das frühere Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage stört. Bevor ein neues Gleichgewicht hergestellt werden kann, kommt es zu vielen Störungen, die der Harmonie und der Dauer der Erhaltung des Lebens abträglich sind. Außerdem ruft der Versuch zur Beherrschung stets eine entsprechende Reaktion von Kräften in der Umwelt hervor, die ihre eigene Befriedigung erstreben und darum gegenüber einer Existenz, die sie zu bemeistern sucht, intolerant sind, gegen sie revoltieren und sie angreifen. Auch hier wird das Gleichgewicht gestört und intensiverer Kampf hervorgerufen. Wie stark auch das beherrschende Leben ist, es kann nicht immer Widerstand leisten und siegen, sondern muß eines Tages unterliegen und sich auflösen, wenn es nicht unbegrenzt ist oder sonst wie mit Erfolg eine neue Harmonie mit seiner Umgebung herstellt.

Aber abgesehen von all diesen Notwendigkeiten gibt es das fundamentale Erfordernis der Natur und Ziel des verkörperten Lebens als solches: auf einer endlichen Grundlage unendliche Erfahrung zu suchen. Da aber gerade die Form, diese Basis, durch ihre Organisation die Möglichkeit von Erfahrung einschränkt, kann das nur geschehen, indem diese Gestaltungen aufgelöst und neue gesucht werden. Nachdem die Seele sich einmal dadurch einschränkte, daß sie sich auf den Augenblick und auf das irdische Feld konzentrierte, wird sie weiter getrieben, ihre Unendlichkeit wieder durch das Prinzip der Aufeinanderfolge zu gewinnen, indem sie Augenblick zu Augenblick fügt und so eine Zeit-Erfahrung speichert, die sie ihre Vergangenheit nennt. In dieser Zeit bewegt sie sich durch aufeinanderfolgende Bereiche, aufeinanderfolgende Erfahrungen oder Lebensabläufe, aufeinanderfolgende Anhäufung von Erkenntnis, Fähigkeit und Genuß. All das behält sie in unterbewußter oder überbewußter Erinnerung als ihr in vergangener Zeit erworbenes Kapital. Für diesen Prozeß ist die Verwandlung der Form wesentlich. Für die im individuellen Körper involvierte Seele bedeutet Verwandlung der Form Auflösung des Körpers im Gehorsam gegen das Gesetz und den Zwang des All-Lebens im materiellen Universum, gegen sein Gesetz, das Material für die Gestaltung zu liefern und von ihr Material zurückzufordern, gegen sein Prinzip ständigen Zusammenstoßes und Kampfes des verkörperten Lebens um sein Dasein in einer Welt gegenseitigen Sichverzehrens. Das ist das Gesetz des Todes.

Hierin besteht also die Notwendigkeit und Rechtfertigung des Todes: Er ist nicht eine Infragestellung des Lebens sondern ein Prozeß des Lebens. Tod ist notwendig, weil ewiger Wechsel der Form die einzige Unsterblichkeit ist, nach der die endliche, lebende Substanz streben kann. Ewiger Wechsel der Erfahrung ist die einzige Unendlichkeit, die das endliche, im lebenden Körper involvierte Mental erlangen kann. Diese Wandlung der Form darf nicht nur eine ständige Erneuerung desselben Form-Typus bleiben, wie er unser körperliches Leben zwischen Geburt und Tod konstituiert. Denn die notwendige Variation von Erfahrung, die die eigentliche Natur eines Daseins in Zeit und Raum erfordert, kann nur dadurch bewirkt werden, daß der Form-Typus verändert und das erfahrende Mental in neue Formen unter neuen Umständen von Zeit, Ort und Umgebung eingepflanzt wird. Diese notwendige und heilsame Wandlung läßt den Prozeß des Todes unserer sterblichen Mentalität nur deshalb als so schrecklich und unerwünscht erscheinen, weil alles aufgelöst und das Leben vom Leben verschlungen wird, weil Freiheit fehlt, weil Zwang, Kampf, Schmerz uns anscheinend dem Wicht-Selbst unterwerfen. Das Empfinden, aufgezehrt, zerbrochen, zerstört, durch Zwang fortgerissen zu werden, ist der Stachel des Todes, den auch die Überzeugung eines persönlichen Überlebens nicht ganz beseitigen kann.

Dieser Prozeß ist eine Notwendigkeit des gegenseitigen Sich-verzehrens, das, wie wir gesehen haben, das ursprüngliche Gesetz des Lebens in der Materie ist. Die Upanishad sagt: “Leben ist Hunger, und das ist Tod, und durch diesen Hunger, der Tod ist, asanaya mrtyuh, ist die materielle Welt erschaffen worden.” Leben gestaltet sich hier in materieller Substanz. Materielle Substanz ist Wesen, das unendlich zerteilt ist und sich immer wieder zusammenzuschließen sucht. Zwischen diesen beiden Impulsen unendlicher Zerteilung und unendlichen Zusammenschlusses ist das materielle Dasein des Universums konstituiert. Der Versuch des Individuums, des lebenden Atoms, sich zu behaupten und zu vergrößern, ist der Sinn des Verlangens: Es wächst physisch, vital, moralisch, mental, indem es mehr und mehr Erfahrung in sich aufnimmt, immer mehr in seinen Besitz bringt, absorbiert, assimiliert, genießt. Das ist der unvermeidliche, fundamentale, unausrottbare Impuls des Daseins, sobald es einmal zerteilt und individualisiert ist. Jedoch bleibt es insgeheim seiner alles umfassenden, alles besitzenden Unendlichkeit stets bewußt. Der Impuls, dieses geheime Bewußtsein zu realisieren, ist der Sporn des kosmischen Göttlichen Wesens, die Lust des verkörperten Selbsts in jedem individuellen Geschöpf. Es ist unvermeidlich, richtig und heilsam, daß es dies zuerst in den Begriffen von Leben durch stets zunehmendes Wachsen und Sich-ausweiten verwirklichen soll. In der physischen Welt kann das nur dadurch getan werden, daß es sich von seiner Umgebung nährt, sich durch Absorption anderer oder vom Besitz anderer vergrößert. Diese Notwendigkeit ist die universale Rechtfertigung von Hunger in allen seinen Formen. Das, was verschlingt, muß auch selbst wieder verschlungen werden. Denn das Gesetz gegenseitigen Austauschs, von Aktion und Reaktion, von beschränkter Begabung und darum zuletzt von Erschöpfung und Erliegen, regiert alles Leben in der physischen Welt.

Was im unterbewußten Leben nur erst vitaler Hunger ist, überträgt sich im bewußten Mental in höhere Formen. Hunger in den vitalen Schichten wird im mentalisierten Leben zur Sehnsucht des Begehrens, zur Anspannung von Willen im intellektuellen oder denkenden Leben. Diese Bewegung von Begehren muß und sollte weitergehen, bis der Einzelne so herangewachsen ist, daß er zuletzt Herr über sich selbst und, durch zunehmendes Einswerden mit dem Unendlichen, Besitzer dieses Universums werden kann. Begehren ist der Hebel, durch den das göttliche Lebens-Prinzip sein Ziel durchsetzt, sich selbst im Universum zu behaupten. Der Versuch, es zugunsten dumpfer Trägheit zu vernichten, ist Verleugnung des göttlichen Lebens-Prinzips, ist Wille-zum-Nichtsein, und das ist zwangsläufig Unwissenheit. Denn man kann erst aufhören, individuell zu existieren, wenn man unendlich ist. Auch Begehren kann rechtmäßig nur dadurch aufhören, daß es zum Begehren des Unendlichen wird und seinen vollen Frieden in erhabener Erfüllung und unendlichem Genügen in der alles besitzenden Seligkeit des Unendlichen findet. Inzwischen muß es vom Typus sich gegenseitig verzehrenden Hungers zum Typus gegenseitigen Schenkens fortschreiten, zu einem froheren Opfer des Austauschs: Der Einzelne schenkt sich anderen Einzelnen und empfängt sie wieder im Austausch. Der Niedere gibt sich an den Höheren hin und der Höhere an den Niederen, so daß sie ineinander erfüllt werden können. Das Menschliche überantwortet sich dem Göttlichen und das Göttliche dem Menschlichen. Das All im Individuum ergibt sich dem All im Universum und empfängt als göttlichen Lohn seine verwirklichte Universalität. So muß das Gesetz des Hungers fortschreitend dem Gesetz der Liebe weichen, das Gesetz der Trennung dem Gesetz der Einheit, das Gesetz des Todes dem Gesetz der Unsterblichkeit. Von dieser Art ist die Notwendigkeit, die Rechtfertigung und die erhabene Höhe und Selbst-Erfüllung des Begehrens, das im Universum am Werk ist.

Wie die vom Leben angelegte Maske des Todes ihren Grund in der Bewegung seines endlichen Suchens hat, sich seiner Unsterblichkeit zu versichern, so ist Begehren der Impuls der Kraft des im Leben individualisierten Wesens, sich fortschreitend in den Begriffen der Aufeinanderfolge in der Zeit und der Selbst-Ausdehnung im Raum im Rahmenwerk des Endlichen seine unendliche Seligkeit, das ananda von saccidananda, zu sichern. Die von diesem Impuls getragene Maske des Begehrens rührt unmittelbar vom dritten Phänomen des Lebens her, von seinem Gesetz der Unfähigkeit. Leben ist unendliche Kraft, die in den Begriffen des Endlichen wirkt. Während ihres vordergründigen, individualisierten Wirkens im Endlichen muß die Allmacht dieser Kraft als begrenzte Begabung und partielle Machtlosigkeit erscheinen und wirken, obwohl hinter jedem, wenn auch noch so schwachen, versagenden und strauchelnden Handeln des Individuums die ganze überbewußte und unterbewußte Gegenwart unendlicher, allmächtiger Kraft stehen muß. Ohne sie kann sich im Kosmos nicht die geringste Bewegung ereignen. In ihre Summe universaler Aktion versinkt jeder einzelne Akt und jede Bewegung durch das Gebot der allmächtigen Allwissenheit, die als das den Dingen innewohnende Supramental wirkt. Die individualisierte Lebenskraft ist aber ihrem eigenen Bewußtsein gegenüber begrenzt und unfähig. Sie muß nicht nur gegen eine Masse anderer individualisierter Lebenskräfte aus ihrer Umgebung handeln, sondern ist auch der Kontrolle und Infragestellung durch das unendliche Leben selbst unterworfen, mit dessen totaler Willens-Tendenz ihr eigener Wille und ihre eigene Neigung nicht ohne weiteres übereinstimmen mögen. Darum ist Beschränkung von Kraft, das Phänomen Unfähigkeit, die dritte der drei bezeichnenden Eigenschaften individualisierten und zerteilten Lebens. Andererseits bleibt der Impuls, sich selbst auszuweiten und alles zu besitzen, bestehen und nimmt nicht die Begrenztheit seiner jetzigen Kraft oder Fähigkeit zum Maßstab oder beschränkt sich darauf (was er auch gar nicht tun soll). Aus dem Mißverhältnis zwischen dem Impuls, zu besitzen, und der Kraft, in Besitz zu nehmen, entsteht das Begehren. Wenn es diese Diskrepanz nicht gäbe, wenn die Kraft den begehrten Gegenstand stets in Besitz nehmen und ihr Ziel stets sicher erreichen könnte, würde Begehren gar nicht entstehen; vielmehr gäbe es einen ruhigen, das Selbst besitzenden Willen ohne sehnendes Verlangen, so wie es der Wille des Göttlichen Wesens ist.

Wäre die individualisierte Kraft die Energie eines von Unwissenheit freien Mentals, würde eine solche Beschränkung, eine Notwendigkeit des Begehrens nicht eintreten. Ein vom Supramental nicht getrenntes Mental, ein Mental göttlichen Wissens, würde die Absicht, Reichweite und das unvermeidliche Ergebnis jeder seiner Handlungen kennen. Es brauchte sie nicht zu begehren und nicht darum zu ringen. Vielmehr würde es eine in sich sichere, selbst-beschränkte Kraft für den unmittelbar beabsichtigten Zweck einsetzen. Auch wenn es über das Gegenwärtige hinausstrebt und Bewegungen unternimmt, für die kein unmittelbarer Erfolg beabsichtigt ist, wäre es doch nicht dem Begehren oder der Beschränkung unterworfen. Denn auch die Mißerfolge des Göttlichen Wesens sind Akte seiner allwissenden Allmacht, die die rechte Zeit und die Umstände für den Anfang, die Wechselfälle, vorläufigen und endgültigen Ergebnisse all seiner kosmischen Unternehmungen kennt. Das Wissens-Mental würde in seinem Einklang mit dem göttlichen Supramental an diesem Wissen und an dieser alles entscheidenden Macht teilhaben. Wie wir aber gesehen haben, ist die individualisierte Lebenskraft Energie eines individualisierenden und unwissenden Mentals, eines Mentals, das aus der Erkenntnis seines eigenen Supramentals herausgefallen ist. Darum ist für seine Beziehungen im Leben das Unvermögen notwendig und in der Natur der Dinge unvermeidlich. Denn die praktische Allmacht unwissender Kraft selbst in einer begrenzten Sphäre ist undenkbar, da sich solch eine Kraft hier dem Wirken der göttlichen, allwissenden Allmacht entgegenstellen und die feststehende Absicht der Dinge auflösen würde –, eine unmögliche kosmische Situation. Darum ist das erste Gesetz des Lebens der Kampf begrenzter Kräfte, die durch Ringen unter dem vorwärtsdrängenden Antrieb instinktiven oder bewußten Begehrens ihre Begabung erweitern. Wie beim Begehren, so ist es auch bei diesem Ringen: es muß sich in ein gegenseitig hilfreiches Erproben von Stärke, in ein bewußtes Ringen von Bruder-Kräften emporheben, bei denen der Sieger und der Besiegte, oder vielmehr das, was durch Wirken von oben her, und das, was durch den Gegenschlag eines Wirkens von unten her, aufeinander Einfluß ausübt, in gleicher Weise gewinnen und wachsen muß. Das muß zuletzt wieder zum frohen Zusammenstoß eines göttlichen Austauschs der Kräfte, zur starken Umarmung der Liebe führen, die die krampfhafte Umklammerung des Kampfes ersetzt. Immerhin ist Kampf der notwendige, heilsame Anfang. Tod, Begehren und Kampf sind die Trinität zerteilten Lebens, die dreifache Maske des göttlichen Lebens-Prinzips bei seinem ersten Versuch, sich im Kosmos durchzusetzen.

Kapitel XXI. Der Aufstieg des Lebens

Laßt den Pfad des Wortes zu den Gottheiten führen, hin zu den Wassern, durch das Wirken des Mentals.

Rig Veda, X.30.1.

O Flamme, du gehst zum Himmels-Ozean, zu den Göttern. Du läßt die Gottheiten der Ebenen sich treffen, die Wasser, die Im Bereich des Lichtes über der Sonne sind, und die Wasser, die darunter bleiben.

Rig Veda, III.22.3.

Der Herr der Seligkeit erobert den dritten Zustand. Er erhält und regiert im Einklang mit der Seele des Allumfassenden. Wie ein Falke, wie eine Weihe läßt er sich auf dem Gefäß nieder und hebt es empor, als Finder des Lichts offenbart er den vierten Zustand und bleibt dem Ozean treu, der das Wogen dieser Wasser ist.

Rig Veda, IX.96.18,19.

Dreimal schritt Vishnu, setzte er seinen Schritt, aufgerichtet aus dem ursprünglichen Staub. Drei Schritte ist er geschritten, der Wächter, der Unbesiegbare, und vom Jenseits her hält er ihre Gesetze aufrecht. Erforsche die Wirkungen Vishnus und schaue, von wo er ihre Gesetze geoffenbart hat! Das Ist sein höchster Schritt, der je von Sehern geschaut wird, wie ein Auge, das sich im Himmel weitete; jenes entzünden die Erleuchteten, die Erwachten, zu lodernder Flamme: eben Vishnus höchsten Schritt.

Rig Veda, I.22.17-21.

Wir haben gesehen: Wie das zerteilte sterbliche Mental, Urheber der Begrenzung, Unwissenheit und Dualitäten, nur eine unerleuchtete Gestalt des Supramentals ist, des aus dem Selbst leuchtenden Göttlichen Bewußtseins bei seinem ersten Umgang mit der scheinbaren Verneinung seines Selbsts, aus der unser Kosmos entsteht, so ist auch Leben nur eine dunkle Gestaltung der göttlichen überbewußten Kraft, deren höchste Begriffe Unsterblichkeit, zufriedene Seligkeit und Allmacht sind, wenn es in unserem materiellen Universum als Energie des zerteilenden Mentals, unterbewußt, in Materie versunken und gefangen, als Urheber von Tod, Hunger und Unfähigkeit hervortritt. Diese Beziehung stellt die Eigentümlichkeit jenes großen kosmischen Vorgangs fest, dessen Teil wir sind. Sie bestimmt die ersten, die mittleren und die letzten Begriffe unserer Evolution. Die ersten Begriffe von Leben sind Zerteilung, ein Kraft-getriebener unterbewußter Wille, der nicht als Wille, sondern als dumpfer Drang physischer Energie erscheint und die Ohnmacht eines trägen Unterworfenseins unter jene mechanischen Kräfte ist, die den Austausch zwischen der Form und ihrer Umgebung regieren. Dieses Nicht-Bewußtsein und dieses blinde, aber machtvolle Wirken von Energie sind der Typus des materiellen Universums, wie es der Physiker sieht, der diese seine Betrachtung der Dinge verallgemeinert und zum Ganzen des fundamentalen Daseins verkehrt. Es ist das Bewußtsein von Materie und der vollendete Typus materiellen Lebens. Hier kommt es aber zu einem neuen Kräfte-Gleichgewicht. Eine neue Reihe von Begriffen tritt auf, die in dem Maße wachsen, in dem sich das Leben aus dieser Form befreit und zum bewußten Mental zu entwickeln beginnt. Denn die mittleren Begriffe von Leben sind Tod und gegenseitiges Sichverzehren, Hunger und bewußtes Verlangen, das Empfinden von begrenztem Raum und beschränkter Begabung, sowie das Bemühen, zu wachsen, sich auszudehnen, zu erobern und zu besitzen. Diese drei Begriffe bilden die Grundlage für diese Stufe der Evolution, die zuerst die Theorie Darwins der menschlichen Erkenntnis erschlossen hat. Denn das Phänomen des Todes schließt in sich den Kampf um Überleben ein, da Tod nur der negative Begriff ist, in dem sich Leben vor sich selbst verbirgt, um sein positives Wesen anzureizen, nach der Unsterblichkeit zu suchen. Denn das Phänomen von Hunger und Begehren involviert das Ringen nach einem Zustand von Befriedigung und Sicherheit, da Begehren nur der Anreiz ist, durch den Leben das eigene positive Wesen verlockt, aus der Negation unerfüllten Hungers zum vollen Besitz der Daseins-Seligkeit zu gelangen. Das Phänomen begrenzter Begabung involviert das Ringen um Ausdehnung, Meisterschaft, den Besitz des eigenen Selbsts und die Eroberung der Umwelt. Denn Einschränkung und Mangel sind nur die Negation, durch die Leben sein eigenes positives Wesen ermutigen will, nach Vollkommenheit zu suchen, zu der es stets fähig ist. Der Kampf um Leben ist nicht nur ein Kampf um Überleben, er ist auch ein Kampf um Besitz und Vervollkommnung, da Überleben nur gesichert werden kann, wenn wir unsere Umwelt mehr oder weniger in unsere Macht bekommen: durch Selbst-Anpassung an sie oder indem wir sie uns anpassen, sie akzeptieren und uns mit ihr aussöhnen oder sie erobern und umwandeln. Ebenso ist es wahr, daß wir uns nur durch immer mehr Vervollkommnung Dauerhaftigkeit, bleibendes Überleben sichern können. Diese Wahrheit sucht der Darwinismus durch die Formel vom Überleben des Tüchtigsten auszudrücken.

Wie das naturwissenschaftliche Mental auf das Leben jenes mechanische Prinzip auszuweiten versuchte, das dem Dasein und verborgenen mechanischen Bewußtsein in der Materie eigentümlich ist, ohne zu erkennen, daß ein neues Prinzip auftrat, dessen eigentlicher Daseinsgrund es war, über das Mechanische Herr zu werden, so wurde auch die Formel Darwins verwendet, um das aggressive Prinzip des Lebens zu weit über seine Geltung hinaus auszudehnen: die vitale Ichsucht des Individuums, den Instinkt und Prozeß der Selbsterhaltung, Selbstbehauptung und aggressive Lebensweise. Denn diese beiden ersten Zustandsformen von Leben enthalten in sich die Keime eines neuen Prinzips und eines anderen Zustands, der in dem Maße weiterwachsen muß, wie sich das Mental aus der Materie mittels der vitalen Formel in sein eigenes Gesetz entfaltet. Mehr noch müssen sich alle Dinge verändern, wenn ebenso, wie sich Leben zum Mental emporentwickelt, dieses Mental sich weiterentwickelt zum Supramental und zum Geist. Gerade weil der Kampf um Überleben, der Impuls zur Dauer auf den Widerspruch des Gesetzes des Todes stößt, wird das individuelle Leben gezwungen und dazu verwendet, Dauer eher für die Gattung zu suchen als für sich selbst. Das kann es aber ohne die Mitwirkung anderer nicht leisten. So werden das Prinzip des Zusammenwirkens und gegenseitiger Hilfe, das Verlangen nach den anderen, nach Weib und Kind, Freund und Helfer, nach der vereinten Gruppe, nach der Praxis des Zusammenschlusses, nach bewußter Gemeinschaft und nach Austausch zu Keimen, aus denen das Prinzip der Liebe erblüht. Zugegeben, Liebe ist zuerst eine ausgeweitete Ichsucht, und dieser Aspekt eines umfassenderen Egoismus mag weiter andauern und vorherrschen, wie er ja auch noch auf höheren Stufen der Evolution fortwirkt und vorherrscht. Wenn sich das Mental aber weiterentwickelt und immer mehr sich selbst findet, erkennt es dank der Erfahrung von Leben, Liebe und gegenseitiger Hilfe immer mehr, daß das naturhafte Individuum nur ein untergeordneter Begriff des Wesens ist und durch das Weltumfassende existiert. Hat der Mensch, das mentale Wesen, dies einmal entdeckt – wie er es unausbleiblich entdecken muß ist sein Schicksal bestimmt. Denn er hat den Punkt erreicht, da das Mental sich immer mehr der Wahrheit öffnen kann, daß es etwas jenseits von ihm gibt. Von diesem Augenblick an ist seine Entwicklung, wie dunkel und langsam sie auch sein mag, zu etwas Höherem vorbestimmt: zum Geist, zum Supramental, zum übermenschlichen Wesen.

Darum ist Leben durch seine eigene Natur für einen dritten Zustand prädestiniert, zu einer dritten Reihe von Begriffen, in denen es sich ausdrückt. Untersuchen wir diesen Aufstieg des Lebens, so werden wir sehen, daß die letzten Begriffe seiner aktuellen Evolution, die Begriffe dessen, was wir den dritten Zustand nennen, in ihrer Erscheinung notwendigerweise seinen ersten Zustandsformen völlig widersprechen und in Gegensatz zu ihnen stehen müssen, während sie in Wirklichkeit deren wahre Erfüllung und Umgestaltung sind. Leben beginnt mit äußersten Zerteilungen und starren Formen von Materie. Der eigentliche Typus dieser strengen Zerteilung ist das Atom, das die Grundlage aller materiellen Form ist. Das Atom steht von allen anderen Atomen selbst dann gesondert da, wenn es mit ihnen eine Einheit bildet. Es weist Tod und Auflösung durch jede gewöhnliche Kraft zurück. Es ist der physikalische Typus des abgesonderten Ichs, das sein Dasein gegen das Prinzip der Verschmelzung in der Natur abgrenzt. Aber in der Natur ist Einheit ein ebenso starkes Prinzip wie Trennung. Eigentlich ist es das Hauptprinzip, zu dem die Zertrennung nur ein untergeordneter Begriff ist. Darum muß sich jede zerteilte Form dem Prinzip der Einheit auf die eine oder andere Weise unterwerfen: durch mechanische Notwendigkeit, Zwang, Zustimmung oder freundlichen Druck. Wenn also die Natur wegen ihrer eigenen Ziele und um prinzipiell eine gesicherte Basis für ihre Kombinationen und einen festen Kern für ihre Formen zu besitzen, dem Atom gewöhnlich erlaubt, dem Prozeß der Fusion durch Auflösung zu widerstehen, zwingt sie es doch, dem Prozeß der Verschmelzung durch Zusammenschluß zu dienen. Wie das Atom der erste Zusammenschluß ist, so ist es auch die erste Grundlage für einheitliche Zusammenschlüsse.

Wenn Leben seinen zweiten Zustand erreicht, den wir als Vitalität kennen, übernimmt das entgegengesetzte Phänomen die Führung. Dann muß die physische Basis des vitalen Ichs der Auflösung zustimmen. Seine Bestandteile werden zerbrochen, so daß die Elemente des einen Lebens verwendet werden können, in die elementare Formation anderer Leben einzugehen. Wir haben noch nicht völlig erkannt, bis zu welchem Ausmaß dieses Gesetz in der Natur herrscht, und wir können das auch erst, wenn wir eine Wissenschaft vom mentalen Leben und spirituellen Dasein haben, die so gut fundiert ist wie unsere jetzige Wissenschaft des physischen Lebens und des Daseins der Materie. Immerhin können wir im allgemeinen sehen, daß nicht nur die Elemente unseres physischen Körpers, sondern auch die unseres subtileren vitalen Wesens, unsere Lebens-Energie, die Energie unseres Begehrens, unsere Mächte, Kämpfe und Leidenschaften sowohl während unseres Lebens wie auch nach unserem Tod in die Existenz anderer eingehen. Ein altes geheimes Wissen sagt uns: Wir haben ebenso eine vitale wie eine physische Struktur; auch sie wird nach dem Tod aufgelöst und gibt sich für die Konstituierung anderer vitaler Körper her. Solange wir leben, vermischen sich unsere Lebens-Energien ständig mit den Energien anderer Wesen. Ein ähnliches Gesetz lenkt die Beziehungen zwischen unserem mentalen Leben und dem mentalen Leben anderer denkender Geschöpfe. Es ist da eine ständige Auflösung, Ausstreuung und eine Rekonstruktion, die durch die Schockwirkung von Mental auf Mental mit konstantem Austausch und der Fusion von Elementen ausgeübt wird. Gegenseitiger Austausch, Vermischung und Fusion von Wesen mit Wesen ist der eigentliche Lebensprozeß, ein Daseins-Gesetz des Lebens.

So haben wir im Leben zwei Prinzipien: einerseits die Notwendigkeit oder den Willen des gesonderten Ichs, in seiner Besonderheit zu überleben und seine Identität zu bewahren; andererseits den ihm von der Natur auferlegten Zwang, mit anderen zu verschmelzen. In der physikalischen Welt legt die Natur auf ersteren Impuls starken Nachdruck. Denn sie muß stabile besondere Formen erschaffen, da es ihr erstes und in der Tat schwierigstes Problem ist, so etwas wie ein gesondertes Überleben von Individualität und für diese eine stabile Form zu erschaffen inmitten der ständigen Strömung und Bewegung von Energie und innerhalb der Einheit des Unendlichen. Darum bleibt im Atomleben die individuelle Form als Basis bestehen und sichert durch ihren Zusammenschluß mit anderen das mehr oder minder lang ausgedehnte Dasein aggregater Formen, die zur Basis vitaler und mentaler Individualisierungen werden. Sobald die Natur aber in dieser Beziehung genügend Festigkeit für eine ausreichend gesicherte Durchführung ihrer späteren Maßnahmen gewonnen hat, kehrt sie das Verfahren um. Die individuelle Form geht zugrunde, und das zu Gruppen zusammengeschlossene Leben gewinnt durch die Elemente der so aufgelösten Form. Das kann aber nicht die letzte Stufe sein. Diese kann nur erreicht werden, wenn die beiden Prinzipien harmonisiert sind, wenn das Individuum im Bewußtsein seiner Individualität beharren und dennoch mit anderen verschmelzen kann, ohne das bewahrende Gleichgewicht zu stören und ohne das Überleben zu unterbrechen.

Die Begriffe des Problems setzen voraus, daß das Mental völlig hervortritt. In einer Vitalität ohne bewußtes Mental kann es keine Ausgeglichenheit geben, nur ein zeitweiliges instabiles Gleichgewicht, das im Tod des Körpers, in der Auflösung des Individuums und in der Ausstreuung seiner Elemente in das Allumfassende endet. Die Eigenart physischen Lebens verbietet die Idee einer individuellen Form, die dieselbe innewohnende Macht zur Dauerhaftigkeit und darum auch zum fortgesetzten individuellen Dasein hat wie das Atom, aus dem sie zusammengesetzt ist. Nur ein mentales Wesen, das sich auf die verbindende psychische Mitte im Inneren stützen kann, die die geheime Seele ausdrückt oder auszudrücken beginnt, kann hoffen, dadurch zu überdauern, daß es in einem Strom von Kontinuität Vergangenheit mit Zukunft verknüpft. Wenn die Form zerbricht, mag auch die Kontinuität in der physischen Erinnerung abbrechen. Das braucht aber die Kontinuität im mentalen Wesen nicht zu zerstören, da durch mögliche Entwicklung die Lücke in der physischen Erinnerung überbrückt werden kann, die durch Tod und Geburt des Körpers geschaffen wurde. Selbst im jetzigen Zustand und bei der gegenwärtigen unvollkommenen Entwicklung des verkörperten Mentals wird das mentale Wesen der Masse einer Vergangenheit und einer Zukunft inne, deren Ausdehnung größer ist als die Lebens-Dauer dieses Körpers. Der Mensch nimmt in sich eine individuelle Vergangenheit individueller Lebensabläufe wahr, die sein jetziges Leben geschaffen haben und deren Entwicklung und abgewandelte Reproduktion er selbst ist. Er ahnt künftige individuelle Lebensabläufe, die er aus sich selbst erschafft. Er ist auch eines gemeinschaftlichen vergangenen und künftigen Lebens bewußt, in das seine eigene Kontinuität als einer von dessen Fäden eingewoben ist. Was der physischen Wissenschaft in den Begriffen von Vererbung einleuchtet, wird in anderer Weise der sich hinter dem mentalen Wesen entfaltenden Seele in den Begriffen fortdauernder Personalität deutlich. So ist das mentale Wesen, das dieses Seelen-Bewußtsein ausdrücken kann, die Verknüpfung des fortdauernden individuellen Lebens mit dem fortdauernden Gemeinschaftsleben. In ihm werden ihre Einheit und Harmonie möglich.

Ein Zusammenschluß mit Liebe als dem geheimen Prinzip und der hervorragend höchsten Erfüllung ist Typus und Macht dieser neuen Beziehung, darum auch das bestimmende Prinzip der Entwicklung zum dritten Zustand des Lebens. Notwendig für das Wirken des Prinzips der Liebe ist die bewußte Erhaltung der Individualität zusammen mit dem bewußt als notwendig anerkannten Verlangen nach Austausch, Selbst-Hingabe und Verschmelzung mit anderen Individuen. Wenn eine dieser beiden Voraussetzungen unerfüllt bleibt, hört das Wirken der Liebe auf, einerlei, was dann ihren Platz einnehmen mag. Erfüllung der Liebe durch völliges Sich-aufopfern, ja mit einer Illusion der Selbst-Vernichtung, ist gewiß auch eine Idee und ein Impuls im mentalen Wesen. Das weist aber auf eine Entwicklung hin, die jenseits des dritten Status des Lebens liegt. Der dritte Status ist ein Zustand, in dem wir immer mehr über den Kampf ums Leben durch gegenseitiges Sichaufzehren und das Überleben des Tüchtigen durch diesen Kampf hinauskommen. Hier kommt es immer mehr zu einem Überleben durch gegenseitige Hilfe und zur Selbst-Vervollkommnung durch gegenseitige Anpassung, durch Austausch und Verschmelzung. Leben ist zwar eine Selbst-Behauptung des Wesens, sogar Entwicklung und Überleben des Ichs, aber eines Wesens das die anderen Wesen braucht, und eines Ichs, das sich mit dem Ich anderer Menschen zu vereinigen und sie ebenso in sich einzuschließen sucht, wie es in ihr Leben einbezogen werden will. In diesem dritten Status der Evolution werden am tüchtigsten zum Überleben jene Individuen und Vereinigungen sein, die am meisten das Gesetz der Gemeinschaft und das Gesetz der Liebe verwirklichen: allgemeine Hilfe, Freundlichkeit, Herzlichkeit, Kameradschaftlichkeit und Einheit; die am erfolgreichsten das eigene Überleben mit gegenseitiger Selbst-Hingabe in Einklang bringen; deren Gesellschaft das Individuum ebenso wachsen läßt wie das Individuum die Gesellschaft; wo der Einzelne den Einzelnen und die Gemeinschaft die Gemeinschaft stärken durch gegenseitigen Austausch.

Diese Entwicklung ist für die zunehmende Vorherrschaft des Mentals10 bedeutsam, das sein Gesetz dem materiellen Dasein in stetigem Fortschritt auferlegt. Da das Mental eine größere Feinheit besitzt, braucht es nicht etwas zu verzehren, um es sich einzugliedern, es zu besitzen und dadurch zu wachsen. Vielmehr empfängt und wächst es um so mehr, je mehr es hingibt. Je mehr es mit anderen verschmilzt, desto mehr nimmt es diese in sich hinein und vermehrt so die umfassende Weite seines Wesens. Physisches Wesen erschöpft sich, wenn es sich zu sehr verausgabt. Es ruiniert sich, wenn es zu viel verzehrt. Wenn das Mental sich auf das Gesetz der Materie stützt, erleidet es im gleichen Maß dieselbe Beschränkung. In dem Maß aber, in dem es in das eigene Gesetz hineinwächst, neigt es dazu, diese Beschränkung zu überwinden. Je mehr es die materielle Beschränkung überwindet, desto mehr werden Geben und Empfangen eines. In seinem Emporsteigen wächst das Mental in das Gesetz der bewußten Einheit in Unterschiedlichkeit, in das göttliche Gesetz des geoffenbarten saccidananda.

Der zweite Begriff des ursprünglichen Lebens-Status ist unterbewußter Wille, der im sekundären Status zu Hunger und bewußtem Begehren wird, dem ersten Keim bewußter Mentalität. Die Entwicklung in den dritten Lebens-Zustand durch das Prinzip des Zusammenschlusses, das Wachstum der Liebe, hebt das Gesetz des Begehrens nicht auf, vielmehr wird es dadurch verwandelt und erfüllt. Ihrer Natur gemäß ist Liebe der Wunsch, sich an andere hinzugeben und andere im Tausch dafür zu empfangen. Es ist ein Handel zwischen dem einen und dem anderen Wesen. Physisches Leben begehrt nicht, sich hinzugeben; es begehrt nur zu empfangen. Es ist wahr, daß es gezwungen wird, sich hinzugeben; denn das Leben, das nur empfängt und nicht selbst gibt, muß unfruchtbar werden, verdorren und zugrunde gehen, – falls ein solches Leben in vollem Umfang überhaupt hier oder in irgendeiner Welt möglich ist. Es wird aber dazu gezwungen und ist selbst nicht willens. Es gehorcht eher dem unterbewußten Impuls der Natur, als daß es bewußt daran Anteil hat. Selbst wenn Liebe dazukommt, bewahrt die Selbst-Hingabe anfangs noch weithin den mechanischen Charakter des unterbewußten Willens im Atom. Liebe selbst gehorcht anfangs dem Gesetz des Hungers und genießt eher das Empfangen und die Ausnutzung anderer, als daß sie sich anderen schenkt und sich ihnen unterordnet; letzteres akzeptiert sie höchstens als notwendigen Preis für das, was sie begehrt. Hier hat sie eben noch nicht ihre wahre Natur erlangt. Ihr wahres Gesetz ist, einen gleichen Handel zu schaffen, in dem die Freude am Schenken ebenso groß ist wie die Freude über das Empfangen und am Ende sogar dazu neigt, die größere zu werden. Das geschieht aber dann, wenn sie unter dem Druck der psychischen Flamme über sich hinausschießt, um in der äußersten Einheit ihre Erfüllung zu erlangen. Deshalb kann sie nun, statt ihrer eigenen Individualität, das, was ihr zuerst als das Nicht-Selbst erschien, als ein größeres und lieberes Selbst verwirklichen. In seinem Lebens-Ursprung ist das Gesetz der Liebe der Impuls, sich selbst in anderen und durch andere zu verwirklichen und zu erfüllen; reich zu werden, indem man andere bereichert; andere zu besitzen und selbst ein Besitz der anderen zu sein, weil man, wenn man nicht auch von den anderen in Besitz genommen wird, sich selbst nicht bis zum letzten besitzen kann.

Zum ersten Lebens-Status gehört, daß das dumpfe Atom-Dasein unfähig ist, sich selbst zu besitzen, und das materielle Individuum dem Nicht-Selbst unterworfen ist. Der Typus des zweiten Status ist das Bewußtsein, eingeschränkt zu sein, und der Kampf, beides, das Selbst und das Nicht-Selbst, zu besitzen und zu beherrschen. Auch hier bringt die Entwicklung zum dritten Status eine Umwandlung der ursprünglichen Begriffe zu Erfüllung und Harmonie: Sie wiederholen die Begriffe, während sie ihnen zu widersprechen scheinen. Durch Gemeinschaftsbildung und Liebe kommt es zur Anerkennung des Nicht-Selbsts als eines größeren Selbsts und darum zur bewußt akzeptierten Unterwerfung unter sein Gesetz und seine Forderung, die den wachsenden Impuls gemeinschaftlichen Lebens erfüllt, das Individuum zu absorbieren. Hier kommt es wieder dazu, daß das Individuum das Leben anderer und alles dessen, was es ihm zu geben hat, als sein Eigen in seinen Besitz nimmt und so wieder den entgegengesetzten Impuls zu individuellem Besitz erfüllt. Diese Beziehung auf Gegenseitigkeit zwischen dem Individuum und der Welt, in der es lebt, kann so lange nicht richtig ausgedrückt werden oder vollständig und gesichert sein, als nicht die gleiche Beziehung zwischen Individuum und Individuum und zwischen den Gemeinschaften hergestellt ist. Das ganze schwierige Bemühen des Menschen, Selbstbehauptung und Freiheit, durch die er sich selbst besitzt, in Einklang zu bringen mit Gemeinschaft und Liebe, Brüderlichkeit und Kameradschaft, in denen er sich an andere hingibt, sowie seine Ideale des harmonischen Gleichgewichts, der Gerechtigkeit, Gegenseitigkeit, Gleichheit, durch die er einen Ausgleich der beiden Gegensätze schaffen will, sind in Wirklichkeit ein in seinen Grundlinien unvermeidlich vorausbestimmter Versuch, das ursprüngliche Problem der Natur zu lösen, das Problem des Lebens selbst durch Auflösung des Konflikts zwischen den beiden Gegensätzen, die sich schon in den Grundlagen des Lebens in der Materie vorfinden. Diese Lösung wird durch das höhere Prinzip des Mentals versucht, das allein den Weg zu der beabsichtigten Harmonie finden kann, auch wenn man diese Harmonie selbst in einer Macht entdecken kann, die noch jenseits von uns liegt.

Wenn die Daten, von denen wir ausgingen, richtig sind, kann das Ende des Wegs, das Ziel selbst, nur von einem Mental erreicht werden, das über sich selbst empordringt in das, was jenseits des Mentals liegt. Mental ist von Jenem nur ein untergeordneter Begriff und dessen Werkzeug: zunächst für das Herabkommen in die Gestaltung und Individualität und sodann für den Wiederaufstieg in jene Wirklichkeit, die sich in der Form verkörpert und durch die Individualität repräsentiert wird. Darum ist es unwahrscheinlich, daß die vollkommene Lösung des Lebens-Problems allein verwirklicht werden kann durch Zusammenschluß, gegenseitigen Austausch und Hilfsbereitschaft der Liebe oder allein durch das Gesetz des Mentals und des Herzens. Sie muß durch einen vierten Lebens-Status kommen. In ihm wird die ewige Einheit der Vielen durch den Geist realisiert. Dann werden die Lebensfunktionen bewußt nicht mehr auf die Zerteilungen des körperlichen Daseins gegründet, auch nicht auf die Leidenschaften und den Hunger der Vitalität oder auf die Gruppierungen und unvollkommenen Harmonien des Mentals oder auf eine Kombination all dieser, sondern auf die Einheit und Freiheit des Geistes.

Kapitel XXII. Das Problem des Lebens

Das ist es, was das Universale Leben genannt wird.

Taittiriya Upanishad, II.3.

Der Herr hat seinen Sitz im Herzen aller Wesen und dreht alle Wesen durch seine maya, als seien sie auf einer Maschine montiert.

Gita, XVIII.61.

Wer die Wahrheit kennt, das Wissen, die Unendlichkeit, die brahman ist, wird mit dem all-weisen brahman alle begehrenswerten Dinge genießen.

Taittiriya Upanishad, II.1.

Leben ist, wie wir gesehen haben, das Hervortreten einer Bewußten Kraft – unter gewissen kosmischen Bedingungen –, die ihrer Veranlagung nach unendlich, absolut, unbehindert und unveränderlich im Besitz ihrer eigenen Einheit und Seligkeit ist: der Bewußten Kraft von saccidananda. Die zentrale Eigentümlichkeit dieses kosmischen Prozesses besteht in der Fähigkeit des durch die Unwissenheit verfinsterten Mentals zum Zerteilen. Dadurch unterscheidet es sich in seinen Erscheinungsformen von der Reinheit des unendlichen Seins und vom Selbst-Besitz der unzerteilten Energie. Folge dieses zerteilten Wirkens einer ungeteilten Energie ist das Auftreten von Dualitäten, von Gegensätzlichkeiten, die scheinbar das Wesen von saccidananda verleugnen. Für das Mental existieren sie zwar als bleibende Wirklichkeit. Für das göttliche kosmische Bewußtsein aber, das hinter dem Schleier des Mentals verborgen ist, sind sie nur ein Phänomen, das eine vielfältige Wirklichkeit falsch darstellt. Darum erscheint die Welt als Zusammenprall entgegengesetzter Wahrheiten, von denen jede sich voll durchzusetzen sucht und auch das Recht auf Erfüllung hat. Sie erscheint als Masse von Problemen und Mysterien, die gelöst werden müssen, da hinter dieser Verwirrung die verborgene Wahrheit und Einheit steht, die auf Lösung und durch die Lösung auf ihre unverhüllte Manifestation in der Welt drängt.

Die Lösung muß vom Mental gesucht werden, aber nicht von ihm allein. Es muß eine Lösung im Leben sein, im Handeln des Menschen ebenso wie im Bewußtsein des Menschen. Bewußtsein hat als Kraft die Welt-Bewegung und ihre Probleme geschaffen. Bewußtsein als Kraft muß die von ihr geschaffenen Probleme lösen und die Welt-Bewegung zur unvermeidlichen Erfüllung ihres geheimen Sinnes und der in der Evolution hervortretenden Wahrheit bringen. Das Leben hat aber nacheinander drei Erscheinungsformen angenommen. Die erste ist materiell: Ein versunkenes Bewußtsein ist in seiner nur an der Oberfläche ausdrucksfähigen Aktivität und in seinen repräsentativen Formen von Kraft verborgen; denn das Bewußtsein selbst verschwindet im Akt aus der Sicht und geht in der Form verloren. Die zweite Erscheinung ist vital: Ein hervortretendes Bewußtsein ist als Lebens-Macht, als Wachstums-Prozeß, als Aktivität und als Verfall der Form halb-sichtbar; es ist aus seinem ursprünglichen Gefangensein halb-befreit; es vibriert in Macht als vitale Begierde, als Befriedigung oder Ablehnung, aber es vibriert anfänglich noch gar nicht und dann nur unvollkommen im Licht der Erkenntnis seines eigenen Selbst-Seins und seiner Umgebung. Die dritte Erscheinung ist mental: Ein hervorgetretenes Bewußtsein reflektiert das Lebens-Faktum als mentaler Sinn, reagierende Wahrnehmung und Idee. Zugleich versucht es als neue Idee, zum Lebens-Faktum zu werden, das innere Dasein des Menschen und entsprechend auch die äußere Existenz umzugestalten. Hier, im Mental, wird das Bewußtsein im Wirken und in der Form seiner Kraft aus seiner Gefangenschaft befreit. Es ist aber noch nicht Herr über Wirken und Form, da es als individuelles Bewußtsein hervortrat und darum nur eine fragmentarische Bewegung seiner Gesamtaktivität wahrnimmt.

Hier liegt alle Schwierigkeit des menschlichen Lebens. Der Mensch ist das mentale Wesen, das mentale Bewußtsein, das als mentale Kraft wirkt. In etwa ist er auch der allumfassenden Kraft und des allumfassenden Lebens bewußt, deren Teil er ist. Er ist aber doch unfähig, mit dem Leben im allgemeinen oder mit seinem eigenen Leben in einer wahrhaft wirksamen und überlegenen meisterschaftlichen Art umzugehen, weil er keine Erkenntnis seiner Universalität und nicht einmal seines gesamten Wesens hat. Er versucht, die Materie zu erkennen, um die materielle Umgebung zu meistern. Er will das Leben erkennen, um Herr über das vitale Dasein zu sein. Er strebt nach der Erkenntnis des Mentals, um die große dunkle Bewegung von Mentalität zu beherrschen, in der er nicht nur ein Licht-Strahl an Selbst-Bewußtsein ist wie das Tier, sondern mehr und mehr Flamme wachsender Erkenntnis. So sucht er, sich selbst zu erkennen, um Herr über sich selbst zu werden. So sucht er die Welt zu erkennen, um zum Herrn der Welt zu werden. Das ist das Drängen des Seins in ihm, der Zwang des Bewußtseins, das er selbst ist. Das ist der Impuls der Kraft, die sein Leben ist, und der geheime Wille von saccidananda, der als das Individuum in einer Welt erscheint, in dem Er Sich zum Ausdruck bringt und doch zu verleugnen scheint. Die Bedingungen zu entdecken, unter denen dieses innere Drängen zufriedengestellt werden kann, ist das Problem, um dessen Lösung der Mensch stets ringen muß. Dazu ist er durch die wahre Natur seines eigenen Seins und durch die Gottheit gezwungen, die in ihm ihren Sitz hat. Bevor das Problem gelöst und jenes Drängen befriedigt ist, kann die Menschheit nicht von ihrem Mühen ausruhen. Entweder muß der Mensch sich selbst zur Erfüllung bringen, indem er dem Göttlichen Wesen in seinem Inneren voll Genüge tut, oder er muß aus sich ein neues, größeres Wesen erschaffen, das fähiger ist, dem Göttlichen zu entsprechen. Er muß entweder selbst göttlicher Mensch werden, oder er muß dem Übermenschen weichen.

Das ergibt sich aus der eigentlichen Logik der Dinge. Da das mentale Bewußtsein des Menschen nicht das vollständig erleuchtete Bewußtsein ist, das aus der Verfinsterung der Materie gänzlich hervortrat, sondern nur ein Begriff fortschreitender Entwicklung im großen Prozeß seines Hervortretens, kann die Linie evolutionärer Schöpfung, auf der der Mensch erschien, nicht dort aufhören, wo er jetzt steht. Sie muß entweder über ihren jetzigen Begriff in ihm oder über ihn selbst hinausgehen, wenn er nicht die Kraft hat, vorwärtszugehen. Eine mentale Idee, die eine Lebens-Tatsache zu werden versucht, muß sich so lange weiterentfalten, bis sie zur ganzen Wahrheit des Daseins wird, bis sie sich aus ihren aufeinanderfolgenden Verhüllungen befreit, offenbart und fortschreitend im Licht und ebenso auch voller Freude in der Macht des Bewußtseins zur Erfüllung gebracht hat. Denn in diesen beiden Begriffen von Macht und Licht und durch sie offenbart das Sein sich selbst, da es seiner Natur nach Bewußtsein und Kraft ist. Der dritte Begriff aber, in dem sich diese beiden als die ihn konstituierenden treffen, einen und endgültig zur vollen Erfüllung bringen, ist eine erfüllte Seligkeit des Selbst-Seins. Für ein sich entwickelndes Leben wie das unsrige muß dieser unvermeidliche Höhepunkt notwendig bedeuten, daß wir das Selbst finden, das schon im Keim vorhanden war, als es in die Geburt eintrat. Wenn wir dieses Selbst finden, können wir vollständig ausarbeiten, was in der Bewegung der Bewußten Kraft, aus der dieses Leben entsprungen ist, potentiell enthalten war. Die so in unserem menschlichen Dasein enthaltene Fülle von Möglichkeiten ist saccidananda, Er, der Sich in einer gewissen Harmonie und Einung von individuellem und universalem Leben erkennt, so daß die Menschheit im gemeinsamen Bewußtsein, in gemeinsamer Bewegung von Macht und gemeinsamer Seligkeit Jenes Transzendente zur Erscheinung bringen kann, das sich in diese Form der Dinge ausgeprägt hat.

Der Charakter alles Lebens hängt vom fundamentalen Gleichgewicht der Kräfte seines konstitutiven Bewußtseins ab. So wie das Bewußtsein ist, so wird die Kraft sein. Wo das Bewußtsein unendlich ist, eines seinen Wirkensweisen und Formen gegenüber auch dann transzendent, wenn es sie umfaßt und gestaltet, organisiert und durchführt, wie das im Bewußtsein von saccidananda der Fall ist, wird die Kraft ebenso sein: unendlich in ihrer Wirkens-Weite, einig in ihren Werken, transzendent in ihrer Macht und ihrem Selbst-Wissen. Wo das Bewußtsein dem der materiellen Natur gleicht, in die Tiefe eingesunken, seiner selbst vergessend, dahintreibend in der Strömung seiner eigenen Kraft, scheinbar ohne diese zu kennen, obwohl es doch durch die Eigenart der ewigen Beziehung zwischen den beiden Begriffen in Wirklichkeit die Strömung, die die Natur treibt, bestimmt, da wird die Kraft ebenso sein: eine ungeheure Bewegung des Trägen und Unbewußten, die nicht dessen gewahr ist, was sie in sich enthält, die sich selbst mechanisch durch eine Art unergründlichen Zufalls oder durch eine unvermeidlich gut auslaufende Unberechenbarkeit zur Erfüllung bringt, während sie in Wirklichkeit ohne Irrtum dem Gesetz von Recht und Wahrheit gehorcht, das für sie durch den Willen des in ihren Abläufen verborgenen erhabenen Bewußten Wesens festgelegt ist. Wo das Bewußtsein, wie im Mental, in sich zerteilt ist, sich in verschiedene Zentren begrenzt und jedes von ihnen dafür einsetzt, sich selbst zu verwirklichen, ohne zu wissen, was in anderen Zentren ist, ohne seine Beziehung zu anderen zu erkennen, gewahr der Dinge und Kräfte nur in ihrer scheinbaren Zerteilung und Gegensätzlichkeit, nicht aber in ihrer wirklichen Einheit – da wird die Kraft Leben sein, wie wir es sind und um uns sehen: ein Zusammenprall und eine Verflochtenheit individueller Leben, von denen jedes die eigene Erfüllung sucht, ohne seine Beziehung zu anderen zu kennen, ein Konflikt und eine schwierige Anpassung zerteilter, gegensätzlicher oder unterschiedlicher Kräfte, und in den Mentalfunktionen eine Mischung, ein Zusammenstoß, ein Ringen, eine unsichere Kombination getrennter, opponierender und auseinanderstrebender Ideen, die nicht zur Erkenntnis ihrer gegenseitigen Notwendigkeit kommen, die nicht ihren Platz als Elemente jener dahinterstehenden Einheit begreifen können, die sich in ihnen ausdrückt und in der ihre Disharmonien aufhören müssen. Wo aber das Bewußtsein beides, die Unterschiedlichkeit und die Einheit, in seinem Besitz hält und wo letztere die erste in sich enthält und regiert, wo es Gesetz, Wahrheit und Recht der Allheit zusammen mit Gesetz, Wahrheit und Recht des Einzelnen gewahrt, wo die beiden bewußt in gegenseitiger Einheit harmonisiert werden, wo also die ganze Art des Bewußtseins das Eine ist, das sich als die Vielen erkennt, und die Vielen, die sich als das Eine wissen, – da ist die Kraft auch von der gleichen Art: ein Leben, das bewußt dem Gesetz der Einheit gehorcht und doch jedes Ding in seiner Unterschiedlichkeit, im Einklang mit seinem eigenen Gesetz und seiner Funktion voll entfaltet. In einem solchen Leben werden alle Individuen zugleich in sich selbst und ineinander leben als ein einziges bewußtes Wesen in vielen Seelen, die eine Macht von Bewußtsein im Mental vieler Menschen, die eine Freude von Kraft in vielen Leben wirkend, die eine Wirklichkeit vollkommener Freude, die sich in vielen Herzen und Körpern vollendet.

Die erste dieser vier Positionen, Ursprung aller fortschreitenden Beziehung zwischen Bewußtsein und Kraft, ist ihr Kräfteausgleich im Wesen von saccidananda. Dort sind sie eins. Dort ist die Kraft Bewußtsein des Wesens, das sich aktiv auswirkt, ohne je aufzuhören, Bewußtsein zu sein. Dort ist das Bewußtsein in ähnlicher Weise erleuchtete Kraft des Wesens, die stets ihrer selbst und ihrer Seligkeit gewahr ist, ohne je aufzuhören, diese Macht strahlenden Lichts und Selbst-Besitzes zu sein. Die zweite Beziehung ist die der materiellen Natur. Das ist der Kräfteausgleich des Wesens im materiellen Universum, das die große Verneinung von saccidananda durch Ihn Selbst ist: Hier ist scheinbar die äußerste Absonderung der Kraft vom Bewußtsein, das erstaunliche Wunder des allherrschenden unfehlbaren Unbewußten, das nur die Maske der kosmischen Gottheit ist, die aber von der modernen Wissenschaft als ihr wirkliches Antlitz mißdeutet wurde. Die dritte Beziehung ist der Kräfteausgleich des Wesens in Mental und Leben, die wir, völlig verwirrt, aus dieser Verneinung emporkommen sehen. Sie ist Kampf – ohne jede Möglichkeit seiner Beendigung durch Unterwerfung und ohne jede klare Erkenntnis oder den deutlichen Instinkt für eine siegreiche Lösung – gegen die abertausend Probleme, die verknüpft sind in dieser verblüffenden Erscheinung des Menschen, der nur halb-mächtig als bewußtes Wesen aus dem allmächtigen Unbewußten des materiellen Universums hervortritt. Die vierte Beziehung ist der Kräfteausgleich des Wesens im Supramental: es ist das zur Vollendung gebrachte Sein, das schließlich dieses ganze komplexe Problem lösen wird, das durch die aus der totalen Verneinung hervortretende partielle Bejahung geschaffen wurde. Das Supramental löst es notwendigerweise auf die einzig mögliche Art durch vollständige Bejahung. Es muß all das zur Erfüllung bringen, was dort insgeheim als Potenz enthalten und in der Tatsache der Evolution hinter der Maske der großen Verneinung beabsichtigt war. Das ist das wirkliche Leben des wirklichen Menschen. Um es ringt dieses partielle Leben, zu ihm strebt dieses partielle unerfüllte Menschsein empor. Es besitzt in unserem sogenannten Unbewußten ein vollkommenes Wissen und eine Führung, doch gibt es in unseren bewußten Schichten nur ein undeutliches und mühevolles Vorausahnen, Fragmente einer Realisation, flüchtige Einblicke in das ideal, ein Aufblitzen von Offenbarung und Inspiration im Dichter und Propheten, im Seher und in dem vom Transzendenten Erleuchteten, im Mystiker und Denker, in den großen Intelligenzen und Seelen der Menschheit.

Aus den Tatsachen, die wir jetzt vor Augen haben, können wir entnehmen, daß aus dem unvollkommenen Ausgleich zwischen Bewußtsein und Kraft im Menschen in dessen gegenwärtigem Zustand von Mental und Leben hauptsächlich drei Schwierigkeiten entstehen. Erstens nimmt er nur einen kleinen Teil seines eigenen Wesens wahr. Alles, was er kennt, ist die Oberfläche seiner Mentalität, seines Lebens und seines physischen Wesens, und selbst davon kennt er nicht alles. Unter ihr ist das geheimnisvolle Aufwallen seines unterbewußten und subliminalen Mentals, seines unterbewußten und subliminalen Lebens-Impulses und seiner unterbewußten Körperlichkeit, jener große Teil von ihm, den er nicht kennt und nicht beherrschen kann, der vielmehr ihn erkennt und beherrscht. Da Sein, Bewußtsein und Kraft eine Einheit sind, können wir wirkliche Macht nur über jenen Teil unseres Daseins ausüben, mit dem wir durch Selbst-Innesein identisch sind. Das übrige muß von seinem eigenen Bewußtsein regiert werden, das für Mental, Leben und Körper unserer Außenseite subliminal ist. Da aber die beiden eine einzige und nicht zwei getrennte Bewegungen sind, muß in der Masse der unbedeutenderen und weniger machtvollen Abläufe unser größerer und machtvollerer Teil regieren und bestimmen. Deshalb werden wir, auch in unserem bewußten Dasein, vom Unterbewußten und Subliminalen regiert und sind auch bei unserer eigentlichen Selbst-Bemeisterung und Selbst-Lenkung nur Instrumente dessen, was uns das Unbewußte in unserem Innern zu sein scheint.

Das meinte die alte Weisheit, wenn sie sagt, der Mensch bilde sich ein, er selbst tue sein Werk durch seinen freien Willen. In Wirklichkeit bestimmt aber die Natur all sein Wirken, und selbst die Weisen sind gezwungen, ihrer Natur zu folgen. Da aber Natur die schöpferische Bewußtseinskraft des Wesens in uns ist, das die Maske Seiner eigenen umgekehrten Bewegungen und der scheinbaren Verneinung Seiner Selbst angenommen hat, nannten sie diese umgekehrte schöpferische Bewegung Seines Bewußtseins maya oder IIlusions-Macht des Herrn und sagten: Alle Wesen im Dasein werden durch Seine maya wie auf einer Maschine herumgedreht von dem Herrn, der im Herzen alles Seienden Seinen Sitz hat. So ist evident, daß der Mensch nur insoweit er über sein Mental hinauskommt, bis er im Selbst-Innesein mit dem Herrn eins wird, Meister seines eigenen Wesens werden kann. Da das in der Unbewußtheit und in der Unterbewußtheit selbst nicht möglich ist, weil kein Nutzen daraus entstehen kann, daß wir uns in unsere Tiefen zurück bis zum Unbewußten versenken, kann diese Einheit nur dadurch völlig hergestellt werden, daß wir nach innen gehen, wo der Herr wohnt, und emporsteigen in den für uns noch überbewußten Bereich, das Supramental. Dort in der höheren und göttlichen maya ist, seinem Gesetz und seiner Wahrheit nach, das bewußte Wissen dessen, was im Unterbewußten durch die niedere maya unter den Bedingungen jener Verneinung wirkt, die zur Bejahung zu werden versucht. Denn diese niedere Natur führt das Werk aus, das in jener höheren Natur gewollt und gewußt wird. Die IIlusions-Macht des göttlichen Wissens in der Welt, die Erscheinungen erschafft, wird von der Wahrheits-Macht desselben Wissens regiert, das die Wahrheit hinter den Erscheinungen kennt und für uns die Bejahung bereithält, auf die sie hinwirken. Der partielle Mensch äußeren Scheins wird dort den vollkommenen wirklichen Menschen finden, der in der völligen Einung mit jenem Selbst-Seienden, der der allwissende Herr Seiner kosmischen Evolution und seines Vorgehens ist, das völlig seines Selbsts bewußte Wesen werden kann.

Die zweite Schwierigkeit liegt darin, daß der Mensch in Mental, Leben und Körper vom Allumfassenden gesondert ist und deshalb ebensowenig oder noch viel weniger als er sich kennt, seine Mitgeschöpfe zu erkennen vermag. Durch indirekte Schlüsse, Theorien, Beobachtungen und eine gewisse unvollkommene Fähigkeit zum Mitgefühl bildet er sich über sie eine ungenaue mentale Konstruktion. Das ist aber keine Erkenntnis. Nur durch bewußte Identität kann Erkenntnis entstehen, denn nur das ist das wahre Wissen, – ein seiner selbst innegewordenes Sein. Was wir sind, erkennen wir nur insofern, als wir bewußt unseres Selbsts innewerden; das übrige bleibt verborgen. Ebenso können wir nur das wirklich erkennen, mit dem wir in unserem Bewußtsein eins werden, doch auch nur insofern, als wir mit ihm eins werden. Wenn die Mittel der Erkenntnis mittelbar und unvollkommen sind, wird auch das so erlangte Wissen mittelbar und unvollkommen sein. Es wird uns instandsetzen, in einem bestimmten Grad von Ungenauigkeit – die aber von unserem mentalen Standpunkt aus noch genau genug ist – gewisse begrenzte praktische Ziele, notwendige und brauchbare Maßnahmen, eine unvollkommene, instabile Harmonie in unserer Beziehung zu dem, was wir erkennen, herauszuarbeiten. Wir können aber nur durch bewußte Einung mit ihm zu einer vollkommenen Beziehung kommen. Wir müssen also bewußt zum Einssein mit unseren Mitmenschen gelangen, nicht nur zur Sympathie, die durch Liebe oder das von mentaler Erkenntnis geschaffene Verstehen erweckt wird; denn das bliebe lediglich Erkenntnis ihres vordergründigen Daseins und deshalb in sich unvollkommen, bestritten und enttäuscht durch das Aufwallen des Unbekannten und Unbewältigten aus dem Unterbewußten oder dem Subliminalen in ihnen und in uns. Bewußtes Einssein kann nur dadurch Zustandekommen, daß wir in Jenes eingehen, in dem wir mit ihnen eins sind, in das Allumfassende. Die Fülle des Allumfassenden existiert bewußt aber nur in dem, was für uns überbewußt ist, im Supramental: In unserem üblichen Wesen ist dessen größerer Teil unterbewußt. Wir können in diesem normalen Kräfte-Ausgleich von Mental, Leben und Körper nicht über es verfügen. Die niedere bewußte Natur wird in all ihren Aktivitäten vom Ich nach unten gefesselt, dreifach angekettet an den Pfahl der differenzierten Individualität. Allein das Supramental verfügt über Einheit in Verschiedenheit.

Die dritte Schwierigkeit liegt darin, daß in unserem evolutionären Dasein Kraft und Bewußtsein voneinander getrennt sind. Da ist zuerst die Trennung, die durch die Evolution selbst in ihren drei aufeinanderfolgenden Formationen von Materie, Leben und Mental geschaffen wurde, von denen jede ihr eigenes Gesetz des Wirkens hat. Das Leben kämpft gegen den Körper. Es versucht, ihm die Befriedigung der Lebens-Begehren, der Impulse und Wünsche aufzuzwingen, und verlangt von seiner begrenzten Fähigkeit, was nur einem unsterblichen, göttlichen Leib möglich wäre. Der tyrannisierte, versklavte Körper leidet darunter und befindet sich in ständiger dumpfer Revolte gegen die vom Leben an ihn gestellten Forderungen. Das Mental ist im Kampf gegen beide: Manchmal hilft es dem Leben gegen den Körper, manchmal zügelt es den vitalen Drang und sucht die Körperstruktur vor den Begierden des Lebens, seinen Leidenschaften und übertreibenden Energien zu schützen. Es versucht auch, sich des Lebens zu bemächtigen und seine Energie für seine eigenen Zwecke zu verwenden, für ein Höchstmaß an Freude an der mentalen Aktivität, für die Befriedigung mentaler, ästhetischer und emotionaler Ziele und ihre Erfüllung im menschlichen Dasein. Auch das Leben hält sich für geknechtet und mißbraucht. Es rebelliert häufig gegen den ihm vorgesetzten unwissenden, halbweisen Tyrannen. Das ist der gegenseitige Kampf unserer Bestandteile gegeneinander, den das Mental nicht wirklich befrieden kann, weil es vor einem für es unlösbaren Problem steht: vor der Sehnsucht seines unsterblichen Wesens in einem sterblichen Leben und Leib. Es kann nur zu einer langen Aufeinanderfolge von Kompromissen oder schließlich dahin gelangen, daß es das Problem ungelöst läßt: Entweder unterwirft es sich mit dem Materialisten der Sterblichkeit unseres äußerlich-sichtbaren Wesens, oder es verwirft und verurteilt mit dem Asketen und religiösen Menschen das irdische Leben und zieht sich in frohere und leichtere Bereiche des Daseins zurück. Die wahre Lösung liegt jedoch darin, daß wir das Prinzip jenseits des Mentals finden, dessen Gesetz Unsterblichkeit ist, und daß wir durch es die Sterblichkeit unseres Daseins überwinden.

Es gibt aber auch jene fundamentale Spaltung zwischen der Kraft der Natur und dem bewußten Wesen. Die ist Grundursache dieser Leistungsunfähigkeit. Es gibt nicht nur eine Trennung zwischen dem mentalen, vitalen und physischen Wesen, jedes von ihnen ist vielmehr ebenso sich selbst gegenüber gespalten. Die Leistungsfähigkeit des Körpers ist geringer als die der instinktiven Seele oder des bewußten Wesens, des physischen purusha in ihm. Die Leistungsstärke der vitalen Kraft ist geringer als die der impulsiven Seele, des vitalen bewußten Wesens, des purusha in ihr. Die Leistungskraft der Energie des Mentals ist geringer als die der intellektuellen und emotionalen Seele, des mentalen purusha in ihm. Ist doch die Seele das innere Bewußtsein, das nach seiner eigenen völligen Selbst-Verwirklichung strebt und deshalb stets umfassender ist als die individuelle Gestaltung des Augenblicks. Die Kraft, die ihr Gleichgewicht in der Formation gefunden hat, wird von ihrer Seele stets zu dem gedrängt, was für sie abnorm und transzendent ist. Ständig vorwärtsgestoßen, ist es für sie sehr schwierig, dem zu entsprechen und sich von der jetzigen zu höherer Leistungsfähigkeit zu entwickeln. Wenn die Kraft versucht, die Forderungen der dreifachen Seele zu erfüllen, wird sie äußerst beunruhigt und dazu getrieben, Instinkt gegen Instinkt, Impuls gegen Impuls, Emotion gegen Emotion, Idee gegen Idee zu setzen, diese zu befriedigen und jene zu verwerfen; dann ändert sie aber, was sie getan hat, voller Reue wieder, um ad infinitum auszugleichen, zu kompensieren und wieder neu anzupassen, ohne doch zu einem Prinzip von Einheit zu gelangen. Im Mental wiederum ist die bewußte Macht, die harmonisieren und vereinigen sollte, nicht nur in ihrer Erkenntnis und ihrem Willen begrenzt, vielmehr streben Erkenntnis und Wille auseinander und sind oft miteinander in Disharmonie. Das Prinzip der Einheit steht über allem im Supramental. Dort allein ist die bewußte Einheit aller Unterschiedlichkeiten. Dort allein sind Erkenntnis und Wille einander gleich und in vollkommener Harmonie. Dort allein gelangen Bewußtsein und Kraft zu ihrem göttlichen Ausgleich. In dem Maße, in dem sich der Mensch in ein des Selbsts bewußtes und wirklich denkendes Wesen entwickelt, wird er sich deutlich all dieser Disharmonie und des Zwiespalts in den Schichten seines Wesens bewußt. Er sucht die Harmonie seines Mentals, Lebens und Körpers, die Harmonie seiner Erkenntnis, seines Willens und Gefühls aller Glieder seines Wesens. Manchmal hört dieses Verlangen zu früh auf, wenn er zu einem praktischen Kompromiß gekommen ist, der ihm relativen Frieden einbringt. Ein Kompromiß kann aber nur ein vorübergehendes Anhalten auf dem Weg sein, da die Gottheit im Innern schließlich mit nichts Geringerem zufrieden sein wird als mit vollkommener Harmonie, die in sich die integrale Entfaltung unserer vielseitigen Potenzen kombiniert. Weniger als das wäre ein Zurückweichen vor dem Problem, nicht seine Lösung. Oder es wäre nur eine zeitweilige Lösung, die für die Seele nur eine Rast auf dem Weg ihrer ständigen Selbst-Ausweitung und ihres Aufstiegs bietet. Als wesentliche Begriffe würde eine solche völlige Harmonie die Vollkommenheit der mentalen Funktionen, des Spiels der vitalen Kraft und der physischen Existenz erfordern. Wo sollen wir aber im radikal Unvollkommenen das Prinzip und die Macht der Vollkommenheit finden? Das in der Zerteilung und Begrenzung verwurzelte Mental kann es uns ebensowenig liefern wie das Leben und der Körper, die eine Energie und Struktur des zerteilenden und begrenzenden Mentals sind. Dort sind zwar im Unterbewußten Prinzip und Macht der Vollkommenheit vorhanden, aber in die Decke oder den Schleier der niederen maya eingehüllt, und treten nur als stumme Ahnung oder unverwirklichtes Ideal hervor. Im Überbewußten warten sie offen, ewig verwirklicht, auf uns, sind aber noch immer durch den Schleier unserer Unkenntnis des Selbsts von uns getrennt. Wir müssen also oberhalb unseres jetzigen Kräfteausgleichs, weder in noch unter diesem, nach Macht und Wissen des harmonischen Ausgleichs suchen.

Ebenso wird sich der Mensch bei seiner weiteren Entwicklung sehr deutlich der Disharmonien und Unwissenheit bewußt, die seine Beziehungen zur Welt bestimmen. Er kann das nicht länger ertragen und bemüht sich immer mehr darum, ein Prinzip der Harmonie, des Friedens, der Freude und Einheit zu finden. Auch das kann nur von oben zu ihm kommen. Nur wenn er ein Mental entwickelt, das ebenso die Erkenntnis vom Mental anderer besitzt wie die von sich selbst, kann das Leben des Menschen spirituell und praktisch eins werden mit dem seiner Mitmenschen, kann das Individuum sein eigenes universales Selbst wiederentdecken. Voraussetzung dazu ist: ein Mental, das frei ist von unserer Unkenntnis voneinander und unserem Mißverstehen; ein Wille der sich eins fühlt und eint mit dem Willen anderer; ein emotionales Herz, das die Emotionen anderer in sich empfindet wie seine eigenen; eine Lebens-Kraft, die die Energien anderer wahrnimmt, sie als die ihren annimmt und zu erfüllen sucht; ein Körper, der nicht Gefängnismauer und Verteidigungswall gegen die Welt ist. All das wird uns zuteil unter dem Gesetz von Licht und Wahrheit, das stärker ist als die Abweichungen und Irrtümer, die vielen Sünden und Falschheiten bei uns und anderen in Mental, Willen, Emotionen und Lebens-Energien. Das Unterbewußte besitzt dieses Leben des Alls; auch das Überbewußte hat es. Deren Bedingungen zwingen uns aber, daß wir nach oben durchdringen. Denn der ursprüngliche Drang, der die Seele in ihrer Evolution bis zur Art unseres Menschseins emporgetragen hat, ist nicht auf die Gottheit gerichtet, die verborgen ist “im unbewußten Ozean, wo Finsternis in Finsternis gehüllt ist” (Rig Veda, X. 129. 3.), sondern empor zur Gottheit, die in einem Meer ewigen Lichts thront, im höchsten Äther unseres Wesens, in den “Wassern, die im Reich von Licht oberhalb der Sonne sind, und in jenen, die sich unterhalb von ihr befinden” (Rig Veda, III. 22. 3.).

Wenn also die Menschheit nicht am Wegrand liegen bleiben und den Sieg anderen, neuen Schöpfungen der in heftigen Geburtswehen liegenden Mutter überlassen soll, muß sie diesen Aufstieg erstreben. Er wird zwar durch Liebe, mentale Erleuchtung und den vitalen Drang nach Besitzen und Selbst-Hingabe gelenkt. Er führt aber darüber hinaus zur supramentalen Einung, die über dieses Streben hinausweist und es erfüllt. Ihr endgültiges Gut, ihre Erlösung, muß die Menschheit darin suchen, daß sie das menschliche Leben auf die supramentale Realisation einer bewußten Einung mit dem Einen, mit allem in unserem Wesen und mit allen Gliedern der Menschheit gründet. Das ist es, was wir als den vierten Status von Leben in seinem Aufstieg empor zur Gottheit beschrieben haben.

Kapitel XXIII. Die doppelte Seele im Menschen

Der purusha, das innere Selbst, nicht größer als die Länge des menschlichen Daumens.

Katha Upanishad, IV.12.
Svetasvatara Upanishad, VI.17.

Wer dieses Selbst kennt, das den Honig des Daseins genießt und der Herr dessen ist, das ist und sein wird, schreckt von da an vor nichts mehr zurück.

Katha Upanishad, IV.5.

Wovor soll jener Mensch sich ängstigen, wie soll er getäuscht werden, der überall das Einssein schaut?

Isha Upanishad, Vers 7.

Wer die Seligkeit des Ewigen gefunden hat, fürchtet sich vor keiner Bedrohung, von welcher Seite sie auch kommt.

Taittiriya Upanishad, II.9.

Wir fanden, daß der erste Status des Lebens durch einen dumpfen, unbewußten Trieb oder Drang charakterisiert wird, durch die Kraft eines ins materielle oder atomare Dasein involvierten Willens, der nicht frei und Besitzer seiner selbst, seiner Werke und ihrer Ergebnisse ist, sondern ganz und gar von der universalen Bewegung in Besitz gehalten wird, in der er als der unerleuchtete, ungeformte Keim von Individualität entsteht. Die Wurzel des zweiten Status ist Begehren, das ganz darauf aus ist, zu besitzen, aber in seiner Fähigkeit begrenzt bleibt. Die Knospe des dritten Status ist Liebe, die sich sowohl andere aneignen wie ihnen zu eigen werden will, die empfangen und auch sich selbst geben möchte. Wir begreifen als die herrliche Blüte des vierten Status, als sein Zeichen der Vollkommenheit und als das reine, vollständige Hervortreten des ursprünglichen Willens die erleuchtete Erfüllung des Begehrens der Mittelstufe, die hohe und tiefe Befriedigung im bewußten Austausch von Liebe durch die Vereinigung des Zustands, Eigner und Eigentum zu sein, in der göttlichen Einheit der Seelen: das ist die Grundlage des supramentalen Daseins. Wenn wir diese Begriffe sorgfältig erforschen, erkennen wir sie als Gestaltungen und Stufen im Suchen der Seele nach der individuellen und universalen Freude an den Dingen. Der Aufstieg des Lebens ist seiner Art nach der Aufstieg der göttlichen Freude in den Dingen aus ihrer dumpfen Konzeption in Materie durch die Fährnisse und Gegensätzlichkeiten bis zu ihrer lichtvollen Vollendung im Geist.

So wie die Welt ist, könnte das nicht anders sein. Denn die Welt ist die durch eine Maske entstellte Form von saccidananda; die Natur des Bewußtseins von saccidananda und deshalb auch das, worin sich Seine Kraft immer selbst finden und zum Ziel bringen muß, ist Göttliche Wonne, eine allgegenwärtige tiefe Freude aus dem Selbst. Da Leben eine Energie Seiner bewußten Kraft ist, muß das Geheimnis all seiner Bewegungen eine verborgene, allen Dingen innewohnende Seligkeit sein, zugleich Ursache, Beweggrund und Ziel seiner Wirkensweisen. Wenn nun aufgrund der Zerteilung durch das Ich diese Seligkeit verfehlt und hinter einem Schleier zurückgehalten wird, wenn sie sich als ihr eigener Gegensatz darstellt, sich sogar als Tod verkleidet, wenn Bewußtsein die Gestalt des Unbewußten annimmt und Kraft sich in der Vermummung von Unfähigkeit lächerlich macht, kann sich das Lebendige nicht damit zufrieden geben. Erst dann kann es von der Bewegung des Lebens ausruhen oder diese zur Erfüllung bringen, wenn es jene universale Seligkeit sicher erlangt, die zugleich die geheime volle Seligkeit seines eigenen Wesens und die ursprüngliche, alles-umfassende, alles-gestaltende, alles-erhaltende vollkommene Freude des transzendenten und immanenten saccidananda ist. Vollkommene Freude zu erstreben, ist darum der fundamentale Impuls und Sinn des Lebens. Sie zu finden, zu besitzen und zur Vollendung zu bringen, ist sein ganzes Motiv.

Wo in uns ist aber dieses Prinzip der Seligkeit? Durch was für einen Begriff unseres Wesens offenbart und erfüllt es sich In der Aktion des Kosmos so, wie sich das Prinzip der Bewußten Kraft im Leben offenbart und dieses als seinen kosmischen Begriff verwendet und wie sich das Prinzip des Supramentals im Mental offenbart und dieses verwendet? Wir haben ein vierfaches Prinzip des göttlichen Wesens unterschieden, das das Universum erschafft: Sein, Bewußte Kraft, Seligkeit und Supramental. Supramental ist, wie wir gesehen haben, im materiellen Kosmos allgegenwärtig, wenn auch verhüllt. Es existiert hinter dem aktuellen Erscheinungsbild der Dinge und drückt sich dort insgeheim aus. Um sich wirksam zu machen, verwendet es den eigenen Unterbegriff Mental. Die göttliche Bewußte Kraft ist im materiellen Kosmos überall, wenn auch verhüllt, vorhanden. Sie wirkt aber geheim hinter der aktuellen Erscheinungsform der Dinge und drückt sich dort charakteristischerweise durch ihren Unterbegriff Leben aus. Obwohl wir noch nicht gesondert das Prinzip von Materie untersucht haben, können wir jetzt schon sehen, daß das göttliche All-Sein auch im materiellen Kosmos, wenngleich verhüllt, allgegenwärtig ist: verborgen hinter der aktuellen Erscheinungsform der Dinge. Sie manifestiert sich dort anfangs durch den ihr untergeordneten Begriff Substanz, Form des Wesens oder Materie. In gleicher Weise muß auch das Prinzip der göttlichen Seligkeit im Kosmos allgegenwärtig sein, zwar verhüllt und im Besitz ihres Selbsts nur hinter dem aktuellen Erscheinungsbild der Dinge, dennoch in uns manifest durch eines seiner untergeordneten Prinzipien, in dem es verborgen ist, durch das es entdeckt und in der Aktion des Universums erlangt werden muß.

Dieser Begriff ist etwas in uns, das wir manchmal in besonderem Sinn die Seele nennen, also das psychische Prinzip, das nicht Leben oder Mental, noch weniger Körper ist, das vielmehr in sich die Wesenheit von ihnen allen enthält, die sich öffnet und zu ihrem eigenen besonderen Entzücken am Selbst, zu Licht, Liebe, Freude, Schönheit und einer verfeinerten Reinheit des Wesens aufblüht. Tatsächlich gibt es aber in uns eine doppelte Seele, einen zweifachen psychischen Begriff, wie ja auch jedes andere kosmische Prinzip in uns doppelt ist. Wir haben ein zweifaches Mental: das Mental der Außenseite unseres in der Evolution zum Ausdruck gekommenen Ichs, die vordergründige, durch uns bei unserem Hervortreten aus der Materie geschaffene Mentalität, und ein anderes, subliminales Mental, das nicht behindert ist durch unser aktuelles mentales Leben und seine starren Einschränkungen, etwas Umfassendes, Mächtiges, Lichtvolles, das wahre mentale Wesen hinter jener vordergründigen Form mentaler Persönlichkeit, die wir irrig für uns selbst halten. Ebenso haben wir zwei Leben: ein äußeres, im physischen Körper involviertes, gebunden durch seine vergangene Evolution in der Materie, das lebt, geboren wurde und sterben wird, und das andere, jene subliminale Lebenskraft, die nicht eingezwängt ist in unsere engen Grenzen von physischer Geburt und Tod, sondern die unser wahres vitales Wesen hinter der Lebensform ist, die wir unwissend für unser wirkliches Dasein halten. Selbst in der Materie unseres Wesens ist diese Dualität: hinter unserem Körper haben wir ein subtileres Dasein, das die Substanz liefert nicht nur für unsere physischen, sondern auch für unsere vitalen und mentalen Umhüllungen und darum unsere wirkliche Substanz ist, die die physische Form erhält, die wir irrig für den ganzen Leib unseres Geistes halten. Ebenso haben wir in uns eine doppelte psychische Wesenheit: die Begehren-Seele im Vordergrund, die sich in unseren vitalen Sehnsüchten, unseren Gefühlen, in der ästhetischen Begabung und im mentalen Suchen nach Macht, Wissen und Glück auswirkt, und eine subliminale psychische Wesenheit, eine reine Macht von Licht, Liebe, Freude und verfeinerter Essenz des Wesens, die unsere wahre Seele hinter der äußeren Form psychischen Daseins ist, die wir oft mit diesem Namen ehren. Erst wenn ein Widerschein dieser umfassenderen, reineren psychischen Wesenheit an der Außenseite hervortritt, sagen wir von einem Menschen, er hat eine Seele. Wenn das in seinem äußeren psychischen Wesen fehlt, sagen wir von ihm, er habe keine Seele.

Die äußeren Formen unseres Wesens sind die unseres kleinen ichhaften Daseins. Die subliminalen sind die Gestaltungen unserer umfassenderen wahren Individualität. Sie sind darum jener verborgene Teil unseres Wesens, mit dem unsere Individualität unserer Universalität nahe ist, in Berührung, ständiger Beziehung und Austausch steht. Das subliminale Mental in uns ist offen für die allumfassende Erkenntnis des kosmischen Mentals, das subliminale Leben in uns für die allumfassende Kraft des kosmischen Lebens, die subliminale Körperlichkeit in uns für die allumfassende Kraft-Gestaltung kosmischer Materie. Die dicken Wände, die unser Mental, Leben und Körper von diesen Dingen trennen und die die Natur mit so großer Mühe, so unvollkommen und mit so vielen geschickt-plumpen physischen Maßnahmen zu durchbrechen hat, sind dort, im Subliminalen, nur ein dünnes Medium zugleich der Trennung und der Kommunikation. So ist auch die subliminale Seele in uns offen für die allumfassende Freude, die die kosmische Seele in ihrem eigenen und im Dasein von Myriaden sie repräsentierender Seelen sowie in den Betätigungen von Mental, Leben und Materie genießt, an die sich die Natur zu deren Spiel und Entwicklung hingibt. Vor dieser kosmischen Freude ist aber die Vordergrund-Seele durch die starken Ich-Wände ausgeschlossen. Sie haben gewiß Durchlässe für die Einwirkungen der göttlichen kosmischen Seligkeit, aber wenn diese durch sie zu uns kommen, verkümmern sie, werden sie entstellt oder müssen uns in der Maske ihrer Gegensätze erreichen.

Daraus ergibt sich, daß in dieser Vordergrund- oder Begehren-Seele kein wahres Seelen-Leben, sondern nur psychische Entstellung und falscher Empfang der Berührung durch die Dinge entsteht. Die Krankheit der Welt besteht darin, daß der Einzelne seine wahre Seele nicht finden kann, und die Ursache an der Wurzel dieser Krankheit ist wieder, daß er, wenn er die äußeren Dinge ganz umfassen will, mit der wirklichen Seele der Welt, in der er lebt, nicht in Verbindung kommen kann. Er sucht dort das Wesentliche des Wesens, die wahre Essenz der Macht, des bewußten Seins, der Seligkeit. Er empfängt statt dessen eine Masse widersprüchlicher Kontakte und Eindrücke. Wenn er die Essenz finden könnte, würde er auch das eine allumfassende Wesen, die eine universale Macht, das eine bewußte Sein und die eine Seligkeit selbst in diesem Getümmel der Einwirkungen und Eindrücke finden. Die Widersprüche in dem, was äußere Erscheinungen sind, würden in der Einheit und Harmonie der Wahrheit, die in diesen Kontakten auf uns einwirkt, ausgesöhnt. Zugleich würde er seine wahre Seele und durch diese sein Selbst entdecken, denn die wahre Seele ist der Delegierte seines Selbsts, und sein Selbst und das Selbst der Welt sind eines. Das bringt der Mensch aber nicht fertig wegen der ichhaften Unwissenheit im Mental des Denkens, im Herz der Gefühle und in den Sinnen. Diese reagieren auf die Einwirkung der Dinge nicht mit mutiger, warmherziger Umarmung der Welt, sondern mit dem ständigen Hin und Her von Zufassen und Zurückschrecken, vorsichtigen Annäherungen oder eifrigem Vorwärtsstürmen, verdrossenem, unzufriedenem, panischem oder ärgerlichem Zurückweichen, je nachdem der Kontakt in ihm Freude oder Mißfallen, Wohlbefinden oder Warnungen, Zufriedenheit oder Unzufriedenheit hervorruft. Es ist die Begehren-Seele, die durch ihren falschen Empfang des Lebens die Ursache für eine dreifache Mißdeutung von rasa, der den Dingen innewohnenden Seligkeit, gelangt, so daß diese, statt die reine wesenhafte Freude des Seienden darzustellen, unausgeglichen in den drei Begriffen von Lust, Schmerz und Gleichgültigkeit zu uns kommt.

Als wir die Seins-Seligkeit in ihren Beziehungen zur Welt betrachteten, sahen wir, daß es in unseren Maßstäben von Lust, Schmerz und Gleichgültigkeit keine Unbedingtheit oder wesenhafte Geltung gibt, daß sie völlig durch die Subjektivität des empfangenden Bewußtseins bestimmt sind und daß der Grad beider, Lust und Schmerz, bis zu einem Maximum erhöht, bis zu einem Minimum herabgedrückt oder sogar in seiner Sichtbarkeit völlig ausgelöscht werden kann. Lust kann zu Schmerz, Schmerz zu Lust werden, weil sie ihrer geheimen Wirklichkeit nach dasselbe sind, nur unterschiedlich wiedergegeben in Empfindungen und Gefühlen. Gleichgültigkeit ist entweder die Unaufmerksamkeit der vordergründigen Begehren-Seele in ihrem Mental, ihren Empfindungen, Gefühlen und Sehnsüchten gegenüber dem rasa der Dinge, oder die Unfähigkeit, es zu empfangen und darauf zu antworten, oder die Ablehnung, überhaupt eine äußere Reaktion zu zeigen, oder auch ihre Tendenz, Lust oder Schmerz durch den Willen in die neutrale Färbung von Unerwünschtheit zu verdrängen oder herabzudrücken. In all diesen Fällen kommt es dazu, daß man das, was stets subliminal aktiv ist, entweder positiv zurückweist oder in negativer Weise unwillig oder unfähig ist, es wiederzugeben oder irgendwie positiv an der Oberfläche zu repräsentieren.

Genauso wie wir durch psychologische Beobachtung und Experimente wissen, daß das subliminale Mental all diese Berührungen der Dinge, die das Oberflächen-Mental ignoriert, aufnimmt und im Gedächtnis behält, so finden wir, daß die subliminale Seele auch auf das rasa antwortet, auf die Essenz in einer Erfahrung dieser Dinge, die die Begehren-Seele der Außenseite entweder mit Abscheu oder Verweigerung zurückweist oder durch neutrales Nicht-Annehmen ignoriert. Eine Erkenntnis des Selbsts ist unmöglich, wenn wir nicht hinter unser vordergründiges Dasein zurücktreten, da es nur das Ergebnis ausgewählter äußerer Erfahrungen ist, ein unvollkommenes Brett zur Schalldämpfung oder die abstoßende, inkompetente und fragmentarische Übertragung eines geringfügigen Teils aus dem Vielen, das wir sind, – es sei denn, wir gehen dahinter zurück, senken unser Lot hinab in das Unterbewußte und öffnen uns für das Überbewußte, damit wir ihre Beziehung zu unserem vordergründigen Wesen erkennen. Denn zwischen diesen drei Dingen bewegt sich unser Dasein, es findet in ihnen seine Totalität. Das Überbewußte in uns ist eins mit dem Selbst und der Seele der Welt. Es wird von keiner Unterschiedlichkeit äußerer Erscheinungen beherrscht. Darum besitzt es die Wahrheit der Dinge und ihre Seligkeit in ganzer Fülle. Das Unterbewußte,11 das man im lichtvollen Höhepunkt seiner selbst das Subliminale nennt, ist im Gegensatz dazu nicht wahrer Besitzer der Erfahrung, sondern ihr Instrument. Es ist praktisch nicht eins mit der Seele und dem Selbst der Welt, aber es ist für sie durch seine Welt-Erfahrung offen. Die subliminale Seele ist sich im Innern des rasa der Dinge bewußt und findet gleichmäßig Entzücken an allen Kontakten. Sie ist auch der Werte und Maßstäbe der vordergründigen Begehren-Seele inne und empfängt an ihrer Außenseite entsprechende Einwirkungen von Lust, Schmerz und Gleichgültigkeit, hat jedoch gleichmäßig Freude an allen. Mit anderen Worten: unsere wahre Seele im Innern findet Freude an all ihren Erfahrungen, gewinnt aus ihnen Stärke, Lust und Erkenntnis, wächst durch sie in ihrem Bestand an Leben und in ihrer Fülle. Diese wahre Seele in uns zwingt das zurückschreckende Mental des Begehrens, das zu ertragen, was für es schmerzvoll ist, es sogar zu suchen und Lust daran zu finden, sowie das zurückzuweisen, was für es lustvoll ist, oder dessen Werte zu ändern oder sogar umzukehren, Dinge in Indifferenz zum Ausgleich zu bringen oder sie in Freude gleichmütig hinzunehmen, in der Lust an der Unterschiedlichkeit des Daseins. Das tut sie, weil sie durch das Allumfassende gezwungen ist, durch alle Arten von Erfahrung sich zu entwickeln, um an Natur zu wachsen. Würden wir andererseits nur aus der vordergründigen Begehren-Seele leben, könnten wir uns nicht verändern und ebensowenig fortentwickeln wie Pflanze und Stein, in deren Unbeweglichkeit oder Routine-Dasein – weil Leben dort noch nicht an der Oberfläche bewußt geworden ist – die geheime Seele der Dinge noch kein Instrument besitzt, durch das sie das Leben aus seiner festgelegten engen Skala retten kann, in die es geboren ist. Würde man die Begehren-Seele sich selbst überlassen, sie würde immer und ewig in denselben Bahnen kreisen.

Nach Ansicht alter Philosophien sind Lust und Schmerz ebenso untrennbar wie intellektuelle Wahrheit und Unwahrheit, Macht und Ohnmacht, Geburt und Tod. Darum sei der einzig mögliche Ausweg ihnen gegenüber die totale Indifferenz, eine leere Reaktion auf die Aufregungen durch das Welt-Selbst. Eine verfeinerte psychologische Erkenntnis zeigt uns aber, daß diese nur auf oberflächliche Tatsachen des Daseins gegründete Anschauung die Möglichkeiten des Problems nicht wirklich erschöpft. Wenn man die wahre Seele in den Vordergrund bringt, kann man die vom Ich bedingten Maßstäbe von Lust und Schmerz durch eine ausgeglichene allumfassende personal-apersonale Seligkeit ersetzen. Das tut der Liebhaber der Natur, wenn er an allen Dingen der Natur allgemein Freude empfindet, ohne in sich Abscheu, Furcht oder nur das bloße Gefallen und Mißfallen zuzulassen, weil er in allem, was anderen als gewöhnlich und bedeutungslos, als roh und wild, schrecklich und abstoßend erscheint, Schönheit wahrnimmt. Das tut auch der Künstler und der Dichter, wenn sie das rasa des Allumfassenden aus dem ästhetischen Gefühl, der körperlichen Linie oder mentalen Form von Schönheit erfahren oder es aus dem inneren Sinn und der Macht sowohl dessen erleben, von dem sich der gewöhnliche Mensch abwendet, wie von dem, woran er mit einem Empfinden von Lust hängt. Auf ihre Art tun das alle: der nach Erkenntnis Suchende, der Gott-Liebende, der den Gegenstand seiner Liebe überall findet, der Spirituelle, der Intellektuelle, der Empfindsame, der Ästhet; alle tun das und müssen das tun, wenn sie allumfassend die Erkenntnis, Schönheit, Freude oder die Gottheit finden wollen, die sie suchen. Nur in jenen Schichten, in denen das kleine Ich meist zu stark für uns ist, nur in unserem emotionalen oder physischen Frohsein und Leiden, in Lust und Schmerz des Lebens, vor denen die Begehren-Seele in uns so äußerst schwächlich und feige ist, wird die Anwendung des göttlichen Prinzips besonders schwierig, erscheint sie vielen unmöglich oder gar als ungeheuerlich und abstoßend. Hier schreckt die Unwissenheit des Ichs vor dem Prinzip der Apersonalität zurück, das sie doch ohne zu große Schwierigkeit in Wissenschaft und Kunst und sogar bei einer gewissen Art unvollkommenen spirituellen Lebens anwendet, weil dort das Gesetz der Apersonalität nicht das von der vordergründigen Seele bevorzugte Begehren und auch nicht die vom vordergründigen Mental festgelegten Werte des Begehrens angreift, an denen unser äußeres Leben vital interessiert ist. In den freieren und höheren Bewegungen werden von uns ein festgelegter höher entwickelter Gleichmut und Apersonalität gefordert, die einem bestimmten Bereich des Bewußtseins und seiner Aktivität eigentümlich sind, während die egoistische Basis unseres praktischen Lebens uns überlassen bleibt. In den niedrigeren Bewegungen muß die Grundlage unseres Lebens umgewandelt werden, um für die Apersonalität Raum zu schaffen; das findet aber die Begehren-Seele unmöglich.

Die in uns verborgene wahre Seele – wir nannten sie subliminal, aber dieses Wort ist irreführend, denn diese psychische Erscheinung findet sich nicht unterhalb der Schwelle des wachen Mentals, sie strahlt vielmehr im Tempel tief innen im Herzen hinter dem dichten Vorhang eines unwissenden Mentals, Lebens und Körpers, also nicht subliminal, sondern hinter dem Vorhang –, diese verschleierte psychische Wesenheit ist die stets in uns brennende Flamme der Gottheit, die auch nicht durch jene dichte Unbewußtheit, die nichts von einem inneren spirituellen Selbst weiß, ausgelöscht werden kann, durch die unsere äußere Natur verdunkelt wird. Sie ist eine aus dem Göttlichen Wesen geborene Flamme, die als lichtvoller Bewohner der Unwissenheit in dieser so lange wächst, bis er sie in Wissen verwandeln kann. Sie ist der verborgene Zeuge, die Aufsicht, der geheime Lenker, der Dämon des Sokrates, das Innere Licht oder die Innere Stimme des Mystikers. Dieses psychische Wesen überdauert uns unzerstörbar von Geburt zu Geburt, unberührt durch Tod, Verfall oder Verderben, ein unauslöschlicher Funke Göttlichen Wesens. Es ist zwar nicht das ungeborene Selbst, atman. Denn das Selbst, wenn es auch über dem Dasein des Einzelnen waltet, ist immer seiner Universalität und Transzendenz bewußt. Es ist jedoch sein Stellvertreter in den Gestaltungen der Natur, die individuelle Seele, caitya purusha, die Mental, Leben und Körper trägt und erhält, die hinter dem mentalen, vitalen, subtil-physischen Wesen in uns steht, ihre Entwicklung und Erfahrung beobachtet und daraus Nutzen zieht. Die anderen Person-Mächte im Menschen, diese Wesen aus seinem Wesen, sind in ihrer wahren Seinsgestalt auch verschleiert, stellen aber zeitweilige Personalitäten heraus, die zusammen unsere äußere Individualität bilden, von deren kombinierter vordergründiger Aktivität und Status-Erscheinung wir sagen: das sind wir selbst. Auch diese innerste Wesenheit, die als die psychische Person in uns Gestalt annimmt, stellt eine psychische Personalität heraus, die sich wandelt, die wächst und sich von Leben zu Leben fortentwickelt. Das ist der Wanderer zwischen Geburt und Tod und zwischen Tod und Geburt. Unsere äußeren Schichten sind nur sein vielfältiges, wechselhaftes Gewand. Anfangs kann das psychische Wesen nur im Verborgenen, partiell, mittelbar durch Mental, Vital und Körper wirken, da gerade diese Teile der Natur als Instrumente zum Ausdruck seines Selbsts erst entwickelt werden müssen, und es ist lange Zeit durch ihre Evolution eingeschränkt. Da es seine Mission ist, den Menschen in der Unwissenheit zum Licht Göttlichen Bewußtseins zu führen, verwendet es die Essenz aller Erfahrung in der Unwissenheit, um einen Grundstock für das Seelen-Wachstum in der Natur zu bilden. Das übrige verwandelt es in Material für die künftige Entwicklung der Werkzeuge, die es verwenden muß, bis sie als lichtvolle Instrumentation dem Göttlichen Wesen dienen können. Diese verborgene psychische Wesenheit ist das wahre ursprüngliche Gewissen in uns, tiefer als das konstruierte konventionelle Gewissen des Moralisten, denn dieses allein weist stets hin auf Wahrheit, Recht und Schönheit, auf Liebe und Harmonie, auf alles, was göttliche Möglichkeit in uns ist. Es wirkt fort, bis uns diese Dinge zum natürlichen Hauptbedürfnis werden. Die psychische Personalität blüht in uns auf als der Heilige, der Weise, der Seher. Wenn sie ihre stärkste Entfaltung erreicht, wendet sie das Wesen der Erkenntnis des Selbsts und des Göttlichen Wesens zu, der höchsten Wahrheit, dem erhabenen Guten, der äußersten Schönheit, Liebe und Wonne, den göttlichen Höhen und Weiten. Sie öffnet uns für die unmittelbare Erfahrung spiritueller Sympathie, Universalität, Einheit. Wo aber umgekehrt die psychische Personalität schwach, primitiv oder fehlentwickelt ist, fehlen die feineren Wesensseiten und Regungen in uns oder sind dürftig an Charakter und Macht, selbst wenn das Mental kraftvoll und brillant, das Herz vitaler Emotionen fest, stark und meisterhaft, die Lebenskraft dominierend und erfolgreich, die körperliche Existenz reich, von Glück begünstigt und scheinbar Herr und Sieger ist. Dann regiert die äußere Begehren-Seele, die pseudo-psychische Wesenheit, und wir halten ihre Fehlinterpretationen einer psychischen Anregung und Strebung, ihre Ideen und Ideale, ihr Begehren und Sehnen fälschlich für wahren Seelen-Stoff und Reichtum spiritueller Erfahrung.12 Wenn die verborgene psychische Person ganz hervortreten und, indem sie die Begehren-Seele ersetzt, offen und vollständig, nicht nur partiell und aus dem Bereich hinter dem Vorhang, die äußere Seite von Mental, Vital und Körper regieren kann, können diese in Seelen-Ebenbilder dessen umgeprägt werden, was wahr, recht und schön ist. Schließlich kann die gesamte Natur des Menschen dem wahren Ziel des Lebens, dem erhabenen Sieg, dem Aufstieg in ein spirituelles Dasein zugewendet werden.

Indem wir diese psychische Wesenheit, diese wahre Seele in uns, in den Vordergrund bringen und ihr hier die Führung und Herrschaft übertragen, könnte es so aussehen, als ob wir dadurch die Erfüllung unseres natürlichen Wesens, nach der wir suchen, gewinnen und auch die Pforten vom Reich des Geistes öffnen können. Man könnte daraus schließen, daß dann kein höheres Wahrheits-Bewußtsein oder Supramental-Prinzip zu unserer Hilfe eingreifen müßte, damit wir den göttlichen Status oder die göttliche Vollkommenheit erlangen. Ist auch die psychische Transformation eine der notwendigen Voraussetzungen für eine vollständige Umwandlung unseres Daseins, so ist sie doch nicht alles, was für die umfassendste spirituelle Wandlung notwendig ist. Die individuelle Seele kann sich zwar anfänglich in der Natur für die verborgenen göttlichen Bereiche unseres Wesens öffnen und deren Licht, Macht und Erfahrung empfangen und reflektieren. Dann ist aber für uns spirituelle Transformation von oben nötig, damit wir unser Selbst in seiner Universalität und Transzendenz besitzen können. Das psychische Wesen könnte auf einer gewissen Stufe damit zufrieden sein, daß es aus eigener Kraft eine Gestaltung des Wahren, Guten und Schönen erschafft und dort zunächst stehen bleibt. Auf einer weiteren Stufe könnte es sich passiv dem Welt-Selbst als ein Spiegel des universalen Seins, Bewußtseins, seiner Macht und Seligkeit unterordnen, würde aber nicht voll an ihnen teilnehmen und sie besitzen. Wenn es auch in Erkenntnis, Gefühl und sogar unter Billigung der Sinne enger und begeisternder mit dem kosmischen Bewußtsein vereinigt wäre, würde es nur empfangend und passiv weit entfernt bleiben von Meisterschaft und Wirken in der Welt. Oder es könnte eins werden mit dem statischen Selbst hinter dem Kosmos, wäre aber innerlich getrennt von der Welt-Bewegung, würde seine Individualität an seinen Ursprung verlieren, könnte zu diesem Ursprung zurückkehren und hätte weder den Willen noch die Macht für das, was hier seine endgültige Mission ist: auch die Natur zur göttlichen Verwirklichung hinzuführen. Denn das psychische Wesen kam aus dem Selbst, dem Göttlichen Wesen, in die Natur und kann aus der Natur zum schweigenden Göttlichen Wesen durch das Schweigen des Selbsts und eine erhabene spirituelle Bewegungslosigkeit zurückkehren. Ferner ist, als ewiger Anteil am Göttlichen Wesen (Gita, XV. 7.) dieser Teil durch das Gesetz des Unendlichen unabtrennbar von seinem Göttlichen Ganzen; dieser Teil ist tatsächlich selbst das Ganze, abgesehen von seiner vordergründigen Erscheinung und seiner vordergründigen absondernden Selbst-Erfahrung. Er könnte also zu dieser Wirklichkeit erwachen und sich bis zur scheinbaren Vernichtung in sie hineinstürzen, zumindest das individuelle Dasein mit ihr verschmelzen. Als kleiner Kern hier in der Masse unserer unwissenden Natur – nach der Beschreibung der Upanishad nicht größer als eines Menschen Daumen – kann es sich durch das Einströmen des Geistes ausweiten und die ganze Welt mit Herz und Mental in intimer Gemeinschaft oder Einung umfassen. Es mag auch seines ewigen Gefährten und Freundes innewerden und vorziehen, für immer in Seiner Gegenwart, als der ewig Liebende mit dem ewig Geliebten, in unvergänglicher Eintracht und im Einssein zu leben. An Schönheit und Entzücken ist das die intensivste aller spirituellen Erfahrungen. All das sind große herrliche Gewinne unseres spirituellen Selbst-Findens. Sie sind aber nicht notwendig das letzte Ziel und die erhabene Höhe: mehr ist möglich.

Denn das sind alles nur Errungenschaften des spirituellen Mentals im Menschen. Es sind Bewegungen des Mentals, wenn es, immer noch auf eigener Ebene, in die Herrlichkeiten des Geistes über sich hinausgeht. Selbst auf seinen höchsten Stufen weit jenseits unserer gegenwärtigen Mentalität handelt das Mental immer noch seiner Art nach durch Zerteilung, nimmt es die Aspekte des Ewigen und behandelt jeden Aspekt, als ob er die ganze Wahrheit des Ewigen Wesens wäre, und kann in jedem seine vollkommene Erfüllung finden. Es hebt sie sogar zu Gegensätzen empor und erschafft eine ganze Reihe solcher Gegensätze: das Schweigen des Göttlichen Wesens und die Entfaltung der göttlichen Kraft; das unbewegliche brahman, unerreichbar fern allem Dasein, ohne Eigenschaften, und den aktiven brahman im Besitz aller Eigenschaften, Herr des Seins, Wesens und Werdens; die Göttliche Person und das apersonale reine Sein. Es kann sich dann von dem einen lostrennen und sich in das andere stürzen als in die einzig bleibende Wahrheit des Seins. So kann es die Person als die einzige Wirklichkeit ansehen oder das Apersonale als allein wahr. Es kann den Liebenden als die einzige Art verstehen, wie ewig Liebe sich ausdrückt, oder Liebe als einzigen Selbst-Ausdruck des Liebenden. Es kann Wesen als rein persönliche Mächte apersonalen Seins sehen oder ein apersonales Sein als nur einen Zustand des einen Wesens, als die Unendliche Person. Diesen trennenden Linien wird sein spiritueller Gewinn, sein Zugangsweg zum höchsten Ziel entsprechen. Aber jenseits dieser Bewegung des spirituellen Mentals liegt die höhere Erfahrung des supramentalen Wahrheits-Bewußtseins. Dort verschwinden diese Gegensätze. Die parteiischen Auffassungen werden in der reichen Totalität höchster, integraler Realisation ewigen Wesens aufgehoben. Das ist das Ziel, das wir ins Auge gefaßt haben, die Gipfelhöhe unseres Daseins hier, erreicht durch einen Aufstieg zum supramentalen Wahrheits-Bewußtsein und durch dessen Abstieg in unsere Natur. Wenn sich also die psychische Transformation zur spirituellen Wandlung erhoben hat, muß sie vollendet, integriert, übertroffen und emporgehoben werden durch eine supramentale Transformation, die sie bis zum Gipfel des mühevollen Aufstiegs emporträgt.

Allein supramentale Bewußtseins-Energie könnte, ebenso wie zwischen den anderen zerteilten und entgegengesetzten Begriffen des manifestierten Seins, auch zwischen diesen beiden Begriffen von Geist-Status und Welt-Dynamik in unserem verkörperten Dasein, die offensichtlich nur wegen der Unwissenheit gegensätzlich sind, vollkommene Harmonie schaffen. In der Unwissenheit zentriert Natur die Ordnung ihrer psychischen Bewegungen nicht um das verborgene spirituelle Selbst, sondern um seinen Ersatz, um das Ich-Prinzip: Eine gewisse Zentrierung im Ich ist die Grundlage, auf der wir unsere Erfahrungen und Beziehungen zusammenfügen inmitten der komplexen Kontakte, Widersprüche, Dualitäten, Zusammenhanglosigkeiten der Welt, in der wir leben. Diese Zentrierung im Ich ist unser sicherer Fels gegen das Anbranden des Kosmischen und des Unendlichen, unsere Verteidigung. Bei der spirituellen Umwandlung müssen wir aber diese Verteidigung aufgeben. Das Ich muß verschwinden. Die Person findet sich aufgelöst in unendliche Apersonalität. In dieser Apersonalität gibt es zunächst keinen Schlüssel, keinen Hinweis auf eine geordnete Dynamik des Handelns. Ein sehr gewöhnliches Ergebnis ist, daß wir in zwei Teile unseres Wesens zerfallen: den spirituellen innen und den natürlichen außen. In dem einen gibt es die göttliche Realisation, auf eine vollkommene innere Freiheit gegründet, aber der natürliche Teil fährt noch mit dem alten Wirken der Natur fort und setzt ihren schon übertragenen Impuls durch mechanische Bewegung vergangener Energien fort. Gerade wenn es zu völliger Auflösung der begrenzten Person und der alten egozentrischen Ordnung kommt, kann die äußere Natur zum Feld scheinbar nicht-koordinierter Vorgänge werden, obwohl im Innern alles vom Selbst erleuchtet ist. Nach außen werden wir dadurch träge und inaktiv, nur Umstände oder Kräfte bewegen uns, nicht wir uns selbst, jadavat, auch wenn das Bewußtsein im Innern erleuchtet ist. Oder wir sind wie ein Kind, obwohl wir im Innern reiche Selbst-Erkenntnis haben, balavat. Oder wir sind wie jemand, der in Denken und Impuls inkonsequent ist, wenn auch im Innern äußerste Stille und frohe Gelassenheit herrschen, unmattavat. Oder die Seele äußert sich wild und ungeordnet, obwohl in ihrem Innern die Reinheit und Ausgeglichenheit des Geistes waltet, pisacavat. Gibt es in der vordergründigen Natur eine geordnete Dynamik, mag es eine Fortsetzung der oberflächlichen Ich-Aktion sein, die vom inneren Wesen nur beobachtet, nicht akzeptiert wird, oder eine mentale Dynamik, die nicht in der Lage ist, die innere spirituelle Realisation vollkommen auszudrücken, denn es gibt keine Gleichwertigkeit zwischen der Aktivität des Mentals und dem Status des Geistes. Selbst dort, wo uns im besten Fall ein intuitives inneres Licht führt, ist das, was es in der Dynamik des Handelns ausdrückt, durch die Unvollkommenheiten von Mental, Leben und Körper gekennzeichnet wie ein König mit unfähigen Ministern oder wie ein Wissen, das sich in den Werten der Unwissenheit ausdrückt. Nur die Herabkunft des Supramentals mit seiner vollkommenen Einheit von Wahrheits-Wissen und Wahrheits-Willen kann in unserer äußeren wie inneren Existenz die Harmonie des Geistes herstellen. Es allein kann die Werte der Unwissenheit völlig in Werte des Wissens verwandeln. Zur Erfüllung unseres psychischen Wesens ist es wie bei der Vollendung unserer mentalen und vitalen Schichten unentbehrlich, es mit seinem göttlichen Ursprung, mit der ihm entsprechenden Wahrheit in der Höchsten Wirklichkeit in Beziehung zu bringen. Hier wie dort kann das nur durch die Macht des Supramentals mit integraler Vollständigkeit und einer Innigkeit getan werden, die zur authentischen Identität wird. Das Supramental ist es, das die höhere Hemisphäre mit der niederen des Einen Seins verbindet. Im Supramental ist das integrierende Licht, die überhöhende Kraft, der weite Eingang in das erhabene ananda. Das von diesem Licht und dieser Kraft emporgehobene psychische Wesen kann sich mit der ursprünglichen Seins-Seligkeit einen, aus der es kam. Es kann die Dualitäten von Schmerz und Lust überwinden, Mental, Vital und Körper von Furcht und Schaudern ganz befreien und die Seinsbeziehungen in der Welt in Begriffe des Göttlichen ananda umprägen.

Kapitel XXIV. Materie

Er kam zu der Erkenntnis: Materie ist brahman.

Taittiriya Upanishad, III. 2.

Wir haben nun die rationale Gewißheit gewonnen: Leben ist weder ein unerklärlicher Traum noch ein unmögliches Übel, das dennoch zur schmerzvollen Tatsache geworden ist, sondern ein mächtiger Pulsschlag göttlichen All-Seins. Wir erkennen etwas von seiner Grundlage und seinem Prinzip. Wir schauen aufwärts zu seinen hohen Möglichkeiten und seinem erhabenen göttlichen Aufblühen. Nun gibt es aber das eine Prinzip unterhalb all der anderen, das wir noch nicht genügend betrachtet haben: das Prinzip der Materie, auf dem das Leben wie auf einem Sockel steht oder aus dem es sich wie die Gestalt eines vielästigen Baumes aus der Schale des Kerns entwickelt hat. Des Menschen Mental, Leben und Körper hängen von diesem physischen Prinzip ab. Wenn das Aufblühen des Lebens dadurch entsteht, daß das Bewußtsein als Mental aus ihm hervortritt, sich ausdehnt und im Suchen nach seiner eigenen Wahrheit in die Weite des supramentalen Seins erhebt, so scheint es doch auch durch diese Schale von Körper und durch dieses Fundament von Materie bedingt zu sein. Die Bedeutung des Körpers ist offensichtlich. Der Mensch ist nur deshalb über das Tier emporgekommen, weil er einen Körper und ein Gehirn entwickelt oder empfangen hat, die fortschreitende mentale Erleuchtung aufnehmen und sich ihrer bedienen können. So wird er auch nur dadurch über sich selbst hinauswachsen und nicht nur im Denken und im inneren Wesen, sondern im Leben ein vollkommenes göttliches Menschentum verwirklichen, wenn er einen Körper oder zumindest ein tätiges physisches Instrument entwickelt, das fähig ist, eine noch höhere Erleuchtung zu empfangen und ihr zu dienen. Sonst wird entweder das Versprechen des Lebens aufgehoben, seine Bedeutung annulliert, so daß das irdische Wesen saccidananda nur realisieren kann, indem es sich selbst vernichtet, indem es Mental, Vital und Körper von sich abschüttelt und in das reine Unendliche zurückkehrt. Oder der Mensch ist nicht das göttliche Instrument, es gibt eine vorausbestimmte unüberschreitbare Grenze zu jener bewußt progressiven Macht, die ihn von allen anderen Erdenwesen unterscheidet. Und wie er jene entthront hat, so muß schließlich er durch ein anderes ersetzt werden, das sein Erbe antritt.

Es sieht wirklich so aus, als sei der Körper von Anfang an die große Schwierigkeit für die Seele, ihr ständiger Hemmschuh und Stein des Anstoßes. Darum hat der eifrige Sucher nach spiritueller Erfüllung seinen Bannstrahl gegen den Körper geschleudert. Seine Abscheu vor der Welt wählt vor allen anderen dieses Welt-Prinzip als besonderen Gegenstand der Verachtung. Der Körper ist ihm die düstere Last, die er nicht tragen kann. Seine widerspenstige materielle Grobheit wird für ihn zur Besessenheit, die ihn zum Leben des Asketen treibt, damit er von ihm befreit wird. Um ganz davon loszukommen, ist er soweit gegangen, die Wirklichkeit des materiellen Universums zu leugnen. Die meisten Religionen haben die Materie mit ihrem Fluch belegt und aus der Zurückweisung des physischen Lebens oder dem resignierten zeitlichen Ertragen des Lebens den Beweis für religiöse Wahrheit und Spiritualität gemacht. Die älteren Glaubensrichtungen zerteilten jedoch nicht so rigoros, sie waren geduldiger, grübelten tiefer und waren noch nicht berührt von der Qual der Seele und ihrer fiebernden Ungeduld unter der Last des Eisernen Zeitalters. Sie erkannten Erde als die Mutter und Himmel als den Vater an und erwiesen beiden in gleicher Weise ihre Liebe und Verehrung. Aber ihre alten Mysterien sind für unseren Blick dunkel und unergründlich, da wir, ob unsere Weltanschauung materialistisch oder spirituell ist, uns damit zufriedengeben, den Gordischen Knoten des Seins-Problems mit einem einzigen Hieb zu durchschneiden und die Flucht in ewige Seligkeit oder ein Ende in ewiger Vernichtung oder ewiger Stille zu akzeptieren.

In Wirklichkeit fängt dieser Streit nicht erst dann an, wenn wir zur Erkenntnis unserer spirituellen Möglichkeiten erwachen. Er beginnt schon dann, wenn das Leben selbst erscheint und darum kämpft, seine Aktivitäten und seine dauernden Zusammenschlüsse lebendiger Form gegen die Kraft der Trägheit, gegen die Kraft der Unbewußtheit, gegen die Kraft der atomaren Auflösung dieser Aggregate zu führen, die im materiellen Prinzip der Kern der großen Verneinung ist. Leben liegt in ständigem Krieg mit Materie. Die Schlacht scheint stets in der sichtbaren Niederlage des Lebens zu enden und in jenem Zusammenbruch bis hinab zu dem materiellen Prinzip, das wir Tod nennen. Mit dem Erscheinen des Mentals vertieft sich die Gegensätzlichkeit, denn das Mental hat seinen eigenen Streit mit Leben und Materie. Es ist in ständigem Kampf gegen ihre Beschränkungen, in ständiger Unterwerfung unter die Trägheit und Grobheit des einen und die Leidenschaften und Leiden des anderen, in dauernder Revolte gegen beide. Schließlich scheint – obwohl nicht ganz sicher – der Kampf für das Mental in einem teilweisen, teuer erkauften Sieg zu enden, bei dem es die vitalen Sehnsüchte besiegt, unterdrückt oder sogar ausrottet, die physische Kraft verkrüppelt, und das Gleichgewicht des Körpers im Interesse einer größeren mentalen Aktivität und eines höheren moralischen Wesens stört. In diesem Widerstreit entsteht seine Ungeduld gegenüber dem Leben, die Abscheu vor dem Körper und das Zurückweichen aus beiden in ein rein mentales und moralisches Dasein. Wenn der Mensch zu einem Dasein jenseits des Mentals erwacht, weitet er dieses Prinzip der Zwietracht noch mehr aus. Mental, Körper und Leben werden von ihm als die Trinität der Welt, als das Fleisch, als der Teufel verdammt. Aber auch das Mental wird als Ursprung all unserer Krankheit mit Bann belegt. Es wird Krieg erklärt zwischen dem Geist und seinen Werkzeugen. Den Sieg des spirituellen Bewohners sucht man darin, daß dieser aus seinem engen Haus entflieht, Mental, Leben und Körper zurückweist und sich in die eigenen Unendlichkeiten zurückzieht. Die Welt sei Zwietracht, wir würden ihre Verworrenheit am besten dadurch lösen, daß wir das Prinzip der Zwietracht selbst bis zu seiner äußersten Möglichkeit austragen, indem wir es wegschneiden und uns endgültig von ihm trennen.

Diese Niederlagen und Siege sind aber nur scheinbar, diese Lösung ist keine wirkliche Lösung des Problems, sondern Flucht vor ihm. Leben wird von Materie nicht wirklich besiegt, es schließt einen Kompromiß, indem es den Tod zur Fortsetzung des Lebens verwendet. Das Mental ist nicht wirklich siegreich gegenüber Leben und Materie, sondern hat bisher nur eine unvollkommene Entwicklung einiger seiner Potentialitäten auf Kosten anderer erreicht, die eng verbunden sind mit den unverwirklichten oder verworfenen Möglichkeiten seiner besseren Verwendung von Leben und Körper. Die individuelle Seele hat die niedere Dreifaltigkeit nicht besiegt, sondern nur deren Anspruch zurückgewiesen und ist dann aus dem Werk geflohen, das der Geist unternahm, als er sich am Anfang in der Form des Universums ausprägte. Das Problem dauert fort, weil die Arbeit des Göttlichen Wesens im Universum weitergeht, wenn sie auch bisher keine befriedigende Lösung des Problems oder eine irgendwie siegreiche Vollendung der Arbeit erreichte. Nun haben wir aber den Standpunkt eingenommen, daß saccidananda Anfang, Mitte und Ende ist. Kampf und Zwietracht können keine ewigen und fundamentalen Prinzipien in Seinem Wesen sein. Vielmehr erfordert gerade ihre Existenz unser Mühen um vollkommene Lösung und vollständigen Sieg. Deshalb sollen wir diese Lösung als wirklichen Sieg des Lebens über die Materie dadurch suchen, daß das Leben frei und vollkommen über den Körper verfügt; den wirklichen Sieg des Mentals über Leben und Materie dadurch, daß das Mental die Lebens-Kraft und Lebens-Form frei und vollkommen gebraucht; einen wirklichen Sieg des Geistes über die Dreifaltigkeit dadurch, daß der bewußte Geist Mental, Leben und Körper frei und vollkommen in Besitz nimmt. In der von uns erarbeiteten Anschauung kann allein diese letzte Eroberung die anderen möglich machen. Um zu erkennen, wie diese Siege überhaupt und vollauf möglich sein können, müssen wir in gleicher Weise die Wirklichkeit von Materie herausfinden, wie wir die Wirklichkeit von Mental, Seele und Leben entdeckt haben, als wir nach der grundlegenden Erkenntnis suchten.

In gewissem Sinn ist Materie unwirklich und nicht-seiend. Das heißt, unsere gegenwärtige Erkenntnis, Vorstellung und Erfahrung von Materie ist nicht ihre Wahrheit, sondern nur ein Phänomen besonderer Beziehung zwischen unseren Sinnen und dem All-Sein, in dem wir uns bewegen. Wenn die Naturwissenschaft entdeckt, daß Materie sich in Formen von Energie auflöst, hat sie eine universale und fundamentale Wahrheit gefunden. Und wenn die Philosophie feststellt, daß Materie dem Bewußtsein gegenüber nur als stoffliche Erscheinung existiert, während die einzige Wirklichkeit Geist oder reines bewußtes Wesen ist, hat sie eine noch größere, vollständigere und fundamentalere Wahrheit erfaßt. Doch bleibt noch die Frage, warum Energie diese Form von Materie und nicht die von bloßen Kraft-Strömungen annimmt oder warum das, was wirklich Geist ist, das Phänomen von Materie überhaupt zuläßt und nicht in Zuständen, Willensformen und Freuden des Geistes verbleibt. Darauf antwortet man: das sei das Wirken des Mentals, oder es sei das Werk der Sinne, da offenbar Denken nicht unmittelbar erschafft oder auch die materielle Form der Dinge nicht direkt wahrnimmt. Das Sinnen-Mental erschaffe die Formen, die es wahrzunehmen scheint, und das Denk-Mental arbeite an den Formen, die ihm das Sinnen-Mental darreicht. Offensichtlich ist aber das individuell verkörperte Mental nicht der Schöpfer des Phänomens der Materie. Das Erd-Dasein kann nicht das Ergebnis des menschlichen Mentals sein, das selbst das Resultat des Erd-Daseins ist. Wenn wir sagen, die Welt existiert nur in unserem Mental, sprechen wir eine Nicht-Tatsache, eine Verwechslung aus. Die materielle Welt existierte, bevor ein Mensch auf der Erde war, und sie wird weiter existieren, falls der Mensch von der Erde verschwindet oder sogar unser individuelles Mental sich im Unendlichen auflösen sollte. Wir müssen also zu dem Schluß kommen: es gibt ein allumfassendes Mental.13 Dieses universale Mental, das für uns in der Form des Universums unterbewußt, in seinem Geist überbewußt ist, hat diese Form zu seiner Wohnung erschaffen. Da der Schöpfer seiner Schöpfung vorausgegangen und größer sein muß als diese, setzt dies tatsächlich ein überbewußtes Mental voraus, das durch die Mitwirkung eines universalen Sinnes in sich selbst die Beziehung von Form zu Form erschafft und den Rhythmus des materiellen Universums konstituiert. Aber auch das ist noch keine vollständige Lösung. Sie sagt uns, Materie sei eine Schöpfung des Bewußtseins. Sie erklärt aber nicht, wie Bewußtsein dazu kam, Materie als Basis für sein kosmisches Wirken zu erschaffen.

Das werden wir besser verstehen, wenn wir sofort zum ursprünglichen Prinzip der Dinge zurückgehen. Sein ist in seiner Aktivität eine Bewußte Kraft, die das Wirken ihrer Kraft ihrem Bewußtsein als Formen seines eigenen Wesens darbietet. Da Kraft nur die Aktion eines einzigen allein-existierenden Bewußten Wesens ist, können ihre Ergebnisse nicht anderes als Formen dieses Bewußten Wesens sein. Stofflichkeit oder Materie ist dann nur eine Form von Geist. Die Erscheinung, die diese Geist-Form unseren Sinnen gegenüber annimmt, rührt von jener zerteilenden Wirkensweise des Mentals her, aus der wir folgerichtig die gesamte Erscheinungsform des Universums ableiten konnten. Wir wissen jetzt, daß Leben ein Wirken von Bewußter Kraft ist, dessen Resultat materielle Formen sind. Das in diese Formen involvierte Leben, das in ihnen zuerst als eine ihrer nicht bewußte Kraft erscheint, tritt bei seiner Evolution daraus hervor und bringt als Mental wieder jenes Bewußtsein zur Manifestation, das das wirkliche Selbst der Kraft ist und nie in ihr zu existieren aufhörte, auch wenn es nicht manifest gewesen ist. Ebenso wissen wir, daß das Mental eine untergeordnete Macht des ursprünglichen bewußten Wissens oder des Supramentals ist, eine Macht, für die Leben als hilfreiche Energie wirkt. Durch das Supramental herabkommend, stellt sich nämlich Bewußtsein, chit, als Mental dar, die Kraft des Bewußtseins, tapas, als Leben. Durch Absonderung von seiner eigenen höheren Wirklichkeit im Supramental erweckt Leben den Anschein von Zerteilung und wird schließlich durch Involution in seine eigene Lebens-Kraft im Leben unterbewußt und nimmt so die äußere Erscheinung einer ihren materiellen Aktivitäten gegenüber nicht-bewußten Kraft an. Darum muß die Nicht-Bewußtheit, die Trägheit, die atomare Auflösung der Verbindungen der Materie ihren Grund in diesem all-zerteilenden und sich-selbst-involvierenden Wirken von Mental haben, durch das unser Universum ins Dasein gekommen ist. So wie das Mental nur eine letzte Aktion des Supramentals bei seiner Herabkunft in die Schöpfung ist und Leben eine Aktion der Bewußten Kraft, die in den durch die Herabkunft des Mentals geschaffenen Bedingungen der Unwissenheit wirkt, so ist auch Materie, wie wir sie kennen, nur die letzte Form, die vom Bewußt-Seienden als das Ergebnis dieses Wirkens angenommen wurde. Materie ist Stoff des einen Bewußten Wesens, das erscheinungsmäßig durch das Wirken eines universalen Mentals14 in sich selbst zerteilt ist. Diese Zerteilung wiederholt das individuelle Mental und verharrt darin. Das hebt aber die Einheit des Geistes oder die Einheit der Energie oder die wirkliche Einheit der Materie nicht auf und verringert sie in keiner Weise.

Warum gibt es aber diese Zerteilung eines unzerteilbaren Seins in der äußeren Erscheinung und Praxis? Weil das Mental das Prinzip der Vielfalt bis zur äußersten Möglichkeit durchzuführen hat, was nur durch Absonderung und Trennung geleistet werden kann. Dazu muß das Mental sich aus sich heraus in das Leben hinauswerfen, um Formen für das Vielfältige zu erschaffen. Es muß dem universalen Prinzip des Wesens statt einer reinen oder subtilen Substanz die Erscheinung einer groben, materiellen geben. Es muß ihm sozusagen die äußere Erscheinung von Stofflichem geben, das sich in der Berührung mit dem Mental als etwas Stabiles, Gegenständliches in dauerhafter Vielfalt von Objekten darbietet, nicht als eine Substanz, die sich dem Kontakt des reinen Bewußtseins als etwas aus seinem ewigen Sein und seiner Wirklichkeit darstellt, oder den subtilen Sinnen als ein Prinzip plastischer Form, das in freier Weise das bewußte Wesen ausdrücken kann. Der Kontakt des Mentals mit seinen Gegenständen erschafft das, was wir Sinne nennen; hier aber unerleuchtete, nach außen gewendete Sinne, die von der Wirklichkeit dessen, womit sie in Kontakt kommen, überzeugt werden müssen. So folgt der Abstieg reiner Substanz in materielle Substanz unvermeidlich dem Abstieg von saccidananda durch das Supramental in Mental und Leben. Das ist das notwendige Ergebnis des Willens, eine Vielfalt des Seienden und das Wahrnehmen der Dinge von getrennten Zentren des Bewußtseins her zur ersten Methode dieser niederen Erfahrung des Seins zu machen. Wenn wir zur spirituellen Basis der Dinge zurückkehren, löst sich Stoffliches in seiner äußersten Reinheit in reines bewußtes Wesen auf, das aus dem Selbst existiert und seinem ursprünglichen Wesen gemäß durch Identität seines Selbsts inne ist, das aber noch nicht sein Bewußtsein auf sich selbst als auf sein Objekt richtet. Dieses Selbst-Innesein durch Identität bewahrt sich das Supramental als den Stoff seiner Selbst-Erkenntnis und als das Licht seiner Selbst-Schöpfung. Für diese Schöpfung stellt es aber das Sein sich selbst in der Subjekt-Objekt-Beziehung gegenüber, als das Eine und das Vielfältige seines aktiven Bewußtseins. Hier wird das Sein als Objekt einer höchsten Erkenntnis festgehalten, die es durch inneres Verstehen sowohl als Objekt der Erkenntnis in sich selbst, als auch subjektiv als sich selbst sehen kann. Die Erkenntnis kann aber auch, und zwar gleichzeitig, durch äußeres Verstehen das Sein als ein Objekt (oder als Objekte) der Erkenntnis in den Umkreis ihres Bewußtseins projizieren, der nichts anderes ist als das Sein selbst, ein Teil seines Wesens, aber ein Teil (oder Teile), den es von sich wegstellte, das heißt: weg vom Zentrum des Schauens, worin sich das Sein als der Wissende, als der beobachtende Zeuge oder purusha konzentriert. Wir haben gesehen, wie aus diesem verstehenden Bewußtsein die Bewegung des Mentals entsteht: jene Bewegung, durch die der individuell Erkennende eine Gestaltung seines eigenen universalen Wesens so betrachtet, als ob es ein anderes sei als er selbst. Im Göttlichen Mental gibt es aber unmittelbar, oder vielmehr gleichzeitig, eine andere Bewegung, oder besser die Kehrseite derselben Bewegung, einen Akt von Einung im Wesen, der diese Zerteilung der äußeren Erscheinung aufhebt und sie daran hindert, auch nur einen Augenblick lang für den Erkennenden zu etwas allein Wirklichem zu werden. Dieser Akt bewußter Einung ist das, was andererseits im zerteilenden Mental dumpf, unwissend, ganz äußerlich als Kontakt im Bewußtsein zwischen getrennten lebendigen Wesen und gesonderten Gegenständen dargestellt wird. Bei uns wird dieser Kontakt im geteilten Bewußtsein in erster Linie durch das Prinzip der Sinne dargestellt. Auf diese Sinnen-Basis, auf diesen der Zerteilung unterworfenen Kontakt der Einheit gründet sich das Wirken des Denk-Mentals, hier bereitet es sich vor auf die Rückkehr zu einem höheren Prinzip der Einung, in dem Zerteilung zum Anlaß der Einheit gemacht und ihr untergeordnet wird. Substanz, wie wir sie als materielle Stofflichkeit kennen, ist also die Form, in der das Mental, durch die Sinne handelnd, Kontakt mit dem Bewußten Wesen hält, von dem es selbst eine Bewegung des Wissens ist.

Das Mental neigt aber, seiner Natur gemäß, dazu, den Stoff des bewußten Wesens nicht in seiner Totalität zu erkennen und zu empfinden, sondern durch das Prinzip der Zerteilung. Es sieht ihn sozusagen in unendlich kleinen Punkten, die es zusammensetzt, um zur Ganzheit zu gelangen. Das kosmische Mental versenkt sich in diese Blickpunkte und Zusammensetzungen und verbleibt in ihnen. So verwandelt es durch sein Innewohnen – durch seine eingeborene Kraft als aktiver Repräsentant der Real-Idee schöpferisch wirkend und durch seine Art gehalten, alle seine äußeren Wahrnehmungen in Lebens-Energie umzuformen – als der All-Seiende alles, was Er als Seine Selbst-Aspekte zum Ausdruck bringt, in unterschiedliche Energie Seiner schöpferischen Kraft des Bewußtseins und macht aus diesen vielfältigen Punkten Seiner Schau universalen Seins die Standpunkte allumfassenden Lebens.

Das kosmische Mental verwandelt sie in der Materie in Formen atomaren Wesens, die von dem Leben durchdrungen sind, das sie formt, und von dem Mental und Willen regiert werden, die die Zerteilung bewirken. Zugleich müssen die atomaren Existenzformen, die es so gestaltet, durch das eigene Gesetz ihres Wesens danach streben, sich zusammenzuschließen und zu verbinden. Durchdrungen von dem verborgenen Leben, das sie formt, und von dem verborgenen Mental und Willen, die sie antreiben, enthalten alle diese Verbindungen in sich die Fiktion eines getrennten individuellen Daseins. Je nachdem das Mental in solchen individuellen Objekten oder individuellen Existenzen innerlich inaktiv oder nach außen aktiv, je nachdem es unmanifestiert oder manifestiert ist, wird es gefördert und erhalten entweder durch sein mechanisches Kraft-Ich, in dem der Wille-zum-Sein dumpf und gefangen, trotzdem machtvoll ist, oder durch sein selbstbewußtes mentales Ich, in dem der Wille-zum-Sein befreit, bewußt und gesondert aktiv ist.

So ist also nicht ein ewiges und ursprüngliches Gesetz ewiger und ursprünglicher Materie die Ursache atomarer Existenz, sondern die Art des Wirkens des kosmischen Mentals. Materie ist eine Schöpfung, für sie wurde die unendlich kleine, äußerste Fragmentierung des Unendlichen als Ausgangspunkt oder Basis benötigt. Äther mag existieren -und existiert wirklich – als ungreifbare, fast spirituelle Unterstützung der Materie. Als äußeres Phänomen scheint er aber, wenigstens nach unserer jetzigen Erkenntnis, materiell nicht auffindbar zu sein. Wir mögen das sichtbare Aggregat oder das geformte Atom in die Grundbestandteile des Atoms zerlegen, sie in den unendlich feinsten Staub des Seienden spalten, soviel wir wollen; wir werden wegen der Eigenart von Mental und Leben, die sie bildeten, doch nur bis zu einer äußersten atomaren Existenz gelangen, die vielleicht instabil ist, sich aber im ewigen Strom der Kraft immer wieder als etwas Phänomenales rekonstituiert, also keine nicht-atomare, zu keinen Inhalten fähige Ausdehnung ist. Nicht-atomare Ausdehnung von Substanz, eine Ausdehnung, die kein Zusammenschluß wäre, oder Koexistenz in anderer Weise als durch Verteilung im Raum, das sind Wirklichkeiten reinen Seins, reiner Substanz. Sie sind eine Erkenntnis des Supramentals und ein Prinzip seiner Dynamik, aber kein schöpferisches Konzept des zerteilenden Mentals, wenn auch das Mental hinter den eigenen Wirkensweisen ihrer gewahr werden kann. Sie sind die der Materie zugrunde liegende Wirklichkeit, aber nicht das Phänomen, das wir Materie nennen. Mental, Leben, Materie an sich können mit jenem reinen Sein und mit seiner bewußten Ausdehnung in ihrer statischen Wirklichkeit geeint sein. Sie können aber nicht in ihrer dynamischen Aktion, in ihrer Selbst-Wahrnehmung und Selbst-Gestaltung durch dieses Einssein wirken.

Wir kommen also zu folgender Wahrheit über die Materie: Es gibt eine nach Gestaltung drängende Selbst-Ausdehnung des Wesens, die sich im Universum als Stofflichkeit oder als Objekt von Bewußtsein auswirkt. Kosmisches Mental und Leben stellen sie in ihrer schöpferischen Aktion durch atomare Teilung und Zusammensetzung als das dar, was wir Materie nennen. Aber auch diese Materie bleibt ebenso wie Mental und Leben immer Wesen oder brahman in seiner selbst-schöpferischen Aktion. Sie ist eine Form der Kraft von Bewußtem Wesen, eine Form, die ihr vom Mental gegeben und vom Leben verwirklicht wird. Sie hält in ihrem Innern, als eigene Wirklichkeit, Bewußtsein vor sich verborgen, in das Ergebnis ihrer Selbst-Gestaltung involviert und von ihr absorbiert, darum selbst-vergessen. Wie grob und sinnentleert Materie uns auch erscheinen mag, für die geheime Erfahrung des Bewußtseins, das in ihr verborgen ist, bleibt sie dennoch Seligkeit des Wesens, die sich diesem geheimen Bewußtsein als Objekt der Empfindung darbietet, um jene verborgene Gottheit aus ihrer Verborgenheit herauszulocken. Sein, geoffenbart als Stoffliches, Kraft des Wesens geprägt in Form, in eine gestaltete Selbst-Repräsentation des geheimen Selbst-Bewußtseins, und Seligkeit, die sich ihrem eigenen Bewußtsein als Objekt darbietet: was ist das anderes als saccidananda? Materie ist saccidananda, das sich Seiner eigenen mentalen Erfahrung als geformte Basis zu objektiver Erkenntnis, zum Handeln und zur Daseins-Freude darbietet.

Kapitel XXV. Der Knoten der Materie

Ich kann mich nicht mittels der Gewalt oder der Dualität zur Wahrheit des lichten Herrn hinbewegen... Wer sind die, die das Fundament der Falschheit schützen? Wer sind die Wächter des unwirklichen Wortes?

Damals gab es kein Sein und kein Nicht-Sein, die Mittelwelt war nicht, noch der Äther, noch was jenseits ist. Was bedeckte alles? Wo war es? In wessen Zuflucht? Was war jener dichte und tiefe Ozean? Es gab weder Tod noch Unsterblichkeit, noch das Wissen von Tag und Nacht. Jenes Eine lebte ohne Atem durch sein Selbst-Gesetz, es gab weiter nichts und auch nichts jenseits davon. Am Anfang war Finsternis verborgen durch Finsternis, all dies war ein Ozean von Nicht-Bewußtheit. Als das universale Wesen durch Zersplitterung verhüllt wurde, da wurde durch die Macht seiner Energie Jenes Eine geboren. Dieses regte sich zuerst als Begehren im Innern; das war die Anfangs-Saat des Mentalen. Die Seher der Wahrheit entdeckten den Aufbau des Seienden im Nicht-Seienden durch einen Willen im Herzen und durch die Gedanken; deren Strahl dehnte sich horizontal aus. Aber was gab es unterhalb davon, und was gab es darüber? Es gab die, die säen, es gab Hoheiten, es gab unten das Selbst-Gesetz, es gab den Willen darüber.

Rig Veda, V.12.2,4; X.129.1-5.

Ist also der Schluß, zu dem wir gekommen sind, korrekt – und es ist bei den Gegebenheiten, aufgrund deren wir arbeiten, nichts anderes möglich–, dann hat die scharfe Trennung, geschaffen zwischen Geist einerseits und Materie andererseits durch praktische Erfahrung und lange Gewohnheit des Mentals, keine grundlegende Realität mehr. Die Welt ist eine Einheit in Verschiedenheit, ein mannigfaltiges Einssein. Sie ist kein ständiger Versuch zu einem Kompromiß zwischen ewigen Disharmonien, kein fortdauernder Kampf zwischen unversöhnlichen Gegensätzen. Ein unabänderliches Einssein, das unendliche Verschiedenheit erzeugt, ist ihr Fundament und Anfang. In der Mitte scheint ihr wirklicher Charakter hinter offensichtlicher Zertrennung und Kampf ständige Aussöhnung zu sein, die alle möglichen grundverschiedenen Dinge zu gewaltigen Zwecken in einem geheimen Bewußtsein und Willen kombiniert, der stets ein einziger Wille und Herr seiner gesamten eigenen komplexen Aktion ist. Wir müssen also vermuten, daß eine Erfüllung des hervortretenden Willens und Bewußtseins und eine triumphierende Harmonie der Zielgedanke der Welt ist. Substanz ist die Form dieses Bewußtseins, auf die es einwirkt. Von dieser Substanz ist Materie das eine Ende, Geist das andere. Beide sind eins: Geist ist die Seele und Wirklichkeit dessen, was wir mit den Sinnen als Materie erfahren, Materie ist Form und Körper dessen, was wir als Geist realisieren.

Gewiß gibt es einen großen praktischen Unterschied. Auf ihn sind die ununterbrochene Reihe und ständig emporsteigenden Grade des Welt-Daseins gegründet. Wir sagten: Substanz ist bewußtes Sein, das sich den Sinnen als Objekt darbietet, so daß das Werk der Welt-Gestaltung und der kosmischen Progression auf der Grundlage der jeweils vollzogenen Sinnen-Beziehung voranschreiten kann. Es braucht aber nicht nur eine einzige Basis zu geben, nicht nur ein fundamentales Prinzip der Beziehung, die zwischen Sinnen und Substanz unveränderlich geschaffen wäre. Im Gegenteil, es gibt eine aufsteigende und sich entwickelnde Reihe. Wir gewahren eine andere Substanz, in der reines Mental als in seinem natürlichen Medium wirkt, die weit subtiler, flexibler, plastischer ist als alles, was unsere physischen Sinne als Materie erfassen können. Wir können von einer Mental-Substanz sprechen, weil wir eines subtileren Mediums gewahr werden, in dem Formen entstehen und Wirken stattfindet. Wir können auch von einer Substanz reiner dynamischer Lebens-Energie sprechen, die anders ist als die subtilsten Formen materieller Substanz und deren physisch empfindbare Kraftströmungen. Geist selbst ist reine Substanz des Seienden, die sich nicht mehr physischen, vitalen oder mentalen Sinnen als Objekt darbietet, sondern dem Licht einer rein spirituell wahrnehmenden Erkenntnis, in der das Subjekt zu seinem eigenen Objekt wird, d. h. in der das Zeitlose und flaumlose seiner selbst innewird in einer rein spirituell sich selbst begreifenden Selbst-Ausdehnung als der Basis und des Ur-Materials allen Daseins. Jenseits dieser Grundlage verschwindet alle bewußte Unterscheidung zwischen Subjekt und Objekt in absoluter Identität; dort können wir nicht mehr von Substanz sprechen.

Darum ist es ein rein begrifflicher – ein spirituell, jedoch nicht mental begrifflicher – Unterschied, der zu jener praktischen Unterscheidung führt, die den Stufengang erschafft, der vom Geist durch das Mental hinab zur Materie führt und wieder empor von der Materie durch das Mental zum Geist. Das wirkliche Einssein wird aber niemals aufgehoben. Wenn wir zur ursprünglichen und integralen Betrachtung der Dinge kommen, sehen wir, daß die Einheit niemals wirklich vermindert oder eingeschränkt war, selbst nicht in den gröbsten Verdichtungen der Materie. Brahman ist nicht nur die Ursache, fördernde Macht sowie das innewohnende Prinzip des Universums, es ist auch sein Material, sein einziges Material. Auch Materie ist brahman, sie ist nichts anderes und nicht verschieden von ihm. Wäre Materie tatsächlich vom Geist abgeschnitten, so wäre das nicht so. Sie ist aber, wie wir gesehen haben, nur eine abschließende Form und ein objektiver Aspekt des Göttlichen Seins, wobei die Allheit Gottes stets in ihr und hinter ihr gegenwärtig ist. So wie diese scheinbar grobe und träge Materie überall und immer durchdrungen wird von einer mächtigen, dynamischen Kraft des Lebens, so wie dieses dynamische, aber scheinbar unbewußte Leben in sich ein immer wirkendes, nicht sichtbares Mental verborgen trägt, von dessen geheimen Vorgängen es die sichtbare Energie ist, so wie dieses unwissende, unerleuchtete und tastende Mental im lebenden Körper von seinem eigenen wirklichen Selbst, vom Supramental, gefördert und souverän gelenkt wird, das in gleicher Weise auch in der nicht-mentalisierten Materie vorhanden ist so sind die gesamte Materie ebenso wie alles Leben, Mental und Supramental nur Erscheinungsweisen des brahman, des Ewigen, des Geistes, des saccidananda, der nicht nur in ihnen allen wohnt, sondern der alle diese Dinge ist, wenn auch kein einziges von ihnen Sein absolutes Sein ausmacht.

Aber es gibt eben diese begriffliche Verschiedenheit, diese praktische Unterscheidung. In ihr scheint die Materie, auch wenn sie nicht wirklich vom Geist abgeschnitten ist, doch praktisch so eindeutig abgetrennt, so verschieden, in ihrem Gesetz so entgegengesetzt, und das materielle Leben scheint so sehr die Negation alles spirituellen Seins zu sein, daß die Ablehnung dieses materiellen Lebens als der einzige Abkürzungsweg aus der Schwierigkeit erscheint – wie er es zweifellos auch ist. Aber ein Abkürzungsweg oder ein Kurzschluß ist keine Lösung. Immerhin liegt in der Materie zweifellos die Hauptschwierigkeit. Sie verursacht das Hindernis: Wegen der Materie ist Leben grob, begrenzt und von Tod und Leid befallen. Wegen der Materie ist das Mental mehr als halb-blind, seine Flügel sind beschnitten, seine Füße an das Gestänge des engen Käfigs gekettet. So wird es zurückgehalten von der Weite und Freiheit droben, deren es bewußt ist. Darum ist der ausschließlich nach dem Geist Suchende von seinem Gesichtspunkt aus gerechtfertigt, wenn er, angewidert vom Schlamm der Materie, abgestoßen durch die tierhafte Grobheit des Lebens oder ungeduldig wegen der Enge der Selbst-Gefangenschaft und dem nach unten gerichteten Blick des Mentals, entschlossen ist, aus all dem auszubrechen und durch Inaktivität und Schweigen in die bewegungslose Freiheit des Geistes zurückzukehren. Das ist jedoch nicht der einzige Gesichtspunkt. Wir brauchen ihn auch nicht deshalb als die integrale und höchste Weisheit zu betrachten, weil er durch leuchtende, goldene Vorbilder in hohen Ehren gehalten und verherrlicht worden ist. Vielmehr wollen wir uns von aller Leidenschaft und Auflehnung befreien, den Sinn dieser göttlichen Ordnung des Universums erforschen und gerade wegen dieser schwierigen Verknotung und Verwirrung im Gewebe einer Materie, die den Geist verleugnet, die einzelnen Fäden untersuchen, sie voneinander trennen und durch eine andere Lösung entwirren als dadurch, daß wir den Knoten mit Gewalt durchschneiden. Wir müssen zuerst die Schwierigkeit dieses Gegensatzes völlig, haargenau, notfalls eher übertrieben als abgemildert, feststellen und uns dann nach einem Ausweg umschauen.

Der fundamentale Widerspruch, den die Materie dem Geist entgegensetzt, liegt zunächst darin, daß sie der höchste Grad des Prinzips der Unwissenheit ist. Hier hat Bewußtsein sich in eine Form seiner Werke verloren und seines Selbsts so vergessen, wie etwa ein Mensch, der in eine Sache äußerst vertieft ist, nicht nur vergessen könnte, wer er ist, sondern daß er überhaupt existiert, so daß er zeitweilig ganz zu dem Werk werden kann, das gerade ausgeführt wird, und zu der Kraft, die es bewirkt. Es scheint, als ob der selbst-erleuchtete Geist, der seiner selbst hinter allem Wirken der Kraft unendlich bewußt und ihr Meister ist, verschwunden sei und überhaupt nicht existiere. Vielleicht ist Er irgendwo, hat scheinbar aber nur eine rohe, unbewußte, materielle Kraft zurückgelassen, die immerzu erschafft und zerstört, ohne sich selbst zu erkennen, noch um das zu wissen, was sie schafft oder warum sie es überhaupt erschafft oder weshalb sie es sofort wieder zerstört, wenn sie es erschaffen hat: Sie weiß das nicht, denn sie hat kein Mental. Sie kümmert sich nicht darum, denn sie hat kein Herz. Das ist zwar nicht die wirkliche Wahrheit, gerade nicht des materiellen Universums, da hinter dieser täuschenden Erscheinungswelt ein Mental, ein Wille, ja noch etwas Größeres steht als das Mental oder mentaler Wille. Doch stellt das materielle Universum dem Bewußtsein, das in ihm aus seiner Nacht emportaucht, zunächst gerade dieses finstere Scheinbild als Wahrheit hin. Sollte es aber nicht Wahrheit sondern Lüge sein, ist es doch eine höchst effektive Lüge, denn sie bestimmt entscheidend die Bedingungen unseres phänomenalen Daseins und bedrängt all unser Sehnen und Bemühen.

Es ist das schauerliche, schreckliche, erbarmungslose Mirakel des materiellen Universums, daß aus diesem Nicht-Mental ein Mental, zumindest Mentalfunktionen hervortreten, die inmitten jener weitverbreiteten Unwissenheit existieren, welche das Gesetz des Universums ist, die nun schwächlich nach Licht ringen, individuell hilflos und nur dann weniger hilflos sind, wenn sie zur Selbstverteidigung ihre individuelle Schwäche zu Gemeinschaften organisieren. Aus dieser herzlosen Nicht-Bewußtheit und innerhalb ihrer unerbittlichen Jurisdiktion wurden Herzen geboren, voller Sehnsucht, gequält und unter der Last der blinden, gefühllosen Grausamkeit dieses eisernen Daseins blutend, einer Grausamkeit, die ihnen ihr Gesetz auferlegt und in ihrem Empfindungsvermögen fühlbar wird als brutal, wild, schauerlich. Was aber ist im Grunde hinter den Erscheinungen dieses scheinbaren Geheimnisses? Wir können erkennen, daß es das Bewußtsein ist, das sich selbst verloren hatte, das nun wieder zu sich selbst zurückkehrt, das langsam und schmerzvoll aus dieser riesenhaften Selbst-Vergessenheit als Leben auftaucht, das empfindend sein möchte, das halb-empfindend, dumpf empfindend ist, ganz empfindet und schließlich danach ringt, mehr als nur empfindend zu sein, das wieder in göttlicher Art seiner selbst bewußt, frei, unendlich, unsterblich werden will. Bis dahin muß es aber weiter unter einem Gesetz wirken, das das Gegenteil von alledem ist, unter den Bedingungen der Materie, d. h. also gegen die Gewalt der Unwissenheit. Die Bewegungen, denen es folgen, die Werkzeuge, die es verwenden muß, sind für es von dieser groben und zerteilten Materie verfertigt und legen ihm bei jedem Schritt Unwissenheit und Beschränkung auf.

Der zweite fundamentale Widerspruch der Materie gegen den Geist ist ihre äußerste Gebundenheit an ein mechanisches Gesetz und ihr Widerstand gegen alles, was sich zu befreien sucht, in Gestalt kolossaler Trägheit. Nicht, daß Materie an sich träge wäre. Sie ist vielmehr unendliche Bewegung, unfaßbare Kraft und schrankenlose Aktion, deren grandiose Bewegungen unsere ständige Bewunderung verdienen. Während aber Geist frei ist, Herr seiner selbst und seiner Werke, nicht durch sie gebunden, Schöpfer des Gesetzes und nicht sein Untertan, ist diese riesenhafte Materie durch ein festes mechanisches Gesetz streng an Ketten gelegt. Das Gesetz ist ihr aufgezwungen, sie versteht es nicht, noch hat sie es je begriffen. Vielmehr arbeitet sie ohne Bewußtheit, wie eine Maschine schafft, die nicht weiß, wer sie geschaffen hat, durch welche Abläufe sie wirkt und zu welchem Ziel. Wenn dann Leben erwacht und die physische Form und materielle Kraft zu beherrschen und alle Dinge nach seinem Willen und für seine Bedürfnisse zu verwenden sucht und wenn später Mental bewußt wird und das Wer, das Warum und das Wie seiner selbst und aller Dinge zu erkennen sucht und vor allem sein Wissen dazu verwenden will, das eigene, freiere Gesetz und sein vom Selbst gelenktes Wirken den Dingen aufzuerlegen, scheint die materielle Natur zunächst nachzugeben, sogar zuzustimmen und zu helfen, wenn auch erst nach Kampf, widerstrebend und nur bis zu einem gewissen Punkt. Jenseits dessen aber widersetzt sich Materie mit hartnäckiger Trägheit, Obstruktion und Negation und überzeugt sogar Leben und Mental, daß sie nicht weitergehen und ihren Teilsieg nicht bis zum Ende ausfechten können. Leben kämpft darum, sich auszuweiten, zu verlängern, und hat einen gewissen Erfolg. Wenn es aber seine äußerste Weite und die Unsterblichkeit sucht, stößt es auf die eiserne Obstruktion der Materie und findet sich an die Enge und an den Tod gefesselt. Das Mental versucht, dem Leben zu helfen. Es will dabei seinen eigenen Impuls erfüllen, alle Erkenntnis zu umfassen, alles Licht zu werden, Wahrheit zu besitzen und Wahrheit zu sein, Liebe und Freude regieren zu lassen und Liebe und Freude zu sein. Es gibt aber stets das Abgleiten vom Weg, Irrtum und Grobheit der materiellen Lebensinstinkte und die Verneinung und Behinderung der materiellen Sinne und physischen Werkzeuge. Immer verfolgt Irrtum seine Erkenntnis. Finsternis ist der unzertrennliche Gefährte und Hintergrund seines Lichts. Wahrheit wird mit Erfolg gesucht. Sie hört aber auf, Wahrheit zu sein, wenn sie gerade ergriffen ist, und das Suchen muß weitergehen. Es gibt Liebe, aber sie kann keine wahre Befriedigung finden. Freude ist da, sie kann sich aber nicht rechtfertigen. Beide schleppen als Ketten hinter sich her oder werfen als ihren Schatten, was ihr eigener Gegensatz ist: Zorn und Haß, Gleichgültigkeit, Überdruß, Kummer und Schmerz. Die Trägheit, mit der die Materie auf die Forderungen von Mental und Leben antwortet, verhindert den Sieg über die Unwissenheit und über die brutale Kraft, die die Macht der Unwissenheit ist.

Wollen wir wissen, warum das so ist, erkennen wir, daß der Erfolg dieser Trägheit und Behinderung von einer dritten Macht der Materie herrührt. Der dritte fundamentale Widerspruch, den Materie gegen den Geist erhebt, liegt darin, daß Materie in höchstem Grade das Prinzip von Zerteilung und gegenseitigem Kampf ist. Obwohl in Wirklichkeit unteilbar, ist gerade die Teilbarkeit ihre ganze Aktions-Basis, von der je abzuweichen ihr verboten zu sein scheint. Denn ihre beiden einzigen Methoden zur Vereinigung sind entweder der Zusammenschluß von Einheiten oder eine Angleichung, die die Zerstörung der einen Einheit durch die andere voraussetzt. Diese beiden Methoden zur Einung sind ein Bekenntnis zur ewigen Zerteilung, da auch die erstere eher äußerlich zusammenfügt als wirklich vereinigt und durch ihr eigenes Prinzip die ständige Möglichkeit und deshalb letztlich die Notwendigkeit von Trennung des Verbundenen und seine Auflösung zugibt. Beide Methoden beruhen auf Tod. Die eine verwendet ihn als Mittel zum Leben, die andere als dessen Bedingung. Beide setzen für die Welt-Existenz ständigen gegenseitigen Kampf der zerteilten Einheiten voraus. Jede ist bemüht, sich durchzusetzen, ihre Zusammenschlüsse aufrechtzuerhalten, das zu zwingen oder zu zerstören, was sich ihr widersetzt, es in sich hineinzunehmen, anderes Leben als Nahrung zu verzehren. Dabei sind aber die zerteilten Einheiten zur Revolte gegen jeden Zwang, gegen Zerstörung und Angleichung durch Verschlingen sowie zur Flucht vor alledem getrieben. Wenn das vitale Prinzip mit seinen Aktivitäten in der Materie hervortritt, findet es dort für sein gesamtes Wirken nur diese Basis vor und ist gezwungen, sich unter das Joch zu beugen. Es muß das Gesetz von Tod, Begehren, Einschränkung und diesen ständigen Kampf akzeptieren, zu verzehren, zu besitzen, zu herrschen, was wir als den ersten Aspekt des Lebens kennen. Wenn das mentale Prinzip sich in der Materie offenbart, muß es von Form und Material her, in denen es wirkt, dasselbe Prinzip der Beschränkung akzeptieren. Es muß suchen ohne gesichertes Finden. Es muß ständig verbinden und das Auseinanderfallen seiner Gewinne und der Bestandteile seiner Werke erfahren. So scheint es, daß die vom Menschen, dem mentalen Wesen, gewonnene Erkenntnis niemals endgültig ist, frei von Zweifeln und Verleugnung. Sein ganzes Mühen scheint dazu verurteilt, in einem Rhythmus von Aktion und Reaktion, von Machen und Rückgängigmachen, in Zyklen von Erschaffen, kurzem Erhalten und langer Zerstörung zu verlaufen ohne einen bestimmten und gesicherten Fortschritt.

Besonders und höchst verhängnisvoll ist es, daß Unwissenheit, Trägheit und Zerteilung der Materie dem in ihr hervortretenden vitalen und mentalen Dasein das Gesetz von Schmerz und Leiden aufzwingen, die Unruhe und Unzufriedenheit mit ihrem Status von Zerteilung, Trägheit und Unwissenheit. Unwissenheit an sich würde zu keinem Leiden der Unzufriedenheit führen, wenn das mentale Bewußtsein völlig unwissend wäre, wenn es in einer Gewohnheits-Schale steckenbleiben könnte, ohne daß es seiner eigenen Unwissenheit bewußt wird, oder wenn es nichts ahnen würde von dem unendlichen Meer von Bewußtsein und Erkenntnis, das sein Leben umgibt. Aber gerade zu diesem Ahnen erwacht das in der Materie hervortretende Bewußtsein. Zuerst fühlt es seine Unkenntnis der Welt, in der es lebt und die es erkennen und beherrschen muß, um glücklich zu sein. Zweitens wacht in ihm die Erkenntnis auf, wie öde und beschränkt letztlich dieses Wissen ist, wie mager und unsicher die Macht und das Glück sind, die es einbringt. So tritt in ihm das unendliche Bewußtsein, ein Wissen und wahres Wesen hervor, in dem allein es überlegenes, unendliches Glück finden könnte. Auch die Behinderung durch Trägheit würde keine Unruhe und Unzufriedenheit mit sich bringen, wenn das vitale, in der Materie auftauchende Empfinden völlig träge wäre, wenn es zufrieden gehalten werden könnte mit seinem eigenen halb-bewußten, begrenzten Dasein, ohne dessen gewahr zu werden, daß es eine unendliche Macht und ein unsterbliches Sein gibt, worin es als dessen Teil und doch getrennt von ihm lebt; oder wenn es nichts in sich besäße, das es zu dem Bemühen antreibt, wirklich an dieser Unendlichkeit und Unsterblichkeit teilzunehmen. Aber gerade das zu suchen und zu fühlen, wird alles Leben von Anfang an getrieben. Es fühlt seine Unsicherheit sowie die Notwendigkeit zu überdauern und den Kampf um seine Erhaltung und Selbst-Bewahrung. So werden dem Leben schließlich die Grenzen seines Daseins bewußt, und es fühlt immer mehr den Antrieb, Weite und Dauer, das Unendliche und das Ewige zu gewinnen.

Wenn das Leben im Menschen völlig selbst-bewußt wird, erreicht dieses unvermeidliche Ringen, Mühen und Sehnen seinen Höhepunkt. Leid und Zwietracht der Welt werden zu brennend empfunden, als daß sie noch geduldig ertragen werden könnten. Der Mensch mag sich lange Zeit beruhigen, indem er sich mit seinen Beschränkungen abzufinden sucht oder seinen Kampf auf so viel Herrschaft begrenzt, als er über die von ihm bewohnte materielle Welt gewinnen kann, auf einen gewissen physischen oder mentalen Sieg seiner progressiven Erkenntnis über das, was in seinem Unbewußten fixiert ist, auf einen Sieg seines kleinen konzentrierten bewußten Willens und dessen Macht über seine dumpf-getriebenen schauerlichen unbewußten Kräfte. Aber auch hier stößt er auf Beschränkung, auf den armseligen Mangel an Beweiskraft auch der besten Ergebnisse, die er erzielen kann. So ist er gezwungen, darüber hinauszuschauen. Das Endliche in ihm kann sich nicht auf die Dauer zufriedengeben, solange es einer Endlichkeit bewußt wird, die umfassender ist als es, oder eines Unendlichen jenseits von ihm, nach dem es weiterstreben kann. Und selbst wenn das Endliche so zufriedengestellt werden könnte, kann doch das nur scheinbar endliche Wesen, das sich als ein in Wirklichkeit unendliches fühlt, oder das einfach die Gegenwart, den Impuls oder das Drängen eines Unendlichen in seinem Inneren empfindet, nie zufrieden werden, ehe nicht diese beiden ausgesöhnt sind, ehe es nicht das Unendliche besitzt oder in gewissem Grad und Maß dessen Eigentum ist. Der Mensch ist solch eine endlich scheinende Unendlichkeit. Er kommt nicht um das Suchen nach der Unendlichkeit herum. Er ist der erstgeborene Sohn der Erde, der unbestimmt des Gottes in seinem Inneren, seiner Unsterblichkeit oder seines Bedürfnisses nach Unsterblichkeit bewußt wird. Sein Suchen nach Erkenntnis ist eine Peitsche, die ihn vorwärtstreibt, ist wie ein Kreuz, an das er geschlagen wird, bis er es in eine unerschöpfliche Quelle von Licht, Freude und Macht umwandeln kann.

Diese fortschreitende Entwicklung, diese wachsende Offenbarung göttlichen Bewußtseins, diese Manifestation von Kraft, Wissen und Willen, die sich in die Unwissenheit und Trägheit von Materie verloren hatte, könnte wohl ein glückliches Aufblühen sein, das von Freude zu größerer, zuletzt unendlicher Freude weitergeht, wenn es nicht das Prinzip der strengen Zerteilung gäbe, von dem Materie ausgegangen ist. Weil der Einzelne in seinem persönlichen Bewußtsein eines abgesonderten und begrenzten Mentals, Lebens und Körpers eingeschlossen ist, wird verhindert, was sonst das natürliche Gesetz unserer Entwicklung wäre. Dadurch kommt in den Körper das Gesetz von Anziehung und Abstoßung, von Verteidigung und Angriff, von Zwietracht und Schmerz. Da jeder Körper eine begrenzte bewußte Kraft ist, fühlt er sich dem Angriff, der Einwirkung, dem gewalttätigen Kontakt einer anderen ebenso begrenzten bewußten Kraft oder universaler Kräfte ausgesetzt. Wo er den Einbruch dieser Kräfte fühlt oder unfähig ist, das auf ihn einwirkende und sein empfangendes Bewußtsein miteinander zu harmonisieren, erleidet er Unbehagen und Schmerz, wird er angezogen oder zurückgestoßen, muß er sich verteidigen oder angreifen. Immer steht er unter der Forderung, das auf sich zu nehmen, was er nicht erleiden will oder kann. Im Mental der Gefühle und im Sinnen-Mental ruft das Gesetz der Zerteilung dieselben Reaktionen hervor. Hier sind es die höheren Werte von Kummer und Freude, Liebe und Haß, Unterdrückung und Niedergeschlagenheit, die alle in Begriffen des Verlangens ausgeprägt werden. Durch Verlangen werden sie in Anstrengung und Bemühen umgeformt, durch die Anstrengung in ein Übermaß und einen Mangel an Kraft, in Unfähigkeit, in den Rhythmus von Erfolg und Enttäuschung, Besitzen und Zurückweichen und in ständiges Ringen, Unruhe und Verdrießlichkeiten. In das Mental als Ganzes bringt dieses Prinzip der Zerteilung nicht ein göttliches Gesetz, demgemäß eine weniger umfassende Wahrheit in eine umfassendere Wahrheit einströmt, schwächeres Licht in helleres Licht emporgehoben, ein niederer Wille einem höheren, ihn transformierenden Willen unterworfen wird und eine dürftige Befriedigung fortschreitet zu edlerer und vollständigerer Zufriedenheit. Vielmehr bringt dieses Gesetz ähnliche Dualitäten mit sich: Wahrheit wird verfolgt von Irrtum, Licht von Finsternis, Macht von Unfähigkeit, Freude am Erstreben und Erlangen vom Schmerz des Mißerfolgs und der Unzufriedenheit mit dem Erreichten. Zusammen mit dem Kummer von Leben und Körper nimmt das Mental seine Anfechtungen auf sich und wird des dreifachen Mangels und Ungenügens unseres natürlichen Wesens inne. All das bedeutet die Verleugnung von ananda, die Verneinung der Trinität von saccidananda und schließlich, wenn die Verneinung unüberwindlich sein sollte, Sinnlosigkeit des Daseins. Wenn sich das Sein nach außen hin in das Spiel von Bewußtsein und Kraft verausgabt, muß es diese Bewegung nicht nur für sich selbst suchen, sondern in diesem Spiel auch Befriedigung finden. Wenn im Welten-Spiel keine wahre Befriedigung gefunden werden kann, muß es offensichtlich zuletzt aufgegeben werden als eitler Versuch, gewaltiger Fehler, Fieberwahn des sich verkörpernden Geistes.

Das ist die ganze Grundlage der pessimistischen Weltanschauung -sie ist vielleicht optimistisch im Blick auf jenseitige Welten und Zustände, aber pessimistisch bezüglich des irdischen Lebens und des Schicksals des mentalen Menschen in seinen Beziehungen zum materiellen Universum. Denn sie versichert: Es sei eitel Selbsttäuschung, für das Welt-Spiel ein Ziel, eine göttliche Absicht und höchste Erfüllung zu suchen, da der wahre Charakter des materiellen Daseins Zerteilung ist. Der wirkliche Kern des verkörperten Mentals sei Selbst-Beschränkung, Unwissenheit und Egoismus. Nur in einem Himmel des Geistes, nicht in der Welt, oder höchstens in der wahren Stille des Geistes, nicht aber in dessen Aktivitäten in der Erscheinungswelt könnten wir wieder Sein und Bewußtsein mit der göttlichen Selbst-Seligkeit vereinigen. Das Unendliche könne sein Selbst nur dadurch wiedergewinnen, daß es den Versuch, sein Selbst im Endlichen zu finden, als Irrtum und falschen Schritt verwerfe. Auch könne das Hervortreten eines mentalen Bewußtseins im materiellen Universum keine Verheißung göttlicher Erfüllung mit sich bringen. Denn das Prinzip der Zerteilung gehöre nicht eigentlich der Materie an sondern dem Mental. Materie sei nur eine Illusion des Mentals. Das Mental führe sein Gesetz der Zerteilung und Unwissenheit in die Materie ein. Darum könne das Mental innerhalb dieser Illusion nur sich selbst finden. Es könne nur zwischen den drei Begriffen des von ihm geschaffenen zerteilten Daseins herumirren. Hier könne es weder die Einheit des Geistes noch die Wahrheit des spirituellen Seins finden.

Nun trifft zwar zu: das Prinzip der Zerteilung in der Materie kann nur eine Schöpfung des zerteilten Mentals sein, das sich ins materielle Dasein hinabgelassen hat. Denn dieses materielle Dasein hat kein Selbst-Sein, es ist kein ursprüngliches Phänomen, sondern eine von einer alles zerteilenden Lebens-Kraft erschaffene Form, die die Konzeptionen eines alles zerteilenden Mentals ausarbeitet. Indem das zerteilende Mental das Wesen in diesen Erscheinungen der Unwissenheit, Trägheit und Zerteilung von Materie herausarbeitet, hat es sich selbst verloren und in ein von ihm geschaffenes Verließ eingesperrt, wo es in selbst-geschmiedeten Ketten gebunden ist. Sollte es wahr sein, daß das zerteilende Mental das erste Prinzip der Schöpfung ist, müßte es ebenso auch die letzt-mögliche Errungenschaft in der Schöpfung sein: Und dann wäre das mentale Wesen, das vergebens mit Leben und Mental ringt, diese nur bewältigt, um selbst von ihnen überwältigt zu werden, und das ewig einen ergebnislosen Rundlauf wiederholt, auch das letzte und höchste Wort kosmischen Seins. Aber keine solche Konsequenz ergibt sich. Im Gegenteil, es ist der unsterbliche, unendliche Geist, der sich selbst in das dichte Gewand materieller Substanz eingehüllt hat und dort durch die höchste schöpferische Macht des Supramentals wirkt. Es läßt die Zerteilung des Mentals und die Herrschaft des niedersten oder materiellen Prinzips nur als anfängliche Voraussetzungen für ein gewisses evolutionäres Spiel des Einen in den Vielen zu. Wenn, mit anderen Worten, nicht nur ein mentales Wesen in den Formen des Universums verborgen ist sondern das unendliche Wesen, Wissen und Wollen und wenn dieses aus der Materie zuerst als Leben und dann als Mental hervortritt und alles übrige von ihm noch gar nicht geoffenbart ist, muß das Emportauchen von Bewußtsein aus dem scheinbaren Nicht-Bewußten auf andere und vollkommenere Art begriffen werden. Das Erscheinen eines supramentalen spirituellen Wesens, das seinem mentalen, vitalen und körperlichen Wirken ein höheres Gesetz als das des zerteilenden Mentals auferlegt, ist nicht mehr unmöglich. Im Gegenteil, es ist das natürliche, unvermeidliche Schlußergebnis der Eigenart kosmischen Seins.

Ein solches supramentales Wesen würde, wie wir gesehen haben, das Mental aus der Verknotung durch sein zerteiltes Dasein befreien und die Individualisierung des Mentals lediglich als mögliche untergeordnete Aktion des alles umfassenden Supramentals verwenden. Ebenso würde es das Leben aus der Verknotung seines zerteilten Daseins befreien und die Individualisierung des Lebens lediglich als nützliche untergeordnete Aktion der Einen Bewußten Kraft verwenden, die ihr Wesen und ihre Freude in einer unterschiedlichen Einheit zur Erfüllung bringt. Gibt es dann einen Grund, daß der Mensch nicht auch das körperliche Dasein von dem jetzigen Gesetz des Todes, der Zerteilung, des gegenseitigen Verzehrens befreien und die Individualisierung des Körpers lediglich als untergeordneten Begriff des einen göttlichen Bewußten Seins für die Freude des Unendlichen an der Endlichkeit dienstbar machen sollte? Warum sollte dieser Geist nicht in seiner souveränen Verfügung über die Form frei und auch im Wandel seines Gewandes aus Materie bewußt unsterblich, Besitzer seiner Selbst-Seligkeit in einer Welt sein, die dem Gesetz von Einheit, Liebe und Schönheit untertan ist?

Wenn durch den Menschen, den Bewohner des irdischen Seins, letztlich diese Umwandlung des Mentalen in das Supramentale bewirkt werden soll, ist es dann nicht möglich, daß er einen göttlichen Körper ebenso wie ein göttliches Mental und göttliches Leben entwickeln kann? Sollte diese Formulierung für unsere gegenwärtigen begrenzten Auffassungen von menschlicher Entwicklungsmöglichkeit zu schockierend sein, lautet die Frage: Könnte der Mensch nicht in der Entfaltung seines wahren Wesens, von dessen Licht, Freude und Macht zu göttlicher Verwendung von Mental, Leben und Körper kommen, wodurch die Herabkunft des Geistes in die Gestaltungen zugleich menschlich und göttlich gerechtfertigt würde?

Dieser höchsten irdischen Möglichkeit könnte nur eines im Wege stehen, daß unsere gegenwärtige Anschauung von der Materie und ihren Gesetzen die einzig mögliche Beziehung zwischen Sinnen und Substanz, zwischen dem Göttlichen Wesen als dem Wissenden und dem Göttlichen Wesen als Objekt darstellt, oder daß andere Beziehungen zwar möglich, hier jedoch unmöglich sind, nur auf höheren Seinsebenen gesucht werden müßten. In diesem Fall hätten wir unsere göttliche Erfüllung in jenseitigen Himmeln zu suchen, wie das die Religionen versichern. Ihre anderen Verheißungen vom Reich Gottes oder dem Reich der Vollkommenheit auf Erden müßten dann als Illusion abgetan werden. Dann könnten wir hier nur eine Vorbereitung erstreben oder einen inneren Sieg erlangen. Wenn wir Mental, Leben und Seele im Inneren befreit haben, müßten wir uns zurückziehen aus dem unüberwundenen und unüberwindlichen materiellen Prinzip, aus einer nicht-regenerierten unwandelbaren Erde, um anderswo unsere göttliche Substanz zu finden. Es gibt jedoch keinen Grund, diese unsere Entwicklung begrenzende Schlußfolgerung anzunehmen. Ganz gewiß gibt es auch andere Zustandsformen, selbst der Materie. Es gibt zweifellos eine aufsteigende Reihe göttlicher Stufenfolgen von Substanz. Es gibt die Möglichkeit, daß sich das materielle Wesen durch die Annahme eines Gesetzes umgestaltet, das höher ist als das ihm jetzt eigene, das dennoch das seine ist, da es in seinen geheimen Bereichen stets latent und potentiell vorhanden war.

Kapitel XXVI. Die aufsteigende Reihe der Substanz

Es gibt ein Selbst, das aus dem Wesen der Materie ist. Es gibt ein anderes inneres Selbst des Lebens, das das erstere füllt. Es gibt ein anderes inneres Selbst das Mentals. Es gibt ein anderes inneres Selbst des Wahrheits-Wissens. Es gibt ein anderes inneres Selbst der Seligkeit.

Taittiriya Upanishad, II. 1–5.

Sie erklimmen Indra wie eine Leiter. Wie wenn jemand einen Berggipfel nach dem anderen ersteigt, so wird dort das viele klar, das noch zu tun ist. Indra bringt Bewußtsein von Jenem als dem Ziel. Wie ein Falke, wie eine Weihe, laßt Er Sich auf dem Gefäß nieder und trägt es empor. In Seinem Strom von Bewegung entdeckt Er die Strahlen, denn Er schreitet einher in der Rüstung Seiner Waffen: Er läßt sich von der Meeresbrandung der Gewässer emportragen. Als ein großer König erklärt Er den vierten Zustand. Wie ein Sterblicher, der seinen Körper läutert, wie ein Streitroß, das zur Eroberung von Schätzen galoppiert, schleudert Er Seinen Aufruf durch alle Hüllen hindurch und dringt in diese Gefäße ein.

Rig Veda, I.10., I.2; IX.96.19, 20.

Wenn wir überlegen, was uns am meisten den materiellen Charakter der Materie darstellt, sehen wir, es sind ihre Aspekte von solider Festigkeit, Greifbarkeit, zunehmendem Widerstand und starker Reaktion auf den Kontakt durch die Sinne. Substanz scheint eher wahrhaft materiell und real zu sein in dem Verhältnis, wie sie uns einen soliden Widerstand entgegensetzt und sich kraft dieses Widerstands als Dauerhaftigkeit einer sinnlich wahrnehmbaren Form erweist, an die sich unser Bewußtsein halten kann. Je subtiler sie ist, je weniger dicht sie Widerstand leistet und von den Sinnen auf die Dauer erfaßt wird, umso weniger materiell scheint sie uns zu sein. Diese Einstellung unseres gewöhnlichen Bewußtseins zur Materie ist ein Symbol für den wesentlichen Zweck, für den Materie erschaffen wurde. Substanz geht in den materiellen Zustand über, damit sie dem mit ihr befaßten Bewußtsein dauerhafte, fest greifbare Abbilder liefert, an die sich das Mental ruhig halten kann, um darauf sein Wirken zu gründen, und damit das Leben sie zu handhaben vermag mit wenigstens relativer Sicherheit von Dauer in der Form, auf die es einwirkt. Darum wurde in der alten vedischen Formel Erde, als Typus der solideren Zustände der Substanz, als symbolischer Name für das materielle Prinzip genommen. Darum ist auch für uns Berührung oder Kontakt die wesentliche Grundlage der Sinnesfunktionen. Alle übrigen physischen Sinne, Schmecken, Riechen, Hören, Sehen, gründen sich auf eine Reihe immer subtiler und mittelbarer werdender Kontakte zwischen dem Wahrnehmenden und dem Wahrgenommenen. In gleicher Weise sehen wir in der Klassifikation der Sankhya-Philosophie bei den fünf elementaren Zustandsformen der Substanz vom Äther bis zur Erde, daß für sie eine ständige Progression vom Subtileren zum weniger Subtilen charakteristisch ist, so daß wir am höchsten die subtilen Vibrationen des Ätherischen haben und an der unteren Basis die gröbere Dichtigkeit der irdischen oder festen elementaren Bedingung. Darum ist Materie die letzte uns bekannte Stufe in der Progression der Substanz zur Basis kosmischer Beziehung, in der das erste Wort nicht Geist, sondern Form sein soll, und zwar Form in ihrer äußerst möglichen Entwicklung von Konzentration, Widerstandsfähigkeit, dauerhafter grober Anschaulichkeit, gegenseitiger Undurchdringlichkeit, dem Höhepunkt von Unterscheidung, Sonderung und Teilung. Das ist Absicht und Charakter des materiellen Universums, es ist die Formel vollendeter Teilbarkeit.

Wenn es in der Stufenfolge der Substanz von Materie zum Geist eine aufsteigende Reihe gibt, wie das der Natur der Dinge nach sein muß, so ist sie notwendigerweise durch eine fortschreitende Verminderung dieser für das physische Prinzip besonders charakteristischen Eigenschaften gekennzeichnet und durch ein progressives Anwachsen der entgegengesetzten kennzeichnenden Qualitäten, das uns zur Formel einer rein spirituellen Selbst-Ausdehnung führen wird. Das bedeutet, daß die Eigenschaften durch immer geringere Bindung an die Form charakterisiert sein müssen, durch immer feinere Subtilität und Flexibilität von Substanz und Kraft, durch ein stärkeres gegenseitiges Sichverschmelzen, Sichdurchdringen, durch die Macht zur Assimilation, zum Austausch, zur Variation, zur Umwandlung und Vereinigung. Wenn wir uns von der Dauerhaftigkeit der Form zurückziehen, nähern wir uns der Ewigkeit des Wesenhaften. Treten wir aus unserem Kräfteverhältnis in der ständigen Absonderung und dem Widerstand der physischen Materie zurück, so kommen wir hin zum höchsten göttlichen Kräfteverhältnis in der Unendlichkeit, Einheit und Unteilbarkeit des Geistes. Zwischen grober Stofflichkeit und reiner Geist-Substanz muß das die fundamentale Antinomie sein. In der Materie ballt sich chit, die Bewußte Kraft, zur Masse zusammen, um immer mehr gegen andere Massen der gleichen Bewußten Kraft Widerstand zu leisten und sich gegen sie durchzusetzen. In der Substanz des Geistes schaut sich reines Bewußtsein in seinem Empfinden seiner selbst als frei, mit einer wesenhaften Unteilbarkeit und einem ständig einenden Austausch; das ist die grundlegende Formel auch im abwechslungsreichsten Spiel seiner eigenen Kraft. Zwischen diesen beiden Polen liegt die Möglichkeit für eine unendliche Folge von Stufen.

Diese Überlegungen erhalten große Bedeutung, wenn wir die mögliche Beziehung zwischen göttlichem Leben und göttlichem Mental der vervollkommneten menschlichen Seele einerseits und dem sehr groben, scheinbar ungöttlichen Körper oder der Formel physischen Wesens betrachten, in dem wir tatsächlich existieren. Diese Formel ergibt sich aus einer gewissen festgelegten Beziehung zwischen Sinnen und Substanz, von der das materielle Universum ausgegangen ist. Aber ebenso wie diese Beziehung nicht die einzig mögliche Beziehung ist, so ist auch diese Formel nicht die einzig mögliche Formel. Leben und Mental mögen sich in einer veränderten Beziehung zur Substanz manifestieren und andersartige physische Gesetze, andere und umfassendere Gewohnheiten, ja sogar eine andersartige Substanz des Körpers mit einer freieren Aktion der Sinne, einer freieren Aktion des Lebens, einer freieren Aktion des Mentals ausarbeiten. Tod, Zertrennung, gegenseitiger Widerstand und Ausschließlichkeit zwischen verkörperten Massen derselben bewußten Lebens-Kraft sind die Formel unseres jetzigen physischen Daseins. Das Joch, das diese Formel, die im tierhaften Körper ausgedrückt ist, den höheren Prinzipien auferlegte, sind enge Begrenzung des Spiels der Sinne, Festsetzung innerhalb eines kleinen Kreises im Raum, Dauer und Macht der Lebensvorgänge, Verfinsterung, lahme Bewegung, gebrochenes und gehemmtes Tätigsein des Mentals. Diese Dinge sind aber nicht der einzige mögliche Rhythmus der kosmischen Natur. Es gibt höhere Zustandsformen, höhere Welten. Wenn deren Gesetz durch irgendeinen Fortschritt des Menschen und irgendeine Befreiung unserer Substanz von ihren jetzigen Unvollkommenheiten dieser sensiblen Gestalt und dem Instrument unseres Wesens auferlegt werden kann, mag es selbst hier zum physischen Wirken eines göttlichen Mentals und göttlicher Sinne kommen, zum physischen Wirken eines mehr göttlichen Lebens in der menschlichen Gestalt und sogar zu einer Evolution auf der Erde von etwas, das wir einen menschlichen Körper von göttlicher Art nennen könnten. Auch der Körper des Menschen mag eines Tages zu seiner verklärten Gestalt gelangen. Auch die Erden-Mutter mag in uns ihre Göttlichkeit offenbaren.

Selbst in der Formel des physischen Kosmos gibt es eine aufsteigende Reihe auf der Skala der Materie, die uns von der dichteren Materie zur weniger dichten, von der weniger subtilen zur subtileren führt. Was liegt aber jenseits des Punkts, mit dem wir den höchsten Begriff dieser Reihe, die höchste supraätherische Feinheit materieller Substanz oder Formulierung von Kraft erreicht haben? Nicht ein Nichts, nicht eine Leere; denn dort gibt es nicht so etwas wie absolute Leere oder wirkliche Nichtsheit. Was wir mit einem solchen Namen bezeichnen, liegt einfach jenseits von dem, was unsere Sinne, unser Mental oder unser subtilstes Bewußtsein erfassen können. Es ist auch nicht wahr, daß es nichts jenseits davon gäbe oder daß eine ätherische Substanz der ewige Uranfang der Materie sei. Wir wissen doch, daß Materie und materielle Kraft nur das letzte Ergebnis einer reinen Substanz und reinen Kraft sind, in denen das Bewußtsein in erleuchteter Weise seiner selbst inne ist und sich in seinem Selbst besitzt, also nicht, wie in der Materie, in unbewußtem Schlaf und träger Bewegung seinem Selbst verloren ging. Was ist also dort zwischen dieser materiellen Substanz und jener reinen Substanz? Wir machen keinen Sprung von der einen zur anderen, wir gehen nicht ohne Obergang aus dem Nicht-Bewußten in absolutes Bewußtsein über. Es muß Grade geben – und es gibt sie auch – zwischen unbewußter Substanz und äußerst selbstbewußter Selbst-Ausdehnung, wie es solche Grade zwischen dem Prinzip der Materie und dem Prinzip des Geistes gibt.

Alle Menschen, die überhaupt in diese Abgründe eingedrungen sind, stimmen darin überein und bezeugen, daß es eine Reihe immer subtilerer Formulierungen von Substanz gibt, die mit dem Schema des materiellen Universums nicht greifbar sind und darüber hinausgehen. Ohne tief in Dinge einzudringen, die für unsere jetzige Untersuchung zu okkult und schwierig sind, können wir im Anschluß an das System, auf das wir uns gründen, sagen: man kann diese Stufenfolgen von Substanz in einem wichtigen Aspekt ihrer Formulierung in der Reihe sehen und zwar in ihrer Entsprechung zur emporsteigenden Skala von Materie, Leben, Mental und Supramental und zu jener anderen höheren göttlichen Dreifaltigkeit von saccidananda. Mit anderen Worten: wir finden, daß sich Substanz in ihrem Aufstieg auf diese Prinzipien gründet und sich nacheinander zu einem charakteristischen Träger des herrschenden kosmischen Selbst-Ausdrucks von jedem in der aufsteigenden Reihe dieser Prinzipien macht.

Hier in der materiellen Welt gründet sich alles auf die Formel von materieller Substanz. Sinne, Leben, Denken haben ihre Basis in dem, was man im Altertum die Erden-Macht nannte. Sie gehen von ihr aus, gehorchen ihren Gesetzen, passen ihr Wirken diesem fundamentalen Prinzip an, begrenzen sich durch seine Möglichkeiten und müssen, wenn sie andere Prinzipien entwickeln wollen, gerade bei dieser Entwicklung die ursprüngliche Formel, ihr Ziel und ihre Anforderung an die göttliche Evolution berücksichtigen. Die Sinne arbeiten mittels physischer Instrumente, das Leben durch ein physisches Nervensystem und vitale Organe. Das Mental muß seine Tätigkeit auf eine dingliche Basis gründen und materielle Vermittlung verwenden. Selbst seine rein mentalen Betätigungen müssen die so gewonnenen Daten als Feld und Stoff benutzen, auf die es einwirkt. In der wesenhaften Natur von Mental, Sinnen und Leben gibt es keine Notwendigkeit, so beschränkt zu bleiben. Denn die physischen Sinnes-Organe sind nicht die Schöpfer der Sinnes-Wahrnehmungen, sondern selbst Schöpfung, Instrumente und hier notwendiges Hilfsmittel des kosmischen Zentral-Sinnes. Das Nervensystem und die vitalen Organe sind nicht die Schöpfer von Aktion und Reaktion des Lebens, sondern selbst Schöpfung, Instrumente und hier notwendige Hilfsmittel der kosmischen Lebens-Kraft. Das Gehirn ist nicht der Schöpfer des Denkens, sondern selbst Schöpfung, Instrument und hier notwendiges Hilfsmittel des kosmischen Mentals. Die Notwendigkeit ist also nicht absolut, sondern zweckbestimmt. Sie ist das Ergebnis eines göttlichen kosmischen Willens im materiellen Universum, der hier eine physische Beziehung zwischen den Sinnen und ihrem Objekt herzustellen beabsichtigt, der hier eine materielle Formel und ein Gesetz Bewußter Kraft festsetzt und dadurch physische Ebenbilder von Bewußtem Wesen erschafft, die als anfängliche, beherrschende und bestimmende Tatsache der Welt dienen, in der wir leben. Das ist kein fundamentales Gesetz des Seienden, sondern ein konstruktives Prinzip, das erforderlich ist durch die Absicht des Geistes, sich in einer Welt von Materie zu entwickeln.

Im nächsten Grad von Substanz ist die anfängliche, vorherrschende und bestimmende Tatsache nicht weiter substantielle Form und Kraft, sondern Leben und bewußtes Begehren. Darum muß die Welt jenseits dieser materiellen Ebene eine auf bewußte kosmische vitale Energie, auf eine Kraft vitalen Suchens und eine Kraft von Begehren gegründete Welt und deren Selbst-Ausdruck sein. Ihre Basis ist nicht mehr ein unbewußter oder unterbewußter Wille, der die Form materieller Kraft und Energie annimmt. Von dieser Anfangs-Tatsache von Bewußtem Leben, dem Materie und Mental sich zu unterwerfen haben, müssen alle Formen, Körper, Kräfte, Lebensbewegungen, Sinnenbewegungen, Gedankenbewegungen, Entwicklungen, höchsten Errungenschaften und Selbst-Erfüllungen dieser Welt beherrscht und bestimmt sein. Sie müssen von hier ausgehen, sich darauf gründen, durch ihre Gesetze, Mächte, Fähigkeiten, Grenzen beschränkt oder ausgewertet sein. Wenn das Mental hier noch höhere Möglichkeiten zu entwickeln sucht, muß es dabei auch die ursprüngliche vitale Formel der Kraft des Begehrens, ihren Zweck und ihre Anforderung an die göttliche Manifestation berücksichtigen.

Ebenso ist es bei den höheren Stufen. Die nächste in der Reihe muß von dem beherrschenden und bestimmenden Faktor des Mentals regiert werden. Dort muß die Substanz subtil und flexibel genug sein, daß sie die ihr unmittelbar vom Mental auferlegten Gestaltungen annehmen kann, seiner Wirkensweise gehorcht, sich seiner Forderung nach Selbst-Ausdruck und Selbst-Erfüllung unterordnet. Auch die Beziehungen zwischen Sinnen und Substanz sollen eine entsprechende Feinheit und Biegsamkeit haben und dürfen bestimmt sein nicht durch Beziehungen wie zwischen physischen Organen und physischem Objekt, sondern wie zwischen Mental und subtilerer Substanz, auf die das Mental einwirkt. Das Leben einer solchen Welt wäre dann in einer Weise der Diener des Mentals, wie sich das unsere schwachen mentalen Funktionen und unsere begrenzten, primitiven, rebellischen vitalen Fähigkeiten kaum angemessen vorstellen können. Dort herrscht das Mental als die ursprüngliche Formel, seine Absicht hat Übergewicht, seine Forderungen haben im Gesetz der göttlichen Manifestation vor allen anderen Vorrang. In einem noch höheren Bereich ersetzen das Supramental – oder, in der Zwischensphäre, die von ihm beeinflußten Prinzipien – oder, noch höher, reine Seligkeit, reine Bewußte Macht oder reines Wesen das Mental und sind dort das vorherrschende Prinzip. Hier betreten wir die Bereiche des kosmischen Daseins, die für die Seher der alten Veden die Welten erleuchteten göttlichen Seins und der Ursprung dessen waren, was sie Unsterblichkeit nannten, was sich spätere indische Religionen dann in Sinnbildern als Himmel, brahma-loka oder goloka, vorstellten, als einen höchsten Selbst-Ausdruck des Wesens als Geist, in dem die in ihre höchste Vollkommenheit befreite Seele die Unendlichkeit und Glückseligkeit der ewigen Gottheit besitzt. Dieser stetig emporsteigenden Erfahrung und der über die materielle Formulierung der Dinge hinaus erhobenen Schau liegt folgendes Prinzip zugrunde: Alles kosmische Dasein ist eine komplexe Harmonie und findet sein Ende nicht am begrenzten Bereich des Bewußtseins, in dem eingesperrt zu sein sich das gewöhnliche menschliche Mental und Leben zufrieden geben. Wesen, Bewußtsein, Kraft, Substanz kommen auf einer vielsprossigen Leiter herab und steigen auf ihr empor. Auf jeder ihrer Sprossen hat das Wesen umfassendere Selbst-Ausdehnung, das Bewußtsein ein ausgedehnteres Empfinden seines eigenen Bereiches, seiner Größe und Freude; die Kraft größere Intensität und raschere, freudvollere Befähigung; die Substanz gibt ihre Grund-Wirklichkeit subtiler, plastischer, strahlender und biegsamer wieder. Denn das Subtilere ist auch das Machtvollere, – man könnte sagen, es ist das wahrhaft Konkrete. Es ist weniger gefesselt an das Grobe. Es hat in seinem Wesen längere Dauer, zusammen mit größerer Wirkungsmöglichkeit, Plastizität und Reichweite in seinem Werden. Jedes Plateau im Bergland des Wesens eröffnet unserer sich ausweitenden Erfahrung eine höhere Bewußtseinsebene und unserem Dasein eine reichere Welt.

Wie beeinflußt aber diese aufsteigende Reihe die Möglichkeiten unseres materiellen Daseins? Sie würde gar nicht auf sie einwirken, wenn jede Bewußtseins-Ebene, jede Welt des Wesens, jede Art von Substanz, jeder Grad kosmischer Kraft vollständig abgetrennt wäre von dem, was ihm vorausgeht und nachfolgt. Aber das Gegenteil ist wahr. Die Manifestation des Geistes ist ein komplexes Gewebe. In den Entwurf und das Muster eines einzigen Prinzips dringen alle anderen als Elemente des spirituellen Ganzen ein. Unsere materielle Welt ist das Ergebnis aller anderen Welten. Denn die anderen Prinzipien sind alle in die Materie herabgekommen, um das physische Universum zu erschaffen.

Jedes Teilchen dessen, was wir Materie nennen, enthält sie alle in sich eingeschlossen. Ihr geheimes Wirken ist, wie wir gesehen haben, in jeden Augenblick ihres Seins und jeden Augenblick ihrer Aktivität involviert. So wie Materie das letzte Wort der Herabkunft ist, so ist sie auch das erste Wort des Aufstiegs. So wie die Mächte all dieser Ebenen, Welten, Stufen, Grade in das materielle Dasein involviert sind, so sind sie alle auch fähig zur Evolution aus ihm. Aus diesem Grund beginnt und endet auch das materielle Wesen nicht mit Gasen, chemischen Zusammensetzungen und physischen Kräften oder Bewegungen, mit Nebeln, Sonnen und Erdkörpern, sondern es entwickelt Leben, entfaltet Mental und muß zuletzt zur Evolution des Supramentals und der höheren Grade spirituellen Seins führen. Evolution kommt zustande durch den unaufhörlichen Druck der supra-materiellen Ebenen auf die materielle, der sie zwingt, deren Prinzipien und Mächte aus sich zu entbinden, die andernfalls begreiflicherweise, eingesperrt in die Starrheit der materiellen Formel, geschlafen hätten. Das ist jedoch so unwahrscheinlich, da ihr Auftreten einen Zweck ihrer Entbindung voraussetzt. Diese Notwendigkeit von unten wird aber tatsächlich noch sehr stark durch entsprechenden Druck von oben unterstützt.

Die Evolution kann nicht mit den ersten dürftigen Formulierungen von Leben, Mental, Supramental und Geist enden, wie sie diesen höheren Mächten von der widerstrebenden Macht der Materie zugebilligt werden. Denn in dem Maß, wie sie sich entwickeln, wie sie erwachen, immer aktiver werden und danach drängen, ihre eigenen Potenzen zu entfalten, muß auch der Druck von den höheren Ebenen auf sie immer mehr an Dringlichkeit, Macht und Wirkungsstärke zunehmen, ein Druck, der in das Dasein, den engen Zusammenhang und die gegenseitige Abhängigkeit der Welten involviert ist. Diese Prinzipien müssen sich nicht nur von unten her in beschränktem und eingeengtem Auftauchen offenbaren, sondern müssen auch von oben in ihrer charakteristischen Macht und dem vollen, ihnen möglichen Aufblühen in das materielle Wesen herabkommen. Die materielle Schöpfung muß sich für ein immer umfassenderes Spiel ihrer Aktivitäten in der Materie öffnen. Nötig dazu ist ein geeignetes Empfangsorgan, ein Medium und Instrument. Dafür ist mit Körper, Leben und Bewußtsein des Menschen vorgesorgt.

Gewiß wäre dieser Körper, dieses Leben und dieses Bewußtsein nur ein sehr unzureichender Begriff für die Evolution, wenn sie begrenzt blieben auf die Möglichkeiten des groben Körpers, was alles ist, das unsere physischen Sinne und unsere physische Mentalität akzeptieren. Der Mensch dürfte dann nicht hoffen, etwas wesentlich Größeres als das zu vollenden, was er bis jetzt zustande brachte. Dieser Körper ist aber, wie die alte okkulte Wissenschaft entdeckte, nicht einmal das Ganze unseres physischen Wesens. Diese grobe Dichte ist nicht unsere ganze Substanz. Die älteste vedantische Erkenntnis spricht zu uns von fünf Graden unseres Wesens: dem Materiellen, dem Vitalen, dem Mentalen, dem Idealen und dem Spirituellen oder dem Glückseligen. Jedem dieser Grade unserer Seele entspricht ein Grad unserer Substanz, eine Hülle, wie das in der alten Bildsprache genannt wurde. Eine spätere Psychologie fand, daß diese fünf Umhüllungen unserer Substanz das Material von drei Körpern seien: des grob-physischen, des subtilen und des kausalen, in denen allen die Seele gegenwärtig und gleichzeitig wohnt, obwohl wir hier und jetzt nur oberflächlich des materiellen Trägers bewußt sind. Es ist aber möglich, daß wir ebenso auch in unseren anderen Körpern unser Bewußtsein entfalten können. Tatsächlich verursacht das Öffnen der trennenden Vorhänge zwischen ihnen, das heißt also zwischen unseren physischen, psychischen und ideellen Personalitäten, jene “psychischen” oder “okkulten” Phänomene, die man jetzt in wachsendem Maß – jedoch noch zu wenig und zu plump -in ihrer wirklichen Bedeutung zu erforschen beginnt, während man sie zugleich viel zu sensationell ausbeutet. Indiens Yogins des alten Hatha-Yoga und des tantrischen Yoga hatten schon lange aus diesem höheren menschlichen Leben und seinen Körperfunktionen eine Wissenschaft entwickelt. Sie hatten sechs Nervenzentren des Lebens in dem dicht-materiellen Körper entdeckt, denen sechs Zentren von Lebens- und Mental-Fähigkeiten im subtilen Körper entsprechen. Sie hatten subtile physische Übungen entwickelt, durch die diese jetzt geschlossenen Zentren geöffnet werden können. Dadurch kann der Mensch in das höhere psychische Leben, das unserem subtilen Wesen entspricht, eintreten. Es konnten sogar die physischen und vitalen Widerstände gegen die Erfahrung des idealen und spirituellen Wesens beseitigt werden. Es ist bedeutungsvoll, daß eines der hervorragendsten, von den Hatha-Yogins als Erfolg ihrer Übungen ausgegebenen Ergebnisse in vieler Hinsicht bestätigt wurde: eine Kontrolle der physischen Lebenskraft, die sie von manchem durch Gewohnheit in uns Fixierten oder von den sogenannten Gesetzen befreit, die von der physischen Wissenschaft für unabtrennbar vom Leben im Körper gehalten werden.

Hinter all diesen Begriffen psycho-physischer Wissenschaft des Altertums liegt das eine große Faktum und Gesetz unseres Wesens: Hinter dem gegenwärtigen Ausgleich von Form, Bewußtsein und Macht in dieser materiellen Evolution, was immer er sein mag, muß ein größeres, wahreres Sein existieren, das auch wirklich existiert, von dem dieses hier nur das äußere Ergebnis und der physisch greifbare Aspekt ist. Unsere Substanz endet nicht mit dem physischen Körper. Er ist nur unser irdischer Sockel, die Basis für unsere Erd-Existenz, der materielle Ausgangspunkt. So wie es hinter unserer erwachten Mentalität noch unermeßliche Bereiche von Bewußtsein gibt, die ihr unterbewußt oder überbewußt sind, deren wir manchmal auf abnorme Art innewerden, so gibt es hinter unserem groben physischen Wesen andere und subtilere Grade von Substanz mit einem feineren Gesetz und einer größeren Macht, die den dichteren Körper tragen und fördern. Wenn wir in die zu ihnen gehörigen Bereiche des Bewußtseins eintreten, können sie dazu gebracht werden, jenes Gesetz und jene Macht unserer dichten Materie aufzuerlegen, und wir können so die Grobheit und Begrenztheit unseres gegenwärtigen physischen Lebens, unserer Impulse und Gewohnheiten durch ihre reineren, höheren und intensiveren Wesens-Bedingungen ersetzen. Sollte das wirklich so sein, erscheint die Evolution eines edleren physischen Daseins, das nicht begrenzt ist durch die gewöhnlichen Bedingungen tierhafter Geburt, durch Leben und Tod, durch schwierige Ernährung, die dauernde Bedrohung durch Unordnung und Krankheit sowie das Unterworfensein unter armselige, unbefriedigte vitale Sehnsüchte, nicht mehr als Traum und Chimäre. Sie wird zu einer auf rationale und philosophische Wahrheit gegründeten Möglichkeit, die in Einklang steht mit allem, was wir bisher erkannt und erfahren haben oder was wir uns von einer offenbaren oder geheimen Wahrheit unseres Daseins denken können.

So sollte es auch vernunftgemäß sein; denn die ununterbrochene Reihe der Prinzipien unseres Wesens und ihre enge Verbindung untereinander ist zu offensichtlich, als daß es möglich wäre, ein einziges der Prinzipien zu verdammen und auszuschalten, während die anderen zu göttlicher Befreiung fähig sind. Der Aufstieg des Menschen vom Physischen empor bis zum Supramentalen muß die Möglichkeit eröffnen, daß er auch entsprechend auf den Stufen der Substanz bis zu jenem idealen und kausalen Körper emporsteigen kann, der eigentlich zu unserem supramentalen Wesen gehört. Die Eroberung der niederen Prinzipien durch das Supramental und deren Befreiung zum göttlichen Leben und zu göttlicher Mentalität muß auch den Sieg über unsere physischen Beschränkungen durch die Macht und das Prinzip supramentaler Substanz möglich machen. Das bedeutet aber nicht nur Evolution eines unbehinderten Bewußtseins, unseres Mentals und unserer Sinne, die nicht mehr in die Wände des physischen Ichs eingeschlossen oder auf die ärmliche Grundlage unserer von den physischen Sinnesorganen gelieferten Erkenntnis eingeengt sind, sondern auch Evolution einer Lebens-Macht, die immer mehr von ihren sterblichen Beschränkungen befreit ist, und eines physischen Lebens, das einem göttlichen Bewohner entspricht in dem Sinn, daß wir nicht mehr an unsere gegenwärtige körperliche Struktur gebunden bleiben oder durch sie Restriktionen erleiden, sondern das Gesetz des physischen Körpers völlig überwinden: das ist der Sieg über den Tod, die Unsterblichkeit hier auf der Erde. Denn aus der göttlichen Seligkeit, der ursprünglichen Seins-Wonne, kommt der Herr der Unsterblichkeit und gießt den Wein jener Seligkeit, das mystische Soma, in diese Gefäße mentalisierter lebendiger Materie. Ewig und herrlich geht er in diese Hüllen von Substanz ein, um Wesen und Natur vollständig zu transformieren.

Kapitel XXVII. Das siebenfache Geflecht des Seienden

In der Unwissenheit meines Gemüts frage Ich nach diesen Stufen der Götter, die im Inneren errichtet sind. Die allwissenden Götter haben das einjährige Kind genommen und sieben Garne um es gewoben, um dieses Gewebe zu machen.

Rig Veda, I.164.5

Bei unserer Erforschung der sieben großen Prinzipien des Seienden, die die Seher des Altertums als die Grundlage und siebenfältige Art alles kosmischen Daseins festlegten, haben wir jetzt die Stufenfolge von Evolution und Involution erkannt und sind bis zur Basis des Wissens gelangt, nach dem wir streben. Wir legten als Ursprung, Inhalt, anfängliche und letzte Wirklichkeit all dessen, was im Kosmos existiert, das dreieinige Prinzip von transzendentem und unendlichem Sein, Bewußtsein und Seligkeit dar, das die Art göttlichen Wesens ist. Bewußtsein hat zwei Aspekte: einen erleuchtenden und einen wirksamen, Zustand und Macht von Selbst-Erkenntnis und Zustand und Macht von Selbst-Kraft, wodurch sich das Seiende in seinem statischen Zustand wie in seiner dynamischen Bewegung selbst besitzt. Denn in seiner schöpferischen Aktion weiß es durch allmächtiges Selbst-Bewußtsein alles, was latent in seinem Inneren ist; es bringt das Universum seiner Macht-Möglichkeiten durch eine allwissende Selbst-Energie hervor und regiert es. Diese schöpferische Aktion des All-Seienden hat ihre Verknüpfung im vierten vermittelnden Zwischen-Prinzip des Supramentals oder der Real-Idee, worin ein mit Selbst-Sein und Selbst-Gewahren geeintes göttliches Wissen und ein in völligem Einklang mit diesem Wissen befindlicher substantieller Wille – denn er ist selbst in seiner Substanz und Natur jenes selbst-bewußte, in erleuchtetem Wirken dynamische Selbst-Sein – unfehlbar Bewegung, Form und Gesetz der Dinge in richtiger Übereinstimmung mit ihrer selbst-seienden Wahrheit und in Harmonie mit den Bedeutungen ihrer Manifestation entfalten.

Die Schöpfung hängt ab von dem zweieinigen Prinzip von Einheit und Vielfalt, sie bewegt sich zwischen beiden. Sie ist eine Vielfalt von Idee, Kraft und Form, die der Ausdruck ursprünglicher Einheit ist. Und sie ist ewige Einheit, die Grundlage und Wirklichkeit der vielfältigen Welten ist und ihr Spiel möglich macht. Supramental verwirklicht sich darum durch die doppelte Fähigkeit: durch verstehende und wahrnehmende Erkenntnis. Fortschreitend von der wesenhaften Einheit zu der sich daraus ergebenden Vielfalt versteht es alle Dinge in sich als sich selbst, das Eine in seinen vielfältigen Aspekten. Und es nimmt alle Dinge gesondert wahr als Gegenstände seines Willens und Wissens. Zwar sind für sein ursprüngliches Selbst-Bewußtsein alle Dinge ein einziges Wesen, ein einziges Bewußtsein, ein einziger Wille, eine einzige Seligkeit im Selbst und die ganze Bewegung der Dinge ein einziger und unteilbarer Ablauf. In seiner Aktion schreitet aber das Supramental von der Einheit fort zur Vielfalt und wieder von der Vielfalt zur Einheit und erschafft so eine geordnete Beziehung zwischen ihnen sowie den äußeren Anschein, doch keine bindende Wirklichkeit, einer Zerteilung: eine subtile, nicht-zertrennende Teilung, eher eine Abgrenzung und Bestimmung innerhalb des Unteilbaren. Das Supramental ist die göttliche Gnosis, die die Welten erschafft, regiert und in ihrem Bestehen erhält: es ist die verborgene Weisheit, die sowohl unser Wissen wie unsere Unwissenheit trägt.

Wir haben auch entdeckt, daß Mental, Leben und Materie ein dreifacher Aspekt dieser höheren Prinzipien sind, die, soweit das unser Universum betrifft, dem Prinzip der Unwissenheit untergeordnet wirken, jener vordergründigen und scheinbaren Selbstvergessenheit des Einen in seinem Spiel der Teilung und Vielfalt. In Wirklichkeit sind diese drei Prinzipien nur untergeordnete Mächte der göttlichen Vierfaltigkeit: Das Mental ist eine untergeordnete Macht des Supramentals, das sich auf die Basis der Zerteilung stellt und hier tatsächlich die dahinterstehende Einheit vergißt, obwohl es fähig ist, durch Wiedererleuchtung vom Supramental her zu ihr zurückzukehren. In ähnlicher Weise ist Leben eine untergeordnete Macht des Energie-Aspekts von saccidananda. Es ist Kraft, die die Form und das Spiel bewußter Energie vom Standpunkt der vom Mental geschaffenen Zertrennung her ausarbeitet. Materie ist die Form der Substanz des Wesens, die das Sein von saccidananda annimmt, wenn es sich dieser Aktion seines eigenen Bewußtseins und seiner Kraft in der äußeren Erscheinungswelt unterwirft.

Hinzu kommt noch ein viertes Prinzip, das an der Verbindungsstelle von Mental, Leben und Körper in Erscheinung tritt. Wir nennen es die Seele. Sie erscheint uns aber in doppelter Weise: vordergründig als die Begehren-Seele, die nach Besitz und Genuß der Dinge strebt, und dahinter, weitgehend oder völlig durch die Begehren-Seele verborgen, die wahre seelische Wesenheit, der wirkliche Speicher für die Erfahrungen des Geistes. Wir sind zu dem Schluß gekommen, daß dieses vierte Prinzip im Menschen eine Projektion und Aktion des dritten göttlichen Prinzips unendlicher Seligkeit ist. Sein Wirken geschieht jedoch in den Begriffen unseres Bewußtseins und unter den Bedingungen der Seelen-Evolution in dieser Welt. Wie das Sein des Göttlichen Wesens seiner Natur nach unendliches Bewußtsein und die Selbst-Macht dieses Bewußtseins ist, so ist die Natur seines unendlichen Bewußtseins lautere unendliche Seligkeit. Besitz des Selbsts und Innesein des Selbsts sind das Wesen seiner Selbst-Seligkeit. Auch der Kosmos ist ein Spiel dieser göttlichen Selbst-Seligkeit, und die Seligkeit dieses Spiels gehört völlig dem Allumfassenden. Aber wegen des Wirkens von Unwissenheit und Zerteilung wird sie im einzelnen Menschen in dessen subliminalem und überbewußtem Wesen zurückbehalten. Sie fehlt in unserem vordergründigen Dasein. Wir müssen sie suchen, finden und in Besitz nehmen, indem wir das individuelle Bewußtsein zur Universalität und Transzendenz hin entwickeln.

Wir können also, wenn wir wollen, acht statt sieben Prinzipien aufstellen. (Die Seher des Veda sprechen von sieben Strahlen, aber auch von acht, neun, zehn oder zwölf.) Dann erkennen wir, daß unser Dasein eine Art Widerschein des göttlichen Seins ist, eine umgekehrte Ordnung von Auf- und Abstieg in folgender Reihenfolge:

Sein Materie

Bewußtseins-Kraft Leben

Seligkeit Seele

Supramental Mental

Das Göttliche Wesen kommt aus dem reinen Sein herab in das kosmische Wesen durch das Spiel von Bewußtseins-Kraft und Seligkeit sowie durch das schöpferische Medium Supramental. Wir steigen zum göttlichen Wesen empor von der Materie durch die Entwicklung von Leben, Seele und Mental sowie durch das erleuchtende Medium Supramental. Die Verknüpfung zwischen diesen beiden Hemisphären, der höheren und der niederen, parardha und aparardha, ist dort, wo Mental und Supramental zusammentreffen, mit einem Vorhang dazwischen. Bedingung für das göttliche Leben in der Menschheit ist, daß der Vorhang zerrissen wird. Denn das Mental kann sein göttliches Licht im all-umgreifenden Supramental wiedergewinnen, die Seele ihr göttliches Selbst im alles besitzenden, all-wonnevollen ananda verwirklichen, Leben seine göttliche Macht im Spiel einer allmächtigen Bewußten Kraft neu erwerben, Materie sich für ihre göttliche Freiheit als eine Form göttlichen Seins öffnen, wenn der Schleier zerrissen wird, das höhere Wesen erleuchtend in die Natur des niederen Wesens herabkommt und das niedere kraftvoll in die Art des höheren emporsteigt. Sollte es für die Evolution, die gegenwärtig ihre Krone und ihr Haupt hier im menschlichen Wesen findet, ein Ziel und nicht nur zweckloses Herumirren im Kreis und individuelle Flucht aus diesem Kreislauf geben und sollte die unendliche Machtmöglichkeit dieser menschlichen Kreatur, die allein hier zwischen Geist und Materie dasteht in der Vollmacht, zwischen beiden zu vermitteln, einen anderen Sinn haben, als zuletzt aus der Enttäuschung des Lebens aufgeweckt zu werden durch Verzweiflung und Abscheu vor dem kosmischen Bemühen und dann alles ganz abzulehnen, – muß gerade solch erleuchtende und machtvolle Umwandlung und das Hervortreten des Göttlichen Wesens in der menschlichen Kreatur jenes hoch-erhabene Ziel und jene höchste Sinnerfüllung sein.

Bevor wir uns aber den psychologischen und praktischen Bedingungen zuwenden können, unter denen eine solche verklärende Umgestaltung aus nur wesenhafter Möglichkeit zur dynamischen Macht der Verwirklichung werden kann, haben wir noch viel zu bedenken. Müssen wir doch nicht nur die wesentlichen Prinzipien der Herabkunft von saccidananda in das kosmische Dasein klar erkennen, was wir bereits getan haben, sondern auch den umfassenden Plan seiner hiesigen Ordnung und die Art und Aktion der manifestierten Macht von Bewußter Kraft, die über den Bedingungen regiert, unter denen wir jetzt existieren. Zuerst müssen wir erkennen, daß die sieben oder acht von uns untersuchten Prinzipien für die gesamte kosmische Schöpfung wesentlich sind. Sie sind hier, manifestiert oder noch nicht manifestiert, in uns selbst, in diesem “einjährigen Kind”, das wir noch sind, – denn wir sind noch weit davon entfernt, die Erwachsenen der evolutionären Natur zu sein. Die höhere Dreieinigkeit ist Ursprung und Basis allen Daseins und seines Spiels, und der gesamte Kosmos ist Ausdruck und Wirken ihrer wesenhaften Wirklichkeit. Kein Universum kann nur eine Form des Wesens sein, die absolutem Nicht-Sein entsprungen wäre, sich in einer absoluten Leere gestaltet hätte und nun dasteht vor dem Hintergrund einer nicht-seienden Öde. Das Universum muß entweder selbst eine Gestalt des Seins sein innerhalb des unendlichen Seins, das jenseits aller Gestaltung ist, oder es ist notwendigerweise selbst das All-Sein. Wenn wir unser Selbst mit dem kosmischen Wesen einen, sehen wir, daß es in Wahrheit beides zugleich ist. Das heißt, es ist der All-Seiende, der Sich Selbst ausformt in eine unendliche Reihe von Rhythmen innerhalb Seiner eigenen, alles umgreifenden Ausdehnung Seiner Selbst als Zeit und Raum. Wir sehen darüber hinaus, daß diese oder jede kosmische Aktion unmöglich ohne das Spiel einer unendlichen Kraft des Seins geschehen kann, die alle diese Formen und Bewegungen hervorbringt und lenkt. Und diese Kraft setzt genauso die Aktion eines unendlichen Bewußtseins voraus oder ist selbst diese Aktion, denn sie ist ihrer Natur nach kosmischer Wille, der alle Beziehungen bestimmt und sie durch seine Art des Erkennens wahrnimmt. Er könnte sie aber nicht so bestimmen und wahrnehmen, wenn es nicht hinter dieser Art kosmischen Erkennens ein umgreifendes Bewußtsein gäbe, damit durch es die Beziehungen des Wesens in der sich entwickelnden Gestaltung oder im Werden seiner selbst, was wir das Universum nennen, verursacht, festgehalten, fixiert und reflektiert werden.

Schließlich muß eine unermeßliche Selbst-Seligkeit Ursache, Wesen und Ziel des kosmischen Daseins sein, da Bewußtsein auf diese Weise allwissend und allmächtig, in völlig erleuchtetem Besitz seiner selbst ist und ein so erleuchteter Besitz mit Notwendigkeit und seiner wahren Natur nach Seligkeit ist (es kann nichts anderes sein). Der Seher des Altertums sagt: “Gäbe es nicht diesen allumfassenden Äther von Seins-Seligkeit, in dem wir wohnen, und wäre diese Wonne nicht unser eigener Äther, könnte niemand atmen, niemand leben.” Die Selbst-Seligkeit mag unterbewußt werden, scheinbar unserem äußeren Menschen verloren gehen, muß aber nicht nur dort an den Wurzeln unseres Wesens vorhanden, sondern alles Dasein muß dem Wesen nach das Suchen und Streben sein, diese Seligkeit zu entdecken und zu besitzen. In dem Maße, in dem sich die menschliche Kreatur im Kosmos selbst findet, muß sie zu einer Erfahrung dieser geheimen Ekstase erwachen: in Willen und Macht oder in Licht und Erkenntnis oder in Wesen und Weite oder in Liebe und Freude selbst. Freude des Wesens, Entzücken in der Realisation durch Erkenntnis, Wonne am Besitzen durch Wille und Macht oder durch schöpferische Kraft, Ekstase der Einung in Liebe und Freude, das sind die höchsten Begriffe sich ausbreitenden Lebens, denn sie sind das Wesen des Seins selbst in seinen verborgenen Wurzeln und auf seinen noch unsichtbaren Höhen. Überall, wo kosmisches Dasein sich manifestiert, müssen also diese drei hinter ihm und in ihm sein.

Aber unendliches Sein, Bewußtsein und Seligkeit brauchten überhaupt nicht in sichtbares Wesen herauszutreten; und wenn sie es tun, müßte es kein kosmisches Dasein, könnte es einfach eine Unendlichkeit von Gestaltungen sein ohne festgelegte Ordnung oder Beziehung, wenn sie nicht den vierten Begriff, das Supramental oder die göttliche Gnosis, in sich enthalten, entfalten und aus sich hervorbringen würden. In jedem Kosmos muß es eine Macht von Wissen und Willen geben, die aus einer unendlichen Potentialität feststehende Beziehungen fixiert, die Früchte aus den Saaten entfaltet, den mächtigen Rhythmus kosmischen Gesetzes ablaufen läßt und die Welten schaut und regiert als ihr unsterblicher und unendlicher Seher und Herrscher. (“Der Seher, der Denker, Er, der überall im Werden hervortritt, der Selbst-Seiende.” Isha Upanishad, 8) Diese Macht ist in Wirklichkeit nichts anderes als Er Selbst, saccidananda. Sie erschafft nichts, was nicht in ihrem Selbst-Sein enthalten ist. Aus diesem Grund ist alles kosmische und wirkliche Gesetz nichts von außen her Auferlegtes; es kommt vielmehr von innen. Alle Entwicklung ist Selbst-Entwicklung, alle Saat und ihre Früchte sind Saat einer Wahrheit der Dinge und Früchte aus dieser Saat, bestimmt durch ihre potentiellen Kräfte. Aus demselben Grund ist kein Gesetz absolut, denn nur das Unendliche ist absolut, und alles enthält in sich endlose, weit über seine determinierte Form und den festgelegten Ablauf hinausgehende Entfaltungsmöglichkeiten, die nur durch eine Selbst-Begrenzung von seiten der Idee bestimmt werden, die aus unendlicher Freiheit im Inneren hervorgeht. Diese Macht der Selbst-Begrenzung wohnt notwendigerweise in dem Grenzenlosen All-Seienden. Das Unendliche wäre nicht das Unendliche, wenn es nicht eine vielfältige Endlichkeit annehmen könnte. Das Absolute wäre nicht das Absolute, wenn ihm in Wissen, Macht, Willen und Manifestation seines Wesens eine grenzenlose Fähigkeit zur Selbst-Bestimmung versagt wäre. Dieses Supramental ist also die Wahrheit oder Real-Idee, die in aller kosmischen Kraft und Existenz eingeboren ist. Sie ist notwendig, obwohl sie selbst unendlich bleibt, um Beziehung, Ordnung und die großen Linien der Manifestation festzulegen, zu kombinieren und aufrechtzuerhalten. In der Sprache der vedischen Rishis ist dieses Supramental, ebenso wie Unendliches Sein, Bewußtsein und Seligkeit die drei erhabensten und geheimen Namen des Namenlosen sind, der vierte Name: der vierte für Jenes in seinem Herabkommen, der vierte für uns in unserem Aufstieg (turiyam svid, “ein gewisses Viertes”, auch turiyam dhama genannt, die vierte Station oder Balance der Kräfte des Seins).

Aber die niedere Trilogie Mental, Leben und Materie ist auch für alles kosmische Wesen unentbehrlich, zwar nicht unbedingt in der Form oder mit der Wirkensweise und unter den Bedingungen, die wir auf Erden oder in diesem materiellen Universum kennen, wohl aber in einer vielleicht erleuchteten, machtvollen, subtilen Art von Wirken. Denn das Mental ist im wesentlichen jene Fähigkeit des Supramentals, die mißt und begrenzt, ein besonderes Zentrum fixiert und von da aus die kosmische Bewegung und die gegenseitigen Einwirkungen darin beobachtet. Zugegeben, in einer bestimmten Welt, Ebene oder kosmischen Anordnung braucht das Mental nicht begrenzt zu sein, oder vielmehr brauchte der Mensch, der das Mental als untergeordnete Fähigkeit verwendet, nicht unfähig zu sein, die Dinge von anderen Mittelpunkten oder Standpunkten, ja vom wirklichen Zentrum des Alls her oder in der Unermeßlichkeit universaler Selbst-Ausstrahlung zu schauen. Wenn er sich aber normalerweise nicht für gewisse Zwecke göttlicher Aktivität fest auf seinen eigenen Standpunkt zu stellen vermag, wenn es nur die universale Selbst-Ausstrahlung oder unendliche Zentren ohne festlegende oder frei begrenzende Aktion für jeden einzelnen gäbe, käme kein Kosmos zustande, sondern nur ein Wesen, das in Sich Selbst, in seine Gedanken und Träume tief versunken ist, wie etwa ein schöpferischer Mensch oder ein Dichter in unbestimmter, freier, ungeformter Weise nachsinnt, bevor er an die entscheidende Arbeit der Schöpfung geht. Solch einen Zustand muß es auf der unendlichen Stufenleiter des Seins irgendwo geben, ist aber nicht das, was wir unter Kosmos verstehen. Welche Ordnung dort auch herrschen mag, es muß eine Art nicht festgelegter, nicht bindender Ordnung sein, wie sie etwa das Supramental entwickelt haben kann, bevor es sich zum Werk festgelegter Entwicklung, Abmessung und des gegenseitigen Einwirkens von Beziehungen aufmachte. Für ein solches Abmessen und gegenseitiges Einwirken ist das Mental notwendig, obwohl es dabei seiner selbst nur als einer untergeordneten Wirkungsweise des Supramentals bewußt werden mag und die gegenseitige Einwirkung von Beziehungen auf der Basis einer sich selbst einsperrenden Ichhaftigkeit entfaltet, wie wir sie in der irdischen Natur am Werke sehen.

Nachdem nun das Mental existiert, folgen Leben und Form von Substanz nach; denn Leben ist einfach die nähere Bestimmung von Kraft und Tätigkeit, von Beziehung und gegenseitiger Einwirkung der Energie aus vielen festliegenden Zentren des Bewußtseins, – festliegend, aber nicht unbedingt örtlich oder zeitlich, sondern als ständige Koexistenz von Wesen oder Seelen-Formen des Ewigen, der die kosmische Harmonie trägt und erhält. Dieses Leben mag sehr verschieden von dem Leben sein, wie wir es kennen oder begreifen. Im wesentlichen wäre aber dort dasselbe Prinzip wirksam, das wir hier als Vitalität gestaltet sehen, – das Prinzip, dem die Denker des indischen Altertums den Namen vayu oder prana, Lebens-Stoff, gaben, der substantielle Wille und die Energie im Kosmos, die sich in bestimmter Form, Aktion und bewußter Dynamik des Wesens auswirken. Auch Substanz kann sehr verschieden sein von unserer Anschauung und Empfindung eines materiellen Körpers, viel subtiler, viel weniger starr gebunden an ihr Gesetz von Selbst-Zerteilung und gegenseitigem Widerstand. Körper und Gestalt könnten Instrumente sein, kein Gefängnis. Doch wäre für das gegenseitige Einwirken im Kosmos eine gewisse Bestimmung von Form und Substanz immer notwendig, selbst wenn es nur ein mentaler Leib oder etwas noch Strahlenderes, Subtileres, noch machtvoller und freier Reagierendes wäre als der freieste mentale Körper.

Daraus ergibt sich: Wo immer Kosmos ist, kann solch ein Vordergrund, wie er vom Wesen herausgestellt wird, nur eine illusorische Verkleidung oder äußere Erscheinung seiner wirklichen Wahrheit sein, auch wenn anfangs nur eines der Prinzipien sichtbar hervortritt, und selbst wenn dieses zuerst das einzige Prinzip der Dinge zu sein scheint und alle übrigen Prinzipien, die später in der Welt hervortreten mögen, nichts anderes zu sein scheinen als dessen Form und Ergebnisse und nicht an sich selbst unentbehrlich für das kosmische Dasein. Wo auch nur ein Prinzip im Kosmos manifest ist, müssen alle übrigen nicht nur vorhanden und passiv verborgen sein, sondern insgeheim wirken. In einer gegebenen Welt mag die Stufenleiter und Harmonie des Seienden alle sieben Prinzipien in mehr oder weniger hohem Grad von Aktivität offen besitzen. In einer anderen Welt mögen sie alle in einem einzigen Prinzip involviert sein, das in dieser Welt zum primären oder fundamentalen Prinzip der Evolution wird, aber eine Evolution des Involvierten muß es dort geben. Die Evolution der siebenfältigen Macht des Wesens, die Realisation seines siebenfachen Namens, muß die Bestimmung jeglicher Welt sein, die offenkundig mit der Involution aller Mächte in eine einzige anfängt.15 Darum war das materielle Universum der Natur der Dinge nach daran gebunden, aus seinem verborgenen Leben ein sichtbares Leben, aus seinem verborgenen Mental ein sichtbares Mental zu entwickeln. Es muß derselben Art der Dinge nach in der Evolution von seinem verborgenen Supramental zum sichtbaren Supramental und vom im Inneren verborgenen Geist zur dreieinigen Herrlichkeit von saccidananda fortschreiten. Die einzige Frage ist, ob die Erde der Schauplatz für dieses Hervortreten und das menschliche Geschöpf sein Instrument und Träger auf diesem oder einem anderen materiellen Schauplatz, in diesem oder einem anderen Zyklus des unermeßlichen Kreislaufs der Zeit sein soll. Die Seher des Altertums glaubten an diese Möglichkeit für den Menschen und hielten das für seine göttliche Bestimmung. Der moderne Denker faßt nicht einmal diesen Gedanken, oder er negiert oder bezweifelt ihn, wenn er auftaucht. Hat er die Vision des Übermenschen, ist dieser nur Träger höherer Grade von Mentalität oder Vitalität. Er gibt nicht zu, daß ein anderer Typus auftauchen kann, schaut nicht über die jetzigen Prinzipien hinaus, denn diese haben uns bis jetzt Begrenzung und Kreislauf auferlegt. Es wohnt aber in dieser fortschreitenden Welt mit diesem menschlichen Geschöpf, in dem der göttliche Funke entzündet wurde, die wirkliche Weisheit wahrscheinlich eher bei dem höheren Streben als bei der Verneinung dieses Strebens und der Hoffnung, die sich selbst begrenzt und einschränkt innerhalb jener engen Mauern sichtbarer Möglichkeiten, die uns doch nur Zwischenstation, Heim für unsere Übung sind. In der spirituellen Ordnung der Dinge ist die Wahrheit, die auf uns herabzukommen bereit ist, um so größer, je höher wir unseren Blick und unser Streben richten, da diese Wahrheit schon hier in uns existiert und nach ihrer Befreiung aus der Umhüllung verlangt, die sie in der geoffenbarten Natur verborgen hält.

Kapitel XXVIII. Supramental, Mental und Übermental-Maya

Es gibt ein Beständiges, eine Wahrheit, die von einer Wahrheit verborgen wird, wo der Sonnen-Gott seine Pferde ausspannt. Die Zehnhunderte (seiner Strahlen) kamen zusammen – Dieses Eine. Ich sah die herrlichsten Gestalten der Götter.

Rig Veda, V.62.1.

Das Antlitz der Wahrheit wird verborgen durch ein goldenes Augenlid. Entferne dieses, o Hilfreicher Sonnen-Gott, um des Gesetzes der Wahrheit willen, damit wir sehen. O Sonne, o einziger Seher, ordne deine Strahlen, falte sie zusammen, – zeige mir deine glücklichste Gestalt, überall jenes Bewußte Wesen. Er bin ich.

Isha Upanishad, Verse 15, 16.

Die Wahrheit, das flechte, das Unermeßliche.

Atharva Veda, XII.1.1.

Es wurde zu beidem, zu Wahrheit und Falschheit. Es wurde zur Wahrheit, eben zu all diesem, das ist.

Taittiriya Upanishad, II. 6.

Ein Punkt, den wir bis jetzt in Dunkelheit ließen, muß noch geklärt werden: der Prozeß des Falls in die Unwissenheit. Denn wir haben gesehen, daß nichts in der ursprünglichen Art von Mental, Leben und Materie ein Herausfallen aus dem Wissen notwendig macht. Es wurde zwar gezeigt, daß Teilung des Bewußtseins die Basis der Unwissenheit ist: die Absonderung des individuellen Bewußtseins aus dem kosmischen und transzendenten Bewußtsein, von dem es dennoch zuinnerst Teil und im Wesen unabtrennbar ist, Loslösung des Mentals aus der supramentalen Wahrheit, von der es eine untergeordnete Aktion sein sollte, Trennung des Lebens von der ursprünglichen Kraft, von deren Energieauswirkungen es eine ist, Heraustreten der Materie aus dem ursprünglichen Sein, von dessen stofflichen Formen es nur eine ist. Es muß aber noch geklärt werden, wie diese Teilung im Unteilbaren zustande kam, durch welche besondere Aktion der Bewußtseins-Kraft im Seienden, sich selbst zu vermindern oder auszulöschen. Denn das dynamische und wirksame Phänomen der Unwissenheit kann nur durch solch eine Aktion der Verdunklung der Fülle ihres eigenen Lichtes und ihrer Macht entstanden sein, da alles Bewegung dieser Kraft ist. Dieses Problem kann aber vorerst zurückgestellt werden, damit wir später das duale Phänomen Wissen-Unwissenheit eingehender untersuchen, das unser Bewußtsein zu einer Mischung von Licht und Finsternis macht, zu einem Halb-Licht zwischen dem vollen Tag der supramentalen Wahrheit und der Nacht materieller Nicht-Bewußtheit. Notwendig, uns zu merken, ist jetzt allein, daß es in seinem wesenhaften Charakter ausschließliche Konzentration auf eine einzige Bewegung und einen einzigen Status des Bewußten Wesens sein muß, die alles übrige Bewußtsein und Wesen zurückdrängt und es vor der jetzt partiellen Erkenntnis dieser einzigen Bewegung verschleiert.

Es gibt aber einen Aspekt dieses Problems, der sofort betrachtet werden muß, das ist die Kluft, die geschaffen wurde zwischen dem Mental, wie wir es kennen, und dem supramentalen Wahrheits-Bewußtsein, von dem, wie wir fanden, Mental in seinem Ursprung ein untergeordneter Prozeß ist. Denn diese Kluft ist recht groß. Ein Übergang von der einen in die andere Bewußtseins-Ebene scheint im höchsten Grad unwahrscheinlich, wenn nicht unmöglich zu sein, wenn es keine Stufenleiter zwischen beiden gibt: weder bei der absteigenden Involution des Geistes in die Materie, noch bei der entsprechenden Evolution der in der Materie verborgenen Grade, die zurück zum Geist führen. Denn das Mental, wie wir es kennen, ist eine Macht der Unwissenheit, die nach der Wahrheit sucht, mit Mühe danach tastet, sie zu finden, aber dabei nur mentale Konstruktionen und Darstellungen von ihr in Wort und Idee, in Mental-Gestaltungen, in Sinnen-Gebilden fertig bringt, wie wenn klare oder verschwommene Photos oder Filme einer entfernten Wirklichkeit alles wären, was das Mental erreichen kann. Im Gegensatz dazu ist das Supramental im aktuellen und natürlichen Besitz der Wahrheit. Seine Gestaltungen sind Formen der Wirklichkeit, keine Konstruktionen, Repräsentationen oder andeutende Figuren. Zweifellos ist das sich in uns entwickelnde Mental dadurch behindert, daß es in die Dunkelheit von Leben und Körper eingeschlossen ist. Das ursprüngliche Mental-Prinzip besitzt in seinem involutionären Herabkommen eine größere Macht, die wir noch nicht voll erlangt haben. Es kann in seiner eigenen Sphäre oder Provinz in Freiheit wirken, um Konstruktionen von mehr Offenbarungskraft, klarer inspirierte Gebilde und subtilere und bedeutungsvollere Verkörperungen zu erschaffen, in denen das Licht und die Wahrheit gegenwärtig und wahrnehmbar ist. Aber auch das ist seinem charakteristischen Wirken nach kaum wesentlich anders, denn auch es ist eine Bewegung zur Unwissenheit, kein noch nicht losgetrennter Teil des Wahrheits-Bewußtseins. Irgendwie muß es in der absteigenden und aufsteigenden Stufenleiter des Wesens eine vermittelnde Macht und eine Bewußtseins-Ebene geben, vielleicht etwas mehr als das, etwas von ursprünglicher schöpferischer Kraft, durch die der involutionäre Übergang von dem im Wissen verankerten Mental zum in die Unwissenheit herabgesunkenen Mental bewirkt wurde und durch die der evolutionäre umgekehrte Übergang wieder verständlich und möglich wird. Für den involutionären Übergang ist dieses vermittelnde Zwischenglied logisch zwingend und für den evolutionären ist es praktisch notwendig. Denn in der Evolution gibt es in der Tat radikale Übergänge: von unbestimmter Energie zur organisierten Materie, von der unbelebten Materie zum Leben, vom unterbewußten oder untermentalen Leben zum wahrnehmenden, fühlenden und handelnden Leben, von der primitiven Tier-Mentalität zum begrifflich denkenden, logisch urteilenden Mental, das das Leben beobachten und lenken kann, das auch sich selbst beobachtet und fähig ist, als unabhängige Wesenheit zu handeln, ja, bewußt danach zu trachten, sich selbst zu transzendieren. Aber wenn diese Sprünge in der Evolution auch beträchtlich sind, so sind sie doch bis zu einem gewissen Grad durch langsame Stufenfolgen vorbereitet, die sie begreiflich und durchführbar machen. Dort kann es keine so immense Kluft geben, wie sie zwischen dem supramentalen Wahrheits-Bewußtsein und dem Mental in der Unwissenheit zu bestehen scheint.

Wenn aber solche Zwischenstufen existieren, müssen sie offensichtlich für das menschliche Mental überbewußt sein, das offenbar in seinem normalen Zustand keinen Zugang zu diesen höheren Graden des Wesens hat. Der Mensch ist in seinem Bewußtsein durch das Mental und eben durch dessen festgelegte Reichweite oder Stufenfolge begrenzt: Was unterhalb seines Mentals liegt, submental oder zwar mental, jedoch unter dessen Skala ist, erscheint ihm sofort als unterbewußt oder als nicht unterscheidbar von völliger Nicht-Bewußtheit. Was darüber liegt, ist für ihn überbewußt. Er neigt fast dazu, es als leer von Wahrnehmung anzusehen, irgendwie als lichtvolle Nicht-Bewußtheit. Genauso wie für ihn wegen seiner Begrenztheit auf eine gewisse Stufenleiter von Tönen oder Farben alles, was über oder unter dieser Skala liegt, unhörbar, unsichtbar oder zumindest nicht unterscheidbar ist, so ist auch seine Skala mentalen Bewußtseins an beiden äußersten Enden durch Unfähigkeit begrenzt, die den oberen und unteren Abschluß seines Bereichs kennzeichnet. Er hat keine ausreichenden Kommunikations-Mittel, selbst nicht zum Tier, das sein mentaler Art-Verwandter, wenn auch nicht sein Art-Gleicher ist, und er bestreitet sogar dem Tier ein Mental oder wirkliches Bewußtsein, weil dessen Erscheinungsformen andere und begrenztere sind als jene, durch die er mit sich selbst und seinen Art-Genossen vertraut ist. Der Mensch kann untermentales Wesen von außen beobachten, er kann aber nicht mit ihm in Kommunikation treten oder in seine Natur eindringen. Ebenso ist das Überbewußte für ihn ein verschlossenes Buch, das sehr wohl nur aus leeren Seiten bestehen könnte. Auf den ersten Blick könnte es also so aussehen, als besitze er keine Mittel, um mit diesen höheren Stufen des Bewußtseins in Kontakt zu kommen: Trifft das zu, dann können sie nicht als Verbindungen und Brücken dienen. Dann müßte die Evolution des Menschen mit der jetzt von ihm erreichten mentalen Stufe aufhören, die er nicht überschreiten könnte. Wenn die Natur diese endgültigen Grenzen zog, hat sie vor sein weiteres Aufwärtsstreben ein “ finis” geschrieben.

Bei näherem Zusehen erkennen wir aber, daß diese Normalität trügerisch ist, daß das menschliche Mental tatsächlich in verschiedenen Richtungen über sich hinausreicht und die Tendenz hat, sich selbst zu transzendieren. Das sind gerade die nötigen Kontakt-Linien oder die verhüllten oder halb-verhüllten Übergänge, die es mit den höheren Bewußtseins-Graden des sich selbst manifestierenden Geistes verbinden. An erster Stelle haben wir hier die Stelle erwähnt, die die Intuition innerhalb der menschlichen Erkenntnis-Mittel einnimmt. Intuition ist ihrer wahren Natur nach eine Projektion des charakteristischen Wirkens dieser höheren Grade auf das Mental der Unwissenheit. Es ist wahr, ihr Wirken ist im menschlichen Mental großenteils durch die Interventionen unserer gewöhnlichen Intelligenz verborgen. Reine Intuition ist eine seltene Begebenheit in unserer mentalen Betätigung. Was wir mit diesem Namen benennen, ist gewöhnlich ein Moment unmittelbarer Erkenntnis, der sofort erfaßt und mit mentalem Stoff überkleidet wird, so daß er uns nur als unsichtbarer oder winziger Kern einer Kristallisation dienen kann, die in ihrer Masse intellektuell oder sonstwie mental in ihrem Charakter ist. Oder der Blitz einer Intuition wird schnell durch nachahmende mentale Bewegung, durch Einsicht, rasche Wahrnehmung oder einen jäh aufspringenden Denkvorgang ersetzt oder abgefangen, bevor er eine Chance hat, sich zu manifestieren. Das alles verdankt sein Erscheinen der Anregung durch die kommende Intuition, setzt aber ihrem Eindringen Widerstand entgegen oder überdeckt sie mit einer mentalen Ersatz-Anregung, die wahr oder irrig, in keinem Fall aber eine authentische intuitive Bewegung ist. Trotzdem genügt die Tatsache dieser Intervention von oben als Beweis, daß faktisch hinter all unserem ursprünglichen Denken oder authentischen Wahrnehmen der Dinge ein verhülltes, halb-verhülltes oder rasch enthülltes intuitives Element vorhanden ist, ausreichend, um eine Verbindung zwischen dem Mental und dem herzustellen, was über ihm ist. Das öffnet einen Durchgang zu Kommunikation mit und Zugang zu den höheren Geist-Bereichen. Auch gibt es ein Ausgreifen des Mentals selbst, um über die persönliche Ich-Beschränkung hinauszukommen und die Dinge in einer gewissen Apersonalität und Universalität zu schauen. Apersonalität ist der erste bezeichnende Aspekt des kosmischen Selbsts. Universalität, Unbegrenztheit durch den einzelnen oder beschränkenden Gesichtspunkt, ist bezeichnend für kosmische Wahrnehmung und Erkenntnis. Diese Tendenz will also, wenn auch nur rudimentär, die begrenzten Mental-Bereiche ausweiten zum kosmischen Wesen, zu einer Eigenschaft, die der wahre Charakter der höheren mentalen Ebenen ist, – zu jenem überbewußten kosmischen Mental, das, wie wir andeuteten, der Natur der Dinge gemäß die ursprüngliche Mental-Aktion sein muß, von der die unsrige nur ein abgeleiteter niederer Prozeß ist. Andererseits fehlt es nicht völlig am Eindringen von oben in unsere mentalen Grenzen. Erscheinungen wie die des Genies sind in Wirklichkeit durch ein solches Eindringen verursacht, – zweifellos noch verhüllt, da sich das Licht des höheren Bewußtseins nicht nur innerhalb enger Grenzen, gewöhnlich auf einem besonderen Gebiet, ohne gelenkte besondere Organisation seiner charakteristischen Energien auswirkt, oft sogar ziemlich launenhaft, exzentrisch und unter übernormaler oder abnormer unverantwortlicher Leitung. Aber auch hier ist es so, daß sich diese höhere Einwirkung bei ihrem Eintritt in das Mental der Mental-Substanz unterwirft und anpaßt, so daß uns nur die modifizierte oder verminderte Dynamik erreicht, nicht alle ursprüngliche göttliche Leuchtkraft dessen, was man das Bewußtsein oberhalb des Hauptes, jenseits von unserem Ich, nennen könnte. Doch sind hier Phänomene vorhanden, deren Ursprung unmißverständlich ist: Inspiration, offenbarendes Schauen, intuitive Wahrnehmung, intuitive Urteilskraft, die über unsere weniger erleuchtete oder weniger machtvolle übliche Mental-Tätigkeit hinausgehen. Schließlich gibt es das unermeßliche und vielseitige Gebiet mystischer und spiritueller Erfahrung. Hier stehen die Tore schon weit für die Möglichkeit offen, unser Bewußtsein über seine gegenwärtigen Grenzen hinaus zu erweitern, – falls wir nicht durch Obskurantismus, der weiteres Forschen ablehnt, oder durch Bindung an die Grenzen unserer gewöhnlichen Mentalität diese Erfahrungen ausschließen oder uns von den Ausblicken abwenden, die sich vor uns auftun. In unserer gegenwärtigen Untersuchung können wir es uns aber nicht leisten, die Möglichkeiten zu mißachten, die uns diese Bereiche menschlichen Bemühens eröffnen, auf die zusätzliche Erkenntnis unseres Selbsts und der verhüllten Wirklichkeit zu verzichten, mit der sie das menschliche Mental beschenken: auf das hellere Licht, das die eingeborene Macht ihres Seins ist und sie mit dem Recht wappnet, auf uns einzuwirken.

Es gibt zwei aufeinanderfolgende, zwar schwierige, aber durchaus im Bereich unserer Fähigkeit liegende Bewußtseins-Bewegungen, durch die wir Zugang zu den höheren Stufen unseres bewußten Daseins finden können. Da ist zuerst eine Bewegung nach innen, durch die wir, statt in unserem vordergründigen Mental zu leben, die Wand zwischen unserem äußeren Ich und unserem jetzt noch subliminalen Selbst durchbrechen. Wir können das zustande bringen durch stufenweises Bemühen, durch eine Disziplin oder einen heftigen Übergang, manchmal durch einen kraftvollen unwillkürlichen Durchbruch, – letzteres ist für das begrenzte menschliche Mental, das gewohnt ist, sich nur innerhalb seiner normalen Grenzen sicher zu fühlen, keineswegs ungefährlich, – es kann aber, ob sicher oder gefährlich, getan werden. Innerhalb dieses verborgenen Teils unseres Selbsts entdecken wir ein inneres Wesen, eine Seele, ein inneres Mental, ein inneres Leben, eine innere, subtil-physische Wesenheit, die in ihren Wirkungsmöglichkeiten viel umfassender, formbarer, machtvoller und begabter zu vielfältiger Erkenntnis und Kraftentfaltung ist als Mental, Leben und Körper unserer vordergründigen Person. Dieses innere Wesen ist besonders fähig zu direkter Kommunikation mit den universalen Kräften, Bewegungen und Objekten des Kosmos, sie unmittelbar zu fühlen und für sie offen zu sein, unmittelbar auf sie einzuwirken und sich selbst über die Grenzen des personalen Mentals, Lebens und Körpers hinaus auszuweiten. Dadurch fühlen wir uns immer mehr als ein universales Wesen, das nicht mehr durch die vorhandenen Trennungswände unseres allzu engen mentalen, vitalen und physischen Daseins eingeengt ist. Wir können uns dabei so sehr ausweiten, daß wir völlig in das Bewußtsein des kosmischen Mentals eintreten und uns mit dem universalen Leben einen, gar eins werden mit der universalen Materie. Das ist dennoch eine Identifikation entweder mit einer herabgeminderten kosmischen Wahrheit oder mit der kosmischen Unwissenheit.

Sobald dieses Eingehen in das innere Wesen vollendet ist, finden wir, daß sich das innere Selbst öffnen und zu Dingen emporsteigen kann, die jenseits unseres gegenwärtigen mentalen Niveaus liegen. Das ist die zweite spirituelle Möglichkeit in uns. Als ihr erstes, gewöhnlichstes Ergebnis entdecken wir ein unermeßlich weites statisches, schweigendes Selbst, das wir als unser wirkliches oder fundamentales Sein empfinden, als die Grundlage all dessen, was wir sind. Es mag dabei sogar zum Auslöschen, einem Nirvana, unseres aktiven Wesens ebenso wie des Empfindens unseres Selbsts und zum Aufgehen in eine Wirklichkeit kommen, die undefinierbar und unausdrückbar ist. Wir können aber auch einsehen, daß dieses Selbst nicht nur das eigene spirituelle Wesen, sondern auch das wahre Selbst aller anderen Wesen ist. Es stellt sich uns dann dar als die dem kosmischen Dasein zugrundeliegende Wahrheit. Es ist möglich, in einem Nirvana, dem Erlöschen aller Individualität, zu verbleiben, bei einer statischen Realisation haltzumachen oder die kosmische Bewegung nur als Spiel an der Oberfläche oder als Illusion anzusehen, die dem schweigenden Selbst auferlegt ist. So können wir in einen erhabenen unbeweglichen und unveränderlichen Zustand jenseits des Universums übergehen. Doch bietet sich uns auch eine andere, weniger negative Linie übernormaler Erfahrung an. Hier ereignet sich ein außerordentliches dynamisches Herabkommen von Licht, Erkenntnis, Macht, Seligkeit oder anderer übernormaler Energien in unser Selbst des Schweigens. Wir können auch in höhere Regionen des Geistes emporsteigen, wo dessen unbeweglicher Zustand die Grundlage für diese mächtigen lichtvollen Energien ist. In beiden Fällen sind wir offensichtlich über das Mental der Unwissenheit in einen spirituellen Zustand emporgelangt. Bei der dynamischen Bewegung kann sich die dadurch auftretende größere Aktion von Bewußter Kraft entweder einfach als rein spirituelle Dynamik darstellen, die in ihrem Charakter nicht sonstwie bestimmt ist, oder als eine spirituelle Mental-Ebene offenbaren, auf der das Mental nicht mehr unwissend der Wirklichkeit gegenübersteht. Das ist noch keine Ebene des Supramentals, wird aber vom supramentalen Wahrheits-Bewußtsein beeinflußt und ist noch erfüllt mit einem gewissen Licht seines Wissens.

In letzterer Alternative finden wir das von uns gesuchte Geheimnis: das Mittel zum Übergang, den erforderlichen Schritt zu einer supramentalen Transformation. Erkennen wir doch eine Stufenfolge des Aufstiegs, eine Kommunikation mit immer hellerem Licht und unermeßlicher Macht von oben, eine Stufenfolge intensiver Erfahrungen, die wir als ebensoviele Stufen im Aufstieg vom Mental wie in der Herabkunft von Jenem, das jenseits von ihm ist, in das Mental sehen können. Wir erkennen, wie, einem Ozean gleich, Massen eines spontanen Wissens herabströmen, das den Charakter von Denken annimmt. Es ist aber von anderer Art als der von uns gewohnte Denkprozeß: Hier gibt es kein Suchen, keine Spur von mentaler Konstruktion, kein spekulatives Mühen oder schwieriges Entdecken. Es ist ein automatisches und spontanes Erkennen aus einem Höheren Mental, das im Besitz der Wahrheit zu sein scheint und nicht nach verborgenen, uns vorenthaltenen Wirklichkeiten zu suchen braucht. Wir beobachten, daß dieses Denken viel eher fähig ist als das Mental, gleichzeitig eine Masse von Erkenntnis in einer einzigen Schau zusammenzufassen. Es hat kosmischen Charakter, trägt nicht den Stempel individuellen Denkens. Jenseits von diesem Wahrheits-Denken können wir eine größere Erleuchtung unterscheiden, die erfüllt ist von vermehrter Macht, Intensität und Antriebskraft, eine Lichtfülle von der Art eines Wahrheits-Schauens mit Denk-Formulierungen nur als dessen minderer und abhängiger Wirkensweise. Wenn wir das vedische Bild von der Sonne der Wahrheit annehmen, – ein Bild, das in dieser Erfahrung zu einer Wirklichkeit wird, – können wir das Wirken des Höheren Mentals mit ruhigem, klaren heiteren Sonnenschein vergleichen. Die Energie des Erleuchteten Mentals über ihm entspricht einem Ausbruch massierter Blitze von flammender Sonnensubstanz. Weiter oben können wir auf eine noch größere Ansammlung von Wahrheits-Kraft treffen, auf unmittelbare exakte Wahrheits-Schau, ein Wahrheits-Denken, Wahrheits-Empfinden, Wahrheits-Fühlen, Wahrheits-Handeln, dem wir in besonderem Sinn den Namen Intuition geben können. Wenn wir auch dieses Wort mangels eines besseren für jede supra-intellektuelle unmittelbare Art des Erkennens verwendet haben, so ist doch das, was wir tatsächlich als Intuition kennen, nur diese eine spezielle Bewegung selbst-seienden Wissens. Dieser neue Bereich ist sein Ursprung. Er vermittelt unseren Intuitionen etwas von seinem besonderen Charakter und ist ganz deutlich Vermittler eines größeren Wahrheits-Lichtes, mit dem unser Mental nicht unmittelbar in Verbindung treten kann. Am Ursprung dieser Intuition entdecken wir ein überbewußtes kosmisches Mental, das in direktem Kontakt mit dem Supramentalen Wahrheits-Bewußtsein steht, eine ursprüngliche Intensität, die bestimmend wirkt auf alle Bewegungen unterhalb von ihr und auf alle mentalen Energien, – nicht ein Mental, wie wir es kennen, sondern ein Obermental, das wie mit den weiten Schwingen einer schöpferischen Überseele diese ganze niedere Hemisphäre von Wissen-Unwissenheit bedeckt, sie mit jenem größeren Wahrheits-Bewußtsein verbindet, wobei es jedoch zugleich mit seinem brillanten goldenen Lid das Antlitz der noch höheren Wahrheit vor unserem Blick verbirgt. Mit seiner Flut unendlicher Möglichkeiten wirkt es zwischen beiden Hemisphären zugleich als Hindernis gegen und als Übergang für unser Suchen nach dem spirituellen Gesetz unseres Daseins, seinem höchsten Ziel, seiner geheimen Wirklichkeit. Das also ist die geheime Verbindung, nach der wir ausschauen. Das ist die Macht, die das Höchste Wissen und die kosmische Unwissenheit zugleich miteinander verbindet und voneinander trennt.

Seiner Art und seinem Gesetz nach ist das Übermental ein Delegierter des Supramental-Bewußtseins, dessen Delegierter zur Unwissenheit. Wir könnten von ihm auch als von einem schützenden Doppel sprechen: es ist ein Vorhang von unähnlicher Ähnlichkeit, durch den das Supramental mittelbar auf eine Unwissenheit einwirken kann, deren Dunkelheit die unmittelbare Einwirkung eines höchsten Lichtes nicht ertragen oder empfangen könnte. Gerade durch die Projektion dieser leuchtenden Übermental-Korona wurde es überhaupt möglich, daß sich ein vermindertes Licht in der Unwissenheit ausbreiten und jenen Gegenschatten, die Nichtbewußtheit, werfen konnte, der in sich alles Licht verschlingt. Das Supramental sendet alle seine Wirklichkeiten zum Übermental, überläßt es ihm aber, sie in einer Bewegung und im Einklang mit einer Einsicht in die Dinge zu formulieren, die noch eine Schau der Wahrheit, zugleich aber auch erster Urheber der Unwissenheit ist. Zwischen Supramental und Übermental ist eine Trennungslinie, die eine freie Übertragung zuläßt, der niederen Macht erlaubt, alles aus der höheren Macht zu entnehmen, was sie festhält oder sieht, ihm aber automatisch beim Durchgang eine Übergangs-Verwandlung aufzwingt. Die Vollständigkeit des Supramentals hält immer an der wesenhaften Wahrheit der Dinge fest, wobei die totale Wahrheit und die Wahrheit ihrer individuellen Selbst-Bestimmung deutlich miteinander verknüpft sind. Diese supramentale Vollständigkeit bewahrt in ihnen eine untrennbare Einheit und läßt sie einander völlig durchdringen, wobei alle ein freies und volles Bewußtsein voneinander haben. Im Übermental hingegen ist diese Vollständigkeit nicht mehr vorhanden. Dennoch ist sich das Übermental der wesenhaften Wahrheit der Dinge wohl bewußt. Es umfaßt die Totalität, es verwendet die individuellen Selbstbestimmungen, ohne durch sie eingeengt zu sein. Aber obwohl es ihre Einheit kennt und diese in spiritueller Erkenntnis realisieren kann, wird es in seiner dynamischen Bewegung nicht unmittelbar von ihr festgelegt, während es sich um seiner Sicherheit willen zugleich auf sie verläßt. Die Übermental-Energie wirkt sich aus durch eine unbegrenzte Fähigkeit, die Mächte und Aspekte der integralen, unteilbaren, alles umgreifenden Einheit voneinander zu trennen und wieder miteinander zu verbinden. Sie nimmt jeden Aspekt, jede Macht an und gibt ihnen ein unabhängiges Wirken, in dem sie volle gesonderte Bedeutung zu erwerben und sozusagen ihre eigene Schöpfungswelt herauszuarbeiten fähig sind. Purusha und prakriti, Bewußte Seele und exekutive Kraft der Natur, sind in der supramentalen Harmonie der Doppelaspekt einer einzigen Wahrheit eines Wesens und einer Dynamik der Wirklichkeit. Dort kann es keine Störung des Gleichgewichts oder die Vorherrschaft des einen Aspekts über den anderen geben. Im Übermental haben wir den Ursprung der Spaltung, jene scharfe Unterscheidung, wie sie durch die Sankhya-Philosophie getroffen wird, wo sie als zwei voneinander unabhängige Wesenheiten erscheinen: als prakriti fähig, über purusha zu herrschen und seine Freiheit und Macht zu verhüllen, ihn in die Rolle eines beobachtenden Zeugen und Empfängers ihrer Formen und Aktionen zurückzudrängen, während purusha zu seiner gesonderten Existenz zurückkehren und in freier Selbst-Souveränität dadurch verharren kann, daß er ihr ursprünglich trübendes materielles Prinzip zurückweist. So ist es auch mit den anderen Aspekten oder Mächten der Göttlichen Wirklichkeit, mit dem Einen und den Vielen, der Göttlichen Personalität und der Göttlichen Apersonalität und allem übrigen. Zwar ist jeder noch ein Aspekt und eine Macht der einen Wirklichkeit, hat aber nun Vollmacht, als unabhängige Wesenheit innerhalb des Ganzen zu handeln, zur Erfüllung der Möglichkeiten seines gesonderten Ausdrucks zu kommen und die dynamischen Konsequenzen dieser Gesondertheit zu entwickeln. Im Übermental ist diese Gesondertheit zugleich noch auf die Basis einer inbegriffenen, zugrundeliegenden Einheit gestellt. Alle Möglichkeiten von Verbindung und Beziehung zwischen den getrennten Mächten und Aspekten, jeder Austausch und alle gegenseitigen Einwirkungen ihrer Energien sind frei organisiert, und ihre Verwirklichung ist immer möglich.

Betrachten wir die Mächte der Wirklichkeit als ebensoviele Gottheiten, können wir sagen: das Übermental setzt eine Million Gottheiten in Aktion, von denen jede ermächtigt ist, ihre eigene Welt zu erschaffen. Jede Welt ist fähig zu Beziehungen zu den anderen, zur gegenseitigen Kommunikation und zum Kräftespiel mit den anderen. Im Veda gibt es verschiedene Formulierungen für die Natur der Götter. Man sagt, sie sind alle ein einziges Sein, dem die Weisen verschiedene Namen geben. Dennoch wird jeder Gott so verehrt, als sei er selbst jenes Sein, ein einziger, der alle anderen Götter zugleich ist oder alle in seinem Wesen enthält. Doch ist jeder wieder eine besondere Gottheit, die manchmal im Einklang mit verwandten Gottheiten, manchmal getrennt und manchmal sogar in scheinbarem Widerspruch zu anderen Gottheiten desselben Seins handelt. Im Supramental würde das alles als ein harmonisiertes Spiel des Einen Seins zusammengehalten werden. Im Übermental könnte aber jede dieser drei Beziehungen die getrennte Aktion oder Grundlage einer Aktion sein und ihr eigenes Entfaltungsprinzip mit seinen Konsequenzen besitzen und dennoch die Macht behalten, sich mit den anderen in gemeinsamer Harmonie zu verbinden. Wie mit dem Einen Sein, so ist es auch mit dem Bewußtsein und seiner Kraft. Das Eine Bewußtsein ist in viele unabhängige Formen von Bewußtsein und Wissen zertrennt. Jede verfolgt ihre eigene Wahrheits-Linie, die sie zu verwirklichen hat. Die einzige totale und vielseitige Real-Idee wird in ihre vielen Seiten aufgespalten. Jede wird zu einer unabhängigen Ideen-Kraft mit der Macht, sich selbst zu realisieren. So wird die eine Bewußtseins-Kraft freigesetzt in ihre Millionen Kräfte.

Jede dieser Kräfte hat das Recht, sich zur Erfüllung zu bringen oder notfalls auch eine Führung zu übernehmen und die anderen Kräfte für die eigenen Zwecke in sich aufzunehmen. Ebenso steht es mit der Seins-Seligkeit: Aus ihr werden alle Arten von Wonnen ausgelöst, und jede kann ihre unabhängige Fülle oder ihr souveränes Extrem in sich tragen. Das Übermental verleiht so dem Einen Sein-Bewußtsein-Seligkeit den Charakter einer brodelnden Masse unendlicher Möglichkeiten, die in eine Menge von Welten entfaltet oder in eine einzige Welt zusammengeworfen werden können, in der das endlos variable Ergebnis ihres Kräftespiels der bestimmende Faktor der Schöpfung, ihres Prozesses, Ablaufs und dessen Konsequenz ist.

Da die Bewußtseins-Kraft des Ewigen Seins die universale Schöpferin ist, wird der Charakter einer gegebenen Welt davon abhängen, in welcher Selbst-Formulierung dieses Bewußtsein sich in dieser Welt zum Ausdruck bringt. Ebenso wird für jeden individuellen Menschen die Art, wie er die Welt, in der er lebt, sieht oder sich vorstellt, von dem Kräfteausgleich und der Gestaltung abhängen, die dieses Bewußtsein in ihm angenommen hat. Unser mentales Bewußtsein sieht die Welt in Teilen, die von der Vernunft und den Sinnen zurechtgeschnitten und in ein Gebilde zusammengesetzt werden, das auch wieder aus Sektionen besteht. Das von ihm erbaute Haus ist so geplant, daß es die eine oder andere verallgemeinerte Formulierung der Wahrheit bequem unterbringt, die übrigen aber ausschließt oder nur einige Gäste oder Bedienstete im Haus zuläßt. Das Übermental-Bewußtsein ist in seiner Erkenntnis global und kann jede Menge scheinbar fundamentaler Verschiedenheiten in vereinigender Schau zusammenhalten. So sieht die mentale Vernunft die Person und das Apersonale als Gegensätze. Das Übermental begreift ein apersonales Sein, in dem Person und Personalität Fiktionen der Unwissenheit oder zeitweilige Konstruktionen sind. Oder es kann, umgekehrt, die Person als die primäre Wirklichkeit sehen, das Apersonale dagegen als mentale Abstraktion oder nur als Stoff oder Mittel der Manifestation. Für die Übermental-Intelligenz sind das trennbare Mächte des einen Seins, die ihre unabhängige Selbst-Behauptung verfolgen, aber auch ihre verschiedenen Wirkensweisen miteinander vereinigen und sowohl in ihrer Unabhängigkeit wie in ihrer Vereinigung verschiedene Zustände von Bewußtsein und Wesen erschaffen können, von denen alle gültig sind und alle zur Koexistenz fähig sein können. Ein rein apersonales Sein oder Bewußtsein ist wahr und möglich, ebenso aber ein völlig persönliches Bewußtsein und Sein. Das Apersonale Göttliche Wesen, nirguna brahman, und das Personale Göttliche Wesen, saguna brahman, sind hier einander gleichgestellte und koexistente Aspekte des Ewigen. Apersonalität kann sich so manifestieren, daß Person ihr als Ausdrucksform untergeordnet ist. In gleicher Weise kann Person die Realität sein und Apersonalität ein Modus ihrer Art: Beide Aspekte der Manifestation stehen sich von Angesicht zu Angesicht in der unendlichen Verschiedenartigkeit Bewußten Seins gegenüber. Was für die mentale Vernunft unvereinbare Unterschiede sind, stellt sich der Übermental-Intelligenz dar als koexistente Korrelate. Was für die mentale Vernunft Gegensätze sind, ist für die Übermental-Intelligenz Sich-Ergänzendes. Unser Mental betrachtet alle Dinge als aus Materie oder aus materieller Energie entstanden, sie existieren durch sie und kehren in sie zurück. So kommt es zu dem Schluß: Materie ist der ewige Faktor, die primäre und höchste, letzte Wirklichkeit, brahman. Oder es sieht alle Dinge als aus Lebens-Kraft oder aus Mental entstanden und nur durch Leben oder Mental existieren. Es schließt daraus: Diese Welt ist eine Schöpfung der kosmischen Lebens-Kraft oder eines kosmischen Mentals oder Logos. Oder es schaut die Welt und alle Dinge an als aus der Real-Idee oder dem Wissens-Willen des Geistes entstanden, durch ihn existierend und zu ihm oder zum Geist selbst zurückkehrend. Daraus folgert es eine idealistische oder spirituelle Betrachtung des Universums. So kann sich das Mental auf eine dieser Betrachtungsweisen festlegen; für sein normales trennendes Schauen schließt aber jeder dieser Wege die anderen aus. Das Übermental-Bewußtsein erkennt, daß jede Anschauung getreu dem Wirken des Prinzips entspricht, das sie gestaltet. Es kann erkennen, daß es eine materielle Welt-Formel, eine vitale Welt-Formel, eine mentale Welt-Formel, eine spirituelle Welt-Formel gibt. Jede kann in ihrer eigenen Welt vorherrschend sein. Gleichzeitig können sich alle zu einer einzigen Welt als deren konstituierende Mächte vereinigen. Für die Übermental-Betrachtung ist die Selbst-Formulierung der Bewußten Kraft, auf die unsere Welt aufgebaut ist, eine normale und leicht vorstellbare Schöpfung: eine scheinbare Nicht-Bewußtheit, die in sich ein höchstes Bewußtes Sein verbirgt und die in ihrer nichtbewußten Verborgenheit alle Mächte des Wesens zusammenhält, eine Welt universaler Materie, die in sich selbst Leben, Mental, Übermental, Supramental und Geist verwirklicht, wobei jede von ihnen der Reihe nach die anderen als Mittel zu ihrem Selbst-Ausdruck empornimmt, so daß die Materie in dieser spirituellen Schau beweist, sie selbst sei immer eine Manifestation des Geistes gewesen. Das Übermental ist in seiner Macht als Ur-Sache und im Prozeß seiner ausführenden Dynamik ein Organisator vieler Entfaltungsmöglichkeiten des Seins. Jede setzt sich als besondere Wirklichkeit durch, und doch sind alle fähig, sich auf viele verschiedene doch gleichzeitige Weisen zusammenzuschließen. Das Übermental ist ein Zauberer, ein Künstler, mit Vollmacht, den vielfarbigen Teppich mit Kette und Schuß der Manifestation einer einzigen Wesenheit in einem komplexen Universum zu weben.

In dieser simultanen Entwicklung vielartiger unabhängiger oder kombinierter Mächte oder Entfaltungsmöglichkeiten gibt es noch – oder bis jetzt noch – kein Chaos, keinen Konflikt, kein Absinken aus der Wahrheit oder dem Wissen. Das Übermental ist ein Schöpfer von Wahrheiten, nicht von Illusionen oder falschen Dingen: Was in einer gegebenen übermentalen Energieentfaltung oder Bewegung ausgearbeitet wird, ist die Wahrheit des Aspekts, der Macht, Idee, Kraft und Seligkeit, die in eine unabhängige Aktion freigesetzt wird; es ist die Wahrheit der Konsequenzen ihrer Wirklichkeit in dieser Unabhängigkeit. Da gibt es kein Ausschließendes, das sich als die einzige Wahrheit des Wesens durchsetzt oder die anderen als untergeordnete Wahrheiten unterdrückt: Jeder Gott kennt alle Götter und ihren Platz im Dasein. Jede Idee läßt alle anderen Ideen und ihr Existenzrecht zu. Jede Kraft gesteht allen anderen Kräften, ihrer Wahrheit und ihren Konsequenzen den ihnen entsprechenden Ort zu. Keine Seligkeit eines gesondert erfüllten Daseins oder einer getrennten Erfahrung bestreitet oder verurteilt die Seligkeit eines anderen Daseins, einer anderen Erfahrung. Das Übermental ist ein Prinzip kosmischer Wahrheit. Unermeßliche und grenzenlose Katholizität ist sein eigentlicher Geist. Seine Energie ist eine All-Dynamik und auch ein Prinzip gesonderter Entfaltungen von Energien: es ist eine Art niederes Supramental, obwohl es sich nicht vorwiegend mit Absolutheiten befaßt, sondern mit dem, was man die dynamischen Potentiale oder pragmatischen Wahrheiten der Wirklichkeit nennen könnte, oder mit Absolutheiten hauptsächlich wegen ihrer Macht, pragmatische oder schöpferische Werte zu erschaffen. Sein umgreifendes Verstehen der Dinge ist aber mehr global als integral, da sich seine Totalität auf globale Ganzheiten gründet oder durch getrennte unabhängige Wirklichkeiten konstituiert wird, die sich vereinigen oder zusammenwachsen. Von ihm wird zwar die wesentliche Einheit als das Grundlegende der Dinge und als das sich in ihrer Manifestation Durchsetzende begriffen und gefühlt, doch ist das nicht mehr, wie im Supramental, ihr innigstes, immer gegenwärtiges Geheimnis, ihr dominierender Inhalt, der ständig erkennbare Erbauer des harmonischen Ganzen ihrer Aktivität und Natur.

Wenn wir den Unterschied zwischen diesem globalen Übermental-Bewußtsein und unserem trennenden und nur unvollkommen zusammenfügenden mentalen Bewußtsein verstehen wollen, erleichtern wir es uns, wenn wir das strikt Mentale mit dem vergleichen, was eine übermentale Betrachtung von Aktivitäten in unserem materiellen Universum ergäbe. Für das Übermental wären z. B. alle Religionen wahr, da sie die Entfaltung der einzigen ewigen Religion sind. Alle Philosophien wären gültig, eine jede im eigenen Feld als Darstellung ihrer Auffassung des Universums von ihrem Blickwinkel her. Alle politischen Theorien wären mit ihrer Praxis die legitime Ausarbeitung einer Ideen-Kraft mit dem Recht, im Spiel der Energien der Natur angewandt und praktisch entwickelt zu werden. In unserem trennenden Bewußtsein, in dem nur unvollkommene Ahnungen von Katholizität und Universalität auftauchen, existieren diese Dinge als Gegensätze. Jede Seite behauptet, die Wahrheit zu sein, und wirft den anderen Irrtum und Falschheit vor. Jede fühlt sich gezwungen, die anderen zu widerlegen oder zu vernichten, damit sie selbst die Wahrheit sei und lebe: Bestenfalls muß jede behaupten, überlegen zu sein, und alle anderen nur als einen minderwertigen Ausdruck der Wahrheit gelten lassen. Übermentale Intelligenz würde es ablehnen, eine solche Auffassung oder diese Tendenz zur Ausschließlichkeit auch nur für einen Augenblick zu hegen. Sie würde allen erlauben, als notwendig für das Ganze zu leben, würde jeden an seinen richtigen Platz im Ganzen stellen oder jedem seinen Bereich der Verwirklichung und des Bemühens zuweisen. Bei unserem Mental ist das anders, weil das Bewußtsein hier völlig in die Zerteilungen der Unwissenheit herabgesunken ist. Wahrheit ist nicht mehr etwas Unendliches oder ein kosmisches Ganzes mit vielen möglichen Formulierungen. Vielmehr ist sie starre Behauptung, die jede andere Behauptung deswegen für falsch hält, weil sie verschieden von ihr und in anderen Grenzen verfestigt ist. Unser mentales Bewußtsein kann tatsächlich in seiner Erkenntnis sehr nahe zum alles umgreifenden Verstehen und zur Katholizität gelangen. Es scheint aber jenseits seiner Macht zu liegen, das auch im Handeln und im Leben zu organisieren. Das evolutionäre Mental wirft, sobald es in Individuen und Kollektiven manifest ist, eine Vielfalt auseinandergehender Gesichtspunkte und auseinanderlaufender Linien des Handelns auf und läßt sie sich Seite an Seite oder im Zusammenprall miteinander oder in gegenseitiger Vermischung ausarbeiten. Es kann ausgewählte Harmonien herstellen, aber nicht zu harmonischer Beherrschung der wahren Totalität kommen. Wie alle Ganzheiten muß das kosmische Mental, selbst in der evolutionären Unwissenheit, solch eine Harmonie haben, wenn auch von vereinbarten Übereinstimmungen und Uneinigkeiten. Es gibt in ihm auch eine zugrunde liegende Dynamik des Einsseins. Es verbirgt aber die Vollkommenheit dieser Dinge in seinen Tiefen, vielleicht in einer supramental-übermentalen Unterschicht. Es teilt sie nicht dem individuellen Mental in der Evolution mit und bringt sie nicht aus den Tiefen an die Oberfläche oder hat sie noch nicht hervorgebracht. Eine Übermental-Welt wäre eine Welt von Harmonien. Die Welt der Unwissenheit, in der wir leben, ist eine Welt von Disharmonien und von Kampf.

Im Übermental können wir nun die ursprüngliche kosmische maya entdecken. Das ist aber nicht die maya der Unwissenheit, sondern eine maya des Wissens. Doch ist sie eine Macht, die die Unwissenheit ermöglichte, sogar unvermeidlich machte. Denn wenn jedes zum Wirken erschaffene Prinzip seiner unabhängigen Linie folgen und seine Konsequenzen vollständig durchführen muß, hat auch das Prinzip der Absonderung seinen Lauf vollständig zu Ende zu führen. Es muß zu seiner absoluten Konsequenz gelangen dürfen. Das ist die unvermeidliche Herabkunft, facilis descensus. Ihr folgt das Bewußtsein, sobald es das trennende Prinzip zuläßt, bis es durch die verfinsternde unendliche Fragmentierung, tucchyena (Rig Veda, X., 129.3), in die materielle Nicht-Bewußtheit eingeht, – “in den Unbewußten Ozean” des Rig Veda. Wenn das Eine aus diesem durch seine eigene Erhabenheit geboren wird, bleibt es doch zuerst durch ein fragmentarisches trennendes Sein und Bewußtsein verborgen. Das ist unser Bewußtsein. In ihm müssen wir die Dinge wieder Stück für Stück zusammensetzen, um zu einem Ganzen zu kommen. In diesem langsamen, schwierigen Hervortreten gewinnt der Ausspruch Heraklits in gewissem Sinn seine Wahrheit, daß der Krieg der Vater aller Dinge sei. Jede Idee und Kraft, jedes gesonderte Bewußtsein, jeder lebende Mensch stößt mit anderen durch die zwingende Notwendigkeit seiner Unwissenheit zusammen und versucht, durch Selbst-Behauptung seiner Unabhängigkeit und nicht durch Harmonie mit allem übrigen Dasein, für sich selbst zu leben, zu wachsen und sich zu erfüllen. Aber doch existiert das unbekannte zugrunde liegende Einssein, das uns zwingt, langsam um eine Form von Harmonie, von gegenseitiger Abhängigkeit, von einträchtigem statt zwieträchtigem Zusammenleben, von schwer zu erlangender Einheit zu ringen. Harmonie und Einheit, nach denen wir streben, können aber dynamisch bis in alle Fasern unseres Wesens und bis zu ihrem umfassenden Selbst-Ausdruck – also nicht allein in unvollkommenen Versuchen, unvollständigen Konstruktionen und immer wechselnden Annäherungen – nur verwirklicht werden, indem durch unsere Evolution die verborgenen überbewußten Mächte der kosmischen Wahrheit und der Wirklichkeit entfaltet werden, in der sie eins sind. Die höheren Bereiche des spirituellen Mentals über unserem Wesen und Bewußtsein müssen sich erschließen, auch das, was noch jenseits des spirituellen Mentals ist, muß in uns zum Vorschein kommen, wenn wir die göttliche Möglichkeit unserer Geburt in das kosmische Dasein hinein erfüllen wollen.

Bei seiner Herabkunft erreicht das Übermental eine Linie, die die kosmische Wahrheit von der kosmischen Unwissenheit trennt. An dieser Trennungslinie wird es für die Bewußtseins-Kraft möglich, durch die Hervorhebung der Besonderheit jeder vom Übermental erschaffenen unabhängigen Bewegung und durch die Verdunkelung ihrer Einheit das Mental durch exklusive Konzentration von seinem übermentalen Ursprung zu trennen. Eine ähnliche Loslösung hat schon einmal stattgefunden, als das Übermental sich von seinem supramentalen Ursprung löste, wobei aber der Vorhang zwischen beiden transparent blieb, so daß eine bewußte Übertragung ermöglicht und eine gewisse erleuchtete Verwandtschaft bewahrt wurde. Hier ist aber der Vorhang undurchsichtig und die Übertragung der Übermental-Motive in das Mental unverständlich und dunkel. Das gesonderte Mental handelt, als sei es ein unabhängiges Prinzip. Jeder mentale Mensch, jede grundlegende mentale Idee, Macht und Kraft steht in ähnlicher Weise auf ihrem gesonderten Ich. Wenn sie mit anderen Verbindung aufnehmen, sich vereinigen oder Kontakte herstellen, geschieht das nicht mit der allumfassenden Universalität der Übermental-Bewegung, auf der Basis zugrunde liegenden Einsseins, vielmehr schließen sich unabhängige Einheiten zusammen, um ein getrenntes konstruiertes Ganzes zu bilden. Durch diese Bewegung kommen wir von der kosmischen Wahrheit hinüber zur kosmischen Unwissenheit. Auf dieser Ebene umgreift das kosmische Mental zweifellos seine Einheit noch mit innerem Verstehen. Es wird aber nicht seines eigenen Ursprungs und seiner Grundlage im Geist inne, oder es kann diese nur durch die Intelligenz, aber nicht durch fortdauernde Erfahrung verstehen. Es handelt in sich so, als ob es rechtmäßig für sich allein sei, und verarbeitet das, was es empfängt, als Material, ohne unmittelbare Kommunikation mit der Quelle, aus der es empfängt. Ebenso handeln seine Einheiten in Unkenntnis voneinander und vom kosmischen Ganzen. Sie erkennen nur durch äußere Kontakte und Kommunikation. Hier gibt es nicht mehr das Grundempfinden von Identität, kein gegenseitiges Durchdringen und inneres Verstehen, die von dort herrühren. Alle Wirkensweisen dieser Mental-Energie gehen von der entgegengesetzten Basis der Unwissenheit und ihren Zerteilungen aus. Obwohl sie die Resultate einer gewissen bewußten Erkenntnis sind, ist das eine partielle Erkenntnis, kein wahres, vollständiges Wissen vom Selbst und keine wahre vollständige Erkenntnis der Welt. Dieses Gepräge des Wissens dauert im Leben und in der subtilen Materie weiter an und erscheint wieder im grob-materiellen Universum, das vom endgültigen Absturz in die Nichtbewußtheit herrührt.

Dennoch bleibt, wie in unserem subliminalen oder inneren Mental, so auch in diesem Mental noch eine umfassendere Macht von Kommunikation und Gegenseitigkeit bestehen, ein freieres Spiel von Mentalität und Sinnen, als es unser menschliches Mental besitzt, und die Unwissenheit ist noch nicht vollständig. Eine bewußte Harmonie, eine Organisation der rechten Beziehungen in gegenseitiger Abhängigkeit ist eher möglich: Das Mental ist noch nicht von blinden Lebens-Kräften verwirrt oder von unempfänglicher Materie verdunkelt. Es ist eine Ebene der Unwissenheit, aber noch nicht der Falschheit und des Irrtums, zumindest ist der Absturz in Falschheit und Irrtum noch nicht unvermeidlich. Diese Unwissenheit legt zwar Grenzen auf, verfälscht aber noch nicht notwendigerweise. Hier gibt es eine Begrenzung der Erkenntnis, eine Organisation partieller Wahrheiten, aber noch kein Leugnen von Wahrheit und Erkenntnis oder Widerspruch dagegen. Dieses Gepräge einer Organisation partieller Wahrheiten auf der Grundlage trennender Erkenntnis dauert fort im Leben und in der subtilen Materie, denn die ausschließliche Konzentration der Bewußtseins-Kraft, die sie in das separative Wirken versetzt, trennt noch nicht völlig das Mental vom Leben oder Mental und Leben von der Materie und verschleiert sie nicht voreinander. Die vollständige Abtrennung kann erst dann stattfinden, wenn die Stufe der Unbewußtkeit erreicht ist und unsere Welt vielfältiger Unwissenheit aus jenem dämmrigen Mutterschoß hervorgeht. Diese anderen noch bewußten Stufen der Involution sind sicherlich Organisationen von Bewußter Kraft, in denen jede aus ihrer eigenen Mitte heraus lebt, ihre eigenen Möglichkeiten bis zu Ende verfolgt und wo das vorherrschende Prinzip, sei es Mental, Leben oder Materie, selbst die Dinge auf seiner eigenen unabhängigen Grundlage ausarbeitet. Was so herausgebracht wird, sind aber Wahrheiten eben dieses Prinzips, keine Illusionen und kein Wirrwarr aus Wahrheit und Falschheit, aus Wissen und Unwissenheit. Wenn aber die Bewußtseins-Kraft durch ausschließliche Konzentration auf Kraft und Form in den Erscheinungen das Bewußtsein von der Form zu trennen versucht oder wenn sie das Bewußtsein in einem blinden, in Form und Kraft versunkenen Schlaf absorbiert, muß sich das Bewußtsein durch fragmentarische Evolution, die den Irrtum notwendig und die Falschheit unvermeidlich macht, zu sich selbst zurückkämpfen. Trotzdem sind auch diese Dinge keine Illusion, die aus einem ursprünglichen Nicht-Sein entsprungen wären. Wir könnten sagen, sie sind unvermeidliche Wahrheiten einer Welt, die aus der Unbewußtheit entstanden ist. Denn die Unwissenheit ist in Wirklichkeit noch ein Wissen, das nach seinem hinter der ursprünglichen Maske der Nichtbewußtheit verborgenen Selbst sucht. Es verfehlt es, und es findet es. Seine Ergebnisse sind auf ihrer je eigenen Linie natürlich, ja unvermeidlich. Sie sind die wahre Konsequenz des Absturzes, – gewissermaßen sogar ein richtiges Handeln, um vom Sturz zu genesen. Das erste Ergebnis dieses Absturzes ist: Sein versinkt in scheinbares Nicht-Sein, Bewußtsein in scheinbare Nicht-Bewußtheit, Seins-Seligkeit in weite kosmische Empfindungslosigkeit. Bei der Rückkehr aus diesem Fall durch mühevolle fragmentarische Erfahrung besteht der notwendige Prozeß der Arbeit zur Entdeckung des Selbsts aus der Wiedergabe von Bewußtsein in den dualen Begriffen von Wahrheit und Falschheit, Erkenntnis und Irrtum, des Seins in den dualen Begriffen von Leben und Tod, der Seins-Seligkeit in den dualen Begriffen von Schmerz und Lust. Eine reine Erfahrung von Wahrheit, Wissen, Seligkeit, unvergänglichem Dasein wäre hier in sich selbst ein Widerspruch gegen die Wahrheit der Dinge. Das könnte nur dann anders sein, wenn alle Menschen in der Evolution stillschweigend empfänglich wären für die seelischen Elemente in ihrem Inneren und für das Supramental, das allem Wirken der Natur zugrunde liegt. Hier wirkt sich aber das Übermental-Gesetz aus, daß jede Kraft ihre eigenen Möglichkeiten ausarbeiten muß. Die natürlichen Möglichkeiten einer Welt, in der ursprüngliche Nichtbewußtheit und Zerteilung von Bewußtsein die Hauptprinzipien sind, würden das Hervortreten von Kräften der Finsternis bewirken, die gezwungen sind, an der Unwissenheit, durch die sie leben, festzuhalten: Das wäre unwissendes Ringen um Wissen, ein Bemühen, das der Ursprung des Falschen und des Irrtums ist, ein ignorantes Bemühen, durch Hervorrufen von Unrecht und Bösem zu leben, ein egoistischer Genuß daran, Urheber eines zerspaltenen Lebens in Freuden, Schmerzen und Leiden zu sein. Unvermeidlich sind das wohl die zuerst ausgeprägten Eigenschaften, aber nicht die einzigen Möglichkeiten unseres evolutionären Daseins. Weil doch das Nicht-Sein ein verborgenes Sein, die Nicht-Bewußtheit ein verborgenes Bewußtsein, die Unempfindlichkeit ein vermummtes, schlafendes ananda ist, müssen diese verborgenen Wirklichkeiten hervortreten. Am Ende müssen sich auch das verborgene Übermental und das Supramental in dieser ihnen dem äußeren Anschein nach entgegengesetzten Organisation aus einem dunkeln Unendlichen heraus zur Erfüllung bringen.

Zwei Dinge machen diese höchste Erfüllung leichter, als es sonst möglich wäre. Bei seinem Abstieg in die materielle Schöpfung hat das Obermental Abwandlungen seiner selbst hervorgebracht – besonders die Intuition mit ihren durchdringenden Lichtblitzen von Wahrheit, die bestimmte Punkte und Bereiche in unserem Bewußtsein erleuchten, die die verborgene Wahrheit der Dinge unserem umgreifenden inneren Verstehen näherbringen können. Wenn wir uns immer weiter, zuerst im inneren Wesen und dann, als Folge davon, in unserem äußeren Menschsein auch für die Botschaften aus diesen höheren Bereichen des Bewußtseins öffnen und in sie hineinwachsen, können wir selbst zu intuitiven und übermentalen Menschen werden, die nicht durch den Intellekt und die Sinne begrenzt, sondern fähig sind, in allumfassender Weise innerlich zu begreifen und die Wahrheit in ihrem eigentlichen Selbst und Leib unmittelbar zu berühren. Tatsächlich kommen schon Lichtblitze der Erleuchtung aus diesen höheren Bereichen zu uns. Dieses Eingreifen ist aber zumeist fragmentarisch, gelegentlich und partiell. Wir müssen in uns ein höheres Wirken der Wahrheit organisieren, dessen wir potentiell fähig sind. Zweitens müssen aber Übermental, Intuition und sogar Supramental nicht nur, wie wir gesehen haben, die der Nicht-Bewußtheit innewohnenden, in sie involvierten Prinzipien sein, aus denen wir in der Evolution emporsteigen und uns, unserer Bestimmung gemäß, unausweichlich herausentwickeln müssen, sondern sie sind verborgen schon in uns gegenwärtig und in geheimer Weise aktiv mit Lichtblitzen intuitiven Emportauchens in der kosmischen Aktivität von Mental, Leben und Materie. Es ist wahr, daß ihr Wirken verborgen ist. Selbst wenn sie hervortreten, geschieht das so, daß sie durch das materielle, vitale und mentale Medium, in dem sie wirken, eingeschränkt und nicht leicht erkennbar sind. Das Supramental kann sich nicht von Anfang an als die Schöpfer-Macht im Universum manifestieren. Würde es das tun, wären Unwissenheit und Nicht-Bewußtheit unmöglich, oder die notwendige langsame Evolution würde sich in das Schauspiel schneller Transformation verwandeln. Dennoch können wir auf jeder Stufe der materiellen Energie den Stempel der unvermeidlichen Entwicklung erkennen, der ihr vom supramentalen Schöpfer aufgeprägt wird. Und wir sehen in der ganzen Entwicklung von Leben und Mental das Spiel der Linien von Möglichkeit und Kombination, die das Eingreifen des Übermentals charakterisiert. So wie Leben und Mental in der Materie freigesetzt wurden, müssen auch diese größeren Mächte der verborgenen Gottheit zu ihrer Zeit aus der Involution hervortreten, und ihr erhabenes Licht muß von oben auf uns herabkommen.

Ein Göttliches Leben ist also in der irdischen Manifestation nicht nur möglich als das hohe Ergebnis und Lösegeld für unser gegenwärtiges Leben in der Unwissenheit. Vielmehr ist es, wenn die Dinge so liegen, wie wir sie gesehen haben, das unvermeidliche Ergebnis und die höchste Erfüllung des evolutionären Bemühens der Natur.

E N D E
BUCH 1

Kapitel XV. Wirklichkeit und integrales Wissen

Dieses Selbst wird durch die Wahrheit und durch integrale Erkenntnis gewonnen.

Mundaka Upanishad, III. 1.5.

Höre, wie du Mich hier in Meiner Ganzheit erkennen wirst..., denn selbst von den Suchern, die Erfolg hatten, erkennt kaum einer Mich in all der Wahrheit Meines Wesens.

Gita, VII. 1.3.

Dies also ist der Ursprung, dies ist die Natur und dies sind die Grenzen der Unwissenheit. Ihr Ursprung ist eine Begrenzung von Wissen. Ihr besonderer Charakter ist eine Absonderung des Wesens von seiner eigenen Vollständigkeit und ganzen Wirklichkeit. Ihre Grenzen werden durch diese absondernde Entwicklung des Bewußtseins bestimmt, denn sie schließt uns aus von unserem wahren Selbst und vom wahren Selbst und der umfassenden Natur der Dinge und zwingt uns, in einem sichtbaren Dasein an der Oberfläche zu leben. Folgendes müssen demnach Kennzeichen und entgegengesetzter Charakter der inneren Hinwendung zum Wissen sein: Rückkehr oder Fortschritt zur Vollständigkeit, das Aufheben der Begrenzung, das Niederbrechen der Absonderung, das Überschreiten der Grenzlinien und das Wiedergewinnen unserer wesenhaften und ganzen Wirklichkeit. Das begrenzte und gesonderte Bewußtsein soll durch ein wesenhaftes und vollständiges Bewußtsein ersetzt werden, das mit der ursprünglichen Wahrheit und mit der ganzen Wahrheit von Selbst und Sein identisch ist. Das integrale Wissen ist etwas, das bereits in der integralen Wirklichkeit da ist. Es ist nicht etwas Neues, das noch nicht existiert, das erst durch das Mental erschaffen, erworben, erlernt, erfunden oder aufgebaut werden muß. Vielmehr muß es entdeckt oder enthüllt werden. Es ist eine Wahrheit, die sich dem spirituellen Bemühen vom Selbst her enthüllt. Denn dort, in unserem tieferen und größeren Selbst, ist es verhüllt. Es ist der eigentliche Stoff unseres spirituellen Bewußtseins. Da wir nun in unserem äußeren Selbst zu ihm erwachen, sollen wir es in unseren Besitz bekommen. Es gibt eine integrale Erkenntnis des Selbsts, die wir wiederzugewinnen haben. Es gibt aber auch eine integrale Erkenntnis der Welt, da das Welt-Selbst auch unser eigenes Selbst ist. Es gibt zwar ein Wissen, das von unserem Mental erlernt oder konstruiert werden kann und das seinen Wert hat. Das ist aber nicht gemeint, wenn wir vom Wissen und von der Unwissenheit sprechen.

Das integrale spirituelle Bewußtsein trägt in sich ein Wissen von allen Begriffen des Seienden. Es verknüpft die höchsten mit den niedersten durch alle vermittelnden Begriffe und erlangt so ein unteilbares Ganzes. Auf der höchsten Gipfelhöhe der Dinge öffnet es sich für die Wirklichkeit des Absoluten, die unaussprechlich ist, weil überbewußt allem gegenüber außer ihrem eigenen Selbst-Innesein. Am tiefsten Ende unseres Wesens nimmt es das Unbewußte wahr, mit dem unsere Evolution anfängt. Zugleich wird es aber auch des Einen und des Alls inne, das in jenen Tiefen selbst-involviert ist. Es enthüllt in der Unbewußtheit das verborgene Bewußtsein. Seine Schau ist ausdeutend und offenbarend und bewegt sich zwischen diesen beiden Extremen. So entdeckt das integrale spirituelle Bewußtsein die Manifestation des Einen in den Vielen, die Identität des Unendlichen in der Verschiedenheit der endlichen Dinge, die Gegenwart des zeitlosen Ewigen in der ewigen Zeit. Dieses Schauen erhellt ihm die Bedeutung des Universums. Dieses Bewußtsein hebt das Universum nicht auf. Es hebt es empor und verwandelt es, indem es ihm seine verborgene Bedeutung verleiht. Es hebt nicht das individuelle Dasein auf. Es verwandelt Wesen und Natur des Individuums, indem es diesen ihre wahre Bedeutung offenbart und sie befähigt, ihre Absonderung von der Göttlichen Wirklichkeit und der Göttlichen Natur zu überwinden.

Integrales Wissen setzt integrale Wirklichkeit voraus. Denn die Macht des Wahrheits-Bewußtseins ist selbst das Bewußtsein der Wirklichkeit. Aber unsere Vorstellung und unser Empfinden von Wirklichkeit variiert mit dem Zustand und der Absicht unseres Bewußtseins, mit seiner Schau, seiner Betonung und Auffassung der Dinge. Diese Schau und diese Betonung können intensiv und exklusiv oder extensiv, inklusiv und allumfassend sein. Es ist sehr wohl möglich – und das ist in seinem Bereich eine berechtigte Maßnahme unseres Denkens und bezeichnend für ein hohes spirituelles Niveau –, das Sein des unaussprechlichen Absoluten zu bejahen, es als einzige Wirklichkeit zu betonen und für unser Selbst das individuelle Wesen und die kosmische Schöpfung zu verneinen und auszumerzen, sie aus unserer Vorstellung und unserem Empfinden von Wirklichkeit auszulöschen. Die Wirklichkeit des Universums ist brahman, das Absolute. Die Wirklichkeit des Kosmos ist brahman, das Absolute. Das Individuum ist ein Phänomen, eine vergängliche Erscheinung im Kosmos. Der Kosmos selbst ist ein Phänomen, eine größere, komplexe vergängliche Erscheinung. Die beiden Begriffe Wissen und Unwissenheit gehören nur dieser äußeren Erscheinung an. Um zum absoluten Überbewußtsein zu gelangen, müssen wir beide transzendieren: Ich-Bewußtsein und kosmisches Bewußtsein werden in jener höchsten Transzendenz zum Erlöschen gebracht, nur das Absolute bleibt übrig. Denn das absolute brahman existiert nur in seiner eigenen Identität und steht jenseits von allem Erkennen des anderen. Dort verschwindet die Vorstellung von dem Wissenden und dem Gewußten und darum auch von dem Wissen, in dem beide sich treffen und eins werden. Diese Idee wird transzendiert und verliert ihre Berechtigung, so daß das absolute brahman Mental und Rede immer unerreichbar bleiben muß. Im Gegensatz zu der Anschauung, die wir vorgetragen haben, oder in Ergänzung zu ihr – daß nämlich die Unwissenheit selbst entweder nur als ein begrenztes oder als ein involviertes Wirken des Göttlichen Wissens anzusehen ist, als begrenzt im nur partiell Bewußten und als involviert im Unbewußten – könnten wir von diesem anderen Ende der Skala der Dinge her sagen, Wissen sei nur eine höhere Unwissenheit, da es vor der absoluten Wirklichkeit haltmache, die Sich Selbst gegenüber evident, dem Mental jedoch unerkennbar sei. Diese absolute Auffassung entspricht einer Wahrheit des Denkens und einer Wahrheit höchster Erfahrung im spirituellen Bewußtsein. Für sich genommen ist das aber nicht das Ganze des vollständigen und umfassenden Denkens, und es erschöpft nicht die Möglichkeiten höchster spiritueller Erfahrung.

Die absolutistische Betrachtung von Wirklichkeit, Bewußtsein und Wissen gründet sich auf eine Richtung frühesten vedantischen Denkens. Das ist aber nicht das Ganze jenes Denkens. In den Upanishaden, der inspirierten Schrift des ältesten Vedanta, finden wir diese Bejahung des Absoluten als den aus der Erfahrung gewonnenen Begriff der äußersten, unaussprechlichen Transzendenz. Wir finden aber auch, und zwar nicht im Widerspruch dazu sondern als Ergänzung, eine Bejahung der kosmischen Divinität, einen durch Erfahrung gewonnenen Begriff vom kosmischen Selbst und vom Werden des brahman im Universum. In gleicher Weise finden wir die Bejahung der Göttlichen Wirklichkeit im Individuum. Auch das ist eine aus Erfahrung gewonnene Auffassung. Das Individuum wird nicht nur als äußerer Schein aufgefaßt sondern als ein aktuelles Werden. Anstelle der einzigen höchsten exklusiven Behauptung, die außer dem transzendenten Absoluten alles verneint, finden wir eine umfassende Annahme, die bis zu ihrer äußersten Schlußfolgerung gebracht wird. Diese Auffassung von Wirklichkeit und Wissen, die in einer einzigen Schau das Kosmische und das Absolute umschließt, stimmt grundsätzlich mit unserer eigenen überein. Denn in ihr ist beides enthalten: Die Unwissenheit ist ein halb-verhüllter Teil des Wissens, und die Welt-Erkenntnis ist ein Teil der Selbst-Erkenntnis. Die Isha-Upanishad besteht auf der Einheit und Wirklichkeit aller Manifestationen des Absoluten. Sie weist zurück, daß man die Wahrheit nur auf einen einzigen Aspekt beschränkt. Brahman ist das Unverrückbare und das Bewegliche, das Innere und das Äußere, alles, was nahe, und alles, was fern ist, ob spirituell oder in der Ausdehnung von Zeit und Raum. Es ist das Seiende und alle Werdeformen. Er ist der Reine und Schweigende, der ohne Gestaltung und Aktion ist, der Seher und Denker, der die Welt und ihre Objekte organisiert. Er ist der Eine, der zu allem wird, das wir mit unseren Sinnen im Universum wahrnehmen; der Immanente und das, worin er seine Wohnstätte aufschlägt. Die Upanishad versichert das als die vollkommene und befreiende Erkenntnis, was weder das Selbst noch seine Schöpfungen ausschließt. Der befreite Geist sieht alle diese Dinge als die Werdeformen des Selbst-Seienden in einer inneren Schau und durch ein Bewußtsein, das das Universum im eigenen Innern wahrnimmt und nicht nur äußerlich auf es schaut als auf etwas anderes als es selbst, wie das begrenzte ichhafte Mental das tut. In der kosmischen Unwissenheit zu leben, ist Blindheit. Sich aber auf einen exklusiven Absolutismus von Wissen zu begrenzen, ist ebenfalls Blindheit. Integrales Wissen heißt, brahman zu erkennen als das Wissen und die Unwissenheit zugleich und zusammen; den höchsten Zustand zu erlangen zugleich durch Werden und Nicht-Werden; die Erkenntnisse des transzendenten und des kosmischen Selbsts aufeinander zu beziehen; eine feste Grundlage im Überweltlichen und eine des Selbsts gewisse Manifestation im Weltlichen zu erreichen. Das ist der Besitz der Unsterblichkeit. Dieses ganze Bewußtsein mit seinem vollständigen Wissen ist es, das die Grundlage für das Göttliche Leben legt und dieses erreichen läßt. Daraus folgt, daß die unbedingte Wirklichkeit des Absoluten kein starres, unbestimmtes Einssein und keine Unendlichkeit sein darf, die leer ist von allem, was nicht reines Selbst-Sein ist, das man nur dadurch erlangt, daß man die Vielen und das Endliche ausschließt. Vielmehr muß sie etwas sein, das jenseits dieser Definitionen und sogar jenseits von allem liegt, das man als positiv oder als negativ beschreiben kann. Alle Bejahungen und alle Verneinungen drücken seine Aspekte aus. Durch beide zusammen, durch höchste Bejahung und höchste Verneinung, können wir zum Absoluten gelangen.

Auf der einen Seite haben wir also, uns als die Wirklichkeit dargestellt, ein absolutes Selbst-Sein, ein ewiges einziges Selbst-Seiendes. Durch die Erfahrung des schweigenden und inaktiven Selbsts oder des unabhängigen unbeweglichen purusha können wir uns diesem gestaltlosen und beziehungslosen Absoluten nahen, das Wirken der schöpferischen Macht negieren, ob es nun eine illusorische maya oder eine formbildende prakriti ist, aus dem ganzen Kreislauf im kosmischen Irrtum heraustreten in den ewigen Frieden und in das Schweigen, frei werden, von unserem personalen Dasein und uns selbst in jenem einzigen wahren Sein finden oder verlieren. Auf der anderen Seite haben wir ein Werden, das eine wahre Bewegung des Seienden ist, und beide, das Seiende und das Werden, sind Wahrheiten der einen absoluten Wirklichkeit. Die erste Anschauung gründet sich auf den metaphysischen Begriff, der die extreme Wahrnehmung des Absoluten in unserem Denken, die exklusive Erfahrung in unserem Bewußtsein als eine Wirklichkeit formuliert, die leer ist von allen Beziehungen und Bestimmungen. Das erfordert als logische und praktische Konsequenz, die Welt der Beziehungen als etwas Falsches, etwas von unrealem Wesen, etwas Nicht-Seiendes, asat, zu verneinen oder zumindest als niedere, dahinschwindende, vergängliche und pragmatische Selbst-Erfahrung aus dem Bewußtsein auszumerzen, um zur Befreiung des Geistes von seinen falschen Wahrnehmungen oder seinen niedrigen Schöpfungen zu gelangen. Die zweite Anschauung gründet sich auf die Auffassung, das Absolute könne weder positiv noch negativ eingegrenzt werden. Es steht jenseits aller Beziehungen in dem Sinne, daß es durch keine Relativitäten gebunden oder in seiner Wesensmacht begrenzbar ist: Es kann nicht durch unsere relativen Auffassungen festgelegt oder umschrieben werden, weder durch die höchsten noch die niedersten, weder durch positive noch durch negative. Es wird weder durch unser Wissen noch durch unsere Unwissenheit gebunden, weder durch unsere Auffassung vom Sein noch durch die vom Nicht-Sein. Es kann aber auch nicht durch irgendeine Unfähigkeit begrenzt werden, Beziehungen zu enthalten, zu unterhalten, zu erschaffen oder zu offenbaren. Im Gegenteil, man kann die Macht, sich in einer Unendlichkeit von Einheit und in einer Unendlichkeit von Vielheit zu manifestieren, als eine ihr ursprünglich innewohnende Kraft, als Zeichen und Ergebnis gerade ihrer Unbedingtheit ansehen. Diese Möglichkeit ist an sich schon eine ausreichende Erklärung für das kosmische Dasein. Das Absolute kann in seiner Art, einen Kosmos von Beziehungen zu manifestieren, tatsächlich nicht eingeschränkt werden; es kann aber auch nicht gezwungen werden, keinen Kosmos zu manifestieren. Es selbst ist keine bloße Leere. Denn ein inhaltsloses Absolutes ist kein Absolutes – unsere Auffassung von einem Leeren oder einem Null-Wert ist nur ein begriffliches Zeichen dafür, daß wir mental unfähig sind, es zu erkennen und zu begreifen. Es trägt in sich selbst eine gewisse unaussprechliche Wesenhaftigkeit von allem, was ist, und allem, was sein kann. Und da es in sich diese Wesenhaftigkeit und diese Möglichkeit enthält, muß es in sich auch auf irgendeine Art seiner Absolutheit entweder die dauernde Wahrheit oder die innewohnende, wenn auch verborgene, verwirklichbare Aktualität von allem enthalten, was für unser oder der Welt Dasein grundlegend ist. Diese verwirklichbare Aktualität verwirklicht, oder diese ständige Wahrheit ihre Möglichkeiten entfaltend, bezeichnen wir als Manifestation und sehen wir als das Universum.

Im Begriff oder in der Erkenntnis der Wahrheit des Absoluten gibt es also keine innewohnende unvermeidliche Konsequenz, die Wahrheit des Universums zu bestreiten oder aufzulösen. Die Vorstellung von einem wesenhaft unwirklichen Universum, das irgendwie durch eine unerklärliche Macht von Illusion manifestiert wird, das das Absolute brahman nicht anerkennt, über dem es erhaben steht und auf das es so wenig Einfluß nimmt, wie es selbst von ihm beeinflußt wird, ist im Grunde die Übertragung einer Unfähigkeit unseres mentalen Bewußtseins auf Jenes, eine Aufbürdung oder Unterstellung, adhyaropa, gleichsam um es zu begrenzen. Sobald unser mentales Bewußtsein über seine Begrenzungen hinausgeht, verliert es seine eigene Weise der Erkenntnis und seine Erkenntnismittel. Dann hat es die Neigung, inaktiv zu werden oder ganz aufzuhören. Es verliert zugleich auch seinen Halt an seinen früheren Inhalten oder neigt dazu, diese nicht weiter zu haben. Dann hat es keine kontinuierliche Auffassung mehr von der Wirklichkeit dessen, was einst für es alles gewesen ist, das wirklich war: Wir unterstellen dem absoluten parabrahman, das wir für immer ungeoffenbart auffassen, eine entsprechende Unfähigkeit oder ein Abgesondertsein von oder eine Erhabenheit über das, was so für uns unwirklich geworden ist oder als unwirklich erscheint. Es muß dann durch seine eigene Art reiner Absolutheit ebenso wie unser Mental, wenn es aufhört oder sich auslöscht, leer sein von jedem Zusammenhang mit dieser Welt der sichtbaren Manifestation, unfähig, sie anzuerkennen, um sie zu unterstützen, oder das dynamisch aufrechtzuerhalten, was ihr die Wirklichkeit gibt, – oder, falls es so etwas zur Kenntnis nehmen kann, müßte dieses seiner Art nach ein “Ist” sein, das nicht ist, eine magische maya. Es gibt aber keinen zwingenden Grund, anzunehmen, daß diese Kluft existiert. Wessen unser relatives menschliches Bewußtsein fähig oder nicht fähig ist, das ist kein Prüfstein oder Maßstab für absolute Fähigkeit. Seine Begriffe können nicht auf eine absolute Selbst-Bewußtheit übertragen werden. Was für unsere mentale Unwissenheit nötig ist, um sich selbst zu entkommen, kann keine Notwendigkeit sein für das Absolute, das sich selbst nicht zu entkommen braucht und keinen Grund hat, dem die Anerkennung zu verweigern, das für es unerkennbar ist.

Es gibt dieses ungeoffenbarte Unerkennbare. Es gibt dieses geoffenbarte Erkennbare, das unserer Unwissenheit teilweise manifest, das jedoch gänzlich manifest ist für das göttliche Wissen, das es in seiner eigenen Unendlichkeit in sich birgt. Wenn es wahr ist, daß weder unsere Unwissenheit noch unsere äußerste und allumfassende mentale Erkenntnis uns einen festen Besitz des Unerkennbaren vermitteln kann, so ist doch auch wahr, daß sich Jenes sowohl durch unser Wissen wie durch unsere Unwissenheit selbst auf verschiedene Weise manifestiert. Denn es kann nicht etwas anderes manifestieren als sich selbst, da nichts sonst existieren kann. In dieser Mannigfaltigkeit von Manifestation gibt es jenes Einssein. Durch die Verschiedenheit können wir mit dem Einssein in Kontakt kommen. Aber auch wenn wir diese Koexistenz akzeptieren, ist es immer noch möglich, ein endgültiges Urteil und einen Verdammungsspruch über das Werden zu fällen und uns für die Notwendigkeit zu entscheiden, ihm zu entsagen und in das absolute Sein zurückzukehren. Diese Entscheidung kann auf die Unterscheidung zwischen der realen Wirklichkeit des Absoluten und der partiellen und irreführenden Wirklichkeit des relativen Universums gegründet werden.

Denn wir haben in dieser Entfaltung von Wissen die beiden Begriffe des Einen und der Vielen, wie wir auch die beiden Begriffe des Endlichen und des Unendlichen haben: dessen, das wird, und dessen, das nicht wird, weil es ewig ist; dessen, das Gestalt annimmt, und dessen, das keine Gestalt annimmt; des Geistes und der Materie; des höchsten Überbewußten und des niedersten Unbewußten. In diesem Dualismus und um ihm zu entkommen, steht es uns offen, Wissen als den Besitz des einen Begriffes zu definieren und den Besitz des anderen als Unwissenheit. Das Allerhöchste für unser Leben wäre dann, daß wir uns aus der niederen Wirklichkeit des Werdens zurückziehen in die höhere Wirklichkeit des Seienden: daß wir uns aus der Unwissenheit in das Wissen emporschwingen, die Unwissenheit zurückweisen und aus den Vielen übergehen in den Einen, aus dem Endlichen in das Unendliche, aus der Form in das Formlose, aus dem Leben des materiellen Universums in den Geist, aus der Gewalt des Unbewußten über uns in das überbewußte Sein. Man nimmt bei dieser Lösung an, es bestehe eine festgelegte Gegensätzlichkeit, eine letzte Unvereinbarkeit in jedem Fall zwischen den beiden Begriffen unseres Wesens. Oder auch: wenn beide ein Mittel der Manifestation des brahman sind, sei das Niedere ein falscher oder unvollkommener Hinweis auf ihn, ein Mittel, das versagen muß, und ein System von Werten, die uns letztlich nicht zufriedenstellen können. Unbefriedigt von den Verwirrungen der Vielfalt, verächtlich selbst das Höchste an Licht, Macht und Freude ablehnend, das sie uns offenbaren kann, müssen wir über sie hinaus zu dem einen absoluten Punkt, zu dem einen absoluten Ort drängen, an dem diese ganze Selbst-Variation aufhört. Da wir infolge des Anspruchs des Unendlichen an uns nicht für immer in den Banden des Endlichen bleiben oder hier Genugtuung, Weite und Frieden finden könnten, müßten wir alle Bande der individuellen und universalen Natur zerbrechen, alle Werte, Symbole, Abbildungen, Selbst-Definitionen, Begrenzungen des Unbegrenzbaren zerstören und alle Kleinlichkeit und Zerteiltheit in jenem Selbst verlieren, das auf ewig mit der eigenen Unendlichkeit zufrieden ist. Angewidert von den Gestaltungen, desillusioniert von ihren falschen und vergänglichen Verführungen, ermüdet und entmutigt von ihrer flüchtigen Unbeständigkeit und ihrem eitlen Kreislauf der Wiederkehr müßten wir aus den Zyklen der Natur in die Formlosigkeit und unterschiedslose Leere des permanenten Seins entkommen. Voller Abscheu vor der Materie und ihrer Grobheit, ungeduldig mit dem zwecklosen Drängen und der Verwirrung des Lebens, ermüdet durch das ziellose Umherirren des Mentals und überzeugt von der Eitelkeit all seiner Zwecke und Ziele müßten wir uns befreien in die ewige Ruhe und Reinheit des Geistes. Das Unbewußte sei ein Schlaf oder ein Gefängnis. Das Bewußte sei ein Kreislauf von Bestrebungen ohne ein letztes Ziel oder das Vagabundieren wie in einem Traum. Wir müßten in das Überbewußte erwachen, wo alle Finsternis von Nacht und Halblichtern aufhöre in der vom Selbst erleuchteten Seligkeit des Ewigen. Der Ewige sei unsere alleinige Zuflucht. Alles übrige seien falsche Werte, sei die Unwissenheit und ihre Irrgärten, eine Selbst-Verwirrung der Seele in der phänomenalen Natur.

Unsere Auffassung vom Wissen und von der Unwissenheit verwirft diese Verneinung und die Gegensätzlichkeiten, auf die sie sich gründet. Sie weist hin auf eine umfassendere, wenn auch schwierigere Methode, sie miteinander zu versöhnen. Denn wir sehen, daß diese scheinbar einander entgegensetzten Begriffe vom Einen und den Vielen, von der Form und dem Formlosen, vom Endlichen und vom Unendlichen nicht so sehr Gegensätze als vielmehr komplementäre Begriffe sind. Sie sind nicht alternative Werte des brahman, als ob dieses ständig in seiner Schöpfung sein Einssein verliere, um sich in der Vielheit wiederzufinden, und, unfähig, sich in der Vielheit zu entdecken, diese wieder aufgebe, um das Einssein zu erlangen. Vielmehr sind sie doppelte und zusammengehörige Werte, die sich gegenseitig verdeutlichen. Sie sind keine hoffnungslos unvereinbaren Alternativen, vielmehr zwei Gesichter der einen Wirklichkeit, die uns dadurch zu dieser führen können, daß wir beide realisieren und nicht nur jede getrennt erproben, – auch wenn solch ein gesondertes Erproben ein legitimer, ja unvermeidlicher Schritt oder Teil des Prozesses der Erkenntnis sein mag. Wissen ist zweifelos die Erkenntnis des Einen, des Seienden. Unwissenheit heißt, daß unser Selbst das Seiende vergißt. Sie ist die Erfahrung der Abgesondertheit in der Vielfalt und ein Verbleiben oder Kreisen im falschverstandenen Irrgarten der Werde-Formen. Das wird aber durch die Seele im Werden überwunden, die in die Erkenntnis, in die Bewußtheit des Seienden emporwächst, das in der Vielheit zu all den vorhandenen Wesen wird und deshalb dazu werden kann, weil ihre Wahrheit bereits in seinem zeitlosen Sein da ist. Die integrale Erkenntnis von brahman ist ein Bewußtsein, das beides miteinander besitzt. Wenn wir ausschließlich nach dem einen von beiden jagen, wird unser Blick für die andere Seite der Wahrheit der allgegenwärtigen Wirklichkeit verschlossen. Der Besitz des Seienden, das jenseits aller Werdeformen ist, bringt uns die Freiheit von Verhaftung und Unwissenheit im kosmischen Dasein und verschafft uns dadurch jene Freiheit eines freien Besitzes des Werdenden und des kosmischen Daseins. Die Erkenntnis des Werdenden ist ein Teil des Wissens. Sie wirkt nur deshalb wie Unwissenheit, weil wir in sie eingesperrt bleiben, avidyayam antare, ohne daß wir das Einssein des Seienden besitzen, das die Grundlage des Werdens ist, sein Stoff, sein Geist, die Ursache seiner Manifestation, ohne die es nicht möglich sein könnte.

Tatsächlich ist das brahman eines, nicht nur in einem gestaltlosen Einssein jenseits jeder Beziehung, sondern gerade auch in der Vielheit des kosmischen Daseins. Da Es des Wirkens des zerteilenden Mentals bewußt, jedoch selbst nicht durch es begrenzt ist, findet es sein Einssein ebenso leicht in den Vielen, in Beziehungen, im Werden, wie wenn es sich ganz aus den Vielen, aus den Beziehungen, aus dem Werden zurückzieht. Auch wir selbst müssen es, gerade um sein Einssein völlig zu besitzen, – zumal Es hier ist, zumal alles Jenes ist – in der unendlichen Selbst-Variation des Kosmos besitzen. Eine Erklärung und Rechtfertigung für die Unendlichkeit der Vielfalt läßt sich nur finden, wenn sie in der Unendlichkeit des Einen enthalten und von ihm als Besitz gewahrt wird. Aber die Unendlichkeit des Einen ergießt sich auch in die Unendlichkeit der Vielen und behält sich auch dort zu eigen. Es ist die göttliche Stärke des freien purusha, der bewußten Seele, die sich selbst in ihrer unsterblichen Erkenntnis des Selbsts besitzt, fähig zu sein, ihre Energien ebenso zu verströmen, wie sich dabei nicht zu verlieren, sich nicht aus ihrer Grenzenlosigkeit und der Endlosigkeit von Wechselfällen und Differenzen besiegt zurückziehen zu müssen und nicht selbst durch deren Variationen aufgeteilt zu werden. Die Selbst-Variationen des Selbsts im Endlichen, in denen das Mental, das sein Wissen um sein Selbst verliert, verfangen und zerstreut ist, sind dennoch keine Verneinung des Unendlichen, sondern dessen endloser Ausdruck. Nur so haben sie für ihr Dasein Bedeutung, sie haben keinen anderen Grund: Das Unendliche findet, während es eine tiefe Freude über sein grenzenloses Wesen hat, gerade auch an dieser grenzenlosen Selbst-Begrenzung im Universum seine Wonne. Das Göttliche Wesen ist nicht unfähig, zahllose Gestalten anzunehmen. In Seinem Wesen ist Er doch jenseits aller Form und verliert, auch wenn Er die Form annimmt, nicht Seine Göttlichkeit. Vielmehr ergießt Er in sie die ganze Seligkeit Seines Wesens und das Herrliche Seiner Göttlichkeit. Dieses Gold hört nicht deshalb auf, Gold zu sein, weil es sich in alle Arten von Schmuck und in Münzen vieler Währungen und Werte ausprägt. Ebensowenig verliert die Erden-Macht, das Prinzip all dieses gestalteten materiellen Daseins, ihre unveränderliche Göttlichkeit, weil sie sich in bewohnbare Welten ausformt, in Berge und Täler verausgabt und in die Werkzeuge von Herd und Haushalt oder als hartes Metall in Waffen und Maschinen gestalten läßt. Die Materie – selbst Substanz, subtil oder dicht, mental oder materiell – ist Gestalt und Körper des Geistes. Sie wäre nie erschaffen worden, könnte sie nicht zur Grundlage für den Selbst-Ausdruck des Geistes gemacht werden. Die scheinbare Unbewußtheit des materiellen Universums enthält dunkel in sich alles, was in dem lichtvollen Überbewußten ewig selbst-enthüllt ist. Dieses in der Zeit zu enthüllen, ist die allmähliche und beabsichtigte tiefe Freude der Natur und das Ziel ihrer Zyklen.

Es gibt aber noch andere Auffassungen von Wirklichkeit, andere Begriffe von der Natur des Wissens, die wir erwägen müssen. Da ist die Ansicht, daß alles, was existiert, eine subjektive Schöpfung des Mentals, eine Konstruktion des Bewußtseins ist. Die Vorstellung von einer objektiven, selbst-seienden Wirklichkeit, unabhängig vom Bewußtsein, sei eine Illusion, da wir keinen Beweis für solch ein unabhängiges Selbst-Sein der Dinge hätten und haben könnten. Diese Art der Betrachtung mag zu der Behauptung führen, das schöpferische Bewußtsein sei die einzige Wirklichkeit, oder zur Leugnung alles Daseins und zur Behauptung, ein Nicht-Sein oder ein nicht-bewußter Nullpunkt seien die einzige Wirklichkeit. Denn in solcher Auffassung haben die vom Bewußtsein konstruierten Gegenstände keine ursprüngliche Wirklichkeit, sind sie vielmehr reine Konstruktionen. Selbst das Bewußtsein, das sie konstruiert, sei nur ein Strom von Wahrnehmungen, die den Anschein von Verbundenheit und Dauer annehmen und das Empfinden einer kontinuierlichen Zeit erschaffen. In Wirklichkeit hätten diese Dinge aber keine haltbare Grundlage, da sie nur ein Schein von Wirklichkeit seien. Das würde bedeuten: die Wirklichkeit ist ein ewiges Fehlen sowohl allen selbst-bewußten Seins als auch all dessen, das Bewegung des Seins konstituiert. Wissen hieße dann, daß wir aus dem Schein des konstruierten Universums dorthin zurücktreten. Das würde eine doppelte und vollständige Selbst-Vernichtung bedeuten, das Verschwinden des purusha und das Ende oder die Vernichtung von prakriti. Denn bewußte Seele und Natur sind die beiden Begriffe unseres Wesens. Sie umfassen alles, was wir unter Sein verstehen. Die Verneinung beider ist das absolute nirvana. Was wirklich ist, müßte also entweder ein Unbewußtes sein, in dem dieser Strom und diese Strukturen erscheinen, oder ein Überbewußtes jenseits aller Vorstellung von Selbst oder Dasein. Aber diese Anschauung des Universums trifft für die Erscheinung der Dinge nur zu, wenn wir unser vordergründiges Mental als das Ganze des Bewußtseins auffassen. Als Beschreibung des Wirkens dieses Mentals ist sie zutreffend. Hier sieht zweifellos alles aus wie der Strom und die Konstruktion eines unbeständigen Bewußtseins. Sie kann aber nicht als Darstellung des Seins im Ganzen gelten, wenn es eine größere und tiefere Selbst- und Welt-Erkenntnis gibt, ein Wissen durch Identität, ein Bewußtsein, für das ein solches Wissen normal ist, und ein Wesen, für das dieses Bewußtsein das ewige Selbst-Innesein ist. Denn dann können für dieses Bewußtsein und dieses Wesen das Subjektive und das Objektive zugleich wirklich und innerlich gewiß sein. Beide können etwas seiner selbst sein, Charakterzüge seiner Identität, die seine Existenz verbürgen.

Wenn andererseits das konstruierende Mental oder Bewußtsein wirklich und die einzige Wirklichkeit ist, könnte das Universum materieller Wesen und Gegenstände zwar Existenz haben. Diese wäre aber dann rein subjektiv-strukturell, vom Bewußtsein aus sich selbst hergestellt, durch es aufrechterhalten, um sich bei ihrem Verschwinden wieder in dieses aufzulösen. Denn es gibt sonst nichts, kein wesenhaftes Sein oder Seiendes, das die schöpferische Macht unterstützt. Andererseits gibt es aber auch kein sie erhaltendes Leeres oder Nichts. Also muß dieses Bewußtsein, das alles erschafft, selbst ein Sein oder eine Substanz haben oder sein. Wenn es Strukturen herstellen kann, müssen sie Konstruktionen aus seiner eigenen Substanz, Formen aus seinem eigenen Sein sein. Ein Bewußtsein, das nicht dasjenige eines Seienden oder nicht selbst ein Seiendes ist, muß unwirklich sein, die wahrnehmende Kraft eines Leeren oder in einem Leeren, die dort unwirkliche Konstruktionen herstellt, die aus Nichts gefertigt sind, – eine Erklärung, die man nicht leicht akzeptieren kann, es müßten denn alle anderen als ungültig erwiesen werden. So wird klar, daß das, was wir als Bewußtsein sehen, ein Wesen oder ein Seiendes sein muß, aus dessen Bewußtseinsstoff alles erschaffen ist.

Wenn wir so zur zweieinigen oder dualen Wirklichkeit von Wesen und Bewußtsein zurückgehen, können wir entweder mit dem Vedanta ein einziges ursprüngliches Wesen annehmen oder mit dem Sankhya eine Vielzahl von Wesen, denen ein Bewußtsein oder irgendeine Energie, der wir Bewußtsein beilegen, seine Konstruktionen darbringt. Wenn allein eine Vielzahl getrennter ursprünglicher Wesen wirklich ist, muß, da jedes in seinem eigenen Bewußtsein seine eigene Welt sein oder erschaffen würde, der Schwierigkeit Rechnung getragen werden, die hinsichtlich ihrer Beziehungen in einem einzigen identischen Universum besteht. Es muß ein einziges Bewußtsein oder eine einzige Energie geben, entsprechend der Sankhya-Vorstellung von einer einzigen prakriti, die das Feld der Erfahrung für viele gleiche purushas ist, worin sie einander treffen in einem identischen, vom Mental konstruierten Universum. Diese Theorie von den Dingen hat den Vorteil, daß sie der Menge der Seelen und der Menge der Dinge Rechnung trägt, und ebenso auch ihrer Erfahrung vom Einssein in der Vielfalt, während sie zugleich das gesonderte spirituelle Wachstum und Schicksal des individuellen Wesens in Betracht zieht. Wenn wir aber das Eine Bewußtsein oder die Eine Energie voraussetzen können, die eine Vielfalt von Formen ihrer selbst erschafft und in ihrer Welt eine Vielzahl von Wesen unterbringt, besteht keine Schwierigkeit, auch ein einziges ursprüngliches Wesen anzunehmen, das eine Vielheit von Wesen trägt und erhält oder sich darin ausdrückt, Seelen oder spirituelle Mächte seines Einsseins. Daraus würde auch folgen, daß alle Gegenstände und alle Gestaltungen des Bewußtseins Formen des Wesens sind. Dann muß man fragen, ob diese Pluralität und diese Gestaltungen Wirklichkeiten des einen Wirklichen Seins sind oder nur stellvertretende Personen und Leitbilder oder Symbole oder Werte, die vom Mental erschaffen wurden, um Es zu repräsentieren. Das würde weithin davon abhängen, ob dabei nur das Mental, wie wir es kennen, tätig ist oder ein tieferes und größeres Bewußtsein, dem das Mental nur Instrument im Vordergrund, ausführende Instanz seiner Anregungen ist, Medium seiner Manifestationen. Ist es das erstere, kann das vom Mental geschaute und konstruierte Universum nur subjektive, symbolische oder repräsentative Wirklichkeit besitzen. Ist es aber letzteres, können das Universum und seine natürlichen Wesen und Gegenstände wahre Wirklichkeiten des Einen Seins, Formen oder Mächte seines Wesens sein, die durch seine Wesens-Kraft manifestiert werden. Dann wäre das Mental nur der Interpret zwischen der universalen Wirklichkeit und den Manifestationen seiner schöpferischen Bewußtseins-Kraft, shakti, prakriti, maya.

Es ist klar, daß ein Mental von der Art unserer vordergründigen Intelligenz nur eine sekundäre Macht des Seins sein kann. Trägt sie doch den Stempel der Unfähigkeit und Unwissenheit als Zeichen dafür, daß sie etwas Abgeleitetes und nicht die ursprüngliche Schöpferin ist. Wir sehen, daß sie die Gegenstände, die sie beobachtet, weder erkennt noch versteht. Sie hat nicht automatisch Herrschaft über sie. Das Mental muß erst mit vieler Mühe konstruiertes Wissen und kontrollierende Macht erwerben. Diese ursprüngliche Unfähigkeit des Mentals wäre nicht vorhanden, wenn die Gegenstände seine eigenen Konstruktionen wären, Schöpfungen der Macht seines Selbsts. Vielleicht ist das deshalb so, weil das individuelle Mental nur vordergründige Macht und abgeleitetes Wissen besitzt, während es ein universales Mental gibt, das vollständig, mit Allwissenheit und Allmacht ausgestattet ist. Der Charakter des Mentals jedoch, das wir kennen, ist Unwissenheit, die nach Wissen sucht. Es erkennt nur Bruchteile. Es arbeitet mit Teilungen, um durch sie zur Summe zu gelangen und so ein Ganzes zusammenzusetzen. Es besitzt nicht das Wesen der Dinge oder ihre Totalität. Ein universales Mental gleichen Charakters könnte die Summe seiner Teilungen kraft seiner Universalität wissen, doch würde ihm noch das essentielle Wissen fehlen, ohne das es kein wahrhaft integrales Wissen geben kann. Würde ein Bewußtsein das wesenhafte und vollständige Wissen besitzen, das von der Essenz zum Ganzen und vom Ganzen zu den Teilen schreitet, so wäre das nicht mehr ein Mental, sondern ein vollkommenes Wahrheits-Bewußtsein, das automatisch im Besitz der ursprünglichen Erkenntnis des Selbsts und der Welt ist. Von dieser Basis aus müssen wir die subjektive Betrachtung der Wirklichkeit sehen. Es ist wahr, es gibt nicht so etwas wie eine objektive Wirklichkeit, die vom Bewußtsein unabhängig wäre. Zugleich liegt aber auch in der Objektivität Wahrheit. Diese besteht darin, daß die Wirklichkeit der Dinge in etwas begründet ist, das in ihrem Innern existiert und unabhängig ist von der Interpretation, die unser Mental ihnen gibt, und von den Konstruktionen, die dieses auf seiner Beobachtung errichtet. Diese Strukturen konstituieren das subjektive Bild oder die subjektive Form des Universums im Mental. Doch sind das Universum und seine Gegenstände nicht nur ein Bild oder eine Form. In ihrem Wesen sind sie Schöpfungen des Bewußtseins, jedoch eines Bewußtseins, das eines ist mit dem Seienden, dessen Substanz die Substanz des Seienden ist und dessen Schöpfungen auch aus dieser Substanz bestehen und darum wirklich sind. Von diesem Gesichtspunkt aus kann die Welt nicht nur eine rein subjektive Schöpfung des Bewußtseins sein. Die subjektive und die objektive Wahrheit der Dinge sind beide wirklich; sie sind zwei Seiten der gleichen Wirklichkeit.

In gewissem Sinne sind, um die entsprechenden und suggestiven Ausdrücke unserer Sprache zu gebrauchen, alle Dinge die Symbole, durch die wir Zugang zu Jenem suchen und uns ihm nahen müssen, durch das wir und die Dinge existieren. Die Unendlichkeit der Einheit ist das eine Symbol, die Unendlichkeit der Vielheit das andere. Da nun wiederum jedes Ding in der Vielheit auf die Einheit zurückverweist und jedes Ding, das wir endlich nennen, eine repräsentative Gestalt, die Form-Vorderseite, Silhouette, das Schattenbild eines Unendlichen ist, sind auch alle Dinge, die sich im Universum in begrenzter Form zeigen -alle seine Objekte, Geschehnisse, Ideen-Gestaltungen und Lebens-Gebilde – jedes in seiner Art ein verschlüsselter Hinweis und ein Symbol. Für unser subjektives Mental ist die Unendlichkeit des Seins ein Symbol, die Unendlichkeit des Nicht-Seins ein anderes Symbol. Die Unendlichkeit des Unbewußten und die Unendlichkeit des Überbewußten sind die beiden Pole der Manifestation des absoluten parabrahman. Unser Dasein zwischen diesen beiden Polen und unser Übergang vom einen zum anderen sind ein fortschreitendes Erfassen, eine ständige Interpretation und ein subjektiver Vorgang, durch den wir in uns diese Manifestation des Nichtoffenbaren aufbauen. Durch solche Entfaltung unseres Selbst-Seins sollen wir zum Bewußtsein seiner unaussprechlichen Gegenwart und unseres Selbsts, der Welt und all dessen kommen, das ist, sowie all dessen, das nicht ist, als der Enthüllung von etwas, das sich selbst niemals irgendeinem anderen gegenüber enthüllt als seinem eigenen ewigen und absoluten Selbst-Licht.

Aber diese Art, die Dinge zu betrachten, gehört zur Tätigkeit des Mentals, das die Beziehung zwischen dem Seienden und dem äußeren Werden interpretiert. Sie ist gültig als kraftvolle mentale Darstellung, die einer gewissen Wahrheit der Manifestation entspricht, aber dem Vorbehalt unterliegt, daß die symbolischen Werte der Dinge diese Dinge selbst nicht zu bloß bedeutungsvollen Rechnungseinheiten, zu abstrakten Symbolen wie mathematischen Formeln und anderen Zeichen machen, die vom Mental zur Erkenntnis verwendet werden. Denn Formen und Ereignisseim Universum sind Wirklichkeiten, die bedeutungsvoll sind für die Wirklichkeit. Sie sind Selbst-Ausdruck von Jenem, Bewegungen und Mächte des Seienden. Jede Gestaltung ist deshalb da, weil sie Ausdruck einer Macht von Jenem ist, das sie bewohnt. Jedes Ereignis ist eine Bewegung in dem Vorgang, durch den eine gewisse Wahrheit des Wesens in seinem dynamischen Prozeß der Manifestation herausgearbeitet wird. Diese Bedeutung ist es, die der interpretierenden Erkenntnis des Mentals und seiner subjektiven Konstruktion des Universums Gültigkeit verleiht. Unser Mental ist in erster Linie Beobachter, Interpret. In zweiter Linie und in abgeleitetem Sinn ist es Schöpfer. Tatsächlich ist dies der Wert aller mentalen Subjektivität, daß sie in sich eine gewisse Wahrheit des Wesens reflektiert, das unabhängig von der Reflexion existiert, einerlei, ob sich die Unabhängigkeit als physische Objektivität oder als supraphysische Realität darbietet, die vom Mental wahrgenommen wird, aber für die physischen Sinne nicht wahrnehmbar ist. Das Mental ist also nicht der ursprüngliche Konstrukteur des Universums. Es ist eine vermittelnde Macht, die gültig ist für gewisse Aktualitäten des Wesens. Als ein Agent, ein Vermittler, macht es Möglichkeiten wirklich und hat so seinen Anteil an der Schöpfung. Der wirkliche Schöpfer ist aber ein Bewußtsein, eine Energie, die ursprünglich dem transzendenten und kosmischen Geist innewohnt.

Es gibt eine genau entgegengesetzte Betrachtung der Wirklichkeit und des Wissens, die die objektive Wirklichkeit als die einzig völlige Wahrheit und das objektive Wissen als die einzig verläßliche Erkenntnis behauptet. Diese Betrachtung geht von der Idee aus, daß das physische Dasein das einzige fundamentale Dasein ist. Bewußtsein, Mental, Seele oder Geist werden auf die Position eines vorübergehenden Ergebnisses der physischen Energie in ihrem kosmischen Wirken verwiesen – falls Seele oder Geist überhaupt irgendwie existieren. Alles, was nicht physisch und objektiv ist, besitzt eine geringere Wirklichkeit, die vom Physischen und Objektiven abhängt Es muß sich dem physischen Mental gegenüber durch objektive Evidenz oder durch eine erkennbare und beweisbare Beziehung zur Wahrheit der physischen und äußeren Dinge rechtfertigen, bevor man ihm einen Paß auf Wirklichkeit ausstellen kann. Es ist aber evident, daß diese Lösung in ihrer Starrheit nicht annehmbar ist, da sie in sich keine Vollständigkeit besitzt, sondern nur auf eine Seite des Daseins schaut, ja, nur auf eine einzige Provinz oder einen einzigen Bezirk des Daseins und alles übrige unerklärt läßt, weil ihm keine ursprüngliche Wirklichkeit und keine Bedeutung innewohne. Wenn man das bis zu seinem Extrem verfolgt, würde diese Anschauung einem Stein oder einem Plumpudding die größere Wirklichkeit zusprechen, dem Denken, der Liebe, dem Mut, dem Genie, der Größe der Seele und dem Mental der Menschen, die einer dunklen und gefährlichen Welt gegenüberstehen und ihr gegenüber Meisterschaft erlangen, eine geringere oder abhängige Wirklichkeit oder sogar nur eine substanzlose oder verschwindende Realität. Denn in dieser Anschauung sind die Dinge, die für unsere subjektive Betrachtung so groß sind, nur gültig als Reaktionen eines objektiven materiellen Wesens auf ein objektives materielles Sein. Sie sind nur insofern gültig, als sie es mit objektiven Wirklichkeiten zu tun haben und auf diese effektiv einwirken. Die Seele ist, wenn sie überhaupt existiert, nur die Begleiterscheinung einer objektiv wirklichen Welt-Natur. Im Gegensatz dazu könnte man aber auch behaupten, das Objektive erhalte seinen Wert überhaupt nur insofern, als es eine Beziehung zur Seele hat. Es ist ein Feld, eine Gelegenheit, ein Mittel für den Fortschritt der Seele in der Zeit. Das Objektive ist als Grundlage des Subjektiven zu seiner Manifestation erschaffen. Die objektive Welt ist nur eine äußere Form für das Werden des Geistes. Sie ist hier eine erste Form, eine Basis, aber nicht das Wesenhafte, nicht die Haupt-Wahrheit des Seienden. Das Subjektive und das Objektive sind zwei notwendige Seiten der manifestierten Wirklichkeit und von gleichem Wert. Im Bereich des Objektiven an sich hat das supraphysische Objekt des Bewußtseins ebensoviel Recht, anerkannt zu werden, wie die physische Objektivität. Es darf nicht a priori als subjektive Täuschung oder Halluzination beiseitegeschoben werden.

Tatsächlich sind Subjektivität und Objektivität keine unabhängigen Wirklichkeiten; sie hängen voneinander ab. Sie sind das Seiende, das als Subjekt durch das Bewußtsein auf sich als auf das Objekt schaut, und dasselbe Seiende, das sich als Objekt seinem eigenen Bewußtsein als Subjekt darbietet. Die mehr partielle Anschauung gesteht keiner Sache substantielle Wirklichkeit zu, die nur im Bewußtsein existiert, oder, um es genauer auszudrücken, keiner Sache, für die nur das innere Bewußtsein oder der innere Sinn Zeugnis ablegen, für die aber die äußeren physischen Sinne keine Grundlage liefern oder sie nicht als substantiell erweisen. Die äußeren Sinne können aber nur dann ein verläßliches Zeugnis liefern, wenn sie ihre Darstellung des Gegenstandes dem Bewußtsein vorlegen, wenn dieses Bewußtsein ihrem Bericht eine Bedeutung beilegt, der äußerlichen Darstellung seine innere intuitive Interpretation hinzufügt und diese durch begründete Zustimmung rechtfertigt. Denn das Zeugnis der Sinne ist an sich unvollkommen, keineswegs verläßlich und gewiß nicht endgültig, da es unvollständig und stets dem Irrtum unterworfen ist. Tatsächlich haben wir kein anderes Mittel, das objektive Universum zu erkennen, als unser subjektives Bewußtsein, für das die physischen Sinne Werkzeuge sind. So wie die Welt aber nicht nur diesem Bewußtsein, sondern in diesem erscheint, so ist es auch bei uns. Wenn wir der Aussage dieses universalen Zeugen in Bezug auf subjektive oder supraphysische Objektivitäten die Wirklichkeit bestreiten, gibt es auch keinen ausreichenden Grund, seiner Aussage hinsichtlich physischer Objektivitäten Wirklichkeit zuzugestehen. Wenn die inneren und die supraphysischen Objekte des Bewußtseins unwirklich sind, hat auch das objektive physische Universum alle Aussicht, unwirklich zu sein. In jedem Fall sind Verstehen, Unterscheiden, Nachprüfen notwendig. Es müssen aber das Subjektive und das Supraphysische eine andere Methode der Nachprüfung verwenden als jene, die wir mit Erfolg auf das Physische und äußerlich Objektive anwenden. Subjektive Erfahrung kann nicht dem Zeugnis der äußeren Sinne unterworfen werden. Sie hat eigene Maßstäbe für ihr Schauen und besitzt ihre eigene Methode der Nachprüfung. Ebenso können die supraphysischen Wirklichkeiten ihrem Charakter nach nicht dem Urteil des physischen oder des Sinnen-Mentals unterworfen werden, es sei denn, sie projizieren sich ins Physische. Aber selbst dann ist ihr Urteil oft nicht kompetent oder darf nur mit Vorsicht angenommen werden. Sie können nur durch andere Sinne und durch eine Methode der Untersuchung und Bestätigung verifiziert werden, die auf ihre eigene Wirklichkeit, auf ihre eigene Natur anwendbar ist

Es gibt verschiedene Ordnungen der Wirklichkeit. Die objektive und physische ist nur eine von ihnen. Sie wirkt überzeugend auf das physische oder das nach außen gerichtete Mental, da sie für die Sinne unmittelbar einleuchtend ist, während dieses Mental für das Subjektive und das Supraphysische keine Erkenntnismittel außer fragmentarischen Zeichen, Daten und indirekten Schlüssen besitzt, die aber bei jedem Schritt dem Irrtum ausgesetzt sind. Unsere subjektiven Vorgänge und inneren Erfahrungen sind ein Bereich von Geschehnissen, die ebenso wirklich sind wie irgendwelche äußeren physischen Geschehnisse. Während aber das individuelle Mental von seinen eigenen Phänomenen etwas durch unmittelbare Erfahrung wissen kann, bleibt es unwissend hinsichtlich dessen, was im Bewußtsein anderer Menschen vor sich geht, außer wenn es durch Analogie mit seiner eigenen Erfahrung oder aufgrund solcher Zeichen, Daten oder indirekten Schlüsse urteilt, die ihm seine äußere Beobachtung liefern kann. Darum bin ich in meinem Innern mir selbst gegenüber wirklich. Aber das unsichtbare Leben anderer hat für mich nur mittelbare Wirklichkeit abgesehen davon, inwieweit es auf mein eigenes Mental, mein Leben und meine Sinne einwirkt. Das ist die Beschränkung des physischen Mentals des Menschen. Es schafft in ihm die Gewohnheit, nur das Physische für wirklich zu halten und altes anzuzweifeln oder infrage zu stellen, was nicht im Einklang steht mit der eigenen Erfahrung und dem Horizont seines Verstehens oder was nicht übereinstimmt mit seinem Standard oder der Summe seines fest erworbenen Wissens.

Diese im Ich zentrierte Haltung ist in jüngster Zeit zum gültigen Maßstab der Erkenntnis erhoben worden. Man hat implizite oder ausdrücklich das Axiom aufgestellt, alle Wahrheit müsse dem Urteil des personalen Mentals, der Vernunft und Erfahrung von jedermann unterworfen werden, oder sie müsse vor einer allgemeinen oder universalen Erfahrung sonstwie bewiesen oder zumindest beweisbar sein, um als solche gelten zu können. Offensichtlich ist das aber ein falscher Maßstab für Wirklichkeit und Erkenntnis, da das die Souveränität des normalen oder durchschnittlichen Mentals und seiner begrenzten Begabung und Erfahrung sowie die Ausschließung all dessen bedeutet, was übernormal ist oder jenseits der durchschnittlichen Intelligenz liegt. Im Extrem ist dieser Anspruch des Individuums, Richter über alles zu sein, eine ichhafte Illusion, ein Aberglaube des physischen Mentals. In der Masse ist es ein grober, vulgärer Irrtum. Was dahinter steht, ist die Wahrheit, daß jeder Mensch, entsprechend seiner Fähigkeit, für sich selbst denken und für sich selbst erkennen muß. Sein Urteil kann aber nur unter der Bedingung gültig sein, daß er bereit ist, zu lernen und sich für eine immer umfassendere Erkenntnis zu öffnen. Man kann als Grund angeben, daß es zu groben Täuschungen kommen werde und man unbestätigte Wahrheit und subjektive Phantasie in den Bereich des Wissens eindringen lasse, wenn man vom physischen Maßstab und vom Grundsatz einer persönlichen oder universalen Überprüfung abweiche. Aber Irrtum und Illusion sind immer ebenso gegenwärtig wie das Eindringen des Persönlichen und der eigenen Subjektivität in das Suchen nach Erkenntnis. Die physischen oder objektiven Maßstäbe und Methoden schließen diese nicht aus. Die Wahrscheinlichkeit von Irrtum ist kein Grund dafür, den Versuch zur Entdeckung abzulehnen. Subjektive Entdeckung muß aber durch eine subjektive Methode des Forschens, der Beobachtung und Nachprüfung betrieben werden. Eine Erforschung des Supraphysischen muß geeignete Mittel und Methoden entwickeln, anwenden und erproben, die anders sind als jene, durch die man die Bestandteile physischer Objekte und Prozesse von Energie in der materiellen Natur untersucht.

Forschung aufgrund einer allgemeinen vorgefaßten Begründung abzulehnen, ist ein Obskurantismus, der für die Ausweitung der Erkenntnis ebenso schädlich ist wie es der religiöse Obskurantismus war, der sich in Europa der Ausweitung der wissenschaftlichen Entdeckung entgegenstellte. Die bedeutendsten inneren Entdeckungen können nicht vor den Richterstuhl der allgemeinen Mentalität gestellt werden, nämlich die Erfahrung des Selbst-Seins, das kosmische Bewußtsein, die innere Stille des befreiten Geistes, die unmittelbare Einwirkung von Mental auf Mental, die Erkenntnis der Dinge durch das Bewußtsein in innerem Kontakt mit einem anderen Bewußtsein oder mit seinen Gegenständen, ebenso wie die meisten irgendwie wertvollen spirituellen Erfahrungen. Davon hat diese allgemeine Mentalität keine Erfahrung und nimmt ihren eigenen Mangel an solcher Erfahrung oder ihre Unfähigkeit dazu als Beweis dafür, daß diese keine Geltung habe oder nicht existiere. Physische Wahrheit oder Formeln, Verallgemeinerungen und Entdeckungen, die auf physischer Beobachtung gegründet sind, können wohl vorgebracht werden; aber auch hier ist eine Ausbildung der Fähigkeit notwendig, bevor man wirklich verstehen und urteilen kann. Es kann doch auch nicht jeder unausgebildete Verstand der Relativitätstheorie oder anderen schwierigen wissenschaftlichen Wahrheiten folgen oder die Gültigkeit ihres Ergebnisses oder ihres Verfahrens beurteilen. Jede Wirklichkeit, jede Erfahrung muß, um als wahr gelten zu können, in der Tat der Nachprüfung durch eine gleiche oder ähnliche Erfahrung zugänglich sein. So können tatsächlich alle Menschen eine spirituelle Erfahrung machen, sie bis in ihre Konsequenzen verfolgen und sie in sich selbst als wahr bestätigen. Das ist jedoch nur möglich, wenn sie die Fähigkeit dazu erworben haben oder die inneren Methoden befolgen können, durch die diese Erfahrung und Bestätigung möglich gemacht werden. Wir müssen einen Augenblick bei diesen offensichtlichen und elementaren Wahrheiten verweilen, weil in letzter Zeit die entgegengesetzten Ideen uneingeschränkt geherrscht – sie weichen jetzt nur zurück – und der möglichen Entwicklung eines großen Erkenntnisbereiches den Weg versperrt haben. Für den menschlichen Geist ist es von größter Bedeutung, frei zu sein, um die Tiefen der inneren oder subliminalen Wirklichkeit, des Spirituellen und dessen, was noch überbewußte Wirklichkeit ist, zu erforschen und sich nicht in das physische Mental und seinen engen Bezirk objektiver äußerer, harter Fakten einzumauern. Denn nur auf diese Weise kann es zu einer Befreiung von der Unwissenheit kommen, in der unsere Mentalität steckt. Nur so können wir frei werden für ein vollständiges Bewußtsein, eine wahre und vollständige Selbstverwirklichung und -erkenntnis.

Vollständige Erkenntnis verlangt, daß wir alle möglichen Bereiche von Bewußtsein und Erfahrung erforschen und enthüllen. Denn es gibt subjektive Bereiche unseres Wesens, die hinter der offenkundigen Vorderseite liegen. Diese müssen in ihrer Tiefe erforscht werden. Alles, was als gesichert erwiesen ist, müssen wir innerhalb des Horizonts der totalen Wirklichkeit zulassen. Ein innerer Bereich von spiritueller Erfahrung ist einer der großen Bezirke des menschlichen Bewußtseins. Wir sollen in ihn eindringen bis in die tiefsten Tiefen und weitesten Weiten. Das Supraphysische ist ebenso wirklich wie das Physische. Es zu erkennen, ist Teil vollständigen Wissens. Man hat die Erkenntnis des Supraphysischen mit Mystizismus und Okkultismus zusammengebracht und den Okkultismus als Aberglauben und phantastischen Irrtum verfehlt. Das Okkulte ist aber ein Teil des Seins. Wahrer Okkultismus bedeutet nichts weiter, als daß man die supraphysischen Wirklichkeiten erforscht und die verborgenen Gesetze des Seienden und der Natur und all dessen enthüllt, das nicht oberflächlich zutage liegt. Er bemüht sich um die Entdeckung der verborgenen Gesetze des Mentals und der mentalen Energie, der geheimen Gesetze des Lebens und der Lebens-Energie, der verborgenen Gesetze des Subtil-Physischen und seiner Energien, – all dessen, was die Natur nicht in ein sichtbares Verfahren an die Oberfläche herausgestellt hat. Er versucht auch, diese verborgenen Wahrheiten und Mächte der Natur anzuwenden, um dadurch die Herrschaft des menschlichen Geistes über die gewöhnlichen Funktionen des Mentals, die gewöhnlichen Prozesse des Lebens und die gewöhnlichen Abläufe unseres physischen Daseins hinaus auszudehnen.

Im spirituellen Bereich, der für das vordergründige Mental insoweit verborgen ist, als er über das Normale hinausgeht und in die übernormale Erfahrung hineinreicht, kann man nicht nur das Selbst und den Geist entdecken, sondern auch das uns emporhebende, informierende und lenkende Licht des spirituellen Bewußtseins und der Macht des Geistes, die spirituelle Art des Erkennens und des Handelns. Diese Dinge zu wissen und ihre Wahrheiten und Kräfte in das Leben der Menschheit einzubringen, ist notwendiger Teil seiner Evolution. Wissenschaft ist auf ihre Art Okkultismus, bringt sie doch die Formeln ans Licht, die die Natur verborgen hat, und verwendet ihre Erkenntnis, um Kräfte freizusetzen, die sie nicht in ihre gewöhnlichen Verfahren einbezogen hat, um sie zu organisieren und ihre geheimen Mächte und Prozesse in den Dienst der Menschen zu stellen, ein immenses System von physischer Magie, denn es gibt keine andere – und kann keine geben – als die Verwendung geheimer Wahrheiten des Seienden, geheimer Mächte und Prozesse der Natur. Man mag sogar finden, daß eine supraphysische Kenntnis notwendig ist, um das physische Wissen zu vervollständigen, da die Abläufe der physischen Natur einen supraphysischen Faktor, eine mentale, vitale oder spirituelle Macht und Aktivität hinter sich haben, an die wir durch irgendwelche äußeren Mittel der Erkenntnis nicht herankommen können.

Aller Nachdruck, der auf die alleinige oder die fundamentale Gültigkeit des objektiv Wirklichen gelegt wird, geht von dem Empfinden aus, Materie sei die grundlegende Wirklichkeit. Es ist aber jetzt klar, daß Materie keineswegs fundamental wirklich ist. Sie ist ein Gefüge von Energie. Es wird sogar ein wenig zweifelhaft, ob das Wirken und die Schöpfungen dieser Energie an sich anders erklärlich sind denn als Bewegungen der Macht eines verborgenen Mentals oder Bewußtseins, dessen Formeln ihre Prozesse und Bau-Stufen sind. Es ist deshalb nicht länger möglich, Materie als die einzige Wirklichkeit anzunehmen. Die materielle Erklärung des Daseins war das Ergebnis einer exklusiven Konzentration, einer voreingenommenen Beschäftigung mit nur einer Bewegung des Seins. Solch eine exklusive Konzentration hat ihren Nutzen und ist deshalb auch zulässig. In jüngster Zeit wurde sie durch die vielen ins Große und die zahllosen ins Kleinste gehenden Entdeckungen der Physik gerechtfertigt. Aber eine Lösung des ganzen Problems des Daseins kann nicht auf eine exklusive einseitige Erkenntnis gegründet werden. Wir müssen nicht nur wissen, was Materie ist und was ihre Prozesse sind, sondern auch was Mental und Leben und deren Prozesse sind. Und man muß auch Geist und Seele und all das erkennen, was hinter der materiellen Oberfläche liegt. Nur dann können wir ein Wissen besitzen, das für eine Lösung des Problems vollständig genug ist. Aus demselben Grund bieten auch jene Ansichten vom Dasein, die ausschließlich oder vorwiegend Mental und Leben betonen und als die einzige fundamentale Wirklichkeit ansehen, keine genügende Voraussetzung für ihre Anerkennung. Eine solche Bevorzugung durch ausschließende Konzentration mag zu einer fruchtbaren Forschung führen, die viel Licht auf Mental und Leben wirft, kann aber nicht im Ergebnis zu einer umfassenden Lösung des Problems führen. Es kann wohl sein, daß ausschließliche oder vorwiegende Konzentration auf das subliminale Wesen, die das vordergründige Dasein als ein bloßes System von Symbolen ansieht, um die einzige Wirklichkeit des Subliminals auszudrücken, helles Licht auf das Subliminal und seine Prozesse wirft und die Mächte des menschlichen Wesens sehr weit ausdehnt. Aber das wäre an sich noch keine vollständige Lösung; es würde uns nicht erfolgreich zum integralen Wissen von der Wirklichkeit führen. In unserer Schau ist der Geist, das Selbst, die fundamentale Wirklichkeit des Seins. Aber eine ausschließliche Konzentration auf diese fundamentale Wirklichkeit, die die Wirklichkeit von Mental, Leben oder Materie ausschließt, ausgenommen deren Betrachtung als etwas dem Selbst Aufgezwungenes oder als substanzlose Schatten des Geistes, könnte zu einer unabhängigen und radikalen spirituellen Realisation verhelfen, nicht aber zu einer integralen und gültigen Erkenntnis der Wahrheit des kosmischen und individuellen Seins.

Vollständiges Wissen muß also eine Erkenntnis der Wahrheit aller Seiten des Seins sein, jedes getrennt für sich und in der Beziehung zu den anderen und ebenso der Beziehung aller zur Wahrheit des Geistes. Unser gegenwärtiger Zustand ist Unwissenheit und ein Suchen nach vielen Seiten. Wir suchen nach der Wahrheit aller Dinge. Es muß aber -wie ersichtlich ist, aus dem Drängen und der Vielartigkeit der Spekulationen des menschlichen Mentals über die fundamentale Wahrheit, die alle übrigen Wahrheiten erklärt, und über die Wirklichkeit, die allen Dingen zugrundeliegt – diese fundamentale Wahrheit der Dinge und die ihnen zugrundeliegende Wirklichkeit in einem Wirklichen gefunden werden, das zugleich fundamental und universal ist. Wenn dies entdeckt ist, muß es alles umfassen und erklären, denn: “Wenn Jenes erkannt ist, wird alles erkannt sein.” Notwendigerweise ist das fundamental Wirkliche und enthält es in sich die Wahrheit alles Seins, die Wahrheit des Individuums, die Wahrheit des Universums und die Wahrheit von allem, was jenseits des Universums ist. Wenn das Mental nach solch einer Wirklichkeit sucht und jedes Ding von der Materie aufwärts prüft, um zu sehen, ob es nicht Dieses sein könnte, ist es seinen Weg nicht dank falscher Intuition gegangen. Allein notwendig ist nun, das Forschen bis zu seinem Ziel zu bringen und die höchsten und äußersten Höhen der Erfahrung zu prüfen.

Da wir von der Unwissenheit zum Wissen voranschreiten, mußten wir zuerst die verborgene Natur und die volle Ausdehnung der Unwissenheit entdecken. Wenn wir auf diese Unwissenheit schauen, in der wir gewöhnlich gerade aufgrund unserer gesonderten Existenz in einem materiellen, in einem räumlichen und zeitlichen Universum leben, sehen wir, daß sich diese auf ihrer verborgenen Seite, von welcher Richtung wir sie auch betrachten oder uns ihr nahen, auf die Tatsache einer vielseitigen Unwissenheit über das Selbst zurückführen läßt: Wir wissen nichts vom Absoluten, das der Ursprung alles Seins und alles Werdens ist. Darum nehmen wir partielle Tatsachen des Seienden und vergängliche Beziehungen des Werdens für die ganze Wahrheit des Seins: Das ist die erste, die ursprüngliche Unwissenheit. Wir wissen nichts von dem raumlosen, zeitlosen, unbeweglichen und unveränderlichen Selbst. Darum nehmen wir die beständige Beweglichkeit und Veränderlichkeit des kosmischen Werdens in Zeit und Raum für die ganze Wahrheit des Seins: Das ist die zweite, die kosmische Unwissenheit. Wir wissen nichts von unserem universalen Selbst, vom kosmischen Sein, dem kosmischen Bewußtsein, von unserer unendlichen Einheit mit allem Seienden und Werden. Darum nehmen wir unsere begrenzte ichhafte Mentalität, Vitalität, Körperlichkeit für unser wahres Selbst und betrachten alles andere als das Nicht-Selbst: Das ist die dritte, die ichhafte Unwissenheit. Wir wissen nichts von unserem ewigen Werden in der Zeit. Darum nehmen wir dieses kleine Leben in einer kleinen Spanne von Zeit, in einem winzigen Feld von Raum, als unseren Anfang, unsere Mitte und unser Ende: Das ist die vierte Unwissenheit, die der Zeit. Gerade innerhalb dieses kurzen, vergänglichen Werdens wissen wir nichts von unserem umfassenden und komplexen Wesen, von dem in uns, was im Verhältnis zu unserem vordergründigen Werden überbewußt, unterbewußt, innenbewußt, umweltbewußt ist. Darum nehmen wir das Werden an der Oberfläche mit seiner kleinen Auswahl von äußeren mentalisierten Erfahrungen für unser ganzes Dasein: Das ist die fünfte, die psychologische Unwissenheit. Wir wissen nichts von der wahren Konstitution unseres Werdens. Darum nehmen wir Mental oder Leben oder Körper oder zwei von diesen oder alle drei für unser wahres Prinzip oder für die ganze Summe dessen, was wir sind: Dabei verlieren wir aus dem Auge, was sie konstituiert, was sie durch seine verborgene Gegenwart bestimmt und was durch sein Hervortreten ihre Wirkweisen uneingeschränkt bestimmen soll: Das ist die sechste, die konstitutionelle Unwissenheit. Als Ergebnis all dieser Unwissenheiten verfehlen wir die wahre Erkenntnis, Lenkung und Freude unseres Lebens in der Welt. Darum wissen wir in unserem Denken und Wollen, in unserem Empfinden und Handeln nichts von den Fragen, die die Welt an uns stellt, und reagieren an jedem Punkt falsch oder unvollkommen auf sie; wir irren umher in einem Labyrinth von Irrtümern und Begehren, von Ringen und Versagen, von Schmerz und Lust, von Sünde und Straucheln, verfolgen einen krummen Weg und tasten blind nach einem wechselnden Ziel: Das ist die siebte, die praktische Unwissenheit.

Unser Begriff von der Unwissenheit wird notwendig unseren Begriff vom Wissen bestimmen und damit auch das Ziel menschlichen Strebens und den Zweck kosmischen Bemühens, da unser Leben die Unwissenheit ist, die zugleich das Wissen leugnet und danach sucht. Integrales Wissen wird also die Aufhebung der siebenfachen Unwissenheit durch die Entdeckung dessen bedeuten, was in ihr verfehlt ist und was sie nicht weiß, nämlich eine siebenfache Offenbarung des Selbsts in unserem Bewußtsein. Das bedeutet: Erkenntnis des Absoluten als des Ursprungs aller Dinge; Wissen vom Selbst, vom Geist, vom Seienden und vom Kosmos als dem Werden des Selbsts, dem Werden des Seienden und einer Manifestation des Geistes; Erkenntnis der Welt als eins mit uns im Bewußtsein unseres wahren Selbsts, wodurch wir unsere Trennung von ihm durch die trennende Idee und das Leben des Ichs aufheben; Erkenntnis unserer psychischen Wesenheit und ihrer unsterblichen Dauer in der Zeit über Tod und Erden-Dasein hinaus; Erkenntnis unseres größeren und inneren Seins hinter unserer Außenseite; Erkenntnis unseres Mentals, Lebens und Körpers in ihrer wahren Beziehung zu dem Selbst im Innern und zum überbewußten spirituellen und supramentalen Wesen über ihnen; schließlich Erkenntnis der wahren Harmonie und des rechten Gebrauchs unseres Denkens, Wollens und Handelns und eine Umwandlung unserer ganzen Natur in einen bewußten Ausdruck der Wahrheit des Geistes, des Selbsts, des Göttlichen Wesens und der vollständigen spirituellen Wirklichkeit.

Das ist aber kein intellektuelles Wissen, das gelernt und in unserer gegenwärtigen Bewußtseins-Form zur Vollendung gebracht werden kann. Es muß eine Erfahrung, ein Werden, eine Umwandlung des Bewußtseins, eine Verwandlung des Wesens sein. Das weist hin auf den evolutionären Charakter des Werdens und auf die Tatsache, daß unsere mentale Unwissenheit nur eine Stufe in unserer Evolution ist. Das integrale Wissen kann also durch eine Evolution unseres Wesens und unserer Natur Zustandekommen. Das bedeutet offenbar einen langsamen Prozeß in der Zeit, wie er die anderen evolutionären Transformationen begleitet hat. Gegen diese Schlußfolgerung steht aber die Tatsache, daß die Evolution jetzt bewußt geworden ist. Ihre Methode und ihre Stufen brauchen keineswegs denselben Charakter zu haben wie bisher, wo sie in ihrem Verlauf unterbewußt war. Da das integrale Wissen aus einer Umwandlung des Bewußtseins hervorgehen muß, kann es durch einen Prozeß gewonnen werden, in dem unser Wille und unsere Anstrengung eine Rolle spielen, in dem sie ihre eigenen Schritte entdecken und ihre Methode anwenden können. Sein Wachsen in uns kann durch bewußte Selbst-Transformation fortschreiten. Notwendig ist also, daß wir sehen, welches wahrscheinlich das Prinzip dieses neuen Prozesses der Evolution ist und welches die Bewegungen des integralen Wesens sind, die zwangsläufig daraus hervorgehen, mit anderen Worten: welches die Art des Bewußtseins ist, das die Basis des göttlichen Lebens bilden muß, und wie dieses Leben gestaltet werden oder sich selbst gestalten mag, wie es sich materialisieren oder, wie man auch sagen könnte, wie es sich “verwirklichen” mag.

Kapitel XVI. Das integrale Wissen und das Ziel des Lebens. Vier Theorien des Daseins

Wenn alles Begehren, das sich ans Herz klammert, von ihm losgelöst ist, wird der Sterbliche unsterblich, besitzt er hier schon das Ewige.

Brihadaranyaka Upanishad, IV, 4.7.

Er wird zum Ewigen und geht fort ins Ewige.

Brihadaranyaka Upanishad, IV, 4. 7.

Dieses körperlose und unsterbliche leben und Licht ist das brahman.

Brihadaranyaka Upanishad, IV, 4.8.

Lang und eng ist der uralte Pfad – ich habe ihn berührt, ich habe ihn gefunden – der Pfad, auf dem die Weisen, die vom Ewigen Wissenden, indem sie zur Erlösung gelangten, von hier fortgehen zur hohen Welt des Paradieses.

Brihadaranyaka Upanishad, IV. 4.8.

Ich bin ein Sohn der Erde, der Boden ist meine Mutter... Möge sie an mich ihren vielfältigen Schatz, ihre geheimen Reichtümer verschwenden... Über deine Schönheit wollen wir sprechen, o Erde, die In deinen Dörfern ist und Wäldern und Versammlungen, in Krieg und Kämpfen.

Atharva Veda, XII, 1.12, 44, 56.

Möge die Erde, souverän über das Vergangene und das Zukünftige, uns eine weite Welt schaffen... Erde, die das Wasser auf dem Ozean war und deren Lauf die Denker folgen durch die Magie ihres Wissens, sie, die ihr Herz von Unsterblichkeit bedeckt hat mit der Wahrheit im höchsten Äther, möge sie uns Licht und Macht in jenem höchsten Reich verschaffen.

Atharva Veda, XII, 1.1,8.

O Flamme, du gründest Tag für Tag den Sterblichen in einer höchsten Unsterblichkeit zur Vermehrung inspirierten Wissens. Für den Seher, den nach der zweifachen Geburt dürstet, erschaffst du göttliche Wonne und menschliche Freude.

Rig Veda, I,31.7.

O Gottheit, hüte für uns das Unendliche und überschütte uns mit dem Endlichen.

Rig Veda, IV, 2. 11

Bevor wir nun die Grundsätze und den Ablauf des evolutionären Aufstiegs des Bewußtseins untersuchen, ist es nötig, nochmals das festzustellen, was unsere Theorie des vollständigen Wissens als fundamentale Wahrheiten der Wirklichkeit und ihrer Manifestation behauptet und was sie als wirksame Charakterzüge und dynamische Aspekte zugibt, aber nicht für eine vollständige Erklärung des Seins und des Universums als ausreichend anerkennen kann. Denn Wahrheit des Wissens muß die Grundlage sein für Wahrheit des Lebens, sie muß das Ziel des Lebens bestimmen. Der evolutionäre Prozeß selbst ist die Entfaltung einer Wahrheit des Seins, die hier in einer ursprünglichen Unbewußtheit verborgen ist, aus ihr herausgestellt durch ein hervortretendes Bewußtsein, das von Stufe zu Stufe seiner Selbst-Entfaltung emporsteigt, bis es in sich die volle Wirklichkeit der Dinge und eine vollständige Selbst-Erkenntnis offenbaren kann. Von der Art jener Wahrheit, von der es ausgeht und die es zu offenbaren hat, muß der Verlauf der evolutionären Entwicklung abhängen, – die Stufen ihres Fortschritts und deren Bedeutung.

Erstens bejahen wir ein Absolutes als den Ursprung, die Stütze und die verborgene Wirklichkeit aller Dinge. Man kann die Absolute Wirklichkeit nicht durch mentales Denken definieren und durch mentale Sprache benennen. Sich gegenüber ist sie selbst-seiend und selbst-bezeugend, wie alle absoluten Dinge selbst-bezeugend sind. Unsere mentalen Bejahungen oder Verneinungen können sie weder begrenzen noch definieren, ob man sie gesondert oder zusammen erklären will. Zugleich gibt es aber ein spirituelles Bewußtsein, ein spirituelles Wissen, eine Erkenntnis durch Identität, durch die man die Wirklichkeit in ihren fundamentalen Aspekten wie in ihren manifestierten Mächten und Gestaltungen begreifen kann. Alles, was ist, gehört in eine solche Beschreibung hinein. Wenn es durch dieses Wissen in seiner eigenen Wahrheit oder in seiner verborgenen Bedeutung geschaut wird, kann es als Ausdruck der Wirklichkeit und selbst als eine Wirklichkeit betrachtet werden. In diesen fundamentalen Aspekten ist diese geoffenbarte Wirklichkeit selbst-seiend. Denn alle zugrundeliegenden Wirklichkeiten bringen etwas heraus, das im Absoluten ewig und ursprünglich wahr ist. Alles jedoch, was nicht fundamental ist, alles Vorübergehende, ist phänomenal, ist Form und Macht, ist abhängig von der Wirklichkeit, die es ausdrückt. Es ist wirklich durch diese und durch seine eigene Wahrheit und Bedeutung, durch die Wahrheit dessen, was es in sich trägt. Ist es doch Jenes und nicht etwas Zufälliges, etwas ohne Grundlage, etwas Illusorisches, kein zwecklos konstruiertes Gebilde. Selbst das, was diese Wahrheit entstellt oder verbirgt – wie die Lüge die Wahrheit entstellt und vermummt, wie der Böse das Gute entstellt und sich damit maskiert hat eine vorübergehende Wirklichkeit als wahre Konsequenzen der Unbewußtheit. Aber diese entgegengesetzten Gestaltungen sind, wenn auch etwas Wirkliches in ihrem eigenen Feld, doch nichts Wesenhaftes. Sie sind nur Zusätze zur Manifestation und dienen ihr als vorübergehende Form oder Macht ihrer Bewegung. Das Universale ist demnach etwas Wirkliches dank des Absoluten, dessen Selbst-Offenbarung es ist. Alles, was es enthält, ist wirklich dank des Universalen, das ihm Form und Gestalt gibt

Das Absolute manifestiert sich in zwei Begriffen, im Sein und im Werden. Das Sein ist die fundamentale Wirklichkeit. Das Werden ist eine wirksame Wirklichkeit: Es ist dynamisch an Macht und Resultat, eine schöpferische Energie, eine Ausarbeitung des Seins, eine beharrliche, jedoch veränderliche Form, Prozeß und Ergebnis seiner unveränderlichen, formlosen Wesenheit. Alle Theorien, die das Werden als etwas für sich selbst Ausreichendes darstellen, sind deshalb nur Halb-Wahrheiten, gültig für eine bestimmte Erkenntnis der Manifestation, die man durch ausschließliche Konzentration auf das gewinnt, was diese Theorien behaupten und ins Auge fassen. Abgesehen davon sind sie aber nur deshalb gültig, weil das Sein vom Werden nicht gesondert, vielmehr in diesem gegenwärtig ist, es konstituiert, und ebenso in seinem winzigsten Atom wie in seiner grenzenlosen Ausbreitung und Ausdehnung enthalten ist. Das Werdende kann sich selbst nur dann völlig erkennen, wenn es sich als ein Seiendes begreift. Im Werden gelangt die Seele zur Erkenntnis des Selbsts und zur Unsterblichkeit, wenn sie den Höchsten und Absoluten erkennt und die Natur des Unendlichen und Ewigen besitzt. Das zu tun, ist höchstes Ziel unseres Daseins, denn es ist die Wahrheit unseres Wesens und muß deshalb auch das ursprüngliche Ziel, das notwendige Ergebnis unseres Werdens sein. Diese Wahrheit unseres Wesens muß notwendigerweise in der Seele manifestiert werden. In der Materie ist sie eine geheime Kraft. Im Leben wird sie zu einem Drang und einer Tendenz, zu Begehren und Suchen. Im Mental ist sie Wille, Ziel, Bemühen und Zweck. Das zu manifestieren, was von Anfang an im Innern verborgen ist, ist die ganze geheime Absicht der evolutionären Natur.

Wir erkennen also die Wahrheit an, die die Philosophien des suprakosmischen Absoluten zur Grundlage nehmen. Der Illusionismus selbst kann, auch wenn wir seine letzten Schlußfolgerungen bestreiten, doch als der Weg angenommen werden, durch den die Seele im Mental, das mentale Wesen, die Dinge in einer spirituell-pragmatischen Erfahrung sehen muß, wenn sie sich vom Werden lostrennt, um sich dem Absoluten zu nahen und darin einzugehen. Aber auch das ist keine vollständige Philosophie des Seins, da das Werden wirklich ist und unvermeidlich in der eigentlichen Selbst-Macht des Unendlichen und Ewigen enthalten sein muß. Für die Seele im Werden ist es möglich, sich selbst als das Seiende zu erkennen und das Werdende zu besitzen. Sie kann sich selbst als ein Unendliches in ihrer Wesenhaftigkeit erkennen aber auch als das Unendliche, das seinen Selbst-Ausdruck im Endlichen findet; und als das zeitlos Ewige, das sich selbst und seine Werke in dem sie begründenden Zustand und in der sich entwickelnden Bewegung von Zeit-Ewigkeit betrachtet. Diese Realisation ist die höchste Höhe des Werdenden. Sie ist die Erfüllung des Seienden in seiner dynamischen Wirklichkeit. Auch das muß also Teil der vollständigen Wahrheit der Dinge sein. Denn das allein verleiht dem Universum volle spirituelle Bedeutung und rechtfertigt die Seele in der Manifestation. Eine Erklärung der Dinge, die das kosmische und das individuelle Dasein jeder Bedeutung beraubt, kann nicht die ganze Erklärung oder jene Lösung sein, die sie als das einzig wahre Ergebnis anbietet.

Weiter behaupteten wir, daß die fundamentale Wirklichkeit des Absoluten für unsere spirituelle Wahrnehmung ein Göttliches Sein ist, ein Bewußtsein und eine Seligkeit des Wesens, die eine selbst-seiende überkosmische Wirklichkeit, aber auch die geheime Wahrheit ist, die aller Manifestation zugrundeliegt. Denn die fundamentale Wahrheit des Seins muß notwendig auch die fundamentale Wahrheit des Werdens sein. Alles ist eine Manifestation von Jenem. Denn Jenes wohnt eben in allem, was seine Gegensätze zu sein scheint. Sein im Verborgenen auf sie ausgeübter Zwang, es zu enthüllen, ist die Ursache der Evolution. Ebenso ein Druck auf die Unbewußtheit, aus sich heraus ihr geheimes Bewußtsein zu entfalten; auf das scheinbar Nicht-Seiende, in ihm selbst das geheime spirituelle Sein zu offenbaren; auf die empfindungslose Neutralität der Materie, eine andersartige Freude am Sein zu entfalten, die wachsen muß, indem sie sich von den untergeordneten Begriffen, den entgegengesetzten Dualitäten von Schmerz und Lust freimacht für die wesenhafte tiefe Daseinsfreude, das spirituelle ananda.

Das Seiende ist eines. Diese Einheit ist aber unendlich und enthält in sich eine unendliche Vielheit oder Vielfalt ihrer selbst: Das Eine ist das All. Es ist nicht nur ein essentielles Sein, sondern ein All-Sein. Die unendliche Vielfalt des Einen und die ewige Einheit der Vielen sind die beiden Wirklichkeiten oder Aspekte einer einzigen Wirklichkeit, auf die sich die Manifestation gründet. Wegen dieser fundamentalen Wahrheit der Manifestation stellt sich das Seiende unserer kosmischen Erfahrung in drei Kräfte-Verhältnissen dar: als das suprakosmische Sein, als der kosmische Geist und als das individuelle Selbst in den Vielen. Die Vielfalt gestattet aber in der Erscheinung eine Zerteilung des Bewußtseins, effektive Unwissenheit, in der die Vielen, die Individuen, aufhören, des ewigen selbst-seienden Einseins inne zu sein. Sie vergessen auch die Einheit des kosmischen Selbsts, in der und durch die sie leben, sich bewegen und ihr Wesen haben. Durch die Kraft der verborgenen Einheit wird aber die Seele im Werden durch ihre eigene unsichtbare Wirklichkeit und durch den verborgenen Druck der evolutionären Natur gezwungen, aus diesem Zustand der Unwissenheit herauszukommen und schließlich das Wissen von dem Einen Göttlichen Wesen und von ihrem Einssein mit ihm wiederzugewinnen. Zugleich erlangt sie ihre spirituelle Einheit mit allen individuellen Wesen und mit dem ganzen Universum. Sie muß nicht nur ihrer selbst im Universum innewerden, sondern auch des Universums in ihr selbst und des Wesens des Kosmos als ihres größeren Selbsts. Das Individuum soll sich universal ausweiten und in derselben Bewegung seiner suprakosmischen Transzendenz gewahr werden. Dieser dreifache Aspekt der Wirklichkeit muß in die totale Wahrheit der Seele und der kosmischen Manifestation einbezogen werden. Diese Notwendigkeit muß die endgültige Richtung des Ablaufs der evolutionären Natur bestimmen.

Alle Betrachtungen des Seins, die vor der Transzendenz haltmachen und sie nicht beachten, müssen unvollständige Darstellungen der Wahrheit des Seienden bleiben. Die pantheistische Anschauung von der Identität des Göttlichen Wesens mit dem Universum ist eine Wahrheit, denn all das, was ist, ist brahman. Aber sie macht halt vor der ganzen Wahrheit, wenn sie die suprakosmische Wirklichkeit verfehlt und ausschließt. Auf der anderen Seite irrt jede Betrachtung, die nur den Kosmos bejaht, die aber das Individuum als ein Nebenprodukt der kosmischen Energie beiseite schiebt, da sie den einen ins Auge fallenden Tatsachen-Aspekt der Welt-Aktion zu stark betont. Das trifft nur für das natürliche Individuum zu und ist nicht einmal dessen ganze Wahrheit. Denn das natürliche Individuum, das Natur-Wesen, ist zwar sicherlich ein Produkt der universalen Energie. Es ist aber zugleich auch eine Natur-Persönlichkeit der Seele, eine Gestaltung, die das innere Wesen und die innere Person zum Ausdruck bringt. Diese Seele ist keine vergängliche Zelle, kein auflösbarer Bestandteil des kosmischen Geistes. Sie besitzt vielmehr ihre ursprüngliche unsterbliche Wirklichkeit in der Transzendenz. Es ist eine Tatsache, daß sich das kosmische Wesen durch das individuelle Wesen zum Ausdruck bringt. Ebenso ist aber auch wahr, daß sich die Transzendente Wirklichkeit durch beide, das individuelle Dasein und den Kosmos, ausdrückt. Die Seele ist ein ewiger Bestandteil des Höchsten und nicht ein Bruchteil der Natur. In gleicher Weise muß jede Anschauung, die das Universum so betrachtet, als existiere es nur im individuellen Bewußtsein, offensichtlich fragmentarisch sein. Sie wird durch die Wahrnehmung gerechtfertigt, derzufolge das spirituelle Individuum allumfassend ist und die Macht hat, das ganze Universum mit seinem Bewußtsein zu umfangen. Aber weder der Kosmos noch das individuelle Bewußtsein sind die fundamentale Wahrheit des Seins. Denn beide sind abhängig vom transzendenten Göttlichen Wesen und existieren durch dieses.

Dieses Göttliche Wesen, saccidananda, ist zugleich apersonal und personal. Es ist ein Sein, der Ursprung und die Grundlage aller Wahrheiten, Kräfte, Mächte und Seins-Gestaltungen. Es ist aber auch das Eine Transzendente Bewußte Wesen und die All-Person, deren Selbste und Personalitäten alle bewußten Wesen sind. Denn Er ist ihr höchstes Selbst und die universale innewohnende Gegenwart. Für die Seele im Universum ist es eine Notwendigkeit – und deshalb die innerste Tendenz der evolutionären Energie und ihre höchste Absicht –, diese Wahrheit von sich selbst zu wissen und in sie hineinzuwachsen, eins mit dem Göttlichen Wesen zu werden, ihre Natur zur Göttlichen Natur, ihr Sein in das Göttliche Sein, ihr Bewußtsein in das Göttliche Bewußtsein, ihre Wesens-Seligkeit in die Göttliche Seins-Seligkeit emporzuheben. Sie soll all das in ihr Werden empfangen. Sie soll dadurch das Werden zu einem Ausdruck jener höchsten Wahrheit machen, so daß ihr Besitzer in ihrem Innern das Göttliche Selbst und der Meister ihrer Existenz ist. Zugleich soll sie aber auch Ihn voll besitzen und von Seiner Göttlichen Energie bewegt werden. Sie soll in völliger Selbst-Hingabe und Selbst-Überantwortung leben und handeln. Hier drücken die dualistischen und theistischen Anschauungen vom Dasein, die das ewige, wirkliche Sein Gottes und der Seele sowie die ewige wirkliche Existenz und das kosmische Wirken der Göttlichen Energie behaupten, auch eine Wahrheit des Integralen Seins aus. Ihre Formulierung macht aber vor der völligen Wahrheit halt, wenn sie die wesenhafte Einheit von Gott und Seele oder ihre Fähigkeit zum äußersten Einssein bestreitet oder wenn sie das mißachtet, was der höchsten Erfahrung im Aufgehen der Seele in der Göttlichen Einheit durch Liebe, Einung des Bewußtseins und Verschmelzen von Sein in Sein zugrundeliegt.

Die Manifestation des Seienden nimmt in unserem Universum die Form einer Involution an, die der Ausgangspunkt für die Evolution ist – Materie ist die allerniedrigste Stufe, Geist die erhabene Höhe. Bei dem Hinabgehen in die Involution kann man sieben Prinzipien des manifestierten Wesens unterscheiden, sieben Stufen des manifestierten Bewußtseins, von denen wir hier eine Wahrnehmung, eine konkrete Realisation ihrer Gegenwart und Immanenz oder eine reflektierte Erfahrung bekommen können. Die ersten drei sind die ursprünglichen und fundamentalen Prinzipien. Sie bilden universale Bewußtseins-Zustände, zu denen wir emporkommen können. Tun wir das, so können wir auch höchster Ebenen oder Stufen der grundlegenden Offenbarung oder Selbst-Formulierung der spirituellen Wirklichkeit bewußt werden, in der die Einheit des Göttlichen Seins, die Macht des Göttlichen Bewußtseins, die Wonne der Göttlichen Seins-Seligkeit herausgestellt wird – das alles aber nicht so verborgen und vermummt wie hier; vielmehr können wir sie in ihrer vollen unabhängigen Wirklichkeit besitzen. Ein viertes Prinzip, das supramentale Wahrheits-Bewußtsein, ist mit ihnen verbunden. Da es die Einheit in einer unendlichen Vielheit manifestiert, ist es die charakteristische Macht des Unendlichen, sich selbst durch Begrenzung zu bestimmen. Diese vierfache Macht von höchstem Sein, Bewußtsein und seliger Freude konstituiert eine obere Hemisphäre der Manifestation, die sich auf das ewige Wissen des Geistes vom Selbst gründet. Gehen wir in diese Prinzipien oder in eine Ebene des Seienden ein, auf der es die reine Gegenwart des Wirklichen gibt, so finden wir in ihnen vollständige Freiheit und Erkenntnis. Die anderen drei Mächte und Ebenen des Seienden, deren wir hier und jetzt inne werden, bilden eine niedrigere Hemisphäre der Manifestation, die Hemisphäre von Mental, Leben und Materie. Diese sind an sich Mächte der höheren Prinzipien. Wo sie sich aber getrennt von ihren spirituellen Ursprüngen manifestieren, erleiden sie im Resultat einen Absturz in das Phänomenale, in eine zerteilte statt in die wahre unzerteilte Welt des Seins. Dieser Absturz, diese Lostrennung, bewirkt einen Zustand von begrenztem Wissen, das ausschließlich auf seine eigene begrenzte Welt-Ordnung konzentriert ist und alles, was seinen Hintergrund bildet, sowie die zugrundeliegende Einheit vergißt. Darum ist es ein Zustand von kosmischer und individueller Unwissenheit.

Bei dem Herabkommen in die materielle Ebene, dessen Ergebnis unser natürliches Leben ist, findet dieser Fall seine absolute Tiefe in einer totalen Unbewußtheit, aus der sich ein involviertes Wesen und Bewußtsein stufenweise herausentwickeln müssen. Diese unvermeidliche Evolution entfaltet zuerst unumgänglich die Materie und ein materielles Universum. In der Materie erscheint das Leben mit lebenden physischen Wesen. Im Leben manifestiert sich das Mental, das verkörperte denkende lebende Wesen. Im Mental muß unvermeidlich durch eine fortschreitende Vermehrung seiner Mächte und Aktivitäten in Formen von Materie das Supramental, das Wahrheits-Bewußtsein, hervortreten, und zwar durch die Kraft dessen, was in der Unbe-wußtheit und in der Notwendigkeit der Natur enthalten ist, es zu manifestieren. Das erscheinende Supramental manifestiert das Wissen des Geistes vom Selbst und sein Wissen vom Ganzen in einem supramentalen lebenden Wesen. Durch dasselbe Gesetz, die innewohnende Notwendigkeit und Unvermeidlichkeit, muß es die dynamische Manifestation des göttlichen Seins, Bewußtseins und der Seins-Seligkeit bewirken. Hierin liegt die Bedeutung des Plans und der Ordnung der Evolution auf Erden. Diese Notwendigkeit muß alle ihre Stufen und Grade, ihr Prinzip und ihren Ablauf bestimmen. Mental, Leben und Materie sind die verwirklichten Mächte der Evolution und uns wohlbekannt. Das Supramental und der dreieinige Aspekt von saccidananda sind die geheimen Prinzipien, die bislang nicht nach außen hervorgebracht worden sind, sondern erst noch in den Formen der Manifestation realisiert werden müssen. Wir kennen sie nur durch Andeutungen und ein partielles, fragmentarisches Wirken, das sich noch nicht von der niederen Bewegung losgelöst hat und deshalb nicht leicht erkennbar ist. Aber auch ihre Evolution ist ein Teil der Bestimmung der Seele im Werden. Es muß innerhalb des Erden-Lebens in der Materie eine Realisierung und Dynamisierung nicht nur des Mentals, sondern alles dessen geben, was oberhalb von diesem zwar tatsächlich in das Erden-Leben und in die Materie herniedergekommen, aber noch verborgen ist.

Unsere Theorie vom integralen Wissen erkennt das Mental als ein schöpferisches Prinzip, als eine Macht des Seienden an und weist ihm seinen Platz in der Manifestation zu. In ähnlicher Weise akzeptiert sie Leben und Materie als Mächte des Geistes; auch in diesen ist eine schöpferische Energie. Aber die Anschauung, die das Mental zum alleinigen oder zum höchsten schöpferischen Prinzip macht, und die Philosophien, die dem Leben oder der Materie dieselbe einzige Wirklichkeit oder Vorherrschaft beimessen, sind Ausdruck einer Halb-Wahrheit und kein integrales Wissen. Es ist wahr, daß die Materie, wenn sie als erstes hervortritt, zum beherrschenden Prinzip wird. In ihrem eigenen Feld erscheint sie als die Grundlage aller Dinge – und ist es auch. Sie konstituiert alle Dinge und ist das Ende aller Dinge. Wir erkennen aber die Materie selbst als das Ergebnis von etwas, das nicht Materie ist, nämlich von Energie. Diese Energie kann aber nicht etwas Selbst-Seiendes sein und im Leeren wirken, sondern sie kann sich erweisen – und erweist sich auch, wenn wir sie bis in ihre tiefsten Tiefen erforschen -gleichsam als das Wirken eines geheimen Bewußtseins und Wesens. Wenn das spirituelle Wissen und die spirituelle Erfahrung hervortreten, wird dies zu einer Gewißheit. Man sieht dann, daß die schöpferische Energie in der Materie eine Bewegung der Macht des Geistes ist. Materie selbst kann nicht die ursprüngliche und letzte Wirklichkeit sein. Zugleich wird auch die Auffassung, die Materie und Geist voneinander trennt und sie als Gegensätze einander gegenüberstellt, unannehmbar. Materie ist eine Form des Geistes, eine Wohnung des Geistes. Hier, in der Materie selbst, kann es eine Realisierung des Geistes geben. Weiter trifft zu, daß das Leben dann, wenn es hervortritt, vorherrschend wird und die Materie in ein Werkzeug seiner Manifestation verwandelt. Dann sieht es anfänglich so aus, als wäre das Leben selbst das geheime ursprüngliche Prinzip, das in die Schöpfung hervorbricht und sich in den Formen der Materie verhüllt. In diesem Anschein liegt Wahrheit. Man muß einräumen, daß diese Wahrheit ein Teil der integralen Erkenntnis ist. Leben ist, wenn auch nicht die ursprüngliche Wirklichkeit, so doch eine ihrer Formen, Mächte, deren Mission, als schöpferisches Drängen in der Materie zu wirken, hier vollzogen werden muß. Darum müssen wir das Leben als das Mittel für unser Wirken und als eine dynamische Form annehmen, in die wir das Göttliche Sein hineingießen sollen. Es kann aber nur deshalb als solches anerkannt werden, weil es eine Form der Göttlichen Energie ist, die selbst größer ist als die Lebens-Kraft. Das Lebens-Prinzip ist nicht die ganze Grundlage und der Ursprung der Dinge. Sein schöpferisches Wirken kann erst dann vervollkommnet und souverän zur Erfüllung gebracht werden, erst dann seinen wahren Ablauf finden, wenn es sich selbst als eine Energie des Göttlichen Wesens erkennt und sein Wirken emporhebt und so verfeinert, daß das Ausströmen der höheren Natur frei durch es hindurchgehen kann.

Wenn das Mental seinerseits hervortritt, wird es dominierend. Es verwendet Leben und Materie als Mittel, um sich auszudrücken, als Feld für sein eigenes Wachsen und seine Souveränität. Es beginnt, so zu wirken, als wäre es die wahre Wirklichkeit und ebenso der Schöpfer, wie es der beobachtende Zeuge des Daseins ist. Aber auch das Mental ist eine begrenzte und abgeleitete Macht. Es tritt aus dem Übermental hervor oder ist hier ein lichter Schatten, der vom göttlichen Supramental geworfen wird. Es kann nur dadurch zu seiner Vervollkommnung gelangen, daß es das Licht einer höheren Erkenntnis einläßt. Es muß seine eigenen mehr unwissenden, unvollkommenen und einander widersprechenden Mächte und Werte in die auf göttliche Art wirkungsstarken Potenzen und harmonischen Werte des supramentalen Wahrheits-Bewußtseins umwandeln. Alle die Mächte der niederen Hemisphäre mit ihren Strukturen der Unwissenheit können ihr wahres Selbst nur dadurch finden, daß sie sich in jenes Licht transformieren, das aus der höheren Hemisphäre eines ewigen Selbst-Wissens zu uns herniederkommt.

Diese drei niederen Mächte des Seienden bauen sich auf der Unbewußtheit auf und scheinen von ihr verursacht und gefördert zu sein. Der schwarze Drache der Unbewußtheit trägt und erhält mit seinen gewaltigen Schwingen und auf seinem Rücken von Finsternis das ganze Gebäude des materiellen Universums. Seine Energien setzen den Strom der Dinge in Gang. Seine dunklen Einwirkungen scheinen der Ausgangspunkt des Bewußtseins selbst und die Quelle für jeden Lebens-Impuls zu sein. Darum wird jetzt, infolge dieser Verursachung und Vorherrschaft, das Unbewußte von einer gewissen Richtung der Forschung als der wirkliche Ursprung und Schöpfer angenommen. Tatsächlich darf man davon ausgehen, daß eine unbewußte Kraft, eine unbewußte Substanz der Ausgangspunkt der Evolution ist. In der Evolution tritt aber ein bewußter Geist, nicht ein unbewußtes Wesen, hervor. Das Unbewußte und sein anfängliches Wirken sind von einer Aufeinanderfolge immer höherer Mächte des Seienden durchdrungen und werden so dem Bewußtsein unterworfen, damit seine Obstruktionen gegen die Evolution, seine Kreisbewegungen zur Einschränkung allmählich zerbrochen werden. Die Python schlängelt sich aus ihrer Finsternis heraus, getroffen von den Pfeilen des Sonnen-Gottes. So werden die Begrenzungen durch unsere materielle Substanz so weit vermindert, bis sie transzendiert und bis Mental, Leben und Körper transformiert werden können, indem ein höheres Gesetz aus göttlichem Bewußtsein, göttlicher Energie und göttlichem Geist von ihnen Besitz ergreift. Das integrale Wissen erkennt die Wahrheiten aller Anschauungen des Daseins in ihrem eigenen Bereich als gültig an. Es sucht aber, sich von ihren Begrenzungen und Verneinungen zu befreien und die partiellen Wahrheiten zu harmonisieren und miteinander zu versöhnen in einer umfassenden Wahrheit, die die vielen Seiten unseres Wesens in einem allgegenwärtigen Sein zu Erfüllung bringt.

An diesem Punkt müssen wir einen Schritt weitergehen und immer mehr die metaphysische Wahrheit, die wir festgestellt haben, als einen bestimmenden Faktor nicht nur für unser Denken und die inneren Vorgänge, sondern auch für die Lenkung unseres Lebens und zu einer dynamischen Lösung unserer Selbst- und Welt-Erfahrung anerkennen. Natürlich sollten unser metaphysisches Wissen und unsere Anschauung von der fundamentalen Wahrheit des Universums und dem Sinn des Daseins der bestimmende Faktor unserer ganzen Auffassung vom Leben und unserer Haltung ihm gegenüber sein. Das Ziel des Lebens, wie wir es begreifen, muß auf dieser Basis gegründet sein. Eine metaphysische Philosophie ist ein Versuch, die grundlegenden Wirklichkeiten und Prinzipien des Seienden festzustellen im Unterschied zu seinen Prozessen und den Phänomenen, die bei der Realisierung entstehen. Diese Prozesse hängen aber von den fundamentalen Wirklichkeiten ab: Unser eigener Lebens-Verlauf, sein Ziel und seine Methode sollten in Übereinstimmung stehen mit der Wahrheit des Seienden, wie wir sie sehen. Andernfalls kann unsere metaphysische Wahrheit nur ein Spiel des Intellekts ohne jede dynamische Bedeutung sein. Es trifft zu, daß der Intellekt nach der Wahrheit um ihrer selbst willen suchen muß, ohne daß sich eine vorgefaßte Idee von ihrer Nützlichkeit für das Leben einmischt. Dennoch muß die Wahrheit, wenn sie einmal entdeckt ist, in unserem inneren Wesen und unseren äußeren Betätigungen verwirklichbar sein. Ist sie das nicht, mag sie intellektuelle, nicht aber integrale Bedeutung gewinnen. Eine Wahrheit für den Intellekt wäre für unser Leben nicht mehr als die Lösung eines Denk-Rätsels, eine abstrakte Unwirklichkeit oder ein toter Buchstabe. Die Wahrheit des Seienden muß die Wahrheit des Lebens beherrschen. Es kann nicht sein, daß diese beiden keine Beziehung zueinander hätten oder nicht voneinander abhängig wären. Die höchste Bedeutung des Lebens für uns, die fundamentale Wahrheit des Seins, muß auch der anerkannte Sinn unseres eigenen Lebens, unseres Ziels und unseres Ideals sein.

Von diesem Gesichtspunkt aus gibt es etwa vier Haupt-Theorien oder vier Theorie-Kategorien mit ihren entsprechenden mentalen Haltungen und Idealen im Einklang mit vier verschiedenen Begriffen der Wahrheit des Seins. Wir können sie nennen: die suprakosmische, die kosmische und irdische, die überirdische oder außerweltliche und die integrale, synthetische oder harmonisierte. Diese Theorien versuchen, jene drei Faktoren – oder etwa zwei von ihnen – miteinander zu versöhnen, die die anderen Anschauungen voneinander zu trennen bestrebt sind. In diese letzte Kategorie würde die Anschauung gehören, daß unser Dasein hier ein Werden ist, dessen Ursprung das Göttliche Wesen und dessen Ziel eine fortschreitende Manifestation, eine spirituelle Evolution ist, deren Ursprung und Unterstützung das Suprakosmische und deren sie bedingendes und verbindendes Glied das Außer-Weltliche ist. Das Kosmische und Irdische bilden ihr Feld, das menschliche Mental und Leben sind ihr Knoten- und Wendepunkt der Befreiung zu höherer und höchster Vervollkommnung. Unsere Betrachtung muß sich also mit den drei ersteren befassen, um zu sehen, wo sie von der vervollständigenden Lebensanschauung abweichen und inwiefern die Wahrheiten, auf denen sie fußen, in jene Struktur hineinpassen.

Bei der suprakosmischen Betrachtung der Dinge ist allein die Höchste Wirklichkeit völlig real. Ein gewisses Empfinden des Illusorischen, ein Gefühl für die Eitelkeit des kosmischen Daseins und des individuellen Wesens ist eine charakteristische Tendenz bei dieser Betrachtung der Dinge. Sie ist aber nicht essentiell, kein unentbehrliches Zubehör zu ihrem hauptsächlichen Denk-Prinzip. In den extremsten Formen dieser Weltanschauung hat das menschliche Dasein keine wirkliche Bedeutung. Es ist ein Fehler der Seele oder ein Delirium des Willens zum Leben, ein Irrtum oder eine Unwissenheit, die irgendwie die absolute Wirklichkeit überdeckt. Die einzige wirkliche Wahrheit ist das Überkosmische. Jedenfalls ist das Absolute, parabrahman, Ursprung und Ziel alles Seins. Alles übrige ist ein Zwischenspiel, ohne bleibende Bedeutung. Wäre das aber so, würde daraus folgen: Das einzige, was zu tun, der einzige weise und notwendige Ausweg für unser Wesen ist, allem Lebendigen, ob irdisch oder himmlisch, zu entkommen, sobald unsere innere Entwicklung oder ein verborgenes Gesetz des Geistes das möglich macht. Es ist wahr, die Illusion ist sich selbst gegenüber etwas Wirkliches. Die Eitelkeit gibt vor, voller Zweckmäßigkeiten zu sein. Aber ihre Gesetze und Fakten – es sind nur Fakten, nicht aber Wahrheiten, empirische, nicht aber wahre Wirklichkeiten – binden uns nur so lange, wie wir im Irrtum verharren. Von jedem Standpunkt wirklichen Wissens aus, in jeder Anschauung der wirklichen Wahrheit der Dinge, würde diese ganze Selbst-Täuschung kaum besser aussehen als die Ordnung eines kosmischen Irrenhauses: Solange wir verrückt sind und im Irrenhaus zu bleiben haben, sind wir zwangsläufig seinen Gesetzen unterworfen und müssen, je nach unserem Temperament, das Beste oder das Schlimmste aus ihnen machen. Immer bleibt es aber das eigentliche Ziel, daß wir von dieser Krankheit geheilt werden und in das Licht, die Wahrheit und Freiheit entkommen. Wie sehr man die Strenge dieser Logik auch abschwächen und was für Konzessionen man für den jetzigen Augenblick auch zur Aufwertung von Leben und Persönlichkeit machen mag, so muß doch von diesem Gesichtspunkt aus das wahre Gesetz des Lebens in alldem bestehen, was uns dazu helfen kann, so bald wie möglich zum Wissen vom Selbst und auf den Weg zurückzukehren, der uns unmittelbar ins nirvana führt. So muß das wahre Ideal ein Auslöschen des Individuums und des Universalen sein, seine Selbst-Vernichtung ins Absolute. Dieses Ideal der Selbst-Vernichtung, das kühn und klar von den Buddhisten verkündet wird, ist aber im vedantischen Denken ein Finden des Selbsts. Für das Individuum könnte das aber nur dann ein Selbst-Finden sein, wenn es in sein wahres Wesen im Absoluten hineinwächst, wenn also beides miteinander verbundene Wirklichkeiten sind. Das würde aber nicht zutreffen bei einer endgültigen, die Welt vernichtenden Selbst-Bejahung des Absoluten in einem unwirklichen oder vergänglichen Individuum dadurch, daß zugleich mit der Annullierung des falschen personalen Wesens auch alles individuelle und kosmische Dasein für dieses individuelle Bewußtsein zerstört würde, wie sehr auch diese Irrtümer, gestattet vom Absoluten, in der Welt der Unwissenheit noch zwangsläufig und unvermeidlich in einer universalen, ewigen und unzerstörbaren kosmischen Unwissenheit, avidya, weitergehen.

Die Vorstellung von der völligen Sinnlosigkeit des Lebens ist aber durchaus keine unvermeidliche Konsequenz der suprakosmischen Seins-Theorie. Im Vedanta der Upanishaden wird das Werden des brahman als Wirklichkeit angenommen. Deshalb gibt es hier auch Raum für die Wahrheit des Werdens. In dieser Wahrheit gibt es ein richtiges Gesetz des Lebens, eine erlaubte Befriedigung des hedonistischen Elements in unserem Wesen, seiner Freude am vorübergehenden Dasein, eine effektive Verwendung seiner praktischen Energie, der exekutiven Kraft des Bewußtseins in ihm. Wenn aber Wahrheit und Gesetz seines zeitlich begrenzten Werdens erfüllt sind, muß die Seele zu ihrer endgültigen Selbst-Verwirklichung zurückkehren, denn ihre natürliche höchste Erfüllung ist eine Erlösung, eine Befreiung in ihr ursprüngliches Wesen, in ihr ewiges Selbst, in ihre zeitlose Wirklichkeit. Es gibt einen Kreislauf des Werdens, der vom Ewigen Seienden ausgeht und wieder in ihm endet. Vom Gesichtspunkt des Höchsten als einer personalen oder überpersonalen Wirklichkeit aus gesehen, gibt es ein zeitlich begrenztes Kräfte-Spiel, ein Schauspiel von Werden und Leben im Universum. Hier bestimmt offensichtlich keine andere Bedeutung das Leben als der Wille des Seienden zum Werden, der Wille des Bewußtseins und das Drängen seiner Kraft zum Werden, sowie seine tiefe Freude am Werden. Für das Individuum hört, wenn es von ihm zurückgezogen wird oder in ihm erfüllt und nicht länger aktiv ist, das Werden auf; unabhängig davon dauert das Universum fort. Oder es kehrt immer wieder in die Manifestation zurück, weil der Wille zum Werden etwas Ewiges ist und auch sein muß, da er der innewohnende Wille eines ewigen Seins ist. Man könnte sagen, es sei einer der Mängel dieser Betrachtung der Dinge, daß jegliche fundamentale Wirklichkeit dem Individuum fehlt, ihm kein bleibender Wert und keine Bedeutung für seine natürliche oder seine spirituelle Tätigkeit beigelegt werde. Darauf kann man antworten, diese Forderung nach einer dauernden persönlichen Bedeutung, nach einer ewigen Dauer der Person, sei ein Irrtum unseres unwissenden, vordergründigen Bewußtseins. Das Individuum sei nur ein vorübergehendes Werden des Seienden, und das sei völlig ausreichend als sein Wert und seine Bedeutung. Hinzufügen könnte man, in einem reinen oder absoluten Sein könne es keine Werte und Bedeutungen geben. Im Universum existierten Werte, und sie seien dort unentbehrlich, jedoch nur als relative und vorübergehende Strukturen. In einer Zeit-Struktur könne es keine absoluten Werte, keine ewigen und selbst-seienden Bedeutungen geben. Das klingt zwar schlüssig, und scheinbar kann auch nichts weiter über die Sache ausgesagt werden. Dennoch bleibt die Frage offen. Denn der Nachdruck auf unser individuelles Wesen, die Forderung an es, der Wert, der auf individuelle Vervollkommnung und Erlösung gelegt wird, ist zu groß, um als ein nur für untergeordnetes Wirken Geschaffenes abgetan werden zu können, für das Aufziehen und Ablaufenlassen einer bedeutungslosen Spiralfeder in den großen Kreisläufen des Werdens des Ewigen im Universum.

Die kosmisch-irdische Betrachtungsweise, die wir jetzt als den genauen Gegensatz zur suprakosmischen behandeln, erkennt das kosmische Dasein als etwas Wirkliches. Sie geht darüber hinaus und nimmt es als die einzige Wirklichkeit an. Ihre Anschauung beschränkt sich gewöhnlich auf das Leben im materiellen Universum. Gott – wenn es ihn gibt – sei ein ewiges Werden. Oder, falls Gott nicht existiert, sei die Natur ein immerwährendes Werden – was wir auch unter Natur verstehen mögen, ob wir sie als ein Spiel der Kraft mit der Materie oder als ein großes kosmisches Leben ansehen oder ob wir gar ein universales apersonales Mental im Leben und in der Materie anerkennen. Erde sei das Feld oder eines der zeitweiligen Felder des Lebens. Der Mensch sei seine höchstmögliche Gestaltung oder nur eine der vorübergehenden Formen des Werdens. Der Mensch mag individuell durchaus sterblich sein. Auch die Menschheit mag nur für eine kurze Periode während des Daseins der Erde existieren. Die Erde mag das Leben nur für eine längere Periode ihres Daseins im Sonnensystem auf sich tragen. Dieses System selbst mag eines Tages zu einem Ende kommen, oder es mag zumindest aufhören, ein aktiver oder produktiver Faktor im Werden zu sein. Das Universum, in dem wir leben, mag sich selbst auflösen, oder es mag sich wieder in den Keimzustand seiner Energie zusammenziehen. Aber das Prinzip des Werdens sei ewig – zumindest so ewig, wie etwas in der dunklen Zweideutigkeit des Daseins ewig sein könne. Es ist in der Tat möglich, für den Menschen als Individuum eine Dauer in der Zeit als psychische Wesenheit anzunehmen, als kontinuierliche irdische oder kosmische Beseelung oder Wiederverkörperung ohne ein Leben danach in einem Jenseits oder ein Leben irgendwo anders. In diesem Fall kann man als Ziel dieses endlosen Werdens als Ideal anerkennen, daß der Mensch entweder seine Vollkommenheit ständig vermehre oder daß er sich der Vollkommenheit annähere oder daß er zu einer dauernden Glückseligkeit irgendwo im Universum heranwachse. Bei einer extremen irdischen Anschauung kann man das aber nur mit Mühe aufrechterhalten. Gewisse Spekulationen menschlichen Denkens sind in dieser Richtung gegangen. Sie haben aber keine substantielle Gestalt angenommen. Ein dauerndes Verharren im Werden wird gewöhnlich mit der Annahme eines höheren überirdischen Daseins verbunden.

Bei der gewöhnlichen Auffassung von einem einzigen irdischen Leben oder von einem begrenzten vorübergehenden Durchgang durch das materielle Universum – denn es könnte möglicherweise denkende lebende Wesen auf einem anderen Planeten geben – bleibt es die einzige annehmbare Wahl für den Menschen, seine Sterblichkeit zu akzeptieren, sie passiv zu ertragen oder sich aktiv mit einem begrenzten personalen oder kollektiven Leben und dessen Lebens-Zielen auseinanderzusetzen. Dem individuellen menschlichen Wesen bleibt dann aber als einziger hoher und vernünftiger Weg – wenn er sich nicht damit zufrieden gibt, nur seine persönlichen Interessen zu verfolgen oder, bis sein Leben ihn verläßt, dieses sonstwie zu verbringen daß er die Gesetze des Werdens studiert und sie möglichst vorteilhaft gebraucht, um, rational oder intuitiv, innerlich oder in den dynamischen Bereichen des Lebens, dessen potentielle Energien in sich oder für sich oder in der Rasse, der er zugehört, oder für diese zu verwenden. Dann ist es sein Bemühen, aus den aktuellen Dingen, wie sie sich ergeben, das Bestmögliche zu machen und die höchsten Möglichkeiten, die hier entfaltet werden können oder die im Werden sind, zu ergreifen oder zu diesen emporzukommen. Das könnte dann aber nur die Menschheit als Ganzes wirkungsvoll unternehmen: durch die Massenhaftigkeit der individuellen oder kollektiven Aktion, in dem Verlauf der Zeit und in der Evolution der Rassen-Erfahrung. Zu diesem Ziel zu gelangen, kann der Einzelne nur innerhalb seiner eigenen Grenzen verhelfen. Er kann das alles für sich selbst bis zu einem gewissen Grad innerhalb der kurzen Lebensspanne, die ihm zubemessen ist, tun. Dabei kann besonders sein Denken und Handeln einen Beitrag zu dem gegenwärtigen intellektuellen, moralischen und vitalen Wohl der Menschheit leisten und für ihren künftigen Fortschritt wirken. Er ist zu einem gewissen Adel seines Wesens fähig. Da er seinen unvermeidlichen und baldigen Tod akzeptiert, hindert ihn nichts daran, hohen Gebrauch von seinem Willen und Denken, die sich in ihm entfaltet haben, zu machen, diese auf hohe Ziele zu lenken, die von der Menschheit ausgearbeitet werden sollen. Selbst die Tatsache, daß auch das kollektive Wesen der Menschen etwas Vorübergehendes ist, bedeutet dabei nicht so sehr viel – außer bei der am meisten materialistischen Auffassung vom Leben. Denn solange das universale Werden die Form eines menschlichen Körpers und Mentals annimmt, werden das Denken und Wollen, die es in seinem menschlichen Geschöpf entwickelt hat, sich selbst weiter auswirken. Dies klug zu befolgen, ist das natürliche Gesetz und die beste Regel für das menschliche Leben. In bezug auf das Ziel unseres Wesens bieten sich der Menschheit, solange sie auf der Erde weiterlebt, ihre Wohlfahrt und ihr Fortschritt als das umfassendste Betätigungsfeld und als natürliche Begrenzung an. Darum sollte ihre übergeordnete Dauer und die Größe und Bedeutung des kollektiven Lebens die Art und den Horizont unserer Ideale bestimmen. Wenn aber Fortschritt oder Wohlfahrt der Menschheit entfallen oder nicht unsere Aufgabe, gar eine Täuschung sind, bleibt doch das Individuum übrig. Dann wird es Sinn des Lebens sein, daß der Mensch seine höchstmögliche Vollkommenheit erlangt oder das Bestmögliche aus seinem Leben macht, wie das eben seine Natur von ihm verlangt.

Die überirdische Anschauung erkennt die Wirklichkeit des materiellen Kosmos an und akzeptiert auch die zeitlich begrenzte Dauer von Erde und menschlichem Leben als die ersten Tatsachen, von denen wir ausgehen müssen. Sie fügt aber hinzu, daß es eine Wahrnehmung von anderen Welten oder Ebenen des Seins gibt, die eine ewige, zumindest längere Dauer besitzen. Hinter der Sterblichkeit des körperlichen Lebens des Menschen nimmt sie die Unsterblichkeit der Seele in seinem Innern wahr. Das Schlüsselwort für diese Auffassung vom Leben ist ein Glaube an die Unsterblichkeit, an die ewige Dauer des individuellen menschlichen Geistes getrennt vom Körper. Das erfordert von selbst seinen weiteren Glauben an Ebenen des Seins, die höher sind als die materiellen oder irdischen, da es für den vom Körper getrennten Geist keinen bleibenden Platz in einer Welt gäbe, bei der jeder Vorgang von einem Kräftespiel in oder mit den Gestaltungen der Materie abhängig ist, sei er spirituell, mental, vital oder materiell. Aus dieser Anschauung der Dinge entsteht die Vorstellung, die wahre Heimat des Menschen sei im Jenseits, das Erdenleben sei auf diese oder jene Art nur eine Episode innerhalb seiner Unsterblichkeit oder der Abweg aus einem himmlischen oder spirituellen in ein materielles Dasein.

Was ist dann aber der Charakter, der Ursprung und das Ende dieses Herunterkommens? Wir haben hier zunächst die Vorstellungen gewisser Religionen, die sich lange hielten, jetzt aber erschüttert oder in Mißkredit geraten sind: Der Mensch sei ein Wesen, das zuerst als lebender materieller Körper auf der Erde erschaffen, in den eine neugeborene Seele eingeatmet oder mit dem sie durch das Machtwort eines allmächtigen Schöpfers verbunden wurde. Dieses Leben sei nur eine Episode, jedoch die einzige Gelegenheit für den Menschen, aus der er in eine Welt ewiger Seligkeit oder in eine Welt ewigen Elends voranschreite, je nachdem die allgemeine oder überwiegende Bilanz seiner Taten gut oder böse ist. Oder je nachdem er einen bestimmten Glauben, eine Art der Gottesverehrung oder einen göttlichen Mittler annehme oder zurückweise. Oder auch entsprechend der willkürlichen vorherbestimmenden Laune seines Schöpfers. Das ist aber die überirdische Theorie des Lebens in ihrer am wenigsten rationalen Form eines fragwürdigen Glaubens oder Dogmas. Nehmen wir zum Ausgangspunkt jene Vorstellung, die Seele sei bei der physischen Geburt erschaffen worden, so könnten wir dennoch annehmen, der Rest ihres Daseins müsse nach einem natürlichen Gesetz, das allen gemeinsam wäre, in einem Jenseits, auf einer überirdischen Ebene verbracht werden, sobald die Seele ihre ursprüngliche Umhüllung abgeschüttelt hat. Das sei etwa so, wie wenn ein Schmetterling aus seiner puppe ausschlüpft und sich auf seinen leichten farbigen Flügeln in die Luft emporschwingt. Wir könnten es auch vorziehen, eine Existenz der Seele vor ihrer irdischen Geburt anzunehmen, ihren Fall oder Abstieg in die Materie und ihren Wiederaufstieg in ein himmlisches Wesen. Wenn wir aber von der Präexistenz der Seele ausgehen, besteht kein Grund, letztere Möglichkeit als gelegentliches spirituelles Ereignis derart auszuschließen, daß wir uns vorstellen, ein Wesen, das zu einer anderen Ebene des Seins gehört, nehme für irgendeinen besonderen Zweck den menschlichen Körper und seine Natur an. Das ist wahrscheinlich nicht das universale Prinzip der Erd-Existenz, kein völlig zureichender Grund für die Erschaffung eines materiellen Universums.

Manchmal hat man auch angenommen, dieses einzige Leben auf der Erde sei nur eine Stufe, jedoch vollziehe sich die Entwicklung des Wesens als Annäherung an seine ursprüngliche Herrlichkeit in einer Aufeinanderfolge von Welten, die ebensoviele andere Stufen seines Wachstums, Stadien seiner Reise darstellen. Das materielle Universum oder die Erde im besonderen wären dann ein dem Menschen von einer göttlichen Macht, Weisheit oder Laune zugeteiltes, mit aller Pracht ausgestattetes Wirkungsfeld, damit er hier seine Rolle in diesem Zwischenspiel aufführe. Je nach dem Gesichtspunkt, den wir für unsere Betrachtung wählen, werden wir in ihr den Ort der Qual, ein Feld für unsere Entwicklung oder eine Szene unseres spirituellen Falls und unseres Exils sehen. Es gibt auch eine indische Anschauung, die die Welt als einen Garten für das göttliche lila ansieht, für das Spiel des göttlichen Wesens mit den Bedingungen des kosmischen Daseins in dieser Welt einer niederen Natur. Die Seele des Menschen nimmt an diesem lila eine lange Reihe von Geburten hindurch teil, sie ist aber dazu bestimmt, zuletzt wieder auf ihre eigene Ebene des Göttlichen Wesens emporzusteigen und sich dort der ewigen Nähe und Gemeinschaft mit ihm zu erfreuen. Das verleiht dem schöpferischen Prozeß und dem spirituellen Abenteuer einen gewissen rationalen Grund, der in den anderen Darstellungen dieser Art der Seelen-Bewegung oder des Seelen-Zyklus entweder fehlt oder nicht klar aufgezeigt wird. In all diesen verschiedenartigen Darstellungen eines gemeinsamen Prinzips gibt es drei charakteristische Dinge: erstens den Glauben an die individuelle Unsterblichkeit des menschlichen Geistes; zweitens, als notwendige Folge davon, die Vorstellung von dessen Reise auf der Erde als einem kurzfristigen Durchgang oder von einem Abfall aus seiner höchsten ewigen Natur oder von einem jenseitigen Himmel als seiner eigentlichen Heimat; drittens Betonung der Entwicklung des ethischen und spirituellen Wesens als des Mittels zum Aufstieg der Seele und darum der einen eigentlichen Aufgabe des Lebens in dieser Welt der Materie.

Das sind die drei fundamentalen Arten, das Leben zu betrachten, eine jede mit ihrer mentalen Haltung ihm gegenüber, wie man sie im Hinblick auf unser Dasein einnehmen kann. Die übrigen sind gewöhnlich Stationen auf diesem Weg oder Variationen oder Kombinationen, die sich freier der Kompliziertheit des Problems anzupassen versuchen. Ist es doch für den Menschen, als Rasse genommen, praktisch unmöglich, sein Leben, was auch immer einzelne Individuen mit Erfolg tun mögen, ständig oder einzig und allein nach einem Leitmotiv aus einer dieser drei Haltungen zu führen und dabei den Anspruch der anderen an seine Natur auszuschließen. Sein Weg, mit den verschiedenen Impulsen seines komplexen Wesens und mit den Intuitionen seines Mentals, die um Zustimmung an ihn appellieren, führt zu einer verworrenen Verbindung von zweien oder mehreren von ihnen, zum Konflikt oder einer Aufteilung seiner Lebens-Motive zwischen diesen oder aber zum Versuch einer Synthese. Normalerweise widmen fast alle Menschen den größeren Teil ihrer Energie dem Leben auf Erden, den irdischen Bedürfnissen, Interessen, Sehnsüchten, den Idealen des Individuums und der Menschheit. Das ist unausweichlich so. Denn die Sorge um den Leib, um ausreichende Entwicklung und Befriedigung des vitalen und mentalen Wesens des Menschen, das Verfolgen hoher individueller und kollektiver Ideale, die von der Vorstellung ausgehen, durch seine normale Entwicklung könne der Mensch die Vollkommenheit erlangen oder ihr näher kommen, sind uns allein schon durch den Charakter unseres irdischen Wesens auferlegt. Sie sind Teil seines Gesetzes, seines natürlichen Impulses, seiner Ordnung und seiner Wachstumsbedingungen. Ohne diese Dinge könnte der Mensch nicht sein volles Menschsein erreichen.

Jede Anschauung über unser Wesen, die sie vernachlässigt, ungebührlich herabsetzt oder intolerant verdammt, ist allein schon durch diese Tatsache ungeeignet, eine allgemeine oder vollständige menschliche Lebensordnung zu sein, mag sie für einzelne Träger eines bestimmten Temperaments oder einer gewissen Stufe spiritueller Entwicklung auch eine Wahrheit, einen Wert oder einen Nutzen enthalten oder geeignet sein. Die Natur ist sorgfältig darauf bedacht, daß die menschliche Rasse ihre Absichten nicht vernachlässigt, die ein notwendiger Teil ihrer Entwicklung sind; denn sie gehören zur Methode und den Stufen des göttlichen Plans mit uns, und unser Wachsein für die ersten Stufen und die Erhaltung ihrer mentalen und materiellen Grundlage ist ein dringendes Anliegen der Natur, das sie nicht in den Hintergrund drängen läßt, weil diese Dinge zum Fundament und zur Struktur ihres Aufbaus gehören.

Die Natur hat aber auch ein Empfinden dafür in uns eingepflanzt, daß es in der Zusammensetzung unserer Anlagen etwas gibt, das über diese erste irdische Natur des Menschseins hinausgeht. Aus diesem Grund kann auch die Menschheit eine Anschauung vom Seienden nicht zulassen oder auf längere Zeit hinaus befolgen, die dieses höhere und feinere Empfinden unbeachtet läßt und sich müht, uns ausschließlich auf eine rein erdgebundene Lebensart zu beschränken. Die Intuition von einem Jenseits, die Idee und das Gefühl für eine Seele und einen Geist in uns, die etwas anderes sind als Mental, Leben und Körper oder größer als diese und nicht beschränkt durch ihre Ausgestaltung, kommt wieder zu uns und nimmt schließlich von uns Besitz. Der gewöhnliche Mensch befriedigt dieses Empfinden leicht genug, indem er ihm seine außergewöhnlichen Stunden widmet oder den späteren Teil seines Lebens, wenn das Alter schon das Ungestüm seiner irdischen Natur abgestumpft hat oder er Jenes als etwas anerkennt, das hinter oder über seinem normalen Wirken liegt, auf das er nun mehr oder minder unvollkommen sein natürliches Wesen hinlenken kann. Der außergewöhnliche Mensch wendet sich dem Überirdischen als dem einzigen Ziel und Gesetz des Lebens zu und schwächt seine irdischen Seiten ab oder läßt sie soweit wie möglich absterben in der Hoffnung, so seine himmlische Natur zu entfalten. Es hat Epochen gegeben, in denen diese überirdische Anschauung die Menschheit stark ergriff und es ein Schwanken zwischen einer unvollkommenen menschlichen Lebensweise gab, die ihre umfassende natürliche Ausweitung nicht stark genug leisten kann, und einem kranken asketischen Sehnen nach dem himmlischen Leben, das in nicht mehr als nur einigen wenigen Menschen seine beste, reine und glückliche Entfaltung finden kann. Das ist ein Zeichen dafür, daß im Wesen des Menschen ein falscher Konflikt ausgebrochen ist, indem man einen Maßstab oder eine Norm aufgestellt hat, die das Gesetz der evolutionären Begabung mißachtet, oder indem etwas überbetont wird, was den versöhnenden Ausgleich verfehlt, der in der göttlichen Veranlagung unserer Natur stets vorhanden sein muß. Schließlich sollen wir aber in dem Maß, wie sich unser mentales Leben vertieft und ein feineres Erkennen entwickelt, offener werden für die Wahrnehmung, daß das Irdische und das Überirdische nicht die einzigen Grundbegriffe des Seienden sind. Es gibt etwas, das überkosmisch und der höchste, ferne Ursprung unseres Daseins ist. Durch spirituellen Enthusiasmus, durch die Höhe und Glut der Sehnsucht der Seele, durch den philosophischen Höhenflug oder die strikt logische Intoleranz unseres Intellekts, durch das ungestüme Drängen unseres Willens oder die krankhafte Abscheu in unserem vitalen Wesen, das durch die Schwierigkeit des Lebens entmutigt oder durch dessen Ergebnisse enttäuscht ist, – durch einige oder alle diese Motivkräfte wird diese Wahrnehmung aber leicht mit dem Empfinden verbunden, daß alles andere als jenes entfernte Höchste völlig eitel sei: Das menschliche Leben erscheint als eitel, das kosmische Dasein ist unwirklich, die Erde ist voller bitterer Häßlichkeit und Grausamkeit, auch der Himmel kann keinen Ausgleich bieten, die Wiederholung der Geburten im Körper ist etwas Sinnloses. Mit solchen Vorstellungen kann der gewöhnliche Mensch nicht wirklich leben. Sie können ihn höchstens mit Unzufriedenheit dem grauen und ruhelosen Leben gegenüber erfüllen, in dem er doch immer weiterleben muß. Der außergewöhnliche Mensch gibt dagegen alles hin, um der Wahrheit zu folgen, die er geschaut hat. Für ihn können jene Dinge nur die notwendige Nahrung für seinen spirituellen Impuls oder ein Antrieb sein, allein das zu erreichen, was für ihn nun das einzige ist, auf das es ankommt. Es hat Zeiten und Länder gegeben, in denen diese Betrachtung des Seienden sehr mächtig war. Ein beträchtlicher Teil der Menschheit hat sich dem abseitigen Leben des Asketen zugekehrt – nicht immer mit wirklicher Berufung dazu. Die übrigen hingen weiter dem normalen Leben an, wenn auch mit der zugrundeliegenden Überzeugung von dessen Unwirklichkeit. Wird aber eine solche Überzeugung zu oft wiederholt und zu nachdrücklich eingeprägt, kann das zu einer Entnervung des Lebens-Impulses und zu einer wachsenden Verminderung seiner Antriebe führen. Oder es kann durch subtile Reaktion darauf und weil wir im gewöhnlichen engen Leben aufgehen, dazu kommen, daß unsere natürliche Reaktion auf die umfassendere Freude des Göttlichen Wesens am kosmischen Dasein versagt und wir zu dem großen fortschrittlichen menschlichen Idealismus unfähig werden, durch den wir zur kollektiven Selbst-Entwicklung und zur edlen Begeisterung für Kampf und Arbeit angespornt werden. Auch hier zeigt sich wieder, daß die Aussage über die Suprakosmische Wirklichkeit ungenügend ist. Vielleicht ist ihre Darstellung zu überbetont, vielleicht handelt es sich auch um eine irrige Gegenüberstellung. Oder es fehlt die göttliche Ausgeglichenheit, das allumfassende Empfinden für die Schöpfung und den ganzen Willen des Schöpfers.

Wir können diesen Ausgleich nur finden, wenn wir Sinn und Tragweite unserer komplexen menschlichen Natur an ihrem rechten Platz in der kosmischen Bewegung erkennen. Notwendig ist, jedem Teil unseres kombinierten Wesens und unserem vielseitigen Streben seinen vollen legitimen Wert zu geben und den Schlüssel für ihre Einung wie zum Verständnis ihrer Verschiedenheit zu finden. Dieses Finden muß in Form einer Synthese oder Einbeziehung geschehen. Da aber eindeutig Entwicklung das Gesetz der menschlichen Seele ist, wird es sehr wahrscheinlich durch eine evolutionäre Synthese vollzogen. Eine Synthese dieser Art wurde in der alten Kultur Indiens versucht. Sie erkannte vier legitime Motive für das menschliche Leben an: die vitalen Interessen und Bedürfnisse des Menschen, sein Begehren, sein ethisches und religiöses Streben, sein höchstes spirituelles Ziel und seine Bestimmung. Mit anderen Worten, es wurden anerkannt die Ansprüche seines vitalen, physischen und emotionalen Wesens; die Ansprüche seines ethischen und religiösen Wesens, die von einer Erkenntnis des Gesetzes Gottes, der Natur und des Menschen regiert wurden; und die Ansprüche seines spirituellen Sehnens nach einem Jenseitigen, für dessen Befriedigung er eine letzte Befreiung vom unwissenden weltlichen Dasein suchte. Diese Synthese sah vor: eine Periode der Erziehung und Vorbereitung, die auf diese Auffassung vom Leben gegründet ist; eine Periode normalen Lebens, um die menschlichen Wünsche und Interessen unter der mäßigenden Lenkung durch die ethische und religiöse Seite in uns zu befriedigen; eine Periode, in der sich der Mensch aus dem Leben zurückzieht und spirituell vorbereitet; und eine letzte Periode des Verzichts auf das Leben, also eine Befreiung empor in den Geist. Offensichtlich würde diese vorgeschriebene Norm, diese Festlegung der Kurve unseres Lebenswegs, wenn sie als universales Gesetz angewandt wird, an der Tatsache vorbeiführen, daß unmöglich alle Menschen in einer einzigen kurzen Lebenszeit den ganzen Kreis einer solchen Entwicklung durchlaufen können. So wurde sie durch die Theorie modifiziert, daß die vollständige Entwicklung erst durch eine lange Aufeinanderfolge von Wiedergeburten vollzogen wird, bevor man für eine spirituelle Befreiung reif sein kann. Diese Synthese hat durch ihre spirituelle Einsicht, die umfassende Weite ihrer Anschauung, ihre Symmetrie und Vollständigkeit viel dazu beigetragen, daß das menschliche Leben reicher getönt wurde. Schließlich ist sie aber zusammengebrochen. Sie mußte einer Übertreibung des Impulses zur Lebens-Verneinung weichen, was die Symmetrie des Systems zerstörte und es in zwei Bewegungen des Lebens zerteilte, die in Gegensatz zueinander standen: das normale Leben der Interessen und Wünsche, das ethisch und religiös gefärbt war, und das abnorme oder übernormale innere Leben, das sich auf die Entsagung gründet. Die alte Synthese trug in der Tat in sich selbst den Keim zu dieser Übertreibung und mußte darum zerfallen. Denn wenn wir das Entkommen aus dem Leben als unser begehrenswertes Ziel ansehen, wenn wir es unterlassen, eine höhere Lebens-Erfüllung anzubieten, und wenn das Leben in sich selbst keine göttliche Bedeutung enthält, muß schließlich die Ungeduld des menschlichen Intellekts und Willens zu einem Kurzschluß hintreiben, damit man von möglichst vielen der mühevolleren und verzögernden Prozesse des Lebens befreit wird. Wenn das Leben das nicht tun kann oder unfähig ist, den Abkürzungsweg zu gehen, wird es dem Ich und seinen Befriedigungen überlassen. Es hat aber dann nichts Höheres, was hier erreicht werden kann. So wird es gespalten in das spirituelle und in das weltliche Leben. Dabei kann es nur einen abrupten Übergang aber keine Harmonie oder Versöhnung dieser Seiten unserer Natur geben.

Die Verknüpfung, die wir für die Versöhnung zwischen Leben und Geist benötigen, ist eine spirituelle Evolution, die Entfaltung des Wesens hier in unserem Innern von einer Geburt zur anderen. Ihr zentrales Instrument ist der Mensch. Das menschliche Leben stellt in seiner höchsten Entwicklung den Wendepunkt dar. Denn sie erlaubt uns, daß wir die gesamte Natur des Menschen berücksichtigen und den legitimen Platz dessen anerkennen, was in dreifacher Weise seine Anziehung auf ihn ausübt: die Erde, der Himmel und die Höchste Wirklichkeit. Zu einer vollständigen Auflösung der Gegensätze des Lebens können wir aber nur auf der Grundlage gelangen, daß das niedere Bewußtsein von Mental, Leben und Körper zu seiner vollen Bedeutung erst dann kommen kann, wenn es zu einer höheren Frequenz gebracht, neu formuliert und transformiert wird durch das Licht, die Macht und Freude des höheren spirituellen Bewußtseins, während das höhere erst dann in seiner vollen rechten Beziehung zu dem niederen steht, wenn es dieses nicht zurückweist, sondern empornimmt, seine Macht auf es ausübt, seine unerfüllten Werte zu sich aufhebt und das niedere Wesen neu statuiert und transformiert, also dadurch, daß die mentale, vitale und physische Natur spiritualisiert und supramentalisiert wird. Das irdische Ideal, das im modernen Bewußtsein so mächtig ist, hat den Menschen, sein Leben auf Erden und die kollektive Hoffnung der Menschheit zu einer hervorragenden Stellung emporgehoben und ein nachdrückliches Verlangen nach einer Lösung geschaffen. Das ist das Gute, das es vollbracht hat. Durch seine Übertreibung und seine Ausschließlichkeit schränkte es aber den Gesichtskreis des Menschen ungebührlich ein. Es ließ unbeachtet, was in ihm das Höchste und letzten Endes das Umfassende ist. Durch diese Begrenzung vermochte es nicht, sein eigenes Ziel voll zu erreichen. Wäre das Mental das Höchste im Menschen und in der Natur, würde es sicher nicht zu dieser Enttäuschung gekommen sein. Zwar gäbe es dennoch diese Begrenzung des Horizonts, nur eine enge Möglichkeit und einen fest umrissenen Ausblick. Ist aber das Mental nur eine partielle Entfaltung des Bewußtseins und gibt es Mächte jenseits davon, zu denen die Natur im Menschengeschlecht fähig ist, dann hängt nicht nur unsere Hoffnung für die Erde, geschweige denn für das, was jenseits davon ist, von dessen Entwicklung ab, sondern diese wird zum einzig richtigen Weg unserer Evolution.

Mental und Leben selbst können erst dann zu ihrer Fülle heranwachsen, wenn sich in ihnen das umfassendere und höhere Bewußtsein öffnet, dem das Mental nur nahekommt. Solch ein umfassenderes und höheres Bewußtsein ist das spirituelle. Denn das Spirituelle ist nicht nur höher als die übrigen Bewußtseins-Frequenzen sondern auch umfassender. Da es sowohl universal wie transzendent ist, kann es Mental und Leben in sein Licht emporheben und ihnen die wahre und äußerste Realisation all dessen verleihen, nach dem sie suchen. Denn es besitzt ein größeres Instrumental an Wissen, eine Quelle größerer Macht und stärkeren Willens, eine unbegrenzte Reichweite und Intensität von Liebe, Freude und Schönheit. Das sind die Dinge, nach denen Mental, Leben und Körper suchen, nach Wissen, Macht und Freude. Das zurückzuweisen, wodurch sie alle zu ihrer höchsten Erfüllung gelangen, heißt, sie von ihrer eigenen höchsten Vollendung auszuschließen. Eine entgegengesetzte Übertreibung, die nur die farblose Reinheit spirituellen Seins verlangt, macht das schöpferische Wirken des Geistes zunichte und schließt von uns all das aus, was die Gottheit in ihrem Wesen manifestiert. Es läßt nur Raum für eine Evolution ohne Sinn und Erfüllung, denn ein Ausmerzen von allem, was entwickelt worden ist, erscheint hier als die einzige und höchste Errungenschaft. Das verwandelt den Prozeß unseres Wesens in die sinnlose Kurve eines Absturzes in die Unwissenheit und Rückkehr aus dieser. Oder es erschafft ein Rad kosmischen Werdens mit nur einem einzigen Ziel, der Flucht aus ihm. Die Vermittlungsstufe, das überirdische Streben, schneidet die Erfüllung des Wesens nach oben hin dadurch ab, daß das Wesen nicht bis zur höchsten Realisation des Einsseins gelangen kann, und sie mindert es nach unten hin, indem sie ihm nicht die eigentliche Fülle der Empfindung seines Daseins im materiellen Universum und die Annahme seines Lebens in einem irdischen Leib gestattet. Eine weite Beziehung von Einheit, Einbeziehung, stellt das Gleichgewicht wieder her, erleuchtet die volle Wahrheit des Wesens und verbindet die Stufen der Natur miteinander.

In dieser Integration steht die kosmische Wirklichkeit da als die höchste Wahrheit des Seienden. Sie zu realisieren, ist die äußerste Höhe, die unser Bewußtsein erreichen kann. Aber diese höchste Wirklichkeit ist ebenso das kosmische Wesen, das kosmische Bewußtsein, der kosmische Wille und das kosmische Leben. Sie hat diese Dinge hervorgebracht, jedoch nicht außerhalb ihrer selbst sondern innerhalb ihres eigenen Wesens, nicht als ein entgegengesetztes Prinzip sondern als ihre eigene Selbst-Entfaltung und als ihren Selbst-Ausdruck. Das kosmische Wesen ist keine sinnlose Laune, keine Phantasie, kein Zufalls-Irrtum. In ihm gibt es eine göttliche Bedeutung und Wahrheit: Der vielfältige Selbst-Ausdruck des Geistes ist das Ziel unseres irdischen Daseins. Wir können es nur dann erreichen, wenn wir der höchsten Wirklichkeit bewußt geworden sind. Denn nur, wenn das Absolute uns anrührt, können wir zu unserem eigenen Absoluten gelangen. Das kann aber auch nicht dadurch getan werden, daß wir die kosmische Wirklichkeit ausschließen: Wir müssen universal werden, denn das Individuum bleibt unvollkommen, wenn es sich nicht in die Universalität hinein öffnet. Wenn sich das Individuum vom AM trennt, um das Höchste zu erlangen, verliert es sich selbst in den höchsten Höhen. Wenn der Mensch das kosmische Bewußtsein in sich einbezieht, gewinnt er die volle Ganzheit seines Selbsts und hält doch an seinem höchsten Gewinn von Transzendenz fest. Er erfüllt es und sich selbst in der kosmischen Fülle. Eine realisierte Einheit des Transzendenten, des Universalen und des Individuellen ist die unentbehrliche Vorbedingung für die Fülle des sich selbst zum Ausdruck bringenden Geistes. Denn das Universum ist das Feld der Totalität seines Selbst-Ausdrucks, während seine evolutionäre Selbst-Entfaltung durch das Individuum hier ihren Höhepunkt erreicht. Das setzt aber nicht nur voraus, daß das Individuum ein wirkliches Wesen ist, sondern auch die Offenbarung unseres geheimen ewigen Einsseins mit dem Höchsten und mit dem gesamten kosmischen Dasein. In der Selbst-Integration muß die Seele des einzelnen Menschen zu Universalität und Transzendenz erwachen.

Das überirdische Sein ist ebenfalls eine Wahrheit des Wesens, denn die materielle Ebene ist nicht die einzige unseres Daseins. Es gibt andere Ebenen des Bewußtseins, zu denen wir gelangen können. Diese haben bereits ihre verborgenen Verbindungen mit uns. Wenn wir nicht zu den höheren Bereichen der Seele, die uns offenstehen, emporstreben, wenn wir nicht ihre Erfahrung machen und nicht ihr Gesetz in uns erkennen und offenbaren, bedeutet es, daß wir vor der Höhe und Fülle unseres Wesens zurückschrecken. Doch sind Welten eines höheren Bewußtseins nicht die einzige Szene und Heimat für die vervollkommnete Seele. Wir können auch nicht in einer unveränderlichen Typenwelt den endgültigen oder vollkommenen Sinn des Selbst-Ausdrucks des Geistes im Kosmos finden. Die materielle Welt, diese Erde, dieses menschliche Leben sind ein Teil des Selbst-Ausdrucks des Geistes; sie besitzen ihre göttliche Möglichkeit. Diese Möglichkeit ist evolutionär und enthält in sich die Möglichkeiten aller anderen Welten, der unverwirklichten, jedoch verwirklichbaren. Das Erdenleben ist kein Absturz in den Schlamm von etwas Ungöttlichem, etwas Eitlem und Elendem, das irgendeine Macht sich selbst als Schauspiel darbietet oder das für die verkörperte Seele etwas sein soll, das sie erleiden und dann wegwerfen muß. Es ist die Bühne, auf der sich die Evolution des Seienden vollzieht, die bis zur Offenbarung eines höchsten spirituellen Lichtes und einer Macht, einer Freude, eines Einsseins fortschreitet, die aber auch in sich die Vielfalt und Verschiedenheit des sein Selbst verwirklichenden Geistes enthält. Es gibt ein alles überragendes Ziel in der irdischen Schöpfung. Ein göttlicher Plan wirkt sich aus durch alle seine Widersprüche und Verwirrungen hindurch, die ein Zeichen sind für die vielseitigen Erfolge, zu denen das Wachstum der Seele und das Mühen der Natur hingeführt werden sollen.

Es ist wahr, daß die Seele zu den Welten eines höheren Bewußtseins jenseits der Erde emporkommen kann. Es ist ebenso wahr, daß die Macht dieser Welten, die Macht eines höheren Bewußtseins, sich hier zu entfalten hat. Die Verkörperung der Seele hier ist das Mittel, damit sie auch jene Verkörperung erlangen kann. Alle die höheren Mächte des Bewußtseins existieren deshalb, weil sie Mächte der Höchsten Wirklichkeit sind. Dieselbe Wahrheit liegt auch unserem irdischen Wesen zugrunde: Es ist ein Werden der Einen Wirklichkeit, das in sich jene höheren Mächte zu verkörpern hat. Seine gegenwärtige Erscheinung ist eine verhüllte und partielle Gestaltung. Begrenzen wir uns auf diese erste Gestalt, auf die gegenwärtige Formel eines unvollkommenen Menschseins, dann schließen wir unsere göttlichen Verwirklichungsmöglichkeiten aus. Wir müssen einen umfassenderen Sinn in unser menschliches Leben hineinbringen und in ihm das viel Umfassendere manifestieren, das wir insgeheim sind. Unsere Sterblichkeit ist nur im Lichte unserer Unsterblichkeit gerechtfertigt. Unsere Erde kann sich nur dann völlig erkennen und selbst ganz das sein, wenn sie sich für die Himmel öffnet. Der einzelne Mensch kann sich selbst erst richtig sehen, kann seine Welt erst richtig verwenden, wenn er in höhere Ebenen des Seienden eingetreten ist, wenn er das Licht des Höchsten geschaut hat und im Wesen und in der Macht des Göttlichen und Ewigen lebt.

Eine Integration dieser Art wäre unmöglich, wäre nicht eine spirituelle Evolution der Sinn unserer Geburt und irdischen Existenz. Die Evolution von Mental, Leben und Geist in der Materie ist das Zeichen dafür, daß diese Integration, diese vollständige Offenbarung eines in ihr enthaltenen geheimen Selbsts ihr tieferer Sinn ist. Vollständige Involution all dessen, was der Geist ist, und evolutionäre Selbst-Entfaltung bilden den Doppelbegriff unseres materiellen Daseins. Es gibt eine Möglichkeit, daß sich der Geist durch eine immer mehr enthüllte lichtvolle Enwicklung des Wesens zum Ausdruck bringt. Es gibt aber auch die Möglichkeit, daß er sich unterschiedlich in Typen ausdrückt, die in ihrer Art festgelegt und vollkommen sind. Das ist das Prinzip des Werdens in den höheren Welten. Sie sind in ihrem Lebens-Prinzip geprägt, nicht evolutionär. Jeder Typus existiert in seiner eigenen Vollkommenheit, jedoch innerhalb der Grenzen einer feststehenden Welt-Formel. Es gibt aber auch die Möglichkeit, sich dadurch zum Ausdruck zu bringen, daß man das Selbst findet. Diese Entfaltung nimmt die Form der Verhüllung des Selbsts an und schreitet durch das Abenteuer der Wiedergewinnung des Selbsts vorwärts. Das ist das Prinzip des Werdens in diesem Universum, dessen erste Erscheinung darin besteht, daß sich das Bewußtsein involviert und der Geist in der Materie verbirgt.

Involution des Geistes in der Unbewußtheit ist der Anfang. Evolution in der Unwissenheit mit ihrem Spiel der Möglichkeiten einer partiell sich entfaltenden Erkenntnis ist die Mitte. Sie ist die Ursache der Anomalien unserer gegenwärtigen Natur. Unsere Unvollkommenheit ist das Zeichen für einen Übergangszustand, für ein noch nicht vollendetes Wachstum, für ein Bemühen, das seinen Weg findet. Die Gipfelhöhe dieses Wegs liegt darin, daß wir eine Vollendung in der Entfaltung des Selbst-Wissens des Geistes und der Selbst-Macht seines göttlichen Wesens und Bewußtseins erlangen. Das sind die drei Stufen dieses Zyklus, in dem sich der Geist fortschreitend im Leben selbst zum Ausdruck bringt. Die beiden Stufen, die bereits ihr Kräftespiel entfalten, scheinen auf den ersten Blick die Möglichkeit der letzten, alles überhöhenden Stufe des Zyklus auszuschließen. Logischerweise setzen sie aber ihr Hervortreten voraus. Denn wenn das Unbewußte die Bewußtheit entwickelt hat, muß sich das bereits erreichte partielle Bewußtsein gewiß in das vollständige Bewußtsein entwickeln. Die Erd-Natur sucht nach einem vervollkommneten und vergöttlichten Leben. Dieses Suchen ist ein Zeichen für den göttlichen Willen in der Natur. Es gibt auch andere Formen des Suchens; auch diese finden die Mittel zu ihrer Selbst-Erfüllung. Innerhalb der Erd-Existenz steht es der Seele frei, sich in den erhabenen Frieden oder in die Ekstase, die Seligkeit der Göttlichen Gegenwart, zurückzuziehen. Denn das Unendliche besitzt in seiner Manifestation viele Möglichkeiten und ist nicht durch seine Formulierungen beschränkt. Jedoch kann keine dieser Arten, sich zurückzuziehen, hier die fundamentale Absicht im Werden sein. Denn dann wäre ein evolutionärer Fortschritt nicht unternommen worden. Ein solches Vorwärtsschreiten hier kann nur als Ziel haben, sich selbst zur Erscheinung zu bringen. Eine fortschreitende Manifestation dieser Art kann als tieferen Sinn nur die Offenbarung des Seins in einem vollkommenen Werden haben.

Kapitel XVII. Der Fortschritt zum Wissen. Gott, Mensch und Natur

Du bist Jenes, o Svetaketu.

Svetasvatara Upanishad, IV, 10.

Das lebende Wesen ist niemand anderes als das brahman, die ganze Welt ist brahman.

Vivekachudamani, Vers 479.

Meine höchste Natur ist zu einem lebendigen Wesen geworden, und diese Welt wird durch es erhalten... alle Wesen haben dies als den Ursprung ihrer Geburt.

Gita, VII, 5. 6.

Du bist Mann und Frau, Knabe und Mädchen; alt und gebrechlich gehst du, auf einen Stock gestützt; du bist der blaue Vogel und der grüne und der scharlachäugige ...

Svetasvatara Upanishad, IV, 3.4.

Diese ganze Welt ist voll von Wesen, die seine Gliedmaßen sind.

Svetasvatara Upanishad, IV, 10.

Eine Involution des Göttlichen Seins, der spirituellen Wirklichkeit, in die in Erscheinung getretene Unbewußtheit der Materie ist der Ausgangspunkt der Evolution. Aber diese Wirklichkeit ist ihrer Natur nach ewiges Sein, Bewußtsein, Seins-Seligkeit. Die Evolution muß also ein Hervortreten dieses Seins, dieses Bewußtseins, dieser Seins-Seligkeit sein. Zunächst ist sie das nicht in ihrer Essenz oder Totalität, sondern in evolutionären Formen, die sie ausdrücken oder verkleiden. Aus der Unbewußtheit erscheint das Sein in einer ersten evolutionären Form als Stofflichkeit der Materie, die von einer unbewußten Energie geschaffen ist. Bewußtsein, in die Materie involviert und nicht in Erscheinung tretend, taucht zuerst auf in der Verkleidung von vitalen Vibrationen, die lebhaft, aber unterbewußt sind. Danach ringt es in den unvollkommenen Formulierungen bewußten Lebens danach, sich durch aufeinanderfolgende Formen dieser materiellen Substanz selbst zu finden, durch Formen, die mehr und mehr angepaßt sind, es immer vollständiger zum Ausdruck zu bringen. Bewußtsein müht sich im Leben, indem es die ursprüngliche Unempfindlichkeit der materiellen Unbelebtheit und Nichtbewußtheit abwirft, um sich selbst mehr oder minder vollständig in der Unwissenheit zu finden, die ihre erste unvermeidliche Formulierung ist. Sie erlangt aber zuerst nur eine primitive mentale Wahrnehmung und vitale Bewußtheit vom Selbst und von den Dingen, eine Lebens-Wahrnehmung, die in ihren ersten Formen von einem inneren Empfinden abhängt, das auf die Kontakte mit anderem Leben und mit der Materie reagiert. Bewußtsein arbeitet daran, sich, so gut es kann, durch die noch unangemessene Art der Empfindung seiner eigenen, ihm innewohnenden Freude des Wesens zu offenbaren. Es kann aber nur zum Teil den Schmerz oder die Lust formulieren. Im Menschen erscheint das seine Kraft entfaltende Bewußtsein als Mental, das deutlicher seiner selbst und der Dinge bewußt ist, eine partielle und begrenzte, noch nicht integrale Macht seines Selbsts, bei der aber eine erste begriffliche Potenz und das Versprechen auf ein vollständiges Hervortreten sichtbar ist. Dieses integrale Hervortreten ist das Ziel der sich entwickelnden Natur.

Der Mensch ist hier, um sich im Universum zu behaupten. Das ist seine erste Aufgabe. Er muß sich aber auch entwickeln und schließlich über sich selbst hinauskommen. Sein partielles soll er in das vollständige Wesen ausweiten. Sein partielles Bewußtsein soll er zum integralen Bewußtsein werden lassen. Er soll die Herrschaft über seine Umgebung erlangen, aber auch die Einung der Welt und die Welt-Harmonie. Er soll seine Individualität verwirklichen. Er soll sie aber auch in das kosmische Selbst und in die universale und spirituelle Daseins-Freude ausweiten. Offensichtlich ist es Absicht seiner Natur, daß er sich umwandelt, daß er all das läutert und verbessert, was in seiner Mentalität finster, irrig und unwissend ist. Schließlich soll er zu einer freien und umfassenden Harmonie und Erleuchtung seines Wissens, Wollens, Fühlens, Handelns und Charakters gelangen. Die Schöpferische Energie hat seiner Intelligenz dieses Ideal auferlegt. Einen Drang danach hat sie seiner mentalen und vitalen Substanz eingepflanzt. Das kann aber nur dadurch zur Vollendung gebracht werden, daß er in ein umfassenderes Wesen und in ein umfassenderes Bewußtsein hineinwächst. Der Zweck, um dessentwillen er geschaffen wurde, ist, daß er sein Selbst ausweitet, zur Erfüllung bringt und sich über das hinaus entwickelt, was er nur zum Teil und vorübergehend in seiner aktuellen und sichtbaren Natur darstellt, in das, was er in Vollkommenheit in seinem geheimen Selbst und Geist ist und gerade deshalb in seinem manifestierten Dasein werden kann. Diese Hoffnung ist die Rechtfertigung seines Lebens auf Erden inmitten der Erscheinungsformen des Kosmos. Der Mensch, so wie er äußerlich erscheint, ist ein vergängliches Wesen, den Beschränkungen durch seine materielle Verkörperung unterworfen und in eine begrenzte Mentalität eingesperrt. Er soll zu jenem inneren wirklichen Menschen werden, der Herr seiner selbst und seiner Umgebung, sowie in seinem Wesen universal ist. In einer lebendigeren und weniger metaphysischen Sprache ausgedrückt: Der natürliche Mensch soll sich zum göttlichen Menschen entwickeln. Die Kinder des Todes sollen sich als die Kinder der Unsterblichkeit erkennen. Aufgrund einer solchen Auffassung kann man die Geburt des Menschen als den Wendepunkt in der Evolution beschreiben, als die kritische Stufe in der Erd-Natur.

Daraus folgt sofort: Das Wissen, das wir erlangen sollen, ist nicht die Wahrheit des Intellekts. Es ist nicht die rechte Überzeugung, die richtige Meinung, die zutreffende Information über uns selbst und die Dinge – das ist nur die Vorstellung unseres Vordergrund-Mentals von Wissen. Zu einem mentalen Begriff über Gott, uns selbst und die Welt zu gelangen, ist ein Ziel, das für den Intellekt gut genug, jedoch nicht umfassend genug ist für den Geist. Es wird aus uns nicht die bewußten Kinder der Unsterblichkeit machen. Das indische Denken des Altertums verstand unter Wissen ein Bewußtsein, das die höchste Wahrheit durch unmittelbare Wahrnehmung und Selbst-Erfahrung besitzt. Das Höchste zu werden und zu sein, das wir erkennen können, ist ein Zeichen dafür, daß wir wirklich das Wissen besitzen. Aus demselben Grund ist es auch nicht – und kann es nicht sein – das höchste Ziel für uns, unser praktisches Leben und unsere Handlungen soviel wie möglich nur in Einklang zu bringen mit unseren intellektuellen Begriffen von Wahrheit und Recht oder sie aus einer erfolgversprechenden pragmatischen Erkenntnis – einer ethischen oder Walen Zielsetzung wegen – zu gestalten. Unser Ziel muß sein, hineinzuwachsen in unser wahres Wesen, in unser Wesen des Geistes, in das Wesen des höchsten und universalen Seins, Bewußtseins und der Seligen Freude, saccidananda.

Unser ganzes Dasein hängt von jenem Sein ab; es entwickelt sich in uns. Wir sind ein Wesen jenes Seins, ein Bewußtseins-Zustand jenes Bewußtseins, eine Energie jener bewußten Energie, ein Wille zur Seins-Seligkeit, zur Freude des Bewußtseins, zur Wonne der Kraft, die aus jener Seligkeit geboren ist. Das ist das Wurzel-Prinzip unseres Daseins. Die Form, die wir an unserer Außenseite von diesen Dingen gestalten, ist aber nicht Jenes. Sie ist eine falsche Übertragung in die Begriffe der Unwissenheit. Unser Ich ist nicht das spirituelle Wesen, das im Blick auf das Göttliche Sein von sich sagen kann: “Jenes bin ich.” Unsere Mentalität ist nicht jenes spirituelle Bewußtsein. Unser Wille ist nicht jene Kraft des Bewußtseins. Unser Schmerz und unsere Lust, auch unsere höchsten Freuden und Ekstasen, sind nicht jene Seins-Seligkeit. In unserem vordergründigen Wesen sind wir noch ein Ich, das sich als das Selbst aufführt, eine Unwissenheit, die sich zum Wissen hinwendet, ein Wille, der sich um wahre Kraft bemüht, eine Sehnsucht, die nach der Seins-Seligkeit sucht. Zu unserem Selbst zu werden, indem wir über uns selbst hinauskommen – so können wir die inspirierten Worte eines halb-blinden Sehers umkehren, der das Selbst nicht kannte, von dem er sprach –, ist der schwierige und gefährliche Zwang, das uns auferlegte Kreuz, über dem eine unsichtbare Krone schwebt, das Rätsel der wahren Natur seines Wesens, das dem Menschen von der dunklen Sphinx der Unbewußtheit unter ihm und von der lichten verhüllten Sphinx des unendlichen Bewußtseins und der ewigen Weisheit von innen und oben her aufgegeben wird, die ihm als eine unerforschliche göttliche maya entgegentritt. Deshalb ist der höchste Zweck unseres Lebens hier, unser Ich zu überwinden und unser wahres Selbst zu sein, unser wirkliches Wesen zu gewahren und zu besitzen, eine wirkliche Freude am Sein zu haben. Das ist der verborgene Sinn unseres individuellen und irdischen Daseins.

Intellektuelles Wissen und praktisches Handeln sind Einrichtungen der Natur, durch die wir so viel von unserem Wesen und Bewußtsein, von unserer Kraft und der Macht unserer Freude zum Ausdruck bringen können, wie wir in unserer vordergründigen Natur zu verwirklichen fähig sind. Wir versuchen dadurch, mehr zu wissen, mehr auszudrücken, mehr zu verwirklichen, immer weiter in das Viele emporzuwachsen, das wir noch zu verwirklichen haben. Jedoch sind unser Intellekt, unsere mentale Erkenntnis und unser Wille zum Handeln nicht unsere einzigen Mittel, nicht alle Werkzeuge unseres Bewußtseins und unserer Kraft. Unsere Natur – so benennen wird die Kraft des Wesens in uns in ihrem aktuellen und potentiellen Spiel und in ihrer Macht – ist in ihrer Anordnung des Bewußtseins ebenso komplex wie in der Instrumentation der Kraft. Wir müssen jeden schon entdeckten oder noch entdeckbaren Begriff und Umstand dieser Komplexheit, die wir zum wirksamen System machen können, in den für uns höchst-möglichen und feinsten Werten verwirklichen und in seiner weitesten und reichsten Machtentfaltung für das eine Ziel verwenden. Dieser Zweck liegt darin, ständig zu wachsen, bewußt zu sein, größer zu werden in unserem erkannten Wesen, im Innesein des Selbsts und der Dinge, in unserer verwirklichten Kraft und Freude des Seins und dieses Wachsen dynamisch in solcher Einwirkung auf die Welt und uns selbst zum Ausdruck zu bringen, daß wir und sie immer mehr zur größt-möglichen Höhe und Weite an Universalität und Unendlichkeit heranwachsen. In dem gewaltigen Drama des Bemühens der Natur ist all das durch die Epochen währende Ringen des Menschen nur eine Episode: seine Aktivitäten, seine Gesellschaft, Kunst, Ethik, Wissenschaft und Religion, sowie all die vielfältigen Tätigkeiten, durch die er sein mentales, vitales, physisches und spirituelles Sein ausdrückt und vermehrt. Hinter ihren begrenzten vordergründigen Zielen hat all das keinen anderen wahren Sinn oder Grund. Die alten Seher der Veden verstanden unter Wissen, daß der einzelne zur göttlichen Universalität und höchsten Unendlichkeit kommt, in ihr lebt, sie besitzt, sie allein in all seinem Wesen, seinem Bewußtsein, seiner Kraft und Seins-Seligkeit ist, weiß, fühlt und ausdrückt. Das war die Unsterblichkeit, die sie dem Menschen als seine göttliche höchste Vollkommenheit vor Augen stellten.

Durch die Art seiner Mentalität, durch seinen Einblick in sich selbst und seinen Ausblick auf die Welt, durch seine ursprüngliche Begrenztheit in beiden durch Sinne und Körper, durch die Gebundenheit an das Relative, das Augen- und Sinnenfällige, ist der Mensch gezwungen, schrittweise, zuerst in Dunkel und Unwissenheit innerhalb dieser riesigen evolutionären Bewegung vorwärtszugehen. Es ist für ihn nicht möglich, das Seiende von Anfang an in der Vollständigkeit seiner Einheit ins Auge zu fassen. Es stellt sich ihm in der Verschiedenheit dar. Sein Suchen nach Wissen wird beherrscht von drei hauptsächlichen Kategorien, die für ihn diese Verschiedenheit zusammenfassen: er selbst – der Mensch oder die individuelle Seele – Gott und die Natur. Das erste ist das, dessen allein er in seinem normalen unwissenden Wesen unmittelbar bewußt ist. Er sieht sich, das Individuum, scheinbar in einem Dasein von allem übrigen Wesen getrennt, bleibt jedoch immer unabtrennbar mit diesem verbunden. Er ringt danach, sich selbst genug zu sein, doch kann er niemals in sich selbst Genüge finden, da man noch nie von dieser individuellen Seele die Erfahrung machte, daß sie getrennt von den übrigen Wesen ins Dasein trat oder existierte oder in ihrem eigenen Sein den Höhepunkt erreichte ohne die Hilfe der anderen und unabhängig vom universalen Wesen und der universalen Natur. Zweitens gibt es jenes, das der Mensch nur mittelbar durch sein Mental und die körperlichen Sinne und durch dessen Wirkungen auf diese erkennt, wobei er aber darum ringen muß, jenes immer vollständiger zu erkennen: weil er auch alles übrige Seiende sieht, mit dem er sich so sehr identifiziert und von dem er doch so getrennt ist – den Kosmos, die Welt, die Natur, die anderen individuellen Wesen, die er als ihm stets gleich und dennoch ungleich erkennt. Denn sie sind ihrer Natur nach dasselbe, selbst bis zu Pflanze und Tier, und doch in ihrem Charakter so ganz anders. Jedes Wesen scheint seinen eigenen Weg zu gehen, ein gesondertes Wesen zu sein, und doch wird jedes durch die gleiche Bewegung angetrieben und folgt, gemäß seinem eigenen Grad der Entwicklung, der gleichen unermeßlichen Evolutionskurve wie er selbst. Schließlich sieht oder vielmehr ahnt er etwas, das er überhaupt nicht kennt, es sei denn ganz mittelbar. Denn er weiß davon nur etwas durch sich selbst und durch das, wonach sich sein Wesen sehnt, oder durch die Welt und das, worauf sie hinzuweisen scheint und das sie entweder im Verborgenen zu erlangen und durch ihre unvollkommenen Gestaltungen auszudrücken sucht, das zumindest diese, ohne daß sie es wissen, auf ihre geheime Beziehung zu jener unsichtbaren Wirklichkeit und zu jenem geheimen Unendlichen gründet.

Dieses dritte und unbekannte Etwas, dieses tertium quid, nennt er Gott. Mit diesem Wort meint er Etwas oder Jemand, der das Höchste, das Göttliche, die Ursache, das All ist, eines von diesen Dingen oder sie alle zugleich, die Vollkommenheit oder die Totalität von allem, das hier nur bruchstückhaft oder unvollkommen ist, das Absolute all dieser Myriaden von Relativitäten. Er ist der Unbekannte: wenn der Mensch Ihn ergründen könnte, kann das wirkliche Geheimnis dessen, was man weiß, für ihn immer verständlicher werden. Der Mensch hat versucht, all diese Kategorien zu negieren: Er hat versucht, sein eigenes wirkliches Dasein zu bestreiten. Er hat versucht, das wirkliche Dasein des Kosmos zu verneinen. Er hat versucht, das wirkliche Sein Gottes zu leugnen. Hinter all diesen Verneinungen sehen wir aber denselben ständigen Zwang seines Strebens nach Wissen. Denn er fühlt die Notwendigkeit, zu der Einheit dieser drei Begriffe zu gelangen, selbst wenn das nur dadurch geschehen könnte, daß er zwei von ihnen unterdrückt oder sie mit dem anderen, übriggebliebenen verschmilzt. Um das fertig zu bringen, behauptet er, nur er allein sei die Ursache von allem anderen, und dieses seien nur die Schöpfungen seines Mentals. Oder er bejaht nur die Natur, alles übrige seien bloß Phänomene der Natur-Energie. Oder er bejaht nur Gott, das Absolute, und der Rest sei nichts als Illusionen, die Jenes durch eine unerklärliche maya auf sich selbst und auf uns projiziere. Keine von diesen Verneinungen kann völlig befriedigen. Keine löst das Problem vollständig oder kann unwiderleglich und definitiv sein, am wenigsten jene, zu der sein von den Sinnen beherrschter Intellekt am meisten neigt, in der er aber nie lange verharren kann. Wenn er Gott leugnet, bestreitet er zugleich sein eigenes wahres Streben und sein eigenes Allerhöchstes. Die Epochen eines naturalistischen Atheismus waren stets kurzlebig, weil jener nie das geheime Wissen des Menschen befriedigen kann. Er kann auch nicht dem endgültigen Veda entsprechen, da er nicht mit dem Veda in unserem Innern übereinstimmt, den alle mentale Erkenntnis nach außen zu bringen bemüht ist. Von dem Augenblick an, wo wir diesen Mangel an Entsprechung fühlen, ist eine Lösung, mag sie noch so vernünftig, auch logisch noch so vollständig sein, durch den Ewigen Zeugen im Menschen gerichtet und verurteilt. Sie kann nicht das letzte Wort des Wissens bilden.

Der Mensch ist seiner Art nach sich selbst nicht genug. Er existiert nicht gesondert für sich; er ist nicht der Ewige und ist nicht das All. Darum kann er, für sich genommen, nicht die Erklärung für den Kosmos sein, von dem sein Mental, Leben und Körper so offenkundig nur eine unendlich kleine Einzelheit bilden. Ebenso erkennt er, daß der sichtbare Kosmos an und für sich nicht genügt, da er sich nicht einmal durch seine unsichtbaren Kräfte erklärt. So findet der Mensch sowohl in sich selbst wie in der Welt zu viel, was jenseits von diesen beiden ist, etwas, von dem sie nur ein äußeres Gesicht, eine Haut oder sogar nur eine Maske zu sein scheinen. Ebensowenig können sein Intellekt oder seine Intuitionen oder sein Fühlen etwas tun ohne den Einen oder ohne die Einheit, mit dem oder mit der diese Welt-Kräfte und er selbst in einer Beziehung stehen können, die diese trägt und denen sie ihre Bedeutung verleiht. Er fühlt, es muß ein Unendliches geben, das diese Endlichkeiten trägt, das in, hinter und um diesen sichtbaren Kosmos ist, die Harmonie, die gegenseitige Beziehung und die wesenhafte Einheit der vielfältigen Dinge begründet. Sein Denken braucht ein Absolutes, von dem diese unzähligen, endlichen Relativitäten in ihrem Dasein abhängen, eine höchste Wahrheit der Dinge, eine schöpferische Macht oder Kraft oder ein Wesen, das alle diese unzähligen Wesen im Universum verursacht und im Dasein erhält. Mag er es nennen, wie er will: Er muß zu einem Höchsten, zu einem Göttlichen, zu einer Ursache, zu einem Unendlichen und Ewigen, einem Dauernden und zu einer Vollkommenheit gelangen, nach der alles strebt und sich sehnt, oder zu einem All, das ständig und unsichtbar der Inbegriff aller Dinge und Wesen ist und ohne das sie nicht sein könnten.

Doch gerade dieses Absolute kann er nicht an und für sich unter Ausschluß der beiden anderen Kategorien wirklich bejahen. Denn dann hätte er nur mit Gewalt einen Sprung von jenem Problem hinweg getan, zu dessen Lösung er hier auf Erden ist. Dann wären der Kosmos und er selbst eine unerklärliche Irreführung oder ein sinnloses Mysterium. Eine gewisse Seite seines Intellekts und sein Verlangen nach Ruhe mögen durch eine solche Lösung beschwichtigt werden, wie auch seine physische Intelligenz leicht zufriedengestellt wird, wenn er ein Jenseits bestreitet und die materielle Natur vergöttlicht. Sein Herz jedoch und sein Wille, die stärksten und intensivsten Seiten seines Wesens, verbleiben ohne Sinndeutung, bar eines Zweckes und ohne Rechtfertigung, oder sie werden zu einer zufälligen Torheit, die irrlichternd wie ein sinn- und ruheloser Schatten der ewigen Stille des reinen Seins sich entgegenstellt oder inmitten der ewigen Unbewußtheit des Universums herumgeistert. Der Kosmos bliebe dann in dem singulären Charakter einer sorgfältig aufgebauten Lüge des Unendlichen, eine schauerlich aggressive und doch in Wirklichkeit gar nicht bestehende Anomalie, als ein leidvolles, elendes Paradoxon mit falschen Schaustellungen von Wunderbarem, von Schönheit und Wonnen. Oder er wäre das ungeheure Spiel einer blinden organisierten Kraft ohne Bedeutung, sein eigenes Wesen eine flüchtige winzige Anomalie, die sich unverständlicherweise in dieser sinnlosen Unermeßlichkeit ereignet. In dieser Richtung liegt keine befriedigende Erfüllung für das Bewußtsein, für die Energie, die sich in der Welt und im Menschen manifestiert hat. Das Mental muß etwas finden, das alles miteinander verknüpft, etwas, durch das die Natur im Menschen und der Mensch in der Natur zu ihrer Erfüllung gelangen, etwas, durch das sich beide in Gott finden, da sich im letzten Grund das Göttliche Wesen selbst in beiden, im Menschen und in der Natur, offenbart.

Für das Wissen ist es wesentlich, daß wir die Einheit dieser drei Kategorien annehmen und erkennen. Das wachsende Selbst-Bewußtsein des einzelnen Menschen öffnet sich zu ihrer Einheit hin ebenso wie zu ihrer Vollständigkeit. Dorthin muß es kommen, wenn es von sich befriedigt und vollständig sein soll. Denn ohne die Realisation der Einheit dieser drei Kategorien kann das Wissen von keiner dieser drei etwas Ganzes sein. Ihre Einheit ist für jede die Voraussetzung ihrer eigenen Vollständigkeit. Andererseits treffen alle drei nur dadurch in unserem Bewußtsein zusammen und werden eins, daß sich jede in ihrer Vollständigkeit erkennt. In einem totalen Wissen wird alles Wissen eins und unteilbar. Sonst könnten wir nur durch Zertrennung und die Zurückweisung von zweien von ihnen aus der Position der dritten zu einer gewissen Einheit gelangen. Darum muß der Mensch sein Wissen von sich selbst, seine Erkenntnis der Welt und sein Wissen von Gott ausweiten, bis er in ihrer Totalität dessen bewußt wird, daß sie einander innewohnen und eine Einheit sind. Denn solange er sie nur zum Teil kennt, wird das zu Unvollständigkeit und Zertrennung führen. Solange er sie nicht in einer Einheit erkennt, die sie miteinander versöhnt, wird er nicht ihre ganze Wahrheit, nicht die grundlegenden Bedeutungen des Seins gefunden haben.

Damit soll nicht gesagt sein, der Höchste sei nicht selbst-seiend und sich selbst genug. Gott existiert in Sich Selbst und nicht kraft des Kosmos oder des Menschen. Dagegen existieren Kosmos und Mensch nur, weil Gott existiert und durch Ihn. An sich selbst existieren sie nur insofern, als ihr Wesen eins ist mit dem Wesen Gottes. Doch sind sie auch eine Manifestation der Macht Gottes. Gerade in Seinem ewigen Sein muß ihre spirituelle Wirklichkeit in einer gewissen Weise gegenwärtig oder inbegriffen sein, da es sonst keine Möglichkeit für ihre Manifestation gäbe oder sie, falls manifestiert, keine Bedeutung hätten. Was hier als Mensch erscheint, ist ein individuelles Wesen aus dem Göttlichen Wesen. Das Göttliche Wesen, in die Vielfalt ausgebreitet, ist das Selbst aller individuellen Existenzen, eko vasi sarvabhutantaratma (Katha Upanishad, V. 12.). Überdies kommt der Mensch durch die Erkenntnis des Selbsts und der Welt zum Wissen von Gott, das er nicht auf andere Weise erlangen kann. Nicht dadurch, daß er Gottes Manifestation zurückweist, sondern dadurch, daß er seine eigene Unwissenheit in Bezug auf sie und die Ergebnisse dieser Unwissenheit ablegt, kann er am besten das Ganze seines Wesens, seines Bewußtseins, seiner Energie und Daseins-Freude in das Göttliche Sein emporheben und ihm darbieten. Er mag das durch sich selbst als durch die eine oder durch das Universum als die andere Manifestation tun. Wenn er durch sich selbst allein dorthin gelangt, kann er sich versenken durch individuelles Untertauchen oder durch ein Verschmelzen mit dem Unbegrenzbaren und so das Universum verlieren. Gelangt er dorthin allein durch das Universum, kann er seine Individualität entweder in die Apersonalität des universalen Wesens oder in ein dynamisches Selbst der universalen Bewußtseins-Kraft versenken. Er verschmilzt mit dem universalen Selbst, oder er wird zu einer apersonalen Leitung für die kosmische Energie. Gelangt er dorthin durch die ausgeglichene Vollständigkeit beider und dadurch, daß er durch sie und jenseits von ihnen alle Aspekte des Göttlichen Wesens erfaßt, kommt er über beide hinaus und erfüllt sie dadurch, daß er sie hinter sich läßt: Nun besitzt er das Göttliche Wesen in seinem eigenen Wesen, wie er ebenso auch umhüllt, durchdrungen, ganz erfüllt und eingenommen ist vom Göttlichen Wesen, Bewußtsein und Licht, von Seiner Macht und Seligkeit sowie von Seinem Wissen. Er besitzt Gott in sich selbst und Gott im Universum. Das All-Wissen rechtfertigt ihm gegenüber, daß es ihn selbst erschaffen hat. Und es rechtfertigt durch ihn, der vollkommen geworden ist, die Erschaffung der Welt, die es gebildet hat. Das alles wird dadurch vollauf wirklich und wirksam, daß der Mensch in eine supramentale und höchste Übernatur emporkommt und daß deren Mächte in die Manifestation herabkommen. Während aber diese höchste Vollendung noch schwierig ist und weit in der Zukunft liegt, kann das wahre Wissen davon doch subjektiv dadurch verwirklicht werden, daß der Mensch den Geist reflektiert oder ihn in seine Natur von Mental, Leben und Körper aufnimmt.

Aber diese spirituelle Wahrheit und das wahre Ziel seines Wesens kann dem Menschen erst in einer späteren Phase seines Lebensweges sichtbar werden. Denn die frühe vorbereitende Arbeit des Menschen in den evolutionären Stufen der Natur besteht darin, daß er seine eigene Individualität behaupten, sie ausgeprägt und reich machen, fest, machtvoll und vollständig in Besitz haben muß. Als eine Folge davon muß er sich am Anfang hauptsächlich mit seinem eigenen Ich beschäftigen. In dieser ichhaften Phase seiner Entwicklung sind für ihn die Welt und die anderen weniger wichtig als er sich selbst. Eigentlich sind sie für ihn nur wertvoll als Hilfen und als die gegebenen Möglichkeiten dafür, daß er sich selbst durchsetzt. Auch Gott ist für ihn auf dieser Stufe weniger wichtig, als er selbst es für sich ist. Darum werden in den früheren Lebensgestaltungen, auf den niederen Ebenen der religiösen Entwicklung, Gott oder die Götter so behandelt, als existierten sie nur zugunsten des Menschen, als hervorragende Mittel zur Befriedigung seiner Sehnsüchte, als seine Helfer bei der Aufgabe, die Welt, in der er lebt, zu verwenden, um seine Bedürfnisse, seine Wünsche und seinen Ehrgeiz zu befriedigen. Man darf diese anfängliche ichhafte Entwicklungsstufe mit all ihren Sünden, Gewalttaten und Grausamkeiten keinesfalls, an ihrem eigentlichen Ort, als etwas Böses oder als Irrtum der Natur ansehen. Das ist für das anfängliche Wirken des Menschen notwendig, damit er sich völlig loslöst vom niederen Unterbewußten, in dem er als der einzelne Mensch vom Massen-Bewußtsein der Welt überwältigt und den mechanischen Wirkweisen der Natur unterworfen ist. Der Mensch, das Individuum, muß seine Personalität der Natur gegenüber behaupten und unterscheiden. Er muß in machtvoller Weise er selbst sein, alle seine Begabungen an Kraft, Willen und Genuß so entwickeln, daß er sie gegen die Natur und die Welt mit immer größerer Meisterschaft und Kraft einsetzen kann. Seine Ichhaftigkeit, mit der er sich von den anderen unterscheidet, ist ihm als Mittel zu diesem anfänglichen Zweck gegeben. Erst wenn er so seine Individualität, seine Persönlichkeit, seine gesonderten Fähigkeiten entwickelt hat, kann er für das größere, vor ihm liegende Werk geeignet sein oder seine Gaben erfolgreich für höhere, umfassendere und eher göttliche Zwecke einsetzen. Zuerst muß er sich innerhalb der Unwissenheit behaupten, bevor er sich im Wissen vervollkommnen kann.

Der Ursprung des evolutionären Hervortretens aus dem Unbewußten wird durch zwei Kräfte bewirkt: durch ein verborgenes kosmisches Bewußtsein und durch ein individuelles Bewußtsein, das in der vordergründigen Natur des Menschen manifestiert wird. Das geheime kosmische Bewußtsein bleibt verborgen und für das Vordergründige des Individuums subliminal. Es organisiert sich in der äußeren Natur dadurch, daß es gesonderte Objekte und Wesen erschafft. Zugleich erschafft es aber so, wie es das gesonderte Objekt, den Körper und das Mental des individuellen Wesens organisiert, auch kollektive Bewußtseins-Mächte, umfassende subjektive Gestaltungen der kosmischen Natur. Diese versorgt es nicht mit einem organisierten Mental und Körper. Es gibt ihnen vielmehr eine Gruppe von Individuen als Basis, es entwickelt für sie ein Gruppen-Mental und einen sich wandelnden, doch stetigen Gruppen-Körper. Daraus folgt, daß das Gruppenwesen nur in dem Maß, in dem die individuellen Wesen immer bewußter werden, auch selbst immer bewußter werden kann. Das Wachsen des Individuums ist das unentbehrliche Mittel für das innere Wachstum des kollektiven Wesens, im Unterschied zu seiner äußeren Kraft und Ausweitung. Tatsächlich liegt darin die zweifache Bedeutung des Individuums: Der kosmische Geist organisiert durch es seine kollektiven Einheiten, befähigt sie zum Selbst-Ausdruck und läßt sie fortschreiten. Und er hebt durch es die Natur aus der Unbewußtheit zur Überbewußtheit empor und macht sie so erhaben, daß sie dem Transzendenten begegnen kann. In der Masse ist das kollektive Bewußtsein dem Unbewußten nahe. Es hat nur unterbewußte dunkle und stumme Regungen, für die es das Individuum benötigt, um sie auszudrücken, um sie ans Licht zu bringen, sie zu organisieren und wirksam zu machen. Das Massen-Bewußtsein bewegt sich als solches nur durch einen vagen, halb-gestalteten oder ungestalteten, subliminalen, gewöhnlich unterbewußten Impuls, der an die Oberfläche hervortritt. Es neigt zu blinder oder nur halbsehender Einmütigkeit, die in ihrer allgemeinen Bewegung das Individuum unterdrückt: Wenn es denkt, geschieht es durch die Parole, das Schlagwort, die Losung, die allgemeine unfertige oder gemachte Vorstellung, die überkommene, angenommene, gewohnheitsmäßige Denkungsart. Es handelt, wenn nicht aus Instinkt oder aufgrund eines Impulses, so doch nach den Gebräuchen des Rudels, der Herden-Mentalität oder dem Art-Gesetz. Dieses Bewußtsein, Leben und Handeln der Masse kann außerordentlich wirksam sein, wenn es einen einzelnen oder einige machtvolle Menschen finden kann, die es verkörpern, ausdrücken, anführen oder organisieren. Die plötzlichen Bewegungen der Menge können im Augenblick ebenso unwiderstehlich sein wie die Abstürze einer Lawine oder wie das Daherfegen eines Orkans. Die Unterdrückung oder völlige Unterordnung des Individuums unter das Massen-Bewußtsein kann einer Nation oder einer Gemeinschaft große praktische Wirkungskraft geben, wenn das subliminale kollektive Wesen eine bindende Tradition aufbauen oder eine Gruppe, eine Klasse, ein Haupt finden kann, um seinen Geist und seine Vormacht zu verkörpern. Die Stärke machtvoller Militärstaaten, von Gemeinschaften mit straffer und strenger Weltanschauung, die ihren einzelnen Gliedern aufgezwungen wird, der Erfolg der großen Welt-Eroberer haben zu ihrem Hintergrund dieses Geheimnis der Natur. Aber das ist nur eine Machtentfaltung äußeren Lebens, und dieses Leben ist nicht der höchste oder letzte Inbegriff unseres Wesens. In uns gibt es ein Mental, in uns wirken eine Seele und ein Geist. Unser Leben besitzt keinen wahren Wert, wenn es nicht ein wachsendes Bewußtsein, ein sich entfaltendes Mental enthält und wenn Mental und Leben nicht Instrument, Mittel zur Befreiung und zur Erfüllung für die Seele, für den innewohnenden Geist sind.

Der Fortschritt des Mentals, das Wachsen der Seele, und gerade des Mentals und der Seele im Kollektiv, hängen aber vom Einzelnen ab, von seiner ausreichenden Freiheit und Unabhängigkeit, von seiner gesonderten Macht, das auszudrücken und ins Wesen hervorzubringen, was in der Masse noch unausgedrückt, noch nicht aus dem Unterbewußten entfaltet, noch nicht von innen nach außen hervor- oder aus dem Überbewußten herniedergebracht worden ist. Das Kollektiv ist eine Masse, ein Feld zur Gestaltung. Der einzelne Mensch ist es, der die Wahrheit erahnt, die Form gestaltet; er ist der Schöpfer. In der Masse verliert das Individuum seine innere Führung und wird zu einer Zelle im Massen-Körper, der durch den Willen, die Idee des Kollektivs oder durch den Massen-Impuls angetrieben wird. Er muß beiseite stehen, seine gesonderte Wirklichkeit innerhalb des Ganzen behaupten, sein eigenes Mental, das aus der allgemeinen Mentalität herausragt, bewahren, sein eigenes Leben erhalten, das sich in der allgemeinen Lebens-Uniformität ebenso von den anderen unterscheidet, wie sein Körper etwas Einzigartiges, in der allgemeinen Körperlichkeit Unterscheidbares entwickelt hat. Er muß sich schließlich sogar in sich selbst zurückziehen, um sich selbst zu finden. Erst wenn er sich gefunden hat, kann er spirituell mit allen eins werden. Wenn er dieses Einssein nur im Mental, im Vital, im Physischen zu erlangen sucht und noch keine genügend starke Individualität besitzt, kann er durch das Massen-Bewußtsein überwältigt werden und die Erfüllung seiner Seele, seines Mentals und seines Lebens verlieren. Er kann dann nur zu einer Zelle im Massen-Körper werden. Das kollektive Wesen mag dadurch stark und beherrschend werden. Wahrscheinlich verliert es aber seine Formbarkeit, seine evolutionäre Bewegung. Die großen evolutionären Perioden der menschlichen Geschichte haben in Gemeinschaften stattgefunden, in denen sich das Individuum aktiv, mental, vital und spirituell lebhaft entwickelt hat. Aus diesem Grund hat die Natur das Ich erfunden, damit sich das Individuum aus der Unbewußtheit und Unterbewußtheit der Masse herauslösen und zu einem unabhängigen, lebendigen Mental, einer Lebens-Macht, einer Seele und einem Geist wird, dank deren es sich mit der Welt seiner Umgebung koordinieren kann, aber nicht in ihr ertränkt wird, als Sonderwesen zu existieren aufhört und dadurch seine Wirkungskraft verliert. Denn das Individuum ist zwar gewiß ein Teil des kosmischen Wesens, aber auch mehr als das: Es ist eine Seele, die aus der Transzendenz herabgekommen ist. Das kann jedoch der Mensch nicht auf einmal manifestieren, da er der kosmischen Unbewußtheit noch zu nahe steht, aber noch nicht weit genug zu der ursprünglichen Überbewußtheit emporgekommen ist. Er muß sich erst als das mentale und vitale Ich finden, bevor er sich als die Seele oder den Geist finden kann.

Doch bedeutet das Finden seiner ichhaften Individualität noch nicht, daß er sein Selbst erkennt. Das wahre spirituelle Individuum ist nicht das Mental-Ich, das Lebens-Ich, das Körper-Ich. Diese erste Bewegung ist vorwiegend ein Werk von Wille, Macht, ichhafter Selbst-Durchsetzung. Erst in zweiter Linie ist sie ein Werk von Erkenntnis. Darum muß eine Zeit kommen, da der Mensch tiefer hinabschauen muß unter diese dunkle Außenseite seines ichhaften Wesens und zu versuchen hat, sich selbst zu erkennen. Er muß sich auf den Weg machen, den wirklichen Menschen zu finden. Ohne das würde er bei der primären Erziehung der Natur halt machen und niemals weitergehen zu ihren tieferen und umfassenderen Lehren. Wie groß auch sein praktisches Wissen und seine Tüchtigkeit ist, er würde damit doch nur wenig höher stehen als das Tier. Zuerst soll er seinen Blick auf seine eigene Psyche richten und deren natürliche Elemente unterscheiden – das Ich, das Mental mit seinen Instrumenten, das Leben und den Körper–, bis er entdeckt, daß sein ganzes Dasein vor der Notwendigkeit steht, eine andere Erklärung zu finden als nur diejenige durch die natürlichen Elemente. Der Mensch braucht ein Ziel für sein Handeln, das etwas anderes ist als ichhafte Selbst-Behauptung und Befriedigung. Er mag das in der Natur und in der Menschheit suchen und so auf seinem Weg damit anfangen, seine Einheit mit der ganzen übrigen Welt zu entdecken. Er mag das Ziel auch in der Übernatur, in Gott suchen und so den Weg zur Entdeckung seiner Einheit mit dem Göttlichen Wesen betreten. In der Praxis versucht er diese beiden Wege und bemüht sich unter dauernden Schwankungen, sich in aufeinanderfolgenden Lösungen festzulegen, die am besten zu den verschiedenen Teil-Entdeckungen passen mögen, die er auf seiner doppelten Bahn von Suchen und Finden gemacht hat.

Durch alles aber, was der Mensch auf dieser Stufe noch beharrlich entdecken, erkennen und erfüllen will, sucht er immer nur sein Selbst. Seine Erkenntnis der Natur, seine Erkenntnis Gottes sind nur Hilfen zu dieser Erkenntnis seines Selbsts, zur Vervollkommnung seines Wesens und zum Erreichen des höchsten Zieles seines individuellen Selbst-Seins. Auf die Natur und den Kosmos gerichtet, mag es die Gestalt einer Selbst-Erkenntnis und Selbst-Beherrschung – im mentalen und vitalen Sinn – und einer Herrschaft über die Welt annehmen, in der wir uns befinden. Ist die Erkenntnis auf Gott gerichtet, mag es auch diese Form, jedoch in einem höheren, spirituellen Empfinden für Welt und Selbst annehmen oder sich in jener anderen, uns so bekannten und für das religiöse Mental so entscheidenden Gestalt äußern, im Suchen nach der individuellen Erlösung, entweder in einem jenseitigen Himmel oder indem das gesonderte Selbst sich in ein höchstes Selbst oder in ein höchstes Nicht-Selbst versenkt – in die Seligkeit oder das Nirvana. Bei alledem ist es aber das Individuum, das eine individuelle Selbst-Erkenntnis und das Ziel seines gesonderten Daseins sucht, wobei dann alles übrige, sogar Altruismus, Liebe zur Menschheit und Dienst an ihr, das Auslöschen oder die Vernichtung des eigenen Ichs – in was für subtilen Verkleidungen auch immer – als Hilfen und Mittel eingesetzt wird für das alles andere überragende Ziel, die Realisierung der Individualität. Es mag so aussehen, als sei das nur ein ausgeweiteter Egoismus. Dann wäre das gesonderte Ich die Wahrheit des Wesens des Menschen, das in ihm fortdauert bis zum Ende oder bis er schließlich von ihm durch seine Selbst-Auslöschung in der gestaltlosen Ewigkeit des Unendlichen befreit ist. Hier liegt aber ein tieferes Geheimnis verborgen, das seine Individualität und deren Verlangen rechtfertigt. Es ist das Geheimnis des spirituellen und ewigen Individuums, des purusha.

Vollkommenheit oder Befreiung – im Westen Erlösung genannt – kann wegen der spirituellen Person, der Gottheit im Individuum, nur etwas Individuelles, nicht Kollektives sein. Denn welche Vervollkommnung man auch für das Kollektiv erstreben mag, sie ist nur durch die Vollkommenheit der Individuen erreichbar, die sie konstituieren. Weil der individuelle Mensch Jenes ist, besteht für ihn die dringende Notwendigkeit, daß er sein Selbst findet. Indem er sich völlig an den Höchsten überantwortet und hingibt, erreicht er im vollkommenen Selbstopfer sein vollkommenes Selbst-Finden. Wenn der Mensch das mentale, vitale, physische, selbst das spirituelle Ich ausschaltet, hat das formlose und grenzenlose Individuum den Frieden und die Freude, daß es in seine eigene Unendlichkeit entkommt. In der Erfahrung, daß es nun nichts und niemand, aber auch alles und jedermann, oder daß es das Eine ist, jenseits von allen Dingen, absolut, bewirkt das brahman im Individuum diese ungeheure Verschmelzung oder diese wunderbare Vereinigung, Yoga, seiner ewigen Wesens-Einheit mit seiner unermeßlichen, allumfassenden oder höchsten, alles transzendierenden Einheit des ewigen Seins. So ist es unbedingt erforderlich, über das Ich hinauszukommen, doch kann man nie in ein Jenseits vom Selbst gelangen, außer durch höchstes und allumfassendes Erkennen. Denn das Selbst ist nicht das Ich. Es ist eins mit dem All und mit dem Einen. Wenn wir es finden, entdecken wir das All und den Einen in unserem Selbst: Der Widerspruch, die Sonderung, verschwindet. Das Selbst jedoch, die spirituelle Wirklichkeit, verbleibt, vereint mit dem Einen und dem All durch jenes zur Befreiung führende Verschwinden des Ichs.

Diese höhere Selbst-Erkenntnis beginnt also, sobald der Mensch über seine Voreingenommenheit für die Beziehung von Natur und Gott zu seinem vordergründigen Wesen, zu seinem äußerlich erscheinenden Ich hinauskommt. Ein erster Schritt dazu ist, daß er weiß, dieses Leben ist nicht alles. Er soll seine eigene Ewigkeit in der Zeit begreifen, diese subjektive Fortdauer, die man die Unsterblichkeit der Seele nennt, erkennen und ihrer konkret bewußt werden. Wenn er weiß, daß es Zustandsformen jenseits des Materiellen gibt, und wenn er in dem lebt, was hinter ihm und vor ihm liegt, wenn er schließlich einer Prä-Existenz und einer darauffolgenden Post-Existenz bewußt wird, ist er auf dem Weg, seine vorübergehende Unwissenheit zu verlieren, indem er sich über die unmittelbaren Augenblicke der Zeit hinaus in den Besitz seiner eigenen Ewigkeit ausweitet. Ein anderer Schritt nach vorwärts liegt darin, daß er versteht, sein vordergründiger Wach-Zustand ist nur ein kleiner Teil seines Wesens, und daß er beginnt, den Abgrund des Unbewußten und die Tiefen des Unterbewußten und des Subliminalen auszuloten und sich in die Höhen des Überbewußten emporzuschwingen. Auf diese Weise beseitigt er immer mehr die psychologische Unwissenheit über sein Selbst. Ein dritter Schritt geschieht, wenn er herausfindet, daß in ihm noch etwas anderes vorhanden ist als sein instrumentales Mental, Leben und Körperwesen. Er entdeckt hier nicht nur eine unsterbliche, sich immer weiter entfaltende individuelle Seele, die seine Natur stützt und fördert, sondern ein ewiges unveränderliches Selbst und den Geist. Dann lernt er, was die Kategorien seines spirituellen Wesens sind, bis er schließlich entdeckt, daß alles in ihm Ausdruck des Geistes ist, und die Verbindung zwischen seinem niederen und seinem höheren Sein erkennt. So macht er sich ans Werk, seine konstitutionelle Unwissenheit vom Selbst zu beseitigen. Indem er Selbst und Geist entdeckt, findet er Gott. Er erkennt, daß es jenseits des Vergänglichen ein Selbst gibt: Er erlangt die Schau von jenem Selbst im kosmischen Bewußtsein als von der Göttlichen Wirklichkeit hinter der Natur und hinter dieser Welt der Wesen. Sein Mental öffnet sich für den Gedanken oder für das Empfinden des Absoluten, von dem das Selbst, das Individuum und der Kosmos so viele Gesichter sind. So löst sich allmählich die starre Gewalt der kosmischen, ichhaften, ursprünglichen Unwissenheit über sich selbst. Versucht er nun, sein Dasein in die Prägeform dieser sich ausweitenden Selbst-Erkenntnis zu gießen, werden seine ganze Lebens-Anschauung und Lebens-Motivierung, sein Denken und Handeln fortschreitend umgestaltet und transformiert. Seine praktische Unwissenheit über sich selbst, über seine Natur und über das Ziel seines Daseins nimmt immer mehr ab. Nun hat er den Pfad beschritten, der aus der Lüge und dem Leiden eines begrenzten und zerteilten Daseins in den vollkommenen Besitz und Genuß des wahren und vollständigen Seins führt.

Im Verlauf dieses Fortschreitens entdeckt er Schritt für Schritt die Einheit der drei Kategorien, von denen er ausgegangen ist. Denn er findet erstens, daß er in seinem manifestierten Wesen eins ist mit dem Kosmos und mit der Natur. Mental und Körper, die Seele in der Aufeinanderfolge der Zeit, das Bewußte, das Unterbewußte und das Überbewußte, diese Elemente in ihren verschiedenen Beziehungen zueinander und das Ergebnis dieser Beziehungen bilden den Kosmos und die Natur. Er findet aber auch, daß in allem, was hinter ihnen steht oder worauf sie sich gründen, er eins ist mit Gott. Denn das Absolute, der Geist, das raumlose und zeitlose Selbst sowie das Selbst, das sich im Kosmos manifestiert und Herr der Natur ist – all das ist es, was wir unter Gott verstehen. In alledem geht sein eigenes Wesen zurück auf Gott und leitet seinen Ursprung von dorther ab. Er ist der Absolute, das Selbst, der Geist, der sich selbst in einer Vervielfältigung seines Selbsts in den Kosmos hinausprojiziert und in der Natur verhüllt hat. In diesen beiden Vergegenwärtigungen entdeckt der Mensch seine Einheit mit allen anderen Seelen und Wesen – in relativer Weise in der Natur, da er mit ihnen eins ist in Mental, Vitalität, Materie und in jedem kosmischen Prinzip und Resultat, wie verschieden sie auch an Energie und im Wirken der Energie, in der Anordnung des Prinzips und der Anlage des Ergebnisses sein mögen, in absoluter Weise jedoch in Gott, da das Eine Absolute das Eine Selbst, der Eine Geist immer das Selbst aller, ihr Ursprung und Besitzer ist, der sich an ihrer Vielfalt erfreut. Die Einheit von Gott und Natur muß sich ihm unfehlbar manifestieren. Denn er findet am Ende, daß der Absolute in all diesem Relativen da ist. Er sieht, daß jedes andere Prinzip eine Manifestation des Geistes ist. Er entdeckt, daß das Selbst zu allen diesen Werdeformen geworden ist. Er fühlt, daß shakti, die Macht des Wesens und Bewußtseins des Herrn aller Wesen, die Natur ist und im Kosmos wirkt. So gelangen wir in der Weiterentwicklung unserer Selbst-Erkenntnis zu dem, durch dessen Entdeckung alles als eins mit unserem Selbst erkannt wird und durch dessen Besitz wir alles in unserem eigenen Selbst-Sein besitzen und genießen.

In gleicher Weise muß aufgrund dieser Einheit die Erkenntnis des Universums das Mental des Menschen zu der gleichen umfassenden Offenbarung führen. Denn er kann nicht die Natur als Materie, als Kraft und als Leben erkennen, ohne daß er dazu getrieben wird, die Beziehung des mentalen Bewußtseins zu diesen Prinzipien zu ergründen. Sobald er dann die wahre Art des Mentals erkennt, muß er unvermeidlich über jede vordergründige Erscheinung hinausgehen. Er muß den Willen und die Intelligenz enthüllen, die insgeheim im Wirken der Kraft und in den materiellen und vitalen Phänomenen wirksam sind. Er muß das als Einheit im wachen Bewußtsein, im Unterbewußtsein und im Überbewußtsein erkennen. Er muß die Seele im Körper des materiellen Universums entdecken. Wenn er so der Natur durch diese Kategorien hindurch nachgeht, in denen er seine Einheit mit dem ganzen übrigen Kosmos erkennt, findet er eine Über-Natur hinter allem, was in Erscheinung tritt, eine höchste Macht des Geistes in der Zeit und jenseits der Zeit, im Raum und jenseits des Raumes, eine bewußte Macht des Selbsts, das durch sie zu allen Werde-Erscheinungen wird, eine bewußte Macht des Absoluten, der durch sie alle Relativitäten offenbart. Mit anderen Worten, er erkennt sie nicht nur als materielle Energie, als Lebens-Kraft, als Mental-Energie, als die vielen Gesichter der Natur, sondern als die Macht des Wissens-Willens des Göttlichen Herrn des Seienden, als die Bewußt-seins-Kraft des selbst-seienden Ewigen und Unendlichen.

Das Suchen des Menschen nach Gott, das schließlich zu dem Glühendsten und Erhabensten all seines Suchens wird, beginnt mit seinen ersten vagen Fragen, die er an die Natur richtet, und mit einem Empfinden, daß es sowohl in ihm selbst wie auch in ihr etwas Unsichtbares gibt. Selbst wenn, wie die moderne Wissenschaft behauptet, die Religion vom Animismus, von der Geister-Verehrung, vom Dämonen-Kultus und von der Vergöttlichung der Naturkräfte ausging, so verkörpern letztere nur in primitiven Gestaltungen eine im Unterbewußten verhüllte Intuition, ein dunkles und unwissendes Gefühl von verborgenen Einflüssen und unberechenbaren Kräften oder ein vages Empfinden, daß es ein Seiendes, einen Willen, eine Intelligenz in dem gibt, was für uns unbewußt zu sein scheint, daß etwas Unsichtbares hinter dem Sichtbaren existiert, daß der insgeheim bewußte Geist in den Dingen sich in jeglichem Wirken der Energie verausgabt. Daß die ersten Wahrnehmungen davon noch dunkel und in primitiver Weise unangemessen sind, darf uns nicht davon abhalten, den Wert oder die Wahrheit dieses hohen Strebens des menschlichen Herzens und Mentals anzuerkennen. Die verschiedenen Wege unseres Suchens – einschließlich derer der Wissenschaft selbst – müssen von einer dunklen und unwissenden Wahrnehmung verborgener Wirklichkeiten ausgehen und zu der immer heller werdenden Schau der Wahrheit fortschreiten, die zu uns zuerst vermummt, durch die Nebel der Unwissenheit verhüllt kommt. Der Anthropomorphismus ist eine in Bildern ausgedrückte Anerkennung der Wahrheit, daß der Mensch das, was er ist, nur deshalb ist, weil Gott das ist, was Er ist, und daß es nur eine einzige Seele und einen einzigen Körper der Dinge gibt und daß die Menschheit sogar in ihrer Unvollkommenheit die vollständigste hier erreichte Manifestation und daß Göttlichkeit die Vollkommenheit dessen ist, was sich im Menschen noch in Unvollkommenheit vorfindet. Daß er überall sich selbst sieht und dies alles als Gott verehrt, ist ebenso wahr. Aber auch hier hat er in verworrener Weise seine tastende Hand der Unwissenheit auf die Wahrheit gelegt: daß sein eigenes Wesen und Jenes Wesen eines sind, daß dieses hier ein partieller Reflex von Jenem ist und daß er, wenn er sein größeres Selbst überall findet, Gott findet und der Wirklichkeit in den Dingen, der Wirklichkeit alles Seins nahekommt.

Eine Einheit hinter der Verschiedenheit und der Disharmonie ist das Geheimnis der Unterschiedlichkeit der menschlichen Religionen und Philosophien. Denn sie alle gelangen zu irgendeinem Abbild oder verborgenen Hinweis. Sie berühren irgendeine Seite der einen Wahrheit oder fassen irgendeinen von den Myriaden Aspekten ins Auge:

Ob die Religionen und Philosophien die materielle Welt undeutlich als den Leib des Höchsten Wesens ansehen,

oder das Leben als ein großes Pulsieren des Atems Göttlichen Seins, oder die Dinge als die Gedanken des kosmischen Mentals,

ob sie wahrnehmen, daß es in Wirklichkeit nur einen Geist gibt, der größer ist als alle diese Dinge, ihr subtiler und doch wunderbarer Ursprung und Schöpfer,

oder ob sie Gott nur im Unbewußten finden,

oder als das eine Bewußte in den unbewußten Dingen,

oder als ein unaussprechliches überbewußtes Sein, das wir nur dadurch erreichen können, daß wir unser irdisches Wesen hinter uns lassen und Mental, Vital und Körper zunichte machen,

oder ob sie dadurch die Zerteilung in Gegensätze überwinden, daß sie wahrnehmen, Er ist alle diese Wesen zusammen, und furchtlos die ungeheuren Konsequenzen dieser Schau auf sich nehmen,

ob sie Ihn allumfassend als das kosmische Sein anbeten oder ob sie Ihn und sich selbst, wie es die Positivisten tun, nur in der Menschheit verehren,

ob sie, im Gegenteil, von der Schau des zeitlosen und raumlosen Unveränderlichen hingerissen, Ihn in Natur und Kosmos verwerfen,

ob sie Ihn in unterschiedlichen befremdenden oder schönen Kulten oder in vergrößerten Formen des menschlichen Ichs verehren,

oder, weil Er im vollkommenen Besitz der Eigenschaften ist, nach denen der Mensch trachtet, Sein Göttliches Wesen anbeten, wie es sich ihnen als die erhabenste Macht, Liebe, Schönheit, Wahrheit, Gerechtigkeit und Weisheit offenbart,

ob sie Ihn als den Herrn der Natur, den Vater und Schöpfer,

oder als die Natur selbst und als die universale Mutter wahrnehmen, sich Ihm als dem Liebenden nahen, der die Seelen zu Sich zieht,

oder ob sie Ihm als dem verborgenen Meister aller Werke dienen, sich vor dem Einen Gott beugen,

oder vor der vielgestaltigen Gottheit,

ob sie den Einen Göttlichen Menschen,

oder das Eine Göttliche Wesen in allen Menschen entdecken,

oder ob sie in noch umfassenderer Weise den Einen gewahren, dessen Gegenwart es uns möglich macht, daß wir im Bewußtsein oder im Wirken oder im Leben mit allen Wesen geeint sind,

daß wir geeint werden in Zeit und Raum mit allen Dingen, geeint mit der Natur und ihren Einflüssen und sogar mit ihren unbelebten Kräften -

die Wahrheit hinter all diesen Aspekten muß immer dieselbe sein, da alles der eine Göttliche Unendliche ist, den alle suchen.

Da alles jenes Eine ist, muß es diese endlose Verschiedenartigkeit in dem geben, wie sich die Menschheit Ihm naht, um Ihn zu besitzen. Es war notwendig, daß der Mensch Gott auf so verschiedene Weise suchen sollte, damit er dazu kommt, Ihn ganz zu erkennen. Aber erst, wenn die Erkenntnis ihre höchsten Aspekte erreicht, ist es möglich, daß sie zu ihrer größten Einheit gelangt. Das höchste und das umfassendste Schauen ist das weiseste, denn in ihm ist alles Erkennen in dessen umfassender Bedeutung vereinigt. Man erkennt dann: Alle Religionen sind die Zugangswege zu einer einzigen Wahrheit. Alle Philosophien sind die divergierenden Gesichtspunkte, die von verschiedenen Seiten eine einzige Wirklichkeit betrachten lassen. Alle Wissenschaften treffen sich in einer höchsten Wissenschaft. Denn das, was alle unsere Mental-Erkenntnis, alle Sinnen-Erkenntnis und übersinnliche Schau sucht, findet sich am vollständigsten in der Einheit von Gott, Mensch und Natur und in allem, was in der Natur ist.

Das brahman, das Absolute, ist der Geist, das zeitlose Selbst, das Selbst, das die Zeit besitzt, der Herr der Natur, der Schöpfer, der den Kosmos in sich enthält und allen Wesen immanent ist, die Seele, aus der alle Seelen entspringen und zu der sie hingezogen werden. Das ist die Wahrheit des Seienden so, wie das höchste Gott-Begreifen des Menschen es schaut. Dasselbe Absolute, das in allem Relativen manifestiert ist, der Geist, der sich im kosmischen Mental und Leben und in der Materie verkörpert und dessen Selbst-Ausdruck als Energie die Natur ist, so daß alles, was sie zu erschaffen scheint, das Selbst und der Geist ist, auf verschiedene Weise in Seinem eigenen Wesen Seiner eigenen bewußten Kraft gegenüber manifestiert, damit Er Sich an seinem unterschiedlichen Sein erfreuen kann, – das ist die Wahrheit über das Seiende, zu der den Menschen seine Erkenntnis der Natur und des Kosmos hinführt und die er erlangen wird, wenn seine Natur-Erkenntnis sich eint mit seiner Gott-Erkenntnis. Diese Wahrheit des Absoluten ist die Rechtfertigung für die Zyklen der Welt; sie negiert diese nicht. Das Selbst-Seiende ist zu all diesen Werde-Erscheinungen geworden. Das Selbst ist die ewige Einheit aller dieser Daseins-Formen – “ich bin Er”. Kosmische Energie ist nichts anderes als die bewußte Kraft dieses Selbst-Seienden: Durch diese Energie nimmt Es mittels der universalen Natur unzählige Gestaltungen seiner selbst an. Durch seine göttliche Natur kann Es, das Universale umfassend, jedoch transzendent über ihm verbleibend, in diesen Gestaltungen zum individuellen Besitz seines vollständigen Seins gelangen, wenn man seine Gegenwart und Macht in dem Einen, in allen und in den Beziehungen des Einen mit allen fühlt. Das ist die Wahrheit des Seienden, zu der sich das vollständige Erkennen des Menschen seiner selbst in Gott und in der Natur erhebt und ausweitet. Ein dreieiniges Wissen, das vollständige Wissen von Gott, das vollständige Wissen von sich selbst und das vollständige Wissen von der Natur gibt dem Menschen sein hohes Ziel. Es verleiht dem Ringen und Mühen der Menschheit eine erhabene und volle Bedeutung. Im eigenen Bewußtsein des Menschen ist die bewußte Einheit aller drei, Gott, Seele und Natur, die gesicherte Grundlage dafür, daß er vollkommen wird und alle Harmonien realisiert: Das wird sein höchster und umfassendster Stand sein, sein Status eines göttlichen Bewußtseins und göttlichen Lebens. Seine Initiative dazu ist der Ausgangspunkt für die vollständige Evolution seiner Selbst–, Welt- und Gott-Erkenntnis.

Kapitel XVIII. Der Entwicklungsprozeß. Aufstieg und Integration

Indem er von Gipfel zu Gipfel emporsteigt .. . macht Indra ihm jenes Ziel seines Ganges bewußt.

Rig Veda, .10. 2.

Er, ein Sohn der beiden Mütter, erlangt bei seinen Entdeckungen des Wissens die Königswürde, er schreitet auf der höchsten Höhe, er wohnt in seinem hohen Ursprung.

Rig Veda, III. 55. 7.

Von der Erde bin ich aufgestiegen zur Mittel-Welt, von der Mittel-Welt kam ich empor zum Himmel, von der Höhe des Firmaments des Himmels bin ich zur Sonnen-Welt, zum Licht gegangen.

Yajur Veda, 17. 67.

Nachdem wir uns eine genügend klare Vorstellung von der Bedeutung der evolutionären Manifestation in der Erden-Natur und von der definitiven Wendung gebildet haben, die sie nimmt oder zu nehmen bestimmt ist, wird es jetzt möglich und notwendig, daß wir mit tieferem Verständnis unseren Blick auf die Prinzipien des Prozesses richten, durch den sie bis zu ihrer jetzigen Höhe gelangt ist und durch den vermutlich, wenn auch mit Abwandlungen, ihre endgültige Entwicklung, ihr Übergang von unserer noch vorherrschenden mentalen Unwissenheit zum supramentalen Bewußtsein und zum integralen Wissen gelenkt und wirkungsvoll gemacht wird. Denn wir finden, daß die kosmische Natur in dem allgemeinen Gesetz ihres Wirkens konstant ist, da dieses von einer Wahrheit der Dinge abhängt, die im Prinzip unveränderlich, wenn auch in den Einzelheiten ihrer Anwendung in reichem Maß veränderlich ist. Da es eine Evolution aus materieller Unbewußtheit in ein spirituelles Bewußtsein ist, wobei sich der Geist selbst evolutionär auf einer Basis von Materie aufbaut, können wir leicht sehen, daß es in dem Prozeß eine Entwicklung dreifacher Art geben muß. Die unentbehrliche physische Grundlage ist eine Evolution von immer mehr verfeinerten und komplizierten Formen der Materie, um das Wirken eines wachsenden, immer komplexeren, subtileren und fähigeren Bewußtseins zu erlauben. Ein Aufstieg, eine nach oben gerichtete fortschreitende Entwicklung des Bewußtseins selbst, von Stufe zu Stufe, ist die sichtbar werdende Spiral-Linie oder hervortretende Kurve, in der die Evolution von dieser Grundlage aus verlaufen muß. Ferner muß, wenn die Evolution erfolgreich sein soll, alles, was bisher entwickelt wurde, als Teil des Prozesses in den jeweils höheren Grad über den erreichten emporgenommen und eine mehr oder minder vollständige Umwandlung bewirkt werden, damit ein völlig verändertes Funktionieren des ganzen Wesens und der Natur, eine Integration, möglich gemacht wird.

Am Ende dieses dreifachen Vorgangs muß eine radikale Umwandlung des Wirkens der Unwissenheit in ein Wirken des Wissens, unserer Basis von Unbewußtheit in eine Basis vollständigen Bewußtseins erfolgen – eine Vollständigkeit, die gegenwärtig nur in dem besteht, was für uns das Überbewußtsein ist. Jeder Aufstieg wird eine teilweise Umwandlung und Veränderung der alten Natur mit sich bringen, die emporgenommen und einem neuen fundamentalen Prinzip unterstellt wird. Die Unbewußtheit wird in ein teilweises Bewußtsein, in eine Unwissenheit umgewandelt werden, die nach immer größerer Erkenntnis und Meisterschaft sucht. An einem gewissen Punkt muß aber ein Aufstieg stattfinden, der Unbewußtheit und Unwissenheit durch ein Prinzip des Wissens, durch ein grundlegend wahres Bewußtsein, durch das Bewußtsein des Geistes ersetzt. Eine Evolution in der Unbewußtheit ist der Anfang. Eine Evolution in der Unwissenheit ist die Mitte. Aber das Ende ist eine Befreiung des Geistes in sein wahres Bewußtsein und eine Evolution im Wissen. Das ist es in der Tat, was wir als das Gesetz und die Methode des Prozesses entdecken, der bisher von der evolutionären Natur befolgt wurde. Und allen Anzeichen nach wird er auch von ihr in ihrem zukünftigen Wirken befolgt werden. Zuerst erfolgt eine involutionäre Grundlegung, der Ursprung von allem, was sich entwickeln soll. Dann kommt es in oder auf dieser Grundlage zum Hervortreten und Wirksamwerden der involvierten Mächte in aufsteigender Reihe. Schließlich tritt auf der höchsten Stufe die allergrößte Macht hervor, um eine erhabene Manifestation zu bewirken. Das sind die notwendigen Stufen des Weges der evolutionären Natur.

Nach den eigentlichen Begriffen des Problems muß ein evolutionärer Prozeß darin bestehen, daß in einem gewissen ersten grundlegenden Prinzip des Wesens oder der Substanz etwas entwickelt wird, das dieses Prinzip schon an der Basis involviert enthält oder von außerhalb in sich eintreten läßt und durch diese Zulassung umwandelt. Denn notwendigerweise muß es, aufgrund des Gesetzes seiner Natur, all das umwandeln, was in es hineinkommt und nicht schon Teil seiner eigenen Art ist. Das muß auch dann so sein, wenn es eine schöpferische Evolution ist in dem Sinne, daß hier immer neue Mächte des Seins manifestiert werden, die in der ersten Basis noch nicht wesenhaft vorhanden sind, sondern in eine ursprüngliche Substanz eingeführt und von dieser akzeptiert werden. Wenn, im Gegensatz dazu, in der Involution – in der ersten Grundlegung bereits da, aber noch nicht manifestiert oder organisiert – das neue Prinzip oder die Macht des Seins, die entwickelt werden muß, schon vorhanden ist, wird sie, wenn sie in Erscheinung tritt, sich doch noch einer Umwandlung durch die Natur und das Gesetz der grundlegenden Substanz unterziehen müssen: Es wird auch diese Substanz durch seine Macht, durch das Gesetz der eigenen Natur verändern. Wenn ihm ferner sein eigenes Prinzip, das schon oberhalb des Feldes der Evolution etabliert ist, durch ein Herniederkommen beisteht und auf dieses Feld seinen Druck ausübt, um es zu besitzen, kann die neue Macht sogar selbst als ein dominierendes Element auftreten und das Bewußtsein und das Handeln der Welt, in der es hervortritt oder in die es eingeht, erheblich oder radikal verändern. Seine Kraft, das Gesetz und Wirken der zur evolutionären Grundsubstanz erwählten ursprünglichen Bestandteile zu verändern, umzuwandeln oder zu revolutionieren, wird jedoch von seiner wesenhaften Potenz abhängen. Es ist nicht wahrscheinlich, daß es eine völlige Transformation zustandebringen kann, wenn es nicht selbst das ursprüngliche Prinzip des Seins ist, wenn es nur abgeleitet, nur eine instrumentale und nicht die erste Macht ist.

Die Evolution findet hier in einem materiellen Universum statt. Das Fundament, die ursprüngliche Substanz, der erste etablierte, alles bedingende Status ist Materie. Mental und Leben werden in der Materie entwickelt. Sie werden aber in ihrer Wirksamkeit begrenzt und durch den Zwang umgestaltet, den Stoff der Materie für ihre Instrumentation zu verwenden, sowie dadurch, daß sie dem Gesetz der materiellen Natur auch dann unterworfen sind, wenn sie das verändern, dem sie sich unterwerfen oder das sie verwenden. Denn sie transformieren die Stofflichkeit der Materie wirklich, zuerst in lebendige Substanz und dann in bewußte Substanz. Es gelingt ihnen, die Trägheit, Unbewußtheit und Unbeweglichkeit in eine Bewegung von Bewußtsein, Fühlen und Leben umzuwandeln. Sie bringen es aber nicht fertig, sie ganz und gar zu transformieren. Sie können sie nicht gänzlich lebendig oder völlig bewußt machen: Die sich entwickelnde Lebens-Natur ist an den Tod gebunden. Das sich entwickelnde Mental wird ebenso materialisiert wie vitalisiert. Es findet sich in Unbewußtheit verwurzelt, durch die Unwissenheit begrenzt. Es wird durch unkontrollierte Lebens-Kräfte motiviert, die es antreiben und verwenden. Es wird durch die physischen Kräfte mechanisiert, von denen es abhängig sein muß, wenn es sich selbst ausdrücken will. Das ist ein Zeichen dafür, daß weder Mental noch Leben die ursprünglichen schöpferischen Mächte sind. Sie sind, ebenso wie die Materie, vermittelnde Zwischenmächte, aufeinanderfolgende, in ihrer Reihenfolge auftretende Instrumente des evolutionären Prozesses. Wenn aber eine materielle Energie nicht jene ursprüngliche Macht ist, müssen wir nach dieser in einem Bereich oberhalb des Mentals oder des Lebens suchen. Es muß eine tiefere, verborgene Wirklichkeit geben, die sich erst noch in der Natur zu enthüllen hat.

Eine ursprüngliche schöpferische oder evolutionäre Macht muß vorhanden sein. Aber obwohl die Materie die erste Substanz ist, ist die ursprüngliche und höchste Macht nicht eine unbewußte materielle Energie. Denn dann würden Leben und Bewußtsein fehlen, da Unbewußtheit nicht ein Bewußtsein entfalten und eine unbelebte Kraft nicht Leben entwickeln kann. Darum muß es, da Mental und Leben auch nicht Jenes sind, ein geheimes Bewußtsein geben, das größer ist als Lebens-Bewußtsein oder Mental-Bewußtsein, eine Energie, die wesenhafter ist als die materielle Energie. Da sie größer ist als das Mental, muß sie eine supramentale Bewußtseins-Kraft sein. Da sie eine Macht ist aus einer wesenhaft anderen Substanz als Materie, muß sie eine Macht dessen sein, was die höchste Essenz und Substanz aller Dinge ist, eine Macht des Geistes. Es gibt eine schöpferische Energie von Mental und eine schöpferische Lebens-Kraft; beide sind aber instrumental und partiell, nicht ursprünglich und entscheidend. Gewiß formen Mental und Leben die materielle Substanz und ihre Energien, die sie bewohnen, um und werden nicht durch diese bestimmt. Aber Ausmaß und Art dieser materiellen Umwandlung und Bestimmung werden durch den ihnen innewohnenden und alles in sich enthaltenden Geist bestimmt, durch ein inneres Licht und durch die Kraft des Supramentals, durch eine geheime Gnosis, durch ein unsichtbares Selbst-Wissen und All-Wissen. Wenn es zu einer völligen Transformation kommen soll, kann das nur geschehen, indem das Gesetz des Geistes voll hervortritt. Seine Macht von Supramental oder Gnosis muß in die Materie eingegangen sein und sich darin entwickeln. Sie muß das mentale Wesen in das supramentale verwandeln, das Unbewußte in uns bewußt machen, unsere materielle Substanz spiritualisieren, ihr Gesetz des gnostischen Bewußtseins in unserem ganzen Wesen und in unserer Natur errichten. Auf seiner höchsten Höhe muß das zum Hervortreten oder mindestens zu jener Stufe im Hervortreten führen, die zuerst entscheidend die Art der Evolution dadurch verändert, daß sie ihr Wirken der Unwissenheit und ihre Grundlage von Unbewußtheit transformiert.

Diese Evolutions-Bewegung einer progressiven Selbst-Manifestation des Geistes in einem materiellen Universum muß bei jedem Schritt die Tatsache berücksichtigen, daß sich das Bewußtsein und seine Kraft der Form und Aktivität der materiellen Stofflichkeit involviert hat. Ihr Evolutions-Prozeß besteht darum in einem Erwachen des involvierten Bewußtseins und der involvierten Kraft, indem diese von Prinzip zu Prinzip, von Grad zu Grad, von einer Macht des verborgenen Geistes zur anderen emporsteigen. Doch ist das nicht ein freier Übergang zu höherem Status. Das Gesetz des Handelns, die Kraft der Aktion eines jeden Grades oder einer jeden Macht wird bei seinem Hervortreten nicht bestimmt durch das eigene freie, volle und reine Gesetz seiner Natur oder durch eine Laune der Energie, sondern teils durch die materielle Organisation, die ihm zur Verfügung gestellt wird, teils durch seinen eigenen Status, den schon erlangten Grad und die tatsächliche Kraft des Bewußtseins, mit dem es auf die Materie einzuwirken imstande ist. Seine Macht wird effektiv in gewisser Beziehung durch das Gleichgewicht zwischen dem tatsächlichen Ausmaß dieses evolutionären Hervortretens und dem entgegenwirkenden Ausmaß, in dem die hervortretende Macht noch durch die Herrschaft und fortdauernde Gewalt der Unbewußtheit eingehüllt, durchdrungen und herabgemindert wird. Das Mental, wie wir es sehen, ist nicht ein reines und freies Mental, sondern umwölkt und abgeschwächt durch die es umhüllende Nicht-bewußtheit. Es ist ein Mental, das sich abmüht und darum ringt, aus dieser Nichtbewußtheit Wissen zu entbinden. Alles hängt von dem mehr oder minder involvierten oder mehr oder minder evolvierten Zustand des Bewußtseins ab: ob es ganz und gar einer unbewußten Materie involviert ist, ob es in den ersten, noch nicht tierhaften Formen des Lebens in der Materie auf dem Übergang von Involution zu bewußter Evolution zögert oder ob es sich bewußt entwickelt, jedoch stark begrenzt und behindert wird in einem Mental, das in einem lebenden Körper behaust ist, dazu bestimmt, sich vollkommen zu entwickeln durch das Erwachen des Supramentals im verkörperten Wesen und in seiner Natur.

Zu jedem Grad in dieser Reihe, den das sich entwickelnde Bewußtsein erlangt hat, gehört die ihm entsprechende Klasse seines Daseins. Nacheinander erscheinen materielle Formen und Kräfte, Pflanzenleben, Tiere und ein noch halb-tierhafter Mensch, entwickelte menschliche Wesen, unvollkommen oder höher entwickelte spirituelle Wesen. Wegen der Kontinuität des evolutionären Prozesses gibt es aber keine starre Trennung zwischen ihnen. Jeder neue Schritt nach vorn, jede neue Gestaltung nimmt das in sich auf, was zuvor gewesen ist. Das Tier nimmt die lebende und unbelebte Materie in sich hinein. Der Mensch nimmt beide zusammen mit dem Tier-Dasein zu sich empor. Es gibt da Furchen, die vom Übergangsprozeß übrigbleiben, oder Trennungen, die durch die Gewohnheit der Natur festgelegt sind. Diese unterscheiden zwar die eine Entwicklungsreihe von der anderen und dienen vielleicht dazu, ein Zurückfallen hinter das zu verhindern, was entwickelt worden ist. Sie heben aber die Kontinuität der Evolution nicht auf. Das sie entwickelnde Bewußtsein geht von dem einen Grad zu einem anderen oder von der einen Reihe seiner Schritte zu einer anderen entweder durch einen nicht wahrnehmbaren Prozeß über oder durch irgendeinen Sprung, eine Krisis oder vielleicht ein Eingreifen von oben her – durch ein Herabkommen, eine Beseelung oder einen Einfluß aus höheren Ebenen der Natur. Durch welche Mittel auch immer, so ist doch auf diese Weise das insgeheim der Materie innewohnende Bewußtsein, der okkulte Bewohner, fähig, seinen Weg aus den niederen empor zu den höheren Stufen zu gehen. Es nimmt dabei das, was es war, mit sich empor in das, was es ist, und bereitet so beides vor, aufzugehen in dem, was sein wird. Nachdem es so zuerst ein Fundament von materiellem Wesen, von materiellen Formen, Kräften und Existenzen gelegt hat, in denen es unbewußt zu ruhen scheint, obwohl es, wie wir wissen, immer unterbewußt wirkt, ist es fähig, Leben und lebende Wesen zu manifestieren, ein Mental und mentale Wesen in einer materiellen Welt hervorzubringen. Darum muß es hier auch ein Supramental und supramentale Wesen manifestieren können. Auf diese Weise ist der jetzige Zustand der Evolution zustande gekommen, dessen scheinbarer jetziger Höhepunkt der Mensch ist. In Wirklichkeit ist er aber nicht ihr letzter Gipfel. Denn er ist selbst ein Übergangswesen und steht an der Wende der ganzen Bewegung. Die derart kontinuierliche Evolution muß zu jedem gegebenen Augenblick eine Vergangenheit haben mit ihren noch feststellbaren fundamentalen Ergebnissen; ebenso eine Gegenwart, in der die Resultate, um die sie sich abmüht, im Prozeß des Werdens sind; und eine Zukunft, in der die noch unentwickelten Mächte und Formen des Wesens sichtbar werden müssen, bis die volle und vollkommene Manifestation erreicht ist. Die Vergangenheit war die Geschichte eines langsamen und schwierigen unterbewußten Wirkens mit Ergebnissen an der Oberfläche, es war eine unbewußte Evolution. Die Gegenwart ist eine Mittelstufe, eine unsichere Spirale, in der die Intelligenz des Menschen von der verborgenen evolutionären Kraft des Wesens verwendet wird und an ihrem Wirken teilnimmt, ohne daß sie von dieser voll ins Vertrauen gezogen wird, eine Evolution, die sich langsam ihrer selbst bewußt wird. Die Zukunft muß eine immer mehr bewußt werdende Evolution des spirituellen Wesens sein, bis dieses völlig in ein dem Selbst bewußtes Wirken durch das hervortretende gnostische Prinzip entbunden ist.

Die erste Grundlage dieses Hervortretens, die Erschaffung von Formen der Materie, zuerst von unbewußter und unbelebter, dann von lebender und denkender Materie, die Erscheinung von immer höher organisierten Körpern, die dem Zweck angepaßt sind, eine höhere Bewußtseins-Macht auszudrücken, ist durch die Wissenschaft nach ihrer physischen Seite, nach der Seite des Aufbaus der Form, erforscht worden. Es ist jedoch nur sehr wenig Licht auf die innere Seite, auf die Seite des Bewußtseins, geworfen worden. Das Wenige, was man hier beobachtete, bezieht sich eher auf die physische Basis und die Instrumentation als auf die progressiven Wirkweisen des Bewußtseins in seiner eigenen Natur. Soweit man die Evolution bisher erforscht hat, erscheint unseren Augen, obwohl die Kontinuität vorhanden ist, der Sprung von dem einen Bewußtseins-Grad dieser Reihe zum anderen als ungeheuer weit. Das Leben nimmt die Materie zu sich empor, das Mental das submentale Leben, das Mental der Intelligenz, das Mental des Lebens und der Sinnesempfindung. Das Überwinden des Abgrunds auf einer Brücke oder durch einen Sprung erscheint als etwas Unmögliches. Wir können kein konkretes und befriedigendes Zeugnis dessen entdecken, daß das in der Vergangenheit so zustande gekommen ist, oder von der Art, wie es geschah. Selbst in der äußeren Evolution, bei der Entwicklung von physischen Formen, wo doch die Gegebenheiten klar vor Augen liegen, gibt es fehlende Verbindungsglieder, die immer verloren bleiben. Aber bei der Evolution des Bewußtseins ist der Übergang noch schwieriger feststellbar, denn das sieht eher aus wie Transformation, denn als ein Übergang. Es mag jedoch sein, daß es uns wegen unserer Unfähigkeit, in das Unterbewußte einzudringen, das Submentale zu ergründen oder eine niedere, von der unsrigen verschiedene Mentalität genügend zu verstehen, unmöglich ist, die winzigen Stufenfolgen beobachten zu können, nicht nur bei jedem Grad in der Reihe, sondern auch an den Grenzbereichen zwischen dem einen und dem anderen Grad. Der Wissenschaftler, der die physischen Gegebenheiten bis ins kleinste erforscht, wurde zu der Überzeugung von der Kontinuität der Evolution gedrängt, trotz ihrer Lücken und fehlenden Verbindungsglieder. Könnten wir auf ähnliche Weise die innere Evolution beobachten, wir könnten zweifellos die Möglichkeit und die Beschaffenheit dieser ungeheueren Übergänge entdecken. Dennoch gibt es einen wirklichen, einen radikalen Unterschied zwischen dem einen und dem anderen Grad. Dieser ist so groß, daß der Übergang von dem einen zum anderen eine neue Schöpfung zu sein scheint, eher das Wunder einer Metamorphose als eine natürliche, voraussagbare Entwicklung oder ein ruhiger Übergang aus dem einen Zustand des Wesens in einen anderen, bei dem die gut markierten Stufen in klarer Aufeinanderfolge angeordnet sind.

Diese Abgründe erscheinen tiefer, aber weniger breit, wenn wir auf der Leiter der Natur höher emporkommen. Wenn es schwache Spuren von Lebens-Reaktionen im Metall gibt, wie man jüngst behauptet hat, mag das seinem Wesen nach mit einer Lebens-Reaktion in der Pflanze identisch sein. Die vital-physische Differenz, wie man es nennen könnte, ist aber so beträchtlich, daß das eine als unbelebt erscheint, die andere, wenn auch nicht offenkundig bewußt, doch ein lebendes Geschöpf genannt werden könnte. Zwischen dem höchsten Pflanzenleben und dem niedersten Tier ist die Kluft offensichtlich tiefer, denn das ist der Unterschied zwischen dem Mental und dem völligen Fehlen einer sichtbaren oder auch nur spurenhaft vorhandenen Bewegung des Mentals. In dem einen ist der Stoff von mentalem Bewußtsein unerwacht, obwohl es dort ein Leben vitaler Reaktionen, eine unterdrückte oder unterbewußte oder vielleicht nur submentale Sinnen-Vibration gibt, die stark aktiv zu sein scheint. Obwohl in dem anderen das Leben zuerst weniger automatisch, in der unterbewußten Art zu leben weniger sicher, in seiner neuen Art eines offenkundigen Bewußtseins unvollkommen determiniert ist, tritt doch ein erwachtes Mental hervor – es gibt ein bewußtes Leben, ein tiefgreifender Übergang ist vollzogen worden. Aber die Gemeinsamkeit des Lebens-Phänomens zwischen Pflanze und Tier bei aller verschiedenartigen Organisation verringert doch die Kluft, wenn sie diese auch noch nicht in ihrer Tiefe auffüllt. Zwischen dem höchsten Tier und dem niedersten Menschen muß ein noch tieferer, wenn auch schmalerer Abgrund überwunden werden: die Kluft zwischen dem Sinnen-Mental und dem Intellekt. Denn mögen wir auch noch so sehr die Primitivität des Wilden betonen, wir können dennoch die Tatsache nicht ändern, daß das primitive menschliche Wesen oberhalb und jenseits des Sinnen-Mentals, der emotionalen Vitalität und der primären praktischen Intelligenz, die wir mit den Tieren gemeinsam haben, einen menschlichen Intellekt besitzt und – in welcher Begrenzung auch immer – fähig ist zur Reflexion, zu Ideen, zu bewußter Erfindung, religiösem und ethischem Denken und Fühlen, zu all dem Grundlegenden, durch das sich die menschliche Rasse auszeichnet. Es besitzt die gleiche Art Intelligenz, verschieden nur darin, wie sie in der Vergangenheit ausgebildet und in ihrer Ausformung eingeübt wurde, sowie im Entwicklungsgrad ihrer Begabung, Intensität und Aktivität. Dennoch können wir trotz all dieser Trennlinien nicht mehr annehmen, ein Gott oder Demiurg habe jedes Geschlecht und jede Art von Körper und Bewußtsein als fertige hergestellt, sie dann sich selbst überlassen und befriedigt auf sein Werk herabgeschaut, um zu sehen, daß es gut war. Es ist evident geworden, daß eine insgeheim bewußte oder eine unbewußte Energie der Schöpfung den jeweiligen Übergang durch rasche oder langsame Fortschritte bewirkt hat, welche Mittel, Maßnahmen, welchen physischen oder psychologischen Mechanismus sie dabei auch verwendet haben mag. Und vielleicht war sie, nachdem sie ihr Werk getan hatte, gar nicht darauf bedacht, das, was nur als Übergänge diente, als unterscheidbare Stufen aufzubewahren, da sie nur Sprossen auf der Leiter waren, keine weitere Funktion hatten und auch in der evolutionären Natur keinem weiteren Zweck mehr dienten. Diese Erklärung der Lücken ist aber nur wenig mehr als eine Hypothese, die wir bis jetzt noch nicht genügend beweisen können. Auf jeden Fall ist es wahrscheinlich, daß der Grund für die radikalen Unterschiede im Wirken der inneren Kraft gefunden werden muß und nicht im äußeren Prozeß des evolutionären Übergangs. Wenn wir sie tiefer von dieser inneren Seite her betrachten, wird das Verstehen leichter, werden die Übergänge verständlich und in der Tat durch die Eigenart des evolutionären Prozesses und sein Prinzip unvermeidlich.

Wenn wir nämlich nicht auf die wissenschaftlichen oder physischen Aspekte, sondern auf die psychologische Seite der Frage sehen und nachforschen, worin genau der Unterschied liegt, werden wir erkennen, daß er im Aufstieg des Bewußtseins zu einem anderen Begriff des Seienden besteht. Das Metall ist im unbewußten und unbelebten Prinzip der Materie fixiert. Selbst wenn wir annehmen können, es besitze in sich einige Reaktionen, die auf Leben hinweisen, oder zumindest einige spurenhafte Vibrationen, die sich in der Pflanze in Leben entwickelten, so ist das doch absolut keine charakteristische Form von Leben. Es ist seiner Art nach noch eine Form von Materie. Die Pflanze ist auf eine unterbewußte Aktion des Lebens-Prinzips fixiert. Nicht daß sie der Materie nicht unterworfen oder ohne jene Reaktionen wäre, die ihren vollen Sinn erst im Mental finden! Denn die Pflanze scheint submental über Reaktionen zu verfügen, die in uns die Grundlage für Lust und Schmerz oder für Anziehung und Abstoßung bilden. Doch ist die Pflanze schon eine Form von Leben, nicht nur von bloßer Materie. Sie ist aber, soweit wir wissen, überhaupt kein mental-bewußtes Wesen. Mensch und Tier sind beide mental-bewußte Wesen. Doch das Tier ist in einem vitalen Mental und auf die Mental-Sinne festgelegt und kann über seine Begrenzungen nicht hinauskommen. Der Mensch hingegen hat in sein Sinnen-Mental hinein das Licht eines anderen Prinzips empfangen: den Intellekt. Dieser ist in Wirklichkeit zugleich ein Widerschein, eine niedere Stufe des Supramentals, ein Strahl von Gnosis, der von der Sinnen-Mentalität aufgefangen und in etwas von seinem Ursprung Verschiedenes umgewandelt wird. Denn der Intellekt ist, wie das Sinnen-Mental, agnostisch; darin, wo er wirkt und wofür er wirkt, ist er nicht gnostisch. Er sucht das Wissen zu ergreifen, da er es nicht besitzt. Er besitzt nicht, wie das Supramental, das Wissen in sich selbst als sein natürliches Vorrecht. Mit anderen Worten, in jeder dieser Formen des Daseins hat das universale Wesen seine Bewußtseins-Wirksamkeit in verschiedenen Prinzipien fixiert, oder, wie zwischen Mensch und Tier, in der Umgestaltung eines niederen durch ein höheres Prinzip, wenn dieses auch noch nicht das Prinzip höchsten Grades ist. Der Schritt von einem Prinzip des Wesens zum anderen, ganz verschiedenen Prinzip schafft die Übergänge, Abgrenzungen, eindeutigen Abstand und bewirkt, wenn auch nicht den ganzen Unterschied, so doch eine radikale, charakteristische Verschiedenheit zwischen dem einen und dem anderen Wesen.

Bemerkt sei aber, daß dieser Aufstieg, dieser feste Stand in höheren und immer höheren aufeinanderfolgenden Prinzipien, ebensowenig dazu führt, daß wir die niedrigeren Grade aufzugeben haben, wie es bedeutet, daß einem Zustand des Seins in den niedrigeren Graden die höheren Prinzipien völlig fehlen. Dadurch wird der Einwand gegen die evolutionäre Theorie überwunden, der durch diese scharfen Unterscheidungen hervorgerufen wird. Denn wenn die Anfangsstadien der höheren Schöpfung schon in der niederen gegenwärtig sind und die niederen Eigenschaften in das höher entwickelte Wesen mit emporgenommen werden, konstituiert das von selbst einen unbezweifelbaren evolutionären Prozeß. Notwendig ist aber, daß eine Einwirkung auf die niedere Stufe des Wesens dieses zu einem Punkt emporbringt, wo das Höhere sich in ihm manifestieren kann. An diesem Punkt mag ein Druck aus der höheren Ebene, auf der die neue Macht vorherrschend ist, dazu beitragen, daß ein mehr oder minder rascher und entscheidender Übergang durch einen Sprung oder eine Reihe von Sprüngen stattfindet. So folgt dann in der Natur auf eine langsam dahinkriechende, nicht wahrnehmbare oder gar verborgene Wirkweise der Evolution ein stürmischer Fortschritt und Übergang von den niederen zu den höheren Graden des Bewußtseins.

Tatsächlich sind im Atom Leben, Mental und Supramental gegenwärtig und wirken hier, jedoch unsichtbar, geheim, verdeckt in einer unterbewußten oder scheinbar unbewußten Aktivität der Energie. Es gibt hier einen formengestaltenden Geist. Aber die äußere Kraft und Gestalt des Wesens, die wir das formale Dasein oder Form-Dasein im Unterschied zu dem immanenten oder insgeheim lenkenden Bewußtsein nennen können, ist ganz in der physischen Aktion aufgegangen und wird so stark darin absorbiert, daß sie in einer stereotypen Selbstvergessenheit festgehalten wird, dessen völlig unbewußt, was sie ist und was sie tut. Elektron und Atom sind unter diesem Gesichtspunkt ewige Traumwandler. Jedes materielle Objekt enthält ein äußeres Bewußtsein, ein Form-Bewußtsein, das der Gestaltung involviert und von ihr absorbiert ist, schlafend, eine scheinbare Unbewußtheit, die von einem ihr unbekannten und von ihr nicht gefühlten inneren Sein getrieben wird – von dem universalen Einwohner, dem Herrn, wie er in den Upanishaden genannt wird, der in dem Schlafenden wach ist – ein äußeres absorbiertes Form-Bewußtsein, das, unähnlich dem des menschlichen Traumwandlers, niemals wach gewesen ist und nicht immer, oder niemals, an dem Punkt steht, wo es erwacht. In der Pflanze ist dieses äußere Form-Bewußtsein noch im Zustand des Schlafes. Dieser Schlaf ist aber von nervösen Träumen erfüllt, immer am Punkt, aufzuwachen, und doch nie wirklich erwachend. Das Leben ist erschienen. Mit anderen Worten, die Kraft des verborgenen bewußten Wesens hat sich stark intensiviert und zu einer solchen Frequenz ihrer Macht erhoben, daß es ein neues Aktionsprinzip entwickelte oder zu einem solchen fähig geworden ist; wir sehen das als Vitalität, als Lebens-Kraft. Sie reagiert vital auf das Sein, obwohl sie nicht mental bewußt wird. Das Lebens-Bewußtsein hat einen neuen Grad von höheren und feineren Aktivitäten hervorgebracht, als es das rein physische Wirken ist. Zugleich kann es auch Lebens-Kontakte und physische Kontakte von anderen Gestaltungen als seinen eigenen und solche aus der universalen Natur empfangen und diese in neue Lebens-Werte, in Bewegungen und Phänomene einer Schwingung von Vitalität umwandeln. Das können Formen aus reiner Materie nicht fertigbringen. Sie können ihre Kontake weder in Lebens-Werte noch in andere Werte umwandeln, teils weil ihre Macht, sie zu empfangen – obwohl sie existiert, wenn man sich dabei auf okkulte Zeugnisse verlassen darf –, nicht erwacht genug ist, um mehr zu leisten, als nur dumpf zu empfangen und unerkennbar darauf zu reagieren, teils weil die durch die Kontakte übermittelten Energien zu subtil sind, als daß sie von der primitiven, anorganischen Dichte der geformten Materie verwendet werden könnten. Das Leben im Baum wird durch seinen physischen Körper bestimmt; es hebt aber das physische Dasein empor und gibt ihm einen neuen Wert oder ein neues System von Werten: den Lebenswert.

Der Übergang zum Mental und zu den Sinnen, der sich im Tierleben zeigt – was wir bewußtes Leben nennen wird auf dieselbe Weise bewirkt. Die Kraft des Wesens wird so intensiviert, sie erhebt sich zu einer so hohen Frequenz, daß sie ein neues Seins-Prinzip zulassen oder entwickeln kann, das zumindest in der Welt der Materie scheinbar neu ist: die Mentalität. Das Tierwesen ist sich mental des Daseins bewußt, seines eigenen Wesens und desjenigen der anderen. Es zeigt einen höheren und feineren Grad von Betätigungen. Es empfängt in größerem Umfang mentale, vitale und physische Kontakte, die von anderen als seinen eigenen Gestaltungen ausgehen. Es hebt das physische und vitale Dasein empor und verwandelt alles, was es von ihnen bekommen kann, in Werte der Sinne und des vitalen Mentals. Es empfindet den Körper, es empfindet das Leben, aber es empfindet auch das Mental. Denn es zeigt nicht nur blinde nervliche Reaktionen, sondern bewußte Empfindungen, Erinnerungen, Impulse, Willenstendenzen, Emotionen, mentale Assoziationen, den Stoff für das Fühlen, Denken und Wollen. Es hat sogar eine praktische Intelligenz, die sich auf die Erinnerung, auf die Assoziation, die Anregung durch das Bedürfnis, die Beobachtung und eine Macht, absichtsvoll zu handeln, gründet. Es ist zu List, Strategie und Planen fähig. Es kann etwas erfinden, seine Erfindung auch in gewissem Maße anwenden und sich in dieser oder jener Einzelheit auf die Forderungen einer neuen Situation einstellen. Nicht alles in ihm ist nur ein halb-bewußter Instinkt; das Tier bereitet die menschliche Intelligenz vor.

Kommen wir nun zum Menschen, so sehen wir, daß das alles bewußt wird. Die Welt, die er in gedrängter Weise erlebt, offenbart in ihm immer mehr ihre eigene Natur sich selbst gegenüber. Das höhere Tier ist zwar nicht mehr der Schlafwandler, wie es die niedrigsten Tierarten noch ganz oder vorwiegend sind, aber es besitzt ein nur begrenzt waches Mental, das nur zu dem befähigt ist, was es für sein vitales Dasein notwendig braucht. Im Menschen erweitert die bewußte Mentalität ihren Wachzustand. Sie kann sich, auch wenn sie zuerst noch nicht völlig selbst-bewußt, sondern nur erst der Außenwelt bewußt ist, doch immer mehr für das innere, integrale Wesen des Menschen öffnen. Hier gibt es, ebenso wie bei den beiden niederen Aufstiegen in der Evolution, eine Verstärkung der Kraft des bewußten Seins zu einer neuen Macht und zu einem neuen Bereich subtiler Betätigungen. Es zeigt sich der Übergang vom vitalen zum reflektierenden und denkenden Mental. Hier wird eine höhere Macht zu Beobachtung und Erfindung entwickelt. Tatsachen werden gesammelt und miteinander verknüpft. Der Mensch wird sich des Ablaufs und des Ergebnisses von Prozessen bewußt. Er bildet eine Kraft der Phantasie und eine ästhetische Schöpfergabe aus. Er entfaltet eine höhere formbare Empfindsamkeit. Die koordinierende und interpretierende Vernunft nimmt an Kraft zu. Die Werte stellen nicht mehr nur einen Reflex oder eine Reaktion dar, sondern eine dominierende, verstehende, sich befreiende Intelligenz. Wie beim Aufstieg auf den niederen Ebenen kommt es auch hier zu einer Ausweitung des Bewußtseins. Der Mensch wird fähig, mehr von der Welt und sich selbst aufzunehmen und dieser Erkenntnis auch höhere und vollkommenere Gestaltungen seiner bewußten Erfahrung zu geben. So zeigt sich auch hier das dritte konstante Element des Aufstiegs. Das Mental hebt die niederen Grade zu sich empor und gibt ihrer Aktion und Reaktion intelligente Werte. Der Mensch hat nicht nur, ebenso wie das Tier, die Empfindung seines Körpers und seines Lebens. Vielmehr besitzt er eine intelligente Empfindung und Idee vom Leben und eine bewußte und beobachtende Wahrnehmung des Körpers. Er nimmt auch das mentale Leben des Tieres ebenso mit empor wie das materielle und körperliche. Obwohl er bei diesem Vorgang etwas verliert, gibt er doch dem, was er beibehält, einen höheren Wert. Er hat das intelligente Empfinden und die Vorstellung von dem, was er empfindet und fühlt, von seinen Willenstendenzen, Impulsen und mentalen Assoziationen. Was dabei nur Rohmaterial von Denken, Fühlen und Wollen war und nur zu allgemeinen Bestimmungen taugte, wandelt er in ausgearbeitetes Werk und künstlerisches Gestalten dieser Dinge um. Denn auch das Tier denkt, wenn auch nur automatisch, was zumeist auf einer Reihe mechanischer Erinnerungen und mentaler Assoziationen beruht. Dabei nimmt es, so schnell es kann, die Anregungen der Natur auf. Es ist nur dann für ein bewußteres personales Handeln erweckt, wenn die Notwendigkeit zu einer grundlegenden Beobachtung und Planung besteht. Es hat erstes Rohmaterial praktischer Vernunft, nicht aber die ausgebildete Fähigkeit zur Ideenbildung und Reflexion. Das erwachende Bewußtsein ist im Tier noch der ungelernte primitive Arbeiter des Mentals; im Menschen ist es der gelernte Handwerker und kann nicht nur zum Künstler, sondern auch zum schöpferischen Genie werden, was er jedoch nicht in genügendem Maße versucht.

Hier müssen wir aber zwei Besonderheiten dieser gegenwärtig höchsten Entwicklung, der des Menschen, beobachten, die uns zum Kern der Sache bringen. Erstens offenbart sich darin, daß er die niederen Seiten des Lebens emporhebt, selbst eine Hinwendung des Meister-Blicks des insgeheim die Evolution schaffenden Geistes oder des universalen Wesens im Individuum von der Höhe, zu der er emporgelangt ist, hinab zu allem, was jetzt unter ihm liegt. Das ist ein Hinabschauen mit der doppelten Macht, dem Zwillings-Vermögen der Bewußtseins-Kraft des Wesens – der Macht von Willen und der Macht von Wissen –, um von diesem neuen, andersartigen und umfassenderen Bereich des Bewußtseins und von dieser Erkenntnis und Natur her das niedere Leben mit seinen Möglichkeiten zu verstehen und gerade auch es auf eine höhere Ebene emporzuheben, ihm höhere Werte zu geben, aus ihm höhere Wirkmöglichkeiten hervorzubringen. Das tut der Mensch, weil er offensichtlich nicht die niederen Töne des Lebens zum Schweigen bringen oder zerstören will, sondern sie einzubeziehen sucht, da die Daseins-Freude sein ewiges Anliegen ist und es darum die Methode seiner Musik sein muß, eine Harmonie der vielartigen Variationen zu komponieren und sich nicht nur an einer einzigen lieblichen, aber monotonen Melodie zu erfreuen. Weil er sie mit einer tieferen und feineren Bedeutung auflädt, erlebt er durch sie ein höheres Entzücken, als es in der noch primitiveren Formulierung des Bewußtseins möglich gewesen wäre. Am Ende nötigt er ihnen aber als Bedingung für ihre ständige Annahme ihre Zustimmung ab, diese höheren Werte anzuerkennen. Bis sie diese Zustimmung geben, kann er hart genug mit ihnen umgehen, sogar auf ihnen herumtrampeln, wenn er ganz auf ihre Vervollkommnung eingestellt ist und sie dagegen rebellieren. Es ist in der Tat das wahre innerste Ziel und der Sinn von Ethik, Disziplin und Askese, das vitale, das physische und das niedere mentale Leben zu belehren, zu zähmen, zu reinigen und vorzubereiten, damit diese Elemente geeignete Instrumente werden, um in die Töne einer höheren mentalen, zuletzt einer supramentalen Harmonie transformiert zu werden, keinesfalls aber, sie zu verkrüppeln und zu zerstören. Das Emporkommen ist die erste Notwendigkeit, doch ist eine Integration die damit zusammengehende Absicht des Geistes in der Natur.

Dieser Blick von Wissen und Willen nach unten in der Absicht, alles zu erhöhen, zu vertiefen, subtiler, feiner und reicher zu machen, ist von Anfang an die Methode des verborgenen Geistes. Die Pflanzen-Seele betrachtet, wie wir sagen könnten, ihr ganzes physisches Dasein mit einem nervlich-materiellen Blick, um aus ihm eine möglichst hohe vitalphysische Intensität zu gewinnen. Denn es scheint, sie besitze in sich die intensiven Erregungen einer stummen Lebens-Vibration, vielleicht einer solchen – obwohl wir uns das schwer vorstellen können –, die im Verhältnis zu ihrem niedrigen, primitiveren Grad intensiver ist, als sie das Mental und der Körper des Tieres auf seiner höheren und machtvolleren Stufe aushalten könnten. Das Tier-Wesen betrachtet mit seinen mentalisierten Sinnen sein vitales und physisches Dasein, um aus ihm alle erfahrbaren Sinnen-Werte zu gewinnen, in vielerlei Hinsicht viel stärker, als der Mensch das kann, als reine Empfindung, als Sinnen-Emotion oder als Befriedigung von vitalem Begehren und vitaler Lust. Wenn der Mensch aus der Ebene seines Willens und seiner Intelligenz hinabschaut, gibt er diese niederen, intensiveren Regungen auf, jedoch nur, um aus Mental, Leben und Sinnen eine höhere Intensität in anderen Werten zu gewinnen, in intellektuellen, ästhetischen, moralischen, spirituellen, mental-dynamischen oder praktischen, wie er das nennt. Durch diese höheren Elemente weitet er seinen Gebrauch von Lebenswerten aus, verfeinert und erhöht sie. Er verzichtet nicht auf die Reaktionen und die Freuden des Tierwesens, aber er mentalisiert sie auf eine mehr erhellte, feinere und empfindsamere Art. Er tut das schon auf seinen normalen, niederen Stufen. Wenn er sich aber höher entwickelt, unterzieht er sein niederes Wesen einer strengeren Prüfung, Unter Androhung von Schmerz, es sonst zurückzuweisen, verlangt er von ihm so etwas wie eine Transformation. Das ist die Art des Mentals, sich auf ein noch jenseits von ihm liegendes Leben vorzubereiten.

Wenn der Mensch aber seine höhere Stufe erreicht hat, richtet er seinen Blick nicht nur nach unten und auf seine Umgebung, sondern auch nach oben zu dem, was oberhalb von ihm ist, und nach innen auf seine geheimen Tiefen. Nicht nur das Hinabschauen des universalen Wesens in der Evolution ist ihm bewußt geworden, es entwickelt sich in ihm auch dessen bewußter Blick nach oben und nach innen. Das Tier lebt so, als sei es zufrieden mit dem, was die Natur für es getan hat. Sollte es so etwas wie ein Emporschauen des verborgenen Geistes im Innern des Tierwesens geben, so hat dieses selbst bewußt nichts damit zu tun; das ist noch die Aufgabe der Natur. Erst der Mensch macht diesen emporgerichteten Blick bewußt zu seiner eigenen Aufgabe. Denn schon dadurch, daß er einen intelligenten Willen besitzt, mag er auch ein entstellter Strahl der Gnosis sein, legt er sich immer mehr die doppelte Natur von saccidananda bei. Er ist nicht mehr, wie das Tier, ein unentwickeltes bewußtes Wesen, das allein von prakriti getrieben wird, ein Sklave der exekutiven Kraft, mit dem die mechanischen Energien der Natur spielen. Vielmehr hat er nun begonnen, eine sich entfaltende bewußte Seele, purusha, zu werden, die selbst einwirkt auf das, was bisher allein Sache von prakriti war, mit dem Wunsch, ihr gegenüber ein Mitspracherecht zu haben und zuletzt ihr Meister zu sein. Noch kann er das nicht. Er ist noch zu sehr in ihrem Netz verfangen, zu sehr ihrem festgelegten Mechanismus involviert. Er fühlt aber, wenn auch noch zu vage und unsicher, daß der Geist in seinem Innern sich immer höher erheben und seine Grenzen ausweiten will. Etwas Geheimnisvolles in seinem Innern weiß, daß es nicht die Absicht der tieferen bewußten Seelen-Natur, von purusha-prakriti, ist, sich zufriedenzugeben mit seinem gegenwärtig niedrigen Stand und seinen Begrenztheiten. Immer war es ein natürlicher Impuls im Menschen, zum Höheren emporzuklimmen, einen weiteren Horizont zu gewinnen und seine niedere Natur zu transformieren. Er tat das, sobald er für sich einen Platz in der physischen und vitalen Welt der Erde geschaffen, als er ein wenig Muße gefunden hatte, seine weiteren Möglichkeiten zu erwägen. Das muß so sein, und zwar nicht wegen einer falschen und bemitleidenswert phantastischen Illusion in ihm, sondern erstens, weil er das noch unvollkommene, aber sich immer weiter entwickelnde mentale Wesen ist und deshalb um höhere Entwicklung, um Vollkommenheit ringen muß; und mehr noch, weil er im Unterschied zu anderen irdischen Geschöpfen fähig ist, dessen bewußt zu werden, was tiefer ist als das Mental, der Seele in seinem Innern, und dessen, was über dem Mental ist, des Supramentals, des Geistes. Er ist fähig, sich zu diesem hin zu öffnen, es in sich einzulassen, zu ihm emporzukommen, es festzuhalten. Es liegt in seiner Natur, in aller menschlichen Natur, daß sie durch bewußte Entwicklung über sich emporkommen und hinaufklimmen will zu dem, das jenseits von dem liegt, was er jetzt ist. Das können nicht nur einzelne Menschen, das kann mit der Zeit die ganze Menschheit. Nach einer allgemeinen Ordnung des Wesens und Lebens kann sie, wenn auch nicht zugleich in allen ihren Gliedern, streben und hoffen, bei genügend starkem Willen über die Unvollkommenheiten unserer jetzigen, weitgehend ungöttlichen Natur hinauszukommen und zumindest zu einem höheren Menschsein emporzusteigen, einem göttlichen Menschen-Wesen oder einem Übermenschen-Wesen näherzukommen, auch wenn sie es nicht absolut erreichen kann. Jedenfalls ist es der Zwang der evolutionären Natur im Menschen, sich hinaufzuentwickeln, das Ideal aufzurichten und darum zu ringen.

Wo aber ist die Gewähr dafür, daß das evolutionäre Wesen zu seinem Selbst wird, indem es über sein Selbst hinauskommt? Im Mental selbst gibt es Grade der Entwicklung, und jeder Grad ist wieder in sich selbst eine Entwicklung. Es gibt aufeinanderfolgende Höhen, die wir zutreffend die Ebenen und Unterebenen des mentalen Bewußtseins und des mentalen Wesens nennen können. Die Entfaltung unseres mentalen Selbsts ist weithin ein Aufstieg auf den Stufen dieser Treppe. Wir können unseren Stand auf irgendeiner von ihnen einnehmen und dabei unsere Abhängigkeit von den darunter liegenden Stufen beibehalten. Ebenso besitzen wir die Macht, gelegentlich zu höheren Stufen emporzusteigen oder auf Einflüsse aus den höheren Bereichen unseres Wesens zu reagieren. Gegenwärtig nehmen wir normalerweise noch unseren ersten sicheren Stand auf der niedersten Ebene der Intelligenz ein, die wir die physisch-mentale nennen können, da sie für die Bezeugung ihrer Tatsachen und für ihr Empfinden der Wirklichkeit vom physischen Gehirn, vom physischen Sinnen-Mental und von den physischen Sinnen-Organen abhängt. Hier sind wir der physische Mensch, der den objektiven Dingen und seinem äußeren Leben die höchste Bedeutung beimißt, jedoch nur geringe Anstrengung für sein subjektives oder inneres Sein aufwendet. Er ordnet alles, was er davon hat, den stärkeren Ansprüchen der äußeren Wirklichkeit unter. Der physische Mensch besitzt eine vitale Seite. Sie besteht zumeist aus den schwächeren Instinkten und impulsiven Gestaltungen des Lebens-Bewußtseins, das aus dem Unterbewußtsein zugleich mit einer Masse oder einer Folge von Empfindungen, Sehnsüchten, Hoffnungen, Gefühlen und Befriedigungen aufsteigt. Diese hängen von äußeren Dingen und Kontakten ab und befassen sich mit dem Praktischen, mit dem unmittelbar Verwirklichbaren und Möglichen, mit dem Gewohnten, dem Allgemeinen und Durchschnittlichen. Er hat eine mentale Seite, doch auch diese ist bestimmt durch das Herkömmliche, Traditionelle, Praktische und Objektive. Sie respektiert das, was zum Bereich des Mentals gehört, hauptsächlich dann, wenn es zur Unterstützung, Bequemlichkeit, Verwendung, Befriedigung und Unterhaltung seines physischen und sinnlichen Daseins verwendbar ist. Denn das physische Mental steht fest auf der Materie und in der materiellen Welt, auf dem Körper mit dem körperlichen Leben, auf der Sinnen-Erfahrung und auf einer normalen praktischen Mentalität und auf deren Erfahrung. Aus allem, was nicht zu dieser Ordnung gehört, konstruiert das physische Mental einen eng begrenzten Überbau, der von der äußeren Sinnen-Mentalität abhängt. Trotzdem betrachtet es diese höheren Lebensinhalte entweder als hilfreiche Nebenumstände oder als einen überflüssigen, jedoch angenehmen Luxus der Phantasie, der Gefühle und Gedanken-Abstraktionen, jedoch nicht als innere Wirklichkeiten. Oder es empfindet sie auch dann, wenn es sie als Wirklichkeiten akzeptiert, nicht konkret und stofflich in ihrer eigentlichen Substanz, die subtiler ist als die physische Substanz mit ihrer gröberen Konkretheit, es behandelt sie als subjektive, weniger substantielle Ausweitung der physischen Wirklichkeiten. Unvermeidlich muß sich so das menschliche Wesen zuerst fest auf den Boden der Materie stellen, den äußeren Tatsachen und dem äußeren Dasein ihre gebührende Bedeutung beimessen. Denn darin besteht die erste Vorsorge, die die Natur für unser Dasein trifft und auf die sie so nachdrücklich Wert legt. Auf den physischen Menschen in uns legt die Natur ihr Haupt-Gewicht. Ihn vermehrt sie in der Welt so reichlich, weil er ihre Kraft zur Bewahrung der gesicherten, wenn auch irgendwie trägen, materiellen Basis ist, auf der sie sich behaupten kann, während sie ihre höheren Entwicklungen verfolgt. In dieser mentalen Gestaltung gibt es aber keine Macht zum Fortschritt oder nur die Macht zum materiellen Fortschritt. Sie ist unser erster mentaler Zustand. Doch kann das mentale Wesen, der Mensch, nicht immer auf dieser untersten Sprosse der evolutionären Leiter der Menschheit stehen bleiben.

Höher als unser physisches Mental und tiefer in unserem Innern als das physische Empfinden ist das, was wir die Intelligenz des Lebens-Mentals nennen könnten: Sie ist dynamisch, vital, besitzt empfindliche Nerven und ist, wenn auch noch im Verborgenen, offener für das Psychische. Sie ist fähig für eine erste Seelen-Gestaltung, wenn auch nur für eine dunkle Lebens-Seele, die noch nicht das psychische Wesen ist sondern eine vordergründige Gestaltung des vitalen purusha. Diese Lebens-Seele empfindet konkret die Dinge der Lebens-Welt und kommt mit ihnen in Kontakt. Sie versucht, sie hier zu realisieren. Sie nimmt die Befriedigung und Erfüllung des Lebens-Wesens, der Lebens-Kraft, der vitalen Natur überaus wichtig: Sie betrachtet das physische Dasein als Feld zur Selbst-Erfüllung der Lebensimpulse, für das Spiel von Ehrgeiz, Macht, starkem Charakter, Liebe, Leidenschaft, Abenteuer, für das individuelle, das kollektive und das allgemein menschliche Streben, als Wagnis und Abenteuer für alle Arten des Lebens-Experiments und neuer Lebens-Erfahrung. Die physische Existenz allein hätte für sie ohne dieses befreiende Element, diese höhere Macht, dieses Interesse und diese Bedeutung keinen Wert. Diese Lebens-Mentalität wird durch unser verborgenes subliminales vitales Wesen unterstützt und steht in verhülltem Kontakt mit einer Lebens-Welt, für die sie sich leicht öffnen und so die unsichtbaren dynamischen Kräfte und Wirklichkeiten hinter dem materiellen Universum fühlen kann. Es gibt ein inneres Lebens-Mental, das für sein Wahrnehmen nicht das Zeugnis der physischen Sinne benötigt und durch diese nicht eingeschränkt wird. Denn auf dieser Ebene werden unser inneres Leben und das innere Leben der Welt für uns etwas Wirkliches, ohne daß wir vom Körper und den Symbolen der physischen Welt abhängig sind. Wir bezeichnen diese allein als natürliche Phänomene, als ob die Natur keine größeren Phänomene und keine höheren Wirklichkeiten besäße als die der groben Materie. Der vitale Mensch, der bewußt oder unbewußt von diesen Einflüssen geformt wird, ist der Mensch des Begehrens und der Empfindungen, der Mensch von Kraft und Aktion, von Leidenschaft und Emotion, der kinetische individuelle Mensch. Großes Gewicht legt er gern auf das materielle Dasein, und er tut das wirklich. Er gibt diesem aber auch dann, wenn er sich am meisten mit dessen gegenwärtigen Aktualitäten befaßt, stets einen Anstoß zur Lebens-Erfahrung, zu einer Kraft der Lebens-Realisierung, zur Lebens-Ausweitung, zur Lebens-Macht, zur Lebens-Bejahung und zur Expansion des Lebens. Darin liegt der erste Drang der Natur zur Ausweitung des Wesens. Wenn sich dieser Lebens-Drang äußerst verstärkt hat, durchbricht der Mensch alle Bindungen, sucht er neue Horizonte, revoltiert er gegen Vergangenheit und Gegenwart im Interesse der Zukunft. Er führt ein mentales Leben, das oft an die vitale Kraft, ihr Begehren und ihre Leidenschaften versklavt ist, und er sucht gerade diese durch sein Mental zu befriedigen. Wenn er sich aber stark für mentale Dinge interessiert, kann er zum mentalen Abenteurer werden, der den Weg zu neuen Mental-Gestaltungen öffnet, oder zum Kämpfer für eine Idee. Er wird zum empfindsamen Typus des Künstlers, zum dynamischen Dichter des Lebens oder zum Propheten und Vorkämpfer für eine große Sache. Das vitale Mental ist kinetisch und darum eine starke Kraft im Wirken der evolutionären Natur.

Oberhalb dieser Stufe vitaler Mentalität und mehr nach innen ausgebreitet liegt eine Mental-Ebene reinen Denkens und reiner Intelligenz, für die die Dinge der mentalen Welt die bedeutendsten Wirklichkeiten sind. Menschen, die unter dem Einfluß dieser Mental-Ebene stehen, repräsentieren das jetzige mentale Wesen auf seiner bisher erreichten Höhe: der Philosoph, der Denker, der Wissenschaftler, der intellektuell Schöpferische, der Mensch der Idee, des geschriebenen oder gesprochenen Wortes, der Idealist und Träumer. Dieser mentale Mensch spielt seine Lebens-Rolle, das Leben der Leidenschaften, Sehnsüchte, des Ehrgeizes und der Hoffnungen aller Art. Sein niederes sinnenhaftes, physisches Dasein und dessen niedere Rolle können aber sein edleres mentales Element so sehr aufwiegen oder überwiegen, daß dieses, obwohl es die höchste Stufe seines Wesens ist, doch in seinem Wesen nicht vorherrschend und maßgebend werden kann. Aber das ist für ihn in seiner höchsten Entwicklung nicht typisch, denn dort werden die vitalen und physischen Elemente kontrolliert und durch den denkenden Willen und die Intelligenz beherrscht. Der mentale Mensch kann seine Natur nicht transformieren, er kann sie aber kontrollieren und harmonisieren. Er kann ihr das Gesetz eines mentalen Ideals auferlegen, Ausgewogenheit oder einen verfeinernden und veredelnden Einfluß aufnötigen. Er kann die multi-personale Verwirrung, den Konflikt oder das summarische Flickwerk unseres zerteilten oder halb-durchkonstruierten Wesens zu einem größeren inneren Halt erziehen. Er kann zum Beobachter und Beherrscher seines eigenen Mentals und Lebens werden, kann sie bewußt entwickeln und dementsprechend zu seinem Selbst-Schöpfer werden.

Dieses Mental der reinen Intelligenz hat zu seinem Hintergrund unser inneres oder subliminales Mental, das die Dinge der Mental-Ebene unmittelbar empfindet, offen ist für das Wirken der Welt mentaler Kräfte, das die ideativen und anderen unwägbaren Einflüsse fühlen kann, die auf die materielle Welt und auf die Lebens-Ebene einwirken, die wir aber gegenwärtig nur mittelbar erschließen und nicht unmittelbar erfahren können. Für den mentalen Menschen sind diese ungreifbaren und unwägbaren Dinge etwas Wirkliches und Offenkundiges. Er erachtet sie als Wahrheiten, die nach Verwirklichung in uns oder auf der Erde verlangen. Auf der inneren Ebene können für uns das Mental und die Mental-Seele unabhängig vom Körper zur vollen Wirklichkeit werden. Wir können in ihnen ebenso bewußt leben wie in unserem Körper. Darum ist auf jenen Stufen der Natur, kurz bevor wir die Spiritualität erlangen, unsere Lage die, daß wir ganz im Mental und in den Dingen des Mentals leben, eher Intelligenz als nur Leben und Körper sind. Der mentale Mensch, der Mensch, der sich selbst durch Mental und Willen beherrscht und gestaltet, der sich eines Ideals bewußt ist und der Verwirklichung dieses Ideals zuwendet, der hohe Intellekt, der Denker, der Weise ist zwar weniger kinetisch und weniger unmittelbar effektiv als der vitale Mensch, der ein Mensch der Aktion und raschen äußeren Lebens-Erfüllung ist. Er ist aber ebenso machtvoll und schließlich machtvoll genug, um der Menschheit neue Ausblicke zu eröffnen. Er ist der normale höchste Typus der evolutionären Gestaltung der Natur auf der menschlichen Ebene. Für unsere gewöhnliche Intelligenz stellen diese drei Grade der Mentalität, die in sich klar abgegrenzt, zumeist aber in unserem zusammengesetzten Wesen miteinander vermischt sind, nur die psychologischen Typen dar, die sich eben so entwickelt haben, und wir entdecken in ihnen keine andere Bedeutung. Tatsächlich sind sie aber höchst bedeutungsvoll, denn sie sind Stufen der Evolution, zu denen die Natur das mentale Wesen bis jetzt gebracht hat, damit es über sich selbst hinauskommt. So wie das denkende Mental die höchste Stufe ist, die sie bisher erreichen kann, so ist der vollkommen gewordene mentale Mensch das seltenste und höchste ihrer normalen menschlichen Geschöpfe. Damit wir darüber hinauskommen können, muß sie das spirituelle Prinzip in das Mental einführen und in Mental, Leben und Körper aktiv werden lassen.

Das sind die evolutionären Gestaltungen, die die Natur aus der vordergründigen Mentalität aufgebaut hat. Wenn sie mehr tun will, muß sie das unsichtbare Material, das unter unserer Oberfläche verborgen ist, in reicherem Maß verwenden. Sie muß in das Innere hinabtauchen und die verborgene Seele, die Psyche, hervorbringen. Oder sie muß über unsere normale mentale Stufe in Ebenen des intuitiven Bewußtseins emporkommen, die ganz erfüllt sind von einem Licht, das aus der spirituellen Gnosis herrührt, in die aufsteigenden Ebenen des reinen spirituellen Mentals, auf denen wir in unmittelbarer Berührung mit dem Unendlichen stehen. Sie muß das Selbst und die höchste Wirklichkeit der Dinge, saccidananda, ergreifen. In unserem eigenen Innern, hinter unserem vordergründigen natürlichen Wesen, gibt es eine Seele, ein inneres Mental, eine innere Lebens-Seite, die sich ebenso für diese Höhen öffnen kann wie für den verborgenen Geist in unserem Innern. Dieses doppelte Sich-Öffnen ist das Geheimnis einer neuen Entwicklung. Dadurch, daß diese Verschlüsse, Wände und Begrenzungen durchbrochen werden, erhebt sich das Bewußtsein zu einem höheren Aufstieg und zu einer umfassenderen Integration. Diese wird, ebenso wie es bei der Evolution des Mentals geschah, die alle Mächte unserer Natur mentalisiert hat, diese durch eine neue Evolution spiritualisieren. Denn der mentale Mensch ist nicht die letzte Anstrengung oder die höchste Stufe der Entwicklung der Natur, wenn er sich auch im allgemeinen in seiner eigenen Art vollständiger entwickelt hat, als die Wesen unterhalb von ihm es erreichten oder als die über ihm es erstrebten. Die Natur hat aber den Menschen auf eine noch höhere und schwierigere Stufe verwiesen. Sie hat ihn mit dem Ideal eines spirituellen Lebens begeistert und in ihm die Evolution eines spirituellen Wesens begonnen. Dem spirituellen Menschen gilt ihr höchstes, über das Normale hinausgehende Bemühen bei der menschlichen Schöpfung. Nachdem sie den mentalen Schöpfer, den Denker, den Weisen, den Propheten eines Ideals, das selbst-kontrollierte, selbst-harmonisierte mentale Wesen entwickelt hat, versucht sie, höher empor und tiefer nach innen zu gehen und die Seele, das innere Mental und das Herz in den Vordergrund zu rufen. Von oben herab entbindet sie die Kräfte des spirituellen Mentals, des höheren Mentals und des Übermentals. Sie will unter ihrem Licht und durch ihren Einfluß den spirituellen Weisen, Seher, Propheten, Gott-Liebenden, Yogin, Gnostiker, Sufi, Mystiker erschaffen.

Dies ist der einzige Weg, wie der Mensch in Wahrheit über sich hinauskommen kann. Denn solange wir in unserem vordergründigen Wesen leben oder uns völlig auf die Materie gründen, können wir unmöglich höher emporkommen. Es ist vergeblich, zu erwarten, es könne hier einen neuen Übergang von radikalem Charakter in unserem evolutionären Wesen geben. Der vitale und mentale Mensch haben auf das Erden-Leben einen außerordentlichen Einfluß ausgeübt. Sie haben die Menschheit von der Stufe des Tier-Menschen zu dem emporgehoben, was er jetzt ist. Sie können aber nur innerhalb der Grenzen der bereits festgelegten evolutionären Formel des menschlichen Wesens wirken. Sie können den menschlichen Aktionskreis nur ausweiten. Sie können aber nicht das Bewußtseins-Prinzip oder dessen charakteristische Wirkweise verändern oder umwandeln. Jeder Versuch, auf ungeordnete Weise das Mental zu erhöhen oder auf ungeordnete Weise den vitalen Menschen in ein Übermaß zu steigern – zum Beispiel beim “Übermenschen” von Nietzsche – kann nur kolossale Übersteigerungen der menschlichen Kreatur hervorbringen. Dadurch kann er aber nicht umgewandelt oder vergöttlicht werden. Eine ganz andere Möglichkeit eröffnet sich uns, wenn wir im inneren Wesen leben und dieses zum unmittelbaren Lenker unseres Lebens machen können oder auf den spirituellen und intuitiven Ebenen des Wesens einen festen Stand einnehmen und von dorther und durch deren Macht unsere Natur umwandeln können.

Der spirituelle Mensch ist der Wegweiser für diese neue Entwicklung, für dieses neue und höhere Bemühen der Natur. Diese Evolution unterscheidet sich aber in zwei Aspekten von dem vergangenen Prozeß der evolutionären Energie: Sie wird durch bewußte Anstrengung des menschlichen Mentals durchgeführt. Und sie ist nicht nur auf ein bewußtes Vorwärtsschreiten der äußeren Natur beschränkt. Vielmehr ist sie von dem Versuch begleitet, die Wände der Unwissenheit zu durchbrechen und uns nach innen bis in das geheime Prinzip unseres gegenwärtigen Wesens, ebenso nach außen in das kosmische Wesen und nach oben zu einem höheren Prinzip hin auszuweiten. Was die Natur bis jetzt erreicht hat, war eine Ausweitung der Grenzen unserer vordergründigen Wissens-Unwissenheit. Bei dem spirituellen Bemühen wird versucht, die Unwissenheit ganz zu beseitigen, nach innen zu gehen, die Seele zu entdecken und im Bewußtsein mit Gott und dem ganzen Sein vereint zu werden. Das ist das letzte Ziel der mentalen Stufe der evolutionären Natur im Menschen. Und es ist der Anfangs-Schritt zu einer radikalen Umwandlung der Unwissenheit in das Wissen. Die spirituelle Umwandlung beginnt mit einem Einfluß des inneren Wesens und des höheren spirituellen Mentals, mit einer solchen Aktion, die an der Außenseite gefühlt und von ihr angenommen wird. Das kann aber an sich selbst nur bis zu einem erleuchteten mentalen Idealismus oder bis zum Wachsen eines religiösen Mentals, eines religiösen Temperaments, einer gewissen Hingabe im Herzen und zur Frömmigkeit im Verhalten führen. Es ist eine erste Annäherung des Mentals an den Geist. Es kann aber nicht zu einem grundlegenden Wandel führen. Dazu muß mehr getan werden. Wir müssen tiefer in unser Inneres gehen. Wir sollen über unser gegenwärtiges Bewußtsein hinauskommen und unseren gegenwärtigen Status in der Natur überschreiten.

Offensichtlich können wir auf diese Weise tiefer in unserem Innern leben und die inneren Kräfte stetiger draußen in unserer äußeren Instrumentation einsetzen oder uns so emporheben, daß wir in höheren und weiteren Bereichen daheim sind und deren Mächte im physischen Dasein zur Auswirkung bringen. Wir sollen nicht nur die Einflüsse empfangen, die von ihnen herabkommen; das ist alles, was wir jetzt tun können. Es könnte vielmehr eine Verdichtung unseres bewußten Wesens anfangen, um ein neues Bewußtseins-Prinzip zu erschaffen, einen neuen Bereich von Aktivitäten, neue Werte für alle Dinge, eine Ausweitung unseres Bewußtseins und Lebens. So könnten wir die niederen Stufen unseres Daseins empornehmen und umwandeln. Das ist in Kürze der ganze evolutionäre Prozeß, durch den der Geist in der Natur einen höheren Typus des Wesens erschafft. Jede Stufe könnte ein Schritt zu dem wenn auch noch so entfernten Ziel oder eine weitere Annäherung an ein umfassenderes und mehr göttliches Wesen bedeuten, an mehr göttliche Kraft, göttliches Bewußtsein, Wissen und Wollen, Empfinden des Daseins und Freude am Dasein. Hier könnte der Anfang liegen zu einer Entfaltung zum göttlichen Leben. Jede Religion, alles okkulte Wissen, alle übernormale (im Gegensatz zur abnormen) psychische Erfahrung, jeder Yoga, alles psychische Erleben und jede Disziplin sind Wegweiser und Hinweise, die uns dieses Fortschreiten des verborgenen, sich selbst entfaltenden Geistes zeigen.

Aber die menschliche Rasse wird noch durch eine gewisse Schwerkraft zum Physischen hinabgezogen. Sie gehorcht noch der Anziehung unserer bislang unbezwungenen Erden-Materie. Sie wird vom Gehirn-Mental, von der physischen Intelligenz beherrscht. Von vielen Fesseln zurückgehalten, zögert sie am Wegweiser und scheut vor der zu strengen Forderung spirituellen Ringens zurück. Auch hegt sie noch zu viel törichte Skepsis, starke Indolenz, eine enorme intellektuelle und spirituelle Angst und konservative Ablehnung, wenn sie zum Verlassen ihrer alten Gewohnheit aufgefordert wird. Selbst der ständige Beweis des Lebens, daß es dort, wo es siegen will, auch siegen kann – bewiesen durch die Wunder der doch untergeordneten Macht der Naturwissenschaften –, hindert sie nicht, weiter zu zweifeln. Sie weist den neuen Anruf zurück und überläßt die Antwort darauf einigen wenigen Einzelnen. Das ist aber nicht genug, wenn der Schritt nach vorn für die ganze Menschheit getan werden muß. Und nur dann, wenn die Menschheit als Ganzes fortschreitet, können für sie die Siege des Geistes gesichert sein. Denn selbst, wenn es zum Abgleiten der Natur, zum Absinken in ihren Bemühungen kommt, wird der Geist im Innern sie wieder nach oben rufen. Er verwendet dabei eine geheime Erinnerung. Manchmal wird sie nach der niederen Seite, in einer Gravitation nach unten, durch eine atavistische Kraft im Menschen repräsentiert; in Wirklichkeit ist das die Kraft einer dauerhaften Erinnerung in der Natur, die uns entweder nach oben oder nach unten ziehen kann. Durch diese Erinnerung wird der nächste Aufstieg wegen der Anstrengung in der Vergangenheit leichter und dauerhafter sein. Denn es kann nicht anders sein, als daß dieses Bemühen, sein Impuls und sein Ergebnis im unterbewußten Mental der Menschheit gespeichert wird. Wer kann sagen, welche Siege dieser Art in den Zyklen unserer Vergangenheit davongetragen wurden und wie nahe der nächste Aufstieg ist? Gewiß ist es nicht nötig oder möglich, daß sich alle Menschen von mentalen Wesen in spirituelle umwandeln sollen. Notwendig ist aber eine allgemeine Anerkennung des Ideals, ein weitverbreitetes Bemühen, die bewußte Konzentration, um diese Tendenz zu einem gewissen Erfolg zu leiten. Sonst werden letzten Endes nur einige wenige Erfolg haben und eine neue Seins-Ordnung begründen, während die Menschheit als Ganzes über sich selbst das Urteil gefällt hat, sie sei dazu unfähig. So mag sie evolutionär verfallen oder in statische Unbeweglichkeit zurücksinken. Denn nur ihr ständiges Streben nach oben hat die Menschheit lebendig erhalten und ihr einen Platz an der Spitze der Schöpfung gesichert.

Der Prozeß der Evolution hat folgendes Prinzip: Zuerst ein Unterbau, von diesem Fundament aus ein Aufstieg; bei diesem Aufstieg eine Umkehrung des Bewußtseins; von der gewonnenen größeren Höhe und Weite aus eine Aktion zur Umwandlung und neuen Integration der ganzen Natur. Der Unterbau ist Materie. Der Aufstieg ist eine Aufwärts-Entwicklung der Natur. Die Integration ist zuerst eine unbewußte oder halb-bewußte automatische Umwandlung der Natur durch die Natur. Sobald aber bei diesen Aktionen der Natur eine vollständigere bewußte Teilnahme des menschlichen Wesens begonnen hat, ist ein Wandel im Prozeß unvermeidlich. Der physische Unterbau von Materie bleibt bestehen. Materie kann aber nicht mehr das Fundament des Bewußtseins sein. Bewußtsein selbst wird in seinem Ursprung nicht mehr ein Aufwallen aus dem Unbewußten oder ein verborgenes Strömen aus einer geheimen subliminalen Kraft unter dem Druck von Berührungen aus dem Universum sein. Fundament des sich entwickelnden Seins wird der neue spirituelle Zustand über uns oder der unverhüllte Zustand der Seele in uns sein. Es ist ein Strom von Licht und Wissen und Willen von oben und dessen Annahme von innen, der die Reaktionen des Wesens auf die kosmische Erfahrung bestimmen wird. Alle Konzentration des Wesens wird von unten nach oben und von außen nach innen verlegt. Unser höheres und inneres Wesen, das jetzt für uns noch etwas Unbekanntes ist, wird zu unserem Selbst werden. Das äußere oder vordergründige Wesen, das wir jetzt für unser Selbst halten, wird dann nur noch eine offene Vorderseite oder ein Anbau sein, durch die das wahre Wesen mit dem Universum verkehrt. Die äußere Welt selbst wird für das spirituelle Bewußtsein zu etwas Innerem werden, zu einem Teil seiner selbst, die es in einem Wissen und Fühlen von Einheit und Identität innig umfaßt und mit einer intuitiven Schau des Mentals durchdringt. Der unmittelbare Kontakt von Bewußtsein mit Bewußtsein wird ihr antworten, und sie wird in eine vollendete Vollständigkeit aufgenommen werden. Selbst das alte unbewußte Fundament in uns wird durch das Einströmen von Licht und Bewußtsein von oben her bewußt gemacht, seine Tiefen werden an die Höhen des Geistes angeschlossen werden. Basis für die völlige Harmonisierung des Lebens wird ein integrales Bewußtsein werden durch vollständige Umwandlung, Vereinigung und Einbeziehung des Wesens und der Natur.

Kapitel XIX. Aus der siebenfachen Unwissenheit zum siebenfachen Wissen

Sieben Stufen hat das Gelände der Unwissenheit, sieben Stufen hat das Gebiet des Wissens.

Mahopanishad, V. 1.

Er fand das unermeßliche Denken mit sieben Köpfen, das aus der Wahrheit geboren ist. Er erschuf eine vierte Welt und wurde universal... Die Söhne des Himmels, die Helden des Allmächtigen, die den aufrichtigen Gedanken denken, der Wahrheit Stimme verleihen, begründeten den Bereich der Erleuchtung und nahmen das erste Domizil des Opfers wahr... Der Meister der Weisheit warf die steinernen Verteidigungsanlagen nieder und rief die Herden des Lichts . . . Die Herden, die in der Verborgenheit auf der Brücke über die Lüge stehen zwischen zwei Welten, eine unten und eine oben. Da er Licht in der Finsternis begehrte, brachte er die Strahlen-Herde hinauf und befreite die drei Welten von ihrer Verhüllung. Er zerschmetterte die Stadt, die im Hinterhalt verborgen liegt, und schnitt die drei aus dem Ozean heraus. Er entdeckte die Morgenröte und die Sonne und das Licht und die Welt von Licht.

Rig Veda, X. 67.1-5.

Bei seinem ersten Eintritt in die Geburt im höchsten Äther des großen Lichtes – seiner Geburten sind viele, seiner Münder Worte sieben, sieben seiner Strahlen – zerschmettert der Meister der Weisheit die Finsternis mit seinem Ruf.

Rig Veda, IV. 50. 4.

Ihrem Wesen nach ist jede Entwicklung eine Steigerung der Kraft des Bewußtseins im geoffenbarten Wesen, so daß dieses in eine höhere Intensität dessen emporgehoben werden kann, was noch ungeoffenbart ist: von Materie in Leben, von Leben in Mental, von Mental in Geist. Das muß auch die Methode unseres Wachsens aus einer mentalen in eine spirituelle und supramentale Manifestation sein, aus einem noch halb-tierhaften Menschentum in ein göttliches Wesen und göttliches Leben. Erlangen müssen wir dabei: eine neue spirituelle Höhe, Weite, Tiefe, Freiheit; eine neue Intensität unseres Bewußtseins, seiner Substanz, Kraft und Sensibilität; eine Erhebung, Ausdehnung, Formbarkeit und integrale Begabung unseres Wesens; einen Aufstieg des Mentals und all dessen, was unterhalb des Mentals ist, in jenes umfassendere Sein. In einer künftigen Transformation wird sich der Charakter der Evolution, das Prinzip des evolutionären Prozesses, auch wenn es abgewandelt wird, nicht grundlegend verändern. Vielmehr wird es sich in einem größeren Maßstab und einer befreiten Bewegung herrlich weiter entfalten. Umwandlung in ein höheres Bewußtsein oder in einen höheren Wesenszustand ist nicht nur Ziel und Prozeß der Religion, aller höheren Askese, des Yoga. Sie ist ebenso die eigentliche Tendenz unseres Lebens an sich, der geheime Zweck, der sich in der Summe seines Ringens vorfindet. Das Prinzip des Lebens in uns sucht sich ständig auf den Ebenen des Mentals, der Vitalität und des Körpers, die es bereits besitzt, zu behaupten und zu vervollkommnen. Es wird aber auch vom Selbst angetrieben, darüber hinauszugehen und diese Gewinne in Mittel umzuwandeln, durch die sich der bewußte Geist in der Natur entfaltet. Würde nur eine einzige Seite von uns – Intellekt, Herz, Wille oder vitales Selbst des Begehrens –, unzufrieden mit seiner Unvollkommenheit und mit der Welt, danach streben, dem zu entkommen zu einer größeren Höhe des Seins, und sich damit zufriedengeben, den Rest der Natur sich selbst zu überlassen oder unterzugehen, dann würde das Ergebnis einer solchen völligen Umwandlung nicht eintreten, sich zumindest nicht hier ereignen. Das ist aber nicht die vollständige Tendenz unseres Seins. Es gibt ein Ringen der Natur in uns, mit allem, was wir sind, emporzukommen zu einem Prinzip, das höher ist als jenes, das sie hier entwickelt hat. Es ist aber ganz und gar nicht ihr Wille, sich bei diesem Aufstieg zu zerstören, als ob das höhere Prinzip ausschließlich durch Zurückweisung und Vernichtung der Natur durchgesetzt werden könnte. Unentbehrlich ist dabei, die Kraft des Bewußtseins so zu steigern, bis es aus der mentalen, vitalen und physischen Instrumentation in Wesen und Macht des Geistes übergeht. Aber auch das ist nicht der einzige Zweck, nicht alles, was getan werden muß.

Unsere Berufung muß sein, daß wir in unserem ganzen Wesen auf einer neuen Höhe leben. Um diese Höhe zu erreichen, brauchen wir aber unsere dynamischen Wesensseiten nicht in den unbestimmten Stoff der Natur zurücksinken zu lassen, um durch diesen befreienden Verlust in einem seligen Schweigen des Geistes zu verharren. Das kann zwar stets getan werden, und es bringt uns große Ruhe und Befreiung. Die Natur selbst aber erwartet von uns, daß wir alles, was wir sind, in das spirituelle Bewußtsein emporheben, damit es zu einer offenbaren und vielfältigen Macht des Geistes wird. Vollständige Umwandlung ist das integrale Ziel des Wesens in der Natur, der ursprüngliche innere Sinn ihres universalen Drängens auf die Selbst-Transzendierung. Aus diesem Grund ist der Prozeß der Natur nicht darauf beschränkt, sich in ein neues Prinzip emporzuheben. Die neue Höhe ist kein enger, starker Gipfel. Sie bringt eine Ausweitung des Lebens mit sich und begründet für es ein umfassenderes Feld, in dem die Macht des neuen Prinzips genügend Spielraum für ihr Hervortreten hat. Dieses Wirken, das zugleich erhöht und ausweitet, ist nicht auf eine äußerst mögliche Ausweitung im wesenhaften Kräftespiel des neuen Prinzips selbst begrenzt. Es schließt auch ein, daß alles, was niedriger ist, in die höheren Werte emporgehoben wird. Das göttliche oder spirituelle Leben wird nicht nur das mentale, vitale und physische Leben, transformiert und spiritualisiert, in sich aufnehmen. Es wird ihnen auch einen viel weiteren und volleren Spielraum darbieten, als ihnen offenstand, solange sie noch auf ihrer eigenen Stufe lebten. Dadurch, daß wir über uns selbst hinauskommen, braucht unser mentales, physisches und vitales Dasein nicht zerstört zu werden. Es wird auch nicht herabgemindert und beeinträchtigt, wenn es spiritualisiert wird. Diese Seiten können viel reicher, größer, mächtiger und vollkommener werden, und sie werden es auch. Durch ihre göttliche Umwandlung dringen sie in Möglichkeiten ein, die in ihrem nicht-spiritualisierten Zustand nicht verwirklichbar oder vorstellbar sein konnten.

Ihrer Natur nach ist diese Evolution, dieser Prozeß der Erhöhung, Ausweitung und Einbeziehung, ein Wachsen und Emporsteigen aus der siebenfachen Unwissenheit in das integrale Wissen. Bei der Unwissenheit liegt die Hauptschwierigkeit im Konstitutionellen. Sie läßt sich zusammenfassen in eine siebenfache Unwissenheit darüber, was der wahre Charakter unseres Werdens ist, und in eine Unbewußtheit unseres vollständigen Selbsts. Der Schlüssel dazu liegt darin, daß wir durch die Ebene, die wir bewohnen, und durch das jetzt und hier vorherrschende Prinzip unserer Natur eingeschränkt sind. Die Ebene, die wir bewohnen, ist die Ebene der Materie. Das gegenwärtig in unserer Natur vorherrschende Prinzip ist die mentale Intelligenz mit dem Sinnen-Mental, das abhängig ist von der Materie als seiner Stütze und seinem Träger. Eine Konsequenz daraus und ein besonderer, der konstitutionellen Unwissenheit aufgeprägter Stempel ist es, daß die mentale Intelligenz und ihre Mächte vor allem interessiert sind am materiellen Dasein, wie es ihnen durch die Sinne gezeigt wird, und an dem Leben so, wie dieses in einem Kompromiß zwischen Leben und Materie formuliert ist. Dieser natürliche Materialismus oder materialisierte Vitalismus, in dem wir uns an unsere Anfänge klammern, ist eine Form von Selbst-Begrenzung, die den Horizont unseres Daseins einengt und dem Wesen des Menschen stark anhaftet. Zwar ist das eine erste Notwendigkeit für sein physisches Dasein. Danach wird er aber durch primäre Unwissenheit an eine Kette geschmiedet, die jeden seiner Schritte aufwärts behindert. Der erste wirklich progressive Schritt unseres Menschseins besteht darin, daß wir versuchen, aus dieser Begrenzung von Ganzheit, Macht und Wahrheit des Geistes durch die materialisierte mentale Intelligenz und aus dieser Unterwerfung der Seele unter die materielle Natur herauszuwachsen. Denn unsere Unwissenheit ist nicht vollständig. Sie ist eine Begrenzung unseres Bewußtseins, aber nicht jene vollständige Nichtbewußtheit, die die gleiche Unwissenheit in den Formen des rein materiellen Daseins prägt, die ihren Ort nicht nur auf der Ebene der Materie, sondern die Materie auch als das sie beherrschende Prinzip hat. Das ist bei uns ein partielles, begrenztes, zerteilendes und, in starkem Maße, verfälschendes Wissen. Wir sollen aus dieser Beschränkung und Verfälschung in die Wahrheit des spirituellen Wesens hineinwachsen.

Das vorwiegende Interesse an Leben und Materie ist am Anfang richtig und notwendig, da das der erste Schritt ist, den der Mensch tun muß, um dieses physische Dasein zu erkennen und es so gut, wie er kann, zu besitzen, indem er sein Denken und seine Intelligenz auf jede Erfahrung dieses Daseins richtet, die ihm sein Sinnen-Mental geben kann. Das ist aber nur ein vorläufiger Schritt. Wenn wir hier innehalten, haben wir keinen wirklichen Fortschritt erzielt. Wir sind immer noch dort, wo wir vorher waren. Wir haben nur einen größeren physischen Ellbogenraum gewonnen, um uns darin zu bewegen. Wir haben unserem Mental mehr Macht verschafft, relative Erkenntnis und ungenügende, ungesicherte Herrschaft zu gewinnen. Unser Lebens-Begehren kann die Dinge besser umherstoßen, mit ihnen jonglieren und sie mitten im Lärm der physischen Kräfte und Formen herumwirbeln. Der wesenhafte Gewinn für uns, das einzige, was uns zu erwerben not tut, liegt nicht darin, daß wir unser physikalisches objektives Wissen bis zum äußersten ausweiten, auch wenn es die entferntesten Sonnen-Systeme, die tiefsten Schichten von Erde und Meer sowie die subtilsten Mächte der materiellen Substanz und Energie umfassen würde. Aus diesem Grund erweist sich das Evangelium des Materialismus, trotz der blendenden Triumphe der Naturwissenschaften, am Ende stets als leere und hilflose Weltanschauung. Aus dem gleichen Grund kann die physikalische Wissenschaft trotz all ihrer Errungenschaften, selbst wenn sie ein bequemes Dasein schaffen könnte, niemals Glück und volle Erfüllung für alle Menschen erreichen. Unser wahres Glück liegt im wahren Wachstum unseres ganzen Wesens, in einem Sieg, der den ganzen Bereich unseres Daseins umfaßt, in der Meisterschaft über die innere wie die äußere – ja, mehr als die äußere, über unsere verborgene ebenso wie über unsere vordergründige Natur. Unsere wahre Vollkommenheit kommt nicht dadurch, daß wir auf der Ebene, auf der wir anfingen, immer weitere Kreise beschreiben, sondern dadurch, daß wir über diese hinauskommen. Aus diesem Grunde müssen wir, nachdem wir die ersten notwendigen Fundamente in Leben und Materie gelegt haben, die Kraft unseres Bewußtseins verstärken, sie ausweiten und verfeinern. Wir sollen zuerst unser mentales Selbst befreien und Zugang finden zu einem freieren, feineren und edleren Spiel unseres mentalen Daseins. Denn viel mehr als das physische ist das mentale unser wahres Sein, da wir gerade in unserer instrumental ausdrucksstarken Natur vorwiegend Mental, und nicht Materie, viel eher ein mentales als ein physisches Wesen sind. Dieses Hineinwachsen in das vollständige mentale Wesen ist die erste Übergangsbewegung zur menschlichen Vollkommenheit und Freiheit. Sie vervollkommnet und befreit die Seele noch nicht eigentlich. Sie hebt uns aber eine Stufe höher aus dem völligen Aufgezehrtsein im Materiellen und Vitalen und bereitet uns darauf vor, daß die Unwissenheit ihre Macht über uns lockert.

Wenn wir vollkommenere mentale Wesen werden, besteht unser Gewinn darin, daß wir die Möglichkeit zu einem feineren, höheren und umfassenderen Sein, Bewußtsein und Glück, zu mehr Kraft und Freude unseres Wesens erlangen. Je nachdem, wie wir auf der Stufenleiter des Mentals emporsteigen, kommt eine höhere Macht dieser Dinge über uns. Unser mentales Bewußtsein gewinnt für sich umfassendere Schau und Macht; es wird subtiler und formbarer. Wir können mehr vom eigentlichen vitalen und physischen Dasein in uns aufnehmen. Wir erkennen und verwenden es besser. Wir bieten ihm edlere Werte, größere Reichweite und verfeinertes Wirken, – eine ausgeweitete Stufenfolge und höhere Ziele. Der ihn charakterisierenden Macht nach ist der Mensch ein mentales Wesen. Wenn er in die Evolution eintritt, hat er bei den ersten Schritten jedoch mehr von einem mentalisierten Tier an sich, das, wie das Tier, vor allem an seinem körperlichen Dasein interessiert ist. Sein Mental verwendet er für den Gebrauch, die Interessen und das Begehren von Leben und Körper, als deren Knecht und Diener, noch nicht als deren Herr und Meister. In dem Umfang, in dem er in seinem Mental wächst, sein Mental sein Selbst-sein und seine Unabhängigkeit von der Tyrannei des Lebens und der Materie behauptet, gewinnt er auch an Gestalt. Auf der einen Seite kontrolliert und erleuchtet das Mental durch seine Emanzipation das Leben und die Körperlichkeit. Auf der anderen Seite gewinnen die rein mentalen Ziele, Aktivitäten und das Streben nach Erkenntnis ihren Wert. Das von der niederen Kontrolle und Vorherrschaft befreite Mental führt eine ordnende Regel in das Leben ein, hebt es empor, verschönt es und entwickelt mehr Ausgeglichenheit und Harmonie. Die vitalen und körperlichen Regungen werden gelenkt und zurechtgerückt. Sie werden, soweit dazu geeignet, durch mentale Organisation umgewandelt. So werden sie dazu angehalten, Werkzeuge der Vernunft zu werden und einem erleuchteten Willen, einer sittlichen Anschauung und ästhetischen Intelligenz zu gehorchen. Je mehr das erreicht wird, desto mehr wird die Rasse wahrhaft menschlich, zu einer Rasse mentaler Wesen.

Diese Auffassung vom Leben wurde von den griechischen Denkern in den Vordergrund gerückt. Lebendiges Aufblühen im Lichte dieses Ideals verleiht dem hellenischen Leben und seiner Kultur einen so faszinierenden Glanz. In späteren Zeiten ging diese Auffassung verloren. Als sie dann wieder auftauchte, kam sie sehr vermindert wieder, mit anderen Elementen vermischt. Der Souveränität des Mentals und der Harmonie des Lebens, seiner Schönheit und Ausgeglichenheit stand die Verwirrung durch ein spirituelles Ideal im Wege, das vom Verstand nur unvollkommen erfaßt und in der Lebenspraxis gar nicht verwirklicht wurde. Doch war es mit seinen positiven und negativen mentalen und moralischen Einflüssen gegenwärtig und hatte überdies den Druck eines vorherrschenden ungeordneten vitalen Dranges gegen sich, der nicht zu einer freien, selbst-zufriedenen Bewegung kommen konnte. Man gewann zwar Aufgeschlossenheit für höhere Ideale und mehr Ausweitung des Lebens. Aber die Elemente des neuen Idealismus wurden nur als Einfluß auf diese Aktivitäten geltend gemacht. Sie konnten nicht die Herrschaft in ihnen gewinnen und sie umwandeln. Zuletzt wurde dann das auf solche Weise falsch verstandene und nicht verwirklichte spirituelle Bemühen aufgegeben. Zwar verblieben dessen moralische Auswirkungen; da sie aber der sie tragenden spirituellen Elemente beraubt waren, waren sie zur Wirkungslosigkeit verurteilt. Der durch die ungeheure Entwicklung seiner physischen Intelligenz unterstützte vitale Drang wurde nun zur mächtigsten Antriebskraft des Menschengeschlechts. Das erste Ergebnis war das imponierende Anwachsen einer bestimmten Art von Wissen und praktischer Tüchtigkeit. Das jüngste Ergebnis ist eine gefährliche spirituelle Erkrankung und gewaltige Unordnung.

Denn das Mental an und für sich ist nicht genug. Selbst das reichste Spiel der Intelligenz schafft nur begrenztes Halb-Licht. Eine nur äußerliche mentale Erkenntnis des physikalischen Universums ist ein unvollkommener Führer. Für das denkende Tierwesen mag das genug sein, nicht aber für ein Geschlecht mentaler Wesen, das in den Geburtswehen einer spirituellen Evolution liegt. Allein durch die Physik und äußere Erkenntnis, nur durch die Beherrschung der physikalischen und mechanischen Prozesse, kann die Wahrheit selbst der physischen Dinge nicht voll erkannt, noch kann der rechte Gebrauch unseres materiellen Daseins durch sie entdeckt oder ermöglicht werden. Zur rechten Erkenntnis und Verwendung müssen wir über die Wahrheit der physikalischen Phänomene und Prozesse hinausgehen. Wir müssen das erkennen, was im Innern und dahinter ist. Wir sind nicht nur ein verkörpertes Mental. Es gibt auch noch ein spirituelles Wesen, ein spirituelles Prinzip und eine spirituelle Ebene der Natur. In sie sollen wir die Kraft unseres Bewußtseins erhöhen und dadurch die Reichweite unseres Wesens und das Feld unseres Wirkens noch umfassender, ja, allumfassend und unendlich gestalten. So sollen wir unser niederes Leben emporheben und im Licht der spirituellen Wahrheit des Seins für höhere Zwecke und auf umfassenderer Ebene verwenden. Erst dann kann das Ringen unseres Mentals und der Kampf unseres Lebens zum Sieg kommen, wenn wir über die uns beherrschende Führung durch die niedere Natur hinausgelangt sind, wenn unser natürliches Wesen in Wesen und Bewußtsein des Geistes integriert ist und wir gelernt haben, unsere natürlichen Instrumente durch die Kraft und für die Freude des Geistes zu verwenden. Nur dann kann sich die konstitutionelle Unwissenheit, die Unwissenheit in bezug auf die wirkliche Struktur unseres Seins, unter der wir leiden, in ein wahres und wirksames Wissen von unserem Wesen und Werden umwandeln. Denn eigentlich sind wir Geist, der gegenwärtig vorwiegend das Mental, auf untergeordnete Art auch das Leben und den Körper, verwendet, wobei die Materie unser ursprüngliches, doch nicht das einzige Feld unserer Erfahrung ist. Das gilt freilich nur für den jetzigen Zustand. Unsere unvollkommene mentale Instrumentation ist nicht das letzte Wort unserer Möglichkeiten. Denn, schlafend oder unsichtbar und unvollkommen aktiv, gibt es in uns andere Prinzipien, jenseits des Mentals und näher zur spirituellen Natur. Es gibt unmittelbare Mächte und erleuchtete Instrumente, einen höheren Zustand und größere Bereiche für ein dynamisches Wirken als die unserem jetzigen physischen, vitalen und mentalen Dasein zugehörenden. Diese können zu unserem eigenen Zustand, zu einem Teil unseres Wesens werden. Sie können Prinzipien, Mächte und Instrumente unserer erweiterten Natur sein. Dafür ist es aber nicht ausreichend, daß wir uns mit einem vagen oder ekstatischen Aufschwung in den Geist oder mit einem gestaltlosen Entzücken wegen des Kontakts mit den Unendlichkeiten zufriedengeben. Ihr Prinzip muß sich genauso evolutionär entfalten, wie sich Leben und Mental entwickelt haben. Es muß seine eigene Instrumentation, seine eigene Befriedigung organisieren. Erst dann werden wir die wahre Verfassung unseres Wesens in Besitz, die Unwissenheit besiegt haben.

Die Überwindung unserer angeborenen Unwissenheit kann erst dann vollständig und umfassend dynamisch sein, wenn wir unsere psychologische Unwissenheit überwunden haben; denn beide sind eng miteinander verbunden. Unsere psychologische Unwissenheit beruht in der Einschränkung der Erkenntnis unseres Selbsts auf jene kleine Welle oberflächlicher Strömung in unserem Wesen, die unser bewußtes waches Selbst ist. Diese Seite unseres Wesens ist ursprünglich ein Dahinfließen formloser oder nur halb-formulierter Bewegungen, die in automatischer Kontinuität weitergetragen werden. Sie wird unterstützt und zusammengehalten durch eine aktive vordergründige Erinnerung und durch ein passives zugrundeliegendes Bewußtsein. In ihrem Dahinströmen von einem Augenblick zum anderen wird sie von unserer Vernunft und unserer sie beobachtenden und an Ihr teilnehmenden Intelligenz organisiert und interpretiert. Hinter ihr steht ein geheimes Sein und die Energie unseres verborgenen Wesens. Ohne diese könnten das vordergründige Bewußtsein und seine Aktivität nicht existiert oder gewirkt haben. In der Materie ist nur Aktivität manifestiert, an der Außenseite der Dinge unbewußt, und das ist alles, was wir erkennen. Denn das der Materie innewohnende Bewußtsein ist verborgen, subliminal, nicht als unbewußte Form oder involvierte Energie manifest. In uns jedoch ist das Bewußtsein teilweise manifest, teilweise wach geworden. Dieses Bewußtsein ist aber noch eingesperrt und unvollkommen. Es ist durch seine gewohnheitsmäßige Selbst-Begrenzung gefesselt und bewegt sich nur in einem beschränkten Kreislauf, außer wenn es zu Lichtblitzen, zu Eingebungen oder einem Aufwallen aus den geheimen Tiefen in unserem Innern kommt, die die Begrenzungen der äußeren Form durchbrechen, über sie hinwegströmen oder den Wirkungskreis ausweiten. Diese gelegentlichen Offenbarungen des Geistes können uns aber nicht weit über unsere gegenwärtigen Fähigkeiten hinausbringen. Sie sind nicht stark genug, um unseren Status zu revolutionieren. Das kann nur geschehen, wenn wir die höheren, noch nicht geoffenbarten Lichter und Mächte hineinzubringen vermögen, die in unserem Wesen potentiell vorhanden sind, und wenn wir sie bewußt und normal im Kräftespiel einsetzen. Wir müssen fähig sein, uns aus jenen Bereichen unseres Wesens zu versorgen, die uns zwar ursprünglich eigen, gegenwärtig aber noch un-bewußt, eigentlich insgeheim innen-bewußt oder außen-bewußt oder auch über-bewußt sind. Oder wir müssen – das geht zwar darüber hinaus, ist aber doch möglich – in diese unsere eigenen inneren und höheren Seiten gelangen durch einen Sprung nach innen oder durch diszipliniertes Eindringen und dann ihre Geheimnisse mit uns nach außen zurückbringen. Oder wir sollen eine noch radikalere Umwandlung unseres Bewußtseins erreichen und lernen, in unserem Innern, nicht mehr nur an der Außenseite zu leben. Wir sollen aus den inneren Tiefen und von der Seele her, die souverän über die Natur geworden ist, sein und handeln.

Jene Seite von uns, die wir im engeren Sinn unterbewußt nennen können, weil sie unterhalb des Mentals und des bewußten Lebens liegt, diesem untergeordnet und dunkel, umfaßt die rein physischen und vitalen Elemente des Aufbaus unseres körperlichen Wesens, unmentalisiert und unbeobachtet durch das Mental, von ihm in ihrer Aktivität unkontrolliert. Man kann von diesem Unterbewußtsein annehmen, es enthalte das dumpfe geheime Bewußtsein, das dynamisch, aber für unsere Sinne nicht wahrnehmbar, in den Zellen, Nerven und im gesamten körperlichen Stoff tätig ist und ihren Lebensprozeß und ihre automatischen Reaktionen einander anpaßt. Zu ihm gehören auch jene niedersten Funktionsarten des versunkenen Sinnen-Mentals, die sich mehr im Tier und im Pflanzenleben auswirken. Wir sind in unserer Evolution über das Bedürfnis nach einem umfassend organisierten Wirken dieses Elements hineingewachsen. Es bleibt aber untergetaucht und insgeheim unterhalb unserer bewußten Natur am Werk. Diese dunkle Aktivität dehnt sich in einem verborgenen und verkappten mentalen Substrat aus, in das vergangene Eindrücke und alles, was aus dem vordergründigen Mental zurückgewiesen wird, hinabsinken, um dort schlafend zu verbleiben. Das kann im Schlaf oder bei jeder Abwesenheit des Mentals emporkommen und vielerlei Gestaltungen annehmen: Formen von Traum; von mechanischer Aktion oder Suggestion des Mentals; Formen von automatischer vitaler Reaktion oder von Impuls; Formen von physischer Abnormität oder nervöser Störung; Formen von Krankhaftigkeit, von ungesundem oder unausgeglichenem Verhalten. Gewöhnlich bringen wir aus dem Unterbewußten nur so viele Elemente an die Oberfläche, wie unser Sinnen-Mental und unsere Intelligenz in ihrem Wachzustand für ihre Zwecke benötigen. Wenn wir sie so aufsteigen lassen, sind wir ihrer Art, ihres Ursprungs und ihrer Wirkweise nicht bewußt. Wir begreifen sie auch nicht in ihren eigenen Werten, sondern dadurch, daß wir sie in die Wertordnung unserer wachen menschlichen Sinne und unserer Intelligenz übertragen. Diese Aufwallungen aus dem Unterbewußtsein, ihre Auswirkungen auf Mental und Körper sind aber zumeist automatisch, nicht bewußt hervorgerufen, sondern unwillkürlich. Denn wir wissen ja nichts vom Unterbewußten und können es darum auch nicht kontrollieren. Wir können nur durch eine für uns abnorme Erfahrung, zumeist in einer Krankheit oder in einer Störung unseres seelischen Gleichgewichts, unmittelbar gewisser Regungen unseres körperlichen Wesens und unserer Vitalität in dieser dumpfen, aber sehr aktiven Welt innewerden. Oder wir gewahren die geheimen Regungen des mechanischen untermenschlichen physischen und vitalen Mentals, das unserem äußeren Wesen zugrundeliegt, ein Bewußtsein, das zwar uns gehört, das aber deshalb nicht unser eigenes zu sein scheint, weil es kein Teil der uns bekannten Mentalität ist. All das und noch viel mehr lebt verborgen im Unterbewußtsein.

Es würde uns nichts helfen, wenn wir hinab ins Unterbewußte eindringen würden, um diesen Bereich zu erforschen. Denn das würde uns in eine verworrene Zusammenhanglosigkeit, in einen Schlafzustand, in eine dumpfe Trance oder eine komaähnliche Lethargie stürzen. Mentale Untersuchung oder Einsicht kann uns nur eine gewisse indirekte und konstruierte Vorstellung von diesen verborgenen Wirkweisen verschaffen. Erst wenn wir uns in das Subliminale zurückziehen oder ins Überbewußte aufschwingen und von dort herabschauen oder wenn wir uns selbst in diese dunklen Tiefen ausweiten, können wir unmittelbar und vollständig der Geheimnisse unserer unterbewußten physischen, vitalen und mentalen Natur innewerden und sie beherrschen. Dieses Innesein und diese Beherrschung sind für uns äußerst wichtig. Denn das Unterbewußte ist das Unbewußte in seinem Bemühen, bewußt zu werden. Es ist eine hilfreiche Stütze und sogar die Wurzel der niederen Seiten unseres Wesens und ihrer Bewegungen. Es fördert und verstärkt alles in uns, was sich am meisten an das Bestehende festklammert und eine Umwandlung verweigert: die dauernde mechanische Wiederkehr unintelligenten Denkens; unser Beharren in Fühlen, Empfinden, Impuls und Neigungen; unser Ausgeliefertsein an die Erstarrungen im Charakter. Das Tier in uns, aber auch das Teuflische, hat im dichten Dschungel des Unterbewußtseins seine versteckten Schlupfwinkel. Wenn ein höheres Leben oder vollständige Umwandlung der Natur erreicht werden soll, ist es unausweichlich, daß wir dorthin vordringen, Licht hineinbringen und eine feste Kontrolle errichten.

Ein noch viel machtvolleres und wertvolleres Element im Aufbau unseres Wesens ist das, was wir als das In-uns-Bewußte und als das Außerhalb-von-uns-Bewußte charakterisiert haben. Es umfaßt das ausgedehnte Wirken einer inneren Intelligenz und eines inneren Sinnen-Mentals, eines inneren Vitals und sogar eines inneren subtil-physischen Wesens, das unser waches Bewußtsein aufrecht erhält und umfaßt, das aber nicht in den Vordergrund gebracht wird, sondern, nach der modernen Bezeichnung, subliminal ist. Wenn wir aber in dieses verborgene Selbst eindringen und es erforschen können, finden wir, daß unsere wachen Sinne und unsere Intelligenz zumeist eine Auswahl von dem sind, was wir insgeheim sind oder sein können, eine veräußerlichte, stark verstümmelte und vergröberte Ausgabe von unserem wirklichen, unserem verborgenen Wesen oder ein Ausbruch aus seinen Tiefen. Unser vordergründiges Wesen ist mit dieser subliminalen Hilfe durch Evolution aus dem Unbewußten zugunsten unseres gegenwärtigen mentalen und physischen Lebens auf Erden erschaffen worden. Dieses Subliminal im Hintergrund ist eine Gestaltung, die zwischen dem Unbewußten und den umfassenderen Ebenen von Leben und Mental vermittelt, die durch das involutionäre Herabkommen erschaffen wurden und deren Druck dazu geholfen hat, die Entwicklung von Mental und Leben aus der Materie zustande zu bringen. Unsere vordergründigen Reaktionen auf das physische Dasein haben die Unterstützung durch die Aktivität dieser verhüllten Teile hinter sich. Sie sind oft deren Reaktionen, verändert durch die vordergründige mentale Wiedergabe. Ebenso ist aber jener umfassende Teil unserer Mentalität und Vitalität, der nicht eine Reaktion auf die äußere Welt ist, sondern für sich lebt oder sich nach außen auf das materielle Dasein projiziert, um es zu verwenden und zu besitzen, also unsere Personalität, das Ergebnis, das Amalgam von Mächten, Einflüssen, Motiven, die aus dieser machtvollen innerlich-bewußten, geheimen Sphäre hervorgehen.

Das Subliminal dehnt sich wiederum in ein uns umhüllendes Bewußtsein aus, durch das es die Wellen aus den Energie-Strömen und Stromkreisen empfängt, die sich vom universalen Mental, vom universalen Leben und den universalen subtileren Materie-Kräften her auf uns ergießen. Diese sind uns an der Außenseite nicht wahrnehmbar, werden aber von unserem subliminalen Selbst wahrgenommen und empfangen. Sie werden in Formen umgewandelt, die unser Dasein ohne unser Wissen machtvoll beeinflussen können. Wäre die Wand, die dieses innere Dasein vom äußeren Selbst trennt, durchstoßen, wir könnten die Ursprünge unserer gegenwärtigen Mental-Energien und Lebens-Aktion erkennen und mit ihnen umgehen. Wir könnten ihre Ergebnisse beherrschen, statt ihnen unterworfen zu sein. Aber wenn auch weite Teile davon beim Durchstoßen der Trennungswand, wenn wir so in das Innere schauen oder zu einer freieren Kommunikation mit dem Innern gelangen, von uns erkannt werden könnten, können wir doch nur dadurch, daß wir in unser Inneres, hinter den Schleier des äußeren Mentals eindringen und im Innern, in einem inneren Mental, einem inneren Leben und einer innersten Seele leben, unseres Selbsts vollständig innewerden, nur hierdurch und wenn wir uns auf eine Ebene unseres Mentals emporschwingen, die höher liegt als die von unserem wachen Bewußtsein bewohnte. Ergebnis eines solchen verinnerlichten Lebens wäre die Ausweitung und Vervollkommnung unseres gegenwärtigen evolutionären Zustands, der jetzt noch sehr behindert und verstümmelt ist. Eine Entwicklung darüber hinaus kann aber nur zustande kommen, wenn wir dessen bewußt werden, was jetzt noch für uns überbewußt ist, wenn wir zu den ursprünglichen Höhen des Geistes emporsteigen.

Zu der Überbewußtheit jenseits unserer gegenwärtigen Bewußtseinsebene gehören ebenso die höheren Bereiche des mentalen Wesens wie die ursprünglichen Höhen des Supramentalen und des rein Spirituellem. In einer aufsteigenden Evolution wäre der erste unentbehrliche Schritt, unsere Bewußtseins-Kraft in diese höheren Bereiche des Mentals zu erheben, aus denen wir jetzt schon, ohne deren Ursprung zu kennen, viel von unseren umfassenderen mentalen Regungen empfangen. Das sind besonders jene, die mit mehr Macht und hellerem Licht kommen, die offenbarenden, inspirierenden und intuitiven. Auf diesen mentalen Höhen und in diesen ausgedehnten Weiten könnte, wenn es dem Bewußtsein gelingen würde, sie zu erreichen oder sich dort zu behaupten und zu zentrieren, etwas von der unmittelbaren Gegenwart und Macht des Geistes, etwas – wenn auch nur sekundär oder mittelbar – vom Supramental ersten Ausdruck finden. Es könnte sich hier in seinen Anfängen offenbaren, in die Lenkung unseres niederen Wesens eingreifen und helfen, es umzuformen. Durch die Kraft des umgewandelten Bewußtseins könnte dann die Evolution in sublimerem Aufstieg weiter emporgelangen und über das Mental hinaus in das Supramental und in die höchste spirituelle Natur eingehen. Es ist möglich, daß wir ohne tatsächlichen Aufstieg in diese jetzt noch überbewußten mentalen Ebenen kommen, daß wir ohne ständig oder dauernd in ihnen zu leben, bis zu einem gewissen Grad von unserer konstitutionellen und psychologischen Unwissenheit befreit werden, daß wir für sie offen sind und etwas von ihrem Wissen und ihren Einflüssen empfangen. Wir können unserer als spiritueller Wesen bewußt werden und, wenn auch unvollkommen, unser normales menschliches Leben und Bewußtsein spiritualisieren. Es könnte dazu kommen, daß wir bewußt mit dieser höheren erleuchteten Mentalität in Kommunikation treten und von ihr gelenkt werden. Wir könnten ihre erleuchtenden und umwandelnden Kräfte empfangen. Das liegt im Bereich des hoch entwickelten oder des spirituell erwachten menschlichen Wesens. Aber das wäre nicht mehr als nur eine vorläufige Stufe. Um vollständige Erkenntnis des Selbsts, ein umfassendes Bewußtsein und die volle Macht des Wesens zu erlangen, ist es notwendig, daß wir über die Ebene unseres normalen Mentals emporkommen. Solches Emporkommen ist gegenwärtig in einer vertieften Überbewußtheit möglich. Das führt aber nur dazu, daß wir in diese höheren Bereiche in einem Zustand unbeweglicher oder ekstatischer Trance eintreten. Wenn die Herrschaft des höchsten spirituellen Wesens über unserem wachen Leben errichtet werden soll, muß es dazu kommen, daß wir uns bewußt in unermeßliche Bereiche eines neuen Wesens erhöhen und ausdehnen, in ein neues Bewußtsein, in neue Wirkmöglichkeiten des Handelns und daß wir, so vollständig wie möglich, unser gegenwärtiges Wesen, Bewußtsein und Handeln mit empornehmen und in göttliche Werte umwandeln. Das alles würde eine Umgestaltung unseres menschlichen Daseins bewirken. Denn überall da, wo ein radikaler Übergang vollzogen werden muß, gibt es in der Methode der Natur, wie sie über sich selbst hinauskommt, immer diese dreifache Bewegung: Emporsteigen – Ausweitung von Feld und Basis – Integration.

Jede solche evolutionäre Umwandlung muß notwendiger weise eng verbunden sein mit einer Zurückweisung unserer gegenwärtigen, einengenden, zeitbedingten Unwissenheit. Denn wir leben nicht nur jetzt von einem Augenblick zum anderen, unser Ausblick ist eingeengt durch unser Leben in dem jetzigen Körper zwischen einer einzigen Geburt und dem Tod. So wie unser Blick nicht weiter in die Vergangenheit zurückreicht, so reicht er auch nicht weiter in die Zukunft. Wir sind darum durch unsere physische Erinnerung und unser Bewußtsein des gegenwärtigen Lebens in einer vergänglichen körperlichen Gestaltung eingeschränkt. Diese Begrenztheit unseres zeitbedingten Bewußtseins hängt zuinnerst davon ab, daß unsere Mentalität ausschließlich auf die materielle Ebene und das materielle Leben konzentriert ist, in dem sie gegenwärtig handelt. Diese Begrenzung ist kein Gesetz des Geistes, sondern eine vorübergehende Vorkehrung für ein beabsichtigtes erstes Wirken unserer offenbaren Natur. Wenn dieses vordringliche Interesse abgeschwächt oder aufgegeben, eine Ausweitung des Mentals bewirkt und eine Öffnung ins Subliminale und Überbewußte, in das innere und höhere Wesen geschaffen wird, ist es möglich, daß wir unser immerwährendes Dasein in der Zeit ebenso realisieren wie unser ewiges Sein jenseits von ihr. Das ist wesentlich, wenn wir unsere Selbst-Erkenntnis in den richtigen Brennpunkt rücken wollen. Denn gegenwärtig ist unser ganzes Bewußtsein und Wirken durch eine irrige spirituelle Perspektive verfälscht, die uns daran hindert, die Natur, den Zweck und die Bedingungen unseres Wesens in der richtigen Proportion und Relation zu sehen. In den meisten Religionen wird die Überzeugung von der Unsterblichkeit deshalb zu einem so lebenswichtigen Gesichtspunkt erhoben, weil sie eine sich selbst bezeugende Notwendigkeit ist, wenn wir über die Identifizierung unseres Selbsts mit dem Körper und über dessen vordringliches Interesse an der materiellen Ebene hinauskommen wollen. Aber ein solches Fürwahrhalten ist nicht ausreichend, um diesen Fehler unserer Perspektive gründlich zu verändern. Die wahre Selbst-Erkenntnis unseres Wesens in der Zeit kann uns nur dann zuteil werden, wenn wir im Bewußtsein unserer Unsterblichkeit leben. Wir müssen zu einem greifbaren Empfinden für unser dauerndes Wesen in der Zeit und für unser zeitloses Sein erwachen.

Denn in ihrem fundamentalen Sinn bedeutet Unsterblichkeit nicht nur irgendein personales Überleben des körperlichen Todes. Wir sind unsterblich dadurch, daß unser Selbst ohne Anfang und Ende ewig ist. Es steht über aller Aufeinanderfolge der physischen Geburten und Tode, durch die wir hindurchgehen, jenseits der Veränderungen unseres Daseins in dieser Welt oder in anderen Welten. Das zeitlose Sein des Geistes ist die wahre Unsterblichkeit. Zweifellos gibt es auch eine sekundäre Bedeutung dieses Wortes, die ihre Wahrheit besitzt. Denn als natürliche Folge der wahren Unsterblichkeit gibt es die Kontinuität unseres in der Zeit verlaufenden Seins und unserer Erfahrung von einem Leben zum anderen, von einer Welt zur anderen, nach Auflösung des physischen Körpers. Das ist aber eine natürliche Konsequenz unserer Zeitlosigkeit, die sich hier als ein unaufhörliches Fortbestehen in der ewigen Zeit zum Ausdruck bringt. Diese Realisation zeitloser Unsterblichkeit entsteht dadurch, daß wir das Selbst in der Nicht-Geburt und in dem Nicht-Werden, sowie den unwandelbaren Geist in unserem Innern erkennen. Die Realisation der Unsterblichkeit gelingt, indem wir das Selbst in der Geburt und im Werden erkennen. Das wird in ein Empfinden andauernder Identität der Seele durch den Wandel von Mental, Leben und Körper hindurch übertragen. Auch das ist nicht nur reines Überleben, vielmehr Zeitlosigkeit, die in die Zeit-Manifestation übertragen wird. Durch die erste Realisation werden wir vom verfinsternden Unterworfensein unter die Kette von Geburt und Tod befreit. Das ist das höchste Anliegen vieler indischer Disziplinen. Wenn die zweite Realisation der ersten hinzugefügt wird, können wir in freier Weise, mit der rechten Erkenntnis, ohne Unwissenheit, ohne durch die Kette unserer Handlungen gebunden zu sein, die Erfahrungen des Geistes in seinen zeitlosen Aufeinanderfolgen besitzen. Eine Realisation des zeitlosen Seins an sich könnte nicht die Wahrheit dieser Erfahrung des in der ewigen Zeit andauernden Selbsts beinhalten. Eine Realisation des Überlebens des Todes könnte an sich unserem Dasein noch Raum geben für einen Anfang und ein Ende. Wenn wir aber jede dieser beiden Realisationen wahrhaft als Seite und Gegenseite der einen Wahrheit ansehen, ist es die Substanz des Wandels, daß wir bewußt in der Ewigkeit leben und nicht in der Gebundenheit an die Stunde und an die Aufeinanderfolge des Augenblicks. So zu existieren ist die erste Bedingung für das göttliche Bewußtsein und für das göttliche Leben. Von dieser inneren Ewigkeit des Wesens her Verlauf und Prozeß des Werdens zu besitzen und zu lenken, ist die zweite, die dynamische Bedingung. Spiritueller Selbst-Besitz und Selbst-Meisterschaft ist ihr praktisches Ergebnis. Diese Umwandlungen sind nur möglich, wenn wir uns aus dem uns aufzehrenden Interesse am Materiellen zurückziehen – was jedoch nicht eine Zurückweisung oder Mißachtung des Lebens im Körper notwendig macht – und ständig auf den inneren und höheren Ebenen des Mentals und des Geistes leben. Denn das Emporheben unseres Bewußtseins in sein spirituelles Prinzip wird dadurch bewirkt, daß wir emporsteigen und nach innen zurücktreten – diese beiden Bewegungen sind wesentlich –, heraus aus unserem vergänglichen Leben von Augenblick zu Augenblick in das ewige Leben unseres unsterblichen Bewußtseins. Damit kommen wir aber auch zu einer Ausweitung unseres Bewußtseins und unseres Aktionsfeldes in der Zeit. Wir nehmen unser mentales, vitales und körperliches Dasein mit empor und geben ihm eine höhere Verwendung. Daraus entsteht die Erkenntnis unseres Wesens. Es ist nun nicht länger ein vom Körper abhängiges Bewußtsein sondern ewiger Geist, der alle die Welten und Lebensabläufe für eine mannigfaltige Selbst-Erfahrung verwendet. Wir erkennen, daß unser Wesen eine spirituelle Wesenheit ist, die ein beständiges Seelen-Leben besitzt, das seine Aktivitäten durch aufeinanderfolgende physische Daseinsabläufe entwickelt, ein Wesen, das sein eigenes Werden bestimmt. Mit dieser Erkenntnis, die nicht ideativ ist, sondern die wir in unserer Stofflichkeit fühlen, wird es uns möglich, nicht als die Sklaven eines blinden Zwanges von karma, sondern als Meister unseres Wesens und unserer Natur zu leben, allein dem Göttlichen Wesen in unserem Innern untertan.

Zugleich werden wir aber auch frei von der ichhaften Unwissenheit. Denn solange wir an irgendeinem Punkt durch diese gebunden sind, muß das göttliche Leben entweder unerreichbar oder in seinem Selbst-Ausdruck unvollkommen sein. Das Ich verfälscht unsere wahre Individalität, indem es sich mit diesem Leben, diesem Mental und diesem Körper identifiziert und auf diese Weise selbst begrenzt. Das Ich bewirkt eine Trennung von anderen Seelen, was uns in unsere individuelle Erfahrung einmauert und daran hindert, als universales Individuum zu leben. Das ist Lostrennung von Gott, unserem höchsten Selbst, der das Eine Selbst in allen existierenden Wesen und der Göttliche Bewohner in unserem Innern ist. Wenn sich nun unser Bewußtsein in die Höhe, Tiefe und Weite des Geistes umwandelt, kann das Ich dort nicht weiter leben. Es ist zu klein und zu schwach, als daß es in dieser ungeheuren Weite bestehen könnte. Darum löst es sich in ihr auf. Denn es existiert durch seine Begrenzungen und geht mit deren Verlust zugrunde. Das Wesen bricht aus seiner Gefangenschaft in einer abgesonderten Individualität aus. Es nimmt das kosmische Bewußtsein an, in dem es sich mit dem Selbst und dem Geist, mit Leben, Mental und Körper aller Wesen identifiziert. Oder es bricht nach oben aus, zu einer erhabenen Gipfelhöhe, Unendlichkeit und Ewigkeit des Selbst-Seins, unabhängig von seinem kosmischen oder seinem individuellen Dasein. Das Ich fällt in sich zusammen. Es verliert dabei seine Trennungswand und weitet sich in die kosmische Unermeßlichkeit aus. Oder es versinkt ins Nichts, unfähig, in den Bereichen spirituellen Äthers zu atmen. Wenn durch Gewohnheit der Natur noch etwas von seinen Regungen übrig bleibt, so fallen nun auch diese weg und werden durch ein neues apersonal-personales Schauen, Fühlen und Handeln ersetzt. Dieses Verschwinden führt aber nicht zur Zerstörung unserer wahren Individualität, unseres spirituellen Seins. Denn dieses war immer universal und eins mit der Transzendenz. Vielmehr kommt es zu einer Transformation, die das trennende Ich durch den purusha ersetzt, durch ein bewußtes Angesicht und eine Gestalt des universalen Wesens, durch das Selbst und die Macht des transzendenten Göttlichen Wesens in der kosmischen Natur. In derselben Bewegung kommt es gerade durch dieses Erwachen in den Geist zu einer Auflösung der kosmischen Unwissenheit. Denn wir haben nun das Wissen von uns selbst, daß wir unser zeitloses unveränderliches Selbst sind, das sich innerhalb des Kosmos und jenseits davon besitzt. Dieses Wissen wird zur Grundlage für das Göttliche Kräfte-Spiel in der Zeit. Es hebt den Widerstreit zwischen dem Einen und den Vielen auf. Es versöhnt die ewige Einheit mit der ewigen Vielheit. Es vereinigt wieder die Seele mit Gott und entdeckt das Göttliche Wesen im Universum. Durch diese Realisation können wir uns dem Absoluten als dem Ursprung aller Verhältnisse und Beziehungen nahen. Wir können die Welt in uns selbst in äußerster Weite und bewußter Abhängigkeit von ihrem Ursprung besitzen. Wenn wir sie so nehmen, heben wir sie empor und realisieren durch sie die absoluten Werte, die alle im Absoluten konvergieren. Wenn so unsere Selbst-Erkenntnis in all ihren wesenhaften Seiten vollkommen geworden ist, wird unsere praktische Unwissenheit, die sich in ihren Extremen als Missetat, Leiden, Lüge und Irrtum darstellt und die Ursache aller Verwirrungen und Disharmonien des Lebens ist, ihren Platz an den rechten Willen der Selbst-Erkenntnis abtreten. Ihre falschen oder unvollkommenen Werte werden dann den göttlichen Werten der wahren Bewußtseins-Kraft und des ananda weichen. Für rechtes Bewußtsein, rechtes Handeln, rechtes Wesen – nicht im unvollkommenen Sinn unserer kleinlichen Moral sondern in der weiten, erleuchteten Bewegung eines göttlichen Lebens – sind die Einung mit Gott, die Einheit mit allen Wesen, ein Leben, das gelenkt und geformt wird von innen nach außen, Voraussetzung. In ihm wird der Ursprung für alles Denken, Wollen und Handeln der Geist sein, der durch die Wahrheit und das göttliche Gesetz wirkt. Beide werden nicht durch das Mental der Unwissenheit erfaßt und konstruiert, sondern sind selbst-seiend und in ihrer Selbst-Erfüllung spontan. Sie sind nicht so sehr Gesetz als vielmehr die Wahrheit, die in ihrem eigenen Bewußtsein und in einem freien, erleuchteten, formbaren, selbsttätigen Verfahren ihres Wissens handelt.

Es hat demnach den Anschein, Methode und Ergebnis einer bewußten spirituellen Evolution ist: die Transformation des Lebens der Unwissenheit in das göttliche Leben des der Wahrheit bewußten Geistes; die Umwandlung aus der mentalen in eine spirituelle und supramentale Art des Wesens; die Selbst-Ausweitung aus der siebenfachen Unwissenheit in das siebenfache Wissen. Diese Transformation wäre die natürliche Vollendung des aufwärts gerichteten Prozesses der Natur, wenn sie die Kräfte des Bewußtseins von dem einen Prinzip zu einem anderen, höheren emporhebt, bis das höchste Prinzip, das spirituelle, in ihr ausgedrückt und vorherrschen wird, bis dieses das kosmische und individuelle Dasein auf den niederen Ebenen in seine Wahrheit empornimmt und alles in eine bewußte Manifestation des Geistes umwandelt. Das wahre Individuum, das spirituelle Wesen, tritt hervor. Es ist individuell und doch universal, universal und doch selbst-transzendent. Leben erscheint nun nicht mehr als eine Gestaltung von Dingen und als ein Handeln des Wesens, das durch die sondernde Unwissenheit erschaffen ist.

Kapitel XX. Die Philosophie der Wiedergeburt

Ein Ende haben diese Leiber einer verkörperten Seele, die ewig ist... Sie wird nicht geboren, und sie stirbt nicht. Auch ist es nicht so, daß sie, wenn sie einmal gewesen ist, nicht wieder sein wird. Sie ist ungeboren, uralt, ewig-dauernd. Sie wird nicht getötet, wenn der Körper getötet wird. Wie ein Mensch seine abgetragenen Kleider ablegt und neue anzieht, so legt auch das verkörperte Wesen seine Leiber ab und vereinigt sich wieder mit anderen, die neu sind. Der Tod dessen, das geboren ist, ist sicher, und sicher ist die Geburt dessen, das stirbt.

Gita, II. 18,20,22,27.

Es gibt eine Geburt und ein Wachsen des Selbsts. Je nach seinen Taten nimmt der verkörperte Mensch nacheinander Gestaltungen an vielen Orten an. Er nimmt viele grobe und feine Gestaltungen an durch die Kraft seiner natürlichen Eigenschaften.

Svetasvatara Upanishad, V. 11,12.

Geburt ist das erste spirituelle Geheimnis des physischen Universums, Tod das zweite. Er gibt dem Geheimnis der Geburt seine zweifache Rätselhaftigkeit. Denn das Leben, das sonst eine selbstverständliche Tatsache des Daseins wäre, wird nun selbst zu einem Geheimnis dank dieser beiden, die sein Anfang und sein Ende zu sein scheinen, sich aber auf tausend Arten als keines von beiden, vielmehr als Mittel-Stufen in einem geheimnisvollen Prozeß des Lebens erweisen. Auf den ersten Blick möchte es scheinen, als sei die Geburt ein ständiges Hervorbrechen von Leben in einem allgemeinen Tod, ein beharrlich fortdauernder Umstand in der universalen Leblosigkeit von Materie. Bei näherer Untersuchung wird es jedoch wahrscheinlicher, daß Leben etwas in die Materie Involviertes oder sogar eine der Energie, die Materie erschafft, innewohnende Macht ist. Sie kann aber nur dann in Erscheinung treten, wenn sie die notwendigen Voraussetzungen dazu bekommt, die für sie charakteristischen Phänomene sicher durchzusetzen und eine für sie geeignete Organisation zu erschaffen. Doch gibt es bei der Geburt des Lebens noch etwas mehr, das an seinem Hervortreten mitwirkt, ein Element, das nicht mehr materiell ist, das starke Hervorbrechen der Flamme einer Seele, eine erste sichtbare Schwingung des Geistes.

Alle bekannten Umstände und Resultate der Geburt lassen uns ein Unbekanntes ahnen, das vor ihr ist, Und ebenso legt sich uns eine Universalität nahe, ein Wille zum dauernden Beharren des Lebens, ein Fehlen von Schlüssigkeit beim Tod, das auf etwas Unbekanntes danach hinzuweisen scheint. Was waren wir vor der Geburt, was sind wir nach dem Tod? Das sind die Fragen, deren Beantwortungen voneinander abhängen. Von Anfang an hat der Intellekt des Menschen sich diese Fragen gestellt, ohne daß er bis jetzt bei einer endgültigen Lösung zur Ruhe kommen kann. Tatsächlich kann der Intellekt kaum die endgültige Antwort geben. Denn diese muß ihrer Natur nach jenseits der Gegebenheiten des physischen Bewußtseins und Gedächtnisses sowohl der menschlichen Rasse wie des Individuums liegen. Und das sind doch die einzigen Gegebenheiten, die der Intellekt mit so etwas wie Vertrauen zu konsultieren gewöhnt ist. Bei diesem Mangel an Materialien und bei dieser Ungewißheit schweift er immer weiter von einer Hypothese zur anderen; jede nennt er der Reihe nach einen gültigen Schluß. Überdies hängt die Lösung von Natur, Ursprung und Ziel der kosmischen Bewegung ab. Je nachdem wir diese bestimmen, müssen wir auch unsere Schlüsse in Bezug auf Geburt, Leben und Tod, auf das Vorher und das Nachher ziehen.

Die erste Frage ist, ob das Vorher und das Nachher etwas rein Physisches und Vitales oder in gewisser Beziehung, gar überwiegend, etwas Mentales und Spirituelles ist. Kein weiteres Fragen wäre möglich, wenn Materie das Prinzip des Universums wäre, wie der Materialist behauptet, wenn sich die Wahrheit der Dinge in jener ersten Formel finden ließe, zu der Bhrigu, der Sohn des Varuna, kam, als er über das ewige brahman meditierte: “Die Materie ist das Ewige, denn aus der Materie werden alle Wesen geboren, durch die Materie existieren alle Wesen, und zur Materie scheiden alle Wesen hin und kehren sie zurück.” Das Vorher unserer Körper bestände dann im Einsammeln dessen, was sie aufbaut, aus den verschiedenen physischen Elementen durch Vermittlung des Samens und der Nahrung, vielleicht auch unter dem Einfluß verborgener, aber immer materieller Energien. Und das Vorher unseres bewußten Wesens wäre eine Vorbereitung durch Vererbung oder einen anderen physisch-vitalen oder physisch-mentalen Vorgang in der universalen Materie, die ihre Aktivität auf diesen Einzelnen ausrichtet und ihn durch die Körper seiner Eltern, durch Samen, Gen und Chromosom aufbaut. Das Nachher des Körpers wäre dann seine Auflösung in die materiellen Elemente und das Nachher des bewußten Wesens ein Zurücksinken in die Materie, wobei vielleicht die Auswirkungen seiner Aktivität im allgemeinen Mental und Leben der Menschheit überleben würden. Dieses letztere ziemlich illusorische Überleben würde unsere einzige Chance für die Unsterblichkeit sein. Da man aber nicht mehr die Universalität der Materie für eine ausreichende Erklärung der Existenz des Mentals halten kann und da tatsächlich auch Materie selbst nicht länger allein durch Materie erklärt werden kann, weil sie nicht selbst-existent zu sein scheint, werden wir von dieser leichten und naheliegenden Lösung auf andere Hypothesen zurückgeworfen.

Eine von diesen ist der alte religiöse Mythus und das dogmatische Mysterium von einem Gott, der ständig unsterbliche Seelen aus seinem Wesen, durch seinen “Atem” oder durch die Lebens-Macht erschafft. Sie gehen, wie man annimmt, in die materielle Natur oder vielmehr in die Körper ein, die er in ihr erschafft und die er in ihrem Innern durch sein spirituelles Prinzip verlebendigt. Man kann dies als Mysterium des Glaubens hochhalten und braucht es nicht weiter zu untersuchen. Ist es doch Absicht der Glaubens-Mysterien, jenseits von Frage und Erforschung zu stehen. Für die Vernunft und die Philosophie fehlt dem aber die Überzeugungskraft. Es paßt nicht in die bekannte Ordnung der Dinge. Denn es enthält zwei Paradoxa, die einer gründlicheren Rechtfertigung bedürfen, bevor man ihnen überhaupt Beachtung schenken kann. Das erste ist die stündliche Erschaffung von Wesen, die zwar einen Anfang, aber kein Ende in der Zeit haben und die überdies durch die Geburt aus dem Körper geboren werden, aber nicht durch den Tod des Körpers enden. Das zweite Paradoxon ist die Annahme einer fertigbereiteten Masse kombinierter Eigenschaften, von Tugenden und Lastern, Fähigkeiten und Mängeln, Vorzügen und Behinderungen durch Temperament und andere Umstände, die ganz und gar nicht von ihnen selbst durch ein Wachsen zustande gebracht, sondern für sie durch willkürliche Anordnung, wenn nicht durch ein Gesetz der Vererbung, gemacht wurden, für die und für deren vollkommenen Gebrauch sie dennoch von ihrem Schöpfer verantwortlich gemacht werden.

Wir können, wenigstens vorläufig, gewisse Dinge für legitime Mutmaßungen der philosophischen Vernunft halten und fairerweise die Beweislast hinsichtlich ihres Gegenteils denen auferlegen, die sie bestreiten. Zu diesen Postulaten gehört das Prinzip, daß das, was kein Ende hat, notwendigerweise auch ohne Anfang sein muß. Alles, was anfängt oder erschaffen ist, findet sein Ende: durch das Aufhören des Prozesses, der es erschuf oder im Dasein erhält, durch die Auflösung der Materialien, aus denen es zusammengesetzt ist, oder durch das Ende der Funktion, um deretwillen es ins Dasein kam. Wenn es für dieses Gesetz eine Ausnahme gibt, muß das durch das Herabkommen des Geistes in die Materie geschehen, der die Materie mit Göttlichkeit beseelt oder ihr seine eigene Unsterblichkeit verleiht. Aber der Geist, der so herniederkommt, ist unsterblich, nicht gemacht oder erschaffen. Wenn die Seele dazu geschaffen wurde, den Körper zu beseelen, wenn sie für ihren Eintritt ins Dasein vom Körper abhing, kann sie keinen Grund und keine Grundlage mehr für ihre Existenz haben, nachdem der Körper verschwunden ist. Es ist eine natürliche Annahme, daß der “Atem” oder die Macht, die dem Körper zu seiner Beseelung verliehen wurde, nach dessen endgültiger Auflösung wieder zu ihrem Schöpfer zurückkehrt. Wenn sie statt dessen als ein unsterbliches verkörpertes Wesen weiterbesteht, muß es einen subtilen oder psychischen Körper geben, in dem sie weiterexistiert. Dann ist ziemlich sicher, daß dieser psychische Körper und sein Bewohner vor dem materiellen Körper existent gewesen sein muß. Es ist irrational, anzunehmen, sie seien ursprünglich nur dazu geschaffen worden, diese kurzlebige, vergängliche Gestalt zu bewohnen. Ein unsterbliches Wesen kann nicht das Ergebnis eines so kurzlebigen Vorfalls in der Schöpfung sein. Wenn die Seele aber in einem körperlosen Zustand übrigbleibt, kann sie wegen ihres Daseins nicht ursprünglich von einem Körper abhängig gewesen sein. Sie muß vor der Geburt ebenso als ein nicht verkörperter Geist existiert haben, wie sie in ihrer körperlosen spirituellen Wesenheit nach dem Tod fortdauert.

Weiterhin können wir annehmen, daß dort, wo wir in der Zeit eine gewisse Entwicklungsstufe wahrnehmen, eine Vergangenheit dieser Entwicklung vorausgegangen sein muß. Wenn darum eine Seele in dieses Leben mit einer gewissen Entwicklung von Personalität eintritt, muß diese in anderen vorausgegangenen Leben hier oder anderswo vorbereitet worden sein. Wenn sie aber nur ein voraus gefertigtes Leben und eine Persönlichkeit annimmt, die nicht von ihr vorbereitet worden ist, die vielleicht durch eine körperliche, vitale oder mentale Vererbung vorbereitet wurde, muß sie selbst etwas von diesem Leben und dieser Persönlichkeit völlig Unabhängiges sein, etwas, das nur durch einen Zufall mit dem Mental und dem Körper verbunden ist. Sie kann darum nicht wirklich von dem beeinflußt werden, was in diesem mentalen und körperlichen Lebensablauf getan oder entwickelt wurde. Ist die Seele etwas Wirkliches, ist sie unsterblich, kein konstruiertes Wesen oder nur eine Erscheinung des Seienden, dann muß sie ebenso ewig, anfangslos in der Vergangenheit wie endlos in der Zukunft sein. Wenn sie aber ewig ist, muß sie entweder ein unwandelbares Selbst sein, das vom Leben und seinen Gesetzmäßigkeiten nicht beeinträchtigt wird, oder ein zeitloser purusha, eine ewige spirituelle Person, die in der Zeit einen Strom sich wandelnder Personalität offenbart oder hervorruft. Ist sie eine solche Person, kann sie diesen Strom von Personalität nur in einer Welt von Geburt und Tod dadurch manifestieren, daß sie aufeinanderfolgende Körper annimmt, – mit einem Wort: durch ständige Wiedergeburt in die Gestaltungen der Natur.

Aber die Unsterblichkeit oder Ewigkeit der Seele drängt sich uns auch dann nicht ohne weiteres als notwendig auf, wenn wir die Deutung ablehnen, alle Dinge seien aus einer ewigen Materie entstanden. Denn wir haben da noch die Hypothese von der Erschaffung einer zeitweiligen Seele, die durch die Macht jener ursprünglichen Einheit in Erscheinung trat, aus der alle Dinge ihren Anfang nahmen, durch die sie leben und in die sie sich wieder auflösen. Einerseits können wir auf der Grundlage gewisser moderner Ideen oder Entdeckungen die Theorie von einem kosmischen Unbewußten aufstellen, das eine vergängliche Seele erschafft, ein Bewußtsein, das nach einem kurzen Spiel ausgelöscht wird und wieder ins Unbewußte zurückkehrt. Oder es könnte ein ewiges Werden geben, das sich in einer kosmischen Lebens-Kraft offenbart, Wobei die Materie als das eine, objektive Ende ihrer Operationen, das Mental als das andere, subjektive Ende in Erscheinung tritt. Die Einwirkung dieser beiden Phänomene der Lebens-Kraft aufeinander erschafft unser menschliches Dasein. Andererseits haben wir die Theorie von einem allein existierenden Überbewußten, einem ewigen unveränderlichen Wesen, das durch maya die Illusion eines individuellen Seelen-Lebens in dieser Welt von phänomenalem Mental und Materie zuläßt oder erschafft. Diese beiden seien letztlich unwirklich – selbst wenn sie eine kurzfristige und phänomenale Wirklichkeit besitzen oder annehmen –, da das eine unwandelbare und ewige Selbst oder der Geist die einzige Wirklichkeit sei. Oder wir haben die buddhistische Theorie von einem Nichts oder nirvana und, diesem irgendwie aufgezwungen, ein ewiges Handeln oder eine Energie aufeinanderfolgenden Werdens, karma, das die Illusion von einem fortdauernden Selbst oder einer Seele durch die Kontinuität von Verknüpfungen, Ideen, Erinnerungen, Empfindungen und Bildern erschafft. In ihrer Auswirkung auf das Lebens-Problem sind diese drei Erklärungen praktisch eine einzige. Denn auch das Überbewußte ist für die Zwecke des universalen Wirkens ein Äquivalent des Unbewußten. Es kann nur seines eigenen unwandelbaren Selbst-Seins inne werden. Die Erschaffung einer Welt von individuellen Wesen durch maya ist etwas diesem Selbst-Sein Aufgezwungenes. Das findet statt vielleicht in einer Art Schlaf des Bewußtseins, das in das Selbst versunken ist, susupti.16 Aus diesem treten dennoch alles aktive Bewußtsein und die Abwandlung des phänomenalen Werdens genauso hervor, wie in der modernen Theorie unser Bewußtsein eine vorübergehende Entfaltung aus dem Unbewußten ist. In allen drei Theorien ist die in Erscheinung tretende Seele oder spirituelle Individualität des Geschöpfes nicht unsterblich im Sinne von Ewigkeit. Vielmehr hat sie einen Anfang und ein Ende in der Zeit, ist eine Schöpfung von maya oder von einer Natur-Kraft oder eine kosmische Aktion aus dem Unbewußten oder Überbewußten. Darum ist sie in ihrem Dasein ohne Bestand. In allen drei Theorien ist Wiedergeburt entweder unnötig oder auch etwas Illusorisches. Sie ist entweder die Verlängerung einer Illusion durch deren Wiederholung. Oder sie ist ein zusätzliches, sich immer weiter drehendes Rad unter den vielen Rädern des komplexen Werde-Mechanismus. Oder sie ist deshalb ausgeschlossen, weil eine einzige Geburt alles ist, was ein bewußtes Wesen erlangen kann, das durch Zufall als Teil einer unbewußten Schöpfung entstanden ist.

Ob wir nun bei diesen Ansichten annehmen, das Eine Ewige Sein sei ein vitales Werden oder ein unveränderliches und unmodifizierbares spirituelles Wesen oder ein namenloses und formloses Nicht-Seiendes, hier kann das, was wir die Seele nennen, nur eine sich wandelnde Masse oder ein Strom von Bewußtseins-Phänomenen sein, der im Ozean eines wirklich illusorischen Werdens ins Dasein trat und hier auch zu existieren aufhören wird. Oder die Seele ist vielleicht ein vergängliches Substrat, ein bewußter Reflex des Überbewußten Ewigen, das durch seine Gegenwart die Masse der Phänomene unterstützt. Sie ist nicht ewig. Ihre Unsterblichkeit besteht nur daraus, daß sie längere oder kürzere Dauer im Werden besitzt. Sie ist keine wirkliche und immer seiende Person, die den Strom oder die Masse der Phänomene in Gang hält und ihre Erfahrung damit macht. Was diese in Gang hält, was wirklich und immer existiert, ist entweder das eine ewige Werden oder das eine ewige und apersonale Wesen oder der ständige Strom von Energie in seinen Wirkweisen. Für eine Theorie dieser Art ist es entbehrlich, daß eine psychische Wesenheit, und zwar immer dieselbe, fortdauert und Körper um Körper, Gestalt um Gestalt annimmt, bis sie zuletzt durch irgendeinen Prozeß aufgelöst wird, der zugleich auch den ursprünglichen Anstoß annulliert, der diesen Zyklus in Gang gebracht hat. Es ist sehr wohl möglich, daß sich so, wie jede Gestaltung entwickelt worden ist, auch ein der Form entsprechendes Bewußtsein entwickelt. Wenn sich dann die Form auflöst, vergeht auch das entsprechende Bewußtsein mit ihr. Nur das Eine, das alles gestaltet, dauert für immer fort. Oder wie der Körper aus den allgemeinen Elementen der Materie zusammengewachsen ist und sein Leben mit der Geburt beginnt und mit dem Tod beendet, kann sich auch das Bewußtsein aus den allgemeinen Elementen des Mentals entwickelt haben. Es mag ebenso mit der Geburt anfangen und mit dem Tod enden. Auch hier ist der Eine, der durch maya oder auf andere Weise die Kraft liefert, die die Elemente erschafft, die einzige Wirklichkeit, die fortdauert. Bei keiner dieser Theorien des Seins ist die Wiedergeburt eine absolute Notwendigkeit oder ein unvermeidliches Ergebnis der Theorie17

Tatsächlich erkennen wir jedoch einen großen Unterschied. Denn die alten Theorien bejahen die Wiedergeburt als einen Teil des universalen Prozesses, während die modernen sie verwerfen. Modernes Denken geht vom physischen Körper als der Basis unseres Daseins aus. Es erkennt nicht die Wirklichkeit einer anderen als der Welt dieses materiellen Universums an. Was es hier sieht, ist ein mentales Bewußtsein, das mit dem Leben des Körpers eng verbunden ist, das bei seiner Geburt kein Anzeichen eines vorhergehenden individuellen Daseins an sich trägt und das, wenn es den Körper mit seinem Ende verläßt, nichts andeutet von einem darauffolgenden individuellen Dasein. Was vor der Geburt war, sei die materielle Energie mit ihrem Lebens-Samen, bestenfalls die Energie einer Lebens-Kraft, die in dem Samen fortdauert und von den Eltern übertragen wird. Er präge durch seine geheimnisvolle Beimischung vergangener Entwicklungen diesem winzigen Träger, dem auf diese Weise wunderbar erschaffenen neuen individuellen Mental und Körper, einen eigenen mentalen und physischen Stempel auf. Was nach dem Tod übrig bleibt, sei dieselbe materielle Energie und Lebenskraft, die in dem Samen weiterbesteht. Er wird an die Kinder weitergegeben und sorgt für die weitere Entwicklung des in ihm enthaltenen mentalen und physischen Lebens. Von uns bleibt nichts übrig als das, was wir auf diese Weise an andere weitergeben. Oder das wirkt fort, was die Energie, die das Individuum durch ihr präexistentes Schaffen und die Umwelteinflüsse, durch Geburt und Umgebung, gestaltet hat, nun als das Ergebnis des individuellen Lebens annehmen mag, um es in ihr darauffolgendes Wirken hineinzuarbeiten. Allein das könne ein Überleben haben, was durch Zufall oder durch ein physisches Gesetz dazu helfe, die mentalen und vitalen Bauelemente und die Umgebung anderer Individuen zu bilden. Hinter beiden, den mentalen und den physischen Phänomenen, gebe es vielleicht ein universales Leben, dessen Individualisierungen evolutionäre und phänomenale Werdeformen sind. Dieses universale Leben erschaffe zwar eine wirkliche Welt und wirkliche Wesen. Aber die bewußte Personalität in diesen Wesen sei nicht – oder brauche es zumindest nicht zu sein -das Zeichen oder die Form von Bewußtsein einer ewigen, ja nicht einmal einer fortdauernden Seele oder einer supraphysischen Person. -In dieser Formel vom Sein findet sich nichts, was uns zwingt, an eine psychische Wesenheit zu glauben, die den Tod des Körpers überdauert. Es gibt hier keinen Grund und auch nur wenig Raum für die Anerkennung der Wiedergeburt als eines Teils des Grundschemas der Dinge.

Wie aber, wenn wir mit der Erweiterung unserer Erkenntnis finden würden – wie gewisse Forschungen und Entdeckungen vorauszusagen scheinen –, daß die Abhängigkeit des mentalen Wesens oder der psychischen Entität in uns vom Körper nicht so vollständig ist, wie wir das natürlicherweise zuerst aus dem Studium allein der Gegebenheiten des physischen Daseins und des physischen Universums schließen? Wie, wenn man erkennen würde, daß die menschliche Personalität den Tod des Körpers überlebt und dann zwischen anderen Ebenen und diesem materiellen Universum hin- und hergeht? Dann müßte die vorherrschende moderne Vorstellung von einem nur zeitweiligen bewußten Dasein sich ausweiten und ein Leben anerkennen, das einen weiteren Bereich als das physische Universum umfaßt. Sie müßte auch eine personale Individualität zulassen, die nicht vom materiellen Körper abhängig ist. Sie könnte praktisch die antike Vorstellung von einer subtilen Gestalt oder von einem Körper wieder annehmen müssen, der von einer psychischen Entität bewohnt wird. Eine psychische oder seelische Wesenheit, die das mentale Bewußtsein in sich trägt, oder – falls es keine solche ursprüngliche Seele gibt – die entwickelte und fortdauernde mentale Einzelperson würde nach dem Tod weiterexistieren in dieser subtilen, fortdauernden Gestalt, die für sie entweder vor ihrer Geburt oder durch die Geburt selbst oder während des Lebens erschaffen worden sein muß. Denn entweder ist die psychische Entität in anderen Welten in subtiler Form präexistent und kommt mit dieser von dort hierher zu einem kurzen Aufenthalt auf der Erde. Oder die Seele entwickelt sich hier in der materiellen Welt selbst, und mit ihr wird im weiteren Verlauf der Natur ein psychischer Körper entwickelt, der nach dem Tod in anderen Welten fortbesteht oder hier durch Wiedergeburt weiter existiert. Das wären die beiden möglichen Alternativen.

Ein universales Leben könnte in seiner Evolution auf der Erde die wachsende Personalität entfaltet haben, die jetzt zu unserem Ich geworden ist, bevor sie überhaupt in einen menschlichen Körper einging. Die Seele, die jetzt in uns ist, könnte sich in niederen Lebens-Gestaltungen entwickelt haben, bevor der Mensch erschaffen wurde. In diesem Fall hätte unsere Personalität früher Tier-Formen bewohnt. Der subtile Körper wäre ein plastisches Gebilde, das von Geburt zu Geburt übertragen wurde, sich aber jeder physischen Gestaltung anpaßte, die die Seele bewohnte. Oder das sich entwickelnde Leben könnte fähig sein, eine zum Überleben geeignete Persönlichkeit aufzubauen, dies jedoch nur in der menschlichen Gestalt, sobald diese erschaffen war. Das würde durch die Kraft des plötzlichen Wachstums eines mentalen Bewußtseins geschehen, und gleichzeitig könnte sich eine Hülle von subtiler Mental-Substanz entwickeln und helfen, dieses mentale Bewußtsein zu individualisieren. Sie würde ebenso als innerer Körper funktionieren, wie die grob-physische Gestalt durch ihre Organisation Tier-Mental und Tier-Leben zugleich individualisiert und beherbergt. Aufgrund der früheren Annahme müßten wir zugeben, daß auch das Tier die Auflösung des physischen Körpers überlebt und eine Art Seelen-Formation besitzt, die nach dem Tod andere Tierformen auf der Erde und schließlich einen menschlichen Körper in Besitz nimmt. Denn es besteht nur geringe Wahrscheinlichkeit, daß die Tier-Seele über die Erde hinauskommt und auf andere als die physischen Lebens-Ebenen übergeht, um ständig hierher zurückzukehren, bis sie für die menschliche Inkarnation bereit ist. Die bewußte Individualisierung des Tieres scheint nicht weit genug zu gehen, um einen solchen Übergang tragen zu können oder um sich an ein Dasein in anderen Welten anzupassen. Bei der zweiten Annahme würde die Macht, auf diese Weise den Tod des physischen Körpers in anderen Seins-Zuständen zu überleben, erst auf der menschlichen Stufe der Evolution auftreten. Wäre die Seele tatsächlich nicht eine so konstruierte Personalität, die vom Leben entwickelt wird, sondern eine fortdauernde, sich nicht entwickelnde Wirklichkeit mit einem irdischen Leben und Körper als ihrem notwendigen Feld, dann würde man der Theorie von der Wiedergeburt im Sinne der Seelenwanderung des Pythagoras zustimmen müssen. Ist sie aber eine fortdauernde, sich entwickelnde Wesenheit und fähig, über die irdische Stufe hinauszukommen, dann wäre die indische Vorstellung von einem Weitergehen in andere Welten und einer Rückkehr zur Geburt auf der Erde möglich und höchst wahrscheinlich. Sie wäre aber noch nicht unausweichlich. Denn man könnte vermuten, daß die menschliche Personalität, wenn sie einmal so hoch entwickelt ist, daß sie andere Ebenen erreichen kann, von diesen nicht mehr zurückzukehren brauchte. Es wäre nur natürlich, wenn sie, falls kein stärkerer zwingender Grund vorliegt, ihr Dasein auf der höheren Ebene, zu der sie emporgekommen ist, fortsetzen würde. Sie hätte dann ihre Lebens-Entwicklung auf der Erde zu Ende gebracht. Eine umfassendere Voraussetzung wäre nur dann zwingend und eine wiederholte Wiedergeburt in menschlichen Gestaltungen unvermeidlich, wenn eine Konfrontation mit einem wirklich zwingenden Beweis für die Notwendigkeit einer Rückkehr auf die Erde besteht.

Aber selbst dann brauchte die vitalistische Entwicklungs-Theorie sich nicht zu spiritualisieren. Sie müßte nicht das wirkliche Dasein einer Seele, deren Unsterblichkeit oder Ewigkeit zugeben. Sie könnte die Personalität immer noch betrachten als eine phänomenale Schöpfung des universalen Lebens durch das Aufeinandereinwirken von Lebens-Bewußtsein und physischer Form und Kraft, beide aber mit einer ausgedehnteren, variableren und subtileren gegenseitigen Einwirkung und mit einer anderen Geschichte, als man sie bisher für möglich hielt. Sie mag dann zu einer Art von vitalistischem Buddhismus kommen, der das karma anerkennt, es aber nur als das Wirken einer universalen Lebens-Kraft zuläßt. Als eines der Ergebnisse würde sie die Kontinuität des Stroms der Personalität in der Wiedergeburt durch eine mentale Verknüpfung zugeben, aber jedes wirkliche Selbst des Individuums oder irgendein ewiges Wesen bestreiten, das etwas anderes wäre als dieses immer aktive vitale Werden. Andererseits könnte sie, einer Gedankenrichtung folgend, die jetzt etwas an Kraft gewinnt, ein universales Selbst oder einen kosmischen Geist als die uranfängliche Wirklichkeit und das Leben als seine Macht oder seinen Agenten annehmen. Sie könnte so zu einer Form von spiritualisiertem vitalen Monismus kommen. Auch in dieser Theorie wäre ein Gesetz von Wiedergeburt möglich, wenn auch nicht zwingend. Sie könnte eine phänomenale Tatsache sein, ein aktuelles Gesetz des Lebens. Sie wäre aber kein logisches Ergebnis der Theorie vom Seienden, nicht deren unvermeidliche Konsequenz.

Die Anhänger des Advaita des Mayavada gingen, wie der Buddhismus, von der schon akzeptierten Überzeugung – als einem Teil des überkommenen Schatzes an antikem Wissen – aus, daß es supraphysische Ebenen und Welten sowie einen Verkehr zwischen diesen und unserer Welt gibt, der einen Übergang von der Erde und – obwohl das eine weniger ursprüngliche Entdeckung gewesen zu sein scheint – eine Rückkehr zur Erde in die menschliche Personalität zuläßt. Immerhin hatte ihr Denken eine alte Auffassung und sogar Erfahrung hinter sich, zumindest eine uralte Tradition von einem Vorher und Nachher für die Personalität und war nicht auf das physische Universum begrenzt. Denn es gründete sich auf eine Betrachtung von Selbst und Welt, die schon ein supraphysisches Bewußtsein als das primäre Phänomen ansah und das physische Wesen nur als ein sekundäres und abhängiges Phänomen. Mit diesen Fakten als Mitte hatten sie die Natur der ewigen Wirklichkeit und den Ursprung des phänomenalen Werdens zu bestimmen. Darum erkannten sie den Übergang der Personalität von dieser zu anderen Welten und ihre Rückkehr in die Form und das Leben auf Erden an. Die so akzeptierte Wiedergeburt war aber, im Sinne des Buddhismus, nicht eine wirkliche Wiedergeburt einer wirklichen spirituellen Person in die Formen des materiellen Daseins. Im späteren Advaita war die Anschauung von der spirituellen Wirklichkeit vorhanden, aber die in Erscheinung tretende Individualität und darum auch ihre Geburt und Wiedergeburt waren ein Teil der kosmischen Illusion, eine trügerische, wenn auch wirksame Konstruktion der universalen maya.

Im buddhistischen Denken wurde das Sein des Selbsts bestritten. Wiedergeburt konnte nur eine Kontinuität von Ideen, Empfindungen und Handlungen bedeuten, die ein fiktives Individuum aufbauen, das sich zwischen verschiedenen Welten – sagen wir zwischen verschiedentlich organisierten Ebenen von Idee und Empfindung – bewegt. Denn tatsächlich erschafft nur die bewußte Kontinuität des Strömens ein Phänomen von Selbst und ein Phänomen von Personalität. Im Advaita des Mayavada erkannte man einen jivatman, ein individuelles Selbst und sogar ein wirkliches Selbst des Individuums an.18 Aber diese Konzession an unsere normale Sprache und unsere Vorstellungen ist schließlich doch nur scheinbar. Denn es stellt sich heraus, daß es kein wirkliches und ewiges Individuum, kein “Ich” und “Du” gibt. Darum kann es auch kein wirkliches Selbst des Individuums, nicht einmal ein wahres universales Selbst geben, sondern nur ein vom Universum gesondertes Selbst, immer ungeboren, immer unveränderlich, niemals beeinträchtigt durch die Mutation der Phänomene. Letzten Endes werden Geburt, Leben, Tod, die ganze Masse der individuellen und kosmischen Erfahrung, nichts anderes als eine Illusion oder ein zeitlich vorübergehendes Phänomen. Auch Gebundenheit und Befreiung können nur solch eine Illusion, nur ein Teil vergänglicher Phänomene sein: Sie stellen nur die bewußte Kontinuität der illusorischen Erfahrungen des Ichs dar, das selbst eine Schöpfung der großen Illusion ist. Die Kontinuität und das Bewußtsein hören schließlich auf bei ihrem Eingehen in das Überbewußtsein Dessen, das allein war, ist und immer sein wird, oder besser: das nichts zu tun hat mit der Zeit, sondern auf ewig ungeboren, zeitlos und unaussprechlich ist.

Während es also in der vitalistischen Betrachtung der Dinge ein wirkliches Universum und ein wirkliches, wenn auch kurzes vergängliches Werden von individuellem Leben gibt, das, auch wenn kein immerdauernder purusha existiert, dennoch unserer individuellen Erfahrung und unserem Handeln beträchtliche Bedeutung beimißt – denn diese sind im wirklichen Werden wahrhaft wirksam –, so haben in der Theorie des Mayavadins diese Dinge keine wirkliche Bedeutung oder wahre Wirkung. Sie sind nur so etwas wie die Konsequenz eines Traums. Denn sogar die Befreiung findet nur im kosmischen Traum oder in einer Halluzination statt durch die Anerkennung der Illusion und durch das Aufhören des individualisierten Mentals und Körpers. In Wirklichkeit gibt es niemand, der gebunden, und niemand, der befreit ist. Denn das allein-existierende Selbst wird von dieser Illusion des Ichs nicht berührt. Um aus dieser alles zerstörenden Unfruchtbarkeit, die das logische Resultat sein würde, herauszukommen, müssen wir dieser Traum-Konsequenz eine praktische Bedeutung verleihen, wie falsch sie schließlich auch sein mag, und auf unsere Gebundenheit und individuelle Befreiung immenses Gewicht legen, auch wenn das Leben des Individuums nur phänomenal ist und wenn für das Eine Wirkliche Selbst sowohl die Gebundenheit wie die Befreiung nur etwas Nicht- Seiendes sind und nichts anderes sein können. Bei dieser erzwungenen Konzession an die tyrannische Nicht-Wirklichkeit von maya muß die einzig wahre Bedeutung von Leben und Erfahrung in dem Maß liegen, in dem sie auf die Verneinung des Lebens vorbereiten, auf die Selbst-Eliminierung des Individuums und auf das Ende der kosmischen Illusion.

Das ist aber eine extreme Anschauung und Konsequenz der monistischen These. Die ältere Advaita-Vedanta-Lehre, die von den Upanishaden ausgeht, zieht nicht diese extremen Konsequenzen. Sie erkennt ein aktuelles Werden des Ewigen in der Zeit, darum auch ein reales Universum an. Auch dem Individuum wird eine ausreichende Wirklichkeit zugebilligt, denn jedes Individuum ist an sich Der Ewige, der Namen und Gestalt angenommen hat und durch sich selbst die Erfahrungen des Lebens fördert, indem er an einem immer kreisenden Rad der Geburten in der Manifestation dreht. Das Rad wird durch das Begehren des Individuums in Gang gehalten – das wird zur wirksamen Ursache der Wiedergeburt – und weil sich das Mental von der Erkenntnis des ewigen Selbsts hinwendet zu einem ausschließlichen Interesse am zeitlichen Werden. Mit dem Aufhören des Begehrens und dieser Unwissenheit zieht sich das Ewige im Individuum von den Mutationen der individuellen Personalität und Erfahrung zurück in sein zeitloses, apersonales und unveränderliches Wesen.

Aber diese Wirklichkeit des Individuums ist etwas recht Vergängliches. Es hat keine dauerhafte Grundlage, nicht einmal die ständige Wiederkehr in der Zeit. Wiedergeburt ist, obwohl sie bei einer solchen Auffassung des Universums von großer Aktualität ist, keine unvermeidliche Folge aus der Beziehung zwischen der Individualität und dem Zweck der Manifestation. Denn die Manifestation scheint keinen anderen Zweck zu haben als den Willen des Ewigen zur Weltschöpfung. Sie kann nur dadurch enden, daß dieser Wille sich zurückzieht. Dieser kosmische Wille könnte sich aber ohne jeden Mechanismus der Wiedergeburt und ohne das Begehren des Individuums, das diese fortdauern läßt, auswirken. Denn das Begehren des Menschen kann nur eine Feder im Mechanismus des kosmischen Daseins, nie dessen Ursache oder notwendige Voraussetzung sein, da das Individuum selbst in dieser Betrachtung ein Ergebnis der Schöpfung ist und nicht vor dem Werden existiert hat. Der Wille zur Schöpfung könnte sich selbst dadurch vollziehen, daß er vorübergehend in jedem Namen und in jeder Gestalt Individualität annimmt, ein einzelnes Leben in vielen nicht fortdauernden Individuen. Das eine Bewußtsein würde sich entsprechend dem Typus jedes erschaffenen Wesens selbst gestalten, aber es könnte sehr wohl in jedem individuellen Körper mit dem Erscheinen der physischen Gestalt anfangen und mit deren Aufhören enden. Individuum würde auf Individuum folgen, wie eine Woge auf die andere folgt; aber das Meer bliebe immer dasselbe.19 Jede Gestaltung des bewußten Wesens steige aus dem Universum auf, rolle eine bestimmte Zeit weiter und sinke dann in das Schweigen zurück. Es gibt bei dieser Auffassung keinen ersichtlichen Grund für die Annahme, zu diesem Zweck sei ein individualisiertes Bewußtsein notwendig, das kontinuierlich fortdauert, Namen um Namen, Gestalt um Gestalt annimmt und sich zwischen verschiedenen Ebenen hin- und herbewegt. Und selbst als eine Möglichkeit drängt sich dies nicht stark genug auf. Noch weniger gibt es hier Raum für einen evolutionären Fortschritt, der unvermeidlich beim Weitergehen von der einen Gestalt zu einer höheren Gestalt geleistet werden muß, wie man das bei jener Theorie von der Wiedergeburt annimmt, die die Involution und Evolution des Geistes in der Materie als die bedeutungsvolle Formel für unser irdisches Dasein behauptet.

Es ist vorstellbar, der Ewige habe sich tatsächlich dafür entschieden, sich auf diese Weise im Körper zu offenbaren oder vielmehr sich in ihm zu verbergen. Es mag sein Wille gewesen sein, ein Individuum zu werden oder als ein solches zu erscheinen, das einen Zyklus von ständigem und wiederkehrendem Dasein als Mensch und Tier von Geburt zum Tod und vom Tod zu einem neuen Dasein durchschreitet. Das Eine Wesen würde personalisiert verschiedene Gestaltungen des Werdens, nach Laune oder aufgrund irgendeines Gesetzes der Konsequenzen des Handelns, durchwandern, bis durch Erleuchtung das Ende gekommen ist, eine Rückkehr zum Einssein. Der Einzige und identische zieht sich dann wieder aus der besonderen Individualisierung zurück. Ein solcher Zyklus besäße aber keine ursprüngliche oder endgültige, ihn bestimmende Wahrheit, die ihm Bedeutung verleihen würde. Es gibt nichts, um dessentwillen er notwendig wäre. Er wäre lediglich ein Spiel, lila. Sobald man aber zugibt, der Geist hat sich der Unbewußtheit involviert und manifestiert sich durch evolutionäre Stufenfolge im individuellen Wesen, gewinnt der ganze Vorgang Sinn und Folgerichtigkeit. Der progressive Aufstieg des Individuums wird zum Schlüsselbegriff für diese kosmische Bedeutung. Die Wiedergeburt der Seele im Körper wird zu einer natürlichen und unvermeidbaren Konsequenz der Wahrheit des Werdens und zu dem ihm innewohnenden Gesetz. Wiedergeburt ist ein unentbehrlicher Mechanismus für das Auswirken einer spirituellen Evolution. Sie ist die einzig mögliche effektive Bedingung, der einleuchtende dynamische Prozeß einer solchen Manifestation im materiellen Universum.

Unsere Erklärung der Evolution in der Materie geht dahin: Das Universum ist der selbst-schöpferische Prozeß einer höchsten Wirklichkeit, deren Gegenwart den Geist zur Substanz der Dinge macht, – alle Dinge sind hier Mächte, Mittel und Formen des Geistes zu seiner Manifestation. Unendliches Sein, unendliches Bewußtsein, unendliche Kraft, unendlicher Wille, unendliche Seins-Seligkeit sind die insgeheim hinter den Erscheinungen des Universums stehende Wirklichkeit. Ihr göttliches Supramental, ihre Gnosis, hat die kosmische Ordnung geschaffen. Es hat diese aber mittelbar durch die drei untergeordneten und begrenzenden Begriffe organisiert, deren wir hier bewußt sind: Mental, Leben und Materie. Das materielle Universum ist die niederste Stufe eines Sprunges der Manifestation in die Tiefe, eine Involution des manifestierten Wesens dieser dreieinigen Wirklichkeit in eine scheinbare Nicht-Bewußtheit ihrer selbst, in das, was wir jetzt die Unbewußtheit nennen. Die Evolution dieses geoffenbarten Wesens aus der Nichtbewußtheit in ein wiedergewonnenes Selbst-Innesein war vom ersten Anfang an unvermeidlich. Das war deshalb unerläßlich, weil das, was involviert ist, sich wieder evolvieren muß. Denn es existiert dort nicht nur als ein Sein, sondern als eine in ihrem scheinbaren Gegenteil verborgene Kraft. Jede solche Kraft muß in ihrer innersten Natur dazu gedrängt sein, ihr Selbst zu finden, ihr Selbst zu realisieren, sich in das Kräftespiel freizusetzen. Sie muß die Wirklichkeit dessen, was die Nichtbewußtheit verbirgt, das Selbst, das sie verloren hat, suchen und wiedergewinnen; das muß die ganze verborgene Bedeutung und der ständige Drang ihres Wirkens sein. Durch das bewußte individuelle Wesen wird diese Wiedergewinnung möglich. In ihm wird das sich entwickelnde Bewußtsein organisiert und dazu fähig, zu seiner eigenen Wirklichkeit zu erwachen. Die außerordentliche Bedeutung des individuellen Menschen, die immer weiter zunimmt, je weiter er auf der Stufenleiter emporkommt, ist die auffallendste und wichtigste Tatsache eines Universums, das ohne Bewußtsein und Individualität in undifferenzierter Nichtbewußtheit begann. Diese Bedeutung kann nur gerechtfertigt sein, wenn das Selbst als das Individuum ebenso wirklich ist wie das Selbst als das Kosmische Wesen oder als der Geist und wenn beides die Mächte des Ewigen sind. Nur so kann man erklären, daß das Wachsen des Individuums und seine Entdeckung seines Selbsts notwendige Voraussetzung ist für die Entdeckung des kosmischen Selbsts, des kosmischen Bewußtseins und der höchsten Wirklichkeit. Wenn wir diese Lösung anerkennen, ist ihr erstes Ergebnis die Wirklichkeit des fortdauernden Individuums. Aus dieser ersten Konsequenz folgt aber das andere Ergebnis, daß die Wiedergeburt, wie sie auch geartet ist, nicht mehr nur ein möglicher Mechanismus ist, den man akzeptieren mag oder nicht. Sie wird vielmehr zu einer Notwendigkeit, zu etwas Unvermeidlichem, das sich aus der Grundnatur unseres Seins ergibt.

Nun genügt es nicht mehr, ein nur illusorisches oder vergängliches Individuum anzunehmen, das in jeder Gestalt durch ein Spiel von Bewußtsein neu erschaffen wird. Individualität muß man nicht mehr nur als eine Begleiterscheinung des Bewußtseins in einer Körpergestalt auffassen, die diese Gestalt überleben mag oder nicht, welche die falsche Kontinuität ihres Selbsts von Gestalt zu Gestalt, von Leben zu Leben fortsetzen mag oder nicht, die das aber gewiß nicht tun muß. Was wir in dieser Welt zunächst zu sehen scheinen, ist, daß ein Individuum ohne jede Kontinuität das andere ersetzt, daß die Gestalt sich auflöst und zugleich mit ihr auch die falsche oder vorübergehende Individualität vergeht, während die universale Energie oder ein universales Wesen allein für immer übrigbleibt. Das könnte sehr wohl das ganze Prinzip der kosmischen Manifestation sein. Ist aber das Individuum eine beharrende Wirklichkeit, ein ewiger Teil oder eine Macht des Ewigen und ist die Entwicklung seines Bewußtseins das Mittel, durch das der Geist in den Dingen sein Wesen enthüllt, dann offenbart sich der Kosmos als eine hierdurch bedingte Manifestation des Spiels des Ewigen Einen mit den Ewigen Vielen im Wesen von saccidananda. Dann muß eine wahre Person ganz sicher hinter all den Wandlungen unserer Personalität vorhanden sein, die den Strom ihrer Veränderungen lebendig erhält, ein wirkliches spirituelles Individuum, ein wahrer purusha. Der Eine, der sich in die Universalität ausweitet, existiert in jedem Wesen und bestätigt sich in dieser Individualität. Im individuellen Menschen enthüllt er sein totales Sein durch das Einssein mit allen in der Universalität. Im individuellen Menschen enthüllt er außerdem seine Transzendenz als Der Ewige, auf den die gesamte universale Einheit gegründet ist. Diese Trinität der Selbst-Manifestation, dieses unermeßliche lila der vielfältigen Identität, diese Magie der maya oder das proteisch-vielgestaltige Wunder der bewußten Wahrheit des Wesens des Unendlichen ist die lichtvolle Offenbarung, die durch eine langsame Evolution aus der ursprünglichen Unbewußtheit hervortritt.

Gäbe es nicht diese Notwendigkeit, das Selbst zu finden, sondern nur ein ewiges Genießen dieses Spiels im Wesen von saccidananda -solch ewiges Genießen ist die Art gewisser höchster Zustände bewußten Seins dann hätten Evolution und Wiedergeburt nicht in Gang gebracht zu werden brauchen. Es hat aber eine Involution der Einheit in das zerteilende Mental stattgefunden, ein Sprung hinab in die Selbst-Vergessenheit, durch den das immer gegenwärtige Empfinden für die vollständige Einheit verloren gegangen ist. Nun kommt das Spiel der trennenden Verschiedenheit – nur phänomenal, da die wirkende Einheit in der Verschiedenheit uneingeschränkt im Hintergrund verbleibt – als beherrschende Wirklichkeit in den Vordergrund. Dieses Spiel der Verschiedenheit hat dadurch seinen äußersten Begriff der Empfindung von Zerteilung gefunden, daß sich das zerteilende Mental in eine Körpergestaltung hinabstürzte, in der es seiner selbst als eines gesonderten Ichs bewußt wird. So ist durch Involution der aktiven Selbst-Bewußtheit von saccidananda in eine phänomenale Nichtbewußtheit eine feste, solide Grundlage für dieses Spiel der Zerteilung in einer Welt getrennter Formen von Materie geschaffen worden. Die Fundierung in der Nichtbewußtheit macht die Zertrennung zu etwas Gesichertem, denn sie widersetzt sich mit aller Macht der Rückkehr in das Bewußtsein der Einheit. Die Zertrennung ist aber, obwohl sie effektiv Zerstörung ausübt, nur phänomenal und kann beendet werden, da in ihr, über ihr, als tragende Stütze der allbewußte Geist ist. Deshalb stellt sich die scheinbare Nichtbewußtheit nur als eine Konzentration, eine ausschließende Aktion von Bewußtsein heraus, das sich durch einen Sprung in den tiefen Abgrund einer Trance der Selbst-Vergessenheit völlig von dem formativen und kreativen materiellen Prozeß aufzehren ließ. In einem so erschaffenen phänomenalen Universum wird die trennende Gestalt zur Grundlage und zum Ausgangspunkt für all seine Lebens-Aktion. Darum muß sich der individuelle purusha, wenn er in dieser physischen Welt seine kosmischen Beziehungen zu dem Einen ausarbeiten will, auf die Form gründen und einen Körper annehmen. Es ist der Körper, den er zu seiner eigenen Grundlage und zum Ausgangspunkt für die Entwicklung seines Lebens, Mentals und Geistes im physischen Dasein machen muß. Dieses Annehmen des Körpers nennen wir Geburt. Nur in ihm kann hier die Entwicklung des Selbsts und das Spiel der Beziehungen zwischen dem Individuum und dem Universum sowie zu allen anderen Individuen stattfinden. Nur in ihm kann es die progressive Entwicklung unseres bewußten Wesens zu einer erhabenen Wiedergewinnung der Einheit mit Gott und mit allen Wesen in Gott geben. Die Summe dessen, was wir Leben in der physischen Welt nennen, ist eine fortschreitende Entwicklung der Seele. Sie geht durch Geburt in den Körper ein und hat diesen als ihre Stütze, als die Grundbedingung für ihr Wirken und als die Voraussetzung dafür, daß sie in der Evolution fortbesteht.

Geburt ist also notwendig für die Manifestation des purusha auf der physischen Ebene. Seine menschliche oder irgendeine andere Geburt kann aber in dieser Welt-Ordnung nicht ein isoliertes Ereignis oder der plötzliche Ausflug einer Seele in die Körperlichkeit sein, ohne daß sie in einer Vergangenheit dafür vorbereitet ist oder nach einer solchen Erfüllung findet. In einer Welt der Involution und Evolution, nicht nur einer physischen Form, sondern eines bewußten Wesens über Leben und Mental hin zum Geist, könnte solch eine isolierte Annahme von Leben in einem menschlichen Körper nicht das Gesetz für das Dasein der individuellen Seele sein. Das wäre eine völlig sinnlose und inkonsequente Einrichtung, eine Laune, für die es in der Natur und im System der Dinge keinen Raum gibt. Das wäre ein gewaltsamer störender Eingriff, der den Rhythmus der Selbst-Offenbarung des Geistes durchbrechen würde. Das Eindringen solch einer Norm für das individuelle Seelen-Leben in die evolutionäre spirituelle Progression würde aus dieser eine Wirkung ohne Ursache und eine Ursache ohne Wirkung machen. Das Leben des individuellen Menschen wäre der Torso einer Gegenwart ohne eine Vergangenheit oder Zukunft. Es muß aber den gleichen bedeutungsvollen Rhythmus, dasselbe Progressions-Gesetz haben wie das kosmische Leben. Sein Ort in diesem Rhythmus kann nicht ein zufälliges sinnloses Auftreten, es muß eine bleibende Instrumentation für die Verwirklichung des kosmischen Zieles sein. In solcher Ordnung können wir auch nicht eine isolierte Herabkunft der Seele in den menschlichen Körper, nur eine einzige Geburt als ihre erste und letzte Erfahrung dieser Art, dadurch erklären, daß sie vorher in anderen Welten existierte und dann eine Zukunft in noch anderen Bereichen der Erfahrung vor sich hat. Denn das Leben hier auf Erden, das Leben im physischen Universum, ist nicht nur eine gelegentliche Herberge für die Wanderungen der Seele von einer Welt zur anderen und kann das nicht sein. Es ist eine große langsame Entwicklung, die, wie wir jetzt wissen, unberechenbare Strecken von Zeit für seine Evolution benötigt. Menschliches Leben ist nur ein Begriff in einer Stufenfolge, durch die der im Universum insgeheim wirkende Geist in Graden seine Absicht entfaltet und diese schließlich ausarbeitet, indem sich das individuelle Seelen-Bewußtsein im Körper ausweitet und nach oben verstärkt. Dieser Aufstieg kann sich nur durch Wiedergeburt innerhalb der nach oben fortschreitenden Ordnung vollziehen. Ein individueller Besuch, der diese Ordnung hier durchkreuzt, um dann anderswohin weiterzugehen, könnte nicht in das System des evolutionären Seins hineinpassen.

Auch ist die menschliche Seele, der individuelle Mensch, kein freier Wanderer, der nach seinen Launen oder leichtsinnig von einem Bereich zum anderen eilen könnte, nach unbeschränkter Wahl oder ungebundenem spontan veränderlichen Handeln und nach dem Ergebnis seines Handelns. Das ist die glänzende Vorstellung von einer reinen spirituellen Freiheit, die auf jenseitigen Ebenen oder in einer schließlich erlangten Erlösung ihre Wahrheit haben mag. Sie ist aber vorerst im Erdenleben, dem Leben im physischen Universum, nicht wahr. Das Hineingeborenwerden des Menschen in diese Welt ist nach seiner spirituellen Seite ein Komplex von zwei Elementen: einer spirituellen Person und einer Seele der Personalität. Die spirituelle Person ist des Menschen ewiges Wesen; die Seele der Personalität ist sein kosmisches und veränderliches Wesen. Als spirituelle und apersonale Person ist der Mensch in seiner Natur und in seinem Wesen eins mit der Freiheit von saccidananda. Er hat hier als solcher seiner Involution in die Nichtbewußtheit einer Reihe von Seelenerfahrungen wegen zugestimmt oder diese gewollt, die auf andere Weise nicht möglich ist, und lenkt so insgeheim seine Evolution. Als Seele der Personalität ist er selbst ein Teil dieser langen Entwicklung der Seelen-Erfahrung in den Gestaltungen der Natur. Seine eigene Evolution muß den Gesetzen und Grundlinien der universalen Evolution folgen. Als Geist ist er eins mit der Transzendenz, die der Welt immanent ist und diese umgreift. Als Seele ist er zugleich eins mit und Teil der in der Welt selbst ausgedrückten Universalität von saccidananda: Sein Selbst-Ausdruck muß durch die Stufen des kosmischen Ausdrucks hindurchgehen, seine Seelen-Erfahrung muß den Umdrehungen des Rades von brahman im Universum folgen.

Der in die Dinge, in die Nichtbewußtheit des physischen Universums involvierte universale Geist leistet die Evolution des Selbsts seiner Natur in einer Aufeinanderfolge von physischen Gestaltungen bis hin zu den abgestuften Reihen von Materie, Leben, Mental und Geist. Das Selbst taucht zuerst als eine geheime Seele in materiellen Gestaltungen auf, nach außen völlig der Nichtbewußtheit unterworfen. Es entwickelt sich als eine Seele, die noch verborgen, aber im Begriff ist, in vitalen Gestaltungen hervorzutreten, die an der Grenze zwischen Nichtbewußtheit und dem partiellen Licht von Bewußtsein stehen, das unsere Unwissenheit ist. Es entwickelt sich noch weiter als die noch primitive bewußte Seele im Tier-Mental und tritt schließlich als die mehr nach außen bewußte, aber noch nicht voll bewußte Seele im Menschen hervor: Das Bewußtsein befindet sich hier durchweg in den verborgenen Teilen unseres Wesens. Seine Entwicklung geschieht in der sich manifestierenden Natur. Diese evolutionäre Entwicklung hat sowohl einen universalen wie einen individuellen Aspekt: Das Universale entwickelt die Grade seines Wesens und die geordnete Variation der Universalität seiner selbst in der Reihe der evolvierten Formen seines Wesens. Die individuelle Seele folgt der Linie dieser kosmischen Reihe und manifestiert das, was in der Universalität des Geistes vorbereitet ist. Der universale Mensch, der kosmische purusha in der Menschheit, ist am Werk, in der menschlichen Rasse jene Macht zu entfalten, die aus den Graden unterhalb der Menschheit in diese emporgewachsen ist und noch weiter wachsen soll bis zum Supramental und zum Geist. Sie soll zur Göttlichkeit in dem Menschen werden, der seines wahren und integralen Selbsts und der göttlichen Universalität seiner Natur bewußt ist. Der individuelle Mensch muß bisher dieser Entwicklungslinie gefolgt sein. Er muß über einer Seelen-Erfahrung in den niedrigeren Formen des Lebens gewaltet haben, bevor er die menschliche Evolution auf sich genommen hat. So wie das Eine fähig war, in seiner Universalität diese niedrigeren Formen von Pflanze und Tier aufsichzunehmen, so muß auch das Individuum, jetzt in Menschengestalt, fähig gewesen sein, diese in seinen früheren Stufen des Daseins aufsichzunehmen. Nun tritt er als eine menschliche Seele in Erscheinung. Der Geist nimmt die innere und äußere Form des Menschseins an. Er ist aber durch diese Gestalt ebensowenig begrenzt, wie er durch die früher von ihm angenommenen Formen von Pflanze und Tier begrenzt gewesen ist. Er kann von ihr aus weitergehen, um sein Selbst auf einer höheren Stufe der Natur zum Ausdruck zu bringen.

Bei andersartiger Auffassung müßte man annehmen, der Geist, der jetzt über der menschlichen Seelen-Erfahrung waltet, sei ursprünglich durch eine menschliche Mentalität und den menschlichen Körper gebildet worden, existiere durch diesen, könne nicht getrennt von diesem dasein und niemals unter diesen hinabsinken oder über diesen hinauskommen. Tatsächlich wäre es dann vernünftig, anzunehmen, daß er nicht unsterblich ist, vielmehr erst durch das Erscheinen des menschlichen Mentals und Körpers in der Evolution ins Dasein eingetreten sei und durch deren Verschwinden auch vergehen würde. Aber Körper und Mental sind nicht die Schöpfer des Geistes. Der Geist ist der Schöpfer von Mental und Körper. Er entwickelt diese Prinzipien aus seinem Wesen. Er wird nicht aus ihnen ins Dasein entwickelt. Er ist keine Zusammensetzung aus ihren Elementen und auch kein Ergebnis ihres Zusammentreffens. Wenn es so aussieht, als entwickle er sich aus Mental und Körper, so deshalb, weil er sich stufenweise in ihnen offenbart, nicht aber, weil er von ihnen erschaffen würde oder durch sie existiere. Wenn er sich manifestiert, werden sie als untergeordnete Begriffe seines Wesens offenbar und müssen schließlich aus ihrer gegenwärtigen Unvollkommenheit herausgeholt und in sichtbare Formen und Werkzeuge des Geistes umgewandelt werden. Nach unserer Auffassung ist Geist etwas, das nicht durch Namen und Form konstituiert wird, sondern verschiedene Formen von Körper und Mental annimmt, im Einklang mit den verschiedenen Manifestationen seines Seelen-Wesens. Das tut er hier durch die aufeinanderfolgenden Stufen der Evolution. Nacheinander entwickelt er eine Folge von Formen und übereinanderliegende Schichten des Bewußtseins. Denn er ist nicht daran gebunden, stets nur dieselbe Gestalt anzunehmen oder nur eine Art von Mentalität zu besitzen, die seine einzig mögliche subjektive Offenbarung wäre. Die Seele ist nicht durch die Formel eines mentalen Menschen-Typus gebunden. Sie fing nicht mit diesem an und wird nicht bei diesem enden. Sie besaß eine vormenschliche Vergangenheit, sie hat eine übermenschliche Zukunft.

Was wir von der Natur sehen und von der menschlichen Natur wissen, rechtfertigt die Anschauung, daß die individuelle Seele von einer Gestalt zur anderen geboren wurde, bis sie die menschliche Ebene des offenbarten Bewußtseins erreicht hat. Diese ist nun ihr Werkzeug, um zu noch höheren Ebenen emporzukommen. Wir sehen, daß sich die Natur von einer Stufe zur anderen entwickelt. Sie nimmt in jede neue Stufe ihre Vergangenheit mit empor und wandelt diese in den Stoff zu einer neuen Entwicklung um. Wir sehen auch, daß die menschliche Natur von derselben Beschaffenheit ist. Die ganze Erden-Vergangenheit ist in ihr gegenwärtig: Sie besitzt ein vom Leben emporgenommenes Element von Materie, ein vom Mental emporgenommenes Element von Leben und ein vom Geist emporgenommenes Element von Mental: Das Tier ist noch im Typus Mensch gegenwärtig. Die eigentliche Natur des menschlichen Wesens setzt eine materielle und eine vitale Stufe voraus, die sein Emportauchen in das Mental vorbereiten; ebenso auch eine Tier-Vergangenheit, die ein erstes Element seines komplexen Menschenwesens formte. Wir wollen uns aber hüten, zu sagen, das sei so, weil die materielle Natur durch Evolution sein Leben, seinen Körper, sein Tier-Mental entwickelt; erst dann sei eine Seele in die so erschaffene Form herabgestiegen. Zwar steht eine gewisse Wahrheit hinter dieser Vorstellung, jedoch nicht die Wahrheit, die diese Formel uns nahelegen möchte. Denn das würde eine Kluft zwischen Seele und Körper, zwischen Seele und Leben, zwischen Seele und Mental voraussetzen, die tatsächlich nicht existiert. Es gibt keinen Körper ohne Seele, keinen Körper, der nicht selbst eine Form von Seele wäre. Materie selbst ist Substanz und Macht von Geist und könnte nicht existieren, wenn sie etwas anderes wäre. Denn nichts kann existieren, das nicht Substanz und Macht von brahman ist. Und wenn Materie das ist, müssen umso sicherer Leben und Mental das sein und beseelt werden durch die Gegenwart des Geistes. Wären Materie und Leben nicht bereits beseelt gewesen, der Mensch hätte nicht erscheinen können. Oder er wäre nur eine Zwischen-Erscheinung gewesen oder ein Zufall, nicht aber ein Teil der evolutionären Ordnung.

So kommen wir notwendig zu dem Schluß, daß die Geburt des Menschen ein Ausdruck ist, zu dem die Seele in einer langen Aufeinanderfolge von Wiedergeburten gekommen sein muß, und daß sie als ihre vorhergehenden und vorbereitenden Begriffe in der Aufeinanderfolge die niederen Formen des Lebens auf der Erde gehabt haben muß. Sie ist durch die ganze Kette hindurchgegangen, die das Leben im physischen Universum auf der Grundlage des Körpers, des physischen Prinzips, aneinandergereiht hat. Dann erhebt sich die weitere Frage, ob diese Aufeinanderfolge von Wiedergeburten noch weitergeht, wenn das Menschsein einmal erreicht worden ist, und, wenn das so ist, in welcher Abfolge oder durch welche Abwandlungen das geschieht. Zuerst müssen wir fragen, ob die Seele, wenn sie einmal das Menschsein erlangt hat, wieder zum Tierleben und Tierkörper zurückkehren kann. Das ist ein Rückschritt, den die alten populären Theorien der Seelenwanderung für eine gewöhnliche Bewegung gehalten haben. Es erscheint unmöglich, daß die Seele in ihrer Ganzheit so zurückfallen könnte. Der Grund ist, daß der Übergang vom Tier zum menschlichen Leben eine entscheidende Bewußtseins-Umwandlung bedeutet, die genau so einschneidend ist wie die Umwandlung des vitalen Bewußtseins der Pflanze in das mentale Bewußtsein des Tieres. Es ist gewiß unmöglich, daß eine von der Natur vollzogene, so entscheidende Umwandlung durch die Seele wieder rückgängig gemacht werden könnte und daß die Entscheidung des Geistes in ihrem Innern sozusagen nichtig würde. Das könnte, vorausgesetzt, daß so etwas angeht, nur solchen menschlichen Seelen möglich sein, in denen die Umwandlung nicht entscheidend gewesen ist. Das wären Seelen, die sich zwar weit genug entwickelt haben, um einen menschlichen Körper zu bilden, ihn innezuhaben oder anzunehmen, die aber nicht weit genug gekommen sind, um die Annahme dieses Körpers sicher durchzuhalten, damit sie in dem, was sie erlangt haben, auf die Dauer beharren und dem menschlichen Typus des Bewußtseins treu bleiben konnten. Vorausgesetzt daß gewisse Tierneigungen heftig genug sind, um eine gesonderte Befriedigung ihrer völlig eigenen Art zu erfordern, könnte es höchstens zu einer teilweisen Wiedergeburt kommen. Eine menschliche Seele würde noch lose an einer Tierform festhalten, von der sie aber danach sofort wieder zu ihrer normalen Progression zurückkehren würde. Der Gang der Natur ist immer komplex genug, so daß wir eine solche Entwicklung nicht dogmatisch ausschließen dürfen. Sollte das eine Tatsache sein, so könnte dieses Minimum an Wahrscheinlichkeit hinter der populären übertriebenen Überzeugung stehen, die annimmt, eine Wiedergeburt der Seele, die einmal im Menschen beheimatet gewesen ist, in einem Tier sei etwas genauso Normales und Mögliches wie eine Wiedergeburt im Menschen. Einerlei aber, ob die Rückkehr in das Tier-Leben möglich ist oder nicht, das normale Gesetz für die Seele, die einmal zum Menschsein fähig gewesen ist, muß die Wiederholung der Geburt in neuen menschlichen Gestaltungen sein.

Warum gibt es aber eine Aufeinanderfolge von menschlichen Geburten und nicht nur eine einzige? Aus demselben Grund, der die Geburt als Mensch an sich zu einem Höhepunkt der vergangenen Aufeinanderfolge, der früheren aufsteigenden Reihe, gemacht hat; aufgrund der einen Notwendigkeit der spirituellen Evolution muß das auch weitergehen. Denn die Seele hat das, was sie zu tun hat, noch nicht dadurch vollendet, daß sie sich nur bis in das Menschsein entwickelte. Sie muß dieses Menschenwesen noch in seine höheren Möglichkeiten weiterentwickeln. Offensichtlich hat die Seele, die in einem karibischen Eingeborenen, in einem ungebildeten Primitiven, in einem Apachen von Paris oder in einem amerikanischen Gangster wohnt, noch nicht die Notwendigkeiten erschöpft, aus denen sie als Mensch geboren wurde. Sie hat noch nicht ihre umfassende Potentialität oder die ganze Bedeutung des Menschseins entfaltet. Sie hat noch nicht den umgreifenden Sinn von saccidananda im universalen Menschen herausgearbeitet. Das hat aber auch die Seele nicht fertig gebracht, die in einem vitalistischen Europäer wohnt, der völlig aufgeht in der dynamischen Produktion oder in seinem vitalen Vergnügen. Ebensowenig hat das die Seele in einem Bauern Asiens getan, der völlig eingefangen ist in den Rundlauf seines häuslichen und wirtschaftlichen Lebens. Vernünftigerweise können wir selbst daran zweifeln, ob ein Plato oder Shankara die Krönung und deshalb das Ende des Aufblühens des Geistes im Menschen darstellen. Wir sind zu der Annahme geneigt, diese könnten die oberste Grenze sein, weil sie und ihresgleichen uns als der Höhepunkt erscheinen, den Mental und Seele des Menschen erreichen können. Das kann aber eine Illusion der gegenwärtig von uns erreichten Möglichkeit sein. Es mag eine höhere, zumindest eine umfassendere Möglichkeit geben, die das Göttliche Wesen noch im Menschen zu verwirklichen beabsichtigt. Ist das aber so, dann waren die durch diese höchsten Seelen erbauten Stufen nötig, um den Weg zu diesem Ziel zu bahnen und die Tore dorthin zu öffnen. Auf jeden Fall muß dieser gegenwärtig höchste Punkt zumindest erreicht werden, bevor wir unter die Wiederkehr der menschlichen Geburt für das Individuum das “Ende” schreiben können. Der Mensch ist hier, damit er aus der Unwissenheit und jenem kleinen Leben, das er in Mental und Körper lebt, voranschreitet zum Wissen und zu dem hohen göttlichen Leben, das er durch die Entfaltung des Geistes ergreifen kann. Zumindest soll erreicht werden, daß sich der Geist in ihm öffnet, daß er sein wirkliches Selbst erkennt, daß er das spirituelle Leben führt, bevor er endgültig und für immer woandershin weitergehen darf. Jenseits von diesen ersten Höhepunkten mag es noch ein größeres Aufblühen des Geistes im menschlichen Leben geben, von dem wir jetzt nur die ersten Ahnungen haben. Die Unvollkommenheit des Menschen ist nicht das letzte Wort der Natur. Aber seine Vervollkommnung ist auch nicht die letzte Gipfelhöhe des Geistes.

Diese Möglichkeit wird zu einer Gewißheit, wenn das gegenwärtig führende Prinzip des Mentals, soweit der Mensch es entwickelt hat, der Intellekt, nicht sein höchstes Prinzip ist. Wenn es im Mental selbst noch andere als die jetzt nur unvollkommen von den höchsten Typen des menschlichen Individuums repräsentierten gibt, ist es unvermeidlich, daß die Linie der Evolution, und folgerichtig auch die aufsteigende Linie der Wiedergeburt, verlängert wird, um diese zu verkörpern. Wenn das Supramental auch eine hier noch in der Evolution verborgene Bewußtseins-Macht ist, darf die Linie der Wiedergeburt vor ihr nicht Halt machen. Sie kann mit ihrem Aufstieg erst dann aufhören, wenn die mentale Natur durch die supramentale ersetzt und wenn ein verkörpertes supramentales Wesen zum Lenker des Daseins auf Erden geworden ist.

Dies ist also die rationale und philosophische Begründung für die Überzeugung von der Wiedergeburt. Sie ist eine unausweichliche logische Schlußfolgerung, wenn in der Natur der Erde gleichzeitig ein evolutionäres Prinzip und die Wirklichkeit einer individuellen Seele besteht, die in die evolutionäre Natur hineingeboren wurde. Gibt es keine Seele, dann kann es eine mechanische Evolution ohne Notwendigkeit oder Bedeutung geben. Die Geburt ist dann nur ein Teil dieses eigenartigen, aber sinnlosen Mechanismus. Wenn das Individuum nur eine vorübergehende Gestaltung ist, die mit dem Körper anfängt und mit ihm endet, kann die Evolution ein Spiel der All-Seele oder des Kosmischen Seins sein, die durch eine Progression von höheren zu immer höheren Arten bis zu ihrer äußersten Möglichkeit in diesem Werden oder bis zu ihrem höchsten bewußten Prinzip emporsteigt. Eine Wiedergeburt existiert dann nicht und ist auch als Mechanismus dieser Evolution nicht erforderlich. Oder wenn sich das All-Sein in einer fortdauernden, jedoch illusorischen Individualität ausdrückt, wird die Wiedergeburt zu einer Möglichkeit oder zu einem illusorischen Faktum. Sie ist aber nicht evolutionär notwendig und kein spirituelles Bedürfnis, nur ein Mittel, um die Illusion zu betonen und bis zu ihrer äußersten Zeit-Grenze weiterzuführen. Gibt es eine individuelle Seele, einen purusha, der nicht vom Körper abhängig ist, sondern ihn nur für seinen Zweck bewohnt und verwendet, dann fängt Wiedergeburt an, etwas Mögliches zu werden. Sie ist aber keine Notwendigkeit, wenn es keine Evolution der Seele in der Natur gibt. Die Gegenwart einer individuellen Seele in einem individuellen Körper könnte ein vorübergehendes Phänomen sein, eine vereinzelte Erfahrung, ohne hier eine Vergangenheit oder eine Zukunft zu haben. Ihre Vergangenheit und ihre Zukunft könnten sonstwo sein. Gibt es aber eine Evolution des Bewußtseins in einem evolutionären Körper und eine Seele, die diesen Körper bewohnt, also ein wirkliches und bewußtes Individuum, dann ist evident, daß die progressive Erfahrung dieser Seele in der Natur die Form dieser Evolution des Bewußtseins verwendet: Wiedergeburt ist dann selbstverständlich und ein notwendiger Teil, der einzig mögliche Mechanismus einer solchen Evolution. Sie ist ebenso notwendig wie die Geburt selbst. Denn ohne sie wäre die Geburt ein anfänglicher Schritt, ohne daß eine Konsequenz auf ihn folgt. Sie wäre das Antreten einer Reise, ohne daß man sie fortsetzt und ohne daß man am Ziel ankommt. Die Wiedergeburt gibt der Geburt eines unvollkommenen Wesens in einem Körper ihre Verheißung, daß es zu seiner vollkommenen Erfüllung gelangt und seine spirituelle Bedeutung verwirklicht.

Kapitel XXI. Die Ordnung der Welten

Sieben sind es dieser Welten, in denen sich die Lebens-Kräfte bewegen, die verborgen sind in dem geheimen Herzen als in ihrer Wohnstätte, sieben mal sieben.

Mundaka Upanishad, II. 1.8.

Mögen die Völker der fünf Geburten mein Opfer annehmen, diese, die aus dem Licht geboren und der Verehrung würdig sind. Möge die Erde uns vor irdisch Bösem beschützen und die Mittel-Region vor dem Unheil vonseiten der Götter. Folge dem leuchtenden Faden, der quer durch die Mittel-Welt gesponnen ist! Schütze die leuchtenden Pfade, die durch das Denken erbaut sind! Webe ein unzerstörbares Werk, werde zum menschlichen Wesen, erschaffe die göttliche Rasse.. ! Seher der Wahrheit seid ihr, schärft die leuchtenden Speere, mit denen ihr den Weg zu dem bahnt, das unsterblich ist. Die ihr die geheimsten Ebenen kennt, gestaltet sie, die Stufen, durch die die Götter die Unsterblichkeit erlangten.

Rig Veda, X. 53.5,6,10.

Dies ist der ewige Baum mit seiner Wurzel oben und seinen Zweigen nach unten. Dies ist brahman, dies ist das Unsterbliche. In ihm sind alle Welten enthalten, und keine geht über es hinaus. Dieses und Jenes sind eins.

Katha Upanishad, VI, 1.

Erkennt man eine spirituelle Evolution des Bewußtseins in der materiellen Welt und eine ständige oder wiederholte Wiedergeburt des Individuums in einem irdischen Körper an, dann erhebt sich die nächste Frage, ob diese evolutionäre Bewegung etwas Gesondertes und in sich Vollständiges oder ob sie Teil einer umfassenderen universalen Ganzheit ist, von der die materielle Welt nur eine Provinz darstellt. Die Antwort auf diese Frage ist schon in den Abstufungen der Involution enthalten, die der Evolution vorausgehen und sie ermöglichen. Wenn dieses Vorausgehen eine Tatsache ist, muß es Welten oder zumindest Ebenen eines höheren Wesens geben. Diese müssen eine gewisse Verbindung mit der Evolution haben, die durch ihr Dasein ermöglicht wurde. Mag sein, daß sie nichts mehr für uns tun können, als daß sie durch ihre effektive Gegenwart oder durch ihren Druck auf das Erdenbewußtsein die involvierten Prinzipien von Leben, Mental und Geist befreien und befähigen, sich zu offenbaren und ihre Herrschaft in der materiellen Natur durchzusetzen. Es wäre aber im höchsten Grad unwahrscheinlich, daß die Verbindung und Einwirkung hier aufhören würde. Wahrscheinlich besteht ein anhaltender, wenn auch verhüllter Verkehr zwischen dem materiellen Leben und dem Leben auf anderen Ebenen des Seins. Wir müssen also nun in dieses Problem tieferen Einblick gewinnen, es an sich selbst betrachten und die Art und Grenzen dieser Verbindung und dieses gegenseitigen Verkehrs insofern bestimmen, als das die Theorie der Evolution und der Wiedergeburt in der materiellen Natur betrifft.

Das Herabkommen der Seele in die Unwissenheit kann man sich vorstellen als einen plötzlichen Sturz oder den unmittelbaren Fall eines reinen spirituellen Wesens aus der überbewußten spirituellen Wirklichkeit in die anfängliche Unbewußtheit und das daraus folgende sich entwickelnde phänomenale Leben der materiellen Natur. Wäre das so, dann könnte es oben das Absolute geben und unten das Unbewußte mit der aus ihm erschaffenen materiellen Welt. Das Ziel, die Rückkehr, würde dann ein ähnlich abrupter oder überstürzter Übergang aus einem materiellen verkörperten Welt-Wesen in das transzendente Schweigen sein. Es gäbe keine anderen Zwischenmächte oder Wirklichkeiten als Materie und Geist, keine anderen Ebenen als die materielle, keine anderen Welten als die Welt der Materie. Diese Vorstellung ist aber eine zu scharf trennende und vereinfachte Konstruktion und kann sich nicht gegen eine umfassendere Anschauung von der komplexen Natur des Seins behaupten.

Zweifellos sind mehrere Theorien über den Ursprung des kosmischen Seins möglich, nach denen es vorstellbar ist, daß ein solches extremes und starres Verhältnis zwischen den Welt-Kräften zustande kam. In einem All-Willen könnte ein Grundgesetz dieser Art und ein entsprechendes Gebot vorhanden gewesen sein. Oder die Seele könnte eine Idee dieser Art gehabt und sich einem ichhaften materiellen Leben der Unwissenheit zugewandt haben. Man könnte auch annehmen, die ewige individuelle Seele sei durch ein in ihrem Innern aufkommendes unerklärliches Begehren dazu gedrängt worden, das Abenteuer der Finsternis zu suchen. Sie habe sich aus ihrem ureigenen Licht in die Tiefen einer Nichtbewußtheit hinabgestürzt, woraus dann diese Welt der Unwissenheit entstanden sei. Oder die Vielen, also ein Kollektiv von Seelen, sei hierzu veranlaßt worden. Denn ein individuelles Wesen kann keinen Kosmos bilden. Ein Kosmos muß entweder apersonal oder multipersonal sein oder Schöpfung oder Selbst-Ausdruck eines universalen oder unendlichen Wesens. Dieses Begehren könnte eine All-Seele mit sich heruntergezogen haben, um mit dieser eine Welt aufzubauen, die auf die Macht der Unbewußtheit gegründet ist. Wenn das nicht der Fall ist, könnte die ewig allwissende All-Seele selbst abrupt ihr Selbst-Wissen in jene Finsternis der Unbewußtheit hinabgestürzt und die individuellen Seelen mitgenommen haben, damit sie durch eine aufsteigende Stufenfolge von Leben und Bewußtsein ihre Evolution nach oben beginnen. Wenn aber das Individuum nicht präexistent ist, wenn wir nur eine Schöpfung des All-Bewußtseins oder ein Trug der phänomenalen Unwissenheit sind, könnte jede dieser schöpferischen Mächte die Myriaden individueller Wesen durch die Evolution von Namen und Formen aus einer ursprünglichen unterschiedslosen prakriti erzeugt haben. Die Seele wäre dann ein vergängliches Produkt des unterschiedslosen Stoffs einer unbewußten Kraft-Substanz, der ersten Erscheinungsform der Dinge im materiellen Universum.

Aufgrund dieser Annahme oder einer von ihnen könnte es nur zwei Ebenen des Seins geben: Auf der einen Seite das materielle Universum, das aus dem Unbewußten durch die blinde Nichtbewußtheit einer Kraft oder Natur erschaffen wurde, die vielleicht einem inneren, nicht von ihr gefühlten Selbst gehorcht, das seine schlafwandlerischen Wirkweisen lenkt. Auf der anderen Seite gibt es das überbewußte Eine, zu dem wir aus der Unbewußtheit und Unwissenheit zurückkehren. Wir können uns aber auch vorstellen, es gebe nur eine einzige Ebene, das materielle Dasein. Es gebe kein von der Seele des materiellen Universums getrenntes Überbewußtes. Finden wir aber, es gibt noch andere Ebenen des bewußten Wesens und es existieren bereits andere Welten als das materielle Universum, so könnte es schwer fallen, diese Ideen durch Tatsachen zu beweisen. Einer solchen Verneinung könnten wir etwa durch die Annahme entgehen, diese Welten seien erst nachträglich durch die sich entwickelnde Seele oder für sie im Laufe ihres Aufstiegs aus der Unbewußtheit heraus geschaffen worden. Bei jeder dieser Anschauungen wäre der ganze Kosmos eine Evolution aus dem Unbewußten, wobei entweder das materielle Universum ihre einzige und ausreichende Bühne und Szenerie wäre, oder eine aufsteigende Stufenreihe von Welten existiert, von denen sich die eine aus der anderen entwickelt und uns hilft, unsere Rückkehr zur ursprünglichen Wirklichkeit auf diesen Stufen zu vollziehen. Unserer eigenen Auffassung nach war der Kosmos eine vom überbewußten saccidananda selbstgeschaffene stufenweise Entwicklung. Bei diesen Theorien wäre er nichts als eine Entwicklung der Unbewußtheit zu einer Art von Wissen, das ausreicht, durch Vernichtung ursprünglicher Unwissenheit oder eines diese verursachenden Begehrens die Mißgeburt von Seele auszulöschen und dem irrigen Welt-Abenteuer zu entkommen.

Solche Theorien setzen aber entweder eine hervorragende Bedeutung und verursachende Macht des Mentals voraus oder eine hervorragende Bedeutung des individuellen Wesens. Beide nehmen gewiß einen wichtigen Platz ein, jedoch ist der ewige Geist die ursprüngliche Macht und das ursprüngliche Sein. Die begrifflich-schöpferische Idee – nicht die Real-Idee, das Seiende, dessen bewußt, was in ihm selbst ist, und automatisch selbst-schöpferisch durch die Kraft dieser Wahrheits-Bewußtheit – ist eine Bewegung des Mentals. Begehren ist eine Regung von Leben im Mental. Leben und Mental müßten dann präexistente Mächte sein und wären die bestimmenden Faktoren bei der Erschaffung der materiellen Welt gewesen. In diesem Fall könnten sie in gleicher Weise auch ihre eigene supraphysische Natur erschaffen. Oder wir müßten annehmen, daß die bewirkende Macht nicht das Begehren in einem Individuum oder in einem universalen Mental oder Leben gewesen ist, sondern ein Wille im Geist, ein Wille des Seienden, der etwas von sich selbst oder von seinem Bewußtsein entfaltete: eine schöpferische Idee oder ein Selbst-Wissen oder ein Drängen seiner selbst-aktiven Kraft oder eine Tendenz zu einer gewissen Formulierung seiner Daseins-Freude. Ist aber die Welt nicht geschaffen worden durch die universale Seins-Seligkeit, sondern zur Befriedigung des Begehrens der individuellen Seele, für ihre Laune eines unwissenden egoistischen Genießens, dann wäre das mentale Individuum Schöpfer und Zeuge des Universums, nicht aber das Kosmische Wesen oder eine Transzendente Gottheit. In der hinter uns liegenden Entwicklung menschlichen Denkens hat sich das individuelle Wesen immer mehr zu einer außerordentlich wichtigen Rolle im Plan der Dinge vorgedrängt und im höchsten Grade an Bedeutung gewonnen. Würden sich diese Proportionen weiter durchsetzen, wäre es denkbar, ihm die Urheberschaft zuzugestehen. Denn ein Wille zum Leben der Unwissenheit oder eine Zustimmung dazu im individuellen purusha muß sicherlich ein Teil der wirksamen Aktivität des Bewußtseins beim involutionären Niederkommen des Geistes in die materielle Natur sein. Die Welt kann aber keine Schöpfung des individuellen Mentals sein oder eine Bühne, die es ausschließlich für sein eigenes Bewußtseins-Spiel errichtet hat. Auch kann sie nicht allein für das Spiel, die Befriedigung oder Enttäuschung des Ichs erschaffen worden sein. Sobald wir zu dem Empfinden erwachen, daß das Universale das Vordringliche ist und wie sehr das Individuum von ihm abhängt, wird eine solche Theorie für unsere Intelligenz unmöglich. Die Welt ist in ihren Abläufen viel zu gewaltig, als daß eine solche Auffassung von ihren Wirkkräften glaubwürdig wäre. Nur eine kosmische Macht oder ein kosmisches Wesen kann der Schöpfer und Erhalter des Kosmos sein. Und dieser Kosmos muß auch eine kosmische Wirklichkeit, Bedeutung und Zielsetzung haben, nicht nur eine individuelle.

Folgerichtig müßte ein solches Individuum, das die Welt erschuf oder daran teilnahm, mit seinem Begehren oder seiner Zustimmung zur Unwissenheit schon wach gewesen sein, bevor die Welt überhaupt existierte. Es müßte als ein Element in irgendeinem suprakosmischen Überbewußten dagewesen sein, aus dem es herkommt und zu dem es aus diesem Leben des Ichs wieder zurückkehrt: Wir müßten von einer ursprünglichen Immanenz der Vielen in dem Einen ausgehen. So wäre es begreiflich, daß sich in einem Unendlichen jenseits der Welt in einigen der Vielen ein Wille oder ein Drang oder ein spirituelles Bedürfnis danach geregt haben könnte, sich hinabzustürzen und die Erschaffung dieser Welt der Unwissenheit zu erzwingen. Da aber der Eine die grundlegende Tatsache des Seins ist und da die Vielen von dem Einen abhängen und Seelen des Einen, Wesen seines Wesens sind, muß diese Wahrheit auch das Fundamental-Prinzip des kosmischen Seins bestimmen. Daraus erkennen wir, daß das Universale dem Individuellen vorausgeht, ihm sein Wirkungsfeld anweist und das ist, in dem das Individuelle kosmisch existiert, obwohl sein Ursprung in der Transzendenz liegt. Die individuelle Seele lebt hier durch die All-Seele und hängt von ihr ab. Ganz eindeutig existiert die All-Seele nicht durch die individuelle Seele und hängt auch nicht von ihr ab. Sie ist nicht die Summe der individuellen Wesen und keine pluralistische Ganzheit, die durch das bewußte Leben von Individuen erschaffen wird. Wenn eine All-Seele existiert, muß sie der Eine Kosmische Geist sein, der die Eine Kosmische Kraft in ihrem Wirken unterstützt. Sie wiederholt hier, abgewandelt in die Begriffe des kosmischen Daseins, die ursprüngliche Beziehung der Abhängigkeit der Vielen von dem Einen. Es ist unvorstellbar, daß die Vielen in einer Unabhängigkeit von dem Einen Willen oder durch eine Lostrennung von ihm ein Dasein im Kosmos begehrt und durch ihr Begehren das erhabene saccidananda gezwungen haben sollten, gegen seinen Willen oder mit zustimmender Duldung in die Nichtbewußtheit herabzukommen. Das würde bedeuten, daß man die wahre Abhängigkeit der Dinge voneinander in ihr Gegenteil verkehrt. Hätte die Welt ihren Ursprung unmittelbar im Willen oder im spirituellen Drang der Vielen gehabt – was möglich und sogar in gewissem Sinn denkbar ist –, dann müßte es zuerst einen auf dieses Ziel gerichteten Willen in saccidananda gegeben haben. Sonst könnte der Drang – der in dieser Welt den All-Willen in Begehren übersetzt, denn das, was im Ich zum Begehren wird, ist Wille im Geist – nirgendwo entstanden sein. Zuerst muß der Eine, die All-Seele, durch die allein das Bewußtsein des Individuums bestimmt wird, die Verhüllung durch die unbewußte Natur angenommen haben, bevor auch das Individuum den Schleier der Unwissenheit im materiellen Universum annehmen kann.

Haben wir aber einmal diesen Willen des höchsten und kosmischen Wesens als die unentbehrliche Voraussetzung für das Dasein des materiellen Universums anerkannt, dann ist es nicht mehr möglich, das Begehren als ein schöpferisches Prinzip zu akzeptieren. Denn das Begehren hat keinen Raum im Höchsten oder im All-Seienden. Dieses kann ja nach nichts ein Begehren haben. Begehren rührt daher, daß etwas unvollständig oder nicht ausreichend vorhanden ist, daß der Mensch etwas nicht besitzt oder genießt und dieses sucht, um es zu besitzen oder sich daran zu erfreuen. Ein höchstes und universales Wesen kann von der Seligkeit über sein All-Sein erfüllt sein. Für solche Wonne muß Begehren etwas Fremdes sein, es kann nur zur Mitgift des vollkommenen evolutionären Ichs gehören, das ein Erzeugnis des kosmischen Wirkens ist. Wenn überdies das All-Bewußtsein des Geistes den Willen hatte, sich in die Unbewußtheit der Materie hinabzustürzen, muß das geschehen sein, weil es dadurch die Möglichkeit zu seiner Selbst-Erschaffung oder Manifestation bekam. Es kann aber nicht die alleinige und begrenzte Möglichkeit der Manifestation des All-Wesens sein, allein nur ein materielles Universum und eine Evolution aus der Unbewußtheit in ein spirituelles Bewußtsein zu erschaffen. Das könnte nur der Fall sein, wenn Materie die ursprüngliche Macht und Form des manifestierten Wesens wäre und der Geist keine andere Wahl hätte und sich allein durch die Unbewußtheit in die Materie hinein als Basis offenbar machen könnte. Das würde aber zu einem materialistischen evolutionären Pantheismus führen. Wir müßten dann die Wesen, die das Universum bevölkern, als Seelen des Einen ansehen, als Seelen, die hier in Ihm geboren werden und sich durch unbelebte, belebte und mental entwickelte Gestaltungen hinaufentwickeln müssen, bis sie ihr vollkommenes und unzerteiltes Leben in dem überbewußten pantheos erlangen. Schließlich würde dann dessen kosmisches Einssein als Ende und Ziel ihrer Evolution eingreifen. In diesem Fall hat sich alles nur hier entwickelt. Leben, Mental und Seele sind aus dem Einen im materiellen Universum durch die Kraft seines verborgenen Wesens entstanden. Alles wird sich hier im materiellen Universum erfüllen. Dann gibt es keine besondere Ebene der Überbewußtheit; denn das Überbewußte ist nur hier, nicht anderswo. Dann gibt es keine supraphysischen Welten. Es gibt kein Wirken supraphysischer Prinzipien außerhalb der Materie und keinen Druck eines bereits vorhandenen Mentals und Lebens auf die materielle Ebene.

Man hat gefragt, was Mental und Leben seien. Darauf könnte man antworten, sie seien Produkte der Materie oder von Energie in der Materie. Sie könnten auch Gestaltungen von Bewußtsein sein, die als Ergebnis einer Entwicklung von der Unbewußtheit zur Überbewußtheit aufsteigen: Bewußtsein selbst sei nur eine Brücke, ein Übergang. Es sei Geist, der teilweise seiner selbst bewußt wird, bevor er sich in die für ihn normale Trance erleuchteter Überbewußtheit versenkt. Selbst wenn bewiesen wäre, daß es Ebenen eines umfassenderen Lebens und Mentals gibt, so wären sie nur subjektive Konstruktionen dieses vermittelnden Bewußtseins, errichtet auf dem Weg zu jener spirituellen höchsten Erfüllung. Aber die Schwierigkeit liegt darin, daß Mental und Leben zu verschieden von der Materie sind, als daß sie Produkte der Materie sein könnten. Materie selbst ist ein Produkt von Energie; so müssen Mental und Leben als höhere Produkte der gleichen Energie angesehen werden. Wenn wir die Existenz eines kosmischen Geistes anerkennen, muß die Energie spirituell sein. Leben und Mental müssen unabhängige Produkte einer spirituellen Energie und selbst Mächte der Offenbarung des Geistes sein. Dann ist es unvernünftig, anzunehmen, Geist und Materie existierten allein, sie seien zwei sich konfrontierende Wirklichkeiten; Materie sei die einzig mögliche Basis für die Manifestation von Geist. Zugleich wird auch die Vorstellung unhaltbar, es gebe nur eine einzige materielle Welt. Geist muß fähig sein, seine Manifestation auf das Mental-Prinzip oder auf das Lebens-Prinzip zu gründen, nicht nur auf das Prinzip von Materie. Dann könnten und sollten auch logischerweise Welten von Mental und Welten von Leben existieren. Es mag sogar Welten geben, die auf ein mehr subtiles, formbares und bewußtes Prinzip von Materie gegründet sind.

Nun erheben sich drei Fragen, die in Beziehung zueinander stehen oder voneinander abhängig sind: Gibt es einen Beweis oder eine begründete Vermutung für die Existenz solcher anderen Welten? Sind sie, falls sie existieren, von der schon angedeuteten Art, daß sie innerhalb der Ordnung oder innerhalb des Grundprinzips einer hierarchischen Reihenfolge zwischen Materie und Geist emporsteigen oder herabkommen? Sind sie, wenn das die Skala ihres Wesens ist, sonst ganz unabhängig und nicht miteinander verknüpft, oder gibt es eine Beziehung der höheren Welten zur Welt der Materie und gegenseitige Einwirkung mit ihr? Es ist eine Tatsache, daß die Menschheit fast seit dem Anfang ihres Daseins, soweit man in der Geschichte oder Überlieferung zurückgehen kann, an das Dasein anderer Welten und an die Möglichkeit einer Kommunikation ihrer Mächte und Wesen mit der menschlichen Rasse geglaubt hat. In der letzten rationalistischen Periode menschlichen Denkens, aus der wir herkommen, ist diese Annahme als uralter Aberglaube beiseite geschoben worden. Man hat a priori jedes Zeugnis und alle Hinweise auf seine Wahrheit als grundsätzlich falsch zurückgewiesen. Sie bedürften keiner Erforschung, da sie unvereinbar seien mit der unumstößlichen Wahrheit, daß nur die Materie, die materielle Welt und ihre Erfahrungen wirklich seien. Bei jeder anderen Erfahrung, die vorgebe, wirklich zu sein, müsse es sich entweder um Halluzination, Betrug oder das subjektive Ergebnis abergläubischer Leichtgläubigkeit und Phantasie handeln. Gäbe es aber doch solche Tatsachen, dann seien sie etwas ganz anderes, als sie zu sein behaupten, und durch eine physische Ursache zu erklären. Man dürfe ein solches Faktum erst dann als bezeugt akzeptieren, wenn es seiner Art nach objektiv und physisch sei. Selbst wenn es offensichtlich supraphysischer Art wäre, könne es als solches nur dann anerkannt werden, wenn es durch jede andere denkbare Hypothese oder sonstige Mutmaßung völlig unerklärlich bleibe.

Es sollte einleuchten, daß diese Forderung nach einem physisch gültigen Beweis für ein supraphysisches Faktum unvernünftig und unlogisch ist. Es ist eine unsachliche Haltung des physischen Mentals, wenn es annimmt, nur das Objektive und Physische sei fundamental wirklich, und alles andere als rein subjektiv beiseite schiebt. Eine supraphysische Tatsache kann auf die physische Welt einwirken und physische Ergebnisse hervorrufen. Sie kann sogar eine Wirkung auf unsere physischen Sinne ausüben und diesen wahrnehmbar werden. Das kann aber nicht ihre unveränderliche Art und besonders charakteristisch für ihr normales Verfahren sein. Gewöhnlich muß das Supraphysische eine unmittelbare Wirkung oder einen greifbaren Eindruck auf unser Mental und unser Lebens-Wesen ausüben. Denn diese unsere Seiten gehören derselben Ordnung an wie es selbst. Es kann aber, wenn überhaupt, nur mittelbar und durch sie die physische Welt und das physische Leben beeinflussen. Wenn es sich objektiv macht, muß das gegenüber einem subtileren Sinn in uns und nur in abgeleiteter Weise den äußeren physischen Sinnen gegenüber geschehen. Diese abgeleitete Objektivierung ist gewiß möglich. Nur dann, wenn es zu einer engen Verbindung des Wirkens des subtilen Körpers und seiner Sinnen-Organisation mit dem Wirken des physischen Körpers und seiner physischen Organe kommt, kann das Supraphysische äußerlich für uns wahrnehmbar werden. Das geschieht etwa bei der Begabung, die man das Zweite Gesicht nennt. Das ist der Vorgang bei all den physischen Phänomenen, die man scheinbar mit den äußeren Sinnen sieht oder hört und die nicht im Innern durch die repräsentativen oder interpretierenden oder symbolischen Bilder wahrgenommen werden, die den Stempel innerer Erfahrung oder offenkundig den Charakter von Gestaltungen in einer subtilen Substanz tragen. Es kann also verschiedene Arten von Beweis für das Dasein anderer Ebenen des Seienden und für die Kommunikation mit ihnen geben: Objektivierung den äußeren Sinnen gegenüber, Kontakte durch die subtilen Sinne, Kontakte durch das Mental und das Leben, Kontakte durch das Subliminal in besonderen Bewußtseins-Zuständen, die über unseren gewöhnlichen Bereich hinausgehen. Unser physisches Mental ist nicht das Ganze und auch nicht die beste oder höchste Seite unseres Wesens, obwohl es fast das Ganze unseres vordergründigen Bewußtseins beherrscht. Die Wirklichkeit läßt sich nicht auf einen Bereich von solcher Enge oder auf die Dimensionen begrenzen, die innerhalb seines starren Umkreises bekannt sind.

Man mag zustimmen, wenn gesagt wird, subjektive Erfahrung oder subtil-sinnliche Bilder können leicht trügerisch sein, da wir keine anerkannte Methode, keinen Maßstab für den Erweis ihrer Wahrheit besitzen und eine zu starke Tendenz haben, das Außerordentliche und Mirakelhafte oder das Übernatürliche für bare Münze zu nehmen: Zu irren ist aber nicht nur ein Privileg der subjektiven oder subliminalen Seiten in uns, es ist auch eine Mitgift des physischen Mentals und seiner objektiven Methoden und Maßstäbe. Eine solche Anfälligkeit für Irrtum darf aber kein Grund dafür sein, einen weiten und wichtigen Bereich der Erfahrung auszuschließen. Es ist eher ein Grund dafür, solche Erfahrungen zu erforschen und in ihnen die wahren Maßstäbe und die für sie charakteristischen geeigneten und gültigen Mittel zu finden, ihre Wahrheit nachzuprüfen. Unser subjektives Wesen ist die Grundlage für unsere objektive Erfahrung. Es ist nicht wahrscheinlich, daß nur seine physischen Objektivierungen wahr sind und alles übrige unzuverlässig ist. Wenn man das subliminale Bewußtsein richtig befragt, bezeugt es die Wahrheit, und seine Bekundung wird immer wieder, sogar im physischen und objektiven Bereich, bestätigt. Dieses Zeugnis darf man gerade dann nicht mißachten, wenn es unsere Aufmerksamkeit für Dinge in unserem Innern oder für solche fordert, die zu Ebenen oder Welten einer supraphysischen Erfahrung gehören. Andererseits ist aber das Fürwahrhalten kein Beweis für die Wirklichkeit. Sie muß auf etwas beruhen, das mehr Gültigkeit hat, bevor wir sie annehmen dürfen. Sicherlich sind Überzeugungen vergangener Zeiten keine ausreichende Grundlage für die Erkenntnis, obwohl man sie auch nicht völlig mißachten soll: Denn ein Fürwahrhalten ist eine mentale Konstruktion und kann ein falsches Gebäude sein. Oft kann es aber die Antwort auf eine innere Ahnung sein und hat dann seinen Wert. Zumeist entstellt es aber diese Ahnung, gewöhnlich dadurch, daß es sie in Begriffe überträgt, die unserer physischen und objektiven Erfahrung vertraut sind. Das geschieht etwa dadurch, daß diese Überzeugung die Hierarchie der Ebenen in eine physische Hierarchie oder in eine geographische Raum-Ausdehnung verwandelte, die selteneren Höhen der subtilen Substanz in materielle Höhen verkehrte und den Sitz der Götter auf die Gipfel physischer Berge verlegte. Alle Wahrheit, die supraphysische oder die physische, darf sich nicht allein auf ein mentales Fürwahrhalten, sondern muß sich auf eine Erfahrung gründen. In jedem Fall muß die Erfahrung, ob physisch, subliminal oder spirituell, von der Art sein, die der Ordnung der Wahrheiten angemessen ist, in die einzutreten wir Vollmacht bekommen haben. Ihre Gültigkeit und Bedeutung darf nur im Einklang mit ihrem eigenen Gesetz und von einem Bewußtsein erforscht werden, das in sie eindringen kann, nicht aber nach dem Gesetz eines anderen Bereiches oder von einem Bewußtsein, das nur aufnahmefähig ist für die Wahrheiten einer anderen Ordnung. Nur so können wir unserer Schritte sicher sein und den Umfang unseres Wissens kraftvoll erweitern.

Erforschen wir die Ahnungen von supra-physischen Welt-Wirklichkeiten, die wir in unserer inneren Erfahrung empfangen, vergleichen wir sie mit dem Bericht über solche Ahnungen, der seit dem Anfang menschlicher Erkenntnis ständig auf uns gekommen ist, und versuchen wir dann eine Deutung und eine summarische Ordnung, so finden wir, daß uns durch diese innere Erfahrung besonders eindringlich mitgeteilt wird die Existenz und Einwirkung auf uns von Ebenen des Seienden und des Bewußtseins, die umfassender sind als die rein materielle Ebene mit ihrem beschränkten Dasein und Wirken, deren wir in unserer engen irdischen Formel gewahr werden. Diese Bereiche eines umfassenderen Wesens sind von unserem Wesen und Bewußtsein durchaus nicht fern und getrennt. Denn wenn sie auch in sich selbst ruhen und ihr eigenes Kräftespiel, den Ablauf und die Formulierungen ihres Daseins und ihrer Erfahrung besitzen, durchdringen sie doch zugleich auch die physische Ebene und umhüllen sie mit ihrer unsichtbaren Gegenwart und mit ihren Einflüssen. Ihre Mächte scheinen gerade hier in der materiellen Welt selbst hinter deren Wirken und Gegenständen zu stehen. In unserem Kontakt mit ihnen gibt es zwei hauptsächliche Ordnungen von Erfahrung. Die eine ist rein subjektiv, jedoch in ihrer Subjektivität lebendig und greifbar genug; die andere ist mehr objektiv. In der subjektiven Ordnung finden wir, daß das, was sich uns hier als eine Lebens-Absicht, ein Lebens-Impuls oder eine Lebens-Formulierung gestaltet, in einem umfassenderen, subtileren, plastischeren Bereich von Möglichkeiten bereits existiert und daß diese präexistenten Kräfte und Formulierungen einen Druck auf uns ausüben, um sich auch in der physischen Welt zu verwirklichen. Doch gelingt es nur einem Teil von ihnen, bis hierher durchzukommen, und auch das tritt zum Teil in einer Form und in Umständen hervor, die mehr zum System eines irdischen Gesetzes und Ablaufs passen. Dieses Eindringen in uns findet normalerweise statt, ohne daß wir davon Kenntnis nehmen. Wir gewahren das Wirken dieser Mächte, Kräfte und Einflüsse auf uns nicht. Vielmehr halten wir sie sogar dann für Gebilde unseres eigenen Lebens und Mentals, wenn unsere Vernunft oder unser Wille sie ablehnt und darum ringt, nicht von ihnen überwältigt zu werden. Gehen wir aber nach innen, weg von unserem beschränkten vordergründigen Bewußtsein und entfalten dadurch einen feineren Sinn und tiefere Bewußtheit, dann ahnen wir mehr und mehr den Ursprung dieser Bewegung und können ihr Wirken und ihren Prozeß beobachten, sie annehmen, zurückweisen oder verändern, ihnen Durchgang und Verwendung unseres Mentals und Willens, unseres Lebens und unserer Glieder erlauben oder verweigern. Zugleich werden wir auch umfassenderer Bereiche unseres Mentals, eines Kräftespiels inne, einer Erfahrung, einer Gestaltung größerer Formbarkeit, eines Wirbels aller möglichen mentalen Formulierungen. Wir fühlen ihre Kontakte, ihre Mächte und Einflüsse, die auf die mentalen Fähigkeiten in derselben okkulten Weise einwirken, wie jene anderen, die in den Bereichen unseres Vitals aktiv sind. Diese Art Erfahrung ist in erster Linie von rein subjektivem Charakter, ein Druck von Ideen, Suggestionen, emotionalen Erregungen, Impulsen auf die Sinne, auf unser Handeln und unsere dynamische Erfahrung. Wenn man auch einen großen Teil dieses Druckes auf unser eigenes subliminales Selbst oder auf die Angriffe von universalen Mental-Kräften zurückführen kann, die zu unserer eigenen Welt gehören, so gibt es doch hier ein Element, das den Stempel eines anderen Ursprungs trägt und mit seiner drängenden überirdischen Art auf uns einwirkt.

Diese Kontakte hören aber hier nicht auf. Denn es gibt auch ein Offensein unserer mentalen und Lebensbegabungen für einen weiten Bereich subjektiv-objektiver Erfahrungen, in denen sich diese Ebenen nicht mehr als Ausweitungen unseres subjektiven Wesens und Bewußtseins, sondern als Welten darstellen. Denn die Erfahrungen sind dort ebenso organisiert wie in unserer eigenen Welt, jedoch nach einem anderen Plan, mit einem anderen Prozeß und Gesetz des Wirkens und in einer Substanz, die einer supraphysischen Natur zugehört. Diese Organisation enthält, wie auf unserer Erde, das Dasein von Wesen, die Gestaltungen haben oder annehmen, sich offenbaren oder auf natürliche Weise in einer sie verkörpernden Substanz manifestiert sind. Das ist aber eine andere Substanz als die unsrige, eine subtile Substanz, eine supraphysische Form-Materie, die nur subtilen Sinnen erfaßbar ist. Diese Welten und Wesen haben vielleicht nichts mit uns selbst und mit unserem Leben zu tun; sie mögen keine Einwirkung auf uns ausüben. Oft treten sie aber auch in geheime Kommunikation mit dem Erden-Dasein, gehorchen kosmischen Mächten und Einflüssen oder verkörpern sie, von denen wir eine subjektive Erfahrung haben, sind deren Vermittler und Instrumente. Oder sie wirken selbst durch eigene Initiative auf Leben, Beweggründe und Ereignisse der irdischen Welt ein. Es ist möglich, daß wir von diesen Wesen Hilfe oder Führung, aber auch Schaden und Verführung empfangen. Es kann sogar vorkommen, daß man ihrem Einfluß unterworfen ist, besessen durch ihr Eindringen in uns oder ihre Herrschaft über uns, oder daß sie uns als Werkzeug für ihre gute oder böse Absicht verwenden. Zu Zeiten scheint der Fortschritt des irdischen Lebens ein gewaltiges Schlachtfeld zwischen den supraphysischen Kräften beider Art zu sein, derer, die danach streben, unsere Entwicklung nach oben oder den Selbst-Ausdruck der Seele im materiellen Universum emporzuheben, zu ermutigen und zu erleuchten, und derer, die sich bemühen, die Seele irrezuführen, zu unterdrücken, zu behindern oder gar zu zerschmettern. Einige dieser Wesen, Mächte oder Kräfte sind so, daß wir sie für göttlich halten. Sie sind voll von Licht, segensreich und machtvolle Helfer. Es gibt andere, gigantische und dämonische, die zu den Titanen gehören, mit Einflüssen wider alle Ordnung, oft die Anstifter oder Urheber von ungeheurem und schrecklichem inneren Aufruhr oder von Handlungen, die das normale menschliche Maß übersteigen. Auch hier mag man Einflüsse, Vergegenwärtigungen und Wesen wahrnehmen, die nicht zu anderen Welten jenseits von uns gehören, sondern hier als verborgene Elemente hinter der Verhüllung in der irdischen Natur aktiv sind. So wie ein Kontakt mit dem Supraphysischen möglich ist, so kann auch ein subjektiver oder objektiver, zumindest ein objektivierter, Kontakt zwischen unserem Bewußtsein und dem Bewußtsein anderer, früher einmal verkörpert gewesener Menschen stattfinden, die in einen supraphysischen Zustand, in jene anderen Bereiche des Seins hinübergegangen sind. Auch ist es möglich, daß man über einen subjektiven Kontakt oder eine subtil-sinnliche Wahrnehmung hinauskommt und in gewissen subliminalen Bewußtseins-Zuständen tatsächlich in andere Welten eingeht und etwas von ihren Geheimnissen erfährt. Diese mehr objektive Weise, andere Welten zu erfahren, hat die Phantasie der Menschen der Vergangenheit am meisten beschäftigt. Das wurde aber durch die populären Anschauungen in einer grob-objektivierten Darstellung wiedergegeben, die diese Phänomene unzulässig jenen der physischen Welt anglich, mit denen wir vertraut sind. Denn es ist eine normale Tendenz unseres Mentals, alles in Formen der Symbole umzuwandeln, die der eigenen Art und den Begriffen eigener Erfahrung angepaßt sind.

In den vergangenen Perioden der Menschheit ist das, in seinen allgemeinsten Begriffen ausgedrückt, stets die normale Reichweite und Art der Anschauung und Erfahrung von einer anderen Welt gewesen. Namen und Formen sind verschieden, doch die allgemeinen Grundzüge sind in allen Ländern und Zeiten einander überraschend ähnlich. Welchen genauen Wert sollen wir diesen beharrlich auftretenden Anschauungen oder dieser Masse von übernormalen Erfahrungen beimessen? Niemandem, der diese Kontakte innerlich unmittelbar und nicht nur durch verstreute abnorme Zufälligkeiten erfahren hat, ist es möglich, sie als reinen Aberglauben oder als Halluzination beiseite zu schieben. Denn ihr Druck ist zu beharrlich, wirklich, wirksam und organisch, sie werden ständig durch ihre Wirkung und ihre Ergebnisse zu sehr bestätigt, als daß man sie einfach unbeachtet lassen könnte. Es ist unerläßlich, diese Seite unserer Erfahrungskraft richtig einzuschätzen, zu deuten und mental zu organisieren.

Man könnte eine andere Erklärung vorbringen: Der Mensch selbst erschaffe die supraphysischen Welten, die er nach dem Tod bewohnt oder zu bewohnen meint, er erschaffe die Götter, wie ein altes Wort es ausdrückt, und es wird sogar behauptet, Gott selbst wurde vom Menschen erschaffen, er sei ein Mythos seines Bewußtseins und jetzt vom Menschen abgeschafft worden. So könnten auch alle diese Dinge eine Art Mythos des sich entwickelnden Bewußtseins sein, in dem es, Gefangener seiner eigenen Konstruktionen, wohnen könnte, um sich durch eine Art Realisierungskraft in seinen eigenen Phantasien festzuhalten. Sie sind aber keine Phantasien, sie können von uns nur so lange als solche behandelt werden, wie die Dinge, die sie repräsentieren, noch nicht zu einem, wenn auch ungenauen, Teil unserer eigenen Erfahrung geworden sind. Aber es ließe sich denken, daß sie Mythen und Phantasien sind, die von der Macht der schöpferischen Bewußtseins-Kraft verwendet werden, um deren Ideen und Kräfte zu materialisieren. Diese machtvollen Bilder könnten Form und Körper annehmen, in einer subtil-materialisierten Welt des Denkens Bestand haben und auf ihren Schöpfer zurückwirken. Wenn das so wäre, könnten wir annehmen, jene anderen Welten seien auch nur Konstruktionen dieser Art. Wäre das aber so und könnte ein subjektives Bewußtsein auf diese Weise Welten und Wesen erschaffen, dann könnte sehr wohl auch die objektive Welt ein Mythos des Bewußtseins oder sogar unseres Bewußtseins sein, oder das Bewußtsein selbst wäre ein Mythos der ursprünglichen Nichtbewußtheit. So kehren wir bei einer solchen Wendung unseres Denkens zurück zu einer Betrachtung des Universums, in der alle Dinge eine gewisse Färbung von Unwirklichkeit annehmen, von der nur jene all-produktive Unbewußtheit ausgenommen ist, aus der sie erschaffen sind, ferner jene Unwissenheit, die sie erschafft, und vielleicht noch ein überbewußtes apersonales Wesen, in dessen völlige Indifferenz alles zuletzt verschwindet, zurückkehrt und aufhört.

Wir haben aber keinen Beweis, und es besteht auch keine Wahrscheinlichkeit dafür, daß das Mental des Menschen auf diese Weise dort eine Welt erschaffen könnte, wo vorher keine war, also in vacuo, ohne eine Substanz, um darin oder darauf etwas aufzubauen, obwohl es gut sein könnte, einer bereits fertigen Welt etwas hinzuzufügen. Das Mental ist in der Tat ein machtvoller Bewirker, ein mächtigerer, als wir es uns gern vorstellen. Es kann Formen bilden, die sich in unserem eigenen Bewußtsein und Leben oder in dem anderer auswirken und sogar eine Wirkung auf die unbewußte Materie ausüben. Eine völlig ursprüngliche Erschaffung im Leeren liegt jedoch jenseits seiner Möglichkeiten. Wir können eher die Vermutung wagen, daß das Mental des Menschen bei seinem Wachsen in Beziehung zu neuen Bereichen des Wesens und Bewußtseins tritt, die keineswegs von ihm erschaffen wurden, für es neu und bereits im All-Sein präexistent sind. Mit seiner wachsenden inneren Erfahrung eröffnet sich der Mensch neue Bereiche in sich selbst. Sobald die verborgenen Zentren seines Bewußtseins ihre Verschlüsse öffnen, kann er durch sie jene umfassenderen Gebiete begreifen, unmittelbare Einflüsse von ihnen empfangen, in sie eingehen und sie sich in seinem irdischen Mental und den inneren Sinnen vorstellen. Er erschafft nun wirklich von ihnen Bilder, Symbol-Formen, reflektive Gestaltungen, mit denen sein Mental umgehen kann. Nur in diesem Sinn erschafft er das Bild Gottes, das er anbetet, die Gestalten der Götter, die neuen Ebenen und Weiten in seinem Innern. Durch diese Abbildungen können die wirklichen Welten und Mächte, die hoch über unserem Dasein walten, das Bewußtsein der physischen Welt in ihren Besitz nehmen, ihre machtvollen Möglichkeiten in es einströmen lassen und es mit dem Licht ihres höheren Wesens umgestalten. Das alles ist jedoch keine Erschaffung der höheren Welten des Seienden. Vielmehr offenbaren diese sich dem Bewußtsein der Seele auf der materiellen Ebene, sobald sich diese aus der Nichtbewußtheit entwickelt hat. Ihre Gestaltungen werden hier dadurch erschaffen, daß die Seele ihre Mächte empfängt. Unser subjektives Leben auf der hiesigen Ebene wird dadurch ausgeweitet, daß es seine wahre Beziehung zu höheren Ebenen seines eigenen Wesens entdeckt, von denen es durch die Verhüllung der materiellen Nichtbewußtheit getrennt war. Diese Verhüllung existiert deshalb, weil die Seele im Körper die höheren Möglichkeiten hintangestellt hat, um ihr Bewußtsein und ihre Kraft ausschließlich auf ihr vordringliches Wirken in der physischen Welt des Seienden konzentrieren zu können. Dieses anfängliche Wirken kann aber nur dadurch seine Fortsetzung finden, daß die Verhüllung, wenigstens teilweise, aufgehoben oder sonstwie durchsichtig wird, so daß die höheren Ebenen von Mental, Leben und Geist ihre Bedeutung in das menschliche Dasein einströmen lassen können.

Die Annahme ist möglich, diese höheren Ebenen und Welten seien erst nach der Manifestation des materiellen Kosmos erschaffen worden, um dessen Evolution zu unterstützen, oder in gewissem Sinne als deren Resultat. Eine solche Auffassung könnte das physische Mental, das bei all seinen Vorstellungen von dem materiellen Universum als derjenigen Sache ausgeht, die es kennt, analysiert hat und mit der es fast meisterhaft umgehen kann, leicht anzunehmen geneigt sein, wenn es sich gezwungen sieht, ein supraphysisches Dasein anzuerkennen. Es könnte dann das Materielle, die Unbewußtheit, als Ausgangspunkt und Stütze alles Seienden beibehalten, da es zweifellos für uns der Ausgangspunkt der evolutionären Bewegung ist, deren Szenerie die materielle Welt bildet. Unser Mental könnte Materie und materielle Kraft noch als Anfang alles Daseins beibehalten, die es deshalb so anerkennt und bevorzugt, weil sie das erste sind, was es kennt, und das einzige, das immer mit Sicherheit gegenwärtig und erkennbar ist, und es könnte das Spirituelle und das Supraphysische für abhängig von ihrer gesicherten Grundlage in der Materie halten.20 Wie wurden aber dann diese Welten erschaffen, durch welche Kräfte und durch welche Instrumentation? Es könnte sein, daß Leben und Mental bei ihrer Entfaltung aus dem Unbewußten auch diese anderen Welten oder Ebenen im subliminalen Bewußtsein der lebenden Wesen entwickelt haben, die in ihm in Erscheinung treten. Für das subliminale Wesen könnten im Leben und nach dem Tod – denn das innere Wesen überlebt den Tod des Körpers – diese Welten deshalb wirklich sein, weil sie seinem umfassenderen Bewußtseins-Bereich fühlbar sind. Es könnte sich in ihnen mit dem vielleicht abgeleiteten, jedoch überzeugenden Empfinden ihrer Wirklichkeit bewegen und seine Erfahrung von ihnen als ein Fürwahrhalten oder als eine Vorstellung zu dem vordergründigen Wesen emporsenden. Das ist eine mögliche Erklärung, wenn wir Bewußtsein als die wirkliche schöpferische Macht oder als den bewirkenden Urheber und alle Dinge als Gestaltungen des Bewußtseins anerkennen. Das würde aber den supraphysischen Ebenen des Seienden nicht jene Substanzlosigkeit oder jene ungreifbare Realität beimessen, die das physische Mental ihnen gern beimißt. Sie würden dann an sich die gleiche Wirklichkeit haben, wie die physische Welt oder die Ebenen der physischen Erfahrung sie in ihrer eigenen Ordnung besitzen.

Wären auf diese oder eine andere Art die höheren Welten nachträglich, nach der Erschaffung der materiellen Welt, der Urschöpfung, durch eine umfassendere geheime Evolution aus dem Unbewußten entfaltet worden, dann müßte das von einer All-Seele bei ihrem Hervortreten durch einen Prozeß geleistet worden sein, von dem wir keine Kenntnis haben können. Es müßte für den Zweck der Evolution hier, zu ihrer Unterstützung oder als ihre höhere Auswirkung geschehen sein, damit Leben, Mental und Geist sich in Bereichen eines freieren Horizontes bewegen und so, daß diese höheren Mächte und Erfahrungen auf den Selbst-Ausdruck der Materie zurückwirken können. Dieser Hypothese steht aber die Tatsache entgegen, daß wir die höheren Welten in unserer Schau und Erfahrung keineswegs auf das materielle Universum gegründet finden, keineswegs als dessen Ergebnisse, sondern eher als höhere Begriffe des Seienden, als umfassendere und freiere Bereiche des Bewußtseins. Alle Aktivität auf der materiellen Ebene sieht eher aus wie das Resultat, nicht aber wie der Ursprung dieser höheren Begriffe, als sei sie aus diesen abgeleitet, sogar in ihrem evolutionären Ringen teilweise von ihnen abhängig. Ungeheure Potenzen von Mächten, Einflüssen, Phänomenen kommen insgeheim aus dem Übermental und den höheren mentalen und vitalen Bereichen zu uns herab. Doch kann nur ein Teil von ihnen, sozusagen eine Auswahl oder eine beschränkte Anzahl, auf der Bühne der physischen Welt agieren und sich hier verwirklichen. Die übrigen warten, bis die Zeit und günstige Umstände für ihre Offenbarung in den physischen Begriffen und Formen, für ihre Rolle in der irdischen21 Entwicklung, gekommen sind, die zugleich eine Evolution aller Mächte des Geistes ist.

Diese eigentümliche Art der anderen Welten macht all unsere Versuche zunichte, unserer Ebene des Seienden und unserer eigenen Rolle bei der Offenbarung der Welt vordringliche Bedeutung beizumessen. Nicht wir erschaffen Gott als einen Mythos unseres Bewußtseins, sondern wir sind Werkzeuge für eine progressive Manifestation des Göttlichen Wesens im materiellen Seienden. Nicht wir erschaffen die Götter, die seine Mächte sind, sondern eher spiegelt hier die Divinität, die wir offenbaren, zum Teil die ewigen Gottheiten wider und verleiht ihnen Gestalt. Nicht wir erschaffen die höheren Ebenen, sondern wir sind Vermittler, durch die sie ihr Licht, ihre Macht und Schönheit in jeglicher Form und in jedem Umfang offenbaren, die ihnen auf der materiellen Ebene durch die Natur-Kraft gegeben werden kann. Der Druck der Lebens-Welt ermöglicht es dem Leben, sich hier in den uns bereits bekannten Formen zu entwickeln und zu entfalten. Dieser wachsende Druck treibt das Leben dazu, in uns nach einer höheren Offenbarung seiner selbst zu streben. Eines Tages wird es das Sterbliche von seiner Knechtschaft unter den engen Begrenzungen durch seine gegenwärtige unzureichende Körperlichkeit befreien. Der Druck der Mental-Welt entfaltet und entwickelt hier das Mental und hilft uns dazu, einen Hebel zu finden, uns mental selbst emporzuheben und auszudehnen, so daß wir hoffen dürfen, das Selbst unserer Intelligenz ständig auszuweiten und sogar die Gefängniswände unserer durch die Materie gebundenen physischen Mentalität zu zerbrechen. Der Druck der supramentalen und spirituellen Welten bereitet uns darauf vor, hier die manifestierte Macht des Geistes zu entwickeln und dadurch unser Wesen auf der physischen Ebene aufzutun für die Freiheit und Unendlichkeit des überbewußten Göttlichen Wesens. Dieser Kontakt und dieser Druck allein können die in uns verborgene allbewußte Gottheit aus der sichtbar hervorgetretenen Unbewußtheit, die unser Ausgangspunkt gewesen ist, freisetzen. In dieser Ordnung der Dinge ist unser menschliches Bewußtsein das Instrument, der Vermittler. In der Entwicklung von Licht und Macht aus der Unbewußtheit ist es der Punkt, an dem die Befreiung möglich wird. Eine größere Rolle können wir ihm nicht beimessen. Sie ist aber groß genug, denn sie macht unsere menschliche Existenz zu etwas über allem Wichtigem für die Verwirklichung der höchsten Absicht der evolutionären Natur.

Doch gibt es einige Elemente in unserer subliminalen Erfahrung, die jede unveränderliche Priorität der anderen Welten infrage stellen. Darauf weist u. a. eine beharrliche Tradition in der Anschauung von der Erfahrung nach dem Tod hin, derzufolge man dort unter Bedingungen weiterlebe, die eine supraphysische Verlängerung der Erden-Bedingungen, der Erden-Natur und der Erden-Erfahrung zu sein scheinen. Ein anderer Einwand ist der, daß wir, besonders in den Lebens-Welten, Gestaltungen vorfinden, die den niederen Bewegungen des Erden-Daseins zu gleichen scheinen. Hier sind bereits die Prinzipien der Finsternis, der Lüge, der Unfähigkeit und des Bösen verkörpert, von denen wir doch vermuten, sie seien eine Folge der Entwicklung aus der materiellen Unbewußtheit. Es scheint sogar Tatsache zu sein, daß die vitalen Welten die natürliche Behausung jener Mächte sind, die das menschliche Leben am tiefsten verwirren. Das ist eigentlich logisch, denn sie bringen uns durch unser vitales Wesen durcheinander und müssen darum Mächte einer umfassenderen und machtvolleren Lebens-Existenz sein. Das Herabkommen von Mental und Leben in die Evolution brauchte keine solchen unerfreulichen Entwicklungen der Beschränkung von Wesen und Bewußtsein geschaffen zu haben: Dieses Herabkommen ist seiner Natur nach eine Begrenzung des Wissens. Das Sein, die Erkenntnis und die Wesens-Freude schränken sich ein auf einen niederen Grad von Wahrheit, Gutem, Schönem und deren geringeren Harmonien. Sie machen deshalb ihren Gang im Einklang mit diesem Gesetz verringerten Lichtes. In einer solchen Bewegung wären aber Verfinsterung, Leiden und das Böse kein zwingendes Phänomen. Wenn wir deren Existenz in jenen Welten eines anderen Mentals und Lebens finden, müssen wir, auch wenn sie dieses nicht völlig durchdringen, sondern dort nur ihren gesonderten Bezirk einnehmen, schließen, sie seien entweder durch eine Projektion aus der niederen Evolution von unten nach oben dadurch ins Dasein gekommen, daß etwas, das in den subliminalen Bereichen der Natur existierte, dorthin ausgebrochen sei, um das hier schon geschaffene Böse dort mächtiger auszugestalten, oder sie könnten bereits als Teil einer zum involutionären Abstieg gehörigen Stufenfolge geschaffen worden sein, als eine Folge von Graden, die ebenso eine Treppe für den evolutionären Aufstieg zum Geist bildet, wie die involutionäre Folge von Graden eine Treppe für den Abstieg des Geistes war. Nach der letzteren Hypothese könnte die aufsteigende Stufenfolge einen doppelten Zweck haben. Sie würde Vor-Formationen des Guten und des Bösen enthalten, die sich auf Erden als ein Teil des für das evolutionäre Wachsen der Seele in der Natur notwendigen Ringens entwickeln müßten. Das wären dann Formationen, die für sich selbst, für ihre eigene unabhängige Befriedigung existierten, Gestaltungen, die den ausgeprägten Typus dieser Dinge, jede in ihrer gesonderten Art, darstellen würden. Zugleich würden sie auf evolutionäre Wesen ihren charakteristischen Einfluß ausüben.

Diese Welten eines umfassenderen Lebens würden in sich sowohl die lichteren wie die dunkleren Gestaltungen des Lebens unserer Welt als in einem Medium haben, in dem sie frei zu ihrem unabhängigen Ausdruck gelangen, die volle Freiheit ihres eigenen Typus und ihre natürliche Vollkommenheit und Harmonie von Gut und Böse besitzen könnten – wenn diese Unterscheidung auf jenen Bereich überhaupt angewandt werden darf –, eine in unserem Bereich unmögliche Vollständigkeit und Unabhängigkeit, weil hier alles in komplexem Ineinanderwirken vermischt ist, wie es für das Feld vielseitiger Evolution, die zur endgültigen Integration führen soll, notwendig ist. Denn wir finden, daß alles, was wir hier falsch, finster oder böse nennen, dort seine eigene Wahrheit hat und mit seinem eigenen Typus völlig zufrieden ist, weil es diesen vollkommen ausdrücken kann. Das schafft in ihm das Gefühl einer in sich zufriedenen Macht des eigenen Wesens, Harmonie und die völlige Anpassung aller seiner Umstände an das Prinzip seines Daseins. Es besitzt dort sein eigenes Bewußtsein, die Macht seines eigenen Selbsts, seine eigene Wesens-Freude. Das ist zwar für unser Mental etwas Abscheuliches, jenes ist aber voller Freude über ein befriedigtes Begehren. Diese Lebens-Impulse, die der Erden-Natur als zügellos und maßlos, als pervers und abnorm erscheinen, finden in ihrem eigenen Wesensbereich unabhängige Erfüllung und uneingeschränktes Spiel ihres Typus und ihres Prinzips. Was wir für göttlich oder titanisch, den Rakshasas oder Dämonen eigen und darum für jenseits unserer Natur befindlich halten, ist dort, im je eigenen Bezirk, sich selbst gegenüber normal. Es gibt den Wesen, die diese Dinge verkörpern, das Gefühl ihrer Eigen-Natur und die Harmonie ihres eigenen Prinzips. Selbst Zwietracht, Streit, Unfähigkeit und Leiden gehören mit in eine gewisse Art von Befriedigung des Lebens, das sich ohne jene Dinge enttäuscht und armselig vorkommen würde. Sobald wir diese Mächte in ihrem isolierten Wirken beobachten, wie sie ihre eigenen Lebens-Strukturen errichten, wie sie das in jenen geheimen, von ihnen beherrschten Welten tun, erkennen wir deutlicher ihren Ursprung, den Grund ihres Daseins und auch den Grund der Gewalt, die sie über das menschliche Leben ausüben, und warum der Mensch so sehr an seine eigenen Unvollkommenheiten, an sein Lebens-Drama von Sieg und Niederlage, von Glück und Leiden, von Lachen und Weinen, von Sünde und Tugend gebunden ist. Hier auf Erden existieren diese Dinge in einem unbefriedigten, darum unbefriedigenden und finsteren Zustand von Ringen und Vermischung. Dort aber offenbaren sie Geheimnis und Beweggrund ihres Wesens, da sie dort eigenständig sind, in ihrer ursprünglichen Macht, in der vollen Ausgestaltung ihrer Natur, in ihrer eigenen Welt und exklusiven Atmosphäre. Des Menschen Himmel und Höllen, seine Welten von Licht und Finsternis haben, auch wenn sie in ihrer Struktur noch so phantastisch sind, ihren Ursprung in der Wahrnehmung dieser Mächte, die in ihrem eigenen Prinzip existieren und ihre Einflüsse auf ihn im hiesigen Leben aus einem jenseitigen herabsenden, das ihn mit den Elementen seines evolutionären Daseins versorgt.

Genauso wie die Mächte des Lebens in einem höheren Leben jenseits von uns in sich selbst gegründet, vollkommen und erfüllt sind, so finden sich auch die Mächte des Mentals, dessen Ideen und Prinzipien, die unsere Erde beeinflussen, in der höheren Mental-Welt, wo sie ihr Feld zur Erfüllung ihrer Eigen-Natur besitzen, während sie hierher, ins menschliche Dasein, nur Teilgebilde von sich senden, die sich hier nur mit Mühe behaupten können, weil sie auf andere Mächte und Prinzipien stoßen und sich mit diesen vermischen. Die Begegnung und Vermengung beeinträchtigt ihre Vollständigkeit, trübt ihre Reinheit, bestreitet und besiegt ihren Einfluß. Jene anderen Welten kennen also keine Evolution, sie sind eine Welt von Typen. Aber ein Grund für ihr Dasein, obschon nicht der einzige, ist daß sie Dinge liefern, die in der involutionären Offenbarung hervortreten, wie Dinge, die in der Evolution emporkommen mit einem Bereich der Zufriedenheit mit ihrer eigenen Bedeutung, in dem sie aus eigenem Recht leben können. Dieser gesicherte Zustand ist die Basis, von der aus ihre Funktion und Wirkweisen als Elemente in den komplexen Prozeß der evolutionären Natur eingesetzt werden können.

Betrachten wir unter diesem Gesichtspunkt die überlieferten Berichte der Menschheit über das Dasein anderer Welten, so finden wir, daß sie zumeist auf Welten eines umfassenderen Lebens hinweisen, das befreit ist von den Beschränkungen, Unvollkommenheiten oder Unvollständigkeiten des Lebens in der Erden-Natur. Offensichtlich sind diese Darstellungen zumeist von der Phantasie geschaffen. In ihnen ist aber ebenso ein Element von Intuition und Ahnung, ein Gefühl für das, was Leben sein kann und gewiß auch in manchem Bereich seiner geoffenbarten und verwirklichten Natur ist. Sodann zeigt sich ein Element von wahrer subliminaler Verbindung und Erfahrung. Doch übersetzt das Mental des Menschen das, was er von einer andersartigen Natur sieht oder durch Kontakte empfängt, in Gebilde, die seinem eigenen Bewußtsein entsprechen. Das sind seine Übersetzungen von supraphysischen Wirklichkeiten in die für ihn bedeutungsvollen eigenen Formen und Bilder. Durch diese Formen und Bilder tritt er dann in Kommunikation mit diesen Wirklichkeiten und kann sie bis zu einem gewissen Grad gegenwärtig und wirkungsvoll machen. So könnte man die Erfahrung der Fortdauer eines veränderten Erdenlebens nach dem Tod als das Ergebnis dieser Art von Übertragung erklären. Sie läßt sich zum Teil aber auch als die Schöpfung eines subjektiven Zustandes nach dem Tod deuten, in dem der Mensch noch in den Gestaltungen seiner gewohnten Erfahrung lebt, bevor er in die Wirklichkeit anderer Welten eintritt. Zum Teil mögen sie auch Erfahrungen beim Durchgang durch Lebens-Welten sein, in denen sich der Typus der Dinge in Gestaltungen ausdrückt, die der Ursprung dessen sind, wozu er in seinem irdischen Körper einen Hang hatte, oder die diesem verwandt sind und darum eine natürliche Anziehung auf das vitale Wesen nach dem Verlassen seines Körpers ausüben. Abgesehen von solchen subtileren Lebenszuständen enthalten aber die überlieferten Berichte über ein Dasein in anderen Welten ein wenn auch selteneres und höheres Element, das nicht in der populären Auffassung der Dinge enthalten ist, einen höheren Grad von Seins-Zuständen, die deutlich von mentalem, nicht von vitalem Charakter sind. Andere gründen sich auf ein spirituell-mentales Prinzip. Diese höheren Prinzipien werden in Wesens-Zuständen formuliert, in die sich unsere innere Erfahrung emporheben oder in die die Seele eintreten kann. Das von uns angenommene Prinzip der Abstufung ist darum gerechtfertigt, vorausgesetzt, wir erkennen es nur als einen der Wege an, wie wir unsere Erfahrung organisieren, und lassen die Möglichkeit auch für andere Wege offen, die unter anderen Gesichtspunkten angelegt sind. Denn eine Klassifikation kann immer nur von dem einen, von ihr gewählten Prinzip und Gesichtspunkt her gültig sein. Eine andere, auf andere Prinzipien und Gesichtspunkte gegründete Klassifikation derselben Dinge kann in gleicher Weise gültig sein. Für unseren Zweck ist aber das von uns gewählte Prinzip von größtem Wert, weil es fundamental ist und eine Wahrheit der Manifestation bestätigt, die von größter praktischer Bedeutung ist. Es hilft uns, die Verfassung unseres eigenen Daseins und den Gang der Involution und evolutionären Bewegung der Natur zu verstehen. Zugleich sehen wir, die anderen Welten sind nichts vom materiellen Universum und der Erden-Natur völlig Getrenntes. Vielmehr durchdringen und umhüllen sie diese mit ihren Einflüssen, wirken insgeheim auf sie ein mit gestaltender und lenkender Kraft, die nicht leicht überschätzt werden kann. Wenn wir so unsere Erkenntnis und Erfahrung der anderen Welten ordnen, verhilft uns das zum Schlüssel des Verständnisses für die Natur und den Prozeß dieser Einwirkung.

Dasein und Einfluß anderer Welten sind Tatsachen von grundlegender Bedeutung für die Möglichkeiten und die Tragweite unserer Evolution in der irdischen Natur. Denn wäre das physische Universum das einzige Feld für die Offenbarung der unendlichen Wirklichkeit und zugleich das Feld für ihre vollständige Manifestation, müßten wir – da alle Prinzipien ihres Wesens von der Materie bis zum Geist vollständig der scheinbar unbewußten Kraft involviert sind, die die Basis für die ersten Wirkweisen dieses Universums ist – auch annehmen, daß diese vollständig von ihr hier, und allein hier, evolviert werden, ohne andere Hilfe oder einen Druck außer dem der geheimen Überbewußtheit in ihrem Innern. Es gäbe dann ein System der Dinge, in dem das Prinzip der Materie stets das Grundprinzip, die wesentliche und ursprünglich bestimmende Voraussetzung für das manifestierte Dasein bleiben müßte. Am Ende könnte in der Tat der Geist in begrenztem Maß zu seiner natürlichen Herrschaft gelangen. Er könnte seine Basis physischer Materie zu einem biegsameren Instrument machen, das das Wirken seines eigenen höchsten Gesetzes und seiner Natur nicht so behindert oder gar diesem Wirken entgegentritt, wie sie das jetzt durch ihren unbeugsamen Widerstand tut. Der Geist würde aber immer von der Materie als seinem Wirkungsfeld und seiner Manifestation abhängen. Er könnte kein anderes Feld haben: Er könnte nicht außerhalb seiner zu einer anderen Art von Manifestation gelangen. Auch innerhalb dieses Bereiches könnte er nicht leicht ein anderes Prinzip seines Wesens so freisetzen, daß es Souveränität über die materielle Grundlage erlangt. Materie bliebe stets das einzige ständig bestimmende Element seiner Manifestation. Leben könnte nicht vorherrschend und bestimmend, Mental nicht Meister und Schöpfer werden. Die Grenzen ihrer Wirkmöglichkeit wären durch die Kapazität der Materie festgelegt, die sie wohl ausweiten oder abändern, nicht aber grundsätzlich umwandeln oder befreien könnte. Es gäbe keinen Raum für volle und freie Manifestation irgendeiner Macht des Wesens. Alles wäre für immer durch die Bedingungen einer verdunkelnden materiellen Gestaltung eingeengt. Geist, Mental, Leben hätten kein ursprüngliches Feld, keinen vollständigen Wirkungsbereich für ihre eigene Macht und ihr charakteristisches Prinzip. Es fällt schwer, an die Unvermeidlichkeit dieser Selbst-Begrenzung zu glauben, wenn der Geist der Schöpfer ist und diese Prinzipien ein unabhängiges Sein haben, statt Produkte, Ergebnisse oder Phänomene der Energie von Materie zu sein.

Setzt man aber die Tatsache voraus, daß die unendliche Wirklichkeit im Spiel ihres Bewußtseins frei ist, dann ist sie auch nicht gezwungen, sich in die Nichtbewußtheit von Materie zu involvieren, bevor sie sich überhaupt manifestieren kann. Dann ist es ihr möglich, gerade die gegenteilige Ordnung der Dinge zu erschaffen: eine Welt, in der die Einheit des spirituellen Wesens prägende Form und erste Voraussetzung für jede Gestaltung und Wirksamkeit ist. Dort wäre die wirkende Energie ein des Selbsts bewußtes spirituelles Sein in Bewegung; alle ihre Namen und Formen sind dann ein des Selbsts bewußtes Spiel der spirituellen Einheit. Oder es könnte eine Ordnung geben, in der die dem Geist eingeborene Macht von bewußter Kraft oder bewußtem Willen frei und unmittelbar in sich selbst ihre eigenen Möglichkeiten verwirklichen würde und nicht, wie hier, durch das eingeschränkte Medium der Lebens-Kraft in der Materie. Eine solche Realisation wäre zugleich das erste Prinzip der Manifestation und Ziel all ihres freien und seligen Wirkens. Ferner könnte es eine Ordnung geben, in der Zweck und Ziel das freie Spiel einer unendlichen gegenseitigen Selbst-Seligkeit in einer Vielzahl von Wesen wäre, die nicht nur ihrer verborgenen oder zugrunde liegenden ewigen Einheit bewußt wären, sondern auch ihrer jetzigen Freude am Einssein. In solch einem System wäre das Wirken des Prinzips einer selbst-seienden Seligkeit das erste Prinzip und die universale Bedingung. Schließlich könnte es eine Welt-Ordnung geben, in der das Supramental von Anfang an herrschendes Prinzip ist. Dann wäre die Natur der Manifestation eine Vielzahl von Wesen, die durch das freie lichtvolle Spiel ihrer göttlichen Individualität die vielfältige Freude an ihrer Verschiedenartigkeit in der Einheit finden würden.

Die Reihe brauchte hier nicht aufzuhören. Denn wir beobachten, daß bei uns das Mental durch das Leben und die Materie behindert ist und auf jede mögliche Schwierigkeit stößt, wenn es den Widerstand dieser unterschiedlichen Mächte überwinden will. Das Leben selbst ist durch Sterblichkeit, Trägheit und Instabilität der Materie eingeschränkt. Offensichtlich kann es aber eine Weltordnung geben, in der keines von beiden behindernden Elementen zu den Grundbedingungen des Seins gehört. Eine Welt wäre möglich, in der das Mental von Anbeginn an vorherrschend und frei ist, auf seine eigene Substanz oder auf die Materie als auf ein durchaus formbares Material einzuwirken, oder wo Materie eindeutig das Ergebnis der universalen Mental-Kraft ist, die sich im Leben auswirkt. Das ist sie in Wirklichkeit eigentlich schon jetzt. Hier ist aber die Mental-Kraft von Anfang an involviert. Sie ist auf lange Zeit unterbewußt. Auch wenn sie hervorgetreten ist, hat sie nie die freie Verfügung über sich, sondern ist von ihrem materiellen Behältnis abhängig. Dort dagegen wäre sie im Besitz ihrer selbst. Sie wäre Meister über ihr Material, das viel subtiler und elastischer ist als in einem vorwiegend physischen Universum. So könnte auch das Leben seine eigene Welt-Ordnung haben, in der es souverän und fähig wäre, seine eigenen Wünsche und Tendenzen elastischer, freier variabel zu entfalten, ohne dabei jeden Augenblick von zerstörerischen Kräften bedroht zu sein. Es brauchte sich dann nicht mehr in erster Linie um seine Selbst-Erhaltung zu sorgen und in seinem Kräfte-Spiel durch diesen Zustand einer gefahrvollen Spannung eingeschränkt zu sein, die seine Triebe zu freier Gestaltung, zu freiem Selbst-Genießen und Abenteuer begrenzt. Gesonderte Vorherrschaft eines jeden Prinzips des Wesens ist in der Manifestation des Wesens eine ewige Möglichkeit, aber immer unter der Voraussetzung, daß die Prinzipien in ihrer dynamischen Macht und Wirkweise zwar verschieden, in ihrer ursprünglichen Substanz jedoch völlig eins sind.

Es würde keinen Unterschied machen, wenn es sich bei alledem nur um eine philosophische Möglichkeit oder um eine Potentialität im Wesen von saccidananda handeln würde, die dieses niemals verwirklicht oder noch nicht verwirklicht hat oder die, wenn sie verwirklicht wurde, noch nicht in den Horizont des Bewußtseins jener Wesen eingetreten ist, die im physischen Universum leben. Aber all unsere spirituelle und seelische Erfahrung beweist uns positiv und liefert uns das zuständige und in seinen Hauptprinzipien unveränderliche Zeugnis, daß höhere Welten, freiere Ebenen des Seins existieren. Denn wir haben uns nicht, wie auf so vieles im modernen Leben, auf das Dogma festgelegt, nur die physische Erfahrung oder die Erfahrung, die sich auf die physischen Sinne gründet, sei wahr. Nur die Analyse der physischen Erfahrung durch die Vernunft könne ihre Wahrheit erweisen. Alles übrige sei allein das Ergebnis physischer Erfahrung und physischen Daseins. Was darüber hinausgehe, sei Irrtum, Selbst-Täuschung und Halluzination. Darum sind wir frei, dieses Zeugnis der spirituellen Erfahrung anzunehmen und die Wirklichkeit dieser Ebenen anzuerkennen. Wir sehen, daß sie, praktisch genommen, von der Harmonie des physischen Universums verschiedene Harmonien sind. Sie nehmen, wie das Wort “Ebene” andeutet, eine unterschiedliche Stufe auf der Leiter des Seienden ein und verwenden ein andersartiges System und eine andere Ordnung seiner Prinzipien. Für unseren jetzigen Zweck brauchen wir nicht zu untersuchen, ob sie in Zeit und Raum mit unserer eigenen Welt übereinstimmen oder ob sie sich in einem davon verschiedenen Teil des Raumes oder in einer anderen Strömung der Zeit bewegen, – in beiden Fällen geschieht es in einer subtileren Substanz und mit anderen Bewegungen. Uns geht es unmittelbar darum zu wissen, ob sie verschiedene Welten sind, von denen jede in sich selbst so völlig abgeschlossen ist, daß sie in keiner Weise mit den anderen zusammentrifft, sie nicht durchkreuzt oder beeinflußt; oder ob sie eher verschiedene Stufen eines einzigen, nach Graden unterschiedenen, ineinander verwobenen Systems des Seienden und darum Teile sind von einem einzigen komplexen universalen System. Die Tatsache, daß sie in das Feld unseres mentalen Bewußtseins eintreten können, würde natürlich die Geltung der zweiten Alternative nahelegen; das wäre aber noch nicht voll beweiskräftig. Wir finden, daß diese höheren Welten tatsächlich jeden Augenblick auf unsere eigene Wesens-Ebene einwirken und mit ihr in Kommunikation stehen, obwohl diese Einwirkung natürlich unserem gewöhnlichen wachen oder äußeren Bewußtsein nicht gegenwärtig ist, da dieses zum größten Teil auf die Aufnahme und Verwendung der Kontakte der physischen Welt beschränkt ist. In dem Augenblick aber, da wir entweder in unser subliminales Bewußtsein zurücktreten oder unser waches Bewußtsein über den Horizont der physischen Kontakte hinaus ausweiten, gewahren wir etwas von diesem höheren Wirken. Wir finden sogar, daß sich das Wesen des Menschen selbst unter gewissen Bedingungen teilweise in diese höheren Ebenen projizieren kann, auch wenn es dabei noch im Körper verbleibt. Um wieviel mehr muß der Mensch fähig sein, das zu tun, wenn er außerhalb seines Körpers ist. Er kann es dann vollständig tun, da der beeinträchtigende Zustand des an den Körper gefesselten physischen Lebens nicht länger besteht. Die Konsequenzen dieser Beziehung und dieser Macht zur Transferenz sind von außerordentlicher Bedeutung. Einerseits rechtfertigen sie unmittelbar, zumindest als aktuelle Möglichkeit, die alte Tradition, daß das menschliche bewußte Wesen, wenigstens zeitweilig, nach der Auflösung des physischen Körpers in anderen Welten als der physischen verweilen kann. Andererseits eröffnen sie uns die Möglichkeit, daß die höheren Ebenen auf das materielle Dasein in einer Weise einwirken, die die Mächte, die sie repräsentieren, also die Mächte von Leben, Mental und Geist, freisetzt, damit die der Natur innewohnende evolutionäre Absicht durch die Tatsache ihrer Verkörperung in der Materie erfüllt wird.

Diese Welten folgen in ihrer ursprünglichen Schöpfung nicht der Ordnung des physischen Universums nach, sondern sie gehen ihr voraus, sie sind früher, wenn auch nicht in der Zeit, so doch in ihrer Aufeinanderfolge von Ursache und Wirkung. Denn gerade, wenn es eine aufsteigende ebenso wie eine absteigende Stufenfolge gibt, muß die aufsteigende Stufenfolge in ihrer ursprünglichen Natur eine Voraussetzung haben, die das evolutionäre Hervortreten in der Materie ermöglicht. Dort muß eine Macht sein, die ihr Bemühen gestaltet und ihm die hilfreichen und nachteiligen Elemente liefert. Sie ist nicht nur eine Konsequenz der irdischen Evolution. Das ist weder eine rationale Wahrscheinlichkeit, noch hätte es einen spirituellen oder dynamischen oder pragmatischen Sinn. Mit anderen Worten, die höheren Welten sind nicht durch einen Druck vom niederen physischen Universum her zustande gekommen – sagen wir, von saccidananda in der physischen Unbewußtheit her oder auch durch das Drängen des Wesens in saccidananda, wenn es aus der Unbewußtheit in Leben, Mental und Geist hervortritt und die Notwendigkeit erfährt, Welten und Ebenen zu erschaffen, in denen diese Prinzipien ein freieres Kräftespiel entfalten könnten oder die Seele des Menschen ihre vitalen, mentalen oder spirituellen Tendenzen verstärken könnte. Noch weniger sind sie Schöpfungen der Seele des Menschen, weder das Ergebnis ihrer Träume, noch der ständigen Selbst-Projektion der Menschen in ihrem dynamischen oder schöpferischen Wesen über die Begrenzungen ihres physischen Bewußtseins hinaus. Das einzige, was der Mensch in dieser Richtung klar erschafft, sind die Spiegel-Bilder dieser Ebenen in seinem verkörperten Bewußtsein und die Fähigkeit seiner Seele, auf sie zu reagieren, ihrer inne zu werden und bewußt an dem teilzuhaben, wie ihre Einflüsse in die Wirksamkeit auf der physischen Ebene hineingewoben werden. Gewiß kann der Mensch zur Aktion dieser Ebenen mit den Ergebnissen oder Projektionen seines eigenen höheren vitalen und mentalen Wirkens beitragen. Wenn das aber so ist, sind die Projektionen schließlich eine Rückerstattung der höheren Ebenen an sich selbst. Die Erde gibt ihnen ihre Mächte wieder, die von ihnen zum Erden-Mental herabgekommen sind. Denn dieses höhere vitale und mentale Wirken ist selbst das Resultat von Einflüssen, die von obenher auf es entsandt wurden. Es ist auch möglich, daß der Mensch eine Art von subjektiver Anschluß-Ebene an diese supraphysischen Ebenen, zumindest an die niederen von ihnen, erschaffen kann, Gebiete von einem halb-unwirklichen Charakter, die eher selbst-erschaffene Umhüllungen seines bewußten Mentals und Lebens sind als wahre Welten. Sie sind Reflexionen seines eigenen Wesens, eine künstliche Umwelt, entsprechend dem Versuch während seines Lebens, sich diese anderen Welten vorzustellen, – Himmel und Höllen, die projiziert werden von der Fähigkeit des Menschen, Bilder in der Macht seines bewußten Wesens zu erschaffen. Aber keiner dieser beiden Beiträge bedeutet völlige Neuschöpfung einer wirklichen Ebene des Seienden, die auf ihr eigenes besonderes Prinzip gegründet wäre und von da aus wirkt.

Diese Ebenen oder Systeme sind also mindestens gleichzeitig und koexistent mit dem, was sich uns als das physische Universum darstellt. Wir sind zu dem Schluß gekommen, daß die Entwicklung von Leben, Mental und Geist im physischen Wesen ihr Dasein voraussetzt. Denn diese Mächte werden hier durch zwei zusammenwirkende Kräfte entwickelt: Die eine Kraft strebt von unten nach oben, eine andere Kraft zieht von oben her zu sich empor und übt einen Druck nach unten aus. Denn im Unbewußten drängt die Notwendigkeit, das hervortreten zu lassen, was im Innern latent vorhanden ist. Und es gibt den Druck der übergeordneten Prinzipien in den höheren Ebenen, der nicht nur diesem allgemeinen Bedürfnis, sich zu verwirklichen, zuhilfe kommt, sondern sehr umfassend auch die besonderen Methoden bestimmen kann, nach denen es schließlich verwirklicht wird. Gerade dieses emporziehende Wirken und dieser Druck, dieses Drängen von oben her, erklärt den ständigen Einfluß der spirituellen, mentalen und vitalen Welten auf die physische Ebene. Geht man von dem komplexen Universum und den sieben untereinander und in jedem Teil des Systems miteinander verwobenen sieben Prinzipien aus, die durch ihre Natur gedrängt sind, aufeinander einzuwirken und aufeinander zu reagieren, wo immer sie miteinander in Berührung kommen können, so ist evident, daß eine solche Aktion, solch ein ständiger Druck und Einfluß, unvermeidlich erfolgen und der Eigenart des manifestierten Universums ursprünglich zugrunde liegen muß.

Eine geheime ständige Einwirkung der höheren Mächte und Prinzipien von ihren eigenen Ebenen her auf das irdische Wesen und die Erden-Natur durch das subliminale Selbst, das wiederum selbst eine Projektion aus jenen Ebenen in diese aus der Unbewußtheit geborene Welt ist, muß eine Wirkung und eine Bedeutung haben. Ihre erste Auswirkung ist die Befreiung von Leben und Mental aus der Materie gewesen. Ihre letzte Wirkung besteht darin, Beistand zu leisten dem Hervortreten eines spirituellen Bewußtseins, eines spirituellen Willens und des Sinnes für ein spirituelles Dasein im Menschen der Erde, so daß er sich nicht mehr allein mit seinem äußeren Leben oder mit diesem und mit mentalen Bestrebungen und Interessen beschäftigt, sondern daß er gelernt hat, nach innen zu schauen, sein inneres Wesen, sein spirituelles Selbst zu entdecken und danach zu streben, über die Erde und ihre Begrenzungen hinauszukommen. Je mehr er nach innen wächst, desto mehr weiten sich allmählich auch seine mentalen, vitalen und spirituellen Grenzen aus. Die Bande, die Leben, Mental und Seele an ihre ersten Beschränkungen gefesselt haben, lockern sich immer mehr und fallen weg. Der Mensch, das mentale Wesen, beginnt, einen Ausblick zu gewinnen auf ein umfassenderes Reich des Selbsts und der Welt, der seinem ersten Erden-Leben verschlossen war. Zweifellos kann er, solange er vorwiegend nach außen lebt, nur eine Art von Überbau idealer, phantastischer oder ideativer Art auf dem Fundament seines normalen engen Daseins errichten. Wenn er aber diesen Weg nach innen geht, den seine höchste Schau ihm als größte spirituelle Notwendigkeit aufgezeigt hat, wird er in seinem inneren Wesen ein umfassenderes Bewußtsein und Leben finden. Ein Wirken von innen und ein Wirken von oben her können die Vorherrschaft der materiellen Formel überwinden. Sie können die Macht der Unbewußtheit verringern und schließlich beenden. Sie können die Ordnung des Bewußtseins umkehren und, als bewußte Grundlage des menschlichen Wesens, die Materie durch den Geist ersetzen. Sie können dessen höhere Mächte so befreien, daß sie im Leben der in der Natur verkörperten Seele ihren vollständigen und charakteristischen Ausdruck finden.

Kapitel XXII. Wiedergeburt und andere Welten. Karma, Seele und Unsterblichkeit

Mit seinem Weggang aus dieser Welt geht er zum physischen Selbst; er geht weiter zum Selbst des Lebens; er geht weiter zum Selbst des Mentals; er geht weiter zum Selbst des Wissens; er geht weiter zum Selbst der Seligkeit. Durch diese Welten bewegt er sich nach seinem Willen.

Taittiriya Upanishad, III. 10. 5.

Sie sagen mit Recht, das bewußte Wesen sei aus Begehren gebildet. Aus was für einem Begehren er aber auch entsteht, er kommt zustande aus jenem Willen; und aus was für einem Willen er auch zustande kommt, er tut jene Handlung; und wie auch immer seine Handlung ist, dorthin (zu deren Ergebnis) gelangt er... Behaftet mit seinem karma22 geht er in seinem subtilen Körper dorthin, woran sich sein Mental klammert. Wenn er dann ans Ende seines karma kommt, ans Ende jeglicher Handlung, die er hier tut, kehrt er aus jener Welt in diese Welt gegen karma zurück.

Brihadaranyaka Upanishad, IV. 5. 5, 6.

Mit Eigenschaften ausgestattet, ein Täter von Werken und Schöpfer ihrer Konsequenzen, erntet er das Resultat seiner Handlungen. Er ist der Beherrscher des Lebens und bewegt sich auf seiner Lebensreise im Einklang mit seinen Taten. Er hat Idee und Ich und soll nach den Eigenschaften seiner Intelligenz und der Qualität seines Selbsts erkannt werden. Obwohl kleiner als der hundertste Teil der Spitze eines Haares, ist die Seele des lebenden Wesens befähigt zur Unendlichkeit. Er ist weder männlich noch weiblich noch neutral, sondern wird mit jedem Körper vereinigt, den er als den seinen annimmt.

Svetasvatara Upanishad, V.7-10.

Sterbliche, sie erlangten die Unsterblichkeit!

Rig Veda, I.110. 4.

Unsere erste Schlußfolgerung hinsichtlich des Problems der Reinkarnation war: Die Wiedergeburt der Seele in aufeinanderfolgenden irdischen Verkörperungen ist eine unvermeidliche Folge der ursprünglichen Bedeutung und des Prozesses der Manifestation in der Erden-Natur. Dieser Schluß führt uns aber zu weiteren Problemen und Ergebnissen, die wir jetzt aufhellen müssen. Zuerst erhebt sich die Frage nach dem Prozeß der Wiedergeburt. Wenn dieser Prozeß nicht rasch verläuft, so daß Geburt unmittelbar auf den Tod des Körpers folgt, um eine ununterbrochene Reihe von Lebensabläufen derselben Person zu gewährleisten, wenn es vielmehr Intervalle gibt, entsteht daraus die zweite Frage nach Prinzip und Prozeß des Übergangs in andere Welten, die der Schauplatz für diese Zwischenzeit sein müssen, und nach der Rückkehr auf die Erde. Eine dritte Frage gilt dem Ablauf der spirituellen Evolution selbst und den Veränderungen, denen sich die Seele bei ihrem Gang von Geburt zu Geburt durch die Stadien ihres Abenteuers zu unterziehen hat.

Wäre das physische Universum die einzige manifestierte oder eine völlig gesonderte Welt, würde Wiedergeburt als Teil des evolutionären Prozesses begrenzt bleiben auf die ständige Aufeinanderfolge unmittelbarer Seelenwanderungen von einem Körper zum anderen. Auf den Tod würde dann unmittelbar eine neue Geburt ohne die Möglichkeit eines Intervalls folgen. Der Übergang der Seele wäre ein spirituelles Ereignis in der ununterbrochenen Reihe eines zwangsläufigen, mechanischen, materiellen Vorgangs. Die Seele würde keine Befreiung von der Materie finden. Sie wäre ständig an ihr Instrument, den Körper, gebunden, für die Dauer ihres manifestierten Daseins von ihm abhängig. Wir haben aber erkannt, daß es nach dem Tod und vor der darauf folgenden Wiedergeburt ein Leben auf anderen Ebenen gibt, ein Leben, das der alten Stufe irdischen Daseins folgt und die neue vorbereitet. Andere Ebenen existieren gleichzeitig mit der unsrigen, sind Teil eines einzigen komplexen Systems und wirken ständig auf die physische Ebene als ihren endgültig niedrigsten Begriff ein. Sie empfangen deren Reaktionen und erlauben geheime Kommunikation und Austausch. Der Mensch kann sich dieser Ebenen bewußt werden. In gewissen Zuständen kann er sogar sein bewußtes Wesen in sie hineinprojizieren, teilweise im Leben, darum vermutlich vollständig nach Auflösung des Körpers. Die Möglichkeit für eine solche Projektion in andere Welten oder Ebenen des Seienden wird dann hinreichend aktuell, um die eigene Verwirklichung notwendig zu machen, indem sie unmittelbar und vielleicht ohne Ausnahme auf das Erdenleben eines Menschen folgt, wenn dieser von Anfang an mit der entsprechenden Macht begabt ist, sich dorthin zu versetzen, schließlich wenn er durch stufenweisen Fortschritt dorthin kommt. Denn es ist möglich, daß der Mensch am Anfang noch nicht genügend entwickelt ist, um sein Leben oder sein Mental in umfassendere Lebens- oder Mental-Weiten emporzutragen. Er wäre gezwungen, unmittelbare Seelenwanderung von einem irdischen Körper zum anderen als die jetzt einzige Möglichkeit seiner Fortdauer zu akzeptieren.

Die Notwendigkeit eines Zwischenreiches zwischen Tod und Geburt und für den Übergang zu anderen Welten entsteht aus doppeltem Grunde: In der zusammengesetzten Natur des Menschen üben die anderen Ebenen auf sein mentales und vitales Wesen wegen der Verwandtschaft dieser Stufen Anziehungskraft aus. Ein Intervall ist nützlich oder sogar notwendig, um die vollendete Lebens-Erfahrung zu assimilieren, das auszuarbeiten, was abgetan werden muß, und um auf eine neue Verkörperung und eine neue Erfahrung auf Erden vorzubereiten. Dieses Bedürfnis nach einer Periode der Angleichung und diese Anziehungskraft anderer Welten auf verwandte Seiten unseres Wesens könnte aber nur dann wirksam genug werden, wenn die mentale und vitale Individualität im halb-tierhaften physischen Menschen stark genug entwickelt ist. Sie könnten nicht bis zu diesem Grad vorhanden sein oder nicht aktiv genug hervortreten, wenn die Lebenserfahrungen zu einfach und zu elementar wären, als daß sie eine Angleichung benötigten, das natürliche Wesen zu grob, als daß es zu dem komplizierten Aufarbeitungs-Prozeß fähig wäre. Die höheren Seiten wären dann nicht entwickelt genug, um sich zu den höheren Seiten des Lebens erheben zu können. Wenn solche Verbindungen zu anderen Welten fehlen, kann jene Wiedergeburts-Theorie zutreffend sein, die nur ständige Seelenwanderung zuläßt. Hier ist das Dasein anderer Welten und der Aufenthalt der Seele auf anderen Ebenen kein aktueller auf keiner Stufe notwendiger Teil des Systems. Es kann auch eine andere Theorie geben, nach der dieser Übergang für alle Menschen bindende Regel ist und es keine unmittelbare Wiedergeburt gibt. Die Seele brauche einen Zwischenzustand der Vorbereitung auf eine neue Inkarnation und auf neue Erfahrung. Es ist auch ein Kompromiß zwischen beiden Theorien möglich. Die Seelenwanderung mag dann zuerst die Regel sein, die so lange gilt, wie die Seele für ein Dasein in höheren Welten noch nicht reif genug ist. Das Hinübergehen in andere Welten wäre dann das darauf folgende Gesetz. Es mag, wie manchmal angedeutet wird, noch eine dritte Stufe geben, auf der die Seele so machtvoll entwickelt ist und ihre natürlichen Seiten spirituell so lebendig sind, daß sie kein Intervall braucht, sondern wieder unmittelbar eine Geburt annehmen kann, um ohne Verzögerung und Unterbrechung eine raschere Entwicklung zu erlangen.

In den populären Vorstellungen, die sich von den Religionen herleiten, die die Reinkarnation anerkennen, gibt es einen Widerspruch, den aufzulösen diese, nach Art populärer Überzeugungen, sich keine Mühe gegeben haben. Einerseits gibt es, vage genug, doch ziemlich allgemein, die Auffassung, auf den Tod folge unmittelbar oder annähernd unmittelbar die Annahme eines neuen Körpers. Andererseits besteht das alte religiöse Dogma von einem Leben nach dem Tod in Höllen oder in Himmeln, vielleicht auch anderen Welten oder Stufen des Seienden, das sich die Seele durch ihr Verdienst im physischen Leben erworben oder durch ihre Untaten zugezogen habe. Die Rückkehr auf die Erde trete erst dann ein, wenn jenes Verdienst oder jene Versündigung erschöpft und der Mensch fähig sei für ein anderes irdisches Leben. Dieser Widerspruch würde verschwinden, wenn wir eine unterschiedliche Bewegung annehmen, die von jener Entwicklungsstufe abhängt, die die Seele während ihrer Manifestation in der Natur erlangt hat. Alles würde sich dann um den Grad ihrer Fähigkeit drehen, in einen höheren Zustand als den des irdischen Lebens einzugehen. In der gewöhnlichen Auffassung von Wiedergeburt ist aber die Vorstellung einer spirituellen Entwicklung nicht ausdrücklich enthalten. Sie wird nur in der Tatsache angedeutet, daß die Seele den Punkt erreicht haben muß, an dem sie fähig ist, über den Zwang zur Wiedergeburt hinauszukommen und in ihren ewigen Ursprung zurückzukehren. Wenn es aber keine Evolution in Stufen oder Graden gibt, kann dieser Punkt ebenso gut durch eine wirre Zick-Zack-Bewegung erreicht werden, deren Gesetz nicht leicht bestimmbar ist. Die definitive Lösung der Frage hängt von Erforschung und Erfahrung des Seelischen ab. Hier können wir nur erwägen, ob in der Natur der Dinge oder in der Logik des evolutionären Prozesses eine äußerlich oder innerlich zwingende Notwendigkeit für die eine oder andere dieser Bewegungen vorliegt: für den unmittelbaren Übergang von dem einen in den anderen Körper oder dafür, daß vor einer neuen Reinkarnation ein Intervall durch das psychische Prinzip der Selbst-Verkörperung eintritt.

Etwas wie eine halbe Notwendigkeit für das Leben in anderen Welten, eine dynamische und praktische eher als eine wesenhafte Notwendigkeit, ergibt sich gerade aus der Tatsache, daß die verschiedenen Welt-Prinzipien ineinander verwoben und in etwa voneinander abhängig sind, ferner aus der Wirkung, die diese Tatsache auf den Prozeß unserer spirituellen Entwicklung haben muß. Entgegenwirken könnte dem eine Zeitlang der stärkere Zug nach unten oder die Anziehung des Irdischen oder die überwiegend physische Art der sich entwickelnden Natur. Unsere Überzeugung, daß eine aufsteigende Seele in die Gestalt eines Menschen geboren und in dieser Gestalt öfters wiedergeboren wird, weil sie sonst ihre menschliche Entwicklung nicht vollenden kann, ruht, vom Standpunkt der rational urteilenden Intelligenz her, auf der Basis, daß die Seele fortschreitend in höhere und immer höhere Grade des irdischen Daseins übergeht und, sobald sie einmal die Stufe des Menschen erreicht hat, ihre wiederholte menschliche Geburt eine Aufeinanderfolge darstellt, die für das Wachsen der Natur notwendig ist. Ein einziges kurzes menschliches Leben auf der Erde reicht offenbar für den evolutionären Zweck nicht aus. Auf den früheren Stufen einer Reihe menschlicher Reinkarnationen gibt es, während einer Periode primitiven Menschseins, auf den ersten Blick eine gewisse Möglichkeit dafür, daß der unmittelbare Übergang in einen anderen Körper oft wiederholt wird, – das öftere Annehmen einer neuen menschlichen Gestalt in einer Geburt unmittelbar, nachdem der vorhergehende Körper sich durch Stillstand oder Ausstoß der organisierten Lebens-Energie aufgelöst hat und als Folge davon die physische Zersetzung eingetreten ist, die wir Tod nennen. Welche Notwendigkeit des evolutionären Prozesses würde aber solch eine Reihe unmittelbarer Wiedergeburten bedingen? Offensichtlich könnte sie nur so lange erforderlich sein, wie die psychische Individualität – das ist nicht die verborgene Seelen-Wesenheit selbst, sondern die Seelen-Gestalt im natürlichen Wesen – wenig entwickelt, ungenügend entfaltet und so unvollkommen gestaltet ist, daß sie sich nur durch Abhängigkeit von einer ununterbrochenen Aufeinanderfolge der mentalen, vitalen und physischen Individualität dieses Lebens behaupten könnte: In ihrer Unfähigkeit, jetzt schon in sich selbst zu beharren, sich ihrer vergangenen Mental- und Lebens-Gestaltung zu entledigen und nach einem hilfreichen Intervall neue Gestaltungen aufzubauen, wäre sie gezwungen, ihre rudimentäre Personalität zu ihrer Erhaltung sofort auf einen neuen Körper zu übertragen. Es ist zweifelhaft, ob wir berechtigt sind, einem Wesen, das so stark individualisiert ist, daß es menschliches Bewußtsein erlangte, eine so völlig unzureichende Entwicklung zuzumuten. Das menschliche Individuum ist selbst in seiner niedrigsten Form noch eine Seele, die durch ein besonderes mentales Wesen handelt, mag sein Mental auch noch so schlecht ausgebildet, noch so beschränkt und zwergenhaft, noch so vergröbert und in ein physisches und vitales Bewußtsein eingesperrt und unfähig oder unwillig sein, sich von seinen niederen Gestaltungen freizumachen. Wir können auch annehmen, daß ein so starker Hang nach unten vorhanden ist, daß er das Wesen zwingt, eilends das physische Leben wieder anzunehmen, da die Gestaltung seiner Natur wirklich noch nicht für etwas anderes fähig oder auf einer höheren Ebene daheim ist. Es könnte die Lebens-Erfahrung so kurz und unvollständig sein, daß die Seele um ihrer Fortdauer willen zu unmittelbarer Wiedergeburt drängte. In dem komplexen Ablauf des Natur-Prozesses mag es noch andere Bedürfnisse, Einflüsse oder Ursachen geben, etwa einen starken Willen erdgebundenen Begehrens, der nach Erfüllung drängt und unmittelbaren Übergang der gleichen beharrenden Form der Personalität in einen neuen Körper erzwingen will. Dennoch würde die Alternative, der Prozeß der Reinkarnation, einer Wiedergeburt der Person, nicht nur in einem neuen Körper, sondern in einer neuen Gestaltung der Persönlichkeit, die normale Linie sein, die vom psychischen Wesen eingeschlagen wird, wenn es einmal die menschliche Stufe seines evolutionären Zyklus erreicht hat.

Denn im Lauf ihrer Entwicklung muß die Seelen-Persönlichkeit Macht genug über ihre eigene Natur-Gestalt und mentale und vitale Individualität gewinnen, die das Selbst genügend ausdrücken kann, um ohne Unterstützung des materiellen Körpers weiter bestehen und jeden übermäßigen, hemmenden Hang zur physischen Ebene und zum physischen Leben überwinden zu können. Sie sollte so weit entwickelt sein, daß sie im subtilen Körper bestehen kann. Von ihm wissen wir, daß er die charakteristische Behausung oder Umhüllung und die eigentliche subtil-physische Stütze des inneren Wesens ist. Die Seelen-Person, das psychische Wesen, überlebt; sie trägt Mental und Leben auf ihrer Reise mit sich. Im subtilen Körper verläßt sie ihre materielle Behausung. Beide müssen also für den Übergang ausreichend entwickelt sein. Eine Überführung von Mental und Leben auf die Ebenen des Mental- oder Vital-Daseins setzt beide als so weit geformt und entwickelt voraus, daß sie ohne Auflösung hinübergehen und eine Zeitlang auf den höheren Ebenen existieren können. Die Erfüllung dieser Bedingungen – also ausreichend entwickelte psychische Personalität, ein subtiler Körper und eine genügend entfaltete mentale und vitale Persönlichkeit – würde das Überleben der Seelen-Person ohne unmittelbare Neu-Geburt sichern; die Anziehungskraft der anderen Welten würde wirksam werden. Das würde an sich aber bedeuten, daß die Seele mit derselben mentalen und vitalen Persönlichkeit zur Erde zurückkehrt. Es gäbe dann keine freie Evolution in der neuen Geburt. Es sollte aber ein so hoher Grad an individueller Vervollkommnung der psychischen Person selbst erreicht werden, daß diese ebensowenig abhängig ist von ihren früheren Mental- und Lebens-Gestaltungen wie von dem vergangenen Körper. Vielmehr sollte sie diese zur gegebenen Zeit abschütteln und zu einer neuen Form für neue Erfahrung weitergehen. Um so die alten Formen abzulegen und neue vorzubereiten, muß sich die Seele eine Zeitlang zwischen den beiden Geburten irgendwo anders aufhalten als auf der ausschließlich materiellen Ebene, auf der wir uns jetzt bewegen. Denn hier gibt es keine bleibende Stätte für einen körperlosen Geist. Ein kurzer Aufenthalt wäre wohl möglich, sofern es subtile Hüllen des Erden-Daseins gibt, die zur Erde gehören, aber von vitaler oder mentaler Art sind. Aber selbst dann gäbe es nur dann einen triftigen Grund für die Seele, längere Zeit hier “umzugehen”, wenn sie noch mit übermächtiger Bindung an das Erden-Leben belastet ist. Will die Persönlichkeit den materiellen Körper überleben lassen, setzt das ein supraphysisches Dasein voraus. Das kann aber nur auf einer Ebene des Seienden geschehen, die der Entwicklungsstufe des Bewußtseins entspricht. Oder es muß, wenn es keine Entwicklung gibt, in einem zeitweiligen zweiten Heim des Geistes geschehen, das ihr natürlicher Aufenthaltsort zwischen dem einen und dem anderen Leben wäre, – wenn es nicht ihre ursprüngliche Welt ist, aus der sie nicht mehr in die materielle Natur zurückkehrt.

Wo würde dann dieser zeitweilige Aufenthalt im Supraphysischen stattfinden? Welches wäre die andere Wohnstätte der Seele? Es könnte so aussehen, als sollte das auf einer mentalen Ebene sein, in mentalen Welten, einerseits weil für den Menschen, das mentale Wesen, die Anziehung jener Welten, die schon im Leben so wirksam ist, dann überwiegen muß, wenn das Hindernis der Gebundenheit des Körpers nicht mehr besteht, andererseits weil die mentale Ebene offensichtlich die ursprüngliche und eigentliche Wohnstätte eines mentalen Wesens sein sollte. Weil aber das Wesen des Menschen so komplex ist, muß das nicht automatisch erfolgen. Er besitzt ebenso ein vitales wie ein mentales Dasein – seine vitalen Seiten treten oft machtvoller und aufdringlicher hervor als die mentalen –, und hinter dem mentalen Wesen ist eine Seele, deren Repräsentant das Mental ist. Außerdem gibt es viele Ebenen oder Stufen des Welt-Daseins, durch die die Seele hindurchgehen muß, um das für sie natürliche Heim zu erreichen. Man nimmt an, daß es in der physischen Ebene selbst oder nahe bei ihr Schichten von immer feinerer subtiler Art gibt, die man als Unter-Ebenen des Physischen von vitalem und mentalem Charakter ansehen kann. Das sind Schichten, die uns umgeben und zugleich auch in uns eindringen. Durch sie hindurch findet der Austausch zwischen den höheren Welten und der physischen Welt statt. Dann könnte es für den mentalen Menschen möglich sein, daß er, solange seine Mentalität noch nicht genügend entwickelt ist, solange sie hauptsächlich auf die mehr physischen Formen der Aktivität von Mental und Leben beschränkt ist, in diesen Zwischenregionen gefangen und aufgehalten wird. Er könnte sogar gezwungen werden, zwischen der einen und der anderen Geburt ganz dort zu bleiben. Das ist aber nicht wahrscheinlich und könnte nur dann geschehen, wenn und insofern seine Gebundenheit an die Erden-Formen seiner bisherigen Aktivität so stark gewesen ist, daß sie die Vollendung seines natürlichen Weges nach oben hin ausschließt oder behindert. Denn der Zustand der Seele nach dem Tod muß irgendwie der Entwicklung des Wesens auf der Erde entsprechen. Das Leben danach ist also keine freie Rückkehr nach oben von einem vorübergehenden zeitweiligen Irrweg hinab in die Sterblichkeit. Vielmehr ist es ein normales, sich wiederholendes Ereignis, das zwischen Tod und Geburt eintritt, um den Prozeß einer schwierigen spirituellen Entwicklung im physischen Dasein zu unterstützen. Es gibt eine Beziehung, die das menschliche Wesen in seiner Entwicklung auf Erden mit den höheren Ebenen des Seins knüpft. Das muß entscheidend auf sein Wohnen in diesen Ebenen zwischen Tod und Wiedergeburt wirken. Es muß seine Richtung nach dem Tod und auch Ort, Zeitdauer und Charakter seiner Selbst-Erfahrung dort bestimmen.

Es mag auch sein, daß der Mensch noch eine Zeitlang in einem dieser angrenzenden Bereiche anderer Welten umgeht, die von seinen gewohnten Anschauungen oder von der Art seines Trachtens im sterblichen Körper erschaffen werden. Wir wissen, daß er sich Bilder dieser höheren Ebenen macht, die oft mentale Übertragungen von gewissen Elementen in ihnen sind. Aus diesen Bildern errichtet er ein System, eine Form aktueller Welten. Er baut sich auch Wunsch-Welten vielerlei Art auf, die er dank seiner Neigung zu ihnen stark als innere Wirklichkeit empfindet: Möglicherweise sind diese Konstruktionen so stark, daß sie für ihn eine künstliche Umgebung nach dem Tod erschaffen, in der er dann verweilen kann. Denn die Macht des menschlichen Mentals, Bilder zu erschaffen, seine Phantasie, die in seinem physischen Leben nur eine unentbehrliche Hilfe ist, sich Wissen zu erwerben und das Leben zu gestalten, kann auf höherer Stufe zur schöpferischen Macht werden, die es seinem mentalen Wesen möglich macht, eine Zeitlang inmitten seiner eigenen Bilder zu leben, bis diese durch den Druck der Seele aufgelöst werden. Alle diese Mentalgebäude haben die Art von umfassenden Lebenskonstruktionen. In ihnen überträgt das Mental einige der wirklichen Zustände der höheren mentalen und vitalen Welten in die Begriffe seiner physischen Erfahrung, vergrößert, zeitlich verlängert, zu einem Zustand ausgedehnt, der über die physischen Verhältnisse hinausgeht. Durch diese Übertragung bringt er die vitale Freude und das vitale Leiden des physischen Wesens in die supraphysischen Verhältnisse, in denen sie größere Weite, Fülle und Dauer bekommen. Man muß also diese konstruierten Umgebungen, soweit sie überhaupt eine Stätte im Supraphysischen haben, als angrenzendes Gebiet der vitalen und niederen mentalen Ebenen ansehen.

Es gibt aber auch die wahren vitalen Welten – ursprüngliche Konstruktionen, organisierte Entwicklungen, echte Heimstätten des universalen Lebens-Prinzips, die kosmische vitale anima, die dort in ihrem eigenen Bereich und in ihrer eigenen Natur wirkt. Auf seinem Weg zwischen den Geburten mag der Mensch dort durch die Kraft der überwiegend vitalen Einflüsse, die sein irdisches Leben gestaltet haben, eine Weile festhalten werden, denn diese Einflüsse gehören ursprünglich zur vitalen Welt. Ihre Gewalt über ihn könnte ihn einige Zeit in ihrem Bezirk zurückhalten. Er mag dort in der Gewalt jener Dinge festgehalten werden, die ihn hier schon im physischen Wesen beherrschten. Aber jedes Verbleiben der Seele in Grenzgebieten oder in ihren eigenen Konstruktionen könnte nur eine Übergangsstufe des Bewußtseins sein, wenn sie vom physischen in den supraphysischen Zustand übergeht. Sie muß aus diesen Strukturen in die wahren Welten der supraphysischen Natur weitergehen. Sie kann sofort in die Welten des anderen Lebens eingehen oder auf einer Übergangsstufe in einem Bereich der subtilphysischen Erfahrung bleiben, dessen Umgebung ihr eine Ausweitung der Zustände des physischen Lebens zu sein scheint, jedoch unter freieren Bedingungen, die einem subtileren Medium angepaßter sind und eine Art glücklicher Vollkommenheit von Mental und Leben oder ein verfeinerteres körperliches Dasein darstellen. Jenseits dieser subtil-physischen Ebenen der Erfahrung und der Lebens-Welten gibt es auch mentale und spirituell-mentale Welten, zu denen die Seele zwischen Tod und Geburt einen Zugang zu haben scheint, in die sie ihren Weg zwischen ihren Inkarnationen lenken kann. Wahrscheinlich kann sie aber dort nicht bewußt leben, wenn sie nicht in diesem Leben schon eine ausreichende Entfaltung von Mental oder Seele erworben hat. Denn normalerweise müssen diese Stufen die höchsten sein, die das sich entwickelnde Wesen zwischen Tod und Geburt bewohnen kann, da niemand, der nicht über die mentalen Sprossen auf der Leiter des Seienden hinausgekommen ist, zu einem supramentalen oder übermentalen Zustand emporsteigen könnte. Hätte sich aber ein Mensch so sehr entwickelt, daß er den Sprung über die mentale Stufe hinaus gemacht und eine solche Höhe erlangt hat, dann könnte er möglicherweise nicht mehr hierher zurückkehren, solange die physische Evolution hier in der Materie noch keine Organisation eines übermentalen oder supramentalen Lebens entwickelt hat.

Indessen ist es aber nicht wahrscheinlich, daß die mentalen Welten die letzte normale Stufe beim Weitergehen nach dem Tod darstellen. Ist doch der Mensch nicht allein mental: Die Seele, das psychische Wesen, ist der Wanderer zwischen Tod und Geburt, nicht das Mental. Das mentale Wesen ist nur ein vorherrschendes Element in der Gestalt, in der sich die Seele zum Ausdruck bringt. So muß es also für die Seele eine Zuflucht auf einer Ebene rein psychischen Seins geben, in der sie auf ihre Wiedergeburt warten kann. Dort könnte sie sich die Kräfte ihres vergangenen Lebens und ihrer Erfahrung angleichen und ihre Zukunft vorbereiten. Im allgemeinen sollte man von einem normal entwickelten menschlichen Wesen, das zu einer genügend starken Mentalität emporgekommen ist, erwarten, daß es auf seinem Weg zu seiner psychischen Ruhestätte nacheinander durch alle die subtil-physischen, vitalen und mentalen Ebenen hindurchgeht. Auf jeder Stufe würde es die Bruchstücke seiner geformten Persönlichkeitsstruktur, die nur vorübergehend und äußerlich sind und zu seinem vergangenen Leben gehören, aufarbeiten, um sich ihrer zu entledigen. Es würde seine Mental-Hülle und seine Vital-Hülle ebenso ablegen wie schon vorher seine körperliche Hülle. Zurückbleiben würden das Wesen der Persönlichkeit und ihre mentalen, vitalen und körperlichen Erfahrungen in einer latenten Erinnerung oder als dynamische Möglichkeit für die Zukunft. Wenn aber die Entwicklung des Mentals unzulänglich war, kann die Seele möglicherweise nicht bewußt über die vitale Stufe hinausgehen. Dieses Wesen würde dann entweder von hier aus zurückfallen und aus seinen vitalen Himmeln oder Fegefeuern zur Erde zurückkehren. Oder es würde folgerichtiger sofort in eine Art von seelischem Angleichungs-Schlaf versinken, der so lange dauert wie die Zeit bis zu seiner neuen Geburt. Um auf den höchsten Ebenen wach sein zu können, ist eine gewisse Entwicklung unerläßlich.

All das ist indessen nur von starker Wahrscheinlichkeit und, obwohl es in der Praxis an Notwendigkeit herankommt und durch gewisse Fakten subliminaler Erfahrung bestätigt wird, für das rational urteilende Mental an sich noch nicht voll beweiskräftig. Wir müssen uns fragen, ob es noch eine weitere, wesenhaftere Notwendigkeit für die Intervalle zwischen Tod und Geburt gibt, zumindest eine so kraftvolle, daß sie zu einem unwidersprechlichen Schluß führt. Eine solche Notwendigkeit werden wir in der entscheidenden Rolle finden, die die höheren Ebenen in der Erden-Entwicklung und in der Beziehung spielen, die die Evolution zwischen ihnen und dem sich entwickelnden Seelen-Bewußtsein geschaffen hat. Unsere Entwicklung findet weithin durch deren höheres, wenn auch verborgenes Einwirken auf unsere Erden-Ebene statt. All das ist im Unbewußten oder im Unterbewußten, jedoch als Entwicklungsmöglichkeit aufbewahrt. Die Einwirkung von oben hilft, ein Hervortreten zu erzwingen. Fortgesetztes Einwirken ist notwendig, um den Fortschritt der mentalen und vitalen Gestaltungen zu bestimmen, den unsere Evolution in der materiellen Natur durchläuft. Denn diese progressiven Bewegungen können nur dann ihre volle Wirkungskraft, ihre eigentliche Bedeutung gegen den Widerstand einer unbewußten, trägen, unwissenden materiellen Natur entfalten, wenn sie, zwar insgeheim aber ständig, Zuflucht bei den höheren supraphysischen Kräften ihrer eigenen Art suchen. Diese Zuflucht, das Wirken dieser geheimen Allianz, findet hauptsächlich in unserem subliminalen Wesen und nicht an der Oberfläche statt. Von hier tritt die aktive Macht unseres Bewußtseins hervor. Alles, was es realisiert, sendet es ständig in das subliminale Wesen zurück, damit es dort gespeichert und entwickelt wird, um später in stärkeren Gestaltungen wieder hervorzutreten. Diese gegenseitige Einwirkung zwischen unserem umfassenderen verborgenen Wesen und unserer vordergründigen Personalität ist das wichtigste Geheimnis der raschen Entwicklung, die im Menschen wirksam ist, sobald er einmal über die niederen Stufen des in der Materie versunkenen Mentals hinausgekommen ist.

Jene Zuflucht muß auf der Stufe zwischen Tod und Geburt fortbestehen. Denn eine neue Geburt, ein neues Leben nimmt die Entwicklung nicht genau an dem Punkt wieder auf, wo sie im letzten Leben aufhörte. Sie wiederholt nicht nur unsere frühere vordergründige Persönlichkeit und die Gestaltung unserer Natur und setzt diese fort. In jener Zuflucht findet Angleichung statt. Alte Charaktereigenschaften und Beweggründe werden abgelegt, manche verstärkt und neu geordnet. Die Entwicklungen der Vergangenheit werden neu gesichtet und für die Zwecke der Zukunft ausgewählt. Ohne das kann der neue Anfang nicht erfolgreich sein, die Entwicklung nicht weiterführen. Denn jede Geburt ist ein neuer Anfang. Gewiß entwickelt er sich aus der Vergangenheit; er ist aber nicht deren mechanische Fortsetzung: Wiedergeburt ist keine ständige Wiederholung, sondern ein Fortschritt. Sie ist der Mechanismus eines evolutionären Prozesses. Ein Teil dieser neuen Ordnung der Eigenschaften, besonders das Ausmerzen früherer starker Schwingungen der Personalität, kann nur dadurch bewirkt werden, daß nach dem Tod das Drängen früherer mentaler, vitaler und physischer Beweggründe zum Stillstand gebracht wird. Diese innere Befreiung, dieses Abwerfen von Behinderungen, muß auf Ebenen zustandegebracht werden, die den Beweggründen entsprechen, die beseitigt oder sonstwie aufgearbeitet werden sollen, also auf Ebenen, die selbst von jener Art sind. Nur dort kann die Seele noch jene Wirkweisen, die zum Stillstand gebracht oder aus dem Bewußtsein zurückgewiesen werden müssen, fortsetzen, damit sie zu einer neuen Gestalt weitergehen kann. Es ist auch wahrscheinlich, daß die integrierende positive Vorbereitung von der Seele selbst durchgeführt und von ihr der Charakter des neuen Lebens am Zufluchtsort, ihrer eigentlichen Heimat, entschieden wird, auf einer Ebene psychischer Ruhe, wo sie alles in sich zurücknehmen und ihre neue Stufe in der Evolution erwarten kann. Das würde bedeuten, daß die Seele fortschreitend durch die subtil-physischen, vitalen und mentalen Welten hindurch bis zu jener psychischen Zufluchtsstätte geht, von der aus sie dann zu ihrer weiteren Pilgerschaft auf die Erde zurückkehren würde. Konsequenz der Zuflucht zwischen Tod und Geburt wäre, daß die Seele die so vorbereiteten Materialien sammelt, entfaltet und in dem neuen Erden-Leben ausarbeitet. Die neue Geburt wird dann zum Feld für das hieraus entstehende Wirken, für ein neues Stadium oder für eine Spiral-Kurve in der individuellen Evolution des verkörperten Geistes.

Denn wenn wir sagen, die Seele entfaltet auf Erden nacheinander das physische, das vitale, das mentale und das spirituelle Wesen, so meinen wir nicht, daß sie diese neu erschafft und diese nicht schon vorher existiert hätten. Im Gegenteil, in Wirklichkeit manifestiert sie die Prinzipien ihres spirituellen Wesens und tut das unter den ihr von einer Welt physischer Natur auferlegten Bedingungen. Diese Manifestation nimmt die Form der Struktur einer Vordergrunds-Personalität an, die eine Übertragung des inneren Selbsts in die Begriffe und Möglichkeiten des physischen Daseins ist. So müssen wir faktisch die antiken Vorstellungen annehmen, daß der Mensch in seinem Innern nicht nur die physische Seele, den purusha hat samt der diesem entsprechenden Natur, sondern auch ein vitales, ein mentales, ein psychisches, ein supramentales und ein höchstes spirituelles Wesen (Taittiriya Upanishad). Alle diese Seiten seines Wesens oder ihre Gegenwart und Kraft sind zum größeren Teil in seinen subliminalen oder latenten und in seinen noch nicht formulierten überbewußten Seiten verborgen. Er muß ihre Mächte in seinem aktiven Bewußtsein in den Vordergrund bringen und selbst in seinem Wissen für sie wach werden. Jede dieser Mächte seines Wesens steht aber in Beziehung zu der eigenen, ihr entsprechenden Seins-Ebene, alle haben dort ihre Wurzeln. Durch diese nimmt das Wesen seine subliminale Zuflucht zu den gestaltenden Einflüssen von oben her, eine Zuflucht, die uns entsprechend unserer höheren Entwicklung immer mehr bewußt werden kann. Es ist also logisch, daß der Entwicklung ihrer Mächte in unserer bewußten Evolution auch der Zufluchtsort zwischen Tod und Geburt entsprechen muß, den die Art unserer Geburt hier, ihr evolutionäres Ziel und ihr Prozeß erfordern. Die Umstände und die Stufen dieser Zuflucht müssen komplex sein und dürfen nicht den grob und scharf abgegrenzten primitiven Charakter tragen, wie sich ihn die populären Religionen vorstellen. An sich kann man aber diese Zuflucht als eine unausweichliche Konsequenz des eigentlichen Ursprungs und der Natur des Seelen-Lebens im Körper akzeptieren. Das All ist ein eng verflochtenes Gewebe, eine Entwicklung und ein Ineinanderwirken, dessen Verbindungsglieder von einer Bewußten-Kraft gebildet worden sind, die die Wahrheit ihrer eigenen Beweggründe im Einklang mit einer kraftgeladenen Logik dieser endlichen Wirkweisen des Unendlichen durchführt.

Ist diese Betrachtung der Wiedergeburt und des zeitweiligen Übergangs der Seele in andere Ebenen des Seins korrekt, dann nehmen die Wiedergeburt und das Leben nach dem Tod Bedeutungen an, die verschieden sind, je nachdem sie durch die seit langem gängigen Vorstellungen von Wiedergeburt und den Aufenthalt nach dem Tod in Welten jenseits von uns gefärbt sind. Im allgemeinen nimmt man an, die Wiedergeburt habe zwei Aspekte, einen metaphysischen und einen moralischen, einen Aspekt spiritueller Notwendigkeit und einen kosmischer Gerechtigkeit und ethischer Disziplin. Die Seele – von der man in dieser Auffassung oder für diesen Zweck annimmt, sie habe ein wirkliches individuelles Dasein – sei infolge ihres Begehrens und ihrer Unwissenheit auf Erden. Sie müsse auf Erden bleiben oder immer wieder hierher zurückkehren, solange sie nicht des Begehrens müde geworden und zu der Erkenntnis ihrer Unwissenheit und zum wahren Wissen erwacht sei. Dieses Begehren zwinge sie, immer wieder zu einem neuen Körper zurückzukehren. Sie müsse stets den Umdrehungen des Rades der Geburt folgen, bis sie erleuchtet und befreit sei. Sie verbleibe allerdings nicht immer auf Erden, sondern wechsle zwischen der Erde und anderen Welten der Himmel und der Höllen, bis sie den in ihr angehäuften Vorrat von Verdienst und Vergehen infolge ihrer sündigen oder tugendhaften Handlungen aufgearbeitet habe.

Dann kehre sie auf die Erde und in eine Art irdischen Körper zurück, manchmal in einen menschlichen, manchmal in den eines Tieres und manchmal sogar in einen pflanzlichen. Die Art dieser neuen Inkarnation und das Schicksal der Seele würden automatisch durch ihre vergangenen Handlungen, durch das karma, bestimmt. Wenn die Summe des vergangenen Wirkens gut war, geschehe die Geburt in der höheren Gestalt, das Leben werde froh und erfolgreich oder unsagbar glücklich. War es schlecht, dann erhielten wir eine niedrigere Form der Natur als Haus, oder das Leben werde, als menschliches, ohne Freude, ohne Erfolg, voll von Leiden und Unglück sein. Waren unsere vergangenen Taten und unser Charakter vermischt, dann gebe uns die Natur, einem guten Buchhalter gleich, je nach der Gesamtsumme und den Werten unseres früheren Verhaltens, eine wohl bemessene Bezahlung mit einer Mischung von Freude und Leiden, Erfolg und Mißerfolg, dem seltensten großen Glück und dem härtesten Unglück. Zugleich mag auch ein starker persönlicher Wille oder ein Begehren im vergangenen Leben die neue Form der inkarnierten Seele, avatara, bestimmen. Diesen Bezahlungen der Natur wird oft ein mathematischer Aspekt gegeben, denn nach dieser Auffassung sollten wir eine genaue Strafe für unsere Missetaten auf uns laden, uns der gleich großen Vergeltung unterziehen oder den gleichhohen Gegenwert erstatten für das, was wir anderen zugefügt oder gegen sie veranlaßt haben. Die unerbittliche Regel “Zahn um Zahn” ist ein häufiges Prinzip dieses karma-Gesetzes. Denn dieses Gesetz ist ebenso ein Arithmetiker mit seiner Rechenmaschine wie ein Richter mit seinem Strafgesetz für lang hinter uns liegende Vergehen und Missetaten. Es ist aber auch zu bemerken, daß es in diesem System eine doppelte Bestrafung und eine doppelte Belohnung für Sünde und Tugend gibt. Denn der Sünder wird zuerst in der Hölle gefoltert und dann noch in einem anderen Leben hier für die gleichen Sünden geplagt. Und der Gerechte oder der Puritaner wird mit himmlischen Freuden belohnt und danach für dieselben Tugenden und guten Taten noch einmal in einem neuen irdischen Dasein verwöhnt.

Das sind sehr summarische Auffassungen; sie bieten der philosophischen Vernunft keinen Standpunkt und keine Antwort auf der Suche nach der wahren Bedeutung des Lebens. Ein ungeheures Welt-System, das als Einrichtung nur zu dem Zweck existieren sollte, endlos an einem Rad der Unwissenheit zu drehen, und kein anderes Ziel bietet, als schließlich die Chance, von ihm abzuspringen, ist keine Welt mit wirklichem Seinsgrund. Eine Welt, die nur als Schule für Sünde und Tugend dient, die aus einem System von Zuckerbrot und Peitsche besteht, wirkt auf unsere Intelligenz nicht überzeugender. Wenn die Seele oder der Geist in unserem Innern göttlich, unsterblich oder himmlisch ist, kann sie nicht nur hierher geschickt worden sein, um für eine solche Art roher und primitiver moralischer Erziehung in die Schule geschickt zu werden. Wenn sie in die Unwissenheit eintreten sollte, muß das geschehen sein, weil es ein höheres Prinzip, eine Möglichkeit in ihrem Wesen gibt, die durch die Unwissenheit ausgearbeitet werden muß. Ist die Seele andererseits ein Wesen, das für einen kosmischen Zweck aus dem Unendlichen in die Finsternis der Materie gestürzt wurde und in ihr zur Selbst-Erkenntnis heranwachsen soll, muß ihr Leben hier und seine Bedeutung etwas mehr sein, denn als kleines Kind zu einem tugendsamen Verhalten verhätschelt und gezüchtigt zu werden. Das Leben der Seele muß wachsen, aus angenommener Unwissenheit zur eigenen vollen spirituellen Größe, schließlich in ein unsterbliches Bewußtsein, in Wissen, Stärke, Schönheit, göttliche Reinheit und Macht übergehen. Für solch spirituelles Wachstum ist dieses Gesetz von karma allzu kindisch. Selbst wenn die Seele etwas Erschaffenes wäre, ein Kind-Wesen, das von der Natur zu lernen und in die Unsterblichkeit zu wachsen hat, muß das durch ein umfassenderes Wachstum geschehen, nicht aber durch irgendein göttliches Gesetzbuch primitiver, barbarischer Gerechtigkeit. Diese Vorstellung von karma ist eine Konstruktion des kleinlichen vitalen Mentals des Menschen, das sich vor allem um seine kümmerlichen Lebensregeln, seine Sehnsüchte, Freuden und Leiden sorgt und deren armselige Maßstäbe zu Gesetz und Ziel des Kosmos erhebt. Diese Auffassungen können für das denkende Mental nicht annehmbar sein. Sie tragen zu offensichtlich den Stempel einer Konstruktion an sich, die durch unsere menschliche Unwissenheit verfertigt wurde.

Man kann aber dieselbe Lösung auf eine höhere Stufe der Vernunft emporheben und ihr eine eher einleuchtende Deutung und die Färbung eines kosmischen Prinzips geben. Man könnte sie zuerst auf das unangreifbare Fundament stellen, daß alle Energien in der Natur ihre natürliche Konsequenz in sich tragen. Wenn eine Energie im gegenwärtigen Leben ohne sichtbares Resultat bleibt, mag es wohl sein, daß dieses Ergebnis nur verzögert, nicht aber für immer zurückgehalten wird. Jeder Mensch erntet den Herbst seiner Werke und Taten, den Lohn für das Wirken, das durch die Energien seiner Natur hervorgerufen wurde. Die Ergebnisse, die in seiner gegenwärtigen Geburt nicht zutage treten, müssen für ein darauffolgendes Dasein aufbewahrt werden. Es ist wahr, daß das Resultat der Energien und Handlungen des Einzelnen nicht ihm selbst, sondern den anderen zuwächst, wenn er weitergegangen ist. Denn das erleben wir ständig. Es kommt sogar während der Lebenszeit eines Menschen vor, daß die Früchte seiner Energien von anderen geerntet werden. Der Grund dafür ist, daß es eine Solidarität und Kontinuität des Lebens in der Natur gibt und daß der einzelne Mensch, auch wenn er es wollte, nicht völlig für sich allein leben kann. Wenn es aber für das Individuum eine Kontinuität des Lebens durch Wiedergeburt gibt, und nicht nur eine Kontinuität des Lebens der Masse und des kosmischen Lebens, und wenn der Einzelne ein Selbst, eine Natur und eine Erfahrung hat, die sich immer weiterentwickeln, darf unvermeidlich auch bei ihm das Wirken seiner Energien nicht plötzlich abgeschnitten werden, muß es zu irgendeiner Zeit in seinem fortdauernden, sich entwickelnden Sein Ergebnisse zeitigen. Des Menschen Wesen, seine Natur und seine Lebensumstände sind das Ergebnis seiner eigenen inneren und äußeren Betätigungen, nicht etwas Zufälliges und Unerklärliches: Er ist das, wozu er sich selbst gemacht hat. Der vergangene Mensch war der Vater des Menschen, der heute ist. Der gegenwärtige Mensch ist der Vater des Menschen, der morgen sein wird. Jeder Mensch erntet, was er sät. Von dem, was er tut, hat er seinen Vorteil; für das, was er tut, leidet er. Dies ist das Gesetz und die Kette des karma, des Handelns, des Wirkens der Natur-Energie. Es gibt der totalen Kraft unseres Daseins und seiner Natur, seinem Charakter und seinem Wirken seine Bedeutung, die anderen Theorien des Lebens fehlt. Aufgrund dieses Prinzips ist es evident, daß des Menschen vergangenes und gegenwärtiges karma seine zukünftige Geburt, deren Ereignisse und Umstände bestimmen muß. Denn auch diese müssen die Frucht seiner Energien sein: Alles, was er in der Vergangenheit war und tat, muß der Schöpfer all dessen sein, was er jetzt ist und in seiner Gegenwart erfährt. Alles, was er jetzt in der Gegenwart ist und tut, muß der Schöpfer dessen sein, was er in der Zukunft sein und erfahren wird. Der Mensch ist der Schöpfer seiner selbst. Er ist auch der Schöpfer seines Schicksals. All das ist völlig rational und duldet, soweit es geht, keine Ausnahme. Das Gesetz des karma kann als Tatsache, als ein Teil des kosmischen Mechanismus, anerkannt werden, denn es ist – wenn man einmal die Wiedergeburt anerkennt – so einleuchtend, daß es nicht bestritten werden kann.

Es gibt jedoch bei dieser Theorie zwei Begründungen, die den Ton eines gewissen Zweifels hereinbringen. Mögen sie auch teilweise wahr sein, so übertreiben sie doch und bewirken eine falsche Perspektive, weil sie als der ganze Sinn des karma herausgestellt werden. Die erste heißt: So wie die Art der Energie ist, so muß auch die Art des Resultats sein, die gute müsse gute Ergebnisse zeitigen, die schlechte zu schlechten Resultaten führen. Die zweite lautet: Das Schlüsselwort von karma sei Gerechtigkeit, und darum müßten gute Taten auch die Frucht von Glück und gutem Schicksal tragen, böse Taten dagegen die Frucht von Schmerz, Leid, Elend und bösem Schicksal. Da es eine kosmische Gerechtigkeit geben müsse, die zuschaue und irgendwie die unmittelbaren und sichtbaren Wirkweisen der Natur im Leben kontrolliere, die aber für uns in den Tatsachen des Lebens, wie wir sie sehen, nicht sichtbar sei, müsse sie in der Totalität ihrer unsichtbaren Maßnahmen gegenwärtig und bezeugt sein. Sie müsse das subtile und kaum sichtbare, doch starke und feste verborgene Band sein, das die sonst zusammenhanglosen Einzelheiten ihres Umgangs mit ihren Geschöpfen zusammenhält. Auf die Frage, warum allein Taten, gute oder böse, ein Resultat zeitigen sollten, mag man zugeben, auch alle guten oder bösen Gedanken, Gefühle, Handlungen haben ihre entsprechenden Ergebnisse. Nun sei aber das Handeln der größere Teil des Lebens und die Erprobung und formulierte Macht der Wesenswerte des Menschen. Auch sei er nicht immer verantwortlich für seine Gedanken und Gefühle, da diese oft unwillkürlich seien. Dagegen müsse man ihn für das verantwortlich machen, was er tue, da das seiner Entscheidung unterliege. Darum gestalteten hauptsächlich seine Taten sein Schicksal. Sie seien die hauptsächlichen oder stärksten, entscheidenden Faktoren für sein Wesen und seine Zukunft. Das sei das ganze Gesetz von karma. Dazu müssen wir bemerken, daß ein Gesetz oder eine Kette von karma nur ein äußerlicher Mechanismus ist. Man darf es nicht zu einer höheren Position erheben und zum alleinigen und absolut bestimmenden Faktor für das Wirken des Lebens im Kosmos machen, es sei denn, der Kosmos sei in seinem Charakter selbst etwas völlig Mechanisches. Gewiß haben viele die Auffassung, alles sei nur Gesetz und Verfahren, und es gebe kein bewußtes Wesen, keinen bewußten Willen in oder hinter dem Kosmos. Ist das so, dann ist hier ein Gesetz und ein Verfahren, das unsere menschliche Vernunft und unsere mentalen Maßstäbe von Recht und Gerechtigkeit befriedigt und die Schönheit und Wahrheit einer vollkommenen Symmetrie und einer mathematischen Genauigkeit seines Wirkens an sich trägt. Aber nicht alles ist Gesetz und Verfahren; es gibt auch Wesen und Bewußtsein. Es gibt in den Dingen nicht nur einen Mechanismus, sondern einen Geist; nicht allein Natur und Gesetz des Kosmos, sondern einen kosmischen Geist; nicht nur einen Funktionsablauf von Mental, Leben und Körper, sondern auch eine Seele im natürlichen Geschöpf. Wäre das nicht so, es könnte keine Wiedergeburt einer Seele und kein Feld für ein Gesetz von karma geben. Ist aber die fundamentale Wahrheit unseres Wesens spirituell und nicht mechanisch, dann müssen unser Selbst, unsere Seele grundlegend die Evolution bestimmen. Das Gesetz von karma kann nur eine unter den Verfahrensweisen sein, die sie für diesen Zweck verwendet: Unser Geist, unser Selbst muß größer sein als sein karma. Es gibt ein Gesetz; es gibt aber auch eine spirituelle Freiheit: Gesetz und Verfahrensablauf sind die eine Seite unseres Seins. Sie herrschen über unser äußeres Mental, unser Leben, unseren Körper, denn diese sind dem Mechanismus der Natur zumeist unterworfen. Aber gerade hier ist ihre mechanische Macht nur über den Körper und die Materie absolut. Denn das Gesetz wird immer komplexer und weniger starr, der Prozeß wird formbarer und weniger mechanisch, wenn das Phänomen des Lebens auftritt. Noch mehr ist das der Fall, wenn das Mental mit seiner Subtilität zur Wirkung kommt. Da beginnt schon innere Freiheit einzuwirken. Je mehr wir nach innen gehen, desto mehr macht sich die Seele, ihre Macht zur Entscheidung, fühlbar: Denn prakriti ist das Feld für Gesetz und Verfahren; purusha erteilt die Sanktion, anumanta. Und selbst wenn purusha gewöhnlich vorzieht, beobachtender Zeuge zu bleiben und nur eine automatische Sanktion zuzugestehen, kann die Seele, wenn sie will, Herr über ihre Natur sein, ishvara.

Es ist nicht vorstellbar, daß der Geist in unserem Innern nur ein Automat in den Händen von karma und in diesem Leben ein Sklave seiner vergangenen Taten ist. Die Wahrheit muß weniger starr und eher formgebend sein. Wenn eine gewisse Menge von Ergebnissen des vergangenen karma im gegenwärtigen Leben formuliert wird, muß das mit der Zustimmung des psychischen Wesens geschehen, das lenkend über der neuen Gestaltung seiner Erden-Erfahrung steht. Es stimmt nicht nur einem äußeren, zwangsläufigen Prozeß zu sondern einem geheimen Willen und einer Führung. Dieser geheime Wille ist nicht mechanisch sondern spirituell. Die Führung kommt von einer Intelligenz, die mechanische Verfahrensweisen anwenden mag, diesen jedoch nicht unterworfen ist. Was die Seele durch ihre Geburt in einem Körper sucht, sind Ausdruck ihres Selbsts und Erfahrung. Von ihr wird alles gestaltet, was für den Ausdruck des Selbsts und für die Erfahrung in diesem Leben notwendig ist, ob das eintritt als automatisches Ergebnis vergangener Leben oder als freie Auswahl ihrer Resultate und deren Fortsetzung oder als eine neue Entwicklung – alles ist ein Mittel zur Erschaffung der Zukunft: Denn das Prinzip besteht nicht darin, den Mechanismus eines Gesetzes auszuarbeiten, sondern durch die kosmische Erfahrung die Natur so zu entwickeln, daß sie schließlich aus der Unwissenheit herauswachsen kann. Darum muß es die beiden Elemente geben: Karma als Instrument, aber auch das verborgene Bewußtsein und den Willen im Innern, die durch das Mental, das Leben und den Körper wirken, die das karma verwenden. Das Schicksal ist nur einer der Faktoren unseres Daseins, ob es rein mechanisch oder von uns selbst erschaffen ist, eine von uns selbst geschmiedete Kette. Das Wesen mit seinem Bewußtsein und seinem Willen sind ein noch wichtigerer Faktor. In der indischen Astrologie, die alle Lebensumstände als karma ansieht, die zumeist in der Schrift der Sterne vorausbestimmt und angezeigt sind, gibt es doch einen Vorbehalt für die Energie und Kraft des Wesens, das einen Teil, viel oder sogar alles von dem verändern und aufheben kann, was so geschrieben steht, außer den zwingendsten und mächtigsten Bindungen des karma. Das ist eine vernünftige Darstellung eines Gleichgewichts. Aber es muß zu dieser Rechnung noch die Tatsache hinzugefügt werden, daß das Schicksal nicht einfach sondern komplex ist. Das Schicksal, das unser physisches Wesen festlegt, bindet es nur so lange und insofern, als kein höheres Gesetz eingreift. Das Handeln gehört zu unserer physischen Seite; es ist das physische Ergebnis unseres Wesens. Aber hinter unserer Außenseite steht eine freiere Lebens-Macht, eine freiere Mental-Macht, die über die andere Energie verfügt, ein anderes Schicksal erschaffen und dieses einsetzen kann, um den ursprünglichen Plan abzuändern. Sobald die Seele und das Selbst hervortreten und wir bewußte spirituelle Wesen werden, kann diese Umwandlung die Schrift unseres physischen Schicksals aufheben oder völlig umgestalten. Wir brauchen also karma, zumindest ein mechanisches Gesetz von karma, nicht als einzig bestimmenden Faktor der Umstände und ganzen Mechanismus unserer Wiedergeburt und künftigen Entwicklung anzuerkennen.

Das ist aber noch nicht alles. Mit diesen Feststellungen über das Gesetz irren wir dank zu großer Vereinfachung und der willkürlichen Auswahl eines begrenzten Prinzips. Handeln ist das Ergebnis der Energie des Menschen. Aber diese Energie ist nicht von einer einzigen Art. Die Bewußtseins-Kraft des Geistes manifestiert sich in vielen Arten von Energie: Es gibt innere Aktivitäten von Mental, Aktivitäten von Leben, von Begehren, Impuls, Charakter, Aktivitäten der Sinne und des Körpers, ein Streben nach Wahrheit und Wissen, ein Streben nach Schönheit, ein Streben nach ethisch Gutem oder Bösem, ein Streben nach Macht, Liebe, Glück, Freude, Vermögen, Erfolg, Vergnügen, Lebens-Befriedigungen aller Art und Ausweitung des Lebens, ein Streben nach individuellen oder kollektiven Zielen, ein Streben nach Gesundheit, Stärke, Tüchtigkeit und nach der Befriedigung des Körpers. All das macht eine äußerst komplexe Summe der vielfältigen Erfahrung und des vielseitigen Wirkens des Geistes im Leben aus. Man darf diese Mannigfaltigkeit nicht zugunsten eines einzigen Prinzips beiseite schieben. Sie darf auch nicht in so viele Unterteile der einzigen Dualität von ethisch Gutem oder Bösem zerhämmert werden. Deshalb kann die Ethik, das Aufrechterhalten der menschlichen Maßstäbe der Moral, nicht das vordringlichste Anliegen des kosmischen Gesetzes oder das einzige Prinzip sein, das die Wirksamkeit von karma bestimmt. Wenn es wahr ist, daß die Natur der eingesetzten Energie auch die Natur des Resultats oder Ergebnisses bestimmt, müssen alle diese Unterschiede in der Natur der Energie in Betracht gezogen werden; jede muß zu der ihr angemessenen Konsequenz führen. Die Energie des Suchens nach Wahrheit und Wissen muß als ihr natürliches Ergebnis – als ihren Lohn oder als ihr Honorar, wenn man so will – ein Hineinwachsen in die Wahrheit, eine Vermehrung von Wissen eintragen. Das Resultat einer Energie, die für Lüge und Falschheit verwendet wird, muß ein Anwachsen von Lüge und Falschheit in der Natur und ein tieferes Hinabsinken in die Unwissenheit sein. Wird eine Energie dem Streben nach Schönheit gewidmet, müßte sie belohnt werden durch vermehrten Sinn für Schönheit, die Freude an der Schönheit oder, wenn sie dahin gelenkt wird, durch Schönheit und Harmonie des Lebens und der Natur. Verfolgt man das Ziel der körperlichen Gesundheit, Kraft und Tüchtigkeit, so würde das den starken Menschen oder den erfolgreichen Athleten ausbilden. Wird die Kraft dafür eingesetzt, das ethisch Gute zu verwirklichen, so muß das schließlich anerkannt, belohnt oder vergolten werden durch vermehrte Tugend, das Glück sittlichen Wachstums oder die leuchtende Freude, Gelassenheit und Reinheit einer einfachen natürlichen Güte. Dagegen wäre die Strafe für die entgegengesetzten Energien, daß man tiefer in das Böse hinabsinkt, in eine stärkere Disharmonie und Verdorbenheit der Natur und, im Fall des Übermaßes in spirituellen Ruin, mahati vinastih. Wird eine Energie für Macht oder andere vitale Zwecke eingesetzt, so muß das zu einer Vermehrung der Fähigkeit führen, diese Ergebnisse zu erzwingen, oder zur Entfaltung von vitaler Stärke und Fülle. Das ist die gewöhnliche Ordnung der Dinge in der Natur. Wenn man von ihr Gerechtigkeit verlangt, so ist das sicherlich Gerechtigkeit, daß die eingesetzte Energie und Tüchtigkeit auch von ihr in der ihr entsprechenden Art eine passende Antwort erhalten sollte. Beim Rennen verleiht sie den Preis dem Schnellen, den Sieg in der Schlacht dem Tapferen, Starken und Tüchtigen, dem fähigen Intellekt und ernsten Forscher die Belohnungen des Wissens. Dem Mann, der zwar gut, aber nachlässig, schwach, ungeschickt oder dumm ist, wird sie diese Dinge nicht nur deshalb verleihen, weil er ein rechtschaffener und respektabler Mensch ist. Wenn er diese oder andere Mächte des Lebens erstrebt, muß er die ihnen entsprechenden Eigenschaften aufweisen und die richtige Art von Energie einsetzen. Würde die Natur anders handeln, könnte man sie mit Recht der Ungerechtigkeit zeihen. Es besteht kein Grund, sie wegen dieser vollkommen richtigen und normalen Ordnung der Ungerechtigkeit anzuklagen oder von ihr zu verlangen, sie solle in einem künftigen Leben die Lage so manipulieren, daß dem guten Menschen als natürliche Belohnung für seine Tugend ein hoher Posten, ein großes Bankkonto oder ein glückliches, leichtes und behagliches Leben gewährt werde. Das kann nicht die Bedeutung der Wiedergeburt oder eine ausreichende Grundlage für ein kosmisches Gesetz von karma sein.

Tatsächlich gibt es in unserem Leben ein starkes Element dessen, was wir Glück oder Erfolg nennen, das unsere Anstrengung für einen Erfolg vereitelt oder den Preis für Mühelosigkeit oder eine mindere Energie erteilt. Die geheime Ursache dieser Launen des Schicksals – oder die Ursachen, denn die Wurzeln eines Erfolges können vielfältig sein – muß zweifellos zum Teil im Dunkel unserer Vergangenheit gesucht werden. Man kann aber doch nur schwer die vereinfachte Lösung akzeptieren, ein besonderes Glück sei der Lohn für eine vergessene tugendhafte Tat in einem vergangenen Leben, während ein besonderes Unglück eine Vergeltung für eine Sünde oder für ein Verbrechen sei. Wenn wir einen gerechten Menschen leiden sehen, können wir doch schwerlich annehmen, dieses Vorbild an Tugend sei in seinem vergangenen Leben ein Bösewicht gewesen, der jetzt, selbst nach einer vorbildlichen Bekehrung durch eine neue Geburt, für damals begangene Sünden bezahlen müsse. Ebensowenig können wir bei dem bösen Menschen, der im Glück triumphiert, annehmen, er sei in seinem letzten Leben ein Heiliger gewesen, der plötzlich eine falsche Richtung einschlug, aber doch noch den Lohn für seine frühere Tugend in barer Münze bekommt. Eine völlige Bekehrung dieser Art zwischen dem einen Leben und dem anderen ist zwar möglich, doch ist sie wahrscheinlich nicht häufig. Die neue, entgegengesetzte Persönlichkeit aber mit den Belohnungen oder Strafen der früheren zu belasten, sieht wie ein sinnloses und reichlich mechanisches Vorgehen aus. Diese und viele andere Schwierigkeiten erheben sich, und die allzu simple Logik der Entsprechung ist nicht so stark, wie sie zu sein vorgibt. Die Vorstellung von Wiedervergeltung des karma als einer Kompensation für die Ungerechtigkeit des Lebens und der Natur ist eine schwache Grundlage für die Theorie, denn sie stellt ein seichtes menschliches Empfinden und einen oberflächlichen Maßstab als den Sinn des kosmischen Gesetzes heraus und gründet sich außerdem auf ein ungesundes Urteilsvermögen. Für das Gesetz des karma muß es eine andere und stärkere Begründung geben.

Hier entsteht, wie so oft, der Irrtum dadurch, daß wir einen Maßstab, den unser menschliches Mental erschafft, den höheren, freieren und umfassenderen Methoden der kosmischen Intelligenz aufzwingen. Bei der dem Gesetz von karma zugeschriebenen Wirksamkeit werden aus den vielen von der Natur geschaffenen Werten zwei ausgewählt: Das moralisch Gute und das Böse, Sünde und Tugend, sowie das vitalphysisch Gute und Böse, äußere Lust und Leiden, äußeres Glück und Unglück. Nun nimmt man an, es müsse zwischen beiden eine Gleichung bestehen, das eine müsse die Belohnung oder Bestrafung für das andere sein, die endgültige Sanktion, die es in der geheimen Gerechtigkeit der Natur empfange. Offenbar wird dieser Ausgleich von dem Gesichtspunkt aus getroffen, der allgemein das vital-physische Begehren in unseren Wesens-Seiten bestimmt. Da der niedere Teil unseres vitalen Wesens am meisten Lust und Glück begehrt und da er besonders Unglück und Leiden haßt und fürchtet, geht er so weit, daß er, wenn er die moralische Forderung an ihn, seine Neigungen einzuschränken, sich vom Tun des Bösen fernzuhalten und sich anzustrengen, das Gute zu tun, akzeptiert, einen Handel abschließt und ein kosmisches Gesetz aufstellt, das ihn für seine anstrengende Bezwingung seines Ichs kompensiert und ihm hilft, unter der Androhung von Strafen auf diesem schweren Weg der Selbstverleugnung standhaft zu bleiben. Ein wahrhaft sittlicher Mensch braucht aber kein System von Belohnungen und Strafen, um den Weg des Guten zu gehen und den Pfad des Bösen zu meiden. Tugend birgt für ihn ihren eigenen Lohn in sich; Sünde bringt dadurch ihre eigene Strafe mit sich, daß er unter dem Abfall vom Gesetz seiner eigenen Natur leidet. Das ist der wahre sittliche Maßstab. Im Gegensatz hierzu entwürdigt ein System von Belohnungen und Strafen sofort die sittlichen Werte des Guten, verkehrt Tugend in Ichsucht, in ein kommerzielles Feilschen egoistischen Interesses, und es ersetzt das richtige Motiv für die Enthaltung vom Bösen durch ein niederes Motiv. Die menschlichen Wesen haben eine Ordnung von Lohn und Strafe als gesellschaftliche Notwendigkeit errichtet, um zu verhindern, daß der Gemeinschaft Schädliches zugefügt wird, und um das zu ermutigen, was für sie hilfreich ist. Eine solche menschliche Maßnahme aber zu einem allgemeinen Gesetz der kosmischen Natur oder zu einem Gesetz des Höchsten Wesens oder zum obersten Gesetz des Seins zu erheben, ist von zweifelhaftem Wert. Es ist menschlich, aber auch kindisch, die unzureichenden engen Maßstäbe unserer Unwissenheit den umfassenderen und genaueren Wirkweisen der kosmischen Natur oder dem Wirken der höchsten Weisheit und des erhabenen Guten aufzuzwingen, das uns durch eine spirituelle Macht zu sich selbst emporzieht und langsam in uns durch unser inneres Wesen, nicht aber durch ein Gesetz von Versuchung und Zwang, auf unsere äußere vitale Natur einwirkt. Wenn die Seele mit Hilfe vielseitiger und komplexer Erfahrung durch die Evolution hindurchgeht, muß jedes Gesetz des karma, jede Vergeltung für ein Wirken oder für einen Einsatz von Energie, wenn es sich in diese Erfahrung einfügen soll, auch komplex sein und nicht von so einfachem und kleinlichem Gewebe oder in seiner Verfügung so starr und einseitig.

Zugleich kann man freilich dieser Lehre auch Teilwahrheit zubilligen, die jedoch kein fundamentales oder allgemeines Prinzip ist. Denn wenn diese Linien des Wirkens der Energie auch voneinander verschieden und unabhängig sind, können sie doch zusammenwirken und einander beeinflussen, wenn auch nicht durch ein starr festgelegtes Gesetz der Entsprechung. Es ist möglich, daß in der Gesamt-Methode der Vergeltungen der Natur ein Verbindungs-Faden oder eher eine gegenseitige Einwirkung zwischen dem vital-physischen Gut und Böse und dem sittlichen Gut und Böse vorkommt, eine begrenzte Entsprechung und ein Treffpunkt zwischen den auseinanderstrebenden Dualitäten, was zu einem untrennbaren Zusammenhang führt. Unsere verschiedenartigen Energien, Bestrebungen, Regungen sind in ihrem Wirken miteinander vermischt und können ein vermischtes Ergebnis zustande bringen: Unsere vitale Seite verlangt greifbare und äußere Belohnungen für Tugend, Erkenntnis, jede intellektuelle, ästhetische, moralische oder physische Anstrengung. Sie glaubt fest an Strafe für Sünde, sogar für Unwissenheit. Das mag einerseits ein entsprechendes kosmisches Wirken hervorrufen, andererseits auf ein solches reagieren. Denn die Natur nimmt uns so, wie wir sind, und paßt in gewissem Maß ihre Bewegungen unserem Bedürfnis und unseren Anforderungen an sie an. Wenn wir anerkennen, daß unsichtbare Kräfte auf uns einwirken, mag es auch unsichtbare Kräfte in der Lebens-Natur geben, die zur selben Ebene von Bewußtseins-Kraft gehören wie dieser Teil unseres Wesens, Kräfte, die sich im Einklang mit dem gleichen Plan oder dem gleichen Macht-Motiv bewegen wie unsere niedere vitale Natur. Man kann oft beobachten, daß ein sich durchsetzender vitaler Egoismus, der auf seinem Weg ohne Zurückhaltung oder Skrupel alles niedertrampelt, was sich seinem Willen oder Begehren entgegenstellt, in den Menschen eine Masse von Reaktionen gegen sich hervorruft, Reaktionen von Haß, Widerstand und Unwillen, die jetzt oder später ihre Folgen haben und noch furchtbarere feindliche Reaktionen in der universalen Natur hervorrufen. Es ist, als ob die Geduld der Natur, ihre Bereitwilligkeit, sich verwenden zu lassen, erschöpft wäre. Gerade die Kräfte, die das Ich des starken vitalen Menschen ergriffen und seinen Zwecken zu dienen gezwungen hat, rebellieren nun und wenden sich gegen ihn. Die Menschen, die er niedertrampelte, stehen auf und bekommen Macht, um ihn niederzuwerfen. Die unverschämte vitale Kraft des Menschen hat gegen den Thron der Notwendigkeit, des Schicksals, ausgeholt und wird nun selbst zerschmettert. Oder der lahme Fuß der strafenden Justitia holt zuletzt den bisher erfolgreichen Gesetzesbrecher ein. Diese Reaktion auf seine Energien mag in einem anderen Leben und nicht sogleich über ihn kommen. Sie mag eine Last von Folgewirkungen sein, die er bei seiner Rückkehr in das Feld dieser Kräfte auf sich nimmt. Das mag im kleinen wie im großen Maßstab geschehen, bei dem kleinen vitalen Menschen mit seinen kleinen Irrtümern ebenso wie bei viel größeren Geschehnissen. Denn das Prinzip wird dasselbe sein. Wenn das Mental in uns den Erfolg durch einen Mißbrauch der Kraft sucht, die ihm die Natur gewährt, die aber am Ende gegen es reagiert, empfängt es den Lohn in Gestalt von Niederlage, Leiden und Mißerfolg. Es hat aber keine Gültigkeit, diese untergeordnete Linie von Ursachen und Resultaten zu dem Status eines unveränderlichen absoluten Gesetzes oder zur ganzen kosmischen Ordnung für das Wirken eines Höchsten Wesens zu erheben. Sie gehören dem mittleren Bereich an zwischen der innersten und höchsten Wahrheit der Dinge und der Unparteilichkeit der materiellen Natur.

Auf jeden Fall sollen die Reaktionen der Natur in ihrer Essenz nicht als Belohnung oder als Bestrafung gelten. Das ist nicht ihr fundamentaler Wert, es ist vielmehr ein den natürlichen Beziehungen innewohnender Wert. Er ist, insofern er die spirituelle Entwicklung beeinflußt, ein Wert von Lehren der Erfahrung im kosmischen Training der Seele. Wenn wir Feuer berühren, brennt es uns; es gibt aber in dieser Beziehung zwischen Ursache und Wirkung kein Prinzip von Strafe. Es ist eine Lehre über Beziehungen und eine Lehre der Erfahrung. So gibt es bei allen Anlässen des Umgangs der Natur mit uns eine Beziehung der Dinge und eine entsprechende Lehre der Erfahrung. Das Wirken der kosmischen Energie ist komplex. Die gleichen Kräfte mögen auf verschiedene Art wirken im Einklang mit den Umständen, mit dem Bedürfnis des Menschen und mit der Absicht der kosmischen Macht in ihrer Aktion. Unser Leben wird nicht nur von seinen eigenen Energien beeinflußt, sondern auch von den Energien anderer und von den universalen Kräften. Dieses ungeheure Zusammenspiel kann in seinen Ergebnissen nicht allein durch den einen Faktor eines alles regierenden moralischen Gesetzes und dessen ausschließliche Rücksicht auf Verdienste und Vergehen, auf Sünden und Tugenden der individuellen Wesen entschieden werden. Auch darf man nicht Glück und Unglück, Lust und Schmerz, Freude, Elend und Leiden auffassen, als existierten sie nur als Anreiz und Abschreckung für das natürliche Wesen bei seiner Entscheidung zwischen Gut und Böse. Die Seele tritt in die Wiedergeburt ein, damit der individuelle Mensch Erfahrungen macht und wächst. Freude und Kummer, Schmerz und Leiden, Glück und Unglück sind Teile dieser Erfahrung, Mittel zu diesem Wachsen. Die Seele mag sogar von sich aus Armut, Unglück und Leiden als Hilfen für ihr Wachsen, als Antriebskräfte für eine neue Entwicklung, annehmen oder auswählen. Sie mag Reichtum und ein glänzendes, erfolgreiches Dasein als gefährlich ablehnen, als eine Verführung zum Nachlassen in ihren spirituellen Bemühungen. Glücklich zu sein und Erfolg zu haben, der glücklich macht, ist zweifellos ein legitimer Wunsch der Menschheit. Das ist ein Versuch von Leben und Materie, einen blassen Widerschein der Seligkeit oder ein vergröbertes Bild von ihr zu erlangen. Mag aber ein oberflächliches Glück und ein materieller Erfolg für unsere vitale Natur noch so begehrenswert sein, sie sind doch nicht der Hauptzweck unseres Daseins. Wäre das die Absicht gewesen, Leben wäre in der kosmischen Anordnung der Dinge anders geplant worden. Das ganze Geheimnis um die Umstände bei der Wiedergeburt kreist um das eine grundlegende Bedürfnis der Seele, um ihr Bedürfnis zu wachsen, ihr Bedürfnis nach Erfahrung. Das allein bestimmt die Linie ihrer Evolution; alles übrige ist nur Beiwerk. Das kosmische Dasein ist kein großangelegtes Verwaltungssystem einer universalen Gerechtigkeit mit einem kosmischen Gesetz der Belohnung und Vergeltung als seinem Mechanismus oder mit einem göttlichen Gesetzgeber und Richter als seinem Mittelpunkt. Zunächst erkennen wir es als eine große automatische Bewegung von Energie der Natur. In ihr tritt eine sich selbst entfaltende Bewegung von Bewußtsein hervor, die darum eine Bewegung von Geist ist, der sein eigenes Wesen in dem Kräfte-Ablauf der Natur ausarbeitet. In diesem Ablauf findet der Zyklus der Wiedergeburt statt. In diesem Zyklus bereitet die Seele, das psychische Wesen, für sich selbst vor -oder die Göttliche Weisheit oder die Kosmische Bewußtseins-Kraft bereitet durch sie und durch ihr Wirken vor –, was für den nächsten Schritt in ihrer Evolution benötigt wird, die nächste Gestaltung von Personalität, die kommende Verknüpfung notwendiger Erfahrungen, die ständig aus dem ununterbrochenen Strom vergangener, gegenwärtiger und zukünftiger Energien für jede neue Geburt geliefert wird. Das wird für jeden neuen Schritt des Geistes rückwärts oder vorwärts oder noch in einem Kreislauf organisiert, aber immer als für einen Schritt des Wachstums im Wesen zu der ihm bestimmten Selbst-Entfaltung in der Natur.

Das führt uns zu einem anderen Element in der gewöhnlichen Auffassung von Wiedergeburt, die für uns deshalb nicht annehmbar ist, weil sie einen offensichtlichen Irrtum des physischen Mentals darstellt, -die Vorstellung von der Seele selbst, sie sei eine begrenzte Persönlichkeit, die unverändert von einer Geburt zur anderen überlebt. Diese allzu einfache und oberflächliche Vorstellung von Seele und Personalität entsteht aus der Unfähigkeit des physischen Mentals, über seine eigene, in diesem einzelnen Dasein in Erscheinung getretene Gestalt des Selbsts hinauszuschauen. Nach dessen Auffassung müßte das, was in der Wiedergeburt zurückkehrt, nicht nur das gleiche spirituelle Wesen, die gleiche psychische Wesenheit sein, sondern dieselbe Gestaltung der Natur, die den Körper der vorhergehenden Geburt bewohnt hat. Der Körper verändere sich, die Umstände seien verschieden, aber die Gestaltung des Wesens, das Mental, der Charakter, die Veranlagung, das Temperament und die Tendenzen seien dieselben: John Smith sei in seinem neuen Leben derselbe John Smith, der er bei der letzten Verkörperung seiner Seele gewesen sei. Wäre das so, dann hätte die Wiedergeburt überhaupt keinen spirituellen Nutzen und keine Bedeutung. Denn es wäre bis ans Ende der Zeit eine Wiederholung derselben unbedeutenden Persönlichkeit, der gleichen mentalen und vitalen Gestaltung. Für das Wachsen des verkörperten Wesens bis zur vollen Gestalt seiner Wirklichkeit ist nicht nur eine neue Erfahrung, sondern auch eine neue Persönlichkeit unentbehrlich. Die gleiche Persönlichkeit zu wiederholen, wäre nur dann hilfreich, wenn in der Gestalt ihrer Erfahrung etwas unvollständig geblieben wäre, das nun im gleichen Rahmen des Selbsts, in der gleichen Struktur des Mentals und mit der gleichen Begabungsform von Energie ausgearbeitet werden müßte. Normalerweise wäre das aber recht langweilig. Die Seele, die John Smith gewesen ist, kann nichts gewinnen, noch sich selbst erfüllen dadurch, daß sie für immer John Smith bleibt. Durch die ewige Wiederholung desselben Charakters, derselben Interessen, Beschäftigungen und Typen von inneren und äußeren Bewegungen kann sie nicht wachsen und keine Vervollkommnung erlangen. Unser Leben und unsere Wiedergeburt wären immer dieselbe unendliche Dezimalzahl. Es käme zu keiner Entwicklung, sondern gäbe nur die sinnlose Kontinuität ewiger Wiederholung. Daß wir an unserer gegenwärtigen Persönlichkeit hängen, verlangt eine solche Kontinuität, eine solche Wiederholung. John Smith will ewig John Smith bleiben. Dieses Verlangen ist aber offensichtlich ignorant. Würde es erfüllt, gäbe das eine Enttäuschung, keine Erfüllung. Nur durch Umwandlung unseres äußeren Selbsts, durch einen ständigen Fortschritt der Natur, durch Wachstum im Geist können wir unser Dasein rechtfertigen.

Persönlichkeit ist nur eine zeitweilige mentale, vitale und physische Gestalt, die vom Wesen, der wirklichen Person, der psychischen Entität herausgestellt wird. Sie ist nicht das Selbst in seiner bleibenden Wirklichkeit. Bei jeder Rückkehr zur Erde bildet die Person, purusha, eine neue Gestalt. Sie stellt ein neues personales Quantum heraus, das für neue Erfahrung, für neues Wachstum seines Wesens geeignet ist. Wenn dieses seinen Körper verläßt, behält es eine Zeitlang noch dieselbe vitale und mentale Form, aber diese Formen oder Hüllen lösen sich auf. Was übrig behalten wird, sind nur die wesenhaften Elemente des vergangenen Quantums, von denen einige, aber nicht viele, in der nächsten Inkarnation verwendet werden. Die wesenhafte Form der vergangenen Persönlichkeit mag als ein Element unter vielen, als eine unter vielen Personalitäten derselben Person, übrig bleiben. Sie steht jedoch im Hintergrund, im Subliminal, hinter dem Vorhang des vordergründigen Mentals, Lebens und Körpers und leistet selbsttätig von dorther jeden notwendigen Beitrag zu der neuen Gestaltung. Diese wird aber weder selber die ganze Form sein, noch den alten Arttypus neu und unverändert aufbauen. Es kann sogar sein, daß das neue Quantum oder die neue Struktur des Wesens einen entgegengesetzten Charakter, ein ganz anderes Temperament, ganz andere Eigenschaften und Tendenzen herausstellt. Denn es können verborgen gebliebene Entwicklungsmöglichkeiten nun bereit sein, hervorzutreten. Oder etwas, das bereits, wenn auch rudimentär, wirksam war, kann im letzten Leben zurückbehalten worden sein, das ausgearbeitet werden mußte, aber für eine spätere und geeignetere Kombination der Möglichkeiten der Natur aufbewahrt worden war. Zwar ist tatsächlich die ganze Vergangenheit mit ihrem beschleunigten Drängen und ihren Entwicklungsmöglichkeiten für die Gestaltung der Zukunft vorhanden. Aber nicht alles davon ist sichtbar gegenwärtig und aktiv. Je größer die Verschiedenartigkeit der Gestaltungen ist, die in der Vergangenheit existiert haben und verwendet werden können, je reicher und vielfältiger die angehäuften Strukturen der Erfahrung sind, desto besser kann in der neuen Geburt ihr wesentliches Ergebnis an Begabung mit Wissen, Macht, Handeln, Charakter und vielseitiger Reaktion auf das Universum hervorgebracht und harmonisiert werden. Je zahlreicher die verhüllten mentalen, vitalen und auch physischen Persönlichkeiten sind, die kombiniert werden, um die neue Personalität in ihrer äußeren Form zu bereichern, desto größer und vielseitiger wird diese Personalität sein. Um so näher wird sie auch an den möglichen Übergang von der vollendeten mentalen Stufe der Evolution zu dem kommen, was jenseits von ihr ist. Solch innere Fülle und solches Zusammenfassen von vielen Personalitäten in einer einzigen Person kann ein Zeichen für eine weit fortgeschrittene Stufe der Entwicklung des einzelnen Menschen sein, wenn ein starkes zentrales Wesen vorhanden ist, das alles zusammenhält und auf Harmonisierung und Einbeziehung der ganzen vielseitigen Bewegung der Natur hinwirkt. Aber wenn auch das Vergangene in so reichem Maße übernommen wird, würde das keine Wiederholung der Persönlichkeit bedeuten. Es wäre eine neue Gestaltung und umfassende Höherentwicklung. Die Wiedergeburt ist kein Mechanismus zur ständigen Erneuerung oder Verlängerung der Dauer unveränderlicher Persönlichkeit. Vielmehr ist sie ein Mittel zur Entwicklung des spirituellen Wesens in der Natur.

Zugleich wird aber auch klar, daß in diesem Wiedergeburts-Plan die falsche Bedeutung, die unser Mental der Erinnerung an vergangene Lebensabläufe beilegt, entfällt. Würde Wiedergeburt tatsächlich unter der Herrschaft eines Systems von Belohnungen und Strafen stehen und wäre es die ganze Absicht des Lebens, den verkörperten Geist zu belehren, gut und moralisch zu sein – vorausgesetzt, das wäre die Absicht im Grundprinzip des karma und nicht das, was es in jener Darstellung zu sein scheint, nämlich ein mechanisches Gesetz von Vergütung und Vergeltung ohne jeden erzieherischen Sinn oder Zweck –, dann wäre es offensichtlich große Torheit und Ungerechtigkeit, dem Mental bei seiner neuen Inkarnation jegliche Erinnerung an seine vergangenen Geburten und Handlungen zu versagen. Denn das raubt dem wiedergeborenen Menschen jede Chance, einzusehen, warum er belohnt oder bestraft wird, oder einen Vorteil aus der Lehre von der Nützlichkeit der Tugend und der Schädlichkeit der Sünde zu ziehen, für die ihm eine Belohnung zugesichert oder ein Leiden zugefügt wird. Gerade weil das Leben oft das Gegenteil zu lehren scheint – er sieht, daß der Gute für sein Gutsein leidet, während der Bösewicht trotz seiner Bosheit Glück hat neigt er desto eher zum umgekehrten Schluß. Denn er hat nicht die Erinnerung an ein gesichertes und beständiges Ergebnis der Erfahrung, die ihm zeigen würde, daß das Leiden des guten Menschen durch seine frühere Bosheit und das Glück des Sünders durch den Glanz seiner vergangenen Tugenden verursacht war, so daß auf die Dauer Tugend die beste Lebensregel für jede vernünftige und kluge Seele wäre, die in diese Ordnung der Natur eintritt. Man könnte sagen, das psychische Wesen im Innern hat die Erinnerungen. Ein solch verborgenes Gedächtnis würde aber offensichtlich nur eine geringe Wirkung auf das Dasein, geringen Wert nach außen haben. Man könnte auch sagen, das psychische Wesen komme zur Einsicht in das, was geschehen war, und lerne daraus seine Lehre, wenn es seine Erfahrungen überschaut und assimiliert, nachdem es den Körper verlassen hat. Aber diese Erinnerung im Zwischenzustand hilft doch nicht offensichtlich in der nächsten Geburt. Denn die meisten von uns verharren in Sünde und Irrtum. Wir liefern keine nennenswerten Zeichen dafür, daß wir aus den Lehren unserer Erfahrung Nutzen gezogen haben.

Ist aber ständige Entwicklung des Wesens durch eine sich entwickelnde kosmische Erfahrung die Bedeutung der Wiedergeburt und verwendet sie dazu die Methode, bei einer neuen Geburt eine neue Persönlichkeit aufzubauen, dann ist jede fortdauernde oder vollständige Erinnerung an das vergangene Leben oder an mehrere Lebensabläufe nur eine Kette und ein ernstes Hindernis: Sie würde zu einer Kraft, die das alte Temperament, den Charakter, die vordringlichen Interessen zeitlich verlängert, und zu einer schrecklichen Bürde, die die freie Entfaltung einer neuen Persönlichkeit und ihre Fähigkeit, neue Erfahrung zu sammeln, behindert. Hätten wir eine klare Erinnerung an die Einzelheiten unseres vergangenen Lebens, dann wären die vielen Erlebnisse von Haß und Groll, von Zuneigungen und Verbindungen auch eine schreckliche Erschwerung. Denn das würde den wiedergeborenen Menschen an eine nutzlose Wiederholung oder an eine erzwungene Fortsetzung seiner früheren äußeren Art binden. Das würde seiner Entfaltung neuer Möglichkeiten aus den Tiefen des Geistes erheblich im Wege stehen. Wäre tatsächlich ein mentales Erlernen der Dinge der Kern der Sache, und wäre das der Prozeß unserer Entwicklung, der Erinnerung würde große Bedeutung zukommen. In Wirklichkeit wachsen aber Seelen-Personalität und Natur durch Angleichung an die Natur unseres Wesens und dadurch, daß wir schöpferisch wirksam die wesentlichen Ergebnisse vergangener Energien in uns aufnehmen. Bei diesem Prozeß hat die bewußte Erinnerung keine besondere Bedeutung. So wie der Baum durch unterbewußte oder unbewußte Assimilation des Wirkens von Sonne, Regen, Wind und dadurch wächst, daß er die Erd-Elemente absorbiert, wächst auch das Wesen des Menschen, indem der Mensch subliminal oder innerlich-bewußt die Ergebnisse seines vergangenen Werdens angleicht und aufnimmt und die Entwicklungsmöglichkeiten eines zukünftigen Lebens aus sich hervorbringt. Das Gesetz, das uns der Erinnerung an vergangene Lebensläufe beraubt, ist ein Gesetz der kosmischen Weisheit und dient ihrer evolutionären Absicht, es vereitelt sie nicht.

Man hat fälschlich und sehr unwissend das Fehlen jeglicher Erinnerung an vergangene Lebensabläufe für einen Beweis gegen die Tatsache der Wiedergeburt gehalten. Wenn es aber selbst in diesem Leben schwierig ist, alle Erinnerungen an unsere Vergangenheit zu bewahren, wenn diese in den Hintergrund treten oder völlig verschwinden, wenn wir keine Erinnerung an unsere Kindheit zurückbehalten und trotz dieser Lücke in unserem Gedächtnis wachsen und dasein können, wenn das Mental dazu fähig ist, die Erinnerung an vergangene Ereignisse und an die eigene Identität völlig zu verlieren, und es dennoch der gleiche Mensch ist, der hier lebt, und wenn das verlorene Gedächtnis eines Tages wieder erlangt werden kann, – so ist evident, daß eine so radikale Umwandlung wie der Übergang in andere Welten, auf den dann eine neue Geburt in einem neuen Körper erfolgt, normalerweise die oberflächliche oder mentale Erinnerung völlig auslöschen muß. Dennoch würde das nicht die Identität der Seele oder das Wachsen der Natur zunichte machen. Dieses Auslöschen der oberflächlichen mentalen Erinnerung ist um so mehr gewiß und ganz unvermeidlich, wenn eine neue Persönlichkeit desselben Wesens und eine neue Instrumentation entstehen soll, die den Platz der alten einnimmt, ein neues Mental, ein neues Leben, ein neuer Körper: Von dem neuen Gehirn kann man nicht erwarten, daß es in sich die Bilder weiterträgt, die in dem alten enthalten waren. Vom neuen Leben oder Mental kann man nicht verlangen, sie sollen die ausgelöschten Eindrücke des alten Mentals und Lebens aufbewahren, die aufgelöst wurden und nicht mehr existieren. Zweifellos besteht das subliminale Wesen weiter, das sich erinnern kann, da es nicht unter den Unzulänglichkeiten der vordergründigen Person leidet. Das äußere Mental ist aber vom subliminalen Gedächtnis abgeschnitten, das allein eine gewisse klare Erinnerung oder einen deutlichen Eindruck vergangener Leben bewahren könnte. Diese Absonderung ist notwendig, da die neue Persönlichkeit nach außen ohne bewußte Bezugnahme auf das aufgebaut werden muß, was im Innern ist. Wie alles übrige am äußeren Menschen, so wird gewiß auch die vordergründige Persönlichkeit durch ein Wirken von innen geformt. Dieses Wirken wird ihr aber nicht bewußt. Sie meint, sie selbst habe diese gebildet, oder sie sei ein Fertig-Fabrikat oder durch eine schwer verständliche Aktion der universalen Natur erschaffen. Und doch bleiben manchmal bruchstückartige Erinnerungen an vergangene Geburten trotz dieser fast unüberwindlichen Hindernisse übrig. Es gibt sogar in einigen sehr seltenen Fällen im Kind-Mental eine erstaunlich genaue und vollständige Erinnerung. Schließlich tritt auf einer bestimmten Stufe der Entwicklung des Menschen, sobald sein inneres Wesen das Übergewicht über das äußere gewinnt und in den Vordergrund tritt, eine Erinnerung an vergangenes Leben manchmal wie aus einer versunkenen Schicht hervor. Das geschieht aber eher in der Gestalt einer Wahrnehmung der Substanz und Macht vergangener Personalitäten, die stark in der Zusammensetzung des gegenwärtigen Menschen wirksam sind, nicht in einer präzisen oder genauen Einzelheit von Ereignis und Umständen. Doch kann auch diese teilweise zurückkehren oder durch Konzentration aus der subliminalen Schau, aus einem verborgenen Gedächtnis oder unserer inneren Bewußtheits-Substanz hervorgeholt werden. Die Erinnerung an Einzelheiten ist aber für die Natur in ihrem normalen Wirken von geringerer Bedeutung; sie trifft dafür auch nur eine geringe oder gar keine Vorsorge. Ihr Hauptinteresse ist auf die Gestaltung der künftigen Entwicklung des menschlichen Wesens gerichtet. Die Vergangenheit wird zurückgestellt, hinter dem Vorhang behalten und nur als der geheime Ursprung von Materialien für die Gegenwart und für die Zukunft verwendet.

Wenn wir diese Auffassung von Person und Persönlichkeit anerkennen, müssen wir auch unsere geltenden Vorstellungen über die Unsterblichkeit der Seele ändern. Denn normalerweise meinen wir, wenn wir ein Sein der Seele, das nicht sterben kann, behaupten, es überlebe den Tod eine endgültige unveränderliche Persönlichkeit, die war und immer, in alle Ewigkeit, dieselbe bleiben wird. Für dieses sehr unvollkommene vordergründige “Ich” des Augenblicks, das von der Natur offensichtlich nur als eine zeitweilige Gestalt geschaffen und nicht der dauernden Erhaltung für wert erachtet wird, verlangen wir jenes ungeheure Recht auf Überleben und Unsterblichkeit. Das aber ist eine maßlose unerfüllbare Forderung. Das “Ich” des Augenblicks kann nur dann sein Überleben verdienen, wenn es seiner Umwandlung zustimmt; wenn es nicht länger es selbst sein will, sondern etwas anderes, Größeres, Besseres, im Wissen Erleuchteteres, stärker geprägt zum Ebenbild der ewigen inneren Schönheit und immer weiter fortschreitend zur Göttlichkeit des verborgenen Geistes. Dieser verborgene Geist, die Göttlichkeit des Selbsts in uns, ist unzerstörbar, da ungeboren und ewig. Die psychische Wesenheit in unserem Innern, Stellvertreter des Selbsts, das spirituelle Individuum in uns, ist die Person, die wir wirklich sind. Das “Ich” dieses Augenblicks aber, das “Ich” des Lebens, ist nur eine Gestalt, eine zeitweilige Personalität dieser inneren Person: Sie ist Stufe unter den zahlreichen Stufen unserer evolutionären Umwandlung. Sie dient ihrem wahren Zweck nur, wenn wir über sie hinaus zu einer weiteren Stufe emporsteigen, die uns zu einem höheren Grad von Bewußtsein und Wesen führt. Diese innere Person überlebt den Tod, wie sie auch schon vor der Geburt existiert. Denn dieses ständige Überleben überträgt die Ewigkeit unseres zeitlosen Geistes in die Begriffe der Zeit.

Unser normales Verlangen nach Überleben fordert ein ähnliches Überleben für unser Mental, für unser Leben, sogar für unseren Körper. Das Dogma von der Auferstehung des Leibes ist ein Beweis für letzteres Verlangen, – ebenso wie es auch die Wurzel eines uralten Bemühens des Menschen war, das Elixier der Unsterblichkeit oder irgendwelche magischen, alchimistischen oder wissenschaftlichen Mittel zu entdecken, um physisch den Tod des Körpers zu überwinden. Dieses Streben könnte aber nur dann Erfolg haben, wenn es dem Mental, dem Leben oder dem Körper gelingen würde, etwas von der Unsterblichkeit und Göttlichkeit des innewohnenden Geistes anzuziehen. Es gibt gewisse Umstände, unter denen die äußere mentale Persönlichkeit, die den inneren mentalen purusha repräsentiert, überleben könnte. Zum Beispiel wenn unser mentales Wesen an seiner Außenseite so machtvoll individualisiert, so sehr mit dem inneren Mental und dem inneren mentalen purusha geeint wäre und sich zugleich so sehr für das progressive Wirken des Unendlichen öffnen würde, daß die Seele die alte Form des Mentals nicht mehr auflösen und für ihren Fortschritt eine neue erschaffen müßte. Eine ähnliche Individualisierung, Einbeziehung und Offenheit des vitalen Wesens an seiner Außenseite allein würde ein ähnliches Überleben des Lebens-Teils in uns, der äußeren vitalen Persönlichkeit ermöglichen, die das innere Lebens-Wesen, den vitalen purusha, repräsentiert. Was wirklich dadurch geschehen würde? Die Mauer zwischen dem inneren Selbst und dem äußeren Menschen würde niedergerissen. Dann könnte von innen her das ständige mentale und vitale Wesen, die mentalen und vitalen Repräsentanten der unsterblichen psychischen Wesenheit, das Leben beherrschen. Unsere Mental-Natur und unsere Lebens-Natur könnten ständig und fortschreitend unsere Seele zum Ausdruck bringen. Sie wären dann nicht mehr nur Verbindungsglied für die aufeinanderfolgenden Gestalten der Seele, die nur in ihrem Wesen erhalten bliebe. Dann könnten unsere Mental- und Vital-Personalitäten ohne Auflösung von Geburt zu Geburt bestehen bleiben. In diesem Sinne wären sie unsterblich, ständig überlebend, kontinuierlich im Gefühl ihrer Identität. Das wäre offensichtlich ein ungeheurer Sieg von Seele, Mental und Leben über die Unbewußtheit und die Begrenzungen der materiellen Natur.

Ein solches Überleben könnte aber nur im subtilen Körper fortdauern. Das menschliche Wesen müßte noch weiter seine physische Gestalt ablegen, hinübergehen in andere Welten und bei seiner Rückkehr einen neuen Körper anlegen. Der erwachte mentale purusha und der vitale purusha, die die mentale Hülle und die Lebens-Hülle des subtilen Körpers, die gewöhnlich abgelegt werden, bewahren, würden mit ihnen in eine neue Geburt zurückkehren. Sie würden das lebhafte und andauernde Empfinden eines beständigen Wesens von Mental und Leben bewahren, das in der Vergangenheit aufgebaut wurde und in Gegenwart und Zukunft fortdauert. Aber die Grundlage des physischen Daseins, der materielle Körper, könnte auch bei dieser Wandlung nicht bewahrt bleiben. Das physische Wesen kann nur fortbestehen, wenn durch irgendwelche Mittel die physischen Ursachen von Verwesung und Verfall überwunden werden könnten23 und es zugleich in seiner Struktur und seinen Funktionsweisen so formbar und fortschrittlich gemacht werden könnte, daß es auf jede Umwandlung reagiert, die von ihm verlangt wird, damit die innere Person sich weiterentwickeln kann. Der Körper muß Schritt halten können mit der Seele, wenn sie eine das Selbst ausdrückende Persönlichkeit gestaltet, sowohl bei ihrem langen Bemühen, eine verborgene spirituelle Divinität zu entfalten, wie auch bei der langsamen Umwandlung des Mentals in das göttliche Mental oder das spirituelle Sein. Diese höchste Vollendung einer dreifachen Unsterblichkeit – der Natur, die die wesenhafte Unsterblichkeit des Geistes und das psychische Überleben des Todes zur Vollendung bringt – würde die Krönung der Wiedergeburt sein. Sie wäre ein Zeichen von höchster Bedeutung dafür, daß die materielle Unbewußtheit und die Unwissenheit gerade in ihrem wirklichen Fundament, in der Herrschaft der Materie überwunden sind. Die wahre Unsterblichkeit wäre aber immer noch die Ewigkeit des Geistes. Das physische Überleben könnte nur relativ sein, willkürlich begrenzbar, ein vorübergehendes Zeichen hier auf Erden für den Sieg des Geistes über Tod und Materie.

Kapitel XXIII. Mensch und Evolution

Die eine Gottheit, in allen Wesen verborgen, alldurchdringend, das innere Selbst aller, über allem Wirken waltend, der Zeuge, der bewußte Wissende und Absolute... der Eine, die Vielen überwachend, die der Natur gegenüber passiv sind, gestaltet den einen Samen in vielerlei Weisen.

Svetasvatara Upanishad, VI. 11,12.

Die Gottheit bewegt sich in diesem Feld und gestaltet jedes Gewebe der Dinge gesondert auf viele Weisen... Der Eine, er waltet über allen Schößen und Arten, er selbst ist der Schoß aller. Er ist das, was die Art des Wesens zur Reife bringt. Er gibt allen, die reifen sollen, die Frucht ihrer Entwicklung und verleiht ihrem Wirken alle Eigenschaften.

Svetasvatara Upanishad, V. 3-5.

Er gestaltet die eine Form der Dinge aus auf vielerlei Weise.

Katha Upanishad, V. 12.

Wer hat diese verborgene Wahrheit erkannt: Das Kind gibt den Müttern ihr Wesen durch die Wirkweisen seiner Natur? Ein Sprößling aus dem Schoß von vielen Wassern, tritt es aus diesen hervor, ein Seher, Besitzer des ganzen Gesetzes seiner Natur. Geoffenbart, wächst es im Schoß ihrer Verworfenheiten und wird groß, schön und herrlich.

Rig Veda, I. 95.4, 5.

Aus dem Nicht-Seienden zum wahren Seienden, aus der Finsternis zum Licht, aus dem Tod zur Unsterblichkeit.

Brihadaranyaka Upanishad, I.3.28.

Eine spirituelle Entwicklung, eine Entwicklung von Bewußtsein in der Materie in ständiger, sich entfaltender Selbst-Gestaltung, bis die Form den innewohnenden Geist offenbaren kann, ist also der Grundton, das zentrale bedeutungsvolle Motiv irdischen Daseins. Diese Bedeutung wird am Anfang durch die Involution des Geistes, der Göttlichen Wirklichkeit, in eine dichte materielle Unbewußtheit verborgen. Eine Hülle von Unbewußtheit, von Empfindungslosigkeit der Materie verbirgt die universale Bewußtseins-Kraft, die im Innern wirkt, so daß die Energie, die erste Form, die die Kraft der Schöpfung im physischen Universum annimmt, selbst unbewußt zu sein scheint und dennoch die Werke einer umfassenden verborgenen Intelligenz tut. Die dunkle geheimnisvolle Schöpferin entbindet schließlich das verborgene Bewußtsein aus seinem dichten, finsteren Gefängnis. Sie bringt es aber nur langsam hervor, nur wenig auf einmal, in unendlich kleinen Tropfen, in dünnen Strahlen, in kleinen vibrierenden Gebilden von Energie und Stoff, von Leben, von Mental, als sei das alles, was sie durch den enormen Widerstand und das dumpfe widerspenstige Medium eines unbewußten Stoffes des Daseins hindurchzwingen könnte. Sie nimmt ihre Wohnung zuerst in scheinbar völlig unbewußten Gestaltungen von Materie. Dann ringt sie sich durch zu einer Mentalität innerhalb der Dunkelheit von lebender Materie. Sie erlangt diese schließlich unvollkommen im bewußten Tier. Dieses Bewußtsein ist zuerst rudimentär, zumeist ein Halb-Bewußtsein oder nur ein bewußter Instinkt. Es entwickelt sich langsam weiter, bis es in besser durchorganisierten Formen von lebender Materie seine nächste Stufe von Intelligenz erreicht und im Menschen, dem denkenden Tierwesen, über sich hinauskommt und sich in den vernunftbegabten mentalen Menschen entfaltet. Dieser trägt aber, selbst auf seiner höchsten Stufe, noch die Prägung ursprünglicher Tierheit an sich, den Ballast des Unterbewußten des Körpers, die zur ursprünglichen Trägheit und Nichtbewußtheit niederziehende Schwerkraft, die Herrschaft einer unbewußten materiellen Natur über seine bewußte Entwicklung, deren Macht zur Begrenzung, ihr Gesetz einer schwierigen Entwicklung und ihre ungeheure Kraft, jeden Fortschritt zu verzögern und zu vereiteln. Diese Herrschaft der ursprünglichen Unbewußtheit über das aus ihr hervortretende Bewußtsein nimmt die allgemeine Form einer Mentalität an, die um Wissen ringt, aber selbst Unwissenheit ist in dem, was ihre fundamentale Art zu sein scheint. Trotz dieser Gehemmtheit und Belastung muß der mentale Mensch aus sich heraus das voll bewußte Wesen entwickeln, ein göttliches Menschsein oder ein spirituelles oder supramentales Übermenschentum, das das nächste Erzeugnis der Evolution sein soll. Dieser Übergang wird das Voranschreiten aus der Evolution in der Unwissenheit zur größeren Entwicklung im Wissen kennzeichnen. Er gründet und schreitet fort im Licht des Überbewußten und nicht mehr in der Finsternis der Unwissenheit und Unbewußtheit.

Dieser irdische Entwicklungsprozeß der Natur von der Materie zum Mental und über dieses hinaus nimmt einen doppelten Verlauf: Es gibt einen äußerlich sichtbaren Prozeß der physischen Evolution mit der Geburt als Mechanismus, – denn durch die Vererbung wird jede entwickelte Körperform, die ihre eigene entfaltete Bewußtseins-Macht in sich birgt, ständig im Dasein erhalten. Zugleich gibt es aber auch einen unsichtbaren Prozeß von Seelen-Entwicklung mit dem Mechanismus der Wiedergeburt in aufsteigenden Stufen von Gestalt und Bewußtsein. Der erste Vorgang würde an sich nur eine kosmische Evolution bedeuten. Denn der Einzelne wäre nur ein rasch zugrunde gehendes Werkzeug; die Rasse als dauerhafte kollektive Formulierung wäre der wirkliche Schritt in der fortschreitenden Manifestation des kosmischen Einwohners, des universalen Geistes: Wiedergeburt ist eine unentbehrliche Voraussetzung für jegliche Dauer und Entwicklung des individuellen Wesens im Erden-Dasein. Jede Stufe der kosmischen Manifestation, jeder Gestalt-Typus, der den innewohnenden Geist beherbergen kann, wird durch die Wiedergeburt für die individuelle Seele, das psychische Wesen, zu einem Mittel, immer mehr von dem in ihm verborgenen Bewußtsein zu offenbaren. Jedes einzelne Leben wird zu einer Stufe für den Sieg über die Materie durch ein mächtigeres fortschreitendes Sich-Entfalten von Bewußtsein in ihm, wodurch schließlich die Materie selbst zu einem Mittel für die völlige Offenbarung des Geistes wird.

Diese Darstellung von Verlauf und Bedeutung der irdischen Schöpfung ist aber allseits einem Widerspruch im Mental des Menschen selbst ausgesetzt. Denn die Evolution hat erst die Hälfte ihres Weges zurückgelegt. Sie verläuft noch in der Unwissenheit und sucht im Mental eines erst halb-entwickelten Menschseins nach ihrem eigenen Zweck und Sinn. Man kann die Theorie der Evolution mit der Begründung infrage stellen, sie sei ungenügend unterbaut und als Erklärung des Verlaufs des irdischen Daseins überflüssig. Selbst wenn man die Evolution zugebe, könne man bezweifeln, ob der Mensch die Fähigkeit habe, sich in ein höheres evolutionäres Wesen zu entwickeln. Ebenso sei zweifelhaft, ob die Entwicklung noch über das hinausgehe, was sie bisher erreicht hat, ob eine supramentale Entwicklung, das Erscheinen höchsten Wahrheits-Bewußtseins, eines Wesens von Wissen in der zugrunde liegenden Unwissenheit der irdischen Natur, überhaupt wahrscheinlich ist. Man könne das Wirken des Geistes in der Offenbarung hier auf Erden auch durch eine andere, weder teleologische noch evolutionäre, Theorie erklären. Bevor wir weitergehen, mag es darum zweckmäßig sein, in Kürze jene Denklinie genau darzustellen, die eine solche Konstruktion möglich macht.

Man gibt zu, die Schöpfung sei eine Manifestation des Zeitlos-Ewigen in der Zeit-Ewigkeit; es gebe die sieben Stufen des Bewußtseins; die materielle Unbewußtheit sei dem Wiederaufstieg des Geistes zugrunde gelegt; die Wiedergeburt sei eine Tatsache, ein Teil der irdischen Ordnung. Dennoch sei die spirituelle Evolution des individuellen Wesens nicht unausweichlich Folge aus einem oder allen diesen Zugeständnissen. Eine andere Betrachtung der spirituellen Bedeutung und des inneren Prozesses des irdischen Daseins sei möglich. Wenn jedes Geschöpf eine Gestalt des manifestierten Göttlichen Geistes sei, sei jedes durch die spirituelle Gegenwart in seinem Innern an sich göttlich, gleich, welches seine Erscheinung, seine Gestalt oder sein Charakter in der Natur ist. An jeder Form der Manifestation finde das Göttliche Wesen seine Seins-Seligkeit; es bestehe in ihr keine Notwendigkeit zur Wandlung oder zur Weiterentwicklung. Für alles, was die Natur des Göttlichen Wesens an geordneter Entfaltung oder Hierarchie verwirklichter Möglichkeiten brauche, sei ausreichend durch die unermeßliche Mannigfaltigkeit, die wimmelnde Menge der Formen, Bewußtseins-Typen und Naturen gesorgt, die wir überall um uns sehen. Es gebe keine zielstrebende Absicht in der Schöpfung und könne sie auch nicht geben, da in dem Unendlichen alles vorhanden ist: Für das Göttliche Wesen existiere nichts, was es gewinnen müsse, nichts, das es nicht habe. Gibt es eine Schöpfung und Offenbarung, so allein um der Wonne an der Schöpfung, an der Manifestation willen, sonst zu keinem anderen Zweck. Es gebe also keinen Grund für eine evolutionäre Bewegung, um einen höchsten Gipfel zu erreichen, ein Ziel auszuarbeiten und zu bewirken, oder einen Drang nach einer letzten Vollkommenheit.

Tatsächlich sehen wir wohl, daß die Prinzipien der Schöpfung dieselben bleiben und sich nicht verändern. Jede Art des Seienden bleibt sie selbst, versucht nicht – und muß das nicht –, etwas anderes zu werden, als sie selbst ist. Zugegeben, einige Arten des Daseins verschwinden, andere entstehen neu. Das geschehe aber, weil die Bewußtseins-Kraft im Universum denen, die zugrunde gehen, ihre Lebensfreude entzieht und sich zu ihrem Vergnügen der Erschaffung anderer zuwendet. Jeder Typus des Lebens besitze aber, solange er besteht, seine eigene Struktur und bleibe trotz geringer Abwandlungen diesem Muster treu. Er sei an sein eigenes Bewußtsein gebunden, könne ihm nicht in ein anderes Bewußtsein entkommen. Er sei durch seine eigene Natur begrenzt, könne diese Schranken nicht überschreiten und in eine andersartige Natur übergehen. Wenn die Bewußtseins-Kraft des Unendlichen das Leben offenbarte, nachdem sie die Materie manifestiert hatte, und das Mental nach dem Leben, so folge daraus nicht, daß sie als nächsten Schritt irdischer Schöpfung weitergehe, um das Supramental zu manifestieren. Denn Mental und Supramental gehörten zu ganz verschiedenen Hemisphären, Mental zum niederen Zustand der Unwissenheit, Supramental zum höheren Zustand des göttlichen Wissens. Diese Welt sei eine Welt der Unwissenheit und nur als solche beabsichtigt. Es müsse keine Absicht bestehen, die Mächte der höheren Hemisphäre in die niedere Daseins-Hälfte herabzubringen oder ihre verborgene Gegenwart hier zu offenbaren. Denn wenn diese überhaupt hier vorhanden seien, dann nur in verborgener Immanenz ohne Kommunikation, nur zu dem Zweck, die Schöpfung aufrecht zu erhalten, nicht aber sie zu vervollkommnen. Der Mensch sei der Gipfel der unwissenden Schöpfung. Er habe das Äußerste an Bewußtsein und Wissen erreicht, dessen er fähig sei. Wenn er darüber hinauszugehen versuche, werde er sich nur in umfassenderen Kreisen seiner eigenen Mentalität bewegen. Denn das sei die Kurve seines Daseins hier, eine endliche Kreisbewegung, die das Mental in ihren Umdrehungen fortträgt, um es wieder zu seinem Ausgangspunkt zurückzubringen. Das Mental könne nicht aus seinem eigenen Zyklus ausbrechen, – jede Vorstellung von einer geraden Bewegungslinie oder einem Fortschritt, der vertikal oder horizontal ins Unendliche strebt, sei eine Selbst-Täuschung. Wolle die Seele über das Menschsein hinausgehen, um einen supramentalen oder einen noch höheren Zustand zu erlangen, müsse sie aus diesem kosmischen Dasein entweder in eine Welt oder Sphäre der Seligkeit und des Wissens oder in das ungeoffenbarte Ewige und Unendliche ausscheiden.

Es ist wahr, daß die Wissenschaft jetzt ein evolutionäres irdisches Dasein behauptet. Wenn auch die Tatsachen, mit denen sie umgeht, verläßlich sind, so sind doch die Verallgemeinerungen, die sie wagt, kurzlebig. Einige Jahrzehnte oder Jahrhunderte hält sie an diesen fest. Dann geht sie zu einer anderen Verallgemeinerung, zu einer anderen Theorie von den Dingen über. Das geschieht sogar in der Physik, wo die Tatsachen zuverlässig gesichert und durch das Experiment nachprüfbar sind: In der Psychologie – die hier besonders wichtig ist, denn es handelt sich um Evolution des Bewußtseins – ist die Instabilität noch größer. Man geht von der einen Theorie zur anderen über, bevor die erste schon gut begründet ist. Es behaupten sich sogar mehrere einander widersprechende Theorien gleichzeitig. Auf diesem Flugsand kann kein gesichertes metaphysisches Gebäude errichtet werden. Die Vererbung, auf der die Naturwissenschaft ihre Auffassung von der Evolution des Lebens errichtet, ist gewiß eine Macht, ein Mechanismus, um die Art oder die Gattung in unveränderlichem Wesen zu erhalten: Der Hinweis, Vererbung sei auch ein Instrument beständig fortschreitender Variation, ist fragwürdig. Ihre Tendenz ist eher konservativ als evolutionär. Es scheint, sie könne nur unter Schwierigkeiten einen neuen Charakter annehmen, den die Lebens-Kraft ihr aufzuzwingen versucht. Alle Tatsachen zeigen, daß ein Typus innerhalb seiner spezifischen Natur-Gestalt variieren kann. Es ist noch nicht wirklich bewiesen, daß sich die Affenart in den Menschen entwickelte. Hier sehe es so aus, als ob ein dem Affen ähnlicher Typus, der aber immer für sich selbst, nicht für die Affenart charakteristisch war, sich innerhalb der Tendenzen seiner eigenen Natur entwickelt habe und zu dem geworden sei, was wir als Mensch kennen, zum gegenwärtigen menschlichen Wesen. Es ist nicht einmal bewiesen, daß niedere Menschenrassen aus sich die höheren Rassen entwickelt haben. Solche von niederer Organisation und Fähigkeit gingen zugrunde. Man hat aber noch keine Anzeichen dafür, daß sie die heutigen menschlichen Rassen als ihre Nachkommen hinterließen. Dennoch wäre eine solche Entwicklung innerhalb des Typus vorstellbar. Der Fortschritt der Natur von der Materie zum Leben und vom Leben zum Mental mag zugegeben werden. Es gibt aber noch keinen Beweis dafür, daß sich Materie in Leben oder Lebens-Energie in Mental-Energie entwickelte. Allein das könne man zugeben, daß sich Leben in der Materie und Mental in lebender Materie manifestiert hat. Denn es gibt keinen ausreichenden Beweis dafür, daß sich eine Pflanzengattung in ein Tierdasein oder eine Organisation unbelebter Materie in einen lebenden Organismus entwickelt habe. Selbst wenn man später einmal entdecken sollte, daß unter gewissen chemischen oder anderen Voraussetzungen Leben auftritt, wird durch dieses Zusammentreffen nur bewiesen, daß sich unter gewissen physischen Umständen Leben offenbart. Dagegen ist nicht bewiesen, daß gewisse chemische Bedingungen die das Leben aufbauenden Faktoren, seine Elemente, oder die evolutionäre Ursache für eine Transformation von unbelebter in belebte Materie sind. Hier existiere, wie überall, jede Stufe des Seienden in sich selbst und durch sich selbst. Sie werde im Einklang mit ihrem Charakter durch die eigene spezifische Energie manifestiert. Die Stufenfolgen über ihr und unter ihr seien weder ihre Ursprünge noch resultierende Folgeerscheinungen, vielmehr Grade der ununterbrochenen Skala der Erden-Natur.

Fragt man, wie all diese verschiedenen Stufen und Typen des Seienden ins Dasein getreten sind, so kann man antworten, sie seien von der Bewußtseins-Kraft in der Materie als ihrer Grundlage durch die Macht der Real-Idee manifestiert worden, die ihre eigenen bedeutungsvollen Formen und Typen für das kosmische Dasein des innewohnenden Geistes gestaltete: In verschiedenen Graden oder Stufen mag die praktische oder physische Methode beträchtliche Unterschiede aufweisen, obwohl eine grundlegende Ähnlichkeit erkennbar sein kann. Die schöpferische Macht mag nicht nur ein sondern viele Verfahren anwenden, viele Kräfte im Zusammenwirken einsetzen. In der Materie besteht der Prozeß in der Erschaffung unendlich kleiner Teilchen, die mit ungeheurer Energie geladen sind. Sie schließen sich nach Plan und Zahl zusammen. Auf dieser ursprünglichen Basis manifestieren sich umfassendere Kleinstkörper. Diese gruppieren sich und schließen sich zusammen, um wahrnehmbare Objekte, Erde, Wasser, Mineralien, Metalle, das ganze Reich der Materie zu bilden. Auch beim Leben fängt die Bewußtseins-Kraft mit unendlich winzigen Formen pflanzlichen Lebens und kleinster Tierwesen an. Sie erschafft ein ursprüngliches Plasma und vervielfältigt dieses. Sie bildet die lebendige Zelle als eine Einheit und andere Arten eines winzigen biologischen Organismus wie Samen oder Gene. Sie verwendet immer dieselbe Methode, zu gruppieren und zusammenzuschließen, um so durch verschiedenartige Verfahren verschiedene lebende Organismen hervorzubringen. Eine ständige Erschaffung von Arten wird sichtbar; das ist aber noch kein zweifelsfreier Beweis für Evolution. Die Arten sind manchmal sehr verschieden. Manchmal sind sie einander nahe und ähnlich, manchmal in der Grundstruktur identisch, aber in Einzelheiten unterschieden. Alle haben ihr eigenes Muster. Solch ein Unterschied in den Modellen bei identischer ursprünglicher einfacher Grundlage ist das Zeichen dafür, daß eine bewußte Kraft mit ihrer eigenen Idee spielt und dadurch alle Möglichkeiten der Schöpfung entfaltet. Eine ins Dasein gerufene Tierart mag mit einer gleichartigen rudimentären embryonischen oder fundamentalen Grundstruktur, die für alle gilt, anfangen. Bis zu einer gewissen Stufe mag sie Ähnlichkeiten der Entwicklung auf einer oder all ihren Entfaltungslinien befolgen. Es mag auch Arten geben, die eine zweifache, etwa die amphibische, Natur haben, Zwischenglieder zwischen dem einen und einem anderen Typus: Das brauche aber nicht zu bedeuten, daß sich die Arten auseinander, in einer evolutionären Reihe entwickelt haben. Andere Kräfte als jene hereditärer Veränderung mögen am Werk gewesen sein und das Hervortreten neuer charakteristischer Eigenschaften bewirken. Es gibt physische Kräfte wie Nahrung, Lichtstrahlen und andere, die wir erst allmählich kennenlernen. Gewiß gibt es noch weitere, von denen wir noch nichts wissen. Es sind unsichtbare Lebens-Kräfte und dunkle psychische Kräfte am Werk. Diese subtileren Mächte müssen sogar von der physischen Entwicklungstheorie anerkannt werden, um die natürliche Zuchtwahl zu erklären. Wenn die geheime oder unterbewußte Energie in manchen Arten auf das Bedürfnis der Umgebung reagiert, in anderen keine Reaktion hervorbringt und diese nicht überleben läßt, ist das ein deutliches Zeichen für eine variierende Lebens-Energie und -Psychologie, für ein Bewußtsein und eine Kraft, die anders ist als das physische Wirken, das die Variation in der Natur hervorruft. Das Problem der Verfahrensmethode hat noch zu viele dunkle und unbekannte Faktoren, als daß irgendeines der jetzt möglichen Theorie-Gebäude endgültig sein könnte.

In der Manifestation innerhalb der Materie sei der Mensch ein Typus unter vielen ebenso konstruierten Arten, Modell in einer Menge von Modellen. Er sei die am meisten komplexe unter den erschaffenen Arten, besitze den reichsten Bewußtseinsinhalt, die teilnahmsvollste Genialität seiner Struktur. Er sei das Haupt der irdischen Schöpfung, aber er rage nicht über sie hinaus. Genauso wie die anderen habe auch er sein eigenes, ihm eingeborenes Gesetz, seine Begrenzungen, seine besondere Daseins-Weise, svabhava, svadharma. Innerhalb dieser Grenzen könne er sich ausweiten und entwickeln; er könne sie aber nicht überschreiten. Gebe es eine Vollkommenheit, die er zu erlangen habe, so müsse dies eine Vollkommenheit innerhalb seiner Art, seines eigenen Daseins-Gesetzes sein: dessen volles Kräfte-Spiel, freilich unter Beachtung von dessen Art und Maß, nicht im Transzendieren. Das eigene Maß zu überschreiten, in den Übermenschen emporzuwachsen, sich die Natur und Fähigkeiten eines Gottes anzueignen, wäre ein Widerspruch gegen sein Selbst-Gesetz, praktisch nicht durchführbar. Jede Gestaltung und Wesensart habe ihre eigene besondere Weise von Seins-Seligkeit. Mit Recht sei es Ziel des Menschen, des mentalen Wesens, durch das Mental so viel Herrschaft über seine Umgebung, so guten Gebrauch und Genuß von ihr zu suchen, wie er nur könne. Darüber hinauszuschauen, einem höheren Zweck und Ziel des Daseins nachzujagen, danach zu streben, über die mentale Größe hinauszukommen, bedeutet jedoch die Anerkennung eines teleologischen Elements im Dasein, das in der kosmischen Struktur nicht erkennbar sei. Wenn in der irdischen Schöpfung ein supramentales Wesen erscheinen solle, müsse das eine neue, unabhängige Manifestation sein. Genauso wie sich Leben und Mental in der Materie offenbart haben, müsse sich dort auch das Supramental offenbaren. Die verborgene Bewußte Energie müsse die notwendigen Modelle für diesen neuen Grad ihrer Machtmöglichkeiten erschaffen. Es gebe aber in den Verfahrensweisen der Natur kein Zeichen dafür, daß sie so etwas beabsichtigt.

Sei aber eine höhere Schöpfung beabsichtigt, dann könne dieser neue Entwicklungsgrad, dieser Typus oder dieses Modell sich nicht aus dem Menschen entwickeln. In diesem Fall müßte schon eine gewisse Rasse, eine Art oder Gestaltung menschlicher Wesen vorhanden sein, die bereits das Material zum Obermenschen in sich trage, genauso wie das besondere Tierwesen, das sich zum Menschsein entwickelte, schon die wesentlichen Elemente der menschlichen Natur potentiell oder aktuell besessen habe. Eine solche Rasse und Art, einen solchen Typus von Mensch gibt es aber nicht. Bestenfalls gebe es nur spiritualisierte mentale Wesen, die der irdischen Schöpfung zu entfliehen suchten. Wenn aufgrund eines okkulten Gesetzes der Natur solch eine menschliche Entfaltung des supramentalen Wesens beabsichtigt sei, könne das nur von einigen wenigen innerhalb der Menschheit unternommen werden, die sich aus der Rasse herauslösen, um erste Grundlegung für dieses neue Modell menschlichen Wesens zu werden. Es gebe aber keinen Grund für die Annahme, daß sich die ganze Rasse zu dieser Vollkommenheit entwickeln kann. Das könne keine für das menschliche Geschöpf allgemein gültige Möglichkeit sein.

Habe sich der Mensch tatsächlich in der Natur aus dem Tier entwickelt, so zeige, soweit wir sehen können, doch jetzt keine andere Tier-Art Anzeichen für eine Entwicklung über sich hinaus. Sollte es also im Tierreich einen solchen evolutionären Drang gegeben haben, so müsse er völlig zur Ruhe gekommen sein, sobald dieses Ziel durch das Erscheinen des Menschen erreicht war. Bestehe solch ein Drang nach einem neuen Schritt in der Evolution, daß der Mensch über sich selbst hinauskommen muß, dann würde dieser wahrscheinlich wieder in den Ruhezustand zurücksinken, sobald sein Ziel durch das Erscheinen des suprarationalen Wesens erfüllt ist. In Wirklichkeit gebe es aber keinen solchen Drang. Selbst die Vorstellung von einer Fortentwicklung des Menschen sei sehr wahrscheinlich eine Illusion. Gebe es doch kein Anzeichen dafür, daß der Mensch, nachdem er einmal aus der Tierstufe hervorgetreten ist, sich im Verlauf der Geschichte seiner Rasse radikal verändert hat. Er sei höchstens in der Erkenntnis der physischen Welt, in der Naturwissenschaft, in der Handhabung seiner Umgebung und der Anwendung der verborgenen Gesetze der Natur rein äußerlich und utilitaristisch fortgeschritten. Im übrigen sei er derselbe geblieben, der er zu den frühesten Anfängen der Zivilisation war. Er offenbare weiter dieselben Fähigkeiten, die gleichen Eigenschaften und Mängel, die gleichen Bemühungen und Irrwege, Erfolge und Enttäuschungen. Wenn es einen Fortschritt gegeben habe, dann in einem Kreislauf, höchstens in einem sich stetig erweiternden Kreis. Der Mensch von heute sei nicht weiser als die alten Seher, Philosophen und Denker. Er sei nicht spiritueller als die großen Suchenden des Altertums, die ersten mächtigen Mystiker. Er sei auch in Kunst und Handwerk den Künstlern und Handwerkern von ehedem nicht überlegen. Die alten, jetzt verschwundenen Rassen zeigten eine ebenso gestaltungskräftige ursprüngliche Originalität, Erfindungsgabe und Begabung im Umgang mit dem Leben. Wenn der moderne Mensch in dieser Beziehung nicht durch wesentlichen Fortschritt, sondern nur an Grad, Horizont und Fülle ein wenig weitergekommen sei, so deshalb, weil er die Errungenschaften seiner Vorläufer ererbt habe. Nichts rechtfertige aber die Vorstellung, er werde sich jemals seinen Weg aus dem Halb-Wissen und der Halb-Unwissenheit heraus bahnen können, die das Gepräge seiner Art ist, oder daß er, auch wenn er eine höhere Erkenntnis entwickelt, je die äußerste Grenze des mentalen Kreises überschreiten könne.

Es sei wohl verlockend und nicht unlogisch, Wiedergeburt als potentielles Mittel einer spirituellen Entwicklung anzusehen, als den Faktor, der sie möglich macht. Vorausgesetzt, Wiedergeburt sei eine Tatsache, so sei es doch nicht sicher, daß das ihre Bedeutung ist. Alle alten Reinkarnations-Theorien nahmen an, es gebe eine ständige Wanderung der Seele vom Tier zum Menschen, aber auch aus den Menschenkörpern in Tierkörper. Das indische Denken fügte die Erklärung durch das karma hinzu, eine Vergeltung für gutes oder böses Tun, die Frucht vergangenen Wollens und Bemühens. Es gab aber keinen Hinweis auf eine fortschreitende Entwicklung aus der einen in eine höhere Art, noch weniger auf eine Geburt in eine andere Art des Wesens, das noch niemals existierte, sondern sich erst in der Zukunft entwickeln sollte. Gebe es eine Evolution, dann sei der Mensch deren letzte Stufe, weil durch ihn die Ablehnung des irdischen oder verkörperten Lebens und eine Flucht in einen Himmel oder in das nirvana möglich sei. Das war das Ziel, das die alten Theorien im Auge hatten. Da unsere Welt hier fundamental und unabänderlich eine Welt der Unwissenheit sei -wenn auch nicht alles kosmische Dasein seiner Natur nach ein Zustand von Unwissenheit ist sei diese Flucht wahrscheinlich das wahre Ziel des Zyklus.

Diese Reihe von Schlußfolgerungen besitzt eine beträchtliche Überzeugungskraft und Bedeutung. Darum war es notwendig, sie, wenn auch nur kurz, darzustellen, um sich mit ihr auseinanderzusetzen. Denn wenn auch einige ihrer Voraussetzungen gültig sind, so ist doch ihre Betrachtung der Dinge nicht vollständig, und ihre Schlußfolgerungen sind nicht zwingend. Zuerst können wir ohne große Schwierigkeiten den Einwand gegen das teleologische Element ausschalten, das in die Struktur des irdischen Daseins eine vorausbestimmte Evolution aus der Unbewußtheit zur Überbewußtheit anerkennt, die Entwicklung einer aufsteigenden Ordnung von Wesen mit einem Übergang auf der höchsten Höhe aus dem Leben in der Unwissenheit zu einem Leben im Wissen. Der Einwand gegen einen teleologisch bestimmten Kosmos kann sich auf zwei Gründe stützen: auf eine wissenschaftliche Beweisführung, die von der Annahme ausgeht, alles sei das Werk einer unbewußten Energie, die automatisch durch mechanische Prozesse wirkt und in sich kein Element von Zweck und Ziel enthalten könne, und auf die metaphysische Beweisführung, die von der Auffassung ausgeht, das Unendliche und Universale besitze bereits alles Einzelne in sich. Es könne nichts Unvollendetes haben, das es erst zur Vollendung bringen muß, nichts, was es sich hinzufügen, ausarbeiten, verwirklichen soll. Es könne deshalb in ihm auch kein Element von Fortschritt, kein ursprüngliches oder hervortretendes Ziel geben. Die Geltung des wissenschaftlichen oder materialistischen Einwandes kann nicht aufrechterhalten werden, wenn es in oder hinter der scheinbar unbewußten Energie in der Materie ein verborgenes Bewußtsein gibt. Selbst im Unbewußten scheint zumindest der Drang einer innewohnenden Notwendigkeit zu bestehen, die Entwicklung von Formen und in den Formen ein sich entwickelndes Bewußtsein hervorzubringen. Man kann wohl annehmen, dieses Drängen ist der evolutionäre Wille eines verborgenen Bewußten Wesens. Sein Antrieb, sich fortschreitend zu offenbaren, ist Beweis für eine ursprünglich der Evolution innewohnende Absicht. Das ist ein teleologisches Element. Es ist nicht vernunftwidrig, das zuzugeben. Denn die bewußte und selbst die unbewußte Neigung entsteht aus einer Wahrheit des bewußten Wesens, das dynamisch geworden und nun darauf aus ist, sich in einem automatischen Prozeß der materiellen Natur zur Erfüllung zu bringen. Die Teleologie, das Element von zweckvoller Absicht, in dieser Neigung ist die Übertragung der aus sich selbst wirkenden Wahrheit des Seienden in Begriffe einer aus dem Selbst wirkenden Willens-Macht dieses Seienden. Wenn Bewußtsein vorhanden ist, muß es hier auch eine Willens-Macht geben, und ihre Übertragung ist normal und unvermeidlich. Eine Wahrheit des Seienden, die sich unvermeidlich selbst zur Erfüllung bringt, wäre also die fundamentale Tatsache der Evolution. Aber ein Wille und dessen Zweck und Ziel müssen dann hier wirksam sein als Teil der Instrumentation, als Element in dem sich auswirkenden Prinzip.

Der metaphysische Einwand ist schwerwiegender. Denn es erscheint als selbstverständlich, daß das Absolute in der Manifestation keine andere Absicht haben kann als die tiefe Freude an der Manifestation selbst. Eine evolutionäre Bewegung in der Materie fällt als Teil der Manifestation unter diese allgemeine Feststellung, sie kann nur zur Wonne an der Entfaltung, an ihrer progressiven Ausführung und zu einer zweckfrei aneinandergereihten Selbst-Offenbarung da sein. Eine universale Ganzheit kann auch als etwas in sich Vollständiges angesehen werden. Für eine Ganzheit gibt es nichts, das sie gewinnen oder der Fülle ihres Wesens hinzuzufügen hätte. Aber die materielle Welt hier ist keine integrale Ganzheit. Sie ist Teil eines Ganzen, Stufe in einer Stufenfolge. Sie kann also in sich selbst nicht nur die Gegenwart von unentwickelten, nicht-materiellen Prinzipien oder Mächten zulassen, die dem Ganzen angehören und ihrer Materie involviert sind, sondern auch gestatten, daß dieselben Mächte aus den höheren Stufen des Systems in sie herniederkommen, um hier die mit ihnen verwandten Bewegungen aus der Starrheit einer materiellen Begrenzung zu befreien. Man kann es also als die Teleologie der Evolution ansehen, daß die höheren Mächte des Seins manifestiert werden, bis das Seiende im Ganzen in der materiellen Welt in den Begriffen einer höheren, spirituellen Schöpfung manifestiert ist. Diese Teleologie fügt keinen Faktor hinzu, der nicht zur Ganzheit gehört. Ihre Absicht ist nur die Verwirklichung der Ganzheit im Teil. Man kann gegen die Anerkennung eines teleologischen Faktors in einer Teil-Bewegung der universalen Ganzheit keine Einwendungen erheben, wenn die Absicht -nicht eine Absicht im menschlichen Sinne, sondern das Drängen einer inneren Wahrheits-Notwendigkeit, die im Willen des innewohnenden Geistes bewußt ist – darin besteht, hier alle Möglichkeiten, die der totalen Bewegung eingeboren sind, vollkommen zu offenbaren. Zweifellos existiert hier alles für die Seligkeit des Seins; alles ist sein Spiel, lila. Aber auch ein Spiel enthält in sich einen Zweck, der voll durchgeführt werden muß. Ohne die Erfüllung dieses Ziels wäre der Sinn des Spiels nicht voll verwirklicht. Ein Drama ohne Auflösung des Knotens am Ende könnte eine künstlerische Möglichkeit sein – wenn es nur für das Vergnügen existiert, die Charaktere zu beobachten oder sich an den dargestellten Problemen zu erfreuen, ohne daß diese gelöst oder indem sie nur so gelöst werden, daß alles in der Schwebe und allen Zweifeln offen bleibt. Man mag sich vorstellen, das Drama der Erden-Evolution könne diesen Charakter haben. Ebenso aber, und das überzeugt mehr, ist es möglich, daß eine Auflösung der Verwicklungen beabsichtigt oder innerlich vorherbestimmt ist. Ananda ist das geheime Prinzip alles Seienden und die Unterstützung alles Wirkens im Seienden. Aber ananda schließt nicht die große Freude daran aus, daß eine dem Seienden innewohnende Wahrheit ausgearbeitet wird, die der Kraft oder dem Willen des Seienden immanent ist und in dem verborgenen Selbst-Innesein ihrer Bewußtseins-Kraft aufrecht erhalten wird, der dynamische Vollstrecker all ihrer Aktivitäten und der Kenner ihrer Bedeutung.

Eine Theorie spiritueller Evolution ist nicht identisch mit einer naturwissenschaftlichen Theorie von Formen-Entwicklung und physischer Lebens-Entwicklung. Sie muß auf der eigenen, ihr innewohnenden Rechtfertigung stehen: Sie mag die wissenschaftliche Darstellung der physischen Evolution als Unterstützung oder als eines ihrer Elemente annehmen. Diese Unterstützung ist aber nicht unentbehrlich. Die wissenschaftliche Theorie kümmert sich nur um den äußeren sichtbaren Mechanismus und Prozeß, um die Einzelheiten der Durchführung seitens der Natur, die physische Entwicklung der Dinge in der Materie und das Gesetz, nach dem sich Leben und Mental in der Materie entwickeln. Im Licht neuer Entdeckung mag ihre Darstellung der Vorgänge beträchtlich verändert oder gar völlig fallengelassen werden. Das wird aber die selbst-bezeugende Tatsache einer spirituellen Evolution, einer Entwicklung von Bewußtsein, einer fortschreitenden Manifestation der Seele im materiellen Dasein nicht beeinflussen. In ihren äußeren Aspekten kommt die Theorie der Evolution zu folgenden Ergebnissen: In der Stufenfolge des irdischen Daseins gibt es eine Entwicklung von Formen und Körpern, eine fortschreitend vielseitige leistungsfähige Organisation von Materie. In der Materie entsteht Leben, in der lebenden Materie Bewußtsein. Je besser in dieser Stufenfolge die äußere Form organisiert ist, desto fähiger ist sie, ein besser organisiertes, mehr komplexes, befähigtes, entfaltetes oder höher entwickeltes Leben und Bewußtsein zu beherbergen. Hat man einmal die Evolutions-Hypothese aufgestellt und die sie stützenden Tatsachen gesammelt, wirkt dieser Aspekt des irdischen Daseins so überzeugend, daß er unbestreitbar zu sein scheint. Es ist eine zweitrangige, wenn auch an sich interessante und wichtige Frage, nach welchem genauen Mechanismus, nach welcher exakten Genealogie oder chronologischen Reihenfolge der Arten des Wesens dies zustande kam. Man mag die Theorien von der Entwicklung der einen Form des Lebens aus einer vorausgehenden weniger entwickelten Form, von der natürlichen Zuchtwahl, vom Kampf ums Dasein, vom Überleben erworbener Charakter-Eigenschaften akzeptieren oder nicht: Die Tatsache einer aufeinanderfolgenden Schöpfung aufgrund eines in ihr enthaltenen Entwicklungsplans ist der einzige Schluß von primärer Bedeutung. Ein anderer selbst-bezeugender Schluß ist, daß es in der Evolution eine stufenweise, notwendige Aufeinanderfolge gibt: zuerst die Entwicklung von Materie, danach die Entwicklung von Leben in der Materie, dann die Entwicklung von Mental in der lebenden Materie. Auf dieser letzten Stufe folgt auf eine Entwicklung zum Tier die des Menschen. Die drei ersten Begriffe dieser Aufeinanderfolge sind zu evident, als daß sie bestritten werden könnten. Man mag darüber debattieren, ob der Mensch auf das Tier folgte oder ob es eine gleichzeitig-ursprüngliche Entwicklung beider gab, wobei dann der Mensch in der Mental-Entwicklung das Tier überholt hat. Man hat sogar die Theorie aufgestellt, der Mensch sei nicht die letzte, sondern die erste und älteste Gattung im Tierreich gewesen. Diese Priorität des Menschen ist eine alte Vorstellung, sie war aber nie allgemein. Sie stammt aus dem Empfinden einer klaren Überlegenheit des Menschen über die irdischen Geschöpfe. Die Würde dieser Hoheit schien eine Priorität der Geburt zu erfordern. Im faktischen Ablauf der Evolution tritt aber der Überlegenere nicht als der Frühere in Erscheinung sondern als der Spätere. Der weniger Entwickelte geht dem höher Entwickelten voraus und ist sein Wegbereiter.

Tatsächlich fehlt im Denken des Altertums die Vorstellung von der Priorität der niederen Daseinsformen nicht vollständig. Abgesehen von den Berichten der Schöpfungsmythen finden wir bereits im alten und mittelalterlichen Denken in Indien Äußerungen, die die Priorität des Tieres gegenüber dem Menschen in der Zeitfolge in einem Sinne hervorheben, der mit dem modernen Evolutionsbegriff übereinstimmt. Eine Upanishad erklärt: Aufgrund seines Entschlusses, Leben zu schaffen, bildete das Selbst oder der Geist zuerst die Tiergestalten wie die Kuh und das Pferd. Die Götter aber – die im Denken der Upanishaden Mächte von Bewußtsein und Mächte der Natur sind – fanden diese als unzureichende Träger; so erschuf der Geist schließlich die Gestalt des Menschen. Diese Form erkannten die Götter als vortrefflich gestaltet und für sie angemessen an und gingen für ihre kosmischen Funktionen in sie ein. Das ist ein deutliches Gleichnis dafür, daß immer höher entwickelte Formen erschaffen wurden, bis sich eine fand, die fähig war, Träger für ein entwickeltes Bewußtsein zu sein. In den Puranas wird berichtet, die Erschaffung des Tiers vom Charakter des tamas sei zeitlich die erste gewesen. Tamas ist das indische Wort für das Prinzip von Trägheit an Bewußtsein und Kraft: Ein Bewußtsein, das in seinem Kräftespiel dumpf, nachlässig und untüchtig ist, wird als tamas-artig bezeichnet. Zur selben Kategorie würde eine Kraft, eine Lebens-Energie gerechnet werden, die stumpfsinnig, in ihrer Fähigkeit begrenzt und an einen niederen Bereich von instinktiven Trieben gebunden ist, die sich nicht entwickelt, nicht über sich hinauszukommen sucht, sich nicht getrieben fühlt zu einer größeren Betätigung ihrer kinetischen Energien oder zu einem erleuchteteren bewußten Wirken.

Das Tier, in dem sich diese weniger entwickelte Bewußtseins-Kraft findet, erscheint in der Schöpfung früher. Das entwickeltere Bewußtsein des Menschen, in dem die Kraft der kinetischen Mental-Energie und des Lichts der Wahrnehmung größer ist, ist eine spätere Schöpfung. Das Tantra spricht von einer Seele, die aus ihrem Zustand gefallen ist und durch viele Hunderttausende von Geburten in Pflanzen- und Tiergestalten hindurchgehen muß, bevor sie die Stufe des Menschen erreichen und bereit sein kann für ihre Erlösung. Hier ist wieder die Auffassung vorausgesetzt, daß die Lebensformen von Pflanze und Tier die niederen Sprossen auf der Leiter sind, das Menschsein aber die letzte oder alles überhöhende Entwicklung des bewußten Wesens. Diese Gestalt muß die Seele bewohnen, um fähig zu sein, vom Geist motiviert zu werden und der Mentalität, der Vitalität und der Körperlichkeit zu entkommen. Das ist tatsächlich die normale Auffassung; sie drängt sich der Vernunft und der Intuition so überzeugend auf, daß man sie kaum zu erörtern braucht. Die Schlußfolgerung daraus ergibt sich fast unentrinnbar.

Vor diesem Hintergrund eines sich entfaltenden Evolutions-Prozesses müssen wir den Menschen betrachten, seinen Ursprung, sein erstes Erscheinen, seinen Status in der Manifestation. Hier ergeben sich zwei Möglichkeiten. Entweder trat ein menschlicher Körper mit einem Bewußtsein plötzlich in der Erden-Natur in Erscheinung als eine abrupte Schöpfung oder unabhängige automatische Offenbarung einer mit Vernunft begabten Mentalität in der materiellen Welt. Sie kam plötzlich im Gefolge einer vorhergehenden ähnlichen Manifestation von unterbewußten Lebensformen und von lebenden bewußten Körpern in der Materie. Oder die Evolution des Mensch-Wesens aus dem Tier-Wesen vollzog sich vielleicht erst langsam in ihrer Vorbereitung und in ihren Entwicklungsstufen, machte aber dann an den entscheidenden Punkten des Übergangs größere Sprünge. Letztere Theorie macht uns keine Schwierigkeiten. Denn es ist sicher, daß Umwandlung des Charakteristischen des Typus, wenn auch nicht des Fundamentalen selbst, sowohl in der Art wie in der Gattung zustande Kommen können – das ist auch schon vom Menschen selbst geleistet worden, und seine Möglichkeiten werden in kleinem Maßstab durch die experimentelle Wissenschaft in überrraschender Weise ausgearbeitet –, so daß man mit Recht annehmen kann, die insgeheim wirkende bewußte Energie in der Natur könnte derartige Maßnahmen in großem Maßstab bewirken und beträchtliche, entscheidende Entwicklungen durch die Mittel ihrer eigenen konventionellen Schöpferkräfte zustande bringen. Notwendige Voraussetzung für eine Umwandlung vom normalen Tier-Charakter in den des Menschen-Daseins würde eine Entwicklung der körperlichen Organisation sein, die ein rasches Fortschreiten des Bewußtseins, seine Umkehr oder Verwandlung ermöglicht, eine neue Höhe erreichen läßt, von der es auf die niederen Stufen hinabschauen kann, sowie eine Ausweitung seiner Kapazität, was das Wesen befähigen würde, die Tier-Eigenschaften in eine umfassendere, bildungsfähigere menschliche Intelligenz emporzunehmen und zugleich oder später größere und subtilere Mächte zu entfalten, die der neuen Art des Wesens angemessen sind, Mächte der Vernunft, des Denkens, der vielseitigen Beobachtung, der planmäßigen Erfindung und Entdeckung. Tritt dann eine neue Bewußtseins-Kraft hervor, so würde dies, da das Instrument dafür zubereitet ist, beim Übergang keine Schwierigkeit machen, abgesehen von der Erschwerung durch die Gegenwirkung und den Widerstand der materiellen Unbewußtheit. Das Tier besitzt bereits in begrenztem Maß einige der entsprechenden Eigenschaften, aber nur, um damit in einem primitiven, rohen und einfachen Organismus von sehr untergeordneter Reichweite und Formbarkeit und einer begrenzten und mehr zufälligen Verfügungsgewalt über diese Begabung zu wirken. Besonders die Wirkweise dieser Begabungen ist mechanischer, weniger planmäßig. Sie ist durch einen gewissen Automatismus der Natur-Energie gekennzeichnet, der die Aktivität eines primitiven Bewußtseins antreibt. Das ist nicht wie beim Menschen eine bewußte Energie, die ihre eigenen Maßnahmen beobachtet, in weitem Umfang lenkt, regiert, absichtlich verändert und umwandelt. Andere Gewohnheiten des Tier-Bewußtseins sind nicht grundsätzlich von denen des Menschen verschieden. Er mußte sie aber auf höherer Ebene entwickeln, ausweiten und, wo immer möglich, mentalisieren, vergeistigen, verfeinern, – kurz, ihnen die Erleuchtung seines neuen Verstehens, seiner intellektuellen Begabung und eine dem Tier versagte Macht zu vernunftgemäßer Beherrschung bringen. Ist diese Umwandlung, diese Umkehr, einmal bewirkt, dann kann sich im menschlichen Mental im Verlauf seiner Evolution die Macht entwickeln, auf sich selbst und auf die Dinge einzuwirken, zu erschaffen, zu erkennen, Denkkonstruktionen zu bilden, auch wenn diese begreiflicherweise anfangs in ihrem Horizont eng, dem Tier näher, in ihrem Wirken noch verhältnismäßig einfach und roh sind. Eine solche Verwandlung mußte bei jedem neuen radikalen Übergang der Natur vorgenommen werden: Die hervortretende Lebens-Kraft wendet sich der Materie zu, zwingt den Aktivitäten der materiellen Energie vitalen Inhalt auf, während sie dabei ihre eigenen neuen Bewegungen und Verfahren entfaltet. Ein Lebens-Mental taucht in der Lebens-Kraft und in der Materie auf und zwingt deren Abläufen seinen Bewußtseinsinhalt auf, während es zugleich ihre eigenen Aktivitäten und Fähigkeiten entwickelt. So liegt ein neues höheres Hervortreten und Sich-Wandeln, das Auftauchen der Menschheit, in der Richtung all dessen, was in der Natur vorausgegangen ist. Es ist nur eine neue Anwendung des allgemeinen Prinzips.

Darum kann man diese Theorie leicht akzeptieren: ihr Verfahren ist begreiflich. Indessen bereitet die andere Hypothese beträchtliche Schwierigkeiten. Hinsichtlich des Bewußtseins könnte die neue, die menschliche Manifestation, durch das Auftauchen eines verborgenen Bewußtseins, das der universalen Natur involviert war, erklärt werden. In diesem Fall muß es aber schon eine materielle Form als Träger seines Hervortretens besessen haben. Dieser Träger muß durch die Kraft des Hervortretens als solche den Bedürfnissen einer neuen inneren Schöpfung angepaßt worden sein. Andererseits könnte aber auch eine rasche Abwandlung von früheren Arten oder Modellen ein neues Wesen hervorgerufen haben. Welche Hypothese man auch anwendet, es handelt sich hier um einen Prozeß der Evolution, dabei gibt es nur einen Unterschied in der Methode und im Mechanismus des Abweichens vom früheren Typus oder des Übergangs. Auch könnte es sich -im Gegensatz dazu – nicht um ein Emportauchen, sondern um ein Herabkommen von Mentalität aus einer Mental-Ebene über uns gehandelt haben, vielleicht um das Herniederkommen einer Seele oder eines mentalen Wesens in die irdische Natur. Die Schwierigkeit läge dann im Erscheinen des menschlichen Körpers, der doch ein zu komplexes und schwieriges Organ ist, als daß er plötzlich erschaffen oder manifestiert worden wäre. Denn unter den normalen Möglichkeiten oder Leistungsfähigkeiten der materiellen Energie scheint ein so wundersam rascher Prozeß nicht vorgesehen zu sein, wenn er auch sehr wohl möglich ist auf einer supraphysischen Ebene des Seienden. Er könnte nur durch das Eingreifen einer supraphysischen Kraft oder eines supraphysischen Natur-Gesetzes oder durch ein Schöpfer-Mental stattfinden, die mit voller Macht und unmittelbar auf die Natur einwirken.

Bei jedem sichtbaren Hervortreten von etwas Neuem in der Materie kann man die Einwirkung einer supraphysischen Kraft oder eines Schöpfers voraussetzen. Jede solche Erscheinung ist im Grunde ein Wunder, das von einem verborgenen Bewußtsein bewirkt oder von einer verhüllten Mental-Energie oder Lebens-Energie unterstützt wird. Doch sieht man nirgends, daß dieses Wirken unmittelbar, offenkundig und rein aus sich selbst erklärbar wäre. Es wird stets einer bereits verwirklichten körperlichen Grundform von oben her auferlegt und wirkt, indem es einen schon festgelegten Natur-Prozeß ausweitet. Eher ist vorstellbar, wie sich ein schon existierender Körper so für einen supraphysischen Einfluß öffnete, daß er in einen neuen Körper umgewandelt wurde. Man kann aber kaum annehmen, ein solches Ereignis habe in der vergangenen Geschichte der materiellen Natur stattgefunden. Offensichtlich bedarf es, damit so etwas stattfinden kann, entweder des bewußten Eingreifens eines unsichtbaren mentalen Wesens, das den Körper bildete, den dann der Mensch bewohnen sollte, oder auch der vorausgehenden Entwicklung eines mentalen Wesens in der Materie selbst, das bereits fähig war, eine supraphysische Macht zu empfangen und sie den starren, engen Formen seines körperlichen Daseins aufzunötigen. Sonst müßten wir annehmen: Ein präexistenter Körper war bereits so hoch entwickelt, daß er für den Empfang eines so mächtigen mentalen Einflusses geeignet war oder fähig, auf das Herabkommen eines mentalen Wesens auf ihn in anpassungsfähiger Weise zu reagieren. Das würde aber eine vorausgehende Entwicklung von Mental im Körper bis zu einem solchen Grade voraussetzen, daß solche Empfänglichkeit möglich sein konnte. Es ist wohl vorstellbar, daß eine derartige Entwicklung von unten und eine Herabkunft von oben für das Erscheinen des Mensch-Wesens in der Erden-Natur zusammenwirkten. Die schon im Tier vorhandene psychische Wesenheit selbst könnte das mentale Wesen, den Mental-purusha, in den Bereich der lebenden Materie herabgerufen haben, damit er die bereits aktive vital-mentale Energie aufnimmt und in eine höhere Mentalität emporhebt. Das wäre immer noch ein Prozeß der Evolution, wobei die höhere Ebene nur eingreift, um dem Hervortreten und der Ausweitung ihres eigenen Prinzips in der irdischen Natur beizustehen.

Weiter kann man zugestehen, jede Art oder jedes Modell von Bewußtsein und Wesen im Körper müssen, wenn sie einmal fest geformt sind, dem Wesensgesetz dieser Art, ihrem eigenen Entwurf und Gesetz treu bleiben. Es mag aber auch sehr wohl sein, daß eine Seite des Gesetzes der menschlichen Art ihr Drang ist, über sich selbst hinauszukommen, und daß für die Mittel zum bewußten Über-sich-hinausgehen unter den spirituellen Kräften des Menschen gesorgt ist. Der Besitz einer solchen Befähigung mag ein Teil des Planes sein, nach dem die schöpferische Energie ihn gebildet hat. Man kann zugeben, daß der Mensch bis jetzt hauptsächlich nur im Umkreis seiner Art, auf einer Spirale der Natur-Bewegung aktiv gewesen ist, die ihn manchmal in die Höhe, manchmal in die Tiefe führte, daß es aber keine gerade Linie des Fortschritts, kein unbestreitbares, fundamentales oder radikales Hinausgehen über seine vergangene Natur gegeben hat. Er hat lediglich seine Befähigungen geschärft, verfeinert, umfassender und elastischer verwendet. Man könnte weiß Gott nicht sagen, seit der Mensch erschienen ist oder seit den Tagen dokumentierbarer Geschichte habe es nicht so etwas wie einen menschlichen Fortschritt gegeben. Denn wie groß auch die Menschen des Altertums gewesen seien, wie hervorragend manche ihrer Schöpfungen und Errungenschaften, wie eindrucksvoll gewisse Leistungen an Spiritualität, Intellekt und Charakter waren, so habe es in den späteren Entwicklungen doch eine zunehmende Verfeinerung, umfassenderen Reichtum, vielfältigere Entfaltung an Wissen und Können in den Errungenschaften des Menschen, in seiner Politik, Gesellschaft, in seinem Leben, seiner Wissenschaft, Metaphysik, seinen Erkenntnissen auf allen Gebieten, seiner Kunst und Literatur gegeben. Auch wenn die Macht seiner Spiritualität nicht so erstaunlich erhaben und weniger gewaltig war als die der Erleuchteten früherer Zeiten, so war sein spirituelles Bemühen doch ausgezeichnet durch Feinheit, vielseitige Gestaltungskraft, Eindringen in die Tiefen und Ausweitung des Suchens. Es hat Zeiten des Absinkens von einem hohen Kulturtypus gegeben, einen zeitweiligen tiefen Abfall in einen gewissen Obskurantismus, ein Nachlassen des spirituellen Strebens und Abstürze in einen barbarischen naturalistischen Materialismus. Das waren aber nur vorübergehende Phänomene, schlimmstenfalls eine nach unten verlaufende Kurve der Fortschrittsspirale. Sicher habe dieser Fortschritt die Menschenrasse noch nicht über sich selbst emporgetragen, so daß sie über sich hinauskommen und das mentale Wesen transformieren konnte. Aber das durfte man auch nicht erwarten. Denn das Wirken der evolutionären Natur in einer Art von Wesen und Bewußtsein besteht zuerst darin, diese Art gerade durch Verfeinerung und zunehmende Vielseitigkeit bis zur äußersten Befähigung zu entfalten, bis sie ihre Schale sprengen kann, so daß das ausreifende Bewußtsein entscheidend hervortritt, sich umwandelt und so auf sich selbst einwirkt, daß es auf eine neue Stufe der Evolution hinwirkt. Setzt man voraus, daß der nächste Schritt der Natur das spirituelle und supramentale Wesen ist, dann kann man das Drängen zur Spiritualität in der Menschheit als ein Zeichen dafür nehmen, daß dies die Absicht der Natur, aber auch ein Hinweis darauf ist, daß der Mensch die Fähigkeit hat, den Übergang in sich durchzuführen oder der Natur zu helfen, den Übergang zu bewerkstelligen. Wenn es die Methode der Entwicklung des Menschen war, daß im Tierwesen eine Art erschien, die in manchen Beziehungen der Affenart ähnlich, aber schon von Anfang an mit den Elementen des Menschseins begabt war, dann könnte es für das evolutionäre Erschaffen eines spirituellen und supramentalen Wesens die deutlich erkennbare Methode der Natur sein, daß im menschlichen Wesen ein spiritueller Typus erscheint, der einem mental-tierhaften Menschen ähnlich ist, aber schon durch sein spirituelles Streben geprägt ist.

In Bezug hierauf hat man darauf hingewiesen, daß es – falls solch ein Gipfel der Evolution beabsichtigt ist und diese sich des Menschen als Mittel bedient – nur einige wenige besonders entwickelte menschliche Wesen geben werde, die den neuen Typus bilden und zum neuen Leben fortschritten. Wenn das erreicht sei, werde die übrige Menschheit aus ihrem spirituellen Streben zurücksinken, das für die Absicht der Natur nun nicht länger nötig sei; sie werde dann in der Ruhe ihres normalen Zustands verbleiben. Man kann aber ebenso behaupten, die menschliche Stufe müsse erhalten bleiben, wenn es wirklich ein Emporsteigen der Seele mittels der Wiedergeburt durch die Entwicklungsstufen bis hin zum spirituellen Gipfel gibt. Andernfalls würde sonst die notwendigste aller Zwischenstufen fehlen. Man muß zugleich betonen, es besteht nicht die geringste Wahrscheinlichkeit oder Möglichkeit dafür, daß sich die ganze menschliche Rasse en bloc zur supramentalen Ebene erhebt. Worauf hier hingewiesen wird, ist keineswegs etwas so Revolutionäres und Erstaunliches. Vielmehr wird nur dargelegt, daß die Mentalität des Menschen dazu fähig ist, nach einer höheren Ebene des Bewußtseins und deren Verkörperung im menschlichen Wesen zu drängen, sobald sie eine gewisse Stufe oder einen gewissen Druck des evolutionären Antriebs erreicht hat. Durch diese Verkörperung werden wir uns notwendigerweise einer Wandlung über die normale Konstitution unserer Natur hinaus unterziehen, sicherlich einer Veränderung der Verfassung unseres Mentals, Fühlens und Empfindens und auch in großem Maß des Körper-Bewußtseins und der physischen Bedingungen unseres Lebens und unserer Energien. Der wichtigste Faktor, die ursprüngliche Bewegung, wird aber die Umwandlung unseres Bewußtseins sein. Die physische Veränderung ist dann nur ein untergeordneter Faktor, eine Folgeerscheinung. Diese Umwandlung des Bewußtseins wird dem menschlichen Wesen immer möglich bleiben, sobald die Flamme der Seele, die psychische Glut im Herzen und im Mental mächtig wird und solange die Natur bereit ist. Das spirituelle Streben ist dem Menschen eingeboren. Denn er ist, hierin dem Tier ungleich, sich seiner Unvollkommenheit und Begrenztheit bewußt und fühlt, daß es jenseits von dem, was er jetzt ist, etwas gibt, das er erreichen muß. Wahrscheinlich wird in der Menschheit dieser Drang, über sich hinauszukommen, nie völlig aussterben. Zwar wird es den menschlichen Mental-Zustand immer geben. Doch wird er nicht nur als Stufe auf der Stufenleiter der Wiedergeburt nötig sein, sondern auch als Stufe, die den Zugang öffnet zum spirituellen und supramentalen Zustand.

Es ist zu beachten, daß das Erscheinen des menschlichen Mentals und Körpers auf der Erde einen folgenschweren Schritt, eine entscheidende Wandlung im Verlauf und Prozeß der Evolution darstellt. Es ist nicht nur ein Weiterführen der alten Linien. Bis zum Hervortreten eines entwickelten denkenden Mentals in der Materie war die Evolution nur unterbewußt oder subliminal durch das automatische Wirken der Natur vollzogen worden, nicht aber durch die des Selbsts bewußte Aspiration, Intention, nicht durch den Willen oder das Suchen des lebenden Wesens. Das war so, weil die Evolution mit der Unbewußtheit begann und das verborgene Bewußtsein noch nicht genügend aus ihr hervorgetreten war, um durch den des Selbsts bewußten teilnehmenden individuellen Willen ihres lebenden Geschöpfes aktiv mitzuarbeiten. Aber im Menschen hat diese notwendige Umwandlung stattgefunden, das Wesen ist zu seinem Selbst erwacht und seiner inne geworden. Im Mental ist offenbar geworden sein Wille, sich zu entwickeln, an Erkenntnis zu wachsen, das innere Dasein zu vertiefen und das äußere auszuweiten sowie die Fähigkeiten der Natur zu vermehren. Der Mensch hat eingesehen, daß es einen höheren Bewußtseins-Status gibt als seinen eigenen. In den Schichten seines Mentals und Lebens ist der leidenschaftliche Trieb und die Sehnsucht entbunden worden, über sich hinauszukommen. Das ist nun deutlich ausgedrückt: Er ist einer Seele bewußt geworden und hat das Selbst und den Geist entdeckt. So wurde in ihm denkbar und praktisch durchführbar, daß eine unbewußte Evolution durch eine bewußte ersetzt werden kann. Daraus darf man wohl schließen, daß das Bestreben, das Drängen und beharrliche Ringen in ihm ein sicherer Hinweis der Natur darauf ist, daß sie einen höheren Weg zu seiner Erfüllung will und ein höherer Zustand hervortreten soll.

Bei den vorausgehenden Stufen der Evolution war die Hauptsorge und das Bemühen der Natur auf eine Umwandlung im physischen Organismus gerichtet, denn nur so konnte es eine Veränderung des Bewußtseins geben. Das war eine ihr durch das Unvermögen der schon in der äußeren Form wirkenden Bewußtseins-Kraft aufgezwungene Notwendigkeit, die keine Umwandlung im Körper bewirken konnte. Im Menschen ist aber das Umgekehrte möglich, sogar unvermeidlich. Denn die Evolution kann und muß durch sein Bewußtsein, durch dessen völlige Mutation bewirkt werden, nicht mehr durch einen neuen körperlichen Organismus als erste Instrumentation. In der inneren Wirklichkeit der Dinge war eine Umwandlung des Bewußtseins immer die bedeutungsvollere Tatsache. Die Evolution hat immer eine spirituelle Bedeutung gehabt, die physische Umwandlung war nur Werkzeug dazu. Dieses Verhältnis war dank des anfänglichen abnormen Ungleichgewichts der beiden Faktoren verborgen. Der Körper der äußeren Unbewußtheit überwog und stellte das spirituelle Element, das bewußte Wesen, in den Schatten. Sobald aber das rechte Gleichgewicht hergestellt ist, braucht die Umwandlung des Körpers nicht mehr der Umwandlung des Bewußtseins vorauszugehen. Vielmehr wird das Bewußtsein durch seine Verwandlung jede Mutation, die für den Körper nötig ist, zwangsläufig bewirken. Es ist zu bemerken, daß das menschliche Mental bereits eine Fähigkeit dazu bewiesen hat, der Natur bei der Entwicklung neuer Pflanzen- und Tier-Arten zu helfen. Es hat neue Formen seiner Umgebung erschaffen und durch Erkenntnis und Disziplin bemerkenswerte Umwandlungen in seiner eigenen Mentalität bewirkt. Es ist nicht unmöglich, daß der Mensch der Natur auch bewußt bei seiner eigenen spirituellen und physischen Entwicklung und Umwandlung beistehen sollte. Das Drängen dazu ist bereits vorhanden und schon teilweise wirksam, auch wenn das von der äußeren Mentalität noch unvollständig verstanden und angenommen wird. Eines Tages mag sie es verstehen, tiefer in ihr Inneres eindringen und das Mittel, die geheime Energie, die beabsichtigte Wirkweise der Bewußtseins-Kraft entdecken, die die verborgene Wirklichkeit dessen ist, was wir die Natur nennen.

Das alles sind Schlußfolgerungen, zu denen man sogar durch die Beobachtung der äußeren Erscheinungen des Fortschritts der Natur, durch ihre vordergründige Entwicklung von Wesen und Bewußtsein in der physischen Geburt und im Körper gelangen kann. Es gibt aber den anderen, den unsichtbaren Faktor. Das ist die Wiedergeburt, der Fortschritt der Seele durch ein Emporsteigen von Stufe zu Stufe des sich entwickelnden Seins und auf diesen Stufen zu immer höheren Arten körperlicher und mentaler Instrumentation. Bei diesem Fortschreiten ist selbst dem Menschen, dem bewußten mentalen Wesen, die psychische Wesenheit noch durch ihre Instrumente, durch Mental, Leben und Körper, verhüllt. Sie kann sich nicht voll offenbaren. Sie wird daran gehindert, in den Vordergrund zu treten, wo sie als Meister ihrer Natur dastehen könnte. Sie wird gezwungen, sich durch ihre Instrumente bestimmen zu lassen und sich ihnen zu unterwerfen; purusha wird von prakriti beherrscht. Im Menschen kann sich aber die psychische Seite der Persönlichkeit viel schneller als bei der untergeordneten Schöpfung entwickeln. Die Zeit kann kommen, da die Seele aus dem Bereich hinter dem Vorhang offen hervortreten und zum Meister ihrer Instrumentation der Natur werden wird. Das bedeutet aber, daß der verborgene innewohnende Geist, die Gottheit im Innern, den Punkt ihres Hervortretens erreicht hat. Wenn sie sich offenbart, ist kaum zu bezweifeln, daß sie ein eher göttliches, spirituelles Dasein fordern wird, wie das bereits im Mental vorhanden ist, wenn es sich dem inneren psychischen Einfluß unterzieht. In der Natur des Erden-Lebens, wo das Mental ein Instrument der Unwissenheit ist, läßt sich das nur bewirken durch Umwandlung des Bewußtseins, durch einen Übergang aus der Begründung in der Unwissenheit zu einer Grundlegung im Wissen, aus dem mentalen in ein supramentales Bewußtsein, zu einer supramentalen Instrumentation der Natur.

Keineswegs überzeugt der Schluß, eine solche Transformation könne man, da dies eine Welt der Unwissenheit sei, nur dadurch erlangen, daß man in einen jenseitigen Himmel hinübergehe, oder man könne sie überhaupt nicht erlangen. Das Verlangen der psychischen Wesenheit sei selbst unwissend und müsse ersetzt werden, indem die Seele völlig im Absoluten aufgehe. Dieser Schluß könnte nur dann gültig sein, wenn die Unwissenheit der ganze Sinn, alle Substanz und Macht der Welt-Manifestation wäre, wenn es in der Welt-Natur selbst kein Element gäbe, durch das man über die unwissende Mentalität hinauskommen könnte, die noch den gegenwärtigen Zustand unseres Wesens belastet. Die Unwissenheit ist aber nur eine Teilerscheinung dieser Welt-Natur. Sie ist nicht ihr Ganzes, nicht ihre ursprüngliche Macht, nicht ihr Schöpfer: In ihrem höheren Ursprung ist sie ein sich selbst begrenzendes Wissen. Selbst in ihrem niederen Ursprung, in ihrem Hervortreten aus der völlig materiellen Unbewußtheit, ist sie unterdrücktes Bewußtsein, das darum ringt, sich selbst zu finden oder wiederzuentdecken, als Grundlage des Daseins ein Wissen zu manifestieren, das ihr wahrer Charakter ist. Im universalen Mental selbst gibt es, oberhalb von unserer Mentalität, Bereiche, die Instrumente der kosmischen Wahrheits-Erkenntnis sind. In diese kann das mentale Wesen gewiß gelangen. Denn in übernormalen Zuständen erhebt es sich schon jetzt zu ihnen empor; oder es empfängt von ihnen, ohne sie schon zu kennen oder zu besitzen, Intuitionen, spirituelle Ahnungen, starke Einflüsse von Erleuchtung oder spiritueller Begabung. Alle diese Bereiche sind dessen bewußt, was oberhalb von ihnen existiert. Der höchste von ihnen ist unmittelbar offen für das Supramental. Er gewahrt das Wahrheits-Bewußtsein, das höher ist als er. Überdies existieren hier, in dem sich entwickelnden Wesen selbst, diese höheren Bewußtseins-Mächte. Sie unterstützen die Mental-Wahrheit und liegen ihrem Wirken zugrunde, das zugleich gegen sie abschirmt. Dieses Supramental und diese Wahrheits-Mächte sind durch ihre geheime Gegenwart die Erhalter der Natur. Selbst die Wahrheit des Mentals ist ihr Ergebnis, eine verminderte Wirkweise, eine Darstellung in Teil-Gestaltungen. Darum ist es nicht nur natürlich, sondern scheint unausweichlich zu sein, daß diese höheren Mächte des Seins sich ebenso hier im Mental manifestieren, wie sich das Mental im Leben und in der Materie manifestiert hat.

Das Drängen des Menschen zur Spiritualität kommt von der treibenden Kraft des Geistes, der aus seinem Innern hervortreten will, von dem beharrlichen Drang der Bewußtseins-Kraft des Wesens zur nächsthöheren Stufe ihrer Manifestation. Es ist wahr, daß das spirituelle Drängen weithin auf eine andere Welt gerichtet war oder sich in seinem Extrem in eine spirituelle Verneinung und Selbst-Vernichtung des mentalen Individuums verkehrte. Das ist aber nur die eine Seite seiner Tendenz, die sich durchsetzte und vorherrschend wurde durch das Bedürfnis der Seele, aus dem Reich der fundamentalen Unbewußtheit herauszukommen, das Hindernis des Körpers zu überwinden, das verdunkelnde Vital abzuwerfen und von der unwissenden Mentalität frei zu werden. Nötig für sie ist, zuerst und vor allem anderen, durch eine Zurückweisung all dieser Behinderungen zum spirituellen Wesen, zum spirituellen Zustand zu gelangen. Die andere, dynamische, Seite des spirituellen Antriebs hat nicht gefehlt: das Verlangen nach spiritueller Beherrschung und Verwandlung der Natur, nach einer spirituellen Vervollkommnung des Wesens, einer Vergöttlichung des Mentals, des Herzens und selbst des Körpers. Es gab sogar den Traum oder die seelische Vorausschau von einer Erfüllung, die über die individuelle Umwandlung hinausgeht, von einer neuen Erde und einem neuen Himmel, einer Stadt Gottes, einer Herabkunft des Göttlichen auf die Erde, einer Herrschaft der spirituell Vollkommenen, von einem Königreich Gottes nicht nur in unserem Innern, sondern auch außen im kollektiven menschlichen Leben. Wie obskur auch einige der Formen gewesen sein mögen, die dieses Streben angenommen hat, so ist doch der in ihnen enthaltene Hinweis unmißverständlich, daß das verborgene spirituelle Wesen im Innern danach drängt, in die Erden-Natur hervorzutreten.

Ist aber eine spirituelle Entfaltung auf der Erde die verborgene Wahrheit unserer Geburt in die Materie und gibt es grundsätzlich eine Entwicklung von Bewußtsein, die in der Natur stattgefunden hat, dann kann der Mensch so, wie er jetzt ist, nicht die letzte Form dieser Entwicklung sein: Er ist ein zu unvollkommener Ausdruck des Geistes; das Mental selbst ist eine zu begrenzte Gestaltung und Instrumentation. Mental ist nur ein Mittelbegriff von Bewußtsein. Das mentale Wesen kann nur ein Übergangswesen sein. Wenn also der Mensch unfähig sein sollte, über die Mentalität hinauszukommen, müßte die Entwicklung über ihn hinausgehen; das Supramental und der Übermensch müßten sich selbst manifestieren und die Führung der Schöpfung übernehmen. Ist aber das Mental dazu fähig, sich für das zu öffnen, was es überragt, dann ist nicht einzusehen, warum nicht der Mensch selbst zum Supramental und zum übermenschlichen Wesen gelangen sollte. Zumindest kann er seine Mentalität, sein Leben und seinen Körper der Entwicklung dieser höheren Form des Geistes zur Verfügung stellen, der sich in der Natur offenbart.

Kapitel XXIV. Die Entwicklung des spirituellen Menschen

Genauso wie die Menschen zu Mir kommen, so nehme Ich sie an. Es ist mein Pfad, dem die Menschen von allen Seiten folgen . . . Welche Form der Anbetende auch wählt, um gläubig zu verehren, ich bestärke in ihm den Glauben an sie, und mit diesem Glauben legt er sein Sehnen in seine Anbetung und empfängt er von mir die Erfüllung seines Verlangens. Begrenzt ist aber diese Frucht. Jene Verehrenden, deren Opfer den Göttern, den Elementargeistern dargebracht wird, kommen zu den Göttern, den Elementargeistern. Jene aber, deren Opfer Mir dargebracht wird, sie gelangen zu Mir.

Gita, IV. 11; VII. 21-23.

In diesen gibt es nicht das tiefe Erstaunen und die Macht. Die verborgenen Wahrheiten existieren nicht für den Verstand der Unwissenden.

Rig Veda, VII. 61.5.

Wie ein Seher, der die verborgenen Wahrheiten und ihre Entdeckungen des Wissens herausarbeitet, brachte er die sieben Werkleute des Himmels ins Dasein. Im Licht des Tages sprachen sie und erwirkten die Dinge ihrer Weisheit.

Rig Veda, IV. 16. 3.

Seher-Weisheiten, geheime Worte, die dem Seher ihre Bedeutung verraten.

Rig Veda, IV. 3.16.

Niemand weiß um ihre Geburt. Sie wissen nur die Art ihrer Erzeugung voneinander: Aber der Weise nimmt diese verborgenen Mysterien wahr, gerade das, was die Große Göttin, die vielfarbene Mutter, als die Brust ihres Wissens trägt.

Rig Veda, VII. 56.2,4.

Zur Gewißheit wurde ihnen, die geläutert sind in ihrem Wesen, die Bedeutung des höchsten spirituellen Wissens.

Mundaka Upanishad, III. 2.6.

Er ringt mit diesen Mitteln und besitzt das Wissen: In ihm tritt dieser Geist ein in seinen höchsten Zustand... Zufrieden im Wissen haben sie, die Weisen, ihr spirituelles Wesen aufgebaut in Einung mit dem spirituellen Selbst. Sie erlangen den Allgegenwärtigen überall und gehen ein in das All.

Mundaka Upanishad, III. 2.4,5.

Auf den frühesten Stufen der evolutionären Natur stehen wir vor dem dumpfen Geheimnis ihrer Unbewußtheit. Nichts offenbart hier einen Sinn oder eine Absicht in ihren Werken. Es gibt keine Andeutung irgendwelcher anderen Prinzipien des Seienden als jene erste Formulierung, mit der sie sich unmittelbar und ausschließlich befaßt und die auch für immer ihre einzige Beschäftigung zu sein scheint: Denn in ihrem ursprünglichen Wirken tritt allein Materie in Erscheinung, die einzige dumpfe, gewaltige kosmische Wirklichkeit. Hätte es einen Zeugen der Schöpfung gegeben, der bewußt aber uneingeweiht war, er hätte nur beobachtet, wie aus einem unermeßlichen Abgrund scheinbaren Nicht-Seins eine Energie auftauchte, die sich mit der Erschaffung von Materie befaßte, mit einer materiellen Welt und materiellen Gegenständen. Sie ordnete die Unendlichkeit des Unbewußten in den Plan eines grenzenlosen Universums, in ein System zahlloser Welten ein, die sich rings um ihn ohne ein gewisses Ende, ohne Begrenzung im Raum ausdehnten. Unermüdlich erschuf sie Nebel oder Haufen von Sternen, Sonnen und Planeten. Sie existierte für sich allein, ohne Sinn, leer von Ursache und Absicht. Ihm wäre das Ganze als ein gewaltiger nutzloser Mechanismus erschienen, als mächtige bedeutungslose Bewegung, als Schauspiel von Äonen ohne Zeugen, als kosmisches Gebäude ohne Bewohner. Denn er hätte kein Anzeichen eines innewohnenden Geistes gesehen, kein Wesen, zu dessen Freude das erschaffen wurde. Eine Schöpfung dieser Art konnte nur das Ergebnis einer unbewußten Energie sein; oder ein Lichtspieltheater der Illusionen, ein Schattenspiel, ein Puppenspiel von Gestalten, die von einem überbewußten indifferenten Absoluten reflektiert werden. Er hätte keinen Beweis für das Dasein einer Seele, keine Andeutung von Mental oder Leben in dieser unermeßlichen, unbegrenzbaren Entfaltung von Materie gesehen. Es wäre ihm als unmöglich oder unvorstellbar erschienen, daß in dieses wüste, für immer unbelebte, empfindungslose Weltall wimmelndes Leben hervorbrechen würde, eine erste Schwingung von etwas Okkultem und Unberechenbarem, das lebendig und bewußt ist, eine geheime spirituelle Wesenheit, die sich ihren Weg an die Oberfläche ertastet.

Hätte er aber einige Äonen später wieder einmal auf dieses sinnlose Panorama geschaut, er könnte dann zumindest in einer kleinen Ecke des Universums dieses Phänomen entdeckt haben, einen Fleck, wo die Materie zubereitet, ihre Entwicklung genügend gesichert, organisiert, stabilisiert und als Schauplatz für eine neue Entwicklung hergerichtet war: die Erscheinung lebender Materie, Leben in den Dingen, das hervortrat und sichtbar wurde. Trotzdem hätte der Beobachter noch nichts davon verstanden, denn die evolutionäre Natur verhüllt noch ihr Geheimnis. Er würde eine Natur gesehen haben, die nur damit befaßt war, diesen Ausbruch von Leben, diese neue Schöpfung gesichert zu erhalten. Das Leben schien aber ohne Bedeutung in sich, nur für sich selbst zu leben, – eine Schöpfermacht, die nach Laune und in unerschöpflicher Fülle damit beschäftigt ist, den Samen ihrer neuen Kraft auszustreuen und in einem schönen, verschwenderischen Überfluß eine Menge ihrer Formen gesichert zu erhalten oder später Gattung und Art aus reiner Freude am Erschaffen endlos zu vermehren: als ob ein kleiner Tupfen lebensvoller Farbe und Bewegung in die ungeheuere kosmische Wüste gespritzt worden wäre, sonst nichts. Der Beobachter hätte sich nicht vorstellen können, daß ein denkendes Mental auf dieser winzigen Insel von Leben erscheinen würde, ein Bewußtsein im Unbewußten erwachen könnte; eine neue intensive subtile Schwingung an die Oberfläche kommen und das Dasein des in der Tiefe versunkenen Geistes deutlicher verraten würde. Er hätte zuerst den Eindruck gewonnen, das Leben sei zunächst nur irgendwie seiner selbst gewahr geworden, und das sei alles. Denn dieses kärgliche neugeborene Mental schien nur ein Diener des Lebens zu sein, eine Erfindung, um dem Leben leben zu helfen, ein Mechanismus zu seiner Erhaltung, eine Waffe zum Angriff und zur Verteidigung, eine Unterstützung für bestimmte Bedürfnisse und vitale Befriedigungen, ein Helfer, um Lebens-Instinkt und Lebens-Implus freizusetzen. Ihm konnte es gar nicht als möglich erscheinen, daß in diesem kleinen Leben, das so unauffällig inmitten der Unermeßlichkeiten vegetierte, in einer einzigen Art aus einer winzigen Menge ein mentales Wesen hervortreten würde: ein Mental, das zwar noch dem Leben dient, das aber auch das Leben und die Materie zu seinen Dienern macht, das sie verwendet zur Erfüllung seiner eigenen Ideen, seines Willens, seiner Wünsche; ein mentales Wesen, das Gebrauchsgegenstände, Werkzeuge und Instrumente aller Art aus der Materie erschaffen würde, um sie für vielerlei nützliche Zwecke zu verwenden; das aus ihr Städte, Häuser, Tempel, Theater, Laboratorien, Fabriken errichten würde; das Statuen aus ihr meißelt, Höhlenkathedralen heraushaut, Architektur, Skulptur, Malerei, Dichtung und Hunderte von Handwerken und Künsten erfindet; das die Mathematik und Physik des Universums und das verborgene Geheimnis seiner Struktur entdeckt; das um des Mentals willen und für seine Interessen, für das Denken und für das Wissen lebt; das sich in den Denker, den Philosophen, den Wissenschaftler entwickelt und das in erhabener Verachtung der Herrschaft der Materie in sich die verborgene Gottheit erweckt und zum Abenteurer wird, der nach dem Unsichtbaren jagt, zum Mystiker, zum spirituell Suchenden.

Wenn aber der Beobachter nach mehreren Zeitaltern oder Zyklen wieder zugeschaut und dieses Wunder in seinem vollen Ablauf gesehen hätte, würde er vielleicht auch dann den Vorgang noch nicht verstanden haben, da er durch seine ursprüngliche Erfahrung, allein die Materie sei im Universum wirklich, im Dunkeln gehalten wird. Es würde ihm immer noch als unmöglich vorkommen, daß der verborgene Geist hervortritt und in seinem Bewußtsein ganz auf der Erde wohnt als der, der sein Selbst und die Welt erkennt und die Natur beherrscht und besitzt. Er würde sagen: “Unmöglich! Was da alles vor sich ging, ist nicht viel; ein wenig Pulsieren der sensitiven grauen Gehirnmasse; eine verrückte Laune in einem bißchen unbelebter Materie, das sich auf einem kleinen Fleck im Universum bewegt.” Dagegen würde ein neuer Beobachter, der am Ende der Geschichte hinzukommt, der von den vergangenen Entwicklungen unterrichtet und unvoreingenommen ist durch die Täuschungen des Anfangs, ausrufen: “Das also war das beabsichtigte Wunder, das letzte von vielen, – der Geist, der in die Unbewußtheit untergetaucht war, ist aus ihr hervorgebrochen und bewohnt jetzt unverhüllt die Form der Dinge, die er, verhüllt, zu seinem Wohnsitz und zum Schauplatz seines Hervortretens erschaffen hatte.” In der Tat könnte ein noch bewußterer Beobachter schon zu einem früheren Zeitpunkt der Entfaltung, gar bei jedem Schritt ihres Verlaufes, den Schlüssel zur Lösung entdeckt haben. Denn auf jeder Stufe nimmt das stumme Geheimnis der Natur, auch wenn es immer noch da ist, ab. Es wird ein Hinweis auf den nächstfolgenden Schritt gegeben; eine offenkundigere bedeutsame Vorbereitung wird sichtbar. Schon in dem, was im Leben unbewußt zu sein scheint, kommen Anzeichen eines Empfindens an die Oberfläche und werden sichtbar. Im Leben, das sich bewegt und atmet, ist das Hervortreten eines sensitiven Mentals erkennbar. Die Vorbereitung für ein denkendes Mental ist nicht völlig verborgen. Schon während der Entwicklung des denkenden Mentals erscheinen dort auf einer frühen Stufe die Äußerungen eines primitiven Ringens und später eines entwickelten Suchens nach spirituellem Bewußtsein. Wie das Pflanzenleben in sich die dunkle Möglichkeit des bewußten Tiers enthält, wie sich im Tier-Mental die Regungen von Gefühl und Wahrnehmung und die primitiven Begriffe andeuten, die die erste Grundlage für den Menschen, den Denker, bilden, so wird der Mensch, das mentale Wesen, durch das Bemühen der evolutionären Energie so verfeinert, daß sich aus ihm der spirituelle Mensch, das völlig bewußte Wesen entwickeln kann. Das ist der Mensch, der über sein erstes materielles Selbst hinausgekommen ist, der Entdecker seines wahren Selbsts und seiner höchsten Natur.

Nimmt man dies als die Absicht in der Natur an, so erheben sich sofort zwei Fragen, die eine endgültige Antwort verlangen: erstens nach der genauen Art, wie sich der Übergang vom mentalen zum spirituellen Wesen vollzieht; zweitens, sobald dies geklärt ist, nach Hergang und Methode der Entwicklung des spirituellen aus dem mentalen Menschen. Auf den ersten Blick könnte es als evident erscheinen, daß jede Stufe nicht nur aus der ihr vorausgehenden, sondern in dieser hervortritt. So taucht Leben in der Materie auf und wird in seinem Selbst-Ausdruck weithin durch seine materiellen Bedingungen begrenzt und bestimmt. So tritt Mental in einem Leben-in-der-Materie auf und wird ähnlich in seinem Selbst-Ausdruck durch die vitalen und materiellen Bedingungen begrenzt und bestimmt. Ebenso müsse in einem im Leben-in-der-Materie verkörperten Mental Geist auftauchen und weithin durch die mentalen Bedingungen begrenzt und bestimmt sein, in denen er, wie dieses die vitalen und materiellen Bedingungen seines Daseins hier, seine Wurzeln hat. Man könnte sogar behaupten, die spirituelle Evolution in uns sei, wenn es eine solche Evolution in uns gegeben hat, nichts als ein Teil der mentalen Evolution, eine besondere Funktion der menschlichen Mentalität. Das spirituelle Element sei keine besonders ausgezeichnete oder getrennte Wesenheit und könne kein unabhängiges Hervortreten, keine supramentale Zukunft haben. Das mentale Wesen könne ein spirituelles Interesse oder eine besondere Vorliebe dafür entfalten und als Folge davon ebensogut eine spirituelle wie eine intellektuelle Mentalität entwickeln, eine wundersame Seelen-Blüte seines mentalen Lebens. Das Spirituelle könne in manchen Menschen ebenso zu einer vorherrschenden Neigung Werden, wie es in anderen eine vorherrschende künstlerische oder pragmatische Neigung gebe. So etwas wie ein spirituelles Wesen, das die mentale Natur in die spirituelle empornehme und in sie verwandle, könne es jedoch nicht geben. Möglich sei lediglich die Entwicklung eines neuen und möglicherweise feineren und selteneren Elements im mentalen Wesen. Das ist es also, was man nun deutlich herausstellen muß: den Unterschied zwischen dem Spirituellen und dem Mentalen, die Art dieser Entwicklung und die Faktoren, die sie ermöglichen und so unvermeidlich machen, daß es zu diesem Hervortreten des Geistes in seinem wahren, besonderen Charakter kommen muß, so daß er nicht mehr, wie er es jetzt großenteils in seinem Wirken ist oder in seiner Art des Sichtbarwerdens zu sein scheint, eine untergeordnete oder vorherrschende Gestaltung unserer Mentalität ist, sondern sich als eine neue Macht erweist, die schließlich die mentale Seite überhöhen und statt ihrer der Lenker des Lebens und der Natur wird.

Es ist wohl wahr, oberflächlicher Betrachtung scheint Leben nur ein Produkt der Aktivität von Materie, das Mental ein solches von Leben zu sein. Daraus könnte folgen, was wir Seele oder Geist nennen, sei nur eine Macht der Mentalität, Seele eine feinere Form von Mentalität, Spiritualität eine höhere Aktivität des verkörperten mentalen Wesens. Das ist aber eine oberflächliche Betrachtung der Dinge, dadurch verursacht, daß sich das Denken auf die äußere Erscheinung und den Ablauf der Vorgänge konzentriert und nicht auf das schaut, was hinter den Vorgängen steht. Im gleichen Sinn könnte man ebensogut zu dem Schluß kommen, Elektrizität sei nur Produkt oder Wirkform von Wasser und Wolkenmaterie, weil aus solch einem Kräftefeld ein Blitz entsteht. Eingehendere Untersuchung hat uns aber das Gegenteil gezeigt, daß beides, Wolke und Wasser, die elektrische Energie zur Grundlage, als die sie konstituierende Macht oder Energie-Substanz haben: Was Ergebnis zu sein scheint, ist – in Wirklichkeit, wenn auch nicht seiner Form nach – Ursprung. Die Wirkung geht in der Essenz der scheinbaren Ursache, das Prinzip der hervorgetretenen Aktivität seinem gegenwärtigen Wirkungsfeld voraus. So ist es durchweg in der evolutionären Natur. Die Materie hätte nicht belebt werden können, wäre nicht das Lebens-Prinzip dagewesen, die Materie zu konstituieren und als das Phänomen eines Lebens-in-der-Materie hervorzutreten. Leben-in-Materie hätte nicht anfangen können, zu fühlen, wahrzunehmen, zu denken, Vernunft zu entfalten, hätte nicht das Mental-Prinzip hinter Leben und Substanz gestanden und diese als sein Betätigungsfeld konstituiert, um im Phänomen eines denkenden Lebens und Körpers hervorzutreten. So ist auch die im Mental in Erscheinung tretende Spiritualität der Hinweis auf eine Macht, die selbst Leben, Mental und Körper begründet und aufgebaut hat und jetzt als spirituelles Wesen in einem lebenden und denkenden Körper hervortritt. Wie weit dieses Hervortreten gehen wird, ob es vorherrschend wird und sein Instrument transformiert, ist eine spätere Frage. Notwendig ist aber, daß wir in erster Linie feststellen: Das Sein des Geistes ist etwas anderes als das Mental und größer als dieses. Spiritualität ist etwas anderes als Mentalität. Das spirituelle Wesen ist deshalb etwas vom mentalen Wesen Unterschiedenes: Geist tritt als etwas Endgültiges in der Evolution hervor, weil er das ursprüngliche Element und Bewirkende der Involution ist. Evolution ist eine umgekehrte Aktion der Involution. Was in der Involution Unterstufe und zuletzt abgeleitet ist, muß in der Evolution als erstes sichtbar werden. Was in der Involution das Ursprüngliche und Grundprinzip ist, tritt in der Evolution als Letztes und Höchstes hervor.

Ferner gilt, daß es für das Mental des Menschen schwierig ist, die Seele oder das Selbst oder sonst ein spirituelles Element in ihm von der mentalen und vitalen Gestaltung, in der sie erscheinen, scharf zu unterscheiden. Das trifft aber nur so lange zu, als das Hervortreten noch nicht vollständig ist. Im Tier ist das Mental noch nicht scharf getrennt von seiner eigenen Lebens-Prägung und -Materie. Seine Regungen sind so sehr den Lebens-Bewegungen involviert, daß es sich noch nicht von ihnen loslösen, noch nicht von ihnen getrennt dastehen und sie beobachten kann. Im Menschen ist aber das Mental gesondert worden. Er kann seine mentalen Vorgänge als etwas erkennen, das von seinen Lebens-Vorgängen unterschieden ist. Sein Denken und sein Wille können sich von seinen Empfindungen und Impulsen, Begehren und Gefühls-Reaktionen lösen. Sie können diesen selbständig gegenüberstehen, sie beobachten und beherrschen, ihre Funktion bestätigen oder aufheben. Er kennt aber die Geheimnisse seines eigenen Wesens noch nicht gut genug, um entscheidend und gewiß seiner selbst als eines mentalen Wesens in Leben und Körper inne zu werden. Er hat aber einen Eindruck davon und kann innerlich diese Position einnehmen. So erscheint auch zuerst die Seele im Menschen nicht als etwas vom Mental und mentalisierten Leben völlig Verschiedenes. Ihre Bewegungen sind den Mental-Bewegungen involviert, ihre Wirkweisen scheinen mentale und emotionale Aktivitäten zu sein. Das mentale menschliche Wesen ist sich einer Seele in seinem Innern nicht bewußt, die hinter Mental, Leben und Körper zurücktritt, sich von ihnen loslöst, ihr Wirken und ihre Gestaltung sieht, kontrolliert und formt. Das ist aber in dem Maß, wie die innere Entwicklung fortschreitet, genau das, was geschehen kann, muß und auch wirklich geschieht. Es ist der lange hinausgezögerte, jedoch unausweichliche nächste Schritt in unserer evolutionären Bestimmung. Es kann zu einem entscheidenden Hervortreten kommen, in dem sich das Wesen vom Denken trennt und sich in einem inneren Schweigen als der Geist im Mental schaut. Oder es sondert sich ab von den Lebens-Bewegungen, vom Begehren, den Sensationen, kraftvollen Impulsen und gewahrt sich als den Geist, der das Leben unterstützt. Ober es trennt sich vom Körper-Sinn und erkennt sich als Geist, der die Materie beseelt: So entdecken wir uns selbst als den purusha, als ein mentales Wesen, als eine Lebens-Seele oder als ein subtiles Selbst, das den Körper trägt und erhält. Viele Menschen halten das für eine ausreichende Entdeckung des wahren Selbsts. In gewissem Sinn haben sie auch recht. Denn das ist das Selbst oder der Geist, das sich so im Blick auf die Aktivitäten der Natur selbständig darstellt. Diese Offenbarung seiner Gegenwart reicht aus, das spirituelle Element von ihnen abzulösen. Aber die Entdeckung des Selbsts kann noch weitergehen. Sie kann sogar jede Beziehung zu Form und Aktivität der Natur beiseite stellen. Denn man kann diese Selbste als Repräsentanten einer göttlichen Wesenheit erkennen, der gegenüber Mental, Leben und Körper nur Formen und Instrumente sind. Dann sind wir die Seele, die die Natur betrachtet, alle ihre dynamischen Wirkungen in uns erkennt, und zwar nicht durch mentale Wahrnehmung und Beobachtung, sondern durch ein inneres Bewußtsein, dessen unmittelbares Empfinden der Dinge und selbständige, genaue innere Schau, So wird die Seele durch ihr Hervortreten fähig, alle Macht über unsere Natur auszuüben und sie zu verändern. Wenn im Wesen völliges Schweigen herrscht, entweder die Stille des ganzen Wesens oder die Stille hinter ihm, die unbeeinträchtigt bleibt von den Bewegungen der Außenseite, können wir eines Selbsts gewahr werden, einer spirituellen Substanz unseres Wesens, eines Seins, das umfassender ist als die Seelen-Individualität. Es breitet sich in die Universalität aus, geht über alle Abhängigkeit von jeglicher natürlichen Form oder Aktivität hinaus und weitet sich nach oben hin in eine Transzendenz, deren Grenzen nicht erkennbar sind. Diese Befreiungen der spirituellen Seite in uns sind der entscheidende Schritt der spirituellen Entwicklung in der Natur.

Erst durch diese entscheidenden Bewegungen wird der wahre Charakter der Evolution deutlich erkennbar. Denn bis dahin gab es nur vorbereitende Vorgänge, einen Druck der psychischen Wesenheit auf Mental, Leben und Körper, um dadurch ein wahres Seelen-Wirken zu entfalten, ein Drängen des Geistes oder des Selbsts zur Befreiung vom Ich, von der vordergründigen Unwissenheit, eine Hinwendung des Mentals und Lebens zu einer noch verborgenen Wirklichkeit, -vorläufige Erfahrungen, partielle Formulierungen eines spiritualisierten Mentals, eines spiritualisierten Lebens, aber noch keine vollständige Umwandlung und keine Wahrscheinlichkeit, daß sich die Seele oder das Selbst ganz enthüllen oder daß eine grundsätzliche Umwandlung der Natur eintritt. Sobald es zu einem entscheidenden Hervortreten der Seele kommt, ist das Zeichen dafür ein uns innewohnendes Bewußtsein, das in seinem passiven Zustand oder aktiven Wirken etwas Ursprüngliches und aus sich selbst Seiendes ist. Es erkennt sich allein durch die Tatsache seines Wesens. Auf dieselbe Weise erkennt es durch Identität mit sich alles, was in ihm selbst ist. Es sieht auch immer mehr all das, was unserem Mental außerhalb zu sein scheint, auf dieselbe Weise durch eine Bewegung von Identität oder durch ein innerlich unmittelbares Bewußtsein, das den Gegenstand umhüllt, ihn durchdringt und in ihn eingeht. Es entdeckt sich selbst im Gegenstand und wird in ihm einer Wirklichkeit bewußt, die nicht Mental, Leben oder Körper ist. Es gibt also offensichtlich ein spirituelles Bewußtsein, das etwas anderes ist als das mentale. Es bezeugt das Vorhandensein eines spirituellen Wesens in uns, das anders ist als unsere vordergründige Personalität. Zuerst mag sich dieses Bewußtsein aber auf einen Zustand des Wesens beschränken, der losgelöst ist von der Aktivität unserer unwissenden vordergründigen Natur. Es beobachtet sie, beschränkt sich auf das Erkennen und die Betrachtung der Dinge mit einem spirituellen Sinn und einer Schau ihres Seins. Für sein Wirken kann es immer noch von den mentalen, vitalen und physischen Instrumenten abhängen oder ihnen erlauben, im Einklang mit ihrer Natur zu wirken, sich selbst aber mit der Erfahrung des Selbsts, dem Erkennen des Selbsts, einer inneren Befreiung und letztlich einer vollen Freiheit begnügen. Es kann aber auch – und gewöhnlich tut es das – eine gewisse Autorität auf Denken, Lebens-Bewegung und körperliches Wirken ausüben, sie lenken und beeinflussen. Eine Kontrolle mag sie läutern, emporheben und dadurch veranlassen, sich einer höheren und reineren Wahrheit ihres Selbsts zuzuwenden, dieser zu gehorchen oder Instrumentation dafür zu sein, daß eine mehr göttliche Macht oder eine erleuchtete Lenkung Einfluß gewinnt, die nicht mental sondern spirituell ist und daran erkannt werden kann, daß sie einen gewissen göttlichen Charakter trägt, – die Inspiration eines größeren Selbsts oder das Gebot des Herrschers über allem Seienden, des ishvara. Die Natur mag ebenfalls den Anregungen seitens der psychischen Wesenheit gehorchen, in innerer Erleuchtung fortschreiten und einer inneren Lenkung folgen. Das bedeutet schon eine beträchtliche Entwicklung und kommt zumindest auf den Anfang einer psychischen und spirituellen Transformation heraus. Es ist aber möglich, noch weiter zu gehen. Denn wenn das spirituelle Wesen sich einmal im Innern freigemacht hat, kann es im Mental die höheren Zustandsformen des Wesens entfalten, die seine eigene natürliche Atmosphäre sind. Es kann eine supramentale Energie und Aktivität herabbringen, die dem Wahrheits-Bewußtsein eigen sind. Dann könnten die gewöhnlichen Instrumentationen des Mentals, des Lebens und sogar des Körpers völlig transformiert und zu Teilen unseres Wesens werden, die nicht länger der wenn auch einigermaßen erleuchteten Unwissenheit angehören, sondern einer supramentalen Schöpfung, die das wahre Wirken des spirituellen Wahrheits-Bewußtseins und Wissens wäre.

Am Anfang leuchtet diese Wahrheit des Geistes und der Spiritualität dem Mental noch nicht von selbst ein. Der Mensch wird mental seiner Seele inne als etwas, das anders ist als sein Körper, höher als sein normales Mental und Leben. Aber er hat von ihr noch kein klares Empfinden, er fühlt nur einige ihrer Einwirkungen auf seine Natur. Da diese Einwirkungen aber Mental- und Lebens-Form annehmen, wird die Trennungslinie nicht eindeutig und scharf gezogen. Die Wahrnehmung der Seele gewinnt noch keine unterscheidbare und gesicherte Unabhängigkeit. Ganz allgemein hält man irrtümlicherweise einen Komplex von Teil-Wirkungen des psychischen Drucks auf die mentalen und vitalen Schichten, ein Gebilde, das mit mentalem Bestreben und vitalem Begehren vermischt ist, für die Seele. Genauso wird das separative Ich für das Selbst gehalten, obwohl das Selbst in seinem wahren Wesen sowohl allumfassend wie individuell ist. Und ebenso wird eine Mischung von mentalem Bestreben und vitaler Begeisterung, die noch durch eine feste, erhabene Überzeugung, Selbsthingabe oder altruistischen Eifer hochgetrieben werden, mit Spiritualität verwechselt. Aber diese Unklarheiten und Verwirrungen sind als vorübergehende Stufe der Evolution unvermeidlich. Weil Unwissenheit ihr Ausgangspunkt ist und unsere anfängliche Natur prägt, muß die Entwicklung notwendig mit unvollkommener intuitiver Wahrnehmung und instinktivem Drang oder Suchen anfangen, ohne daß wir schon Erfahrung oder klares Wissen erworben hätten. Unvermeidlich müssen gerade jene Formen, die die ersten Auswirkungen der Wahrnehmung der spirituellen Entwicklung oder ihres Drängens, ihre ersten Anzeichen sind, von solch unvollkommener oder tastender Art sein. Aber der so entstehende Irrtum wirkt sich als starkes Hindernis für das rechte Verstehen aus. Darum muß mit Nachdruck hervorgehoben werden: Spiritualität ist nicht hohe Intellektualität, nicht ein Idealismus oder eine ethische Wendung des Mentals, auch keine moralische Reinheit und Sittenstrenge; sie ist weder Religiosität noch feuriger Enthusiasmus oder übertriebene Glut der Gefühle und nicht einmal alle diese ausgezeichneten Dinge zusammen. Eine mentale Überzeugung, ein Dogma oder Glaubensbekenntnis, ein hohes emotionales Streben, eine Ordnung des Verhaltens nach einer religiösen oder ethischen Formel – das alles ist noch keine Errungenschaft oder Erfahrung des Geistes. Für Mental und Leben sind diese Dinge von hohem Wert. Als vorbereitende Bewegungen, die der Natur des Menschen zu Disziplin und Reinheit oder zu einer rechten Gestaltung verhelfen, sind sie für die spirituelle Entwicklung als solche wertvoll. Sie gehören aber noch der mentalen Entwicklung an; spirituelle Verwirklichung, Erfahrung und Umwandlung hat damit noch nicht angefangen. Ihrem Wesen nach ist Spiritualität ein Erwachen zur inneren Wirklichkeit unseres Wesens, zu Geist, Seele, dem Selbst der Seele, zu etwas, das anders ist als unser Mental, Leben und Körper. Es ist das innere Streben, Jenes zu erkennen, zu fühlen und zu sein, in Kontakt mit der höheren Wirklichkeit zu kommen, die jenseits von uns ist, das Universum durchdringt, aber auch unser eigenes Wesen bewohnt, mit Ihm in Kommunion zu kommen und in Einung mit Ihm zu sein, unser ganzes Leben hinzuwenden, umzuwandeln, zu transformieren als Ergebnis dieses Strebens, dieses Kontakts und der Einung. Es ist ein Emporwachsen oder Erwachen zu einem neuen Werden oder neuen Wesen, einem neuen Selbst und einer neuen Natur.

Tatsächlich muß die schöpferische Bewußtseins-Kraft in unserem Erdendasein eine doppelte Entwicklung in einem fast gleichzeitigen Prozeß vorwärtstreiben, wobei sie allerdings dem niedrigen Element besondere Priorität und größeren Nachdruck verleiht. Es gibt einerseits die Entwicklung unserer äußeren Natur, der Natur des mentalen Wesens in Leben und Körper. Und es gibt andererseits die Entwicklung im inneren Wesen, in unserer verborgenen subliminalen und spirituellen Natur, die nach Selbst-Offenbarung drängt, da diese Offenbarung mit dem Hervortreten des Mentals möglich wird, wenigstens ihre Vorbereitung und sogar ihr Anfang. Notwendigerweise muß aber noch für lange Zeit die größere Sorge der Natur darauf gerichtet sein, das Mental bis zur größtmöglichen Weite, Höhe und Feinheit zu entwickeln. Denn nur so kann die Enthüllung einer völlig intuitiven Intelligenz, des Übermentals, des Supramentals und der schwierige Übergang zu einer höheren Instrumentation des Geistes vorbereitet werden. Wäre es die einzige Absicht der Natur, die wesenhafte spirituelle Wirklichkeit zu offenbaren und unser Wesen in ihrem reinen Sein aufhören zu lassen, hätte dieses Drängen auf die Entwicklung des Mentals keinen Zweck. Denn der Geist kann an jedem Punkt aus der Natur wieder ausbrechen, unser Wesen von ihm absorbiert werden. Intensives Erglühen des Herzens, völliges Schweigen des Mentals, eine einzige alles verzehrende Leidenschaft des Willens würden ausreichen, um diese alles überhöhende Bewegung zustande zu bringen. Wäre die endgültige Absicht der Natur auf eine andere Welt gerichtet, würde dasselbe Gesetz wirksam. Denn überall und an jedem Punkt der Natur kann der Drang zu einer anderen Welt hin stark genug sein, um durchzubrechen, das Wirken auf der Erde zu verlassen und in eine andere spirituelle Welt einzugehen. Ist es aber ihre Absicht, das Seiende in umfassender Weise umzuwandeln, dann ist diese doppelte Entwicklung verständlich und rechtfertigt sich selbst. Denn für dieses Ziel ist sie unentbehrlich.

Das zwingt aber zu einem schwierigen und langsamen spirituellen Fortschritt. Erstens muß das Hervortreten des Geistes bei jedem Schritt darauf warten, daß die Instrumente zubereitet sind. Wenn dann eine spirituelle Gestaltung auftaucht, ist sie unentwirrbar mit den Mächten, Beweggründen und Antrieben eines unvollkommenen Mentals, Lebens und Körpers vermischt. Ein herabziehender Zwang wird auf sie ausgeübt, diesen Mächten, Beweggründen und Antrieben zu dienen. Eine Schwerkraft zieht sie nach unten. Gefährliche Vermischung, ständige Versuchung bedroht sie, zu fallen oder abzuweichen; zumindest sind das für sie Fesseln, eine schwere Bürde, Verzögerung. Da wird es notwendig, auf eine schon vorher errungene Stufe zurückzukehren, um etwas von der Natur heraufzuholen, das zurückblieb und weiteren Fortschritt verhindert. Schließlich werden gerade durch die Eigenart des Mentals, in dem Licht und Macht des Geistes zu wirken haben, diese bei ihrem Auftauchen begrenzt und gezwungen, in Teilbereichen voranzukommen, erst der einen, dann einer anderen Richtung zu folgen und die Vollendung in ihrer Ganzheit entweder zu unterlassen oder auf später zu verschieben. Diese Hemmung, dieser Widerstand von Mental, Leben und Körper, die verworrenen Leidenschaften der Sinne des Lebens, die verdunkelnden und zweifelnden Ungewißheiten, Verneinungen und Gegenformulierungen des Mentals, – das alles ist eine so große und unerträgliche Behinderung, daß der spirituelle Antrieb die Geduld verliert und diese Gegner mit aller Macht zu unterdrücken sucht. Er verleugnet das Leben, tötet den Körper ab, bringt das Mental zum Schweigen und sucht seine eigene Erlösung für sich allein zu erlangen. Sein Geist geht weiter in den reinen Geist und wirft die ungöttliche und verdunkelte Natur völlig ab. Neben der hohen Berufung, dem natürlichen Drängen des spirituellen Teils in uns, zu seinem eigenen höchsten Element und Zustand zurückzukehren, ist diese Ansicht, die vitale und physische Natur sei hinderlich für reine Spiritualität, ein zwingender Grund für das Asketentum, für die Überzeugung, die Welt sei eine Illusion, für das Streben nach einer anderen Welt, für das Drängen auf Abkehr vom Leben und das leidenschaftliche Verlangen nach einem reinen und unvermischten Absoluten. Der reine spirituelle Absolutismus ist eine Bewegung des Selbsts zu seinem eigenen höchsten Selbst-Sein. Er ist aber auch für den eigentlichen Zweck der Natur unentbehrlich. Denn ohne ihn würden die Vermischung und die nach unten ziehende Schwerkraft das Hervortreten des Geistes unmöglich machen. Der extreme Vertreter dieses Absolutismus, der Einsiedler, der Asket, ist der Bannerträger des Geistes. Sein ockerfarbenes Gewand ist seine Flagge, das Zeichen für die Absage an jeglichen Kompromiß, – wie ja tatsächlich das Ringen um das Hervortreten des Geistes nicht durch einen Kompromiß beendet werden kann, sondern nur durch einen vollständigen spirituellen Sieg und durch die bedingungslose Unterwerfung der niederen Natur. Sei das hier unmöglich, dann müsse der Sieg eben irgendwoanders errungen werden. Weigere sich die Natur, sich dem hervortretenden Geist unterzuordnen, dann müsse die Seele sich aus ihr zurückziehen. So gibt es also beim Hervortreten des Geistes diese zweifache Tendenz: einerseits den Drang, das spirituelle Bewußtsein um jeden Preis im Wesen, sogar bis zur Verwerfung der Natur, durchzusetzen, andererseits die Absicht der Spiritualität, sich auf alle Seiten unserer Natur auszudehnen. Aber solange das erste noch nicht völlig erreicht ist, kann das zweite nur unvollkommen und zögernd geschehen. Eine feste Grundlage für das reine spirituelle Bewußtsein zu schaffen, ist das erste Ziel in der Entwicklung des spirituellen Menschen. Dieses und das Drängen dieses Bewußtseins, mit der Wirklichkeit, dem Selbst oder dem Göttlichen Wesen unmittelbar in Berührung zu kommen, muß das wichtigste, bis es vollkommen erreicht ist, sogar das einzige Anliegen des spirituellen Suchers sein. Das ist das eine, was not tut und was von jedem Menschen in der ihm möglichen Weise und entsprechend der in seiner Natur liegenden spirituellen Begabung getan werden muß.

Der Weg, der bisher von der Evolution des spirituellen Wesens durchlaufen wurde, muß von zwei Seiten her gesehen werden. Wir müssen die von der Natur verwendeten Mittel, die Linien der Entwicklung und die von ihr tatsächlich erreichten Erfolge im einzelnen Menschen betrachten. Bei ihrem Versuch, das innere Wesen zu öffnen, hat die Natur vier Grundlinien verfolgt: Religion, Okkultismus, spirituelles Denken und eine innere spirituelle Realisation und Erfahrung. Die drei ersten sind Zugangswege; der letzte Weg führt unmittelbar ins Innere Alle vier Mächte sind gleichzeitig aktiv geworden, sie waren mehr oder weniger miteinander verbunden. Manchmal wirkten sie auf verschiedene Weise zusammen. Ab und zu lagen sie miteinander im Streit. Auch wirkten sie voneinander getrennt und unabhängig. Die Religion hat in ihrem Ritual, Zeremoniell und den Sakramenten ein okkultes Element zugelassen. Sie hat sich auf spirituelles Denken gestützt und aus diesem manchmal ein Glaubensbekenntnis oder eine Theologie, manchmal die sie tragende spirituelle Philosophie abgeleitet, – das erste ist gewöhnlich ihre Methode im Westen, das letzte diejenige im Osten gewesen. Aber spirituelle Erfahrung ist ihr endgültiges Ziel und die höchste Vollendung der Religion, ihr Himmel und ihre erhabene Höhe. Die Religion hat aber auch manchmal den Okkultismus gebannt oder ihr eigenes okkultes Element auf ein Minimum beschränkt. Sie hat das philosophische Denken als einen trockenen, intellektuellen Fremdling mißachtet und sich mit all ihrem Gewicht auf Glaubenslehre und Dogma, auf pietistische Gefühlsglut und auf moralisches Verhalten gestützt. Spirituelle Erkenntnis und Erfahrung hat sie auf ein Mindestmaß begrenzt oder ganz darauf verzichtet. Der Okkultismus hat manchmal das Spirituelle als sein Ziel herausgestellt und okkultes Wissen und okkulte Erfahrung als Zugang dazu benutzt und eine Art mystischer Philosophie formuliert. Häufiger hat er sich jedoch auf okkultes Wissen und Praktizieren ohne jeden spirituellen Ausblick beschränkt. Er hat sich der Zauberei oder reinen Magie zugewandt und ist sogar in Teufelskult abgeirrt. Spirituelle Philosophie hat sich sehr oft an Religion als ihre Stütze und ihren Erfahrungsweg angelehnt. Sie war das Ergebnis von Erkenntnis und Erfahrung oder hat ihr Lehrgebäude als einen Zugang dazu aufgebaut. Sie hat aber auch alle Hilfe – oder alle Behinderung – von Seiten der Religion abgelehnt und ist ihren Weg aus eigener Kraft vorwärtsgegangen, wobei sie entweder mit mentaler Erkenntnis zufrieden war oder darauf vertraute, ihren eigenen Weg der Erfahrung und wirksamen Erziehung zu entdecken. Die spirituelle Erfahrung hat alle drei Mittel zu ihrem Ausgangspunkt verwendet, hat sich aber auch ihrer aller entledigt und allein auf ihre eigene reine Kraft verlassen: Sie hat okkulte Erkenntnis und Mächte als gefährliche Verführungen, als Hindernisse und Fallstricke zurückgewiesen und nach der einen Wahrheit des Geistes gesucht. Sie hat auf die Philosophie verzichtet und kam statt dessen durch die Glut des Herzens oder eine mystische innere Spiritualisierung an ihr Ziel. Sie ließ jede religiöse Glaubenslehre, Gottesverehrung und religiöse Praxis hinter sich, betrachtete sie als untergeordnete Stufe oder ersten Zugang. Sie ist darüber hinausgegangen, hat auf all diese Hilfsmittel verzichtet und ist, dieses äußeren Schmucks entkleidet, zur reinen unmittelbaren Berührung mit der spirituellen Wirklichkeit gekommen. Alle diese verschiedenen Wege waren notwendig. Die Natur hat im evolutionären Bemühen mit ihnen allen experimentiert, damit sie ihren richtigen und ganzen Weg zum höchsten Bewußtsein und integralen Wesen findet.

Denn jede dieser Methoden oder Zugangswege entspricht einer bestimmten Seite unseres ganzen Wesens und darum auch einer Notwendigkeit zur Verwirklichung des vollständigen Ziels der Evolution der Natur. Vier Dinge sind für die Selbst-Ausweitung des Menschen notwendig, wenn er nicht das kleine und halb-kompetente Geschöpf der kosmischen Kraft bleiben will, das er jetzt in seiner äußerlich sichtbaren Art ist, das in seiner vordergründigen Unwissenheit in obskurer Weise nach der Wahrheit der Dinge sucht, das nur Bruchstücke und Ausschnitte des Wissens sammelt und systematisiert. Er muß sich selbst erkennen und alle in ihm veranlagten potentiellen Fähigkeiten entdecken und verwenden. Um aber sich und die Welt vollständig zu erkennen, muß er hinter sein Eigenes und dessen Äußeres zurücktreten, tief unter seine mentale Oberfläche und die physische Außenseite der Natur dringen. Das kann er nur durch volle Erkenntnis seines mentalen, vitalen, physischen und psychischen Wesens, seiner Mächte und Abläufe und der allgemein gültigen Gesetze und Prozesse des verborgenen Mentals und Lebens, die hinter der materiellen Vorderseite des Universums stehen. Das ist das Feld des Okkultismus, wenn wir das Wort in seiner weitesten Bedeutung nehmen. Er muß so auch die verborgene Macht oder die Mächte kennenlernen, die die Welt beherrschen: Wenn es ein kosmisches Selbst, einen Geist oder Schöpfer gibt, muß der Mensch fähig sein, mit dieser Macht oder dieser Person in Beziehung zu treten und in jedem möglichen Kontakt, jeder Kommunion mit Ihm bleiben können. Er muß zu einer Art von Harmonie gelangen mit den Meister-Wesen des Universums oder mit dem Allumfassenden Wesen und seinem allumfassenden Willen oder mit einem Höchsten Wesen und Seinem erhabenen Willen. Er soll dem Gesetz folgen, das Es ihm gibt, dem ihm zubemessenen oder offenbarten Ziel seines Lebens und Verhaltens. Er soll sich zu den höchsten Höhen dessen emporheben, das Es von ihm in seinem jetzigen Leben oder in seiner Existenz danach verlangt. Gibt es aber keinen solchen universalen oder erhabenen Geist, kein solches Wesen, dann muß er wissen, was es eigentlich gibt und wie er sich aus seiner gegenwärtigen Unvollkommenheit und Ohnmacht dorthin emporschwingen kann. Zu diesem Ziel führt der Weg der Religion: Ihre Absicht ist, das menschliche Wesen mit dem Göttlichen Wesen zu verknüpfen und dadurch Denken, Leben und Fleisch so zu verfeinern, daß sie die Herrschaft der Seele und des Geistes anerkennen. Dieses Erkennen muß aber mehr sein als eine Glaubenslehre oder eine mystische Offenbarung. Das denkende Mental des Menschen soll fähig sein, das Wissen mit dem Prinzip der Dinge und mit der beobachteten Wahrheit des Universums in Beziehung zu setzen: das ist das Werk der Philosophie. Im Bereich der Wahrheit des Geistes kann das nur von einer spirituellen Philosophie geleistet werden, sei sie in ihrer Methode intellektuell oder intuitiv. Alle Erkenntnis und alles Mühen darum kann aber nur dann Frucht tragen, wenn sie in Erfahrung umgewandelt wird und zu einem Teil des Bewußtseins und zu seinen gesicherten Wirkweisen geworden ist. Im spirituellen Bereich muß sich schließlich all dieses religiöse, okkulte oder philosophische Erkennen und Ringen, wenn es Frucht tragen soll, für das spirituelle Bewußtsein öffnen, für Erfahrungen, die dieses Bewußtsein begründen, ständig erhöhen, ausweiten und bereichern und die ein Leben und Wirken aufbauen, das in Übereinstimmung mit der Wahrheit des Geistes steht. Das ist das Werk spiritueller Erkenntnis und Erfahrung.

Naturgemäß muß jede Evolution zuerst durch langsame Entfaltung vorwärtsgehen. Denn jedes neue Prinzip, das seine Mächte zur Entwicklung bringt, muß seinen Weg aus einer Involution in die Unbewußtheit und Unwissenheit herausfinden. Es hat die schwierige Aufgabe, sich aus der Involution herauszureißen, aus dem festen Griff der Verfinsterung durch das ursprüngliche Medium, gegen das Herabziehen und Zurückzerren, die instinktive Opposition und den Widerstand der Unbewußtheit und die behindernde Vermischung und blinden starrsinnigen Verzögerungen durch die Unwissenheit. Die Natur bejaht zuerst ein vages Drängen und eine Tendenz, die ein Zeichen dafür ist, daß die okkulte, subliminale, versunkene Wirklichkeit nach außen drängt. Da gibt es kleine, halb-unterdrückte Andeutungen dessen, was sein soll, unvollkommene Anfänge, primitive Elemente, rudimentäre Erscheinungen, winzige, unbedeutende, kaum erkennbare Wirkungsquanten. Danach erscheinen kleine oder große Gestaltungen. Eine eher charakteristische und leichter erkennbare Qualität zeigt sich immer mehr, zuerst partiell, hier und dort, in geringer Intensität, dann lebendiger und gestaltungskräftiger. Schließlich kommt es zu einem entscheidenden Hervortreten, zu einer Umkehr des Bewußtseins, zum Anfang der Möglichkeit einer radikalen Umwandlung. Es muß aber noch in jeder Hinsicht viel getan werden. Ein langes und schwieriges Wachsen zur Vollkommenheit steht dem evolutionären Bemühen bevor. Nicht nur muß alles bisher Geleistete bestätigt und gegen Rückfall und die nach unten ziehende Schwerkraft, gegen Versagen und Vernichtung abgesichert werden. Das Bewußtsein muß auch in allen Bereichen seiner Möglichkeiten aufgeschlossen werden für die Vollständigkeit all dessen, was der Mensch erreichen kann, für die höchste Höhe, die Feinheit, die Reichtümer und für seine Weite. Es soll alles beherrschen, alles umfassen und alles einbeziehen. Überall geht die Natur auf dieselbe Weise vor. Wenn wir das mißachten, verfehlen wir die Absicht in ihrem Wirken und gehen selbst im Irrgarten ihrer Verfahrensweisen verloren.

Dieser Prozeß hat in der Entwicklung der Religion im menschlichen Mental und Bewußtsein stattgefunden. Was sie für die Menschheit geleistet hat, kann nur verstanden und recht gewürdigt werden, wenn wir die Bedingungen des Entwicklungsprozesses und ihre Notwendigkeit nicht übersehen. Offensichtlich müssen die ersten Anfänge der Religion primitiv und unvollkommen gewesen sein. Ihre Entwicklung wurde durch Beimischungen, Irrtümer, Zugeständnisse an das menschliche Mental und die vitale Seite behindert, die oft von nicht-spiritueller Art gewesen sein mögen. Da können sich dann unwissende, schädliche, ja, verhängnisvolle Elemente einschleichen, die zu Irrtum und bösen Folgen führen. In den religiösen Bereich dringen leicht negative Elemente dergestalt ein, daß sie die Religion ihres höheren spirituellen Ziels und wahren Charakters berauben: der Dogmatismus des menschlichen Mentals, seine selbstherrliche Enge, seine Intoleranz und sein herausfordernder Egoismus, seine Gebundenheit an begrenzte Wahrheiten und seine noch größere Neigung zu seinen Irrtümern, oder die Gewalttätigkeit, der Fanatismus, die militante, unterdrückende Selbst-Behauptung des Vitals, dessen heimtückisches Einwirken auf das Mental, um dessen Zustimmung zu den eigenen Begierden und Gelüsten zu erhalten. Hinter dem Namen der Religion mag sich viel Unwissenheit verbergen. Es mögen viele Irrtümer und auch der Aufbau von ausgedehnten falschen Institutionen zugelassen worden sein. Selbst viele Verbrechen und Vergehen gegen den Geist sind vorgekommen. Aber diese verworrene Geschichte gehört zu jedem menschlichen Bemühen. Wenn man das gegen die Wahrheit und Notwendigkeit der Religion aufrechnen wollte, müßte man es auch der Wahrheit und Notwendigkeit jeder anderen Form des Ringens der Menschheit ankreiden, gegen alles Wirken des Menschen, gegen seine Ideale, sein Denken, seine Kunst, seine Wissenschaft. Die Religion hat selbst ihre Ablehnung dadurch herausgefordert, daß sie den Anspruch erhob, sie könne durch eine göttliche Autorität, durch Inspiration, sakrosankte, unfehlbare Souveränität, die ihr von oben verliehen sei, über die Wahrheit entscheiden. Sie suchte sich dem menschlichen Denken, Fühlen und Verhalten aufzuzwingen, ohne Widerspruch oder Fragen zu erlauben. Das ist ein übertriebener und unreifer Anspruch. Er wurde der religiösen Idee irgendwie durch den zwingenden, absoluten Charakter der Inspirationen und Erleuchtungen aufgenötigt, die ihr Garant und ihre Rechtfertigung sind. Dazu kam die Notwendigkeit des Glaubens als eines verborgenen Lichtes und einer von der Seele ausgehenden Macht inmitten von Unwissenheit, Zweifel, Schwäche und Ungewißheit des Mentals. Glaube ist etwas dem Menschen Unentbehrliches. Ohne ihn könnte er auf seinem Lebensweg durch das Unbekannte nicht vorwärtskommen. Der Glaube sollte aber nicht aufgezwungen werden, sondern als freie Erkenntnis oder gebietende Lenkung aus dem inneren Geist kommen. Ein Anspruch darauf, ohne Widerspruch angenommen zu werden, wäre nur dann gerechtfertigt, wenn das spirituelle Bemühen des Menschen schon so weit gediehen ist, daß er ins höchste, totale und integrale Wahrheits-Bewußtsein gelangt ist, das frei ist von aller unwissenden mentalen und vitalen Beimischung. Dieses höchste Ziel liegt aber noch vor uns; es ist noch nicht erreicht worden. Jener voreilige Anspruch hat das wahre Wirken des religiösen Grundgefühls im Menschen verdunkelt, das ihn zur Göttlichen Wirklichkeit hinführen und all das ausdrücken soll, was er in dieser Richtung bisher erlangt hat. Es soll jedem menschlichen Wesen die Prägeform für eine spirituelle Disziplin geben, für einen Weg, wie er die göttliche Wahrheit suchen, berühren und sich ihr nahen kann, eine Methode, die den Entfaltungsmöglichkeiten seiner Natur entspricht.

Man kann die umgreifende und anpassungsfähige Methode der evolutionären Natur, die die umfassendste Weite vorsieht und doch die wahre Absicht des religiösen Suchens des menschlichen Wesens bewahrt, an der Entwicklung der Religion in Indien beobachteten, wo jede Menge religiöser Ausdrucksformen, Kulte und Disziplinen erlaubt war, jene sogar ermutigt wurden, Seite an Seite zu leben. Jeder Mensch war frei, das anzunehmen und zu befolgen, was seinem Denken, Fühlen, Temperament und seiner natürlichen Art zuinnerst entsprach. Es ist richtig und vernünftig, daß es diese Formbarkeit gab, die einer experimentellen Entwicklung zukommt. Denn die eigentliche Aufgabe der Religion ist es, Mental, Leben und körperliche Existenz des Menschen darauf vorzubereiten, das spirituelle Bewußtsein in sich aufzunehmen. Sie muß ihn bis zu dem Punkt führen, wo das innere spirituelle Licht vollkommen hervorzutreten beginnt. An diesem Wendepunkt muß die Religion lernen, sich unterzuordnen. Sie darf nun nicht mehr auf ihren äußeren Eigentümlichkeiten beharren. Vielmehr muß sie dem inneren Geist die volle Freiheit geben, seine eigene Wahrheit und Wirklichkeit zu entfalten. Inzwischen soll sie so viel von der Mentalität, Vitalität und Körperlichkeit des Menschen in sich aufnehmen, wie sie kann, um all seinen Betätigungen eine Wendung in die spirituelle Richtung zu geben, zur Offenbarung einer spirituellen Bedeutung in ihnen, zur Prägung durch spirituelle Verfeinerung, zum Anfang eines spirituellen Charakters. Bei diesem Versuch treten die Irrtümer der Religion auf. Sie werden durch das Wesen der Materie verursacht, mit der sie es zu tun hat. Dieser minderwertigere Stoff dringt gerade in jene Formen ein, die als Vermittler zwischen dem spirituellen und dem mentalen bzw. vitalen oder physischen Bewußtsein dienen sollen, und drückt diese oft herab, entwürdigt und verdirbt sie. Aber gerade in diesem Bemühen erweist sich die Religion als äußerst nützlich, als eine Mittlerin zwischen Geist und Natur. In der menschlichen Evolution leben immer Wahrheit und Irrtum nahe beieinander. Man darf die Wahrheit nicht deshalb zurückweisen, weil sie Irrtümer im Gefolge hat. Wohl aber müssen diese ausgemerzt werden. Das ist oft eine schwierige Sache; sie führt, wenn sie nur grob geleistet wird, zu chirurgischem Schaden, der dem Körper der Religion zugefügt wird. Was wir als Irrtum ansehen, ist häufig Symbol, Verkleidung, eine verdorbene oder mißgestaltete Form einer Wahrheit, die bei dieser brutal-radikalen Operation verloren ging, – die Wahrheit wird zusammen mit dem Irrtum herausgeschnitten. Oft erlaubt die Natur, daß der gute Weizen für lange Zeit zusammen mit nutzlosen Unkräutern wächst, weil nur so ihr eigenes Wachstum und die freie Entwicklung möglich ist.

Die evolutionäre Natur erweckt den Menschen zuerst zu einem primitiven spirituellen Bewußtsein. Am Anfang ist das ein vages Empfinden für das das physische Wesen umgebende Unendliche und Unsichtbare; ein Sinn für Begrenzung; Ohnmacht des menschlichen Mentals und Willens; eine Ahnung von etwas, das größer als er selbst und in der Welt verborgen ist; das Gefühl für wohltätige und bösartige mächtige Wesenheiten, die auf die Ergebnisse seines Handelns maßgebend wirken; die Gewißheit, daß eine Macht hinter der von ihm bewohnten physischen Welt steht, die vielleicht diese und ihn erschaffen hat; oder auch Mächte, die die Bewegungen der Welt gestalten und beherrschen, während sie selbst vielleicht von dem höheren Unbekannten beherrscht werden, das jenseits von ihnen existiert. Der Mensch mußte die Art dieser Mächte bestimmen und Mittel finden, mit ihnen in Kommunikation zu treten, sie günstig stimmen oder um Hilfe bitten. Außerdem suchte er nach Mitteln, um die Triebkräfte der verborgenen Bewegungen der Natur aufzufinden und zu beherrschen. Das konnte er nicht sogleich mit seiner Vernunft leisten, da diese anfangs nur mit physischen Tatsachen umgehen konnte. Jenes war aber der Bereich des Unsichtbaren und erforderte supraphysische Schau und Erkenntnis. Er mußte sie durch Ausweitung der Fähigkeit zu Intuition und Instinkt erreichen, die bereits im Tier vorhanden waren. Diese im denkenden Wesen ausgeweitete mentalisierte Fähigkeit muß im frühen Menschen sinnenhafter und stärker gewesen sein, wenn auch noch zumeist auf einer niederen Stufe, da er sich für alle notwendigen ersten Entdeckungen weithin auf sie verlassen mußte. Er mußte aber auch auf die Hilfe einer subliminalen Erfahrung vertrauen. Denn auch das Subliminale muß bei ihm aktiver, eher bereit, zum Vorschein zu kommen, und fähiger gewesen sein, seine Anlagen an der Außenseite zu gestalten, bevor er lernte, sich allein auf seinen Intellekt und seine Sinne zu verlassen. Die so durch den Kontakt mit der Natur empfangenen Intuitionen systematisierte sein Mental, womit es die frühen Formen der Religion schuf. Diese ihm aktiv zur Verfügung stehende Macht der Religion gab ihm auch das Empfinden, daß supraphysische Kräfte hinter den physischen stehen. Sein Instinkt und eine gewisse subliminale oder übernormale Erfahrung von supraphysischen Wesen, mit denen er in Verbindung stehen konnte, veranlaßten ihn dann, wirksame Mittel zu entdecken und zu kanalisieren, um dieses Wissen kraftvoll zu verwenden. So wurden Magie und andere frühe Formen von Okkultismus geschaffen. Irgendwann muß es ihm auch gedämmert haben, er besitze etwas Nicht-Körperliches in seinem Innern, eine Seele, die den Körper überlebt. Gewisse übernormale Erfahrungen, die wegen des Dranges, das Unsichtbare zu erkennen, aktiv wurden, müssen ihm dazu verholfen haben, seine ersten primitiven Vorstellungen von dieser Wesenheit in seinem Innern auszudrücken. Erst später begann er dann, einzusehen, daß das, was er im Wirken des Universums wahrgenommen hatte, in einer gewissen Form auch in seinem Innern existierte und daß auch in ihm Elemente waren, die auf unsichtbare Mächte und Kräfte zum Guten oder Bösen reagierten. Auf diese Weise haben wohl seine religiös-ethischen Vorstellungen und seine Möglichkeiten zu einer spirituellen Erfahrung angefangen. So ist die frühe, zuerst sehr oberflächliche und veräußerlichte Stufe menschlicher Religion ein Gemisch von primitiven Intuitionen, okkultem Ritual, religiös-sozialer Ethik, mystischer Erkenntnis oder Erfahrung, die im Mythus symbolisiert wurde; ihr Sinn wurde aber durch eine geheime Einweihung und Disziplin bewahrt. Anfangs waren diese Elemente zweifellos primitiv, unbedeutend und mangelhaft. Doch gewannen sie Tiefe und Weite und gediehen in einigen Kulturen zu großer Fülle und Bedeutung.

Als die Entwicklung von Mental und Leben zunahm – denn darauf ist die Sorge der Natur im Menschen zu allererst gerichtet, und sie zögert nicht, das auf Kosten anderer Elemente, die erst später gefördert werden müssen, vorwärtszutreiben –, zeigte sich eine Tendenz zur Intellektualisierung. Die ursprünglich notwendigen intuitiven, instinktiven und subliminalen Bildungen werden nun von Strukturen überlagert, die durch die wachsende Kraft von Vernunft und mentaler Intelligenz aufgebaut werden. Sobald der Mensch die Geheimnisse und Prozesse der physischen Natur entdeckt, entfernt er sich immer mehr von seiner früheren Zuflucht zu Okkultismus und Magie. Die Gegenwart und der empfundene Einfluß von Göttern und unsichtbaren Mächten tritt in dem Umfang zurück, in dem immer mehr Phänomene durch natürliche Vorgänge und mechanische Prozesse der Natur erklärt werden. Trotzdem fühlt er aber das Bedürfnis nach einem spirituellen Element und nach den spirituellen Faktoren in seinem Leben. Darum läßt er noch eine Zeitlang die beiden Betätigungen nebeneinander herlaufen. Aber die okkulten Elemente der Religion verlieren ihre Bedeutung, wenn sie auch noch als Anschauungen bewahrt oder in Riten und Mythen begraben werden. Sie nehmen ab, und das intellektuelle Element wird stärker. Wo und wenn diese intellektualisierende Tendenz dann zu stark wird, kommt es zuletzt dazu, daß man alles ausmerzt außer der Konfession, der Institution, der formellen Praxis und Ethik. Sogar das Element der spirituellen Erfahrung schwindet dahin. Es gilt als ausreichend, sich nur auf Glauben, emotionale Glut und moralisches Verhalten zu verlassen. Jene erste Verschmelzung von Religion, Okkultismus und mystischer Erfahrung ist völlig aufgelöst. Es bleibt nur die, keinesfalls universale oder vollständige, jedoch ausdrückliche, sichtbare Tendenz übrig, daß jede dieser Mächte ihren eigenen Weg zu ihrem Ziel in ihrem je eigenen Charakter verfolgt. Das letzte Ergebnis dieser Stufe ist eine völlige Verneinung von Religion, Okkultismus und allem, was supraphysisch ist. Übrig bleibt ein harter trockener Krampf des oberflächlichen Intellekts, der mit Gewalt das ganze schützende Heim, die Zufluchtsstätten für die tieferen Weiten unserer Art beseitigt. Doch hält die evolutionäre Natur immer noch ihre letzten Ziele im mentalen Bewußtsein einiger weniger Menschen lebendig und verwendet die höhere mentale Entwicklung des Menschen dazu, sie auf eine höhere Ebene emporzuführen und zu vertiefen. Gerade zur heutigen Zeit können wir nach einem Zeitalter von triumphierendem Intellektualismus und Materialismus sichtbare Beweise für diesen Prozeß in der Natur erkennen. Er offenbart sich immer mehr als Rückkehr zur inneren Selbst-Entdeckung, als inneres Suchen und Denken, als ein neuer Versuch zu mystischer Erfahrung, als ein tastendes Suchen nach dem inneren Selbst, als ein Wiedererwachen zu einem gewissen Empfinden für die Wahrheit und Macht des Geistes. Des Menschen Suchen nach seinem Selbst, nach seiner Seele und nach der tieferen Wahrheit in den Dingen strebt danach, ihre verlorene Kraft wiederzubeleben und wiederherzustellen, den alten Glaubensüberzeugungen frisches Leben einzuflößen, neue Glaubensrichtungen zu begründen und unabhängige religiöse Sekten zu entfalten. Nachdem der Intellekt bis nahe an die natürlichen Grenzen seiner Befähigung zur physischen Erforschung kam, dort auf das Urgestein stieß und gefunden hat, daß seine Wissenschaft nichts weiter erklärt als den äußeren Vorgang in der Natur, hat er nun, wenn auch noch versuchsweise und zögernd, begonnen, den Blick seines Forschens auf die tieferen Geheimnisse des Mentals und der Lebenskraft und auf den Bereich des Okkulten zu richten, was er bisher a priori abgelehnt hatte. Nun will er erfahren, was darin Wahres ist. Auch die Religion als solche hat ihre Macht zu überleben bewiesen und geht durch eine Entwicklung hindurch, deren endgültiger Sinn noch im Dunkeln liegt. In dieser neuen Phase des Mentals, die wir jetzt, wenn auch noch unbestimmt und zurückhaltend, aufkommen sehen, können wir die Möglichkeit zu einem Drang der Natur zur entscheidenden Wende und einen Fortschritt der spirituellen Entwicklung entdecken. Die Religion, die auf ihrer ersten Stufe unterhalb der Rationalität reich, aber in einer gewissen Verfinsterung war, hatte unter dem Übergewicht des Intellekts die Richtung zu einem aufgeklärten aber öden rationalen Zwischenbereich eingeschlagen. Sie muß schließlich der aufsteigenden Kurve des menschlichen Mentals folgen und höher zu ihren Gipfeln emporsteigen, zu ihrem wahren oder weitesten Bereich in der Sphäre eines überrationalen Bewußtseins und Wissens.

Wenn wir auf die Vergangenheit schauen, können wir noch Beweise für diese Entwicklungs-Linie der Natur sehen, wenn auch die meisten ihrer frühen Stufen vor uns verborgen sind in den ungeschriebenen Seiten der Vorgeschichte. Man hat behauptet, Religion sei in ihren Anfängen nichts weiter gewesen als eine Masse von Animismus, Fetischismus, Magie, Totemismus, Tabus, Mythen und abergläubischen Symbolen mit dem Medizinmann als Priester und einem winzigen Überzug primitiver menschlicher Unwissenheit, später bestenfalls eine Form von Natur-Verehrung. Im primitiven Mental des Menschen könnte das wohl so gewesen sein, wenn wir auch den Vorbehalt hinzufügen müssen, daß hinter vielem von seinen Überzeugungen und Praktiken eine Wahrheit von niederer aber sehr wirksamer Art gestanden haben muß, die wir mit unserer höheren Entwicklung verloren haben. Der primitive Mensch lebt intensiv in einem niederen, engen Bereich seines Lebens-Wesens. Dieser entspricht auf der okkulten Ebene einer unsichtbaren Natur, die von ähnlichem Gepräge ist und deren okkulte Mächte durch Wissen und gewisse Methoden zur Wirksamkeit gerufen werden können, wozu die niederen vitalen Intuitionen und Instinkte eine Tür auftun mögen. Auf einer ersten Stufe religiöser Anschauung und Praxis könnte das in Formen ausgedrückt worden sein, die der Art ihres Charakters und ihrer Interessen nach noch roh und urtümlich, noch nicht spirituell waren. Ihr Hauptelement könnte darin bestanden haben, kleine Lebens-Mächte und Elementar-Wesen herbeizurufen, um das niedere Lebens-Begehren und ein primitives physisches Wohlergehen zu fördern.

Diese primitive Stufe – falls sie das tatsächlich war und nicht in dem, was wir noch von ihr erkennen, ein Abfall, ein Überbleibsel, ein Rückfall von einer höheren Erkenntnis, die zu einem vorausgegangenen Zyklus der Zivilisation gehörte, oder auch der verlorene Rest einer toten oder veralteten Kultur – kann aber nur ein Anfang gewesen sein. Auf sie folgte, nach manchen Zwischenstufen, der fortgeschrittene Typus der Religion, über den wir noch in der Literatur oder in Dokumenten der frühen zivilisierten Völker Nachricht besitzen. Dieser Typus, der zusammengesetzt war aus polytheistischen Anschauungen und Kultus, Kosmologie, Mythologie, einem Komplex von Zeremonien, Praktiken, rituellen und ethischen Geboten, die manchmal tief in das Gesellschafts-System verwoben waren, bildete gewöhnlich eine nationale oder Stammes-Religion, die genau die von der Gemeinschaft erreichte Entwicklungsstufe von Denken und Leben zum Ausdruck brachte. In der äußeren Struktur vermissen wir noch eine Stütze von tieferer spiritueller Bedeutung. Diese Lücke war bei den höheren, entwickelteren Kulturen von einem starken Hintergrund okkulten Wissens und Praktizierens oder von sorgfältig gehüteten Mysterien ausgefüllt, die ein erstes Element von spiritueller Weisheit und Disziplin enthielten. Öfters begegnet uns der Okkultismus als Beifügung oder als Überbau; er ist jedoch nicht immer vorhanden. Die Hauptfaktoren sind Verehrung göttlicher Mächte, Opfer, oberflächliche Frömmigkeit und gesellschaftliche Ethik. Eine spirituelle Philosophie oder Vorstellung vom Sinn des Lebens scheint anfangs noch zu fehlen. Ihre Anfänge sind aber mitunter in den Mythen und Mysterien enthalten und treten in ein oder zwei Fällen deutlich aus ihnen hervor, um ein selbständiges Dasein zu gewinnen.

Möglicherweise war der Mystiker oder Initiator des Okkultismus überall der Schöpfer der Religion und hat seine geheimen Entdeckungen der Masse des menschlichen Mentals in der Form von Glaubenslehren, Mythos und religiöser Praxis aufgeprägt. Immer ist es der Einzelne, der die Intuitionen der Natur empfängt und den Schritt nach vorn unternimmt; dabei zieht oder schleppt er dann den Rest der Menschheit hinter sich her. Selbst wenn wir das Verdienst an dieser neuen Schöpfung dem unterbewußten Massen-Mental zuschreiben, wurde doch stets das okkulte oder mystische Element in jedem einzelnen Mental hervorgebracht. Es muß individuelle Menschen gefunden haben, durch die es hervortreten konnte. Denn die Methode der Natur wirkt anfangs nicht durch die Erfahrung, die Entdeckung und deren Ausdruck durch die Masse. Das Feuer wird an einem einzelnen oder an mehreren Funken entzündet und verbreitet sich von Herd zu Herd, von Altar zu Altar. Die spirituelle Bemühung und Erfahrung der Mystiker wurde aber gewöhnlich in geheimen Formeln fest unter Verschluß gehalten und nur an einige wenige Eingeweihte weitergegeben. Den übrigen wurde sie übermittelt, besser: aufbewahrt in einer Masse von überlieferten religiösen Symbolen. Diese Symbole bildeten das innerste Herz der Religion im Mental der frühen Menschheit.

Aus dieser zweiten Stufe trat eine dritte hervor, auf der man versuchte, die verborgene spirituelle Erfahrung und Erkenntnis freizusetzen und allen als eine Wahrheit zur Verfügung zu stellen, die sie ansprechen sollte und allgemein zugänglich gemacht werden konnte. Die Tendenz setzte sich durch, das spirituelle Element nicht nur zum eigentlichen Herzstück der Religion, sondern es auch allen Gläubigen durch eine exoterische Lehre zugänglich zu machen. Wie jede exoterische Schule ihr eigenes System von Erkenntnis und Erziehung besaß, so sollte jetzt auch jede Religion ihr Erkenntnissystem, ihre Glaubenslehre und ihre spirituelle Disziplin bekommen. In diesen beiden Formen der spirituellen Entwicklung, der esoterischen und der exoterischen, im Weg des Mystikers und im Weg des religiösen Menschen, erkennen wir das doppelte Prinzip der evolutionären Natur, das Prinzip einer intensiven und konzentrierten Evolution im kleinen Raum und das Prinzip von Ausdehnung und Ausweitung, damit die neue Schöpfung in einem möglichst umfassenden Bereich verallgemeinert werde. Die erste Bewegung ist konzentriert dynamisch und wirkungsstark. Die zweite strebt nach Ausbreitung und wird statisch. Als Folge dieser neuen Entwicklung wurde das zuerst sorgfältig von einigen wenigen als kostbarer Schatz gehütete spirituelle Streben der Menschheit immer mehr verallgemeinert. Es verlor aber dadurch an Reinheit, Höhe und Intensität. Die Mystiker gründeten ihr Bemühen auf das Talent zu überrationaler Erkenntnis, die intuitiv, inspiriert und offenbarend ist, und auf die Kraft des inneren Wesens, in die okkulte Wahrheit und Erfahrung einzudringen: Ober diese Kräfte verfügt aber nicht die Masse der Menschen, oder nur in primitiver, unentfalteter, fragmentarisch anfänglicher Form, auf die man nichts mit Sicherheit aufbauen konnte. Darum mußte für sie in dieser neuen Entwicklung die spirituelle Wahrheit in die intellektuellen Formen von Dogma und Glaubenslehre, in gefühlsbetonte Gottesdienste und in ein einfaches, aber bedeutungsvolles Ritual gekleidet werden. Damit wurde zugleich der kraftvolle spirituelle innere Gehalt vermischt, verdünnt und mit Fremdem verschmolzen, immer mehr von den niederen Elementen des Mentals, des Lebens und der physischen Natur durchdrungen und nachgeäfft. Gerade diese Vermischung, Verschmelzung und Durchdringung mit Verfälschendem, diese Profanierung der Mysterien und den Verlust ihrer Wahrheit und Bedeutung, wie auch den Mißbrauch der okkulten Macht, der durch den Umgang mit den unsichtbaren Mächten eintritt, fürchteten die frühen Mystiker besonders. Sie versuchten, dies durch Geheimhaltung, strenge Disziplin und Beschränkung auf wenige Eingeweihte zu verhindern. Ein anderes unerfreuliches Ergebnis, die gefährliche diffuse Ausbreitung und das daraus erfolgende Eindringen von Fremdem führte dazu, daß die spirituelle Erkenntnis in ein Dogma formalisiert und die lebendige Praxis in der toten Masse von Kultus, Zeremoniell und Ritual materialisiert wurde, was im Laufe der Zeit den Geist zwang, aus dem Körper der Religion auszuziehen. Man mußte aber dieses Risiko auf sich nehmen, da die äußere Ausdehnung eine innere Notwendigkeit des spirituellen Drängens der evolutionären Natur war.

So entstanden die Religionen, die sich meistens für gewisse spirituelle Ziele auf Glaubenslehre und Ritual stützen. Wegen ihrer Erfahrungswahrheit behalten sie aber doch die grundlegende innere Wirklichkeit, die sie ursprünglich beseelte und so lange fortdauern wird, wie es Menschen gibt, die sie weitertragen und erneuern, als Mittel bei, mit denen die vom spirituellen Impuls Ergriffenen das Göttliche Wesen realisieren und den Geist freisetzen können. Diese Entwicklung hat später zu einer Teilung in zwei Richtungen geführt, die katholische und die protestantische. Erstere hat die Tendenz, den ursprünglichen gestaltungsfähigen Charakter der Religion, ihre Vielseitigkeit und Anziehungskraft zu bewahren, mit der sie sich an die ganze Natur des menschlichen Wesens wendet. Letztere hat diese umfassende Weite verworfen. Sie dringt darauf, sich allein auf den reinen Glauben, Gottesdienst und Lebensführung zu verlassen, die so vereinfacht werden, daß sie rascher und leichter den allgemeinen Menschenverstand, das Herz und den sittlichen Willen ansprechen. Diese Wendung führte dazu, übertrieben zu rationalisieren, die meisten der okkulten Elemente, die eine Kommunikation mit dem herstellen, was unsichtbar ist, zu entwerten und zu verurteilen. Man verläßt sich auf das vordergründige Mental als ausreichenden Förderer des spirituellen Bemühens. Häufige Folge dessen ist eine gewisse Trockenheit, Verengung und Verarmung des spirituellen Lebens. Hat aber der Intellekt so viel bestritten und ausgemerzt, findet er auch Raum und Gelegenheit genug, noch mehr zu verneinen, bis er alles bestreitet, die spirituelle Erfahrung leugnet und Spiritualität zusammen mit der Religion verwirft. Da bleibt dann nur der Intellekt als die einzig überlebende Macht. Ist aber der Intellekt des Geistes entleert, kann er nur äußere Erkenntnis, Mechanisierung und Tüchtigkeit anhäufen. Schließlich trocknen dabei auch die verborgenen Quellen der Vitalität aus, und es tritt eine Dekadenz ein, die keine innere Kraft mehr hat, das Leben zu retten oder neues Leben zu erschaffen. Dann gibt es keinen anderen Ausweg mehr als Tod und Zerfall und einen neuen Anfang, der aus der alten Unwissenheit herausführt.

Das evolutionäre Prinzip hätte bei seinem fortschrittlichen Drängen sehr wohl die ursprüngliche Ganzheit seiner Bewegung bewahren können, wenn es die weise antike Harmonie nicht zerstört, sondern zu einer größeren Synthese des Prinzips der Konzentration mit dem Prinzip der Verbreitung ausgeweitet hätte. In Indien hat es, wie wir gesehen haben, eine Fortdauer der ursprünglichen Intuition und eine umfassende Bewegung der evolutionären Natur gegeben. Denn hier hat sich die Religion nicht auf ein einziges Glaubensbekenntnis oder Dogma beschränkt. Hier hat sie nicht nur eine große Verschiedenheit von Ausdrucksformen zugelassen, sondern auch erfolgreich alle Elemente aufbewahrt, die im Laufe der Religionsgeschichte gewachsen sind. Sie vermied es, irgendeines zu bannen oder auszumerzen. Sie hat den Okkultismus bis zu seinen äußersten Grenzen entfaltet. Spirituelle Philosophie aller Art hat sie akzeptiert. Jede mögliche Linie spiritueller Erkenntnis, Erfahrung und Selbst-Disziplin hat sie bis zum höchsten, tiefsten und umfassendsten Ergebnis verfolgt. Ihre Methode war die der evolutionären Natur selbst, alle Entwicklungen, alle Mittel der Kommunikation und Einwirkung des Geistes auf die Träger, alle Arten der Kommunion zwischen dem Menschen und dem Höchsten oder Göttlichen Wesen zuzulassen. Sie hat jeden möglichen Weg beschritten, zum Ziel zu gelangen, und diesen bis zum letzten geprüft. Im Menschen befinden sich alle Stufen spiritueller Entwicklung. Jede muß anerkannt und mit Mitteln versorgt werden, um sich einen Zugang zum Geist zu verschaffen, der ihrer Möglichkeit, adhikara, entspricht.

Selbst die primitiven, noch überlebenden Formen wurden nicht gebannt, sondern zu einer tieferen Bedeutung emporgehoben, solange in ihnen noch ein Drang zu den höchsten spirituellen Zinnen im reinen erhabenen Äther lebendig war. Sogar der ausschließlich dogmatische Typus der Religion wurde nicht an sich ausgeschlossen. Er wurde in der unendlichen Verschiedenartigkeit der allgemeinen Ordnung zugelassen, sofern nur irgendeine Verwandtschaft mit dem generellen Ziel und Prinzip ersichtlich war. Diese vielfältige Gestaltungskraft suchte aber ihre Stütze in einem festgelegten religiös-gesellschaftlichen System, das dem Prinzip huldigte, die menschliche Natur arbeite sich in Stufen empor, bis sie auf ihrer Höhe einem hohen spirituellen Bemühen zugewandt sei. Diese gesellschaftliche feste Ordnung, die vielleicht zu einer gewissen Zeit für die Reinheit des Lebens notwendig war, jedoch nicht ebenso in ihrer festgelegten und abgesicherten Form eine Grundlage für die spirituelle Freiheit, war einerseits eine erhaltende Kraft, andererseits aber auch ein Hindernis für den ursprünglichen Geist allumfassender Weite. Sie wurde zum Element übermäßiger Verhärtung und Beschränkung. Eine festgelegte Grundordnung mag unerläßlich sein. Wenn sie aber im Wesentlichen festgelegt ist, muß sie in ihren Formen gestaltungsfähig und zur evolutionären Umwandlung geeignet sein. Sie muß zwar eine Ordnung, aber eine solche sein, die weiterwächst.

Trotzdem war das Prinzip dieser großen, vielseitigen religiösen und spirituellen Entwicklung gesund. Indem sie das Ganze des Lebens und der menschlichen Natur in sich aufnahm, das Wachsen des Intellekts ermutigte, dessen Freiheit nie Widerstand leistete oder Fesseln anlegte, ihn vielmehr beim spirituellen Suchen zur Hilfe aufrief, verhinderte sie den Konflikt und seine unberechtigte Vorherrschaft, die im Westen dazu führte, daß das religiöse Grundgefühl unterdrückt wurde, austrocknete und in bloßen Materialismus und Säkularismus absank. Eine Methode von solcher Formbarkeit und universalen Art, die alle Glaubensbekenntnisse und Formen der Religion zuließ und doch über sie hinausging und jede Art von religiösem Element gestattete, kann zu zahlreichen Konsequenzen führen, gegen die der Vertreter einer reinen Lehre seine Einwände erheben mag. Das großartige Ergebnis, das sie rechtfertigt, ist ein beispielloser Reichtum und eine mehr als tausendjährige Fortdauer, eine unerschütterliche Beharrlichkeit, Allgemeinheit, Universalität, Höhe, Feinheit und vielseitige Weite spirituellen Erfolgs, Suchens und Bemühens. Tatsächlich kann sich das umfassendere Ziel der Evolution nur durch eine solche Toleranz und Anpassungsfähigkeit in aller Fülle ausarbeiten. Der Einzelne erwartet von der Religion, daß sie ihm ein Zugangstor zur spirituellen Erfahrung öffne oder ein Mittel biete, sich ihr zuwenden zu können. Er will Kommunion mit Gott, ein endgültiges Licht der Führung auf seinem Lebensweg, eine Verheißung für das Jenseits oder eine Garantie für eine glücklichere Zukunft im Überirdischen. Diese Bedürfnisse können auf der engeren Grundlage dogmatischer Religiosität und konfessionellen Kultus befriedigt werden. Doch auch hier ist es die umfassendere Absicht der Natur, die spirituelle Entwicklung im Menschen vorzubereiten und ihn in ein geistiges Wesen zu verwandeln. Religion dient ihr als Mittel dazu, sein Bemühen und sein Ideal in diese Richtung zu lenken und jedem einzelnen, der dazu bereit ist, einen Schritt auf dem Wege zu diesem Ziel zu ermöglichen. Dieser Absicht dient sie durch die bunte Verschiedenartigkeit der Kulte, die sie geschaffen hat, von denen manche endgültig, standardisiert und festgelegt, andere eher formbar, unterschiedlich und vielseitig sind. Eine Religion, die selbst eine Verschmelzung von Religionen ist und zugleich jeden Menschen mit seiner eigenen Richtung innerer Erfahrung versorgt, würde wohl am meisten zu diesem Zweck der Natur passen. Sie wäre eine reiche Pflanzstätte für spirituelles Wachsen und Aufblühen, eine außerordentlich vielförmige Schule für die Disziplin und das Bemühen der Seele und für die Selbst-Verwirklichung. Welche Irrtümer auch die Religion begangen haben mag, dies ist ihre Funktion und ihr großer, unentbehrlicher Nutzen und Dienst, das zunehmende Licht der Führung auf unserem Weg hochzuhalten, der durch die Unwissenheit des Mentals zum vollständigen Bewußtsein des Geistes und zur Erkenntnis des Selbsts führt.

Seinem Wesen nach ist der Okkultismus des Menschen Bemühen, zu einem Wissen von den geheimen Wahrheiten und Macht-Möglichkeiten der Natur zu gelangen. Das soll ihn herausheben aus der Versklavung durch die physischen Begrenzungen seines Wesens. Im besonderen ist er ein Versuch, die geheimnisvolle, okkulte, nach außen hin noch unentwickelte unmittelbare Macht des Mentals über das Leben und von Mental und Leben über die Materie zu besitzen und auszuüben. Zugleich bemüht er sich, Kommunikation mit Welten und Wesenheiten herzustellen, die zu den supraphysischen Höhen, Tiefen und Zwischenbereichen des kosmischen Wesens gehören. Er will diese Kommunion dazu benützen, eine höhere Wahrheit zu beherrschen. Sie soll den Menschen in seinem Willen unterstützen, sich zum Souverän über Fähigkeiten und Kräfte der Natur zu machen. Dieses menschliche Streben geht von der Überzeugung, Intuition oder Ahnung aus, daß wir nicht nur Geschöpfe aus Ton sind, sondern Seele, Mental und Wille, die die Mysterien dieser und jeder anderen Welt erkennen können, und nicht nur Schüler der Natur sondern ihre Eingeweihten und Meister. Der Okkultist suchte auch, das Geheimnis der physischen Dinge zu erforschen. Bei diesem Bemühen förderte er die Astronomie, schuf er die Chemie und gab den anderen Wissenschaften Anregungen, da er auch die Geometrie und die Wissenschaft der Zahlen verwendete. Weit mehr richtete er aber sein Forschen auf die Erkenntnis der Geheimnisse der Übernatur. In diesem Sinne könnte man den Okkultismus als die Wissenschaft vom Übernatürlichen beschreiben. In Wirklichkeit ist er aber nur die Entdeckung des Supraphysischen, das Überschreiten der materiellen Begrenzung. Der Kern des Okkultismus ist nicht die unmögliche Einbildung, die hofft, über alle Kraft der Natur hinauszugehen und die reine Phantasie und das willkürliche Wunder allmächtig und wirksam machen zu können. Was uns als übernatürlich erscheint, ist tatsächlich entweder ein spontanes Eindringen von Phänomenen einer anderen Natur in die physische, oder es ist im Wirken der Okkultisten ein Besitz von Wissen und Macht der höheren Ordnungen und Grade des Wesens und der Energie des Kosmos. Sie wollen deren Kräfte und Prozesse verwenden, um Wirkungen in der physischen Welt dadurch hervorzurufen, daß sie Möglichkeiten einer Zwischenverbindung und Mittel für eine materielle Wirkung verwenden. Es gibt Fähigkeiten von Mental und Lebenskraft, die von der Natur nicht in die jetzige systematische Ordnung von Mental und Leben in der Materie einbezogen sind. Sie sind aber potentiell vorhanden und können zu einer Einwirkung auf materielle Dinge oder Ereignisse herangezogen oder sogar in die gegenwärtige Systematisierung hineingebracht und ihr hinzugefügt werden, um die Kontrolle des Mentals über unser eigenes Leben und unseren Körper auszuweiten oder um auf Mental, Leben und Körper anderer Menschen und auf die Bewegungen der kosmischen Kräfte einzuwirken. Der in neuerer Zeit anerkannte Hypnotismus ist ein Beispiel für solch eine Entdeckung und eine wenn auch noch begrenzte, durch seine Methode und Formel eingeschränkte, systematische Anwendung okkulter Fähigkeiten, die uns sonst nur durch zufällige oder verborgene Einwirkung berühren und deren Vorgänge uns unbekannt sind oder nur von einigen wenigen begriffen werden. Sind wir doch allezeit einem Beschuß von Suggestionen, anregenden Einwirkungen auf unser Denken, unsere Antriebskräfte, unseren Willen, unser Gefühl und Empfinden ausgesetzt, von Gedanken- und Lebens-Wellen, die von anderen Menschen oder aus der universalen Energie in uns eindringen, aber auf uns einwirken und Wirkungen hervorbringen, ohne daß wir es wissen. Es gehört wohl zum Bereich des Okkultismus, daß wir uns systematisch darum bemühen, diese Bewegungen, ihr Gesetz und ihre Möglichkeiten zu erforschen und das Vermögen der Naturkraft, die hinter ihnen steht, zu beherrschen und zu verwenden oder uns vor ihnen zu schützen. Von diesem Bereich wäre das aber nur ein kleiner Teil. Denn umfassend und vielfältig sind die möglichen Gebiete, Verwendungsarten und Entwicklungsprozesse dieses unermeßlichen Bereiches eines noch wenig erforschten Wissens.

Als in der neueren Zeit die Physik ihre Entdeckungen ausweitete und die verborgenen materiellen Kräfte der Natur in eine vom menschlichen Wissen zu menschlicher Verwendung gelenkte Aktivität freisetzte, zog sich der Okkultismus zurück und wurde schließlich mit der Begründung beiseite geschoben, das Physische allein sei wirklich, Mental und Leben seien nur Teilfunktionen der Materie. Auf dieser Grundlage und überzeugt, die materielle Energie sei der Schlüssel zum Verständnis aller Dinge, hat die Naturwissenschaft versucht, zu einer Beherrschung der mentalen und vitalen Prozesse durch die Kenntnis der materiellen Instrumentation zu gelangen und so die Vorgänge in unseren normalen und abnormen Funktionen und Wirkweisen von Mental und Leben zu verstehen. Das Spirituelle wird dabei ignoriert, da es nur eine Form von Mentalität sei. Nebenbei ist zu bemerken, daß dieses Bemühen, wenn es Erfolg haben sollte, nicht ohne Gefahr für die Menschheit bliebe, wie jetzt auch gewisse andere wissenschaftliche Entdeckungen mißbraucht oder stümperhaft verwendet werden von einer Menschheit, die mental oder moralisch unvorbereitet ist, mit so gewaltigen und gefährlichen Kräften umzugehen; denn es wäre eine künstliche Führung, die ohne jedes Wissen um die geheimen Kräfte eingesetzt wird, die unserem Dasein zugrunde liegen und es erhalten. Im Westen konnte der Okkultismus deshalb so leicht beiseitegeschoben werden, weil er hier nie mündig geworden, nie Reife erlangt, keine philosophische oder andere gesunde systematische Begründung gefunden hat. Er hatte sich hier zu unbedenklich in romantische Spekulationen in Bezug auf das Übernatürliche eingelassen, den Fehler begangen, seine Hauptanstrengung auf die Entdeckung von Formeln und wirksamen Methoden zur Verwendung übernormaler Mächte zu konzentrieren. Er glitt in weiße und schwarze Magie ab oder entartete in Romantik und Wundertätigkeit eines okkulten Mystizismus und in der Übertreibung dessen, was nach allem schließlich nur ein begrenztes dürftiges Wissen war. Diese Tendenzen und diese Ungesichertheit seiner mentalen Grundlage machte es dem Okkultismus schwer, sich zu verteidigen. So war es leicht, ihn zu diskreditieren und zu einem verwundbaren Ziel zu machen. In Ägypten und im Osten fand diese Richtung der Erkenntnis mehr und umfassenderes Bemühen. Im erstaunlichen System des Tantra ist diese größere Ausgereiftheit noch intakt. Das war nicht nur eine vielseitige Wissenschaft vom Übernormalen, sondern lieferte auch die Grundlage für alle okkulten Elemente der Religion und entfaltete sogar ein großes und mächtiges System spiritueller Disziplin und Selbst-Verwirklichung. Der höchste Okkultismus ist jener, der die geheimen Regungen und kraftgeladenen übernormalen Möglichkeiten von Mental, Leben und Geist entdeckt und sie in ihrer ursprünglichen Kraft oder durch ein entsprechendes Verfahren zu größerer Wirkungskraft unseres mentalen, vitalen und spirituellen Wesens verwendet.

In der populären Vorstellung wird Okkultismus mit Magie und magischen Formeln sowie einem vermuteten Mechanismus des Übernatürlichen in Verbindung gebracht. Das ist aber nur die eine Seite. Er ist auch kein Aberglaube, wie das törichterweise von denen angenommen wird, die nicht tief genug oder überhaupt nicht in diese verhüllte Seite der geheimen Natur-Kraft geblickt oder mit ihren Möglichkeiten experimentiert haben. In der okkulten Verwendung der mentalen oder vitalen Macht können Formeln und ihre Anwendung sowie ein mechanischer Gebrauch der latenten Kraft eine erstaunliche Wirkung hervorrufen, wie das auch in der Physik der Fall ist. Das ist aber nur eine untergeordnete Methode und begrenzte Verwendung dieser Kräfte. Denn die mentalen und vitalen Kräfte sind gestaltungsfähig, subtil und in ihrem Wirken veränderlich. Sie besitzen nicht die Starrheit der Materie. Wenn man sie erkennen will, erfordern sie eine feine und formbare Intuition. Dasselbe gilt, wenn man ihr Wirken, ihr Verfahren interpretieren und anwenden will, selbst bei der Interpretation und Verwendung ihrer feststehenden Formeln. Legt man zu großes Gewicht auf die mechanische Verwendung und starre Formulierung, ergibt sich daraus wahrscheinlich etwas Unfruchtbares, eine formale Einschränkung der Erkenntnis, und auf der pragmatischen Seite viel Irrtum, starre konventionelle Unwissenheit, Mißbrauch und Versagen. Jetzt, da wir dem Aberglauben an die alleinige Wahrheit der Materie entwachsen sind, schwingt das Pendel rückwärts zum alten Okkultismus mit neuen Formulierungen, aber auch zu einer wissenschaftlichen Erforschung der noch verborgenen Geheimnisse und Mächte des Mentals. Dazu wird jetzt auch ein eingehenderes Studium der seelischen, abnormen oder übernormalen psychischen Phänomene möglich und teilweise schon erkennbar. Wenn das aber zu seiner Erfüllung kommen soll, müssen wir die wahre Grundlage, das wirkliche Ziel und die wahre Richtung, die notwendigen Einschränkungen und Vorsichtsmaßnahmen dieses Forschungsgebietes wiederentdecken. Wichtigstes Ziel muß dabei sein, daß wir die verborgenen Wahrheiten und Mächte der Mental-Kraft und der Lebens-Macht sowie die höheren Kräfte des verborgenen Geistes neu auffinden. Im wesentlichen ist okkulte Wissenschaft die Wissenschaft vom Subliminalen, vom Subliminalen in uns selbst und in der Welt-Natur, von allem, was in Verbindung mit dem Subliminalen steht, einschließlich des Unterbewußten und Überbewußten. Das alles sollen wir als Teil unserer Selbst- und Welt-Erkenntnis verwenden, um die Kräfte richtig einzusetzen.

Der intellektuelle Zugang zum höchsten Wissen und dessen Besitz im Mental ist eine unentbehrliche Hilfe für die Bewegung der Natur im menschlichen Wesen. In unserer vordergründigen Schicht ist gewöhnlich Hauptinstrument des Menschen für Denken und Handeln die Vernunft, der beobachtende, verstehende und ordnende Intellekt. Wenn der Geist vorwärtskommen oder sich entwickeln soll, müssen nicht nur die Intuition, die Innenschau, das innere Empfinden, des Herzens Hingabe, eine tiefe und unmittelbare Lebenserfahrung in den Dingen des Geistes entwickelt werden, muß auch der Intellekt erleuchtet und befriedigt werden. Wir müssen unserem denkenden und reflektierenden Mental helfen, das Ziel zu verstehen, eine vernünftig begründete und systematische Vorstellung zu bilden von ihm, von der Methode und den Prinzipien dieser höchsten Entfaltung und Wirklichkeit unserer Natur und der Wahrheit all dessen, was dahinterliegt. Gewiß sind die geeigneten Mittel für diese Entwicklung spirituelle Erkenntnis und Erfahrung, intuitive und unmittelbare Erkenntnis, das Wachsen des inneren Bewußtseins, der Seele und der inneren Seelen-Wahrnehmung, des Schauens und Empfindens der Seele. Unterstützung durch die reflektierende und kritische Vernunft ist aber ebenso wichtig. Wenn viele auf sie verzichten können, so deswegen, weil sie einen lebhaften und unmittelbaren Kontakt mit den inneren Wirklichkeiten haben und sich mit Erfahrung und Einsicht begnügen. Für die ganze Bewegung ist aber die Vernunft unentbehrlich. Wenn die höchste Wahrheit eine spirituelle Wirklichkeit ist, muß der Intellekt des Menschen wissen, was die Natur dieser ursprünglichen Wahrheit und das Prinzip ihrer Beziehungen zum übrigen Dasein, zu uns selbst und zum Universum ist. Zwar ist der Intellekt nicht von sich aus fähig, uns in Berührung mit der konkreten spirituellen Wirklichkeit zu bringen. Er kann aber helfen durch mentales Ausdrücken der Wahrheit des Geistes das sie dem Mental verdeutlicht, und kann sogar unmittelbar beim Suchen verwendet werden: Diese Hiife ist von hervorragender Bedeutung.

Unser denkendes Mental befaßt sich in erster Linie mit der Feststellung einer allgemeinen spirituellen Wahrheit, mit der Logik ihrer Absolutheit und der Logik ihrer Relativitäten, wie sie sich zueinander verhalten, wie sie zueinander hinführen und was die mentalen Konsequenzen der spirituellen Lehre vom Sein sind. Der Intellekt versucht aber, neben diesem Verstehen und der intellektuellen Feststellung, was sein wichtigstes Recht und sein Beitrag ist, auch kritisch Kontrolle auszuüben. Er mag ekstatische und andere konkrete spirituelle Erfahrungen zugeben. Sein Verlangen richtet sich aber darauf, zu wissen, auf welche gesicherten und geordneten Wahrheiten des Seienden sie gegründet sind. Sicherlich könnte unsere Vernunft, ohne daß solch eine Wahrheit bekannt und beweisbar ist, diese Erfahrungen für ungesichert und irrational halten, sich deshalb aus ihnen zurückziehen, weil sie möglicherweise nicht auf Wahrheit gegründet sind. Oder sie mag ihrer Form, wenn auch nicht ihrer Grundlage, mißtrauen, sie seien mit Irrtum behaftet, gar eine Verirrung der Phantasie des vitalen Mentals, der Gefühle, der Nerven oder der Sinne. Denn diese könnten bei ihrem Übergang oder bei der Übertragung aus dem Physischen und sinnlich Wahrnehmbaren in das Unsichtbare irregeleitet sein, Irrlichtern nachgehen, zumindest Dinge falsch auffassen, die an sich gültig, aber entstellt seien durch unrichtige oder unvollkommene Deutung dessen, was erfahren wurde, oder durch Verwirrung und Unordnung der wahren spirituellen Werte. Sieht sich die Vernunft gezwungen, das Kräftespiel des Okkultismus zuzugeben, wird sie sich auch hier zumeist mit der Wahrheit, dem richtigen System und der wirklichen Bedeutung der Kräfte befassen, deren Spiel sie hier am Werk sieht. Sie muß erforschen, ob sie die Bedeutung haben, die der Okkultismus ihnen beilegt, oder eine andere, vielleicht etwas Tieferes, das in seinen wesentlichen Beziehungen und Werten falsch interpretiert ist und nicht den richtigen Stellenwert im Ganzen der Erfahrung erhalten hat. Denn das Wirken unseres Intellekts ist in erster Linie die Funktion des Verstehens, sodann aber auch eine kritische und schließlich die, zu ordnen, zu prüfen und zu gestalten.

Das Mittel, durch das dies Bedürfnis befriedigt werden kann und mit dem uns unsere mentale Natur versehen hat, ist die Philosophie. Auf diesem Gebiet muß es eine spirituelle Philosophie sein. Zahlreiche solcher Systeme sind im Osten entstanden. Denn fast bei jeder beachtenswerten spirituellen Entwicklung entstand aus ihr eine Philosophie, die sie dem Intellekt gegenüber rechtfertigte. Ihre Methode war zuerst intuitives Schauen und dessen intuitiver Ausdruck, wie in dem unergründlichen Denken und der tiefen Sprache der Upanishaden. Später wurde eine kritische Methode, ein festes dialektisches System und eine logische Organisation entwickelt. Die späteren Philosophien waren intellektuelle Darstellung (z. B. die Gita) oder logische Rechtfertigung dessen, was durch innere Erkenntnis gefunden worden war. Oder sie sorgten selbst für eine mentale Grundlage oder Systematik ihrer Erkenntnis und Erfahrung (z. B. die Yoga-Philosophie des Patanjali). Im Westen wurde die Tendenz des Bewußtseins zur Synthese durch diejenige zu Analyse und Sonderung ersetzt. Spirituelles Streben und intellektuelle Vernunft trennten sich hier fast von Anfang an voneinander. Die Philosophie richtete sich seit Anbeginn auf eine rein intellektuelle und vernunftgemäße Erklärung der Dinge aus. Indessen gab es auch Systeme wie die der Pythagoräer, Stoiker und Epikuräer, die nicht nur auf das Denken, sondern auch auf die Lebensführung gerichtet waren und eine Erziehung, ein Ringen um die innere Vervollkommnung des Wesens entwickelten. Das erreichte in den späteren christlichen oder neu-heidnischen Gedankengebäuden, in denen sich Ost und West trafen, eine höhere spirituelle Erkenntnis-Ebene. Dann wurde jedoch die Intellektualisierung vollständig. Die Verbindung der Philosophie mit dem Leben und seinen Energien oder mit dem Geist und seiner Dynamik wurde entweder zerschnitten oder auf das wenige beschränkt, was die metaphysische Idee dem Leben und Handeln durch abstrakten und sekundären Einfluß aufprägen kann. Die Religion stützte sich im Westen nicht auf die Philosophie, sondern auf eine bekenntnisgebundene Theologie. Manchmal tauchte dank der Kraft eines individuellen Genies eine spirituelle Philosophie auf. Sie war aber nicht, wie im Osten, notwendiges Zubehör jeder bedeutungsvollen Richtung spiritueller Erfahrung und Bemühung. Zwar trifft zu, eine philosophische Darstellung spirituellen Denkens ist nicht völlig unentbehrlich. Denn man kann zu den Wahrheiten des Geistes unmittelbarer und vollständiger durch Intuition und konkrete innere Berührung gelangen. Man muß auch betonen, daß die vom Intellekt ausgeübte kritische Kontrolle der spirituellen Erfahrung hinderlich und unzuverlässig sein kann, denn hier wird schwächeres Licht auf das Feld höherer Erleuchtung geworfen. Die wahre Kontrollmacht ist eine innere Unterscheidung, das Empfinden und Feingefühl des Psychischen, das übergeordnete Eingreifen einer Führung von oben oder eine erleuchtete Lenkung aus dem Innern. Trotzdem ist aber auch diese Entwicklungslinie notwendig. Denn es muß eine Brücke zwischen dem Geist und der intellektuellen Vernunft geben. Das Licht spiritueller, zumindest spiritualisierter Intelligenz ist für die ganze Fülle unserer inneren Entwicklung notwendig. Ohne es könnte bei Abwesenheit einer anderen tieferen Führung die innere Bewegung exzentrisch und undiszipliniert werden, verworren und mit unspirituellen Elementen vermischt, einseitig und intolerant. Für die Transformation der Unwissenheit in das integrale Wissen ist die spiritualisierte Intelligenz als vermittelnde Kraft notwendig und wichtig. Sie muß in uns wachsen und bereit sein, ein höheres Licht zu empfangen und allen Seiten unserer Natur zuzuleiten.

Aber keiner dieser drei Zugangswege kann für sich allein die höhere und endgültige Absicht der Natur erfüllen. Sie können im mentalen Menschen nicht das spirituelle Wesen erschaffen, solange sie nicht das Tor der spirituellen Erfahrung auftun. Das Geist-Wesen kann nur hervortreten, wenn wir innerlich erkennen, wohin diese Zugangswege führen; wenn wir eine oder viele überwältigende Erfahrungen machen, die eine innere Umwandlung bewirken; wenn das Bewußtsein umgeformt wird; wenn der Geist von seiner gegenwärtigen Verhüllung durch Mental, Leben und Körper befreit wird. Das ist die endgültige Richtung, in der die Seele zu dem vorwärtsgeht, auf das die anderen Wege hinweisen.

Wenn sie bereit ist, die vorbereitenden Zugangswege völlig zu verlassen, hat die wirkliche Arbeit begonnen; dann ist der Wendepunkt der Umwandlung nicht mehr fern. Bis dahin ist das mentale Wesen des Menschen nur so weit gekommen, daß es mit der Vorstellung von Dingen jenseits von ihm vertraut wurde; daß es die Möglichkeit der Hinwendung zu einer anderen Welt einsieht; daß es das Ideal einer sittlichen Vervollkommnung bejaht. Vielleicht ist der Mensch auch mit höheren Mächten oder Wirklichkeiten in Berührung gekommen, die seinem Mental, Herz und Leben helfen. Ein gewisser Wandel mag eingetreten sein, wenn auch noch nicht die Umwandlung des mentalen in das spirituelle Wesen. Die Religion mit ihrem Denken und ihrer Ethik sowie der okkulte Mystizismus antiker Zeiten brachte den Priester und Magier hervor, den Menschen der Frömmigkeit, den gerechten Menschen, den Menschen der Weisheit, viele Höhepunkte mentalen Menschseins. Aber erst nachdem die spirituelle Erfahrung durch das Herz und das Mental einsetzte, sehen wir den Heiligen, den Propheten, den Rishi, den Yogi, den Seher, den spirituellen Weisen und Mystiker. Nur solche Religionen haben überdauert, in denen diese Arten spirituellen Menschseins auftraten. Sie haben den Erdball eingenommen und der Menschheit ihr ganzes spirituelles Streben und seine Kultur gegeben.

Wenn sich die Spiritualität im Bewußtsein selbständig macht und ihren besonderen Charakter annimmt, ist das zunächst nur ein kleines Samenkorn, eine wachsende Tendenz, ein außergewöhnliches Licht von Erfahrung inmitten der großen Masse normaler unerleuchteter Mentalität, Vitalität und Körperlichkeit des Menschen, die sein äußeres Ich bilden und das Interesse unserer natürlichen Neigungen beanspruchen. Es gibt versuchsweise Anfänge, eine langsame Entwicklung und ein zögerndes Hervortreten. Eine frühere, erste, vorläufige Form erschafft eine gewisse Art von Religiosität, die noch nicht die rein spirituelle Gemütsverfassung ist, vielmehr die Art eines Mentals oder Lebens hat, die in sich eine spirituelle Unterstützung oder einen geistigen Faktor suchen und finden. Auf dieser Stufe ist der Mensch hauptsächlich damit beschäftigt, alle Kontakte, die er mit dem, was jenseits von ihm ist, bekommen oder herstellen kann, seinen mentalen Ideen, moralischen Idealen, vitalen oder körperlichen Interessen helfen oder dienen zu lassen. Die wahre Wendung zur spirituellen Umwandlung ist noch nicht gekommen. Die ersten wahren Ansätze erscheinen als Spiritualisierung unserer natürlichen Handlungen, als sich verbreitender Einfluß oder als Lenkung. Es kommt zu vorbereitendem Einfließen oder Einströmen in einen gewissen Teil oder eine Tendenz unseres Mentals oder Lebens, zu einer spiritualisierten Wendung des Denkens mit erhebenden Erleuchtungen, zu einer vergeistigten Richtung des emotionalen oder ästhetischen Wesens, zu einer vom Geist bestimmten ethischen Gestaltung im Charakter; zu spiritualisiertem Drängen in mancher Lebensbetätigung oder anderen kraftvoll vitalen Bewegung der Natur. Vielleicht gewahren wir ein inneres Licht, eine Lenkung durch oder eine Gemeinschaft mit einer Führungs-Macht, die höher ist als unser Mental und unser Wille, der etwas in uns gehorcht. Aber es ist noch nicht alles in die Prägeform dieser Erfahrung umgegossen. Wenn aber diese Intuitionen und Erleuchtungen eindringlicher, wenn sie selber zu Kanälen für den Geist werden, wenn sie eine ausgeprägte innere Anordnung treffen und den Anspruch erheben, das ganze Leben zu beherrschen, wenn sie unsere Natur in ihren Besitz nehmen, dann beginnt die spirituelle Gestaltung unseres Wesens, dann tritt der Heilige, der Jünger, der spirituelle Weise hervor, der Seher, der Prophet, der Diener Gottes, der Streiter des Geistes. Sie alle nehmen Stellung in einem bestimmten Teil des natürlichen Wesens, der durch spirituelle Erleuchtung, Macht oder Ekstase emporgehoben wird. Der Weise und der Seher leben im spirituellen Mental; ihr Denken oder ihr Schauen werden durch ein inneres oder höheres göttliches Licht der Erkenntnis gelenkt und geformt. Der Jünger lebt im spirituellen Streben des Herzens, in seinem Selbst-Opfer und seinem Suchen. Der Heilige wird bewegt durch das erwachende psychische Wesen im inneren Herzen, das so machtvoll gewachsen ist, um das Gemüt und das vitale Wesen zu regieren. Die anderen stehen in der vitalen beweglichen Natur. Sie werden von einer höheren spirituellen Energie getrieben und durch sie hingelenkt zu schöpferischem Handeln, einer von Gott gegebenen Arbeit oder Mission, zum Dienst an einer göttlichen Macht, Idee oder einem Ideal. Das letzte und höchste Hervortreten des Geistes ist der befreite Mensch. Er hat das Selbst und den Geist in seinem Innern realisiert, ist in das kosmische Bewußtsein eingetreten, zur Einung mit dem Ewigen gelangt. Soweit er noch Leben und Handeln annimmt, wirkt er durch das Licht und die Energie der Macht in seinem Innern, die sich der Instrumente seiner menschlichen Natur bedient. Umfassendster Ausdruck dieser spirituellen Umwandlung und Vollendung ist die völlige Befreiung von Seele, Mental, Herz und Handeln. Sie alle werden so umgeprägt, daß sie das kosmische Selbst und die Göttliche Wirklichkeit empfinden.24 So hat die spirituelle Entwicklung des Einzelnen ihren Weg gefunden. Ihr Bereich dehnt sich empor bis zu den erhabenen Himalaya-Höhen und den Gipfeln höchster Natur. Jenseits von dieser Höhe und Weite eröffnet sich nur noch der Aufstieg zum Supramental oder zur unaussprechlichen Transzendenz.

Das also war bis jetzt der Lauf, den die Natur bei der Entwicklung des spirituellen Menschen im mentalen Wesen genommen hat. Man mag fragen, was denn genau das Ergebnis dieser Leistung und ihre wirkliche Bedeutung sei. In der jüngsten Reaktion, da sich das Leben des Mentals wieder der Materie zuwandte, brandmarkte man diese große Wendung und einzigartige Umwandlung, sie seien keine wahre Evolution des Bewußtseins, eher eine verfeinerte Primitivform von Unwissenheit, abweichend von der wahren menschlichen Evolution, die einzig und allein eine Entwicklung der Lebens-Macht des praktischen physischen Mentals, der das Denken und Verhalten regierenden Vernunft und der entdeckenden und organisierenden Intelligenz sein sollte. In dieser Epoche wurde die Religion als veralteter Aberglaube beiseite geschoben. Die spirituelle Erkenntnis und Erfahrung wurden als düsterer Mystizismus diskreditiert. Nach dieser Anschauung ist der Mystiker ein Mensch, der abseitige Wege ins Unwirkliche, in okkulte Regionen eines selbst-konstruierten Landes der Hirngespinste geht und dort seinen Weg verliere. Dieses Urteil ergibt sich aus einer Betrachtung der Dinge, die selbst in Mißkredit geraten muß, da sie letztlich von der falschen Auffassung abhängt, allein das Materielle sei das Wirkliche, und nur das äußere Leben sei von Bedeutung. Aber abgesehen von dieser extremen materialistischen Betrachtung der Dinge können Intellekt und physisches Mental wohl behaupten – eifrig auf Erfüllung des menschlichen Lebens bedacht, tun sie das auch, und das ist die überwiegende Mentalität, die vorherrschende moderne Tendenz –, die spirituellen Bestrebungen hätten in der Menschheit doch nur wenig erreicht. Sie hätten weder das Problem des Lebens noch irgendein anderes Problem gelöst, mit dem die Menschheit zu ringen hat. Entweder kehre sich der Mystiker als der nur an der anderen Welt interessierte Asket oder als der entrückte Visionär vom Leben ab. Oder er bringe an Lösung oder Ergebnis auch nichts Besseres zuwege als der praktische Mensch oder der Mensch des Intellekts und der Vernunft. Durch sein Eingreifen verursache er eher Unordnung unter den menschlichen Werten und entstelle sie durch sein für das menschliche Verstehen dunkles, befremdendes und unbeweisbares Licht. Er verwirre die klaren praktischen und vitalen Aufgaben, die das Leben vor uns hinstelle.

Man darf jedoch von diesem Standpunkt aus weder die wahre Bedeutung der spirituellen Evolution im Menschen noch den Wert der Spiritualität beurteilen oder einschätzen. Besteht doch ihr wahres Werk nicht darin, daß sie die menschlichen Probleme auf der vergangenen oder gegenwärtigen mentalen Grundlage löst. Vielmehr hat sie eine neue Grundlegung unseres Wesens, unseres Lebens und unserer Erkenntnis vorzunehmen. Die asketische oder auf eine andere Welt gerichtete Tendenz des Mystikers ist eine extrem positive Bejahung, die dessen Weigerung zugrundeliegt, die Beschränkungen anzuerkennen, die uns von der materiellen Natur aufgezwungen werden: Denn sein eigentlicher Wesens-Grund liegt darin, daß er über sie hinauskommen will. Wenn er sie nicht transformieren kann, muß er sie verlassen. Zugleich hat sich aber der spirituelle Mensch nie ganz außerhalb des Lebens der Menschheit gestellt. Denn im Mittelpunkt des kraftvollen Aufblühens seines Geistes steht das Empfinden der Einheit mit allen Wesen, sein Drängen auf universale Liebe und Mitleid, sein Wille, die Kräfte für das Gute der Menschheit einzusetzen.25 Darum hat er sich dem Helfen gewidmet. Er war ein Führer der Menschen, wie es die Rishis des Altertums oder die Propheten waren. Oder er hat sich selbst entäußert, um schöpferisch tätig zu sein. Wo er das mit der Macht des Geistes getan hat, waren seine Erfolge außerordentlich. Doch ist die Lösung des Problems, die die Spiritualität anbietet, keine solche durch äußere Mittel, auch wenn diese verwendet werden müssen, sondern sie kommt durch innere Umwandlung, durch Transformation des Bewußtseins und der Natur.

Wenn das allgemeine Ergebnis der Spiritualität kein entscheidendes Resultat brachte, sondern nur einige Beiträge dazu, den Zuwachs von einigen neuen feineren Elementen zur Summe des Bewußtseins, aber noch keine Transformation des Lebens, so liegt das daran, daß der Mensch im allgemeinen den spirituellen Impuls immer zurückgewiesen hat, sich dem spirituellen Ideal widersetzte oder es nur als etwas Formelles auffaßte und daß er die innere Umwandlung ablehnte. Man kann der Spiritualität nicht zumuten, daß sie mit dem Leben auf eine nicht-spirituelle Art umgeht oder daß sie dessen Übel durch die Allerwelts-Heilmittel der politischen, sozialen oder anderen mechanischen Kuren zu überwinden sucht, die das Mental ständig unternimmt, die immer fehlgeschlagen sind und weiter darin versagen werden, irgendetwas zu lösen. Auch die drastischsten Veränderungen, die durch diese Mittel bewirkt wurden, haben nichts gewandelt. Denn die alten Übel existieren in neuer Form weiter. Nur der Aspekt der äußeren Umgebung hat sich verändert, der Mensch bleibt aber, was er bisher war. Noch immer ist er ein unwissendes mentales Wesen. Er mißbraucht seine Erkenntnis oder verwendet sie nicht wirksam genug. Er wird von seinem Ich getrieben, vom vitalen Verlangen, den Leidenschaften und Bedürfnissen seines Körpers beherrscht. In seinen Anschauungen ist er ungeistig und oberflächlich. Er kennt weder sein eigenes Selbst noch die Kräfte, die ihn antreiben und verwenden. Seine Lebensformen haben Wert nur als Ausdrucksweisen seines individuellen und kollektiven Wesens auf der Stufe, die sie bis jetzt erreicht haben, oder als Mechanismus für Bequemlichkeit und Wohlergehen seiner vitalen und körperlichen Seiten und als Feld und Mittel seines mentalen Wachstums. Sie können ihn aber nicht über sein gegenwärtiges Ich hinausheben oder ihm als Mechanismus seiner Transformation dienen. Seine und ihre Vervollkommnung kann nur durch seine weitere Evolution kommen. Nur eine spirituelle Umwandlung, eine Entwicklung seines Wesens aus dem oberflächlichen mentalen Bewußtsein zum tieferen spirituellen, kann einen wirklichen und wirksamen Unterschied herbeiführen. Haupt-Anliegen des spirituellen Menschen ist, das spirituelle Wesen in sich selbst zu entdecken. Anderen Menschen zur selben Evolution zu verhelfen, ist sein wirklicher Dienst an der Menschheit. Bis das geschehen ist, kann äußere Hilfe zwar Beistand und Erleichterung bringen. Aber nichts oder nur wenig mehr ist dadurch möglich.

Es ist wahr, daß das spirituelle Streben mehr auf das Jenseits als auf dieses Leben gerichtet war. Wahr ist auch, daß die spirituelle Umwandlung etwas Individuelles und nichts Kollektives gewesen ist.

Ihr Ergebnis war nur im einzelnen Menschen erfolgreich, jedoch nicht erfolgreich oder nur mittelbar wirksam in der Masse der Menschen. Die spirituelle Evolution der Natur ist noch im Gange und unvollständig, man könnte sagen, sie steht erst am Anfang, und ihr hauptsächliches Anliegen war bisher, eine Basis für das spirituelle Bewußtsein und die spirituelle Erkenntnis sicherzustellen und zu entwickeln, um so immer mehr eine Grundlage oder Form für die Schau dessen zu erschaffen, was in der Wahrheit des Geistes ewig ist. Erst wenn die Natur diese intensive Entwicklung und Gestaltung durch das Individuum vollständig abgesichert hat, kann man etwas Radikales von sich ausweitendem oder kraftvoll verströmendem Charakter erwarten, oder daß ein Versuch zu einem kollektiven spirituellen Leben unternommen wird. Man hat solche Versuche gemacht, meistens freilich, um ein Feld zum Schutz für das Wachsen der Spiritualität des Einzelnen zu gewinnen. Bis das erfolgreich und dauerhaft werden kann, muß sich der Einzelne mit seinem eigenen Problem beschäftigen, sein Mental und Leben völlig umwandeln, in Übereinstimmung mit der Wahrheit des Geistes, die er in seinem inneren Wesen und Wissen immer mehr erlangt oder schon erlangt hat. Jeder voreilige Versuch, in großem Maßstab ein kollektives spirituelles Leben zu schaffen, ist dem Mißerfolg ausgesetzt, auf seiner dynamischen Seite durch Unvollkommenheit der spirituellen Erkenntnis, durch die Unvollkommenheiten der einzelnen Suchenden und das Eindringen des gewöhnlichen Mentals und des vitalen und physischen Bewußtseins, das sich der Wahrheit bemächtigt, sie mechanisiert, verdunkelt oder verdirbt. Die mentale Intelligenz und ihre Haupt-Macht, die Vernunft, können das Prinzip und den beharrlichen Charakter des menschlichen Lebens nicht verändern. Sie können nur verschiedene Mechanisierungen, Manipulationen, äußere Entwicklungen und Formgebungen bewirken. Aber selbst wenn das Mental als Ganzes spiritualisiert würde, könnte es diese Wandlung nicht bewirken. Die Spiritualität befreit und erleuchtet das innere Wesen. Sie hilft dem Mental, mit dem in Verbindung zu treten, was höher ist als es selbst, und sogar sich selbst zu entkommen. Sie kann die äußere Natur von einzelnen menschlichen Wesen durch den inneren Einfluß läutern und emporheben. Solange sie aber in der Masse der Menschen durch das Mental als ihr Instrument wirken muß, kann sie zwar Einfluß auf das Erden-Leben ausüben, aber keine Transformation dieses Lebens zustandebringen. Aus diesem Grund kam es zu der überwiegenden Tendenz im spirituellen Mental, sich mit einem solchen Einfluß zufrieden zu geben und Erfüllung in einem Leben in einer anderen Welt zu suchen. Oder man gab überhaupt jedes nach außen gerichtete Bemühen auf und konzentrierte sich allein auf eine individuelle spirituelle Erlösung oder Vervollkommnung. Um eine von der Unwissenheit erschaffene Welt völlig umzuwandeln, ist eine höhere instrumentale Dynamik als die des Mentals notwendig.

Ein anderer Einwand wird nicht etwa gegen den Mystiker und seine Erkenntnis in dem Sinne erhoben, sie sei dem Leben gegenüber wirkungslos, vielmehr gegen seine Methode, die Wahrheit zu entdecken, und gegen die Wahrheit, die er entdeckt. Ein Einwand gegen die Methode lautet, sie sei etwas rein Subjektives, nicht wirklich unabhängig vom personalen Bewußtsein und seinen Konstruktionen, und auch nicht nachprüfbar. Diese kritiksüchtige Begründung hat aber keinen großen Wert. Denn das Ziel des Mystikers ist die Erkenntnis seines Selbsts und die Erkenntnis Gottes. Dazu kann er nur gelangen, wenn sein Blick nach innen und nicht nach außen gerichtet ist. Oder er sucht nach der höchsten Wahrheit der Dinge. Auch zu dieser kann er nicht durch Forschen nach außen mit den Sinnen oder durch irgendein anderes Untersuchen oder Erproben gelangen, das sich auf die äußeren und oberflächlichen Seiten bezieht, auch nicht durch Spekulation, die sich auf die ungewissen Daten mittelbarer Erkenntnismittel stützt. Die Erkenntnis der Wahrheit muß durch unmittelbare Schau oder Berührung des Bewußtseins mit der Seele und dem Leib der Wahrheit selbst geschehen oder durch Erkenntnis durch Identität, durch das Selbst, das eins wird mit dem Selbst der Dinge und mit ihrer Wahrheit an Macht und Wesenhaftem. Dagegen wird behauptet, das wirkliche Ergebnis dieser Methode sei nicht eine einzige Wahrheit, die allen gemeinsam sei, es gebe da große Verschiedenheiten. Der naheliegende Schluß sei, solches Wissen biete überhaupt keine Wahrheit, sondern nur eine subjektive mentale Gestaltung. Dieser Einwand gründet sich aber auf ein Mißverstehen der Art spiritueller Erkenntnis. Spirituelle Wahrheit ist eine Wahrheit des Geistes, nicht eine Wahrheit des Intellekts. Sie ist kein mathematischer Lehrsatz, ist keine logische Formel. Sie ist eine Wahrheit des Unendlichen, eine einzige Wahrheit in unendlicher Verschiedenheit. Sie kann die unendliche Verschiedenheit von Aspekten und Gestaltungen annehmen. Unvermeidlich muß es in der spirituellen Entwicklung einen vielseitigen Zugang und unterschiedliche Wege geben, die einzige Wahrheit zu erreichen; man kann sie von vielen Seiten her ergreifen. Diese Vielseitigkeit ist das Zeichen dafür, daß sich die Seele einer lebendigen Wirklichkeit naht, nicht einer Abstraktion oder einem konstruierten Abbild der Dinge, das in einer toten Formel versteinern kann. Die harte, logische und intellektuelle Auffassung der Wahrheit als der einzigen Idee, die alle Menschen annehmen müssen, eines Gedankens oder Systems von Gedanken, die alle anderen Gedanken oder Systeme unterdrücken, oder eine einzelne begrenzte Tatsache oder einzelne Formel von Fakten, die alle anerkennen müssen, ist eine illegitime Übertragung einer begrenzten Wahrheit des physischen Gebiets auf das viel komplexere und formenreichere Gebiet von Leben, Mental und Geist.

Solche Übertragung ist für viel Schaden verantwortlich. Sie bringt Enge und Beschränktheit in das Denken. Sie führt zur Unduldsamkeit gegenüber der notwendigen Unterschiedlichkeit und Vielfalt von Gesichtspunkten, ohne die es keine Vollständigkeit des Wahrheitsfindens geben kann. Durch diese Enge und Begrenzung kam es häufig zum Festhalten am Irrtum. Das würdigt die Philosophie zu einem endlosen Irrgarten unfruchtbarer Dispute herab. Auch in die Religion ist diese falsche Auffassung eingedrungen und hat sie mit rechtgläubigem Dogmatismus, mit Fanatismus und Intoleranz vergiftet. Die Wahrheit des Geistes ist eine Wahrheit des Wesens und Bewußtseins, nicht aber eine Wahrheit des Denkens. Mentale Ideen können nur eine Facette der Wahrheit darstellen oder ausdrücken, ein ins Mentale übertragenes Prinzip oder eines seiner Vermögen, oder sie können ihre Aspekte aufzählen. Wenn man sie aber wirklich erkennen will, muß man in sie hineinwachsen und sie sein. Ohne dieses Hineinwachsen und Sein kann es kein wahres spirituelles Wissen geben. Die fundamentale Wahrheit spiritueller Erfahrung ist eine einzige. Ihr Bewußtsein ist ein einziges. Überall folgt sie diesen allgemeinen Linien und Tendenzen beim Erwecken und Wachsen des spirituellen Wesens. Denn diese sind die zwingenden Gebote des spirituellen Bewußtseins. Auf der Grundlage dieser Gebote gibt es aber auch zahllose Möglichkeiten der Variation in Erfahrung und Ausdruck: Die Zentralisierung und Harmonisierung all dieser Möglichkeiten, aber auch das intensive alleinige Befolgen eines einzelnen dieser Erfahrungswege, beides sind die notwendigen Bewegungen der in uns hervortretenden spirituellen Bewußtseins-Kraft. Außerdem muß die Anpassung von Mental und Leben an die spirituelle Wahrheit und die Art, wie sie sich durch diese ausdrückt, so lange von der Mentalität des Suchenden verschieden sein, als er sich noch nicht über alle Notwendigkeit solcher Anpassung oder solchen begrenzten Ausdruckes erhoben hat. Dieses mentale und vitale Element hat die Gegensätze geschaffen, die die spirituell Suchenden noch voneinander trennen oder sich in ihre unterschiedlichen Behauptungen der Wahrheit eindrängen, die sie erfahren haben. Diese Verschiedenheit und Abwandlung ist für die Freiheit des spirituellen Suchens und Wachsens notwendig. Über die Verschiedenheiten hinauszukommen, ist wohl möglich, läßt sich aber am leichtesten in der reinen Erfahrung tun. In der mentalen Formulierung muß die Unterscheidung bleiben, bis man völlig über das Mental hinauskommen und die vielseitige Wahrheit des Geistes in einem höchsten Bewußtsein integral zusammenfassen, vereinen und harmonisieren kann.

In der Evolution des spirituellen Menschen muß es notwendigerweise viele Stufen und auf jeder Stufe eine große Verschiedenheit individueller Gestaltungen des Wesens, des Bewußtseins, des Lebens, des Temperaments, der Ideen, des Charakters geben. Die Natur des instrumentalen Mentals und die Notwendigkeit, mit dem Leben umzugehen, muß von selbst eine unendliche Abwandlung je nach Entwicklungsstufe und Individualität des Suchenden erzeugen. Aber davon abgesehen braucht gerade das Gebiet der reinen spirituellen Verwirklichung des Selbsts und dessen Ausdruck keine weiße Eintönigkeit zu sein. Es kann eine große Mannigfaltigkeit in der zugrundeliegenden Einheit geben. Das höchste Selbst ist eines, aber der Seelen des Selbsts gibt es viele. So wie der Seele Naturgestalt ist, so wird auch ihr spiritueller Selbst-Ausdruck sein. Mannigfaltigkeit im Einssein ist das Gesetz der Manifestation. Die supramentale Einung und Integration muß diese Verschiedenheiten harmonisieren. Sie zu beseitigen, ist nicht die Absicht des Geistes in der Natur.

Kapitel XXV. Die dreifache Umwandlung

In der Mitte des Selbsts ist ein bewußtes Wesen. Es beherrscht Vergangenheit und Zukunft. Es ist wie eine Flamme ohne Rauch . . . Dieses muß man mit Geduld von seinem Körper loslösen.

Katha Upanishad, IV. 12,13. VI. 17.

Eine Intuition im Herzen schaut diese Wahrheit

Rig Veda, I.24.12.

Ich bleibe im spirituellen Wesen und zerstöre von dort her mit der leuchtenden Lampe des Wissens die aus der Unwissenheit geborene Finsternis.

Gita, X. 11.

Nach unten sind diese Strahlen gerichtet; ihr Ursprung ist oben; mögen sie tief in uns eindringen... O Varuna, erwache hier, mache deine Herrschaft weit! Mögen wir am Gesetz deines Wirkens festhalten und ohne Tadel sein vor der Mutter Unendlichkeit!

Rig Veda, I. 24. 7,11,15.

Der Schwan, der sich niederläßt in der Reinheit . . . aus der Wahrheit geboren, – selbst die Wahrheit, das Unermeßliche.

Katha Upanishad, V. 2.

Wäre es einzige Absicht der Natur in der Entwicklung des spirituellen Menschen, ihn zur höchsten Wirklichkeit zu erwecken, wollte sie ihn nur aus ihrer Gewalt oder aus der Unwissenheit befreien, in die sie sich als die Macht des Ewigen verkleidet hat, und sollte das dadurch geschehen, daß er in einen höheren Zustand seines Wesens woandershin weitergeht, und wäre dieser Schritt dann Ende und Ausgang in der Evolution, dann wäre ihr Werk im wesentlichen bereits vollendet, und es gäbe hier nichts mehr zu tun. Die Wege dazu sind gebahnt. Die Fähigkeit, sie zu durchlaufen, ist entwickelt. Das Ziel oder die letzte Höhe der Schöpfung ist offenbart. Für die einzelne Seele bliebe nur noch, individuell ihre richtige Stufe und die Wende ihrer Entwicklung zu erreichen, die spirituellen Wege einzuschlagen und auf ihrem erwählten Pfad aus diesem niederen Dasein fortzugehen. Wir haben aber vorausgesetzt, es besteht noch eine höhere Absicht, – nicht nur eine Enthüllung des Geistes, sondern eine grundlegende und allumfassende Wandlung der Natur. In ihr ist ein Wille, die wahre Offenbarung des verkörperten Lebens des Geistes zu bewirken und durch Übergang aus der Unwissenheit in das Wissen zu vollenden, was sie begonnen hat. Sie will ihre Verkleidung abwerfen und sich als die leuchtende Bewußtseins-Kraft offenbaren, die das ewige Sein und seine universale Seins-Seligkeit in sich trägt. Da wird es denn deutlich, daß es etwas noch nicht Vollendetes gibt. Das viele wird deutlich sichtbar, was noch zu tun ist, bhuri aspasta kartvam. Noch eine Höhe muß erreicht werden. Mit dem Auge des Schauens, den Flügeln des Wollens, der Selbst-Bejahung des Geistes im materiellen Universum muß noch ein ausgedehnter Bereich durchmessen werden. Die evolutionäre Macht hat es bisher fertig gebracht, daß einige wenige ihre Seele gewahren, ihres Selbsts bewußt sind, des ewigen Wesens, das sie sind, inne werden, sich in eine Kommunion mit dem Göttlichen Wesen oder mit der Wirklichkeit bringen, die durch ihre äußeren Erscheinungen verborgen ist. Zwar bereitet diese Erleuchtung eine gewisse Umwandlung der Natur vor, begleitet sie oder folgt ihr nach. Das ist aber noch nicht die vollständige oder grundlegende Umwandlung, die ein gesichertes und feststehendes neues Prinzip, eine neue Schöpfung, eine dauerhafte neue Ordnung des Seienden im Feld der irdischen Natur begründet. Der spirituelle Mensch hat sich entwickelt, aber noch nicht das supramentale Wesen, das von nun an Lenker dieser Natur sein soll.

Zuerst muß sich nämlich das Prinzip der Spiritualität in seiner eigenen Vollmacht und Souveränität durchsetzen. Bis jetzt war es für das mentale Wesen eine Kraft, sich selbst zu entkommen oder sich zu einem spirituellen Kräfteverhältnis zu verfeinern und sich in dieses zu erheben. Es hat die Befreiung des Geistes vom Mental und die Ausweitung des Wesens in ein spiritualisiertes Mental und Herz gefördert. Doch hat es nicht – oder noch nicht genügend – dazu verholfen, daß sich der Geist in seiner eigenen souveränen Meisterschaft so behaupten konnte, daß er frei wurde von den Begrenzungen durch das Mental und von der mentalen Instrumentation. Die Entwicklung einer anderen Instrumentation hat begonnen, muß aber erst noch allumfassend und wirksam werden. Außerdem muß sie aufhören, eine rein individuelle Schöpfung des Selbsts in einer ursprünglichen Unwissenheit zu sein, etwas für das irdische Leben Übernormales, das man stets als individuelle Errungenschaft durch schwieriges Bemühen erwerben muß. Sie muß zur normalen Natur einer neuen Wesens-Art werden. So wie das Mental hier auf einer Grundlage von Unwissenheit gegründet wurde, um nach Wissen zu suchen und in das Wissen hineinzuwachsen, so muß das Supramental hier auf einer Basis von Wissen sicher gegründet werden und in sein eigenes höheres Licht hineinwachsen. Das ist aber nicht möglich, solange das spirituell-mentale Wesen sich noch nicht völlig in das Supramental erhoben und dessen Vermögen in das irdische Dasein herniedergebracht hat. Denn die Kluft zwischen Mental und Supramental muß überbrückt, die verschlossenen Durchgänge müssen geöffnet und die Wege zum Emporsteigen und Herniederkommen dort geschaffen werden, wo es jetzt nur Leere und Schweigen gibt. Das kann aber, worauf wir schon im Vorbeigehen hingewiesen haben, nur durch eine dreifache Transformation geschehen: Zuerst muß es eine psychische Veränderung geben, die Umwandlung unserer ganzen gegenwärtigen Natur in eine Instrumentation der Seele. Auf ihr, oder zugleich mit ihr, muß die spirituelle Umwandlung eintreten, die Herabkunft eines höheren Grades von Licht, Wissen, Macht, Kraft, Seligkeit, Reinheit in das ganze Wesen, selbst bis in die niedersten Schlupfwinkel der Finsternis in Leben und Körper, selbst in die Dunkelheit unseres Unterbewußtseins. Schließlich muß die supramentale Mutation eintreten, als krönende Bewegung muß das Emporsteigen in das Supramental und die umwandelnde Herabkunft des supramentalen Bewußtseins in unser ganzes Wesen und unsere ganze Art stattfinden.

Anfangs ist die Seele innerhalb der Natur, die psychische Wesenheit, deren Entfaltung der erste Schritt zu einer spirituellen Umwandlung ist, ein völlig verhüllter Teil von uns, obwohl wir gerade durch sie als individuelle Wesen in der Natur existieren und fortdauern. Die anderen Schichten, aus denen unsere Natur zusammengesetzt ist, sind nicht nur veränderlich, sondern auch vergänglich. Die psychische Wesenheit in uns dauert aber fort und ist im Grunde immer dieselbe: Sie enthält in sich alle wesentlichen Möglichkeiten unserer Manifestation, wird aber nicht durch diese konstituiert. Sie wird nicht durch das, was sie manifestiert, begrenzt; sie wird nicht durch die unvollkommenen Formen der Manifestation eingeschlossen; sie ist nicht beeinträchtigt, weil diese unvollendet, unrein, mangelhaft sind und das Wesen der Außenseite entstellen. Sie ist eine immer-reine Flamme des Göttlichen in den Dingen. Nichts, was an sie herankommt, und nichts, was in unsere Erfahrung eindringt, kann ihre Reinheit beflecken oder die Flamme auslöschen. Dieser spirituelle Stoff ist makellos und leuchtend. Weil er vollkommen lichtvoll ist, nimmt er unmittelbar von innen her und unmittelbar die Wahrheit des Wissens und die Wahrheit der Natur wahr. Er ist sich der Wahrheit des Guten und des Schönen tief bewußt, weil das Wahre, Gute und Schöne seinem inneren Charakter verwandt ist; das sind Formen von etwas, das seiner eigenen Substanz eingeboren ist. Auch ist sich das psychische Wesen all dessen bewußt, was diesen Dingen widerspricht und von dem eigenen Charakter abweicht: der Lüge und des Bösen, alles Häßlichen und Unziemlichen. Es wird aber nicht zu alledem und wird auch nicht angerührt oder verändert von dem, was dem eigenen Wesen entgegengesetzt ist und so stark auf seine äußeren Instrumente, Mental, Leben und Körper, einwirkt. Denn die Seele, das immerwährende Wesen in uns, stellt Mental, Leben und Körper als ihre Werkzeuge aus sich heraus und verwendet sie. Sie nimmt zwar das Umhülltsein von ihnen und ihren Bedingungen auf sich, ist aber etwas anderes und Größeres als ihre Organe.

Wäre die seelische Wesenheit von Anfang an enthüllt und ihren Ministern bekannt gewesen und nicht ein einsamer König in seinem abgeschirmten Thronsaal, wäre die menschliche Entwicklung ein rasches Aufblühen der Seele gewesen und nicht diese schwierige, wechselvolle und entstellte Entwicklung, die sie ist. Die Hülle ist dicht. Wir kennen nicht das verborgene Licht in unserem Innern, das Licht in der geheimen Krypta des innersten Heiligtums des Herzens. Ahnungen steigen aus der Psyche an die Oberfläche empor, aber unser Mental entdeckt ihren Ursprung nicht. Es hält sie für seine eigenen Tätigkeiten, weil sie, schon bevor sie an die Oberfläche kommen, in mentale Substanz eingekleidet sind. Darum kennt es ihre Autorität nicht, folgt ihnen oder folgt ihnen nicht, je nach Laune oder Neigung des Augenblicks. Gehorcht das Mental dem Drängen des vitalen Ichs, dann besteht überhaupt wenig Aussicht für die Psyche, die Natur zu beherrschen oder etwas von ihrem verborgenen spirituellen Stoff und ihren ursprünglichen Regungen in uns zu offenbaren. Wenn das Mental in übergroßem Vertrauen auf sein eigenes geringes Licht handelt, wenn es sich auf sein eigenes Urteil, auf seinen Willen und das Handeln aus eigener Erkenntnis verläßt, auch dann wird die Seele verhüllt und still zurückgezogen bleiben und die weitere Entwicklung des Mentals abwarten. Denn der psychische Teil in uns ist dazu da, die natürliche Evolution zu unterstützen. Die erste natürliche Evolution muß sukzessive die Entwicklung des Körpers, des Lebens und des Mentals sein. Und diese müssen handeln, jedes seiner eigenen Art gemäß oder alle zusammen in ihrer schlecht geregelten Partnerschaft, um zu wachsen, Erfahrung zu sammeln und sich zu entfalten. Die Seele sammelt die Essenz all unserer mentalen, vitalen und körperlichen Erfahrungen und assimiliert sie für die weitere Evolution unseres Daseins in der Natur. Doch ist dies Wirken verborgen und dringt nicht an die Außenseite. Auf den früheren materiellen und vitalen Entwicklungsstufen des Wesens findet sich in der Tat kein Bewußtsein der Seele. Es gibt zwar eine psychische Aktivität, aber Instrumentation und Form dieses Wirkens sind vital und physisch – oder mental, wenn das Mental aktiv ist. Denn auch das Mental erkennt, solange es noch primitiv oder zwar entwickelt, aber noch zu äußerlich ist, ihren tieferen Charakter nicht. Leicht können wir uns selbst als physische, vitale oder als mentale Wesen ansehen, die Leben und Körper verwenden, aber die Existenz der Seele völlig ignorieren. Denn die einzige bestimmte Vorstellung, die wir von der Seele haben, ist die, daß sie etwas ist, das den Tod unseres Körpers überlebt. Was das aber ist, wissen wir nicht, weil wir, auch wenn wir manchmal ihrer Gegenwart bewußt werden, ihrer normalerweise nicht als einer bestimmten Wirklichkeit inne sind und auch nicht deutlich ihr unmittelbares Wirken in unserer Natur fühlen.

Beim weiteren Fortschritt der Evolution beginnt die Natur allmählich und versuchsweise, unsere verborgenen Seiten hervortreten zu lassen. Sie veranlaßt uns, immer tiefer in unser Inneres zu schauen, oder verursacht immer klarer erkennbare Andeutungen und Gestaltungen von jenen an der Oberfläche. Die Seele in uns, das psychische Prinzip, hat bereits begonnen, geheime Gestalt anzunehmen. Sie läßt eine Seelen-Persönlichkeit hervortreten und entwickelt sie, ein besonderes psychisches Wesen, das sie repräsentiert. Dieses psychische Wesen verbleibt noch ebenso wie das wahre mentale, das wahre vitale oder das wahre subtil-physische Wesen in uns hinter der Verhüllung in unserer subliminalen Schicht. Aber es wirkt, genauso wie jene, auf das vordergründige Leben ein durch die Einflüsse und Andeutungen, die es zu jener Außenseite emporschickt. Diese bilden einen Teil der Oberflächenverbindung der äußeren Person, die die zusammengewürfelte Wirkung innerer Einflüsse und Aufwallungen ist, die sichtbare Gestaltung und der Überbau, den wir gewöhnlich erfahren und von dem wir meinen, das seien wir. An dieser unwissenden Außenseite gewahren wir dunkel etwas, das zum Unterschied von Mental, Leben und Körper die Seele genannt werden kann. Wir spüren, daß das nicht nur unsere mentale Vorstellung oder ein vages instinktives Empfinden von uns ist, sondern ein fühlbarer Einfluß auf unser Leben, unseren Charakter und unser Handeln. Das gewöhnlich am ehesten erkennbare, allgemeinste und charakteristischste, wenn auch nicht das einzige Zeichen für diesen Einfluß der Psyche ist eine gewisse Feinfühligkeit für alles, was wahr, gut und schön, fein, rein und edel ist, eine Reaktion darauf, ein Verlangen danach, ein Druck auf Mental und Leben, es in unserem Denken und Fühlen, Charakter und Verhalten anzunehmen und zum Ausdruck zu bringen. Hat ein Mensch dieses Element nicht in sich oder reagiert er überhaupt nicht auf diesen Drang, so sagen wir von ihm, er habe keine Seele. Denn wir können gerade diesen Einfluß am leichtesten als die feinere, ja als die göttliche Seite in uns und als das Stärkste erkennen, das uns allmählich hin zu einem Ziel, zur Vollkommenheit in unserer Art drängt.

Aber dieser psychische Einfluß, diese seelische Wirkung tritt nicht ganz rein an die Oberfläche, bleibt in ihrer Reinheit nicht unterscheidbar. Sonst könnten wir das Seelen-Element in uns deutlich erkennen und bewußt und völlig seinen Weisungen folgen. Es drängt sich eine okkulte mentale, vitale oder subtil-physische Einwirkung dazwischen, vermischt sich mit ihm und versucht, es zu verwenden und für seinen eigenen Vorteil auszunutzen. Es setzt seine Göttlichkeit herab, entwertet oder entstellt seinen Selbst-Ausdruck und versucht sogar, es in die Irre zu führen oder zu Fall zu bringen. Oder es befleckt es mit Unlauterkeit, Kleinlichkeit und Irrtum von Mental, Leben und Körper. Kommt es dann, derart mit Fremdem verschmolzen und herabgesetzt, an die Oberfläche, bemächtigt sich seiner unsere vordergründige Natur auf obskure Weise und für eine unwissende Formgebung. So kommt es oder kann es zu noch weiterer Abirrung und Vermischung kommen. Was an sich Stoff und Wirken in der Reinheit unseres spirituellen Wesens ist, wird verdreht, bekommt eine falsche Richtung, wird verkehrt angewandt, falsch gestaltet und führt zu einem irrigen Resultat. Entsprechend kommt es zu einer Bewußtseinsgestaltung, die eine Mischung aus dem psychischen Einfluß und seinen Anregungen ist, mit mentalen Gedanken und Meinungen, vitalen Wünschen und Trieben und gewohnheitsmäßigen körperlichen Neigungen vermischt. Mit diesem verfinsterten Seelen-Einfluß verschmelzen dann die unwissenden, wenn auch wohlmeinenden Bemühungen unserer äußeren Seiten in ihrem Streben nach etwas Höherem. All diese Einflüsse wachsen zu einem vielseitigen Gebilde zusammen. Das kommt zu einer mentalen Ideenbildung von sehr vermischtem Charakter, die selbst in ihrem Idealismus meist ohne Erleuchtung und oft sogar in verhängnisvollem Irrtum befangen ist; oder zu einer Glut und Leidenschaft des emotionalen Wesens, das seine Gischt und seinen Schaum von Gefühlen, Empfindungen, Sentimentalitäten, einen dynamischen Enthusiasmus der vitalen Schichten, lebhafte Reaktionen der physischen Seiten, die Erschütterungen und Erregungen von Nerven und Körper aufwallen läßt. Häufig verwechselt man das mit der Seele und hält dies vermischte und verworrene Wirken für Seelen-Regung, für eine Entfaltung und Wirkweise der Seele, für einen verwirklichten inneren Einfluß. Die psychische Wesenheit selbst ist frei von Makel und Beimischung. Was aber aus ihr hervortritt, ist nicht durch diese Immunität geschützt. Darum wird solche Verwirrung möglich.

Außerdem kommt das psychische Wesen, die Seelen-Persönlichkeit in uns, nicht sofort voll-erwachsen und strahlend ans Licht. Sie entfaltet sich und durchläuft eine langsame Entwicklung und Ausformung. Die Gestalt ihres Wesens mag zuerst undeutlich sein und danach noch für lange Zeit schwach und unentwickelt, nicht mehr verunstaltet, doch noch nicht ausgestaltet sein. Denn sie gründet ihre Ausformung, ihre dynamische Selbst-Struktur, auf die Seelen-Macht, die aktuell und mehr oder minder erfolgreich in der Evolution gegen den Widerstand der Unwissenheit und Unbewußtheit in den Vordergrund gebracht worden ist. Ihr Erscheinen ist das Zeichen dafür, daß die Seele in der Natur hervortritt. Wenn dieses Emportauchen bis jetzt noch unbedeutend und mangelhaft ist, wird auch die Seelen-Persönlichkeit noch verkümmert oder schwach sein. Auch ist sie durch die Verdunkelung unseres Bewußtseins von ihrer inneren Wirklichkeit getrennt. Sie steht mit ihrem eigenen Ursprung in den Tiefen des Wesens nur in unvollkommener Kommunikation. Denn der Weg dorthin ist bis jetzt noch nicht gebahnt. Leicht wird er behindert, die Leitungsdrähte werden oft durchschnitten oder sind mit Nachrichten anderer Art und anderen Ursprungs überlastet. Ebenso unvollkommen ist ihr Vermögen, mit dem, was sie empfängt, auf die äußeren Instrumente einzuwirken. Angesichts ihrer eigenen Mangelhaftigkeit muß sie sich in bezug auf die meisten Dinge auf diese Instrumente verlassen. Sie gestaltet ihr Bedürfnis nach Ausdruck und Handeln aufgrund von deren Daten und nicht allein aufgrund der unfehlbaren Wahrnehmungen der psychischen Wesenheit. Unter diesen Umständen kann sie nicht verhindern, daß das wahre psychische Licht im Mental herabgemindert oder verzerrt wird zur bloßen Idee oder Meinung. Das psychische Fühlen im Herzen wird zu einer fehlbaren Emotion oder bloßen Sentimentalität. Der psychische Wille zum Wirken in den Lebens-Organen entartet in blinde vitale Begeisterung oder fieberhafte Erregung. Sie akzeptiert sogar diese falschen Übertragungen aus Mangel an Besserem und versucht, durch sie zur eigenen Erfüllung zu gelangen. Denn es gehört zum Wirken der Seele, daß sie Mental, Herz und Vitalwesen beeinflußt und ihre Ideen, Gefühle, Begeisterungen und die anderen Äußerungen ihrer Kräfte zu dem hinlenkt, was göttlich und erleuchtet ist. Das soll aber zuerst nur unvollkommen, langsam und mit jenen Beimischungen getan werden. Sobald die psychische Persönlichkeit stärker wird, vertieft sie ihre Kommunion mit der psychischen Wesenheit, die hinter ihr steht, und verbessert dadurch ihre Kommunikation mit der Außenwelt. So kann sie ihre Anregungen Mental, Herz und Leben reiner und stärker mitteilen. Denn nun kann sie wirksamer Kontrolle ausüben und gegen falsche Beimischungen einschreiten. Immer mehr macht sie sich nun ausdrücklich als eine Macht in der Natur fühlbar. Aber auch so wäre diese Evolution noch langsam und langwierig, wenn sie nur dem schwierigen automatischen Wirken der evolutionären Energie überlassen bliebe. Erst wenn der Mensch zum Wissen um seine Seele erwacht und die Notwendigkeit fühlt, diese in den Vordergrund zu bringen, sie zum Herrn seines Lebens und Wirkens zu machen, greift eine raschere, bewußte Methode der Entwicklung ein. Nun wird die psychische Transformation möglich.

Dieser langsamen Entwicklung kann die klare Auffassung des Mentals und dessen nachdrückliche Behauptung zu Hilfe kommen, es gebe etwas, das den Tod des Körpers überlebt, sowie das mentale Bemühen, dessen Natur zu erkennen. Dieses Erkennen wird anfangs durch die Tatsache behindert, daß es in uns viele Elemente, viele Gestaltungen gibt, die sich als Seelen-Elemente darstellen und irrtümlich für die Psyche gehalten werden können. In den frühen Traditionen der Griechen und einiger anderer Völker über ein Leben nach dem Tod zeigen die Beschreibungen deutlich, daß das, was man damals irrtümlich für die Seele hielt, ein unterbewußtes, subphysisches Gebilde eines Eindrucks oder einer Schattengestalt des Wesens oder sonst ein Gespenst oder eine Geistererscheinung der Personalität war. Solche Geistererscheinung, die man irrig mit Geist bezeichnet, ist manchmal vitaler Ausdruck, Reproduktion vitaler Formen, charakteristischer Eigenschaften des Menschen, seiner oberflächlichen Lebensgewohnheiten, Manchmal ist sie auch eine subtil-physische Verlängerung der Dauer der äußeren Gestalt der mentalen Hülle. Bestenfalls ist sie eine Umhüllung der Lebens-Persönlichkeit, die noch einige Zeit nach dem Verlassen des Körpers wahrnehmbar bleibt. Abgesehen von diesen Irrtümern, die vom Kontakt mit den nach ihrem Tod abgelegten Phantomgestaltungen oder übriggebliebenen Umhüllungen der Personalität herrühren, wird die Schwierigkeit dadurch verursacht, daß wir nichts über die subliminalen Seiten unserer Natur und über Gestalt und Kräfte des bewußten Wesens, des purusha, wissen, die über diesem Wirken walten. Wegen dieser mangelnden Erfahrung können wir leicht etwas von unserem inneren Mental oder vom vitalen Ich für die Psyche halten. Denn so, wie das Wesen ein einziges und doch vielfältig ist, verhält es sich nach demselben Gesetz mit unserem Selbst und unseren Wesens-Seiten. Der Geist, purusha, ist einer; er paßt sich aber den Gestaltungen der Natur an. Über jeder Stufe unseres Wesens waltet eine Macht des Geistes. Wir besitzen in unserem Innern – und wir entdecken, wenn wir tief genug nach innen gehen – ein Selbst des Mentals, ein Selbst des Lebens, ein physisches Selbst. Es gibt ein Wesen des Mentals, einen mentalen purusha, der etwas von sich an unserer Außenseite in den Gedanken, Wahrnehmungen und Aktivitäten unserer Mental-Natur zum Ausdruck bringt. Wir haben auch ein Wesen des Lebens, das etwas von sich in den Impulsen, Gefühlen, Begehren und den äußerlichen Lebens-Aktivitäten unserer vitalen Natur ausdrückt. Und dann gibt es ein physisches Wesen, ein Wesen des Körpers, das etwas von sich in den Instinkten, Gewohnheiten und zum Ausdruck gebrachten Arten des Wirkens unserer physischen Natur äußert. Diese Wesen oder diese Teil-Selbste des Selbsts in uns sind Mächte des Geistes. Darum werden sie durch ihren zeitweiligen Ausdruck nicht begrenzt. Denn was so in äußere Form gebracht wird, ist nur ein Bruchteil seiner Möglichkeiten. Aber diese Gestaltung nach außen erschafft eine zeitweilige mentale, vitale oder physische Persönlichkeit, die ebenso wächst und sich entfaltet, wie das psychische Wesen oder die Seele in uns wächst und sich entwickelt. Jede hat ihre besondere Natur und übt auf unser Ganzes ihren Einfluß und ihre Aktivität aus. An unserer Außenseite vermischen sich aber alle diese Einflüsse und dieses ganze Wirken, sobald sie hervortreten. Sie bilden ein Aggregat als vordergründiges Wesen, das eine Verbindung, eine Verschmelzung ihrer aller ist. Das ist eine äußere, beharrende und doch sich dauernd verändernde und bewegende Gestaltung für die Zwecke dieses Lebens und seine begrenzte Erfahrung.

Diese menschliche Verbindung ist aber wegen ihrer Zusammensetzung ein widerspruchsvoller Verbund, kein einheitliches harmonisches und gleichartiges Ganzes. Aus diesem Grund herrscht in den Schichten unseres Wesens ständig Wirrwarr, ja Widerstreit, den zu lenken und zu harmonisieren sich unsere mentale Vernunft und unser Wille gedrängt fühlen. Sie haben aber oft große Schwierigkeiten, aus ihrer Verwirrung und ihrem Konflikt etwas wie Ordnung und Führung zu schaffen. Darum treiben wir gewöhnlich zu sehr dahin, oder wir werden von der Strömung unserer Natur mitgerissen und handeln aufgrund dessen, was sich in ihr am meisten an die Oberfläche drängt und die Instrumente unseres Denkens und Handelns ergreift – selbst unsere scheinbar wohlüberlegte Entscheidung ist mehr automatisch, als wir meinen. Die Koordinierung unserer vielseitigen Elemente und der daraus entstehenden Gedanken, Gefühle, Impulse und Handlungen durch Vernunft und Willen ist unvollständig und nur eine halbe Maßnahme. Im Tierwesen wirkt die Natur durch die eigenen mentalen und vitalen Intuitionen. Durch den Zwang von Gewohnheit und Instinkt, dem das Tier aus eigenem Antrieb gehorcht, arbeitet sie eine Ordnung aus, so daß die Schwankungen seines Bewußtseins bedeutungslos sind. Der Mensch kann aber durchaus nicht auf die gleiche Weise handeln, ohne daß er seine Sonderstellung als Mensch verlieren würde. Er kann nicht zulassen, daß sein Wesen zu einem Wirrwarr von Instinkten und Impulsen wird, den der Automatismus der Natur reguliert. In ihm ist das Mental bewußt geworden und wird darum vom Selbst gezwungen, einen, wenn auch in vielen Menschen nur elementaren, Versuch zu unternehmen, die vielfältigen Komponenten, die verschiedenen und widerstreitenden Tendenzen, die sein äußeres Wesen auszumachen scheinen, zu sehen, zu lenken und schließlich immer vollkommener zu harmonisieren. Sein Erfolg besteht darin, daß er eine Art reguliertes Chaos, geordnete Verwirrung in sich erschafft. Oder er meint schließlich, er lenke sich selbst durch sein Mental und seinen Willen, obwohl diese Lenkung tatsächlich nur teilweise geschieht. Denn seine Vernunft und sein Wille verwenden nicht nur eine gemischte Gesellschaft von gewohnheitsmäßigen Antriebskräften, sondern auch neu auftauchende vitale und physische Tendenzen und Impulse, die nicht immer berechenbar und kontrollierbar sind, und viele unzusammenhängende und unharmonische Elemente, die eindringen und den Aufbau seines Selbsts, die Entwicklung seiner Natur und das Wirken seines Lebens bestimmen. In seinem Selbst ist der Mensch eine einzige Person. In der Manifestation seines Selbsts ist er aber eine Multiperson. Erst wenn die Person die Macht über seine Multiperson ausübt und diese regiert, wird es ihm gelingen, Meister seiner selbst zu sein. Das kann aber nur unvollkommen durch den äußeren mentalen Willen und die Vernunft und erst dann vollkommen geleistet werden, wenn er in sein Inneres geht und jenes zentrale Wesen entdeckt, das durch seinen vorherrschenden Einfluß Herr all seines Ausdrucks und Wirkens ist. In ihrer innersten Wahrheit ist seine Seele dieses zentrale Wesen. Im äußeren Dasein ist es aber oft eines oder das andere dieser Teil-Wesen in ihm, das herrscht. Er kann dann diesen Repräsentanten seiner Seele, diesen Stellvertreter seines Selbsts, mit dem innersten Seelen-Prinzip verwechseln.

Diese Herrschaft von verschiedenen Selbsten in uns ist die Ursache jener Entwicklungs-Stufen der menschlichen Persönlichkeit, die zu unterscheiden wir bereits Gelegenheit hatten. Wir können sie jetzt noch einmal unter dem Gesichtspunkt betrachten, wie die Natur durch das innere Prinzip beherrscht wird. In manchen menschlichen Wesen ist es der physische purusha, das Wesen des Körpers, der Mental, Willen und Handeln beherrscht. So wird der physische Mensch erschaffen, der sich hauptsächlich mit seinem körperlichen Leben, seinen gewohnheitsmäßigen Bedürfnissen, Trieben, den Neigungen seines Lebens, Mentals und Körpers befaßt. Er blickt nur wenig oder überhaupt nicht über diese hinaus und ordnet seine anderen Tendenzen und Möglichkeiten dieser engen Gestaltung unter und beschränkt sie darauf. Aber selbst im physischen Menschen gibt es noch andere Elemente. Er kann nicht nur wie ein menschliches Tierwesen leben, das sich lediglich um Geburt, Tod, Fortpflanzung und die Befriedigung der gewöhnlichen Triebe und Begierden sowie um die Erhaltung von Leben und Körper kümmert. Das ist sein normaler Persönlichkeits-Typus. Aber quer durch ihn gehen, wenn auch schwache, Einflüsse hindurch, mittels deren er, wenn sie entwickelt werden, zu einer höheren menschlichen Entwicklung vorankommen kann. Wenn der innere subtil-physische purusha darauf drängt, kann der Mensch zur Vorstellung eines feineren, schöneren und vollkommeneren physischen Lebens gelangen. Er kann hoffen und versuchen, dieses in seinem eigenen Dasein oder in dem des Kollektivs oder der Gruppe zu verwirklichen. Bei anderen herrscht das vitale Selbst, das Wesen des Lebens, vor und regiert Mental, Willen und Handeln. Dann wird der vitale Mensch geschaffen, dessen Haupt-Anliegen es ist, sich selbst durchzusetzen, sein Leben zu vergrößern und auszuweiten, seinen Ehrgeiz und seine Leidenschaft, seine Triebe und sein Begehren und die Ansprüche seines Ichs zu befriedigen. Er will Beherrschung, Macht, Aufruhr, Kampf und Streit, inneres und äußeres Abenteuer. Alles übrige ist Nebenwirkung oder wird dieser Bewegung, dem Aufbau und Ausdruck seines vitalen Ichs untergeordnet. Doch sind – möglicherweise – im vitalen Menschen auch andere Elemente eines wachsenden mentalen oder spirituellen Charakters, auch wenn diese vielleicht noch weniger entfaltet sind als seine Lebens-Persönlichkeit und -Macht. Die Natur des vitalen Menschen ist aktiver, stärker und beweglicher, turbulenter und verworrener – oft bis zu dem Punkt, da sie völlig regelwidrig ist – als die des physischen Menschen, der fest auf dem Boden steht und eine gewisse materielle Ausgeglichenheit und sein Gleichgewicht besitzt. Sie ist aber mehr dynamisch und schöpferisch, denn das Element des vitalen Wesens ist nicht die Erde, sondern die Luft; es besitzt mehr Bewegung, weniger Statik. Ein kraftvolles vitales Mental und sein Wille können die beweglichen vitalen Energien in den Griff bekommen und beherrschen. Das geschieht aber mehr durch kraftvollen Zwang und Unterdrückung als durch Harmonisierung des Wesens. Wenn aber eine starke vitale Persönlichkeit, ihr Mental und Wille, die vernünftige Intelligenz dazu bringen kann, sie stark zu unterstützen und ihr Diener zu sein, kann eine gewisse starke Gestaltung zustande kommen, die mehr oder weniger ausgeglichen, aber immer machtvoll, erfolgreich und wirkungsstark ist. Sie kann ihre Herrschaft der Natur und Umgebung aufzwingen und sich in Leben und Handeln in starker Selbst-Behauptung durchsetzen. Das ist der zweite Schritt einer harmonisierten Ausformung, der beim Aufstieg der Natur möglich ist.

Auf einer höheren Stufe der Persönlichkeitsentwicklung mag das Wesen des Mentals vorherrschen. Da wird dann der mentale Mensch geschaffen, der vorwiegend so im Mental lebt, wie die anderen in der vitalen und physischen Natur leben. Der mentale Mensch will sein ganzes Wesen dem mentalen Ausdruck seines Selbsts, seinen mentalen Zielen und Interessen, den Ideen oder Idealen seines Mentals unterordnen. Da diese Unterordnung so schwierig und, wenn einmal erreicht, von so starker Wirkung ist, wird es für ihn zugleich schwerer und leichter, zu einer Harmonie seiner Natur zu kommen. Es wird leichter, weil der mentale Wille, wenn er erst einmal die Kontrolle hat, durch die Macht der rationalen Intelligenz das Leben, den Körper und ihre Ansprüche überzeugen und zugleich beherrschen, zwingen und unterdrücken kann. Er kann sie in Ordnung und Übereinstimmung bringen, zwingen, seine Werkzeuge zu werden, und ihre Macht sogar so weit unterdrücken, daß sie das mentale Leben nicht stören, es nicht von seinem Streben nach Ideen und Idealen herunterziehen können. Schwieriger wird es dagegen, weil Leben und Körper die Anfangs-Vermögen sind. Wenn sie auch nur im mindesten stark sind, können sie sich dem mentalen Beherrscher mit einer fast unüberwindlichen Hartnäckigkeit aufzwingen. Der Mensch ist ein mentales Wesen. Das Mental ist der Lenker seines Lebens und Körpers. Es ist aber ein Regent, der weithin von seinen Regierten geführt wird und manchmal keinen anderen Willen hat als den, den sie ihm aufzwingen. Das Mental ist trotz seiner Macht oft ohnmächtig gegenüber dem Unbewußten und Unterbewußten, die seine Klarheit verdunkeln und es auf den Wogen von Instinkt und Impuls davontragen. Trotz seines klaren Denkens wird es durch vitale und emotionale Suggestionen dazu verführt, der Unwissenheit und dem Irrtum, falschem Denken und falschem Handeln seine Zustimmung zu geben. Oder es wird dazu gezwungen, zuzusehen, wie die Natur Wege geht, von denen es weiß, daß sie falsch, gefährlich und böse sind. Auch dann, wenn das Mental stark, klar und vorherrschend ist, kann es, obwohl es dem Wesen und der Natur eine gewisse, ja eine beträchtliche mentalisierte Harmonie auferlegt, diese sich doch nicht im ganzen integrieren. Außerdem führen solche Harmonisierungen durch schwächere Beherrschung zu keinem schlüssigen Ergebnis, da nur eine Seite der Natur vorherrscht und sich zur Erfüllung bringt, während die anderen unter Zwang gehalten werden und ihnen die Erfüllung versagt bleibt. Das können Stufen auf dem Wege sein, aber sie sind nicht endgültig. Darum gibt es bei den meisten Menschen keine solche alleinige Vorherrschaft des Mentals, sondern nur eine durch es bewirkte partielle Harmonie. Es erreicht nur ein Übergewicht, während es im übrigen nur zum labilen Gleichgewicht einer halb-ausgebildeten, halb in Gestaltung begriffenen Persönlichkeit kommt. Manchmal geht das Gleichgewicht auch dadurch verloren, daß die zentrale Lenkung fehlt oder daß eine früher erreichte teilweise Ausgeglichenheit gestört wird. All das muß aber ein Übergang bleiben, bis die erste, wenn auch nicht endgültige, wahre Harmonisierung dadurch erreicht wird, daß wir unsere wahre Mitte finden. Denn das wahre zentrale Wesen ist die Seele. Doch bleibt dieses Wesen im Hintergrund und ist bei den meisten Menschen nur der verborgene Beobachter oder gleichsam konstitutionelle Herrscher, der seinen Ministern gestattet, an seiner Stelle zu regieren, der ihnen seine Herrschaft delegiert und ihren Entscheidungen schweigend zustimmt. Nur hie und da spricht er sein Wort aus, über das sie jeden Augenblick hinweggehen und anders handeln können. Das gilt aber nur, solange die Seelen-Persönlichkeit, die von der psychischen Wesenheit herausgestellt wird, noch nicht genügend entwickelt ist. Sobald sie so stark wurde, daß sich die innere Wesenheit durch sie durchsetzt, kann die Seele hervortreten und die Natur regieren. Wenn so der wahre Monarch auftritt und die Zügel seiner Herrschaft übernimmt, kann die wahre Harmonisierung unseres Wesens und unseres Lebens stattfinden.

Die erste Bedingung für das vollständige Hervortreten der Seele ist, daß es im vordergründigen Wesen zu einer unmittelbaren Berührung mit der spirituellen Wirklichkeit kommt. Weil das psychische Element in uns von ihr herkommt, wendet es sich immer dem zu, was in der phänomenalen Natur einer höheren Wirklichkeit anzugehören scheint und was als deren Zeichen und Charakter angenommen werden kann. Zuerst sucht die Seele diese Wirklichkeit durch das Gute, Wahre, Schöne, durch alles, was rein, fein, erhaben und edel ist. Obwohl diese Berührung mit der Wirklichkeit durch äußere Zeichen und durch Charaktereigenschaften die Natur verändern und vorbereiten kann, ist hierdurch allein eine völlige Umwandlung im Innersten und Tiefsten nicht möglich. Für eine solche innerste Verwandlung ist die unmittelbare Berührung mit der Wirklichkeit selbst unentbehrlich. Denn nichts anderes kann den Grund unseres Wesens in solcher Tiefe anrühren, erregen oder unsere Art durch jene Erregung in Gärung zur Verwandlung bringen. Mentale Vorstellungen, emotionale oder dynamische Gestaltungen haben ihren Nutzen und ihren Wert. Wahrheit, Güte und Schönheit sind an sich ursprüngliche und machtvolle Vergegenwärtigungen der Wirklichkeit. Selbst in ihren vom Mental geschauten, vom Herzen gefühlten und im Leben verwirklichten Formen können sie Bahnen für den Aufstieg sein. Jenes aber, das sie repräsentieren, muß in einer spirituellen Substanz und einem spirituellen Wesen von ihnen und von ihm selbst in unsere Erfahrung eintreten.

Die Seele mag versuchen, diese Berührung mit der Wirklichkeit hauptsächlich durch das denkende Mental als ihren Vermittler und ihr Werkzeug herzustellen. Sie prägt dem Intellekt und dem umfassenderen Mental der Innenschau und intuitiven Intelligenz ihre psychische Wirkung auf und wendet diese in jene Richtung. Das denkende Mental wird in seiner höchsten Entfaltung immer zum Apersonalen hingezogen. Bei seinem Suchen wird es einer spirituellen Wesenheit, einer apersonalen Wirklichkeit bewußt, die sich in all diesen äußeren Zeichen und Charaktereigenschaften zum Ausdruck bringt, jedoch mehr ist als jede Gestaltung oder offenbarende Figur davon. Es fühlt etwas, dessen es unmittelbar und unsichtbar inne wird – eine erhabene Wahrheit, ein höchstes Gutes, eine wunderbare Schönheit, Reinheit und Seligkeit. Es spürt, wie eine Ewigkeit und Unendlichkeit, die all das ist, was ist, und noch mehr als dieses, es immer nachdrücklicher, immer weniger unfühlbar und abstrakt, immer mehr spirituell wirklich und konkret, anrührt und seinen Druck auf es ausübt. Das ist ein Druck dieser Apersonalität, die das ganze Mental in eine Form ihrer selbst umzuprägen sucht. Zugleich wird das apersonale Geheimnis und Gesetz der Dinge immer sichtbarer. Das Mental entfaltet sich in ein Mental des Weisen, zuerst des großen mentalen Denkers, dann des spirituellen Weisen, der über die Abstraktionen des Denkens zu den Anfängen unmittelbarer Erfahrung weitergegangen ist. Das bewirkt ein geläutertes, umfassendes, ruhiges, apersonales Mental. Ein ähnlich beruhigender Einfluß wird in den Organen des Lebens fühlbar. In anderer Beziehung aber mag das Ergebnis unvollständig bleiben. Denn es ist natürlicher, daß die mentale Umwandlung zu einem inneren statischen Zustand und äußerer Stille führt. Wenn sie einmal auf diesen läuternden Quietismus eingespielt ist und nicht, wie die vitalen Seiten, zur Entdeckung neuer Lebens-Energien hingezogen wird, drängt sie nicht danach, eine volle dynamische Wirkung auf die Natur auszuüben.

Auch ein höheres Bemühen durch das Mental verändert dieses Gleichgewicht der Kräfte nicht. Denn es ist die Tendenz des spiritualisierten Mentals, immer höher zu kommen. Da aber das Mental jenseits seiner selbst den Halt an Formen verliert, tritt es in eine unermeßliche formlose und gestaltlose Apersonalität ein. Es gewahrt das unwandelbare Selbst, den schieren Geist, die reine Leere eines wesenhaften Seins, das gestaltlose Unendliche und das namenlose Absolute. Auf diese höchste Höhe können wir unmittelbar gelangen, wenn wir von Anfang an direkt hinausstreben in ein Jenseits von allen Formen und Figuren, allen Vorstellungen von gut oder böse, wahr oder falsch, schön oder unschön, hin zu Jenem, das über allen Dualitäten steht, hin zur Erfahrung eines höchsten Einsseins, einer Unendlichkeit, Ewigkeit oder anderen unaussprechlichen Veredelung all dessen, was für das Mental der letzte und äußerste Begriff von Selbst und Geist ist. Da wird ein spiritualisiertes Bewußtsein erlangt. Das Leben fällt in die Stille zurück. Der Körper hört auf mit seinen Bedürfnissen und Ansprüchen. Die Seele taucht ein in das spirituelle Schweigen. Aber diese Transformation mittels des Mentals verschafft uns keine vollständige Transformation. Die psychische Umwandlung wird durch spirituelle Veränderungen auf den seltenen und höchsten Gipfeln ersetzt. Doch das ist nicht die vollständige göttliche Dynamisierung der Natur.

Ein zweiter Versuch der Seele, zum unmittelbaren Kontakt mit der Wirklichkeit zu gelangen, geschieht durch das Herz. Das ist ihr eigener, näherer und rascher Weg, denn ihr geheimer Sitz ist dort, gerade hinter dem Herzzentrum, in naher Berührung mit dem emotionalen Wesen in uns. Infolgedessen kann sie am Anfang am besten mit ihrer ursprünglichen Macht durch die Gefühle, mit ihrer lebendigen Kraft konkreter Erfahrung wirken. Die Annäherung geschieht durch Liebe und Verehrung des All-Schönen und All-Wonnevollen, des All-Guten, des Wahren, der spirituellen Wirklichkeit von Liebe. Die ästhetischen und emotionalen Seiten in uns vereinigen sich, um Jenem, das sie verehren, die Seele, das Leben, die ganze Natur darzubringen. Durch Anbetung kann man sich Jenem nur dann mit aller Kraft und ganzem Ungestüm nahen, wenn das Mental über die Apersonalität hinausgeht und eines erhabenen Personalen Wesens gewahr wird. Dann wird alles intensiv, lebhaft, konkret. Des Herzens Empfinden und Fühlen, seine spiritualisierten Sinne steigern sich bis zu ihrem Absoluten. Möglich, ja gebieterisch wird die völlige Selbst-Hingabe. Im überströmenden Gefühl des Jüngers, des Liebenden, bhakta, tritt der werdende spirituelle Mensch in Erscheinung. Wird er zudem noch unmittelbar seiner Seele und ihrer Gebote bewußt, eint er seine emotionale mit seiner psychischen Persönlichkeit, wandelt er sein Leben und seine vitalen Seiten um durch Reinheit, Gott-Ekstase, Liebe zu Gott, zu den Menschen und zu allen Geschöpfen, in einer Verkörperung von spiritueller Schönheit, erfüllt vom göttlichen Licht und dem Guten, dann entwickelt er sich zum Heiligen. Nun erlangt er die höchste innere Erfahrung und die bedeutendste Verwandlung seiner Natur, die diesem Weg entspricht, sich dem Göttlichen Wesen zu nahen. Im Blick auf das Ziel vollständiger Transformation ist aber auch das nicht genug. Es muß noch eine Umwandlung des denkenden Mentals und aller vitalen und psychischen Seiten unseres Bewußtseins in ihr eigenes Wesen kommen.

Diese umfassendere Umwandlung kann zum Teil dadurch erreicht werden, daß wir den Erfahrungen des Herzens die völlige Hingabe unseres pragmatischen Willens hinzufügen. Das muß zur Einwilligung der dynamischen Seite in uns führen – sonst kann es nicht wirksam werden –, die die mentale Dynamik unterstützt und das erste Instrument unseres Wirkens nach außen ist. Diese Überantwortung des Wollens im Wirken schreitet in dem Maße fort, wie der Ich-Wille und seine Antriebs-Macht des Begehrens stufenweise ausgeschaltet wird. Das Ich unterwirft sich einem höheren Gesetz und schaltet sich zuletzt ganz aus. Es scheint nicht mehr zu existieren, oder es existiert nur noch, um einer höheren Macht oder einer höheren Wahrheit zu dienen oder sein Wollen und Wirken dem Göttlichen Wesen als dessen Werkzeug anzubieten. Das Gesetz von Wesen und Wirken oder das Licht der Wahrheit, das nun den Suchenden führt, mag eine Klarheit oder eine Macht oder ein Prinzip sein, die er auf der höchsten für das Mental erreichbaren Höhe wahrnimmt. Oder es mag eine Wahrheit des göttlichen Willens sein, den er als gegenwärtig und in seinem Innern wirksam fühlt, der ihn durch sein Licht oder durch eine Stimme, eine Kraft, eine Göttliche Person oder eine Gegenwart führt. Am Ende dieses Weges erlangt man schließlich ein Bewußtsein, in dem man fühlt, wie die Kraft oder Gegenwart im Innern wirkt und alle Handlungen bewegt oder lenkt. Der personale Wille ist diesem größeren Wahrheits-Willen, der Wahrheits-Macht oder Wahrheits-Gegenwart völlig überantwortet oder mit ihr identifiziert. Eine Kombination aller drei Methoden, sich durch Mental, Willen und Herz dem Höchsten zu nahen, bewirkt einen psychischen oder spirituellen Zustand unseres Wesens und unserer Natur nach außen hin, in dem wir ein umfassenderes und komplexes Offensein gegenüber dem psychischen Licht in unserem Innern und dem spirituellen Selbst, ishvara, und der Wirklichkeit haben, die wir jetzt über uns fühlen und die uns umhüllt und durchdringt. In der Natur kommt es zu einer machtvolleren und vielseitigen Umwandlung, zu einem spirituellen Aufbau, zum schöpferischen Wirken des Selbsts, zum Hervortreten einer Vollkommenheit, die den Heiligen, den selbstlosen Arbeiter und den Menschen des spirituellen Wissens miteinander vereint.

Damit diese Umwandlung aber ihre weiteste Vollständigkeit und ganze Tiefe erlangen kann, muß das Bewußtsein seine Mitte, seine statische und dynamische Position von der Außenseite in das innere Wesen verlegen. Hier müssen wir die Grundlage für unser Denken, Leben und Handeln finden. Kommt es doch zu keiner ausreichenden Transformation, wenn wir draußen in unserer vordergründigen Person verbleiben und vom inneren Wesen her nur Anregungen empfangen und befolgen. Man muß aufhören, die Persönlichkeit der Außenseite zu sein; man soll zur inneren Person, zum purusha werden. Das ist aber aus zwei Gründen schwierig. Erstens weil die äußere Natur dieser Bewegung Widerstand entgegenstellt und sich an ihr normales gewohntes Kräfte-Verhältnis und an die veräußerlichte Art des Daseins klammert. Zweitens weil es ein langer Weg von der Außenseite in die Tiefen ist, in denen sich das psychische Wesen vor uns verhüllt und dieser Zwischenraum von der subliminalen Natur und ihren Bewegungen erfüllt ist, die keineswegs alle unser völliges Eindringen in das Innere begünstigen. Die äußere Natur muß sich einer Umwandlung ihres bisherigen Kräfte-Ausgleichs unterziehen. Sie muß ihre Substanz und Energie stillegen, läutern und in etwas Feineres verwandeln, wodurch die vielen Widerstände in ihr seltener werden, entfallen oder sonstwie verschwinden. Dann wird es möglich, durch sie hindurch in die Tiefen unseres Wesens einzudringen. Von den so gewonnenen Tiefen her kann ein neues Bewußtsein gebildet werden, das sowohl hinter dem äußeren Selbst wie in ihm wirkt und die Tiefen mit der Oberfläche vereinigt. In uns muß ein Bewußtsein emporwachsen oder sich offenbaren, das immer mehr aufgeschlossen ist für das tiefere und höhere Wesen; das empfänglicher wird für das kosmische Selbst, für seine Macht und für alles, was aus der Transzendenz herabkommt; das sich hinwendet zu einem höheren Frieden, durchlässig wird für mehr Licht, Kraft und Entzücken, ein Bewußtsein, das über die kleine Persönlichkeit hinauswächst und das begrenzte Licht und die begrenzte Erfahrung des vordergründigen Mentals, die beschränkte Stärke und Sehnsucht des Lebens-Bewußtseins und die dunkle und begrenzte Reaktions-Fähigkeit des Körpers übertrifft.

Aber schon bevor diese beruhigende Läuterung der äußeren Natur wirksam oder ausreichend wurde, kann man durch die Gewalt von Anrufung und Erstreben, durch stürmischen Willen, gewaltige Anstrengung, wirkungsstarke Selbstzucht oder einen Denkvorgang die Wand niederbrechen, die unser inneres Wesen gegen unser äußeres Bewußtsein abschirmt. Diese Bewegung mag aber unzeitig früh unternommen werden und ist dann nicht ohne ernstliche Gefahren. Wenn man in den inneren Bereich eindringt, kann man sich mitten in einem Chaos übernormaler Erfahrungen finden, mit denen man nicht vertraut ist und zu deren Verständnis man keinen Schlüssel besitzt. Oder der Druck subliminaler oder kosmischer Kräfte, die unterbewußt, mental, vital, subtil-physisch sind, kann das Wesen übermäßig beeinflussen und hin- und hertreiben. Sie können es in einer Höhle mit Finsternis umgeben, in einer Wüste von Verzauberung, Verführung und Trug herumirren lassen oder auch in ein düsteres Schlachtfeld stoßen, das voll ist von verborgenen, verräterischen und irreführenden oder offen gewalttätig auftretenden Widersachern. Vor den inneren Sinnen, dem Schauen und Hören, mögen Wesen, Stimmen und Einflüsse erscheinen, die von sich behaupten, sie seien das Göttliche Wesen, seine Boten oder Mächte und Gottheiten des Lichts oder Führer auf dem Pfad zur Verwirklichung. In Wahrheit sind sie aber von ganz anderer Art. Ist zu viel Ichhaftigkeit in der Natur des Suchenden, eine starke Leidenschaft, übermächtiger Ehrgeiz, Eitelkeit oder eine andere ihn beherrschende Schwäche, oder ist sein Mental unklar, sein Wille schwankend, seine Lebenskraft schwach, ist er haltlos und unausgeglichen, dann wird er wahrscheinlich an diesen Schwächepunkten angegriffen: Er soll frustriert werden, abirren vom rechten Weg inneren Lebens und Suchen, auf falsche Pfade gelenkt werden oder auf den Irrwegen im Chaos seiner Erfahrungen im Zwischenbereich im Stich gelassen werden und den Ausweg in die wahre Verwirklichung verfehlen. Diese Gefahren waren der vergangenen spirituellen Erfahrung wohl bekannt. Man trat ihnen entgegen, indem man auf die Notwendigkeit von Initiation, Disziplin, Methoden der Läuterung, auf den Test durch das Gottes-Urteil drängte. Man mußte sich ganz den Weisungen dessen unterwerfen, der den Pfad gefunden hatte und ihn führte, der die Wahrheit erkannt hatte und sie selbst besitzt, der das Licht, die Erfahrung übermitteln kann, eines Führers, der stark genug ist, den Suchenden bei der Hand zu nehmen und über schwierige Übergänge hinwegzuführen wie auch den Weg zu lehren und auf ihn hinzuweisen. Trotzdem werden die Gefahren weiterbestehen. Wir können sie nur überwinden, wenn in uns völlige Aufrichtigkeit wächst, der Wille zur Läuterung, die Bereitschaft, der Wahrheit zu gehorchen, sich dem Höchsten völlig zu übergeben und das einengende und sich behauptende Ich aufzugeben oder einem göttlichen Joch zu unterwerfen. Diese Dinge sind ein Zeichen dafür, daß der wahre Wille zur Verwirklichung, zur Umwandlung des Bewußtseins und zur Transformation erlangt worden ist. In einer solchen Verfassung können die Mängel der Natur, die zum menschlichen Wesen gehören, kein dauerndes Hindernis gegen die Umwandlung vom mentalen in den spirituellen Zustand sein. Der Prozeß mag nie ganz leicht sein. Doch ist der Weg nun erschlossen und gangbar gemacht worden.

Eine oft angewandte wirkungsvolle Methode, das Eindringen in unser inneres Selbst zu erleichtern, ist die Trennung des purusha, des bewußten Wesens, von prakriti, der geformten Natur. Wenn man so vom Mental und seinen Wirkweisen zurücktritt, daß sie nach Belieben stille werden oder nur als äußere Bewegung weitergehen, deren gleichgültiger und uninteressierter Beobachter man ist, kann man schließlich erkennen, daß man das innere Selbst des Mentals, das wahre und reine mentale Wesen, der purusha ist. Tritt man in ähnlicher Weise hinter die Wirkweisen des Lebens zurück, kann man sich als das innere Selbst des Lebens, als das wahre und reine vitale Wesen, als den purusha, erkennen. Es gibt sogar ein Selbst des Körpers, dessen wir bewußt werden können als eines wahren und reinen physischen Wesens, purusha, wenn wir hinter den Körper mit seinen Forderungen und Aktivitäten zurücktreten, in das Schweigen des physischen Bewußtseins eingehen und das Wirken seiner Energie beobachten. Tritt man nacheinander oder gleichzeitig von allem Wirken der Natur zurück, wird es auch möglich, die Wirklichkeit seines inneren Wesens als das schweigende apersonale Selbst wahrzunehmen, als den Zeugen purusha. Das wird zur spirituellen Erkenntnis und Befreiung führen, aber nicht notwendig auch eine Transformation zustandebringen. Denn der purusha kann nun, zufrieden damit, frei und er selbst zu sein, die Natur, prakriti, verlassen, um ihre angehäufte Antriebskraft auszuschöpfen, indem er ihr Wirken nicht mehr unterstützt und ihre mechanische Fortdauer nicht mehr durch seine Zustimmung erneuert, verstärkt, lebendig erhält und verlängert. Er kann diese Zurückweisung als Mittel verwenden, um sich völlig aus aller Natur zurückzuziehen. Der purusha muß nicht nur der Beobachter werden, sondern der Wissende, der Ursprung, der Meister über alles Denken und Handeln. Das kann aber nur teilweise geschehen, solange man auf der mentalen Ebene verbleibt oder noch die gewöhnliche Instrumentation von Mental, Leben und Körper zu verwenden hat. Gewiß kann man eine gewisse Meisterschaft erreichen, Meisterschaft ist aber noch keine Transformation. Die bisher erreichte Umwandlung kann nicht ausreichen, um vollständig zu sein: Dazu ist wesentlich, daß wir ganz zurücktreten, hinter das Mental-Wesen, das Lebens-Wesen, das Körper-Wesen, noch tiefer nach innen zur psychischen Wesenheit eindringen, die zuinnerst und am tiefsten in uns ist, oder auch, daß wir uns für die überbewußten höchsten Ebenen öffnen. Um in die leuchtende Krypta der Seele eintreten zu können, muß man durch den ganzen sich eindrängenden vitalen Stoff bis zum psychischen Zentrum in uns vordringen, wie lang, mühsam und schwierig auch dieser Prozeß sein mag. Eine nützliche Hilfe für diesen schweren Übergang ist die Methode: Abstandnehmen von der Bedrängnis durch alle mentalen, vitalen und physischen Ansprüche, Forderungen und Antriebe; Konzentration im Herzen; Askese der Selbst-Läuterung und Zurückweisung der alten Regungen des Mentals und des Vitals; Verwerfen des Ichs unseres Begehrens und Ablegen der falschen Bedürfnisse und Gewohnheiten. Die wirksamste, zentralste Methode aber ist, daß wir diese oder andere Maßnahmen auf eine Selbst-Darbringung gründen, auf eine Überantwortung unseres Selbsts und aller Schichten unseres Wesens an das Göttliche Wesen, an den ishvara. Normal und notwendig ist es auch für alle, mit Ausnahme von einigen besonders begabten Suchern, daß sie der weisen und intuitiven Lenkung durch einen Führer gehorchen.

Zerspringt dann die Verkrustung der äußeren Natur, fallen die Wände der inneren Abtrennung, dann bricht das innere Licht durch; das innere Feuer brennt im Herzen; die Substanz der Natur und der Stoff des Bewußtseins verfeinern sich zu größerer Subtilität und Reinheit; die tieferen psychischen Erfahrungen, solche, die nicht allein von innerer mentaler oder innerer vitaler Art sind, werden in dieser subtileren, reineren und feineren Substanz möglich. Die Seele beginnt, sich zu enthüllen; die psychische Personalität erlangt ihre volle Gestalt. Nun offenbart sich die Seele, die psychische Wesenheit, als das zentrale Seiende, das Mental, Leben und Körper samt allen anderen Mächten und Funktionen des Geistes trägt und erhält. Sie übernimmt ihre höhere Funktion, die Natur zu führen und zu beherrschen. Eine Lenkung und Regierung von innen fängt an, die jede Regung unter das Licht der Wahrheit stellt, alles zurückweist, was falsch und dunkel ist, was sich der göttlichen Verwirklichung widersetzt. Jeder Bereich des Wesens, jeder Winkel, jede Ecke wird mit dem irrtumsfreien psychischen Licht aufgehellt, jede Bewegung, Gestaltung, Richtung, Neigung von Denken und Wollen, Gefühl und Empfindung, Wirkung und Gegenwirkung, Motiv und Planung, Neigung und Begehren, Gewohnheit des bewußten oder unbewußten Physischen, selbst das, was am meisten verborgen, getarnt, stumm und entlegen ist. Ihre Verwirrungen werden zerstreut, ihre Verstrickungen aufgelöst, ihre Unklarheiten, Täuschungen und Selbst-Täuschungen genau aufgezeigt und beseitigt. Alles wird geläutert und in Ordnung gebracht; die ganze Natur wird harmonisiert, auf die psychische Note abgestimmt und spirituell geordnet. Dieser Prozeß mag je nach der noch in der Natur übrig gebliebenen Finsternis und Widersetzlichkeit rasch oder langsam verlaufen. Es geht aber unbeirrbar weiter, solange er noch nicht vollständig ist. Als endgültiges Ergebnis wird das ganze bewußte Wesen ganz und gar dazu befähigt, spirituelle Erfahrungen aller Art zu machen. Es wird hingelenkt zur spirituellen Wahrheit von Denken, Fühlen, Empfinden und Handeln. Es wird auf die richtigen Reaktionen eingestimmt, befreit von der Dunkelheit und Sturheit des trägen tamas, vom Trubel, den Verwirrungen und unreinen Leidenschaften von rajas mit seiner ruhelosen, unharmonischen Dynamik, von den erleuchteten Starrheiten und Engstirnigkeiten von sattva oder von den unausgeglichenen Kräfteverhältnissen eines nur konstruierten Gleichgewichts, die für die Unwissenheit charakteristisch sind.

Das ist das erste Ergebnis. Das zweite ist ein freies Einströmen aller Arten von spiritueller Erfahrung: Erfahrungen des Selbsts, Erfahrungen des ishvara und der Göttlichen shakti, Erfahrungen des kosmischen Bewußtseins, unmittelbare Berührung mit den kosmischen Kräften und mit den geheimen Bewegungen der universalen Natur, seelisches Mitfühlen und Einheit, innere Kommunikation und vielfacher Austausch aller Art mit den anderen Wesen und mit der Natur, Erleuchtungen des Mentals durch das Wissen, Erleuchtungen des Herzens durch Liebe, fromme Hingabe, spirituelle Freude und Ekstase, Erleuchtungen der Sinne und des Körpers durch höhere Erfahrung, Erleuchtungen dynamischen Handelns in der Wahrheit und umfassenden Weite eines geläuterten Mentals, Herzens und der Seele, die Gewißheiten des göttlichen Lichts und der Führung, die Freude und Macht der göttlichen Kraft, die im Willen und in der Lebensführung wirkt. Diese Erfahrungen kommen, weil sich das innere und innerste Wesen und seine Natur nach außen hin öffnen. Denn nun tritt die Seelen-Macht eines nie irrenden ursprünglichen inneren Bewußtseins in das Kräftespiel ein, seine Schau, seine Einwirkung auf die Dinge, was jeder anderen mentalen Erkenntnis überlegen ist. Dort gibt es, dem psychischen Bewußtsein in seinem reinen Wirken eingeboren, ein unmittelbares Empfinden der Welt und ihrer Wesen, direkten Kontakt mit ihnen, unmittelbare Berührung mit dem Selbst und mit dem Göttlichen Wesen, ein unmittelbares Wissen und Schauen der Wahrheit und aller Wahrheiten, ein ohne Vermittlung eindringendes spirituelles Empfinden und Fühlen, direkte Intuition des rechten Willens und rechten Handelns, eine Macht, zu regieren und eine Ordnung des Seienden zu schaffen, ohne daß das vordergründige Selbst danach zu suchen braucht, vielmehr von innen her, aus der inneren Wahrheit des Selbsts und der Dinge und aus den geheimen Wirklichkeiten der Natur.

Manche dieser Erfahrungen können schon durch ein Sich-Öffnen des inneren Mentals und vitalen Wesens eintreten, durch das innere und umfassendere, subtile Mental, das Herz und das Leben in uns, ohne daß die Seele, die psychische Wesenheit, voll hervortritt, da auch dort die Macht zu einem unmittelbaren Kontakt des Bewußtseins vorhanden ist. Die Erfahrung könnte aber dann von vermischter Art sein. Denn es könnte dabei nicht nur das subliminale Wissen, sondern auch die subliminale Unwissenheit hervortreten. Leicht könnte es dabei zu einer ungenügenden Ausweitung des Wesens kommen, zu einer Begrenzung durch eine mentale Idee, durch ein zu enges und auswählendes Gefühl oder durch die Form des Temperaments, so daß nur ein unvollkommenes Erschaffen und Wirken des Selbsts zustande käme und nicht das freie Hervortreten der Seele. Kommt aber das psychische Wesen nicht oder nicht vollständig in den Vordergrund, könnten gewisse Erfahrungen, solche höheren Wissens und einer größeren Kraft, sowie ein Überschreiten der gewöhnlichen Grenzen zu einem aufgeblähten Ich führen. Sie würden dann statt des Aufblühens dessen, was göttlich und spirituell ist, einen Ausbruch des Titanischen oder Dämonischen hervorrufen. Sie könnten auch Organisationen oder Mächte herbeirufen, die, wenn auch nicht verhängnisvoller, so doch von machtvoller, aber niederer kosmischer Art sind. Regiert und lenkt jedoch die Seele, bringt sie in alle Erfahrungen die Tendenz von Licht, Einbeziehung, Harmonie, Rechtschaffenheit, wie sie der psychischen Wesenheit eigen ist. Eine psychische oder, in weiterem Sinn, psychisch-spirituelle Transformation dieser Art wäre bereits eine gewaltige Umwandlung unserer mentalen menschlichen Natur.

Aber diese ganze Umwandlung und Erfahrung würde sich, auch wenn sie in Wesen und Art psychisch und spirituell ist, doch hinsichtlich ihrer Einwirkung auf das Leben noch auf der mentalen, vitalen und physischen Ebene vollziehen. Ihr dynamisches Ergebnis26 wäre ein Aufblühen der Seele in Mental, Vital und Körper. In Handeln und Form wäre sie aber, wenn auch umfassender, emporgehoben und verfeinert, in den Grenzen einer niederen Instrumentation eingeengt. Sie wäre ein Spiegelbild, eine abgewandelte Manifestation der Dinge, deren volle Wirklichkeit, Intensität, Weite, Einheit und Verschiedenheit an Wahrheit, Macht und Seligkeit höher sind als wir, höher als das Mental, darum auch höher als jede Vollkommenheit in den eigenen Gestaltungen des Mentals, der Grundlagen oder des Überbaus unserer gegenwärtigen Natur. In die psychische oder psychisch-spirituelle Umwandlung muß eine höchste spirituelle Transformation eingreifen. Die psychische Bewegung nach innen zum inneren Wesen hin, zum Selbst und zur Göttlichkeit in uns muß dadurch vervollständigt werden, daß wir uns nach oben zu einem erhabenen spirituellen Zustand hin oder einem höheren Sein öffnen. Wir können das tun, indem wir uns in das, was über uns ist, aufschließen, indem sich das Bewußtsein in die Bereiche der übermentalen und supramentalen Natur erhebt, in denen das Empfinden für das Selbst und den Geist unverhüllt und beständig vorhanden ist. In ihnen wird die selbst-erleuchtete Instrumentation des Selbsts und des Geistes nicht eingeschränkt und zerteilt wie in unserer Mental–, Lebens- und Körper-Natur. Auch das macht die psychische Umwandlung möglich. Wie sie uns öffnet für das kosmische Bewußtsein, das jetzt noch durch viele Wände der begrenzenden Individualität vor uns verborgen ist, so macht sie uns auch den Zugang frei zu dem, was unserer normalen Art jetzt noch überbewußt ist, da es durch den starken, festen, hellen Verschluß des Mentals vor uns verborgen ist – des Mentals, das begrenzt, zerteilt, sondert. Dieser Verschluß wird dünner, spaltet sich und zerbricht, oder er öffnet sich und verschwindet unter dem Druck der psychisch-spirituellen Umwandlung und durch das natürliche Drängen des neuen spiritualisierten Bewußtseins zu dem hin, das es hier ausdrückt. Dieses Bewirken einer Öffnung mit ihren Konsequenzen könnte aber gar nicht stattfinden, käme es nur zu einem teilweisen psychischen Hervortreten, das mit der Erfahrung der Göttlichen Wirklichkeit innerhalb der normalen Grade des spiritualisierten Mentals zufrieden ist. Wenn jedoch das Bewußtsein irgendwie zur Erfahrung des Daseins dieser höheren übernormalen Ebenen wach geworden ist, kann ein Verlangen nach ihnen den Verschluß brechen oder einen Spalt weit öffnen. Das kann lange vorher stattfinden, bevor die psychisch-spirituelle Umwandlung vollständig ist, oder auch bevor sie anfing oder weit fortschritt, weil die psychische Persönlichkeit die Überbewußtheit wahrnahm und sich nun eifrig auf sie konzentriert. Als Ergebnis des Strebens danach oder einer inneren Bereitschaft dafür kann es zu früher Erleuchtung von oben oder dazu kommen, daß dieses obere Membran zerreißt. Das kann auch eintreten, ohne daß man danach verlangt oder ohne daß es durch einen bewußten Teil des Mentals herbeigerufen wurde, vielleicht durch eine geheime subliminale Notwendigkeit oder durch Einwirkung und Druck von den höheren Ebenen her, durch etwas, das wir als Berührung durch das Göttliche Wesen, als Berührung des Geistes fühlen, – und dessen Resultate können außerordentlich machtvoll sein. Wenn es durch vorzeitiges Drängen von unten bewirkt wurde, können dabei Schwierigkeiten und Gefahren auftreten, die fehlen, wenn das psychische Wesen hervortritt, bevor wir Zutritt bekommen zu den höheren Bereichen unserer spirituellen Evolution. Die Entscheidung darüber liegt nicht immer bei unserem Willen. Denn die Vorgänge der spirituellen Evolution in uns sind sehr unterschiedlich. Je nach der Richtung, in der sie verläuft, wird auch die Wendung sein, die in jeder kritischen Phase von der Bewußtseins-Kraft bei ihrem Drängen nach höherer Selbst-Offenbarung und Gestaltung unseres Daseins eingeschlagen wird.

Wenn sich der Spalt im Verschluß des Mentals öffnet, offenbart sich unserer Schau etwas, das über uns ist, oder wir erheben uns zu diesem, oder seine Mächte kommen in unser Wesen herab. Bei dieser Schau sehen wir über uns eine Unendlichkeit, eine ewige Gegenwart oder ein unendliches Sein, eine Unendlichkeit von Bewußtsein, eine Unendlichkeit von Seligkeit, – ein grenzenloses Selbst, ein grenzenloses Licht, eine grenzenlose Macht, ein grenzenloses Entzücken. Vielleicht ist auf lange Zeit alles, was erreicht wird, deren gelegentliche, häufige oder ständige Schau und eine Sehnsucht, ein Streben danach. Man kommt aber nicht weiter, weil sich zwar Mental, Herz oder eine andere Seite des Wesens für diese Erfahrung geöffnet hat, die niedere Natur jedoch als Ganzes noch zu schwer und unklar ist für weiteres. Statt dieses ersten umfassenden Gewahrwerdens von unten her, oder als Folge davon, kann es aber zu einem Aufschwung des Mentals zu Höhen über ihm kommen. Vielleicht erkennen wir die Art dieser Höhen noch nicht, können wir sie noch nicht klar unterscheiden, doch macht sich eine gewisse Auswirkung dieses Aufstiegs fühlbar. Oft werden wir auch eines unendlichen Emporkommens und einer Rückkehr bewußt, doch bleibt uns keine unmittelbare Erinnerung, keine Übertragung dieses höheren Zustands. Denn das alles ist für das Mental überbewußt. Wenn sich dieses dorthin erhebt, ist es zuerst nicht fähig, hier sein Vermögen bewußter Unterscheidung und definierender Erfahrung zu behalten. Wenn diese Macht aber allmählich erwacht und wirkt und das Mental stufenweise in dem bewußt wird, was für es überbewußt war, beginnt die Erkenntnis und Erfahrung der höheren Ebenen des Seins. Diese Erfahrung steht im Einklang mit dem, was uns durch die erste Öffnung unseres inneren Schauens eingebracht wird: Das Mental erhebt sich in eine höhere Ebene des reinen Selbsts. Es wird schweigend, ruhig, unbegrenzbar. Oder es steigt weiter empor in Regionen von Licht oder Glückseligkeit oder in Ebenen, wo es eine unendliche Macht oder eine Göttliche Gegenwart fühlt. Oder es erfährt die Berührung durch die Göttliche Liebe und Schönheit, die Atmosphäre eines umfassenderen, größeren und erleuchteteren Wissens. Bei der Rückkehr bleibt der spirituelle Eindruck bestehen. Nur die mentale Wiedergabe davon ist oft verzerrt und bleibt als eine nur vage oder bruchstückhafte Erinnerung. Das niedere Bewußtsein, von dem der Aufschwung ausging, fällt in das zurück, was es vorher war, wozu nur noch eine ungenaue, oder nur eine erinnerte, aber nicht mehr dynamische Erfahrung hinzukommt. Im Lauf der Zeit können wir diesen Aufstieg nach Belieben machen; das Bewußtsein bringt dann zurück oder behält eine Nachwirkung oder sonst einen Gewinn von seinem zeitweiligen Aufenthalt in diesen höheren Gefilden des Geistes. Bei vielen finden diese Erlebnisse des Aufschwungs in Trance statt. Sie sind aber sehr wohl in einer Konzentration des wachen Bewußtseins möglich oder wenn dieses Bewußtsein genügend seelisch geworden ist, auch in jedem Augenblick ohne besondere Konzentration, wenn wir von jenen Höhen angezogen werden oder uns zu ihnen hinwenden. Wenn diese beiden Arten einer Berührung mit dem Überbewußten auch stark erleuchtend, ekstatisch oder befreiend sein mögen, sind sie doch an sich noch nicht ausreichend wirksam. Wenn es zur vollen spirituellen Transformation kommen soll, ist mehr notwendig: ein dauernder Aufstieg aus dem niederen in das höhere Bewußtsein und ein wirkungsstarkes dauerndes Herabkommen der höheren Natur in die niedere.

Das ist die dritte Bewegung, die Herabkunft, die wesentlich ist, um den ständigen Aufstieg, ein zunehmendes Einströmen von oben her und die Erfahrung zu bewirken, daß wir den herabkommenden Geist oder seine Möglichkeiten und Elemente von Bewußtsein in uns aufnehmen und festhalten können. Zu dieser Erfahrung der Herabkunft kann es im Ergebnis der beiden anderen Bewegungen kommen. Bevor eine von diesen stattfand, kann sie auch automatisch dadurch eintreten, daß sich in jenem Verschluß ein Spalt auftat und ein Herabströmen oder Einfließen erfolgte. Ein Licht kommt von oben, berührt, umhüllt oder durchdringt das niedere Wesen, das Mental, das Leben und den Körper. Oder eine Gegenwart, eine Kraft oder ein Strom von Wissen ergießt sich in Wogen oder Fluten. Oder eine Seligkeit oder ein plötzliches Entzücken strahlt herab. Nun ist der Kontakt mit dem Überbewußten hergestellt. Denn solche Erfahrungen wiederholen sich, bis sie normal und vertraut sind und klar verstanden werden. Sie offenbaren ihre Inhalte und ihre Bedeutung, die zumeist durch die die Erfahrung verhüllende Form dem Geheimnis involviert und verborgen gewesen sein mögen. Denn ein Wissen von oben beginnt, häufig, ständig, dann ununterbrochen herabzukommen und sich in der Stille oder im Schweigen des Mentals zu manifestieren. In das Wesen treten Intuitionen und Inspirationen ein, Offenbarungen, die aus größerer Schau, höherer Wahrheit und Weisheit geboren sind. Es wirkt eine lichtvolle intuitive Unterscheidung, die alle Dunkelheit des Verstandes, die blendenden Verwirrungen zerstreut und alles in Ordnung bringt. Ein neues Bewußtsein beginnt, sich zu formen: das Mental einer hohen, weiten, im Selbst gegründeten Erkenntnis, oder ein erleuchtetes intuitives oder ein übermentales Bewußtsein mit neuen Kräften des Denkens und Schauens; ein größeres Vermögen unmittelbarer spiritueller Verwirklichung, die mehr ist als Denken und Schauen, ein höheres Werden in der spirituellen Substanz unseres gegenwärtigen Wesens. Herz und Sinne werden verfeinert, vertieft, geweitet, um alles Sein zu umfassen; Gott zu schauen, das Ewige zu fühlen, zu hören, zu berühren, eine tiefere und innigere Einung des Selbsts mit der Welt in einer transzendenten Verwirklichung zu vollziehen. Andere entscheidende Erfahrungen, andere Umwandlungen des Bewußtseins veranlassen sich selbst als Begleiterscheinungen und Folgen dieser fundamentalen Umwandlung. Dieser Revolution kann keine Grenze gesetzt werden, denn sie ist ihrer Natur nach ein Einbruch des Unendlichen.

Das ist der Verlauf der spirituellen Transformation, wie sie in kleinen Schritten oder in einer Aufeinanderfolge von großen und raschen endgültigen Erfahrungen bewirkt wird. Sie erreicht ihr Ziel und gipfelt in einem oft wiederholten Aufstieg des Bewußtseins, bei dem sich dieses zuletzt seinen Stand auf einer höheren Ebene sichert und von da aus auf das Mental, das Leben und den Körper herabschaut und sie regiert. Sie vollendet sich schließlich auch darin, daß die Mächte des höheren Bewußtseins und Wissens immer mehr herniederkommen und zu unserem normalen Bewußtsein und Wissen werden. Licht und Macht, Wissen und Kraft werden fühlbar, die zuerst Besitz vom Mental ergreifen und es umprägen. Dann nehmen sie unsere Lebens-Schichten und formen sie neu. Schließlich ergreifen sie das kleine physische Bewußtsein, lassen es nicht länger klein, sondern machen es weit, bildsam, ja unendlich. Denn dieses neue Bewußtsein ist selbst seiner Natur nach Unendlichkeit: Es bringt uns die bleibende spirituelle Empfindung und Kenntnis des Unendlichen und Ewigen, die umfassende Weite der Natur und das Niederreißen ihrer Begrenzungen. Unsterblichkeit bleibt nicht mehr ein Fürwahrhalten, eine nur innere Erfahrung, sondern wird zum normalen Gewahren des Selbsts. Greifbar und ständig ist nun in unserem Wesen die nahe Gegenwart des Göttlichen Wesens; seine Herrschaft über die Welt, über uns selbst und alle Seiten unserer Natur; seine Kraft, die in uns und überall wirkt; der Friede des Unendlichen und die Freude des Unendlichen. In allem Schauen, in allen Formen, sehen wir das Ewige, die Wirklichkeit; in allen Klängen hören wir sie; bei jeder Berührung fühlen wir sie. Es gibt nichts als nur seine Formen, Personalitäten und Manifestationen. Die Freude oder Verehrung des Herzens, das Umarmen alles Daseins, die Einheit des Geistes sind bleibende Wirklichkeiten. Das Bewußtsein des mentalen Geschöpfes wird – oder hat sich schon – ganz in das Bewußtsein des spirituellen Wesens verwandelt. Dies ist die zweite der drei Transformationen. Sie vereint das manifestierte Dasein mit dem, was über ihm ist. Das ist die mittlere der drei Stufen, der entscheidende Übergang der sich spirituell entwickelnden Natur.

Hätte der Geist von Anfang an gesichert auf den oberen Höhen verbleiben und von da aus auf einen leeren und unberührten Stoff von Mental und Materie einwirken können, dann wäre eine vollständige spirituelle Transformation rasch, sogar leicht erfolgt. Der tatsächliche Prozeß der Natur ist aber schwieriger. Die Logik ihrer Bewegung ist vielfältiger, verdreht, gewunden, umfassend. Sie berücksichtigt alle Gegebenheiten der Aufgabe, die sie sich gestellt hat; sie ist nicht mit einem nur summarischen Triumph über ihre eigenen komplexen Vorgänge zufrieden. Jede Seite unseres Wesens muß der eigenen Natur, ihrem Charakter gemäß behandelt werden, wobei alles noch vorhanden ist, was die Vergangenheit ihr aufprägte und in sie einzeichnete. Jeder kleinste Teil, jede Bewegung, muß, wenn sie ungeeignet ist, zerstört und ersetzt, wenn sie dazu fähig ist, in die Wahrheit des höheren Wesens umgewandelt werden. Ist die psychische Umwandlung vollständig, kann dies durch einen schmerzlosen Prozeß getan werden, obwohl auch hier das Programm lang und sorgfältig und das Fortschreiten gut überlegt sein muß. Sonst muß man sich mit einem teilweisen Ergebnis zufriedengeben. Oder man muß, wenn das eigene eifrige Streben nach Vollkommenheit oder der Hunger des Geistes unersättlich ist, einem schwierigen, oft schmerzvollen und scheinbar endlosen Wirken zustimmen. Denn gewöhnlich hebt sich das Bewußtsein nur in den höchsten Augenblicken zu den Gipfeln empor. Es verbleibt auf der mentalen Ebene und nimmt dort das auf, was zu ihm von oben herabkommt. Manchmal ist es ein einzelnes Herabkommen einer spirituellen Macht, die verbleibt und das Wesen in etwas überwiegend Spirituelles umgestaltet; manchmal ist es eine Folge von Herabkünften, die einen immer höheren spirituellen Zustand und eine größere Dynamik in es herabbringen. Wenn man aber nicht auf der höchsten erreichten Höhe leben kann, kommt es nicht zur vollständigen oder integralen Umwandlung. Hat die psychische Mutation noch nicht stattgefunden und werden die höheren Kräfte vorzeitig herabgezogen, ist möglicherweise ihre Einwirkung zu stark für das brüchige und unreine Material der Natur. Sein unmittelbares Schicksal mag das des ungebrannten Krugs des Veda sein, der den göttlichen Soma-Wein nicht halten konnte. Oder das herabkommende Einströmen kann sich wieder zurückziehen; oder es kann verschüttet werden, da die Natur es nicht fassen oder festhalten kann. Ferner könnten, wenn es eine Macht ist, die herabkommt, das egoistische Mental oder Vital versuchen, sie für ihre eigenen Zwecke an sich zu reißen. Das unerwünschte Ergebnis könnte dann ein aufgeblähtes Ich oder ein Jagen nach Kräften oder nach Meisterschaften sein, die das Ich grandios machen sollen. Das herabkommende ananda kann nicht festgehalten werden, wenn zu viel sexuelle Unreinheit da ist, die eine vergiftende oder herunterziehende Wirkung ausübt. Die Macht zieht sich zurück, wenn Ehrgeiz, Eitelkeit oder eine andere aggressive Form des niederen Ichs vorherrschen; das Licht weicht, wenn ein Hang zum Obskuren oder zu irgendeiner Form der Unwissenheit besteht; die Gegenwart entschwindet, wenn die Kammer des Herzens nicht fein hergerichtet ist. Auch kann eine ungöttliche Kraft versuchen, zwar nicht die Macht selbst – denn diese zieht sich zurück – aber das Ergebnis der Macht, das sie in ihrem Werkzeug zurückließ, in ihre Gewalt zu bringen und für Zwecke des Widersachers zu verwenden. Selbst wenn es zu keinem dieser verhängnisvollen Fehler oder Irrtümer kommen sollte, können doch zahllose Unarten, in denen das Gefäß die Macht aufnimmt, oder dessen Unvollkommenheiten die Transformation behindern. Die Macht muß dann in Abständen kommen, inzwischen hinter dem Vorhang wirken oder sich für lange Zeiträume im Hintergrund halten, um sich im Verborgenen anzupassen oder die widerspenstigen Seiten der Natur vorzubereiten. Das Licht muß in der Dunkelheit oder im Halbdunkel auf die Bereiche in uns einwirken, die noch in der Nacht sind. Jeden Augenblick kann das Wirken in dieser Person für ihr jetziges Leben eingestellt werden, weil die Natur nicht mehr Licht aufnehmen oder sich assimilieren kann – denn sie hat die jetzigen Grenzen ihrer Aufnahmefähigkeit erreicht – oder weil zwar das Mental bereit sein mag, das Vital aber das Licht zurückweist, wenn es vor der Entscheidung zwischen dem alten und dem neuen Leben steht. Es könnte sich auch, wenn das Vital willig ist, der Körper als zu schwach, als ungeeignet oder mangelhaft erweisen für die notwendige Umwandlung seines Bewußtseins und für dessen kraftvolle Transformation.

Zudem zwingt die Notwendigkeit, daß das Bewußtsein die Umwandlung getrennt in jeder Schicht des Wesens, deren Art und Charakter entsprechend, auszuarbeiten hat, dieses, in jede nacheinander herabzukommen und dort im Einklang mit ihrem Zustand und ihrer Möglichkeit zu wirken. Würde diese Arbeit von oben, aus einer spirituellen Höhe herab, getan werden, dann könnte durch die reine Kraft des Einflusses von oben her eine Sublimierung, eine Erhöhung oder die Schaffung einer neuen Struktur erzwungen werden. Diese Umwandlung könnte aber vom niederen Wesen als ihm nicht wesensgemäß zurückgewiesen werden. Denn das wäre kein allumfassendes Wachsen, keine integrale Evolution, sondern eine nur partielle, aufgezwungene Gestaltung, die nur einzelne Seiten des Wesens berührt und befreit, andere aber unterdrückt oder in dem Zustand beläßt, in dem sie waren. Eine solche Schöpfung von außerhalb der normalen Natur, die dieser aufgezwungen wird, könnte in vollem Umfang nur so lange dauern, wie der schöpferische Einfluß aufrechterhalten wird. Ein Herabkommen von Bewußtsein in die niederen Bereiche ist also notwendig. Es ist aber in gewisser Weise auch schwierig, das volle Vermögen des höheren Prinzips zur Wirkung zu bringen. Es kommt zu einer Abwandlung, Verdünnung, Verminderung, die im Resultat Unvollkommenheit und Begrenzung fortdauern läßt. Zwar kommt das Licht des höheren Wissens herab, es wird aber verzerrt und verändert. Seine Bedeutung wird falsch ausgelegt; oder seine Wahrheit wird mit mentalem oder vitalem Irrtum vermischt; oder die Kraft, das Vermögen zur eigenen Erfüllung ist nicht gleich stark wie dieses Licht. Ein Licht und ein Vermögen des Übermentals, das in seinem eigenen uneingeschränkten Recht und in seiner eigenen Sphäre wirkt, ist eine Sache; muß aber dasselbe Licht in der Dunkelheit des physischen Bewußtseins und unter dessen Bedingungen wirken, ist das eine andere Sache. Infolge der Verdünnung und Vermischung ist es in seinem Wissen, seiner Kraft und seinen Ergebnissen viel minderwertiger. Die Folge ist eine verstümmelte Macht, eine nur partielle Wirkung und behinderte Bewegung.

Gerade das ist der Grund, warum die Bewußtseins-Kraft in der Natur nur so langsam und unter solchen Schwierigkeiten hervortritt. Denn Mental und Leben müssen in die Materie herabkommen und sich deren Bedingungen anpassen. Dort werden sie durch die dunkle und widerstrebende Trägheit von Stoff und Kraft, in denen sie wirken, verwandelt und herabgewertet. Sie können keine vollständige Umwandlung ihres Materials in ein geeignetes Werkzeug und einen verwandelten Stoff zustande bringen, der ihre wirkliche, ihre ureigene Macht offenbart. Das Lebens-Bewußtsein ist unfähig, im materiellen Dasein die Größe und das hohe Glück seiner mächtigen und schönen Impulse zu verwirklichen. Seine Schwungkraft versagt. Seine Kraft, Wirkungen hervorzubringen, ist geringer als die Wahrheit seiner ursprünglichen Absicht. Die Form betrügt die in ihr enthaltene Lebens-Intuition, die sie in Begriffe des Lebens-Wesens zu übertragen versucht. Das Mental kann seine hohen Ideen nicht ohne Abstriche und Kompromisse im Medium von Leben und Materie verwirklichen, die sie ihrer Göttlichkeit berauben. Seinen Klarheiten an Wissen und Wollen ist seine Kraft nicht gewachsen, diese niedere Substanz so zu prägen, daß sie ihm gehorcht und es zum Ausdruck bringt. Im Gegenteil, die eigenen Mächte werden heruntergewertet, sein Wille wird zerteilt, seine Erkenntnis wird durch die trübenden Wirbel des Lebens und das beschränkte Verständnis der Materie verwirrt und umwölkt. Weder dem Mental noch dem Leben gelingt es, das materielle Dasein umzuwandeln oder zu vervollkommnen, da sie unter diesen Bedingungen ihre eigene volle Kraft nicht erlangen können. Sie müssen eine höhere Macht herbeirufen, um sie zu befreien und zu vollenden. Aber die höheren spirituell-mentalen Kräfte verfallen demselben Unvermögen, wenn sie in Leben und Materie hinabkommen. Sie können zwar viel mehr tun, viele lichtvolle Umwandlung zustandebringen; aber Abwandlung, Begrenzung und Verschiedenheit zwischen dem Bewußtsein, das herabkommt, und der Kraft zur Verwirklichung, die es bei der Mentalisierung und Materialisierung einsetzen kann, bestehen weiter. Ihr Ergebnis ist eine abgeschwächte Schöpfung. Zwar ist die bewirkte Umwandlung oft etwas Außerordentliches; oft kommt es sogar zu etwas, das wie vollständige Umwandlung und Umkehr des Bewußtseins-Zustandes und wie innerer Auftrieb seiner Bewegungen aussieht. Sie ist aber nicht dynamisch unbeschränkt.

Nur das Supramental kann derart herabkommen, daß es seine volle Wirkungskraft nicht verliert. Denn sein Wirken ist immer wesentlich wahr und vom Selbst bestimmt. Sein Wissen und sein Wille sind identisch. Das Ergebnis ist entsprechend: Seine Natur ist zielsicheres Wahrheits-Bewußtsein. Begrenzt es sich selbst oder sein Wirken, so geschieht das durch eigene Entscheidung und Absicht, nicht unter Zwang. Innerhalb der selbst-gewählten Grenzen sind sein Wirken und die Ergebnisse seines Wirkens harmonisch und unvermeidlich. Andererseits ist das Übermental wie das Mental ein zerteilendes Prinzip. Seine charakteristische Wirkweise besteht darin, eine selektive Harmonie in einer unabhängigen Gestaltung auszuarbeiten. Tatsächlich befähigt sein globales Wirken es dazu, eine Harmonie zu schaffen, die in sich ganz und vollkommen ist, oder seine Harmonien zu vereinen, zu verschmelzen, eine Synthese herzustellen. Da es aber unter den Beschränkungen durch Mental, Leben und Materie arbeiten muß, ist es gezwungen, dies durch Aufteilen in Sektionen und deren Zusammenfügen zu leisten. Seine Neigung zur Ganzheit wird durch seine selektive Tendenz gehemmt, die noch besonders durch die Natur des mentalen und vitalen Materials verstärkt wird, in dem es hier wirkt. Deshalb kann es hier nur gesonderte, begrenzte spirituelle Schöpfungen hervorbringen, von denen jede in sich vollkommen ist. Es kann aber nicht das integrale Wissen und seine Manifestationen bewirken. Aus diesem Grund und weil sein ursprüngliches Licht und seine Macht herabgemindert sind, kann es nicht in vollem Maße das tun, was nötig ist. Es muß dazu eine höhere Macht, die supramentale Kraft, herbeirufen, um befreit und erfüllt zu werden. So wie die psychische Umwandlung das Spirituelle herbeirufen muß, um vollendet zu werden, so muß die erste spirituelle Umwandlung die supramentale Transformation herbeirufen, die sie vervollkommnet. Denn alle diese Stufen sind ebenso wie die, die ihnen vorausgingen, Übergangsstufen. Die ganze radikale Umwandlung in der Evolution von der Basis der Unwissenheit zur Basis des Wissens kann nur durch das Eingreifen der supramentalen Macht und durch ihr unmittelbares Einwirken auf das Erden-Dasein vollzogen werden.

Dies also muß die Art der dritten und endgültigen Transformation sein, die den Durchgang der Seele durch die Unwissenheit beendet und ihr Bewußtsein, ihr Leben, ihre Macht und die Form ihrer Manifestation auf die Grundlage einer vollständigen und voll wirksamen Selbst-Erkenntnis stellt. Sobald das Wahrheits-Bewußtsein die evolutionäre Natur dazu bereit findet, muß es in sie herabkommen und sie dazu befähigen, sich in das supramentale Prinzip zu befreien. So muß das supramentale und spirituelle Wesen als die erste unverhüllte Offenbarung der Wahrheit des Selbsts und des Geistes im materiellen Universum erschaffen werden.

Kapitel XXVI. Der Aufstieg zum Supramental

Meister des Wahrheits-Lichtes, die die Wahrheit wachsen lassen durch die Wahrheit.

Rig Veda, I.23. 5.

Drei Mächte der Rede, die das Licht vor sich hertragen... ein dreifaches Haus von Frieden, ein dreifacher Weg des Lichtes.

Rig Veda, VII. 101.1,2.

Vier andere Welten von Schönheit erschafft er als seine Gestalt, wenn er durch die Wahrheiten gewachsen ist.

Rig Veda, IX. 70.1.

Als ein Seher ist er geboren mit dem Mental der Unterscheidung; entsprossen der Wahrheit, eine Geburt tief innen im Geheimnis, halb emporgekommen in die Offenbarung.

Rig Veda, IX. 68. 5.

Im Besitz einer unermeßlichen inspirierten Weisheit, Schöpfer des Lichtes, bewußte All-Wissende, in der Wahrheit wachsend.

Rig Veda, X. 66.1.

Wir nahmen das höhere Licht jenseits der Finsternis wahr und kamen zur göttlichen Sonne im Innern der Gottheit, zu dem allerhöchsten Licht.

Rig Veda, I.50.10.

Die psychische Transformation und die ersten Stufen der spirituellen Transformation liegen noch gut innerhalb unseres Begreifens. Ihre Vollkommenheit wäre die Vollkommenheit, Ganzheit und höchste Einheit eines Wissens und einer Erfahrung, die schon zu den realisierten Dingen gehören, wenn auch nur bei einer kleinen Zahl menschlicher Wesen. Die supramentale Umwandlung bringt uns aber in ihrem Ablauf in weniger erforschte Regionen. Sie führt uns zu einer Schau von Bewußtseins-Höhen, die zwar schon flüchtig gesehen und besucht wurden, aber in ihrer Vollständigkeit erst noch entdeckt und kartographisch aufgenommen werden müssen. Die höchsten dieser Gipfel oder Hochebenen des Bewußtseins, die supramentalen, liegen jenseits unserer Möglichkeit, ein befriedigendes mentales Schema oder eine Karte davon herzustellen, sie durch mentales Schauen oder Beschreiben erfassen zu können. Das normale unerleuchtete und unverwandelte mentale Begreifen könnte nur schwer etwas ausdrücken oder in es eindringen, was sich auf ein so andersartiges Bewußtsein gründet und der Dinge radikal anders bewußt wird. Selbst wenn wir durch Erleuchtung oder Erlebnis einer Vision sehen und begreifen könnten, brauchten wir doch eine ganz andere Sprache als die dürftigen abstrakten Werte, die unser Mental verwendet, um sie in Begriffe zu übertragen, durch die ihre Wirklichkeit für uns überhaupt erfaßbar würde. So wie die Höhen menschlichen Mentals jenseits dessen liegen, was das Tier erfassen kann, so sind auch die Bewegungen des Supramentals jenseits des gewöhnlichen menschlichen Begreifens. Nur wenn wir bereits über die Erfahrung eines höheren vermittelnden Bewußtseins verfügen, könnten Begriffe, die versuchen, das supramentale Wesen zu beschreiben, unserer Intelligenz den wahren Sinn übermitteln. Denn erst wenn wir etwas erfahren haben, was dem verwandt ist, was beschrieben werden soll, könnten wir unangemessenes Reden in ein Bild dessen übertragen, was wir bereits wußten. Kann das Mental auch nicht in die Natur des Supramentals eindringen, so kann es doch durch diese lichtvollen Annäherungen zu ihm emporschauen und einen reflektierten Eindruck von der Wahrheit, dem Rechten und Unermeßlichen erfassen, was das ursprünglich eigene Reich des freien Geistes ist.

Aber auch das, was über das vermittelnde Zwischenbewußtsein gesagt werden kann, muß zwangsläufig unangemessen sein. Man kann nur gewisse abstrakte Verallgemeinerungen wagen, die am Anfang als Licht der Führung dienen mögen. Was uns dazu befähigt, ist allein der Umstand, daß das höhere Bewußtsein, wenn auch anders in Konstitution und Prinzip, so doch seiner evolutionären Form nach in allem, was wir zuerst von ihm hier erreichen können, noch eine höchste Entfaltung von denjenigen seiner Elemente ist, die bereits, wenn auch rudimentär und herabgemindert, in den unsrigen als Gestaltung und Macht ihrer selbst gegenwärtig sind. Ferner ist die Tatsache hilfreich, daß die Logik des Entwicklungsprozesses der Natur, wenn auch in einigen Regeln ihres Wirkens stark abgeändert, beim Aufstieg zu den höchsten Höhen wie bei den niedersten Anfängen im wesentlichen dauernd dieselbe ist. So können wir in gewissem Maße die Grundlinien ihres erhabenen Verfahrens entdecken und ihnen folgen. Wir haben bereits etwas von der Art und dem Gesetz des Übergangs vom intellektuellen zum spirituellen Mental kennengelernt. Von dem so erreichten Ausgangspunkt aus können wir beginnen, den Übergang zu einer mit höherer Kraft geladenen Stufe des neuen Bewußtseins und einen weiteren Übergang aus dem spirituellen Mental in das Supramental aufzuspüren. Die Hinweise müssen zwangsläufig sehr unvollkommen bleiben, denn wir können durch die Methode der metaphysischen Erforschung nur zu einigen anfänglichen Darstellungen von abstraktem und allgemeinem Charakter kommen. Die wahre Erkenntnis und Beschreibung muß der Sprache des Mystikers und den Bildern überlassen bleiben, die unmittelbare und konkrete Erfahrung zugleich lebendiger und unverständlicher wiedergibt.

Der Übergang zum Supramental durch das Übermental hindurch ist ein Fortgehen aus der Natur, wie wir sie kennen, hin zur Über-Natur. Gerade wegen dieser Tatsache ist es für jedes Bemühen des bloßen Mentals unmöglich, das zu leisten. Ohne Hilfe kann unser persönliches Streben und Bemühen das nicht erreichen. Unser Krafteinsatz gehört zur niederen Macht der Natur. Eine Macht der Unwissenheit kann durch eigene Kraft, durch die für sie charakteristischen oder ihr zur Verfügung stehenden Methoden das nicht erlangen, was jenseits des Bereiches ihrer eigenen Art liegt. Alle vorausgehenden Aufstiege sind durch eine verborgene Bewußtseins-Kraft bewirkt worden, die zuerst in der Unbewußtheit und dann in der Unwissenheit aktiv war. Sie wirkte, indem die ihr involvierten Mächte in den Vordergrund traten, Mächte, die hinter der Verhüllung verborgen und höher stehen als die vorhergehenden Ausdrucksformen der Natur. Ebenso ist aber auch ein Druck von seiten dieser gleichen höheren Mächte nötig, die bereits auf ihrer eigenen Ebene in ihrer vollen natürlichen Kraft ausgedrückt sind. Diese höheren Mächte legen sich in unseren subliminalen Schichten ihre Fundamente und können von da aus den evolutionären Prozeß an der Außenseite beeinflussen. Das Übermental und das Supramental sind ebenso der Erden-Natur involviert und im Geheimen vorhanden; sie haben aber in den ihnen zugänglichen Bereichen unseres subliminalen inneren Bewußtseins noch keine Form angenommen. Bis jetzt gibt es noch kein Übermental-Wesen, keine organisierte Übermental-Natur und auch kein Supramental-Wesen, keine organisierte Supramental-Natur, die entweder an unserer Außenseite oder in unseren subliminalen Schichten aktiv wären. Denn diese höheren Bewußtseins-Mächte sind für die Ebene unserer Unwissenheit überbewußt. Damit die involvierten Prinzipien von Übermental und Supramental aus ihrer geheimen Verhülltheit hervortreten können, müssen Wesen und Mächte der Überbewußtheit in uns herabkommen, uns emporheben und sich in unserem Wesen und in unseren Mächten ausdrücken. Diese Herabkunft ist eine conditio sine qua non, eine unabdingbare Voraussetzung für den Übergang und die Transformation.

Es ist durchaus vorstellbar, daß unsere irdische Natur es ohne die Herabkunft, durch geheimen Druck von oben und eine lange Entwicklung, fertigbringen könnte, in engen Kontakt mit den höheren, jetzt überbewußten Ebenen zu gelangen. So könnte die Gestaltung eines subliminalen Übermentals hinter der Verhüllung stattfinden. Als Ergebnis dessen könnte das Bewußtsein, das diesen höheren Bereichen zugehört, langsam an unserer Außenseite erwachen. Denkbar ist auch, daß auf diese Weise eine Rasse von mentalen Wesen erscheint, die nicht mittels ihres Intellekts oder der logischen und reflektierenden Intelligenz, wenigstens nicht hauptsächlich durch diese, denken und handeln, sondern mittels einer intuitiven Mentalität, die der erste Schritt auf dem Weg einer emporführenden Umwandlung wäre. Darauf könnte dann eine Verwandlung in das Übermental folgen, die uns bis an jene Grenzen emporbrächte, hinter denen das Supramental oder die göttliche Gnosis liegt. Dieser Prozeß würde aber unvermeidlich eine lange und mühsame Anstrengung der Natur erfordern. Auch besteht dabei die Möglichkeit, daß das, was erreicht wird, nur eine unvollkommene höhere Mentalisierung wäre. Die neuen höheren Elemente würden zwar das Bewußtsein stark beherrschen; sie wären aber noch einer Veränderung ihres Wirkens prinzipiell einer niederen Mentalität unterworfen: Es käme zwar zu einer umfassenderen und mehr erleuchteten Erkenntnis, wir könnten eine höhere Ordnung wahrnehmen; diese wäre aber der Vermischung ausgesetzt, die sie dem Gesetz der Unwissenheit unterwerfen würde, so wie das Mental eine Begrenzung durch das Gesetz von Leben und Materie erleidet. Für wirkliche Transformation ist ein unmittelbares und unverhülltes Eingreifen von oben her unerläßlich. Notwendig dazu wäre, daß sich das niedere Bewußtsein völlig unterwirft und überantwortet; daß der Wille in ihm mit seinem Drängen nach seinem gesonderten Gesetz des Wirkens aufhört, durch die Transformation völlig vernichtet wird und alle Anrechte auf unser Wesen verliert. Können diese beiden Bedingungen schon jetzt durch bewußtes Anrufen und den Willen in unserem Geist erfüllt werden und nimmt unser ganzes geoffenbartes und inneres Wesen an seiner Umwandlung und Erhöhung teil, kann die Evolution, die Transformation durch eine verhältnismäßig rasche bewußte Wandlung stattfinden. Dann würden die supramentale Bewußtseins-Kraft von oben und die sich hinter der Verhüllung entwickelnde Bewußtseins-Kraft auf die erwachende Kenntnis und den Willen des mentalen menschlichen Wesens einwirken und durch ihre vereinte Macht den folgenschweren Übergang vollenden. Es bedürfte dann keiner langsamen Entwicklung mehr, die mit vielen Jahrtausenden für jeden Schritt rechnet, nicht mehr der zögernden und schwierigen Entwicklung, die in der Vergangenheit von der Natur in den unbewußten Geschöpfen der Unwissenheit durchgeführt wurde.

Erste Voraussetzung für diese Umwandlung ist, daß der mentale Mensch, der wir jetzt sind, des tieferen Gesetzes seines eigenen Wesens und der Vorgänge in ihm innerlich bewußt wird und sie beherrscht. Er soll zum seelischen und inneren mentalen Wesen werden, Herr über seine Energien sein und nicht mehr Knecht der Regungen der niederen prakriti; die soll er dadurch beherrschen, daß er einen gesicherten Stand in freier Harmonie mit dem höheren Gesetz der Natur einnimmt. Besonders charakteristisch für das evolutionäre Prinzip und seine Entwicklung, eigentlich eine logische Folge daraus, ist die wachsende Herrschaft des Individuums über das Wirken seiner eigenen Natur und eine immer bewußtere Teilnahme am Wirken der universalen Natur. Alles Wirken, alle mentalen, vitalen und physischen Aktivitäten in der Welt, werden durch eine universale Energie, eine Bewußtseins-Kraft, in Gang gehalten, durch die Macht des Kosmischen Geistes, der die kosmische und individuelle Wahrheit der Dinge ausarbeitet. Weil aber dieses schöpferische Bewußtsein in der Materie eine Maske von Unbewußtheit anlegt und an der Außenseite den Anschein einer blinden universalen Kraft annimmt, die einen Plan oder eine Organisation der Dinge ausführt, scheinbar ohne ihr Tun zu verstehen, entspricht das erste Ergebnis diesem Anschein. Es ist das Phänomen einer unbewußten physischen Individualisierung. Nicht Wesen, sondern Gegenstände werden erschaffen. Das sind Daseins-Gestaltungen mit ihren eigenen Qualitäten und Eigentümlichkeiten, den Mächten des Wesens und dem Charakter des Wesens. Aber der Plan der Natur in ihnen und ihre Organisation müssen mechanisch ausgearbeitet werden. Im einzelnen Objekt, das als erstes dumpfes Ergebnis und das unbelebte Feld ihres Wirkens und Erschaffens auftaucht, gibt es keinen Anfang einer Teilnahme daran, kein Innesein, keine bewußte Kenntnis. Im Tierleben wird die Kraft allmählich langsam an der Außenseite bewußt und gestaltet die Form, nicht mehr eines Objekts, sondern eines individuellen Wesens. Dieses unvollkommen bewußte Individuum nimmt zwar teil, empfindet, fühlt; es arbeitet aber nur das aus, was die Kraft in ihm tut, ohne klares Verständnis oder Beobachtung dessen, was getan wird. Im menschlichen Mental erscheint zuerst eine beobachtende Intelligenz, die wahrnimmt, was getan wird, und ein Wille, eine Entscheidung, die bewußt geworden sind. Aber noch ist das Bewußtsein begrenzt und oberflächlich. Auch die Erkenntnis ist begrenzt und unvollkommen; sie ist eine partielle Intelligenz, ein halbes Verstehen, tastend und großenteils empirisch; ist es rational, dann durch Konstruktionen, Theorien und Formeln. Noch gibt es keine erhellte Schau, die die Dinge unmittelbar erkennt und sie spontan genau im Einklang mit dem Sehen und nach dem Plan ihrer innewohnenden Wahrheit ordnet. Trotz eines gewissen Elements von Instinkt, Intuition und Einsicht, Anfangserscheinungen seiner Macht, ist der normale Charakter der menschlichen Intelligenz wißbegierige Vernunft oder widerspiegelndes Denken, das beobachtet, vermutet, direkte und indirekte Schlüsse zieht, mühevoll zu einer konstruierten Wahrheit, einem konstruierten Wissens-Schema und einem mit eigenwilliger Absicht unternommenen Wirken kommt. Eigentlich ist es das, was zu sein es erstrebt und was es auch zum Teil ist. Denn in seine Erkenntnis und in seinen Willen dringen ständig Wesens-Kräfte ein, die es verfinstern, enttäuschen, halbblinde Werkzeuge des Natur-Mechanismus.

Offensichtlich ist das aber nicht das Höchste, dessen das Bewußtsein fähig ist; es ist nicht seine letzte Entwicklung und sein erhabenster Gipfel. Eine höhere und tiefer eindringende Intuition muß möglich sein, die in das Herz der Dinge eingeht, lichtvoll identisch mit den Bewegungen der Natur ist und dem Wesen die klare Lenkung seines Lebens, zumindest Harmonie mit seinem Universum zusichern sollte. Nur ein freies und völlig intuitives Bewußtsein könnte die Dinge durch unmittelbaren Kontakt, tief eindringende Schau oder einen spontanen Wahrheits-Sinn sehen und erfassen, der einer zugrundeliegenden Einheit oder Identität entstammt; es könnte ein Wirken der Natur im Einklang mit der Wahrheit der Natur bewerkstelligen. So würde der Einzelne tatsächlich am Wirken der allumfassenden Bewußtseins-Kraft teilnehmen. Der individuelle purusha würde zum Meister über seine ausführende Energie und zugleich bewußter Partner, Mitarbeiter und Werkzeug des Kosmischen Geistes im Wirken der universalen Energie werden. Die universale Energie würde durch ihn schaffen. Er würde aber auch durch sie wirken. Und die Harmonie der intuitiven Wahrheit würde dieses doppelte Wirken zu einer einzigen Aktion zusammenfassen. Den Übergang von unserem jetzigen Wesens-Zustand zu einem Zustand der Übernatur muß eine zunehmende bewußte Teilnahme von solch höherer und innerer Art begleiten.

Denkbar ist eine harmonische andersartige Welt, in der eine intuitive mentale Intelligenz dieser Art und ihre Herrschaft die Regel ist. Auf der Ebene unseres Wesens könnte aber, wegen der ursprünglichen Absicht und Geschichte des evolutionären Plans, nur unter Schwierigkeiten eine solche Ordnung und Herrschaft stabil errichtet werden. Es ist nicht wahrscheinlich, daß sie vollständig, endgültig und definitiv sein könnte. Würde eine intuitive Mentalität auf ein vermischtes mentales, vitales und physisches Bewußtsein einwirken, so wäre sie normalerweise gezwungen, sich einer Vermischung mit dem bereits entwickelten niedrigeren Bewußtseins-Material zu unterziehen. Um auf dieses einwirken zu können, müßte sie in dieses eindringen. Bei ihrem Eintreten würde sie in dieses verwickelt, von ihm durchdrungen, beeinträchtigt werden von dem separativen und partiellen Charakter des Wirkens unseres Mentals und von der Begrenzung und eingeschränkten Kraft der Unwissenheit. Zwar ist die intuitive Intelligenz scharf, erleuchtet und aktiv genug, um in die Masse der Unwissenheit und Unbewußtheit einzudringen und sie zu verändern. Sie ist aber nicht umfassend und ganzheitlich genug, diese in sich aufzuzehren und so zu beseitigen. Sie könnte keine völlige Transformation des ganzen Bewußtseins in ihren eigenen Stoff und ihre Macht zuwege bringen. Doch ist selbst in unserem gegenwärtigen Zustand eine gewisse Teilnahme vorhanden. Unsere normale Intelligenz ist genügend erwacht, so daß die universale Bewußte Kraft durch sie wirken und der Intelligenz und dem Willen erlauben kann, in gewissem Maß eine Lenkung der inneren und äußeren Umstände auszuüben, die noch Mißgriffe tätigt, jeden Augenblick durch Irrtum entstellt werden kann und nur fähig ist, begrenzte Wirkung und Macht zu entfalten, die in keinem Verhältnis zu der umfassenderen Ganzheit ihrer gewaltigen Unternehmungen steht. Bei der Entwicklung zur Übernatur würde sich diese ursprüngliche Macht bewußter Teilnahme am universalen Wirken im Individuum ausdehnen zu einer immer gründlicheren und weiteren Schau ihrer Wirkweisen in ihm selbst. Er würde mit stärkerem Empfinden die von ihr eingeschlagene Richtung wahrnehmen. Sein Verständnis für oder seine intuitive Vorstellung von den Methoden, die er um rascherer und bewußterer Selbst-Entwicklung willen zu befolgen hat, würden wachsen. Indem sein innerseelisches oder verborgenes mentales Wesen in den Vordergrund tritt, gäbe es eine verstärkte Kraft zur Entscheidung, zur Sanktion, den Anfang eines authentischen freien Willens. Dieser freie Wille würde aber zumeist in Beziehung zur Natur in seinen eigenen Wirkweisen stehen. Das wäre dann nur eine freiere, vollständigere und unmittelbarer wahrnehmende Herrschaft über die Regungen seines eigenen Wesens: eben darin könnte es zuerst nicht völlig frei sein, solange es in die Begrenzungen eingesperrt ist, die durch die Gestaltungen in ihm selbst geschaffen werden, oder solange es durch eine Unvollkommenheit bekämpft wird, die aus der Vermischung des alten mit dem neuen Bewußtsein herrührt. Trotzdem würde es aber seine Meisterschaft und Erkenntnis steigern und sich einem höheren Wesen und einer höheren Natur erschließen.

Unser Begriff von freiem Willen kann leicht durch den übermäßigen Individualismus des menschlichen Ichs verfärbt werden und so als ein unabhängiger Wille erscheinen, der aufgrund seiner eigenen isolierten Befugnis in völliger Freiheit ohne andere Bestimmung wirkt, als durch die seiner eigenen Entscheidungen und seiner vereinzelten beziehungslosen Bewegung. Diese Vorstellung mißachtet die Tatsache, daß unser natürliches Wesen ein Teil der kosmischen Natur ist und unser spirituelles Wesen nur durch den Beistand der höchsten Transzendenz existiert. Unser Wesen kann sich in seiner Ganzheit aus dem faktischen Unterworfensein unter die gegenwärtige Natur nur erheben, wenn es sich mit einer größeren Wahrheit und mit einer höheren Natur identifiziert. Selbst wenn der Wille des Einzelnen völlig frei wäre, könnte er nicht in isolierter Unabhängigkeit handeln, weil das individuelle Wesen und seine Natur in das universale Wesen und die universale Natur eingeschlossen sind und von der alles beherrschenden Transzendenz abhängen. Gewiß könnte es beim Aufstieg zwei Entwicklungslinien geben. Auf der einen Seite könnte sich das Individuum als unabhängiges Selbst-Sein fühlen und sich entsprechend verhalten: es könnte sich mit seiner eigenen apersonalen Wirklichkeit vereinen. Bei dieser Auffassung von sich selbst könnte es kraftvoll handeln. Dieses Wirken würde sich aber entweder innerhalb eines ausgeweiteten Rahmens der vergangenen oder gegenwärtigen Selbst-Gestaltung seiner Macht über die Natur vollziehen. Oder die kosmische oder höchste Kraft würde in ihm handeln, so daß es zu keiner persönlichen Initiative des Handelns, darum auch zu keinem Empfinden eines individuellen freien Willens käme, sondern nur dessen, daß ein apersonaler kosmischer oder höchster Wille oder eine Energie am Werk ist. Auf der anderen Seite würde sich das Wesen als Werkzeug des Geistes fühlen. Es würde demgemäß als eine Macht des Höchsten Wesens handeln, das bei seinem Wirken nur durch die Machtmöglichkeiten der Übernatur eingeschränkt ist. Diese sind aber ohne Grenzen und Beschränkungen, außer durch ihre eigene Wahrheit und deren Selbst-Gesetz und durch ihren Willen. Grundbedingung für die Freiheit von der Herrschaft eines mechanischen Wirkens der Natur-Kräfte wäre aber in beiden Fällen, daß wir uns einer höheren bewußten Macht unterwerfen oder daß das individuelle Wesen in die Einheit mit deren Absicht und Bewegung in seinem eigenen Dasein und in dem der Welt einwilligt.

Denn das Wirken einer neuen Macht des Wesens in einem höheren Bewußtseins-Bereich könnte, gerade durch seine Beherrschung der äußeren Natur, zwar außerordentlich effektiv sein, jedoch nur wegen ihres Lichtes in der Schau des kosmischen und transzendenten Willens und einer daraus folgenden Harmonie oder Identifikation mit diesem. Wenn das Wesen zur Instrumentation einer höheren statt einer niederen Macht wird, kann sein Wille frei werden von mechanischer Bestimmung durch Wirken und Prozeß kosmischer Mental-Energie, Lebens-Energie und Energie der Materie; es ist nicht mehr unwissend der Antriebskraft dieser niederen Natur unterworfen. So könnte die Kraft eigener Initiative, ja einer individuellen Lenkung der Welt-Kräfte Zustandekommen. Das wäre aber die initiative eines Werkzeugs und eine delegierte Herrschaft: Die Entscheidung des Einzelnen würde die Sanktion des Unendlichen empfangen, weil er selbst Ausdruck einer bestimmten Wahrheit des Unendlichen ist. So würde die Individualität in dem Verhältnis immer machtvoller und wirkungsstärker werden, in dem sie sich als Mittelpunkt und Gestalt des universalen und transzendenten Wesens und seiner Natur begreift. Denn mit fortschreitender Umwandlung wäre die Energie des befreiten Individuums nicht mehr die begrenzte Energie von Mental, Leben und Körper, mit der der Weg begann. Der Mensch würde in ein stärkeres Bewußtseins-Licht und größeres Wirken der Kraft eintreten und diese anlegen, – ebenso wie diese in ihm hervortreten, in ihn herabkommen und ihn mit sich empornehmen würde. Sein natürliches Dasein würde zur Instrumentation einer höheren Macht, einer übermentalen und supramentalen Bewußtseins-Kraft und der Macht der ursprünglichen Göttlichen shakti. Alle Vorgänge der Evolution würden als das Wirken eines höchsten, universalen Bewußtseins, einer höchsten universalen Kraft gefühlt werden, die in jeder von ihr gewählten Weise, auf jeder Ebene, in allen von ihr selbst bestimmten Begrenzungen wirkt, ein bewußtes Handeln des transzendenten und kosmischen Wesens, die Aktion der allmächtigen und allwissenden Welt-Mutter, die das Wesen zu sich empor in ihre Übernatur erhebt. Anstelle der Natur der Unwissenheit, mit dem Individuum als ihrem abgeschlossenen Bereich und unbewußten oder halbbewußten Werkzeug, gäbe es hier die Über-Natur der göttlichen Gnosis. Die individuelle Seele wäre deren bewußtes, offenes freies Feld und Werkzeug, nähme an ihrem Wirken teil, bewußt ihres Wirkens und Vorgehens, bewußt aber auch ihres eigenen höheren Selbsts, der universalen und der transzendenten Wirklichkeit, ihrer eigenen Person als unbegrenzbar eins mit jener, und wäre doch ein individuelles Wesen von Ihrem Wesen, Werkzeug und geistiger Mittelpunkt.

Daß wir uns zuerst zu dieser Teilnahme an einem Wirken der Übernatur öffnen, ist Vorbedingung für unsere Wendung zur letzten, zur supramentalen Transformation. Denn diese Transformation ist die Vollendung eines Übergangs aus der düsteren Harmonie eines blinden Automatismus, mit dem die Natur anfängt, in die erleuchtete verbürgte Spontaneität, die unfehlbare Regung der selbst-seienden Wahrheit des Geistes. Die Evolution beginnt mit dem Automatismus der Materie und eines niederen Lebens, in denen alles von selbst dem Antrieb der Natur gehorcht, mechanisch ihr Lebensgesetz erfüllt und deshalb auch mit Erfolg eine Harmonie zwischen ihrer begrenzten Daseinsart und ihrem Handeln aufrechterhalten kann. Sie schreitet fort durch die schöpferisch-reiche Konfusion von Mental und Leben einer von dieser niederen Natur getriebenen Menschheit, die aber darum ringt, den sie beherrschenden Einschränkungen zu entkommen, sie zu lenken und zu verwenden. Sie erhebt sich zu einer umfassenderen spontanen Harmonie und einem automatischen, das Selbst erfüllenden Wirken, das sich auf die spirituelle Wahrheit der Dinge gründet. In diesem höheren Zustand wird das Bewußtsein jene Wahrheit schauen und der Richtung ihrer Energien folgen, mit starker Teilnahme und Meisterschaft der Werkzeuge und voll tiefer Freude am Wirken und Dasein. Es wird eine lichtvolle und froh erlebte vollkommene Einheit mit allen geben, anstelle blindem und leidvollem Unterworfensein unter das Universale. In jedem Augenblick wird das Wirken des Universalen im Individuum und des Individuums im Universalen erleuchtet und von der Ordnung der transzendenten Übernatur gelenkt werden.

Diese höchste Bedingung ist aber schwer zu erfüllen und erfordert zu ihrer Durchführung offenbar eine lange Zeit. Denn Teilnahme und Zustimmung des purusha allein genügt nicht zum Übergang; erforderlich ist auch Zustimmung und Teilnahme der prakriti. Nicht nur müssen das zentrale Denken und Wollen einverstanden sein, es müssen auch alle Schichten unseres Wesens zustimmen und sich dem Gesetz der spirituellen Wahrheit unterwerfen. Alle müssen lernen, der Herrschaft der bewußten Göttlichen Macht in allen Teilen unseres Wesens zu gehorchen. Da gibt es hartnäckige Widerstände in unserem Wesen, entstanden aus seiner evolutionären Verfassung, die gegen diese Zustimmung ankämpfen. Denn manche dieser Schichten sind noch der Unbewußtheit und Unterbewußtheit unterworfen, dem niederen Automatismus der Gewohnheit oder sogenannten Naturgesetz, – all den üblichen Mechanismen von Mental, Leben, Instinkt, Persönlichkeit und Charakter; den tief eingewurzelten mentalen, vitalen und physischen Bedürfnissen, Impulsen und Wünschen des natürlichen Menschen, den alten Funktionsweisen aller Art, die so tief sitzen, daß es fast scheint, wir müßten bis zu den tiefsten Fundamenten graben, um sie auszumerzen. Diese Schichten weigern sich, ihre Hörigkeit gegenüber dem niederen Gesetz aufzugeben, das im Unbewußten gegründet ist. Ständig senden sie in das bewußte Mental und Leben die alten Reaktionen empor und suchen sie dort als das ewige Gesetz der Natur durchzusetzen. Andere Schichten des Wesens sind weniger unklar, mechanisch und im Unbewußten verwurzelt. Alle sind jedoch unvollkommen und an ihre Unvollkommenheit gebunden; sie haben ihre eigenen starken Reaktionen. Die vitale Schicht ist aufs engste an das Gesetz der Selbst-Behauptung und des Begehrens geheftet. Das Mental hängt an seinen eigenen ausgeformten Regungen. Beide gehorchen willfährig dem niederen Gesetz der Unwissenheit. Dennoch sind das Gesetz der Teilnahme und das Gesetz der Preisgabe zwingend. Bei jedem Schritt des Übergangs ist die Zustimmung des purusha erforderlich. Es muß auch jede Seite unserer Natur dem Wirken der höheren Macht zu ihrer Umwandlung zustimmen. Ferner muß sich das mentale Wesen in uns bewußt dieser Umwandlung zuwenden. Die Übernatur muß die alte Natur ersetzen und transzendieren. Eine zweite Bedingung, die vom Wesen langsam und unter Schwierigkeiten erfüllt werden muß, bevor die supramentale Transformation überhaupt möglich werden kann, gebietet, daß man der höheren Wahrheit des Geistes gehorcht und das ganze Wesen dem Licht und der Macht überantwortet, die aus der Übernatur herabkommen.

Hieraus folgt, daß die seelische und geistige Umwandlung schon weit fortgeschritten, ja so vollständig wie möglich sein muß, bevor es zu einem Anfang der dritten, alles überhöhenden supramentalen Umwandlung kommen kann. Denn nur durch diese doppelte Umgestaltung kann der Ich-Wille der Unwissenheit ganz und gar in spirituellen Gehorsam gegenüber der umprägenden Wahrheit und dem Willen des höheren Bewußtseins des Unendlichen verändert werden. Gewöhnlich muß man eine lange schwierige Phase ständiger Anstrengung mit Krafteinsatz und harter Disziplinierung des personalen Willens, tapasya, durchlaufen, bevor man jene entscheidende Stufe erreichen kann, auf der ein Zustand vollständig und absolut ist, in dem sich das ganze Wesen an das Höchste Wesen und die Höchste Natur hingeben kann. Zuerst muß eine vorläufige Stufe der Suche und Anstrengung kommen, wobei man sich dem Höchsten mit Herz, Seele und Mental zentral darbringt oder sein Selbst hingibt. Später tritt eine Mittelstufe ein, auf der sich der Mensch ganz bewußt auf seine höhere Macht verläßt, die dem personalen Bemühen zu Hilfe kommt. Dieses volle tiefe Vertrauen soll weiterwachsen in ein endgültiges, vollständiges Aufgeben des eigenen Ichs in jeder Schicht und jeglicher Regung an das Wirken der höchsten Wahrheit in unserer Natur. Nur dann kann man sich so total aufgeben, wenn die psychische Umwandlung vollständig geworden oder die spirituelle Transformation in sehr hohem Maße erreicht ist. Denn das bedeutet, daß das Mental sein ganzes Gepräge, seine Ideen, mentalen Gestaltungen, jede Meinung, alle seine Gewohnheiten intellektueller Beobachtung und Beurteilung aufgibt, damit sie zuerst durch intuitives, dann durch übermentales oder supramentales Arbeiten ersetzt werden, das die Wirksamkeit eines unmittelbaren Wahrheits-Bewußtseins einleitet, ein Wahrheits-Schauen, Wahrheits-Unterscheiden und ein neues Bewußtsein, das in all seinen Methoden der gegenwärtigen Natur unseres Mentals völlig fremd ist. Verlangt wird auch von dem Vital, daß es ähnlich seine geliebten Wünsche, Empfindungen, Gefühle, Impulse, festen Bahnen seiner Sinne und den forcierten Mechanismus von Aktion und Reaktion aufgibt, damit sie durch eine erleuchtete Kraft ersetzt werden, die frei von Verlangen und doch automatisch selbst-bestimmend ist, die Kraft eines zentralisierten universalen und apersonalen Wissens, einer Macht und Seligkeit, deren Werkzeug und göttliche Offenbarung das Leben sein soll. Es hat aber jetzt noch keine Ahnung und kein Empfinden dessen, um wieviel größer dann seine Freude und wieviel stärker seine Erfüllung sein werden. Auch unsere physische Seite soll ihre Instinkte aufgeben, ihre Bedürfnisse, ihren blinden konservativen Hang, die eingefahrenen Geleise ihrer Art, ihren Zweifel und Unglauben allem gegenüber, was jenseits von ihr liegt. Ferner soll das physische Wesen seine Überzeugung fallen lassen, die festgelegten Funktionsweisen des physischen Mentals, physichen Lebens und des Körpers seien zu unabänderlich, als daß sie durch eine neue Macht ersetzt werden könnten, die ihr eigenes höheres Gesetz und Wirken in Form und Kraft der Materie einführt. Selbst das Unbewußte und das Unterbewußte müssen in uns bewußt und für das höhere Licht empfänglich werden. Sie sollen sich nicht mehr dem erfüllenden Wirken der Bewußtseins-Kraft widersetzen, sondern immer mehr eine Prägeform und niedere Basis für den Geist werden. Diese Dinge sind undurchführbar, solange Mental, Leben oder physisches Bewußtsein noch die führenden Mächte des Wesens sind oder irgendwelche Vorherrschaft besitzen. Eine solche Umwandlung kann erst dann anerkannt und verwirklicht werden, wenn die Seele und das innere Wesen voll hervorgetreten sind; wenn der physische und der spirituelle Wille die Vorherrschaft haben; wenn ihr Licht und ihre Macht lange auf die Schichten des Wesens einwirken; wenn die ganze Natur psychisch und spirituell umgeprägt worden ist.

Es gibt noch eine andere notwendige Bedingung für die supramentale Umwandlung. Das ganze Wesen soll durch Abbruch der Wand zwischen der inneren und der äußeren Natur geeint werden. Das Bewußtsein soll vom äußeren in das innere Selbst verlegt und dort zentriert werden. Diese neue Basis wird dann zum festen Fundament gemacht. Das Handeln von diesem inneren Selbst, von seinem Willen und seiner Schau her wird zur Gewohnheit. Das individuelle Bewußtsein erschließt sich für das kosmische Bewußtsein. Es wäre Selbstbetrug zu hoffen, das höchste Wahrheits-Bewußtsein könne sich in der zu engen Ausdrucksform unseres vordergründigen Mentals, Herzens und Lebens niederlassen, auch wenn diese noch so sehr der Spiritualität zugewandt sind. Alle inneren Zentren müssen sich erschlossen und ihre Befähigungen aktiviert haben. Die psychische Wesenheit muß enthüllt und zur Herrschaft gekommen sein. Die größere Umwandlung ist unmöglich, wenn diese erste Verwandlung nicht geschehen ist, die das Wesen fest in dem inneren, umfassenderen Bewußtsein gründet, anstelle eines gewöhnlichen in einem Yoga-Bewußtsein. Überdies soll sich der Einzelne, bevor er zu jener Umwandlung fähig werden kann, die die gegenwärtige kosmische Ausdrucksform transzendiert und ihn über die niedere Hemisphäre des Allumfassenden in ein Bewußtsein emporhebt, das zu seiner spirituellen oberen Hemisphäre gehört, erst genügend allumfassend gemacht haben. Er soll sein individuelles Mental in der Grenzenlosigkeit kosmischer Mentalität neu geprägt haben. Sein individuelles Leben soll ausgeweitet und neu belebt sein im unmittelbaren Empfinden und der direkten Erfahrung des dynamischen Ablaufs allumfassenden Lebens. Kommunikationen seines Körpers mit den Kräften der universalen Natur sollen erschlossen sein. Außerdem soll er bereits dessen inne geworden sein, was jetzt für ihn überbewußt ist. Es soll schon ein Wesen sein, das des höheren Lichts, der Macht, des Wissens, des ananda des Geistes bewußt ist. Er soll von dessen herabkommenden Einflüssen durchdrungen und neu geschaffen sein durch spirituelle Umwandlung. Die spirituelle Öffnung kann möglicherweise schon stattfinden und in ihrem Wirken fortschreiten, bevor die psychische schon weit fortgeschritten oder vollendet ist. Denn der spirituelle Einfluß kann von oben her die psychische Verwandlung erwecken, unterstützen und vollenden. Allein nötig ist, daß in der psychischen Wesenheit ein hinlänglich starker Drang besteht, so daß die höhere spirituelle Eröffnung stattfinden kann. Die dritte, die supramentale Umwandlung gestattet aber nicht, daß das höchste Licht vorzeitig herabkommt. Sie kann nur dann einsetzen, wenn die supramentale Kraft unmittelbar zu wirken beginnt. Das tut sie aber nicht, wenn die Natur nicht zubereitet ist. Denn der Unterschied zwischen dem Vermögen der höchsten Kraft und dem der gewöhnlichen Natur ist zu groß. Die niedere Natur wäre entweder unfähig, jene auszuhalten, oder wenn sie sie aushalten kann, nicht in der Lage, darauf zu reagieren und sie in sich aufzunehmen, und wenn sie sie aufnimmt, unfähig sie zu assimilieren. Bis die Natur fertig ist, muß die supramentale Kraft mittelbar wirken. Sie stellt die Vermittlungsmächte von Übermental oder Intuition in den Vordergrund; oder sie wirkt durch eine abgeänderte Form ihrer selbst, auf die das schon halb-transformierte Wesen ganz oder teilweise reagieren kann.

Die spirituelle Evolution gehorcht der Logik stufenweiser Entfaltung Sie kann eine neue entscheidende Haupt-Stufe erst dann erklimmen, wenn die vorhergehende Haupt-Stufe genügend erobert ist: Selbst wenn gewisse niedrige Stufen durch stürmischen Aufstieg rasch eingenommen oder übersprungen werden können, muß das Bewußtsein wieder umkehren, um sich zu vergewissern, ob das zurückgelegte Gebiet sicher den neuen Verhältnissen angegliedert wurde. Es ist wahr, daß wir vermutlich nur dann zum Geist gelangen können, wenn wir in einem oder in einigen Leben einen Prozeß durchmachen, der im gewöhnlichen Lauf der Natur ein langsames und ungewisses Verfahren von Jahrhunderten oder gar Jahrtausenden benötigen würde. Das ist aber eine Frage der Geschwindigkeit, mit der die Stufen erklommen werden. Mehr oder konzentrierte Schnelligkeit schaltet die Stufen als solche oder die Notwendigkeit, eine nach der anderen zu ersteigen, nicht aus. Größere Schnelligkeit ist nur deshalb möglich, weil das innere Wesen bewußt daran teilnimmt und weil die Macht der Übernatur bereits in der halb-transformierten niederen Natur am Werk ist. Darum können die Stufen, die man sonst nur zögernd in der Finsternis von Unbewußtheit und Unwissenheit erstiegen hätte, nun im zunehmenden Licht und in der Macht des Wissens genommen werden. Die erste, im Dunkel verlaufende, materielle Bewegung der evolutionären Kraft ist durch stufenweisen Aufstieg in Äonen gekennzeichnet. Die Bewegung des Lebens-Fortschritts erfolgt langsam, aber doch mit schnelleren Schritten; sie konzentriert sich in Zahlen von Jahrtausenden. Das Mental kann die Gemächlichkeit der Zeit noch mehr schmälern und lange Schritte durch die Jahrhunderte machen. Greift aber der bewußte Geist ein, dann wird ein höchst konzentriertes Schrittmaß von evolutionärer Schnelligkeit möglich. Doch kann jene involvierte Schnelligkeit des evolutionären Verlaufs, mit der die Stufen übersprungen werden, nur eintreten, wenn die Macht des bewußten Geistes das Feld vorbereitet und die supramentale Kraft begonnen hat, ihren Einfluß unmittelbar auszuüben. Alle Umwandlungen der Natur scheinen tatsächlich ein Wunder zu sein, aber ein Wunder mit Methode: Ihre weitesten Schritte werden nur über abgesicherten Boden genommen. Ihre raschesten Sprünge macht sie von einer Basis aus, die dem evolutionären saltus Sicherheit und Gewißheit gibt: Eine geheime All-Weisheit regiert alles in ihr, selbst jene Schritte und Prozesse, die uns die unerklärlichsten zu sein scheinen.

Dieses Gesetz in den Naturvorgängen begründet die Notwendigkeit eines stufenweisen Aufstiegs beim letzten Übergang, daß wir uns gradweise emporkämpfen müssen, daß sich immer höhere Zustandsformen entfalten, die uns vom spiritualisierten Mental zum Supramental emporführen, – ein steiler Aufstieg, der auf keine andere Weise bewältigt werden könnte. Über uns erheben sich, wie wir gesehen haben, aufeinanderfolgende Bewußtseins-Zustände. Höhen oder abgestufte Mächte des Wesens, die unser normales Mental überragen, sind in unseren eigenen überbewußten Schichten verborgen, höhere Bereiche des Mentals, stärkere Frequenzen des Bewußtseins und der Erfahrung des Geistes. Ohne sie gäbe es keine Bindeglieder, keine hilfreichen Zwischenräume, die diesen ungeheuren Aufstieg möglich machen. Tatsächlich wirkt von diesen höheren Ursprüngen her die geheime spirituelle Macht auf das Wesen ein und bringt durch ihren Druck die psychische Transformation oder die spirituelle Umwandlung zustande. Auf den frühen Stufen unseres Wachsens wird dieses Wirken aber nicht sichtbar; es bleibt im Verborgenen und ungreifbar. Zuerst ist notwendig, daß die spirituelle Kraft mit reiner Berührung in die mentale Natur eingreift. Dieser aufweckende Druck muß sich Mental, Herz und Leben aufprägen und ihnen ihre Orientierung nach oben geben. Helles Licht und eine große umwandelnde Macht muß ihre Regungen läutern, verfeinern, emporheben und mit einem höheren Bewußtsein durchdringen, das nicht zu ihrer normalen Begabung und ihrem Gepräge gehört. Das kann von innen her durch unsichtbare Einwirkung mittels der psychischen Wesenheit und Personalität geschehen. Es ist nicht unentbehrlich, daß man das Herabkommen von oben bewußt fühlt. In jedem lebenden Wesen ist der Geist auf jeder Ebene und in allen Dingen gegenwärtig. Weil er da ist, können wir die Erfahrung des saccidananda, des reinen spirituellen Seins und Bewußtseins, der Wonne göttlicher Gegenwart und ihrer Nähe machen. Wir können mit ihr in Berührung kommen durch das Mental, das Herz, die Lebensempfindung oder auch durch das physische Bewußtsein. Wenn sich die inneren Tore weit genug auftun, kann das Licht aus dem Heiligtum die nächsten und die fernsten Kammern des äußeren Wesens durchfluten. Die nötige Wandlung oder Umwandlung kann auch durch ein verborgenes Herabkommen der spirituellen Kraft bewirkt werden, wobei wir das Einströmen, den Einfluß, die spirituellen Folgen spüren; der höhere Ursprung bleibt aber unbekannt, und das tatsächliche Gefühl eines Herabkommens fehlt. Ein so angerührtes Bewußtsein mag so sehr emporgehoben werden, daß sich das Wesen sofort einer Einung mit dem Selbst oder mit dem Göttlichen Wesen zuwendet und aus der Evolution ausscheidet. Wenn das sanktioniert wird, kommt keine Frage nach Stufenfolge, Schritten oder Methode mehr auf. Der Bruch mit der Natur kann endgültig sein, denn das Gesetz dieses Ausscheidens braucht, wenn es einmal durchführbar geworden ist, nicht dasselbe zu sein wie das Gesetz der evolutionären Transformation und Vervollkommnung. Es ist – möglicherweise – ein Absprung, ein rascher oder sofortiger Ausbruch aus den Bindungen, – die spirituelle Flucht ist gelungen. Es bedarf nun nur noch der Sanktion durch den schicksalhaften Verfall des Körpers. Ist aber die Transformation des Erden-Lebens beabsichtigt, muß auf den ersten Kontakt der Spiritualisierung ein Erwachen für die höheren Ursprünge und Energien folgen. Wir müssen nach ihnen suchen und das Wesen in den sie bezeichnenden Zustand erheben. Das Bewußtsein soll in ihr höheres Gesetz und in ihre dynamische Natur umgewandelt werden. Diese Verwandlung muß auf der Leiter des Aufstiegs von einer Sprosse zur anderen erfolgen, bis wir diese hinter uns lassen und jene höchsten, weit offenen Räume betreten, von denen der Veda spricht: die ursprünglichen Räume eines Bewußtseins, das höchst erleuchtet und unendlich ist.

Denn hier kommt es wieder zum selben Evolutions-Prozeß wie bei den übrigen Vorgängen in der Natur. Das Bewußtsein wird erhöht und ausgeweitet. Es steigt zu einer neuen Ebene empor und nimmt die niederen Ebenen in sich auf. Das Dasein wird emporgehoben und von einer höheren Macht des Wesens neu integriert, die die eigene Wirkweise, ihren Charakter und die Kraft ihrer Substanz, soviel sie nur kann, früher schon entwickelten Seiten der Natur aufnötigt. Auf dieser höchsten Stufe des Wirkens der Natur wird die Forderung nach Integration zu einem entscheidend wichtigen Punkt. Bei den niederen Stufen des Aufstiegs bleibt dieses neue Empornehmen, die Integration in ein höheres Bewußtseins-Prinzip, unvollständig: Das Mental kann Leben und Materie nicht völlig mentalisieren. Beträchtliche Seiten des Lebens-Wesens und des Körpers verbleiben im Bereich des Untermentalen, des Unterbewußten oder Unbewußten. Das ist eines der ernstlichen Hindernisse im Ringen des Mentals um die Vervollkommnung unserer Natur. Wenn so das Untermentale, das Unterbewußte und das Unbewußte dauernd an der Lenkung unserer Betätigungen teilnehmen, indem sie hier ein anderes Gesetz als das des mentalen Wesens wirksam machen, befähigen sie auch das bewußte vitale und physische Bewußtsein, das ihnen vom Mental auferlegte Gesetz zurückzuweisen und, unter Mißachtung der mentalen Vernunft und des rationalen Willens der entwik-kelten Intelligenz, ihren eigenen Impulsen und Instinkten zu folgen. Das macht es für das Mental schwer, über sich selbst hinauszukommen, seine eigene Ebene hinter sich zu lassen und seine Natur zu spiritu-alisieren. Denn es kann das, was es nicht einmal völlig bewußt machen, nicht mit Sicherheit mentalisieren und rationalisieren kann, auch nicht spiritualisieren, da die Spiritualisierung eine größere und schwierigere Integration ist. Zweifellos kann es dadurch, daß es die spirituelle Kraft herabruft, einen Einfluß und eine vorläufige Umwandlung in einigen Schichten der Natur herstellen, besonders im denkenden Mental selbst und im Herzen, das seinem eigenen Bereich am nächsten liegt. Aber oft ist diese Umwandlung keine totale Vervollkommnung, nicht einmal in Grenzen. Was sie wirklich erreicht, ist etwas Seltenes und Schwieriges. Bei seiner Verwendung des Mentals muß sich das spirituelle Bewußtsein eines untergeordneten Mittels bedienen. Auch wenn es ein göttliches Licht in das Mental, göttliche Lauterkeit, Leidenschaft und Glut in das Herz bringt und dem Leben ein spirituelles Gesetz auferlegt, muß dieses neue Gesetz unter Beschränkungen wirken. Zumeist kann es das niedere Wirken des Lebens nur regulieren oder hemmen und den Körper rigoros beherrschen. Aber selbst wenn diese Schichten auch verfeinert und beherrscht werden, empfangen sie doch nicht ihre spirituelle Erfüllung und erlangen nicht Vollkommenheit und Transformation. Dazu ist es notwendig, ein höheres dynamisches Prinzip wirksam zu machen, das eigentlich zum spirituellen Bewußtsein gehört und durch das es darum in seinem eigenen Gesetz und vollkommeneren natürlichen Licht und Vermögen wirken kann, um diese den Gliedern aufzuerlegen.

Aber selbst wenn ein neues kraftgeladenes Prinzip auf diese Weise eingreift und sich so machtvoll aufzwingt, mag es bis zum Erfolg noch lange dauern. Denn die niederen Schichten des Wesens besitzen ihre eigene Macht und müssen, wenn sie wirklich in die Wahrheit transformiert werden sollen, ihrer eigenen Umwandlung zustimmen. Es ist schwierig, das zustande zu bringen, weil jede Schicht in uns von Natur dazu neigt, ihr eigenes Selbst-Gesetz, dharma, auch wenn es noch so minderen Wertes ist, einem höheren dharma vorzuziehen, das sie nicht als das ihre fühlt. Sie klammert sich an ihr eigenes Bewußtsein oder ihre Unbewußtheit, an ihre eigenen Impulse und Reaktionen, die eigene Dynamisierung des Wesens und die eigene Art von Daseins-Seligkeit. Sie hält dies alles umso hartnäckiger fest, je mehr diese Art ein Widerspruch zur Freude, ein Weg voll Finsternis und Kummer, Schmerzen und Leiden ist. Denn auch daran hat sie ihren widernatürlichen und gegensätzlichen Geschmack, rasa, gewonnen, ihre Lust an Finsternis und Kummer, ihr sadistisches oder masochistisches Interesse an Schmerz und Leiden. Auch wenn diese Seite unseres Wesens nach besseren Dingen sucht, muß sie doch oft den schlechteren nachgehen, weil auch diese eigentlich zu ihr gehören und für ihre Energie, ihre Substanz natürlich sind. Wir können eine völlige, radikale Umwandlung nur dadurch zustandebringen, daß wir in die widerspenstigen Elemente ständig das spirituelle Licht und die innere Erfahrung der spirituellen Wahrheit, Macht und Freude hineinbringen, bis auch sie anerkennen, daß der Weg zu ihrer eigenen Erfüllung hier liegt; sind sie doch selbst eine herabgeminderte Macht des Geistes. Sie können durch diese neue Wesensart ihre eigene Wahrheit und vollständige Natur wiedererlangen. Dieser Erleuchtung leisten ständig die Kräfte der niederen Natur, noch mehr die Kräfte des Widersachers, Widerstand, die infolge der Unvollkommenheiten der Welt existieren und regieren. Ihre schrecklichen Fundamente haben sie auf dem schwarzen Felsen der Unbewußtheit niedergebracht.

Zur Überwindung dieser Schwierigkeit ist es unerläßlich, das innere Wesen und seine Aktions-Zentren zu öffnen. Denn hier wird es leichter möglich, die Aufgabe zu lösen, die das vordergründige Mental nicht bewältigen konnte. Sobald einmal das innere Mental, das innere Lebens-Bewußtsein und Lebens-Mental, das subtil-physische Bewußtsein und seine subtil-physische Mentalität zum Wirken freigesetzt sind, erschaffen sie eine umfassendere, feinere, stärker vermittelnde Bewußtheit, die mit dem Universalen und mit dem, was über ihnen steht, in Kommunikation treten kann. Sie hat auch die Fähigkeit, deren Macht auf den ganzen Bereich des Wesens einwirken zu lassen, auf das Untermental, das unterbewußte Mental, das unterbewußte Leben und sogar auf die Unterbewußtheit des Körpers. Wenn sie auch die fundamentale Unbewußtheit nicht völlig erleuchten können, erschließen sie sie doch bis zu einem gewissen Grad und wirken auf sie ein. Licht, Macht, Wissen, Seligkeit des Geistes können dann von oben herabkommen, tiefer als nur in Mental und Herz, die immer am leichtesten zu erreichen und zu erleuchten sind. Nehmen sie die ganze Natur von Kopf bis zu Fuß ein, können sie Leben und Körper mehr durchdringen und durch noch tieferes Einwirken die Grundlagen der Unbewußtheit erschüttern. Aber selbst diese umfassendere Mentalisierung und Vitalisierung von innen bleibt eine mindere Erleuchtung. Sie kann die Unwissenheit verringern, aber noch nicht ausmerzen. Sie greift die Mächte, die die subtile, geheime Herrschaft der Unbewußtheit aufrechterhalten, an und zwingt sie, zurückzuweichen; sie überwindet sie aber nicht. Die spirituellen Kräfte, die durch diese umfassendere Mentalisierung und Vitalisierung wirken, können einen höheren Grad von Licht, Stärke und Freude einbringen. Doch die volle Spiritualisierung, die vollständige neue Integration des Bewußtseins, ist auf dieser Stufe noch nicht möglich. Erst wenn das innerste, das psychische Wesen die Führung übernimmt, kann eine tiefgreifende Mutation, die nicht mental ist, die Herabkunft der spirituellen Kraft wirkungsvoller machen. Das bewußte Wesen wird sich dann in vollem Umfang einer vorläufigen Seelen-Umwandlung unterzogen haben, die Mental, Leben und Körper von der Verführung durch die eigenen Unvollkommenheiten und Unreinheiten befreit. An diesem Punkt kann eine größere spirituelle Kraftaufladung erfolgen, können die höheren Mächte des spirituellen Mentals und des Übermentals voll eingreifen. Freilich können sie ihr Werk, wenn auch nur als Einflüsse, schon früh begonnen haben. Unter den neuen Bedingungen können sie aber das zentrale Wesen auf ihre Ebene emporheben und die letzte neue Integration der Natur beginnen. Im nicht-spiritualisierten Mental des Menschen wirken diese höheren Mächte zwar auch schon, aber nur mittelbar, fragmentarisch und weniger aktiv. Bevor sie wirken können, werden sie in Substanz und Vermögen des Mentals umgewandelt. Substanz und Vermögen werden in ihren Schwingungen erleuchtet und gesteigert; sie geraten in einzelnen ihrer Regungen unter diesem Einfluß in Verzückung und Ekstase, werden aber nicht transformiert. Sobald jedoch die Spiritualisierung anfängt und sich ihre höheren Ergebnisse manifestieren – Schweigen des Mentals, Eintritt unseres Wesens in das kosmische Bewußtsein, in das nirvana des kleinen Ichs und in das Empfinden des allumfassenden Selbsts, in den Kontakt mit der Göttlichen Wirklichkeit – können die Einwirkungen der höheren Dynamik und unser Aufgeschlossensein für sie zunehmen. Sie können sich eine vollständigere, unmittelbarere und charakteristischere Macht aneignen. Dieser Fortschritt geht weiter, bis ihr umfassendes und ausgereiftes Wirken möglich ist. Hier beginnt dann die Wende von der spirituellen zur supramentalen Transformation. Denn die Erhöhung des Bewußtseins in immer umfassendere Ebenen errichtet in uns die Stufenleiter des Aufstiegs in das Supramental, zu jenem schwierigen und höchsten Ziel.

Wir dürfen nicht annehmen, Umstände und Wege dieses Übergangs seien für alle dieselben; denn wir betreten hier den Bereich des Unendlichen. Da aber hinter allen die Einheit einer grundlegenden Wahrheit steht, darf man erwarten, daß die Untersuchung einer einzelnen gegebenen Aufstiegslinie Licht auf das Prinzip aller Aufstiegs-Möglichkeiten wirft. Die Erforschung solch einer einzelnen Linie ist darum alles, was wir versuchen können. Diese Linie wird bestimmt, wie das bei allem der Fall sein muß, durch die natürliche Anordnung einer aufsteigenden Treppe. Auf ihr gibt es viele Stufen, denn hier gibt es eine unaufhörliche Folge von Graden; nirgendwo gibt es eine Lücke. Unter dem Gesichtspunkt des Bewußtseins-Aufstiegs von unserem Mental aus nach oben, durch eine ansteigende Reihe kraftgeladener Möglichkeiten, durch die es sich immer feiner ausbilden kann, können wir die Stufenfolge als eine Treppe mit vier Haupt-Anstiegen zusammenfassen, jeder mit seiner hohen Ebene der Erfüllung. Diese Folge von Stufen kann summarisch beschrieben werden als eine Reihe von Veredlungen des Bewußtseins: durch das Höhere Mental, das Erleuchtete Mental, das Intuitive Mental bis zum Übermental und über dieses hinaus. Das ist eine Aufeinanderfolge von Selbst-Umwandlungen, auf deren Gipfel das Supramental oder die Göttliche Gnosis liegt. Alle diese Stufen sind ihrem Prinzip und ihrem Vermögen nach gnostisch. Denn selbst am Anfang gehen wir von einem auf die ursprüngliche Unbewußtheit gegründeten Bewußtsein, das in allgemeiner Unwissenheit oder in einer Mischung von Wissen und Unwissenheit handelt, weiter zu einem Bewußtsein, das in einem geheimen selbst-seienden Wissen gründet. Auf dieses Bewußtsein wirken zuerst jenes Licht und jene Macht ein und inspirieren es. Dann wird es selbst in jene Substanz umgewandelt und verwendet nun ausschließlich diese neue Instrumentation. An sich sind diese Stufen Frequenzen der Energie-Substanz des Geistes: Weil wir sie nach ihrem besonders hervortretenden Charakter, ihren Mitteln und der Macht an Wissen unterscheiden, dürfen wir nicht annehmen, sie seien nur eine Methode oder ein Weg des Wissens oder eine Befähigung, eine Macht der Erkenntnis. Sie sind Bereiche des Wesens, Grade von Substanz und Energie des spirituellen Wesens, Felder des Seins. Jede ist eine Ebene der universalen Bewußtseins-Macht, die sich in einem höheren Zustand konstituiert und organisiert. Sobald die Mächte eines Grades vollständig in uns herabkommen, wird davon nicht nur unser Denken und Wissen beeinflußt, sie berühren die Substanz und den eigentlichen Kern unseres Wesens und Bewußtseins, dringen in jeden seiner passiven Zustände und in alle Aktivitäten ein; diese können umgeformt und völlig neu gestaltet werden. Jede neue Stufe dieses Aufstiegs bedeutet darum allgemeine, wenn nicht totale Umwandlung des Wesens in ein neues Licht und in das Vermögen höheren Seins.

Die Abstufung hängt grundlegend ab von einer höheren oder niederen Substanz, Kraft und Stärke der Schwingung des Wesens, von seiner Selbst-Bewußtheit, seiner Seins-Seligkeit und Seinsmächtigkeit. Je weiter wir die Leiter hinabsteigen, desto mehr wird das Bewußtsein vermindert und verdünnt, – eigentlich immer dichter durch seinen gröberen Aggregatzustand. Da aber der Stoff der Unwissenheit mit der groben Konsistenz immer kompakter wird, läßt er auch immer weniger die Substanz des Lichtes eindringen. Das Bewußtsein wird arm an reiner Bewußtseins-Substanz, an Bewußtseins-Macht vermindert, sein Licht wird matt; kümmerlich und stumpf wird auch seine Aufnahmefähigkeit für die tiefe Freude. Es muß seinen verminderten Stoff stärker verdichten, dessen dunkle Kraft mit größerer Anstrengung einsetzen, um irgendetwas zu erreichen. Aber sein angestrengtes Ringen und Arbeiten ist kein Zeichen von Stärke, sondern von Schwäche. Steigen wir nun in der Gegenrichtung empor, so tritt eine feinere, aber weit stärkere, wahrhaft und spirituell konkrete Substanz hervor, mehr Leuchtkraft, ein machtvoller Bewußtseins-Stoff, eine subtilere, lieblichere, reinere und größere ekstatische Energie des Entzückens. Bei der Herabkunft dieser höheren Grade zu uns dringen helleres Licht, Kraft und Essenz von Wesen und Bewußtsein und die Energie seliger Freude in unser Mental und Leben und in unseren Körper ein. Sie ändern und verbessern deren verminderte, verdünnte und unfähige Substanz, verwandeln sie in ihre höhere und stärkere Geisteskraft und in die eigentliche Form und Kraft der Wirklichkeit. Das kann deshalb geschehen, weil alles grundsätzlich dieselbe Substanz, dasselbe Bewußtsein, dieselbe Kraft ist, wenn auch in verschiedenen Formen, Mächten und Graden ihrer selbst. Daß das Niedere von dem Höheren emporgenommen wird, ist deshalb ein möglicher, spirituell natürlicher Vorgang; er ist es jedoch nicht für unsere zweite Natur von Unbewußtheit. Was einst von dem höheren Zustand herausgestellt worden war, wird nun wieder in sein eigenes höheres Wesen und Sein eingehüllt und emporgenommen. Unser erster entscheidender Schritt aus unserer menschlichen Intelligenz, unserer normalen Mentalität heraus ist ein Aufstieg in ein Höheres Mental, ein Mental, das keine Mischung von Licht und Dunkelheit oder Zwielicht mehr ist, sondern außerordentliche Klarheit des Geistes. Seine Grundsubstanz ist ein Empfinden, das unser Wesen mit machtvoller vielfältiger Dynamik vereint, die eine Menge von Aspekten der Erkenntnis, von Methoden des Handelns, von bedeutungsvollen Formen des Werdens und allem gestalten kann, von dem es ein spontanes inneres Wissen besitzt. Darum ist es eine Macht, die vom Übermental ausgeht – aber das Supramental als letzten Ursprung besitzt –, von dem all die höheren Mächte herrühren. Ihr besonderer Charakter, ihre Bewußtseins-Aktivität, wird aber vom Denken beherrscht. Das Höhere Mental ist ein erleuchtetes Denk-Mental, das Mental eines aus dem Geist geborenen begrifflichen Erkennens. Der Charakter dieses größeren Mentals des Wissens ist eine All-Bewußtheit, die der ursprünglichen Identität entspringt. Sie besitzt die Wahrheiten, die die Identität in sich enthält. Sie erfaßt sie rasch, unwiderstehlich und vielfältig. Sie formuliert und realisiert ihre Wahrnehmungen wirksam durch die Selbst-Macht der Idee. Diese Art der Kenntnisnahme ist die unterste Stufe, die aus der ursprünglichen spirituellen Identität hervortritt, bevor die trennende Erkenntnis, die Grundlage der Unwissenheit, einsetzt. Darum ist sie auch die erste, die wir antreffen, wenn wir aus dem begrifflichen, durch die Vernunft bestimmten Mental, unserer bisher best-organisierten Erkenntnismacht innerhalb der Unwissenheit, in die Bereiche des Geistes emporsteigen. Das Höhere Mental ist der eigentliche spirituelle Urheber unserer begrifflichen mentalen Ideenbildung. Darum ist es natürlich, daß die bisher führende Macht unserer Mentalität, wenn sie über sich hinauskommt, zu ihrem unmittelbaren Ursprung weitergeht.

Aber hier in diesem höheren Denken ist kein Suchen, keine selbstkritische Verwendung der Vernunft mehr nötig, kein logisches Fortschreiten, Schritt für Schritt, zu einer Schlußfolgerung, kein Mechanismus von ausdrücklichen oder implizierten Ableitungen oder Schlüssen, kein Aufbau von Ideen, keine absichtliche Verkettung der einen mit der anderen, um zu einer geordneten Summe oder zu einem Ergebnis der Erkenntnis zu gelangen. Diese hinkende Tätigkeit unserer Vernunft ist eine Bewegung der Unwissenheit, die nach Wissen sucht. Sie ist gezwungen, ihre Schritte gegen den Irrtum abzusichern. Sie muß eine selektive mentale Struktur als ihre vorübergehende Unterkunft aufbauen. Sie hat sie auf Fundamente zu gründen, die bereits gelegt wurden, und zwar sorgfältig, die aber nie stark waren, da sie nicht vom Boden eingeborener Bewußtheit getragen werden, sondern in den ursprünglichen Grund der Nichtbewußtheit eingesenkt sind. Hier gibt es nicht jene andere Methode unseres Mentals, in der es am schärfsten und raschesten ist, das schnelle kühne Erahnen und die Innenschau, das Scheinwerferspiel der Intelligenz, die in das wenig Bekannte oder Unbekannte hineinleuchtet. Dieses höhere Bewußtsein ist ein Wissen, das sich auf einer Grundlage von selbst-seiender All-Bewußtheit formuliert und einen bestimmten Teil seiner Vollständigkeit manifestiert, eine Harmonie seiner Bedeutungen, ausgedrückt in Gedankenform. Es kann sich zwar frei in einzelnen Ideen ausdrücken; seine charakteristische Wirkform ist aber die Einheit zahlreicher Ideen, ein System oder eine Ganzheit des Wahr-heits-Schauens mit einem einzigen Blick. Die Beziehungen von Idee zu Idee, von Wahrheit zu Wahrheit, werden nicht durch die Logik hergestellt, sondern existieren von vornherein und treten, als bereits vom Selbst geschaut, in dem integralen Ganzen hervor. Hier beginnt die Ausformung eines immer gegenwärtigen, aber bis jetzt noch nicht aktiv gewordenen Wissens, das nicht ein System von Schlußfolgerungen aus Prämissen oder Daten ist. Dieses Denken ist die Selbst-Enthüllung ewiger Weisheit; es ist kein erworbenes Wissen. Umfassende Aspekte der Wahrheit kommen in unser Gesichtsfeld, in denen das emporsteigende Mental, falls es das will, nach früherer Art wie in einem Gebäude zufrieden wohnen kann. Soll aber ein Fortschritt erzielt werden, dann müssen sich diese Gebäude ständig in eine neue, umfassendere Baustruktur ausweiten. Es können sich auch verschiedene Strukturen zu einem provisorischen größeren Ganzen kombinieren bis zu einer bis jetzt noch nicht erlangten Vollständigkeit. Am Ende gibt es eine größere Ganzheit von bekannter und neu erfahrener Wahrheit. Doch ist auch diese Totalität noch unendlicher Ausweitung fähig, da es für die Aspekte des Wissens kein Ende gibt, nastyanto vistarasya me.

Das ist das Höhere Mental unter dem Gesichtspunkt der Erkenntnis. Es gibt aber auch den Aspekt des Willens, der dynamischen Verwirklichung der Wahrheit. Hier finden wir, daß dieses größere und brillantere Mental stets durch die Macht des Gedankens, durch Ideen-Kraft auf das übrige Wesen, den mentalen Willen, das Herz und seine Gefühle, das Leben und den Körper einwirkt. Es versucht, durch Erkenntnis zu läutern, durch Wissen zu befreien, durch die dem Wissen innewohnende Macht zu erschaffen. Die Idee wird in das Herz oder in das Leben als eine Kraft eingepflanzt, die angenommen und ausgearbeitet werden soll. Herz und Leben werden der Idee bewußt und reagieren auf ihre Dynamik; ihre Substanz beginnt, sich in diesem Sinn umzugestalten, so daß die Gefühle und Handlungen zu Schwingungen dieser höheren Weisheit und von dieser geformt, mit ihrem Empfinden und ihrem Sinn erfüllt werden: Der Wille und die Lebensimpulse werden ähnlich mit ihrer Macht und mit ihrem Drang aufgeladen, sich selbst wirksam zu machen. Selbst im Körper wirkt die Idee, so daß zum Beispiel der starke Gedanke und Wille zur Gesundheit den Glauben des Körpers an und seine Zustimmung zur Krankheit ersetzt oder daß die Idee27 von Stärke das Vermögen, die Regung und Schwingung von Stärke im Stofflichen hervorruft. Die Idee erzeugt die Kraft und die Form, die der Idee eigen sind; sie überträgt sie auf die Substanz unseres Mentals und Lebens oder auf die Materie. Auf diese Weise schreitet das Wirken am Anfang fort. Es lädt das ganze Wesen mit einem neuen und höheren Bewußtsein auf, legt das Fundament für die Umwandlung und bereitet es auf eine höhere Wahrheit des Seins vor.

Um ein naheliegendes Mißverständnis zu vermeiden, das leicht entstehen kann, wenn man zuerst die überlegene Macht der höheren Kräfte wahrnimmt und erfährt, ist hervorzuheben, daß diese höheren Kräfte bei ihrer Herabkunft nicht sofort so allmächtig sind, wie das auf ihrer Ebene des Wirkens und in ihrem eigenen Medium natürlich der Fall ist. Bei der Evolution in der Materie müssen sie in ein ihnen fremdes und minderes Medium eintreten und auf es einwirken. Dort stoßen sie auf die Unfähigkeiten unseres Mentals, Lebens und Körpers. Sie begegnen dem Mangel an Empfänglichkeit oder einer blinden Zurückweisung durch die Unwissenheit. Sie erfahren die Verneinung und Widersetzlichkeit der Unbewußtheit. Auf ihrer eigenen Ebene wirken sie auf der Basis eines lichtvollen Bewußtseins und einer erleuchteten Substanz des Wesens; darum sind sie automatisch wirkungsvoll. Hier dagegen müssen sie sich mit einem schon vorher ausgebauten Fundament von Nichtbewußtheit auseinandersetzen, – nicht nur mit der völligen Unwissenheit der Materie, sondern auch mit der modifizierten von Mental, Herz und Leben. Wenn die höhere Idee so in die entwickelte mentale Intelligenz herabkommt, muß sie sogar hier die Sperre durch eine Masse oder ein System ausgeformter Gedanken überwinden, die zu der Wissen-Unwissenheit und dem Willen dieser Ideen gehören, fortzudauern und sich zu verwirklichen. Denn alle Ideen sind Kräfte und besitzen eine, je nach den Umständen größere oder geringere, Fähigkeit zur Gestaltung und Selbst-Durchsetzung, – sie können sogar in der Praxis auf Null reduziert werden, wenn sie es mit der unbewußten Materie zu tun haben; doch bleiben sie immer noch potentiell existent. Es gibt also eine bereits ausgeformte Macht von Widerstand, der sich den Wirkungen des herabkommenden Lichts entgegenstellt oder sie verringert, ein Widerstand, der so weit gehen kann, daß er das Licht verweigert oder zurückweist. Oder er kann als Versuch erscheinen, das Licht zu behindern, zu unterdrücken, es schlau zu verändern, es sich anzupassen oder umzukehren, damit es zu den vorgefaßten Vorstellungen der Unwissenheit paßt. Verwirft man diese vorgefaßten oder bereits gebildeten Ideen und beraubt man sie ihres Rechts, fortzudauern, dann nehmen sie sich doch das Recht, von außen her, aus ihrer weiten Verbreitung im universalen Mental, wiederzukommen. Oder sie können sich nach unten in die vitalen, physischen oder unterbewußten Schichten zurückziehen, um von dort bei nächster Gelegenheit wieder emporzukommen und ihren verlorenen Herrschaftsbereich wieder in Besitz zu nehmen. Denn die evolutionäre Natur muß dieses Recht zum Beharren den Dingen geben, die sie einmal geschaffen hat, um so ihren Schritten genügend Stetigkeit und Festigkeit zu verleihen. Außerdem ist es Art und Anspruch jeder Kraft, die sich manifestiert, zu sein, zu überleben, sich, wo immer und solange es möglich ist, wirksam durchzusetzen. Darum wird in einer Welt der Unwissenheit alles nicht nur durch Zusammenwirken, sondern auch durch Kollision, Kampf, Vermischung der Kräfte erreicht. Für diese höchste Evolution ist aber wesentlich, daß jede Vermischung von Unwissenheit mit Wissen ausgemerzt wird. Aktion und Evolution durch den Widerstreit der Kräfte soll ersetzt werden durch ein Wirken und eine Entwicklung in Harmonie der Kräfte. Wir können diese Stufe aber nur durch einen letzten Kampf erreichen, in dem wir die Mächte der Unwissenheit durch die Mächte von Licht und Wissen überwinden. In den niederen Ebenen des Wissens, in Herz, Leben und Körper, kehrt dasselbe Phänomen, und zwar mit höherem Stärkegrad, wieder. Denn hier stößt diese höhere Macht nicht nur auf Ideen, sondern auf Emotionen, Begierden, Impulse, Sinnlichkeit, vitale Bedürfnisse und Gewohnheiten der niederen Natur. Da sie weniger bewußt sind als Ideen, sind sie in ihrer Reaktion blinder und suchen sich viel hartnäckiger durchzusetzen: Alle haben dieselbe oder eine noch größere Kraft zum Widerstand und zur Wiederkehr. Oder sie flüchten in die unser Bewußtsein umgebende universale Natur. Oder sie ziehen sich in unsere niederen Schichten oder in einen Keimzustand im Unterbewußten zurück. Von dort aus haben sie die Macht, von neuem einzufallen oder wieder emporzukommen. Diese Macht der einmal in der Natur etablierten Dinge zur Dauer, zur Wiederkehr, zum Widerstand ist stets das große Hindernis, auf das die evolutionäre Kraft stößt. Faktisch hat sie diese selbst erschaffen, um eine allzu rasche Verwandlung auch dann zu verhindern, wenn diese Umwandlung letztlich ihre eigene Absicht in den Dingen ist.

Auch wenn diese Behinderung sich im weiteren Fortschritt verringern kann, wird sie doch auf jeder Stufe des höheren Aufstiegs vorhanden sein. Um überhaupt dem höheren Licht zu ermöglichen, in entsprechender Wirkstärke hereinzukommen, müssen wir das Vermögen zur Beruhigung unserer Natur erwerben. Wir sollen Mental, Herz, Leben und Körper besänftigen, still machen, ihnen eine gelenkte Passivität oder sogar völliges Schweigen auferlegen. Trotzdem ist fortdauernde Opposition immer möglich. Sie ist entweder offenkundig oder wird in der Kraft der allumfassenden Unwissenheit empfunden. Oder sie ist subliminal und verborgen in der Substanz-Energie der individuellen Mental-Struktur, in der Lebensform des Individuums und in seinem Körper aus Materie. Geheimer Widerstand, eine Revolte oder eine wiederholte Durchsetzung der früher schon beherrschten oder unterdrückten Energien der unwissenden Natur sind immer möglich. Wenn irgendetwas in unserem Wesen diesen Dingen zustimmt, können sie wieder die Herrschaft an sich reißen. Eine schon früher gewonnene Beherrschung durch die Seele ist sehr wünschenswert, da sie eine allgemeine Empfänglichkeit für das Licht schafft und die Revolte der niederen Schichten gegen es oder ihre Zustimmung zu den Ansprüchen der Unwissenheit behindert. Ebenso wird eine vorausgehende spirituelle Transformation die Macht der Unwissenheit über uns verringern. Keiner dieser Einflüsse kann aber ihre Widersetzlichkeit oder Begrenzung völlig ausschalten. Denn die vorausgehenden Umwandlungen erbringen nicht das integrale Bewußtsein und Wissen. Immer wird die ursprüngliche Basis der dem Unbewußten eigentümlichen Unwissenheit vorhanden sein, die jedesmal wieder umgewandelt, erleuchtet und im Ausmaß und der Kraft ihrer Reaktion verringert werden muß. So wie die Macht des spirituellen Höheren Mentals und seine Ideen-Kraft bei ihrem Eintritt in unsere Mentalität modifiziert und verringert wird, reicht sie nicht aus, alle diese Widerstände wegzufegen und ein gnostisches Wesen zu erschaffen. Sie kann aber eine erste Umwandlung und eine Veränderung zuwege bringen, die einen weiteren Aufstieg und ein machtvolleres Herabkommen ermöglicht. Sie kann die weitere Integration des Wesens in eine höhere Kraft von Bewußtsein und Wissen vorbereiten.

Diese größere Kraft ist die des Erleuchteten Mentals, das nicht mehr ein Mental des höheren Denkens, sondern ein solches spirituellen Lichtes ist. Hier weicht die Klarheit der spirituellen Intelligenz, ihr ruhiges Tageslicht einer Strahlkraft, einem Glanz und einer Erleuchtung des Geistes: Ein Feuerwerk von Blitzen spiritueller Wahrheit und Macht bricht von oben her in das Bewußtsein ein. Es fügt der ruhigen weiten Erleuchtung und dem gewaltigen Herabströmen von Frieden, die das Wirken des umfassenderen begrifflich-spirituellen Prinzips charakterisieren oder begleiten, die feurige Glut der Verwirklichung und eine leidenschaftliche Ekstase des Wissens hinzu. Dieses Wirken wird im allgemeinen vom Herabströmen eines innerlich sichtbaren Lichtes umhüllt. Denn hier ist zu beachten, daß, im Unterschied zu unseren gewöhnlichen Auffassungen, Licht nicht in erster Linie eine materielle Schöpfung ist. Das Empfinden oder die Schau von Licht, die die innere Erleuchtung begleiten, sind nicht nur ein subjektives visuelles Abbild oder ein symbolisches Phänomen: Licht ist in erster Linie eine spirituelle erleuchtende und schöpferische Manifestation der Göttlichen Wirklichkeit. Materielles Licht ist dessen Folgeerscheinung, seine Repräsentation oder Umwandlung in Materie für die Zwecke der materiellen Energie. Bei dieser Herabkunft tritt auch eine größere Dynamik ein, ein “goldenes Drängen”, ein lichtvoller von innerer Kraft und Macht, der den verhältnismäßig langsamen und bedächtigen Prozeß des Höheren Mentals durch das rasche, manchmal heftige, beinahe gewalttätige Ungestüm einer rapiden Umwandlung ersetzt.

Das Erleuchtete Mental wirkt nicht in erster Linie durch Denken, sondern durch Schau. Denken ist hier nur eine untergeordnete Funktion, um das Geschaute auszudrücken. Das menschliche Mental, das sich hauptsächlich auf das Denken verläßt, meint, dieses sei der höchste oder wichtigste Prozeß der Erkenntnis. Aber in der spirituellen Ordnung ist Denken ein sekundärer, gar nicht unentbehrlicher Prozeß. In seiner Form von verbalem Denken kann man es beinahe als eine Konzession auffassen, die das Wissen der Unwissenheit gegenüber macht. Ist doch die Unwissenheit unfähig, sich selbst gegenüber eine Wahrheit in ihrem ganzen Umfang und ihren vielfältigen Bedeutungen völlig durchsichtig und verständlich zu machen, wenn sie nicht die klärende Genauigkeit bedeutungsvoller Laute verwendet. Ohne dieses Mittel kann das Wissen seinen Ideen keinen genauen Umriß und keinen sie darstellenden Körper geben. Offensichtlich ist das aber nur eine Instrumentation, ein Mechanismus. Das Denken ist an sich in seinem Ursprung auf den höheren Ebenen des Bewußtseins eine Wahrnehmung, ein erkennendes Erfassen des Gegenstandes oder einer Wahrheit der Dinge, die ein zwar machtvolles, aber doch minderes und sekundäres Ergebnis spiritueller Schau ist. Hier schaut, verhältnismäßig äußerlich und oberflächlich, das Selbst auf das Selbst, das Subjekt auf sich selbst oder auf etwas von sich als auf ein Objekt: Denn alles ist hier Verschiedenheit und Vielfalt des Selbsts. Im Mental kommt es zur vordergründigen Reaktion von Wahrnehmen auf den Kontakt mit einem beobachteten oder entdeckten Gegenstand, mit einer Tatsache oder Wahrheit und zu deren darauffolgenden begrifflichen Formulierung. Im spirituellen Licht gibt es aber eine tiefere wahrnehmende Reaktion von der eigentlichen Substanz des Bewußtseins her, ferner eine umfassende Formulierung in dieser Substanz, eine genaue Darstellung oder ein offenbarendes Ideogramm im Stoff des Wesens. Darüber hinaus ist aber nichts nötig, keine verbale Darstellung, um dieses Denk-Wissen zu präzisieren und zu vervollständigen. Das Denken erschafft sich ein repräsentatives Bild von der Wahrheit. Es bietet dieses dem Mental als Mittel an, die Wahrheit festzuhalten und sie zu einem Gegenstand der Erkenntnis zu machen. Der Leib selbst dieser Wahrheit wird aber im Sonnenlicht eines tieferen spirituellen Schauens erfaßt und dort genau festgehalten. Ihm gegenüber ist die vom Denken erschaffene repräsentative Figur sekundär und abgeleitet. Sie ist machtvoll, um das Wissen mitzuteilen, aber durchaus nicht unentbehrlich, um das Wissen zu empfangen und zu besitzen.

Ein Bewußtsein, das sich auf Schau gründet, das Bewußtsein des Sehers, ist für die Erkenntnis eine stärkere Macht als das Bewußtsein des Denkers. Die wahrnehmende Macht innerer Schau ist größer und unmittelbarer als die wahrnehmende Macht des Denkens. Sie ist ein spiritueller Sinn, der etwas von der Substanz der Wahrheit erfaßt, und nicht nur ihr Abbild. Sie umreißt zwar das Abbild, erfaßt aber auch die Bedeutung des Bildes. Sie kann die Wahrheit in feiner und kühner offenbarender Darstellung, mit umfassenderem Verständnis und mehr Kraft zur Ganzheit verkörpern, als es das gedankliche Begreifen fertigbringt. So wie das Höhere Mental durch die spirituelle Idee und ihre Wahrheits-Macht in das Wesen eine stärkere Bewußtseins-Frequenz bringt, so bewirkt das Erleuchtete Mental ein noch höheres Bewußtsein durch Wahrheits-Schau und Wahrheits-Licht und deren Macht, zu sehen und zu begreifen. Es kann eine mit mehr Kraft aufgeladene Integration zustandebringen. Es erleuchtet das Denk-Mental mit unmittelbarer innerer Schau und Inspiration. In das Herz bringt es spirituelles Sehen und in sein Empfinden und Fühlen Licht und Kraft des Geistes. Der Lebenskraft verleiht es einen spirituellen Auftrieb, eine Wahrheits-Inspiration, die das Handeln mit Energien versorgt und die Lebensregungen erhöht. In die Sinne läßt es eine unmittelbare und umfassende Macht spirituellen Empfindens einströmen, so daß unser vitales und physisches Wesen mit dem Göttlichen Wesen in allen Dingen ebenso intensiv in Berührung kommen und ihm ebenso konkret begegnen kann, wie das Mental und das Gefühl es begreifen und wahrnehmen können. Es bestrahlt das physische Mental mit einem verwandelnden Licht, das seine Begrenzungen zerstört, seine konservative Trägheit überwindet, seine enge Denk-Macht und seine Zweifel durch Schau ersetzt und sogar bis in die Zellen des Körpers Erleuchtung und Bewußtsein eingießt. In der Umwandlung durch das Höhere Mental könnte der spirituelle Weise seine völlige und dynamische Erfüllung finden. In der Transformation durch das Erleuchtete Mental würden der Seher, der erleuchtete Mystiker eine ähnliche Erfüllung erleben, alle, in denen die Seele im Schauen und in unmittelbarer Empfindung und Erfahrung lebendig ist: Denn von diesen höheren Ursprüngen empfangen sie ihr Licht. Sich in dieses Licht zu erheben und dort zu leben, wäre der Aufstieg der Seele in ihr heimatliches Reich.

Diese beiden Stufen des Aufstiegs können sich ihrer Autorität nur dann erfreuen und ihre vereinte Vollständigkeit erlangen, wenn sie sich auf eine dritte Stufe beziehen. Denn von den höheren Gipfeln her, wo das intuitive Wesen daheim ist, beziehen sie das Wissen, das sie in Denken und Schau verwandeln und uns zur Umwandlung des Mentals herabbringen. Intuition ist eine Bewußtseins-Macht, die dem ursprünglichen Wissen durch Identität nähersteht und mit ihm inniger verwandt ist. Sie ist immer etwas, das unmittelbar der verborgenen Identität entspringt. Wenn das Bewußtsein des Subjekts auf das Bewußtsein im Objekt trifft, es durchdringt und die Wahrheit dessen, das es berührt, sieht, fühlt und mit ihr schwingt, springt die Intuition wie ein Funke oder ein Blitz aus diesem Zusammenprall über. Es kann auch zu solchem Hervorbrechen eines intuitiven Lichtes kommen, wenn das Bewußtsein, auch ohne ein solches Zusammentreffen, in sich hineinschaut und unmittelbar und innig die Wahrheit oder die Wahrheiten fühlt, die es dort gibt; oder wenn es die Kräfte berührt, die hinter den äußeren Erscheinungen verborgen sind. Ferner wird der Funke, der Lichtstrahl oder das Aufflammen einer inneren Wahrheits-Wahrnehmung in ihren Tiefen entzündet, wenn das Bewußtsein der Höchsten Wirklichkeit oder der spirituellen Wirklichkeit von Dingen und Wesen begegnet und mit ihr durch innigen Kontakt Einung erfährt. Diese nahe Wahrnehmung ist mehr als ein Schauen, mehr als ein Begreifen. Sie ist das Ergebnis einer eindringenden und offenbarenden Berührung, die in sich als Teil ihrer selbst oder als natürliche Folge das Schauen und Begreifen enthält. Eine verborgene oder schlummernde Identität, die sich noch nicht ganz wiedergefunden hat, erinnert sich durch die Intuition an alles, was sie enthält, oder sie übermittelt uns ihre eigenen Inhalte, die innere Unmittelbarkeit ihres Selbst-Fühlens und ihrer Selbst-Schau der Dinge, ihr Licht der Wahrheit und ihre überwältigende automatische Gewißheit.

Im menschlichen Mental ist die Intuition eben solch eine Wahrheits-Erinnerung und Wahrheits-Übermittlung, solch ein offenbarendes Aufblitzen, solch lodernde Flamme, die in eine Masse von Unwissenheit oder durch eine Hülle von Nichtbewußtheit eindringt. Wir haben aber gesehen, daß sie dort eindringend einer Vermischung unterworfen oder vom Mental überkleidet oder aufgefangen und durch dieses ersetzt wird. Auch gibt es da vielfältig die Möglichkeit falscher Interpretation, die der Reinheit und Fülle ihrer Aktivität entgegenwirkt. Außerdem treten auf allen Ebenen des Wesens scheinbare Intuitionen auf, die eher Mitteilungen von außen sind als Intuitionen; sie haben ganz anderen Ursprung, Wert und Charakter. Der infrarationale selbst-ernannte “Mystiker” – denn für den wahren Mystiker reicht es nicht aus, die Vernunft abzulehnen und sich auf Quellen für Denken und Handeln zu verlassen, die man nicht verstehen kann – wird oft durch solche Kommunikationen auf der vitalen Stufe aus einer finsteren und gefährlichen Quelle inspiriert. Unter solchen Umständen werden wir dazu gezwungen, uns vor allem auf die Vernunft zu verlassen, und neigen dazu, selbst die Eingebungen der Intuition – oder der Pseudo-Intuition, die das häufigere Phänomen ist – zu kontrollieren, indem wir sie mit der kritischen Intelligenz beobachten und prüfen. Denn wir fühlen in unserem Intellekt, daß wir sonst nicht dessen sicher sein können, was das wahre Wesen und was die vermischte oder verdorbene Sache oder der falsche Ersatz ist. Das entwertet aber für uns weithin die Nützlichkeit der Intuition: Denn auf diesem Gebiet ist die Vernunft kein verläßlicher Schiedsrichter, da ihre Methoden anders, zögernd, unsicher, intellektuelles Suchen sind. Obwohl sie sich für ihre Schlußfolgerungen in Wirklichkeit auf eine getarnte Intuition verläßt – ohne diese Hilfe könnte sie ihren Weg nicht wählen oder zu einem gesicherten Ziel gelangen –, verbirgt sie die Abhängigkeit vor sich hinter dem Prozeß einer logischen Schlußfolgerung oder der Bestätigung einer Vermutung. Muß sich aber eine Intuition der kritischen Nachprüfung durch die Vernunft unterwerfen, hört sie auf, Intuition zu sein, und kann sich nur noch auf die Autorität der Vernunft stützen, für die es keine unmittelbar sichere Quelle gibt. Selbst wenn das Mental ein vorwiegend intuitives Mental würde, das sich auf seinen Anteil an der höheren Begabung stützt, bliebe es schwierig, seine Erkenntnisse und besonderen Fähigkeiten zu koordinieren, – denn im Mental werden sie immer dazu neigen, als eine Reihe unvollkommen verbundener blitzartiger Einfälle zu erscheinen, solange diese neue Mentalität noch keine bewußte Verbindung mit ihrem suprarationalen Ursprung oder einen Zugang besitzt, der sie auf eine höhere Bewußtseins-Ebene emporhebt, auf der intuitives Wirken rein und ursprünglich ist.

Intuition ist immer eine scharfe Schneide, ein Strahl oder der Ausbruch eines höheren Lichtes. Sie wird in uns zu einer zustoßenden Klinge, zum Strahl oder zur Spitze eines weit entfernten Lichtes des Supramentals, das über uns in eine Zwischen-Substanz von Wahrheits-Mental eindringt, von dieser verändert wird und, so abgeschwächt, weiter in unsere gewöhnliche oder unwissende Mental-Substanz eindringt und durch diese reichlich erblindet. Auf jener höheren Ebene aber, auf der sie daheim ist, ist ihr Licht unvermischt und darum völlig rein und wahrheitsgetreu. Ihre Strahlen sind nicht vereinzelt, sondern miteinander verbunden oder als Masse in einem Spiel von Wellen dessen zusammengefaßt, was man im Sanskrit poetisch etwa einen Ozean oder eine Masse von “stabilen Blitzen” nennen könnte. Wenn diese ursprüngliche oder echte Intuition als Antwort auf einen Aufstieg unseres Bewußtseins zu ihrer Höhe oder als Ergebnis dessen, daß wir einen klaren Weg der Kommunikation mit ihr gefunden haben, zu uns herabkommt, mag sie weiter, isoliert oder in beständigem Wirken, als das Spiel aufleuchtender Blitze zu uns kommen. Auf dieser Stufe wird jedoch das Urteil der Vernunft völlig unbrauchbar. Sie kann nur als Beobachter und Registrator aktiv sein, der die lichtvolleren Anregungen, Urteile und Unterscheidungen der höheren Macht versteht oder vermerkt. Um eine isolierte Intuition, ihre Art, ihre Anwendung und ihre Begrenzungen zu vervollständigen oder ihre Wahrheit zu erweisen, muß sich das empfangende Bewußtsein auf eine andere, sie vervollständigende Intuition verlassen oder fähig sein, eine massierte Intuition herabzurufen, die alles an seinen rechten Platz stellen kann. Denn sobald der Prozeß der Umwandlung begonnen hat, wird die vollständige Verwandlung des Stoffs und der Wirkweisen des Mentals in Substanz, Form und Macht der Intuition zwingend. Solange der Bewußtseins-Prozeß von der niederen Intelligenz abhängt, die der Intuition dient, aushilft oder sie verwendet, kann sich daraus nur das Fortbestehen der Vermischung von Wissen mit Unwissenheit ergeben, die von einem höheren Licht und einer Kraft emporgehoben und unterstützt wird, die in ihren Schichten von Wissen wirken.

Intuition besitzt eine vierfache Macht: die Macht offenbarender Wahrheits-Schau; die Macht der Inspiration oder des Wahrheits-Vernehmens; die Macht, die Wahrheit zu ergreifen oder unmittelbar ihre Bedeutung zu erfassen, die der gewöhnlichen Art verwandt ist, wie sie in unsere mentale Intelligenz eingreift; schließlich das Vermögen, die geordnete, exakte Beziehung von einer Wahrheit zur anderen wahrhaft und automatisch zu unterscheiden, – das sind die vier wirksamen Mächte der Intuition. Darum kann Intuition die gesamte Tätigkeit der Vernunft durchführen, einschließlich der Funktion der logischen Intelligenz, die die richtige Beziehung der Dinge untereinander und die rechte Beziehung von Idee zu Idee auszuarbeiten hat. Sie tut das aber durch ihren eigenen höheren Prozeß und mit Schritten, die weder versagen noch straucheln. Außerdem hebt sie empor und verwandelt in die eigene Substanz nicht nur das Mental des Denkens, sondern auch Herz, Leben, die Sinne und das physische Bewußtsein: Sie alle haben schon ihre intuitiven Kräfte, die aus dem verborgenen Licht abgeleitet sind. Die von oben herabkommende reinere Macht kann sie sämtlich in sich aufnehmen und jenen tieferen Auffassungen des Herzens und Lebens und den Ahnungen des Körpers eine höhere Vollständigkeit und Vollkommenheit verleihen. Sie kann so das ganze Bewußtsein in den Stoff der Intuition umwandeln. Denn sie bringt ihre eigene größere strahlende Bewegung hinein in den Willen, in die Gefühle, in die Lebens-Impulse, die Bestätigung der Sinne und die Sinnlichkeit, in das eigentliche Wirken des Körper-Bewußtseins. Sie prägt sie um in das Licht und die Macht der Wahrheit und erleuchtet ihr Wissen und ihre Unwissenheit. So kann eine gewisse Integration stattfinden. Ob das aber die totale Integration ist, hängt davon ab, in welchem Maß das neue Licht fähig ist, das Unterbewußte emporzuheben und in die fundamentale Unbewußtheit einzudringen. Hier mögen das intuitive Licht und seine Macht an der Erfüllung ihrer Aufgabe dadurch behindert sein, daß es nur der Rand eines delegierten und modifizierten Supramentals ist, aber nicht in vollem Umfang die Fülle oder den Körper des Identitäts-Wissens mit sich bringt. Die Basis des Unbewußten in unserer Natur ist zu riesig, zu tief und zu fest, als daß sie völlig durchdrungen, in Licht umgewandelt und durch eine niedere Macht der Wahrheits-Natur transformiert werden könnte.

Der nächste Schritt des Aufstiegs bringt uns zum Übermental. Die Wandlung der Intuition kann nur Einführung zu dieser höheren spirituellen Eröffnung sein. Wir haben aber gesehen, daß das Übermental, auch wenn es selektiv und in seinem Wirken nicht total ist, dennoch eine Macht des kosmischen Bewußtseins, ein Prinzip globalen Wissens ist, das ein delegiertes Licht aus der supramentalen Gnosis in sich trägt. Darum ist es nur dann möglich, daß wir in das Übermental aufsteigen und dieses zu uns herabkommt, wenn wir uns in das kosmische Bewußtsein ausweiten. Es genügt nicht, wenn sich der Einzelne intensiv nach diesen Höhen hin öffnet. Zum vertikalen Aufstieg zu den Gipfeln des Lichts muß eine umfassende horizontale Ausdehnung des Bewußtseins in die Totalität des Geistes hinzukommen. Zumindest muß das innere Wesen durch seine tiefere und weitere Bewußtheit bereits das vordergründige Mental und seinen begrenzten Horizont ersetzt haben. Es muß gelernt haben, in einer weiten Universalität zu leben. Sonst werden die Übermental-Schau der Dinge und die Übermental-Dynamik keinen Raum finden, in den sie eingehen und in dem sie ihre dynamischen Maßnahmen wirksam machen können. Kommt das Übermental herab, wird die Vorherrschaft des zentralisierenden Ich-Sinnes völlig untergeordnet. Er geht in der großen Weite des Wesens verloren und wird zuletzt ausgemerzt. An seine Stelle sind eine weite kosmische Wahrnehmung und das Gefühl eines grenzenlosen universalen Selbsts und dessen Bewegung getreten. Viele der vorherigen ego-zentrischen Regungen mögen noch fortdauern; sie treten aber nur als Strömungen und Wellengekräusel in der kosmischen Weite auf. Das Denken scheint zumeist nicht mehr individuell im Körper oder in der Person zu entstehen, es manifestiert sich von oben her, oder es kommt auf den kosmischen Mental-Wellen zu uns herein. Alle innere individuelle Schau der Dinge oder die Intelligenz ist jetzt eine Enthüllung oder Erleuchtung dessen, was gesehen oder begriffen wird. Der Ursprung des Enthüllten liegt aber nicht in unserem abgesonderten Selbst, sondern im universalen Wissen. Ähnlich werden die Gefühle, Emotionen, Sinnesempfindungen als Wellen derselben kosmischen Unermeßlichkeit gefühlt, die sich an unserem subtilen oder materiellen Körper brechen, auf die das individuelle Zentrum der Universalität entsprechend reagiert. Denn der Körper ist nur ein kleiner Stützpunkt oder noch weniger: ein Beziehungspunkt für eine ungeheure kosmische Instrumentation. Mag sein, daß in dieser grenzenlosen Weite nicht nur das abgesonderte Ich, sondern jedes Empfinden von Individualität, selbst von einer untergeordneten und instrumentalen Individualität, gänzlich verschwindet. Übrig bleiben allein das kosmische Sein, das kosmische Bewußtsein, die kosmische Seligkeit, das Spiel der kosmischen Kräfte. Wird dann dort, wo das personale Mental, das Leben und der Körper war, die Seligkeit oder das Zentrum der Kraft gefühlt, geschieht das nicht mit dem Empfinden der Persönlichkeit. Vielmehr ist das ein Feld für Manifestation. Dieses Empfinden tiefer Freude und des Wirkens der Kraft bleibt nicht auf die Person oder den Körper begrenzt, sondern kann an allen Punkten in einem unbegrenzten Bewußtsein von Einheit gefühlt werden, das überall hindringt.

Es kann viele Formulierungen des Übermental-Bewußtseins und seiner Erfahrung geben. Denn das Übermental ist ungemein formbar und ein Feld vielfacher Möglichkeiten. Anstelle des Empfindens, daß es sich ohne ein Zentrum und ohne Raumgebundenheit verstreut, können wir das Universum in uns selbst und als uns selbst erfahren. Aber auch hier ist das Selbst nicht das Ich. Es ist die Ausdehnung eines freien und rein wesenhaften Selbst-Bewußtseins. Oder es ist eine Identifizierung mit dem All. Diese Ausdehnung oder Identifizierung konstituiert ein kosmisches Wesen, ein universales Individuum. In dem einen Zustand des kosmischen Bewußtseins gibt es das Individuum, das in den Kosmos eingeschlossen ist, sich aber mit allem im Kosmos, mit den Dingen und Wesen, mit Denken und Empfinden, Freude und Kummer der anderen identifiziert. Im anderen Zustand schließen wir die Wesen in uns selbst und ihr Leben als einen Teil unseres eigenen Wesens ein. Oft gibt es keine Regel oder Lenkung der gewaltigen Bewegung, sondern ein freies Spiel der universalen Natur, auf das das frühere personale Wesen mit passiver Hinnahme oder dynamischer Identifizierung antwortet, während der Geist frei und unbeeinträchtigt bleibt von jedweder Gebundenheit an die Reaktionen dieser Passivität oder dieser universalen und apersonalen Identifizierung und dieses Mitempfindens. Wird aber der Einfluß des Übermentals stark und sein Wirken vollständig, kann integrales Empfinden einer Lenkung, einer völligen Unterstützung oder allbeherrschenden Gegenwart und Führung durch das kosmische Selbst, den ishvara, eintreten und normal werden. Es kann auch ein besonderes Zentrum offenbart und geschaffen werden, das dem physischen Werkzeug überlegen ist und es beherrscht. In der Tatsächlichkeit des Daseins ist es individuell, in unserem Fühlen ist es aber apersonal. Wir erkennen es als etwas, das dem Wirken eines Transzendenten und Allumfassenden Wesens als Werkzeug dient. Geht dieses zentralisierende Wirken bei seinem Übergang zum Supramental weiter, dann führt das zur Entdeckung des wahren Individuums, das das tote Ich ersetzt. Dieses Seiende ist in seinem Wesen eins mit dem Höchsten Selbst, in seiner Ausweitung eins mit dem Universum und doch kosmisches Zentrum und Peripherie für ein spiritualisiertes Wirken des Unendlichen.

Das sind die allgemeinen ersten Ergebnisse. Sie schaffen die normale Grundlage für das Übermental-Bewußtsein im entwickelten spirituellen Wesen. Doch sind seine unterschiedlichen Formen und Entwicklungen unzählbar. Wir erfahren das so wirkende Bewußtsein als ein Bewußtsein von Licht und Wahrheit; als Macht, Kraft und Aktion voller Licht und Kraft; als Ästhetik, ein Empfinden von Schönheit und Seligkeit, universal und vielfältig in Einzelheiten; als Erleuchtung im Ganzen und in allen Dingen, in einer einzigen Bewegung und in allen Bewegungen; als ständige Ausweitung und ein Spiel von Möglichkeiten, das unendlich, auch in seiner Menge von Bestimmungen unendlich und unbestimmbar ist. Wenn die Macht einer ordnenden Übermental-Gnosis eingreift, kommt es zu einer kosmischen Struktur des Bewußtseins und Handelns. Sie gleicht aber nicht den starren mentalen Strukturen. Sie ist plastisch, organisch, sie kann wachsen, sich entfalten und bis ins Unendliche ausdehnen. Alle spirituellen Erfahrungen werden mit emporgenommen. Sie werden für die neue Natur zur Gewohnheit und normal. Emporgehoben werden auch alle wesenhaften Erfahrungen, die zum Mental, Leben und Körper gehören. Sie werden spiritualisiert, umgewandelt und empfunden als Formen von Bewußtsein, Wonne und Macht des unendlichen Seins. Intuition und das erleuchtete Schauen und Denken weiten sich aus. Ihre Substanz wird zu etwas Substantiellerem, zu einer Masse, zu einer Energie; ihr Verlauf ist mehr allumfassend, global, mit vielen Facetten, weiter und stärker in seiner Wahrheits-Kraft: Die ganze Natur, das Wissen, Schönheitsempfinden, Mitleiden, Fühlen, die ganze Dynamik, werden immer mehr all-umfassend, all-verstehend, all-umschließend, kosmisch, unendlich.

Die Umwandlung zum Übermental ist die letzte, alles Bisherige über höhende Bewegung der dynamischen spirituellen Transformation. Es ist die höchst-mögliche statisch-dynamische Stufe des Geistes auf der spirituellen Mental-Ebene. Es nimmt den ganzen Inhalt der drei Stufen unter ihm empor und erhebt ihre charakteristischen Wirkweisen zu ihrer höchsten und weitesten Macht. Es verleiht ihnen dazu noch universale Ausdehnung von Bewußtsein und Kraft, harmonischen Zusammenklang von Wissen und vielfältigere Freude des Wesens. Gewisse Gründe, die in dem für es charakteristischen Zustand und in seiner Macht liegen, verhindern aber, daß es die endgültige Möglichkeit der spirituellen Evolution ist. Es ist eine, wenn auch die höchste, Macht der niederen Hemisphäre. Ist seine Grundlage auch die kosmische Einheit, so ist sein Wirken doch ein Wirken von Zertrennung und gegenseitiger Einwirkung, eine Aktivität, die vom Spiel der Vielzahl ausgeht. Sein Kräftespiel ist, wie das von allem Mental, ein Spiel der Möglichkeiten. Wenn das Übermental auch nicht mehr in der Unwissenheit, sondern in einem Wissen von den Wahrheiten dieser Möglichkeiten handelt, so arbeitet es diese doch durch die unabhängige Entwicklung ihrer Mächte aus. In jeder kosmischen Formel handelt es im Einklang mit der fundamentalen Bedeutung dieser Formel; es ist keine Macht für eine dynamische Transzendenz. Hier im Erden-Leben muß es aufgrund einer kosmischen Formel wirken, deren Basis die völlige Nichtbewußtheit ist, die davon herrührt, daß sich Mental, Leben und Materie von ihrer Quelle und ihrem höchsten Ursprung getrennt haben. Das Übermental kann diese Zertrennung überbrücken bis zu dem Punkt, da das separative Mental in das Übermental eingeht und zu einem Teil seines Wirkens wird. Es kann das individuelle Mental mit dem kosmischen Mental auf seiner höchsten Ebene vereinen. Es kann das individuelle Selbst mit dem kosmischen Selbst gleichstellen und der Natur ein allumfassendes Wirken verleihen. Es kann aber das Mental nicht über sich selbst hinausheben und in dieser Welt der ursprünglichen Unbewußtheit nicht die Transzendenz kraftvoll entfalten. Denn allein das Supramental ist das höchste, selbst-bestimmende Wirken der Wahrheit und die unmittelbare Macht, die jene Transzendenz manifestieren kann. Wenn also das Wirken der evolutionären Natur hier enden würde, könnte das Übermental, das das Bewußtsein bis zu dem Punkt einer unendlichen erleuchteten Universalität und eines organisierten Spiels dieser weiten und machtvollen spirituellen Bewußtheit höchsten Seins, Kraft-Bewußtseins und Entzückens emporgetragen hat, nur dadurch fortschreiten, daß es die Pforten des Geistes in die obere Hemisphäre hinein öffnet und einen Willen aufbringt, der es der Seele ermöglicht, aus ihrer kosmischen Gestaltung weiterzugehen zur Transzendenz.

In der irdischen Evolution selbst könnte die Herabkunft des Übermentals die Unbewußtheit nicht völlig transformieren. Es könnte allein in jedem Menschen, den es berührt, dessen ganzes bewußtes inneres und äußeres, personales und universal apersonales Wesen in die eigene übermentale Substanz verwandeln und diese der Unwissenheit aufdrängen, um sie so in die kosmische Wahrheit und Erkenntnis zu versetzen. Eine Basis von Nichtbewußtheit würde jedoch bleiben. Das wäre, als ob die Sonne und ihr System in die ursprüngliche Finsternis des Raumes hinausstrahlen und, soweit ihre Strahlen reichen könnten, alles erleuchten sollte. Dann würden alle, die im Licht wohnen, das Gefühl haben, es gebe in ihrer ganzen Daseins-Erfahrung keine Finsternis. Außerhalb dieser Sphäre bzw. außerhalb des Bereiches dieser Erfahrung würde aber die ursprüngliche Dunkelheit noch bestehen und könnte, da in einer Übermental-Struktur alle Dinge möglich sind, wieder in die Insel des Lichtes, die in ihrem Bereich erschaffen wurde, eindringen. Da aber das Übermental mit verschiedenen Möglichkeiten umgeht, wäre es seiner Natur gemäß, wenn es die gesonderte Möglichkeit einer, mehrerer oder zahlreicher dynamisch spiritueller Ausdrucksformen bis zum äußersten entwickeln, verschiedene Möglichkeiten kombinieren oder miteinander in Einklang bringen würde. Das würde aber innerhalb der ursprünglich irdischen Schöpfung eine Schöpfung oder eine Anzahl von Schöpfungen bedeuten, von denen jede in ihrem gesonderten Dasein etwas Vollendetes wäre. Es gäbe den entwickelten spirituellen Einzelnen. Es könnten sich auch eine spirituelle Gemeinschaft oder Gemeinschaften in der gleichen Welt nebeneinander entwickeln wie der mentale Mensch und das vitale Tierwesen. Beide würden aber ihre unabhängige Existenz in einer lockeren gegenseitigen Beziehung innerhalb der irdischen Formel ausarbeiten. Dort wäre noch nicht die höchste Macht des Prinzips der Einheit wirksam, das alle Unterschiedlichkeiten zu sich empornimmt und nur als Teile der Einheit beherrscht, wie es nach dem Gesetz des neuen evolutionären Bewußtseins sein muß. Auch wäre durch eine nur so weit reichende Evolution noch keine Garantie gegen den herabziehenden Zwang oder die Gravitation der Unbewußtheit gegeben, die alle Gestaltungen auflöst, die Leben und Mental in ihr bilden. Sie verschlingt wieder alle Dinge, die aus ihr entstehen oder ihr auferlegt sind, und zersetzt sie in ihre ursprüngliche Materie. Die Befreiung von dem Herabziehen der Unbewußtheit und eine sichere Grundlage für die fortdauernde göttliche oder gnostische Evolution würde nur erlangt, wenn das Supramental in die irdische Formel herabkommt, in sie das höchste Gesetz, das Licht und die Dynamik des Geistes hineinbringt, sie mit ihm durchdringt und die Unbewußtheit der materiellen Basis transformiert. Darum muß auf dieser Stufe der evolutionären Natur ein Übergang vom Übermental zum Supramental und eine Herabkunft des Supramentals eingreifen.

Indem das Übermental und seine delegierten Mächte das Mental sowie das vom Mental abhängige Leben und den Körper zu sich empornehmen und durchdringen, wollen sie das alles einem Verfahren zur Erhöhung seiner Kräfte unterziehen. Auf jeder Stufe des Prozesses soll sich eine größere Macht und ein höherer Grad von Gnosis etablieren, die immer weniger mit der lockeren, verstreuten, vermindernden und verdünnenden Substanz des Mentals vermischt ist. Alle Gnosis ist aber in ihrem Ursprung eine Macht des Supramentals. Das würde also bedeuten, daß ein halb-verhülltes und mittelbares supramentales Licht mit seiner Macht immer stärker in die Natur einströmt. Das soll fortdauern, bis der Punkt erreicht ist, da das Übermental selbst anfängt, in das Supramental verwandelt zu werden. Nun könnten das Bewußtsein und die Kraft des Supramentals selbst die Transformation übernehmen. Sie würden dem irdischen Mental, Leben und körperlichen Wesen ihre spirituelle Wahrheit und Göttlichkeit enthüllen und schließlich in die ganze Natur das vollkommene Wissen, die Kraft und den Sinn supramentalen Seins einströmen lassen. So würde die Seele die Grenzen der Unwissenheit überschreiten und die Linie ihres ursprünglichen Aufbruchs aus dem höchsten Wissen kreuzen. Sie würde in die Vollständigkeit der supramentalen Gnosis eintreten. Die Herabkunft des gnostischen Lichtes würde die vollständige Umwandlung der Unwissenheit bewirken.

Diesen oder einen noch umfassender angelegten Plan in derselben Richtung könnte man als schematische, logische oder ideale Darstellung der spirituellen Transformation ansehen, als eine Wegekarte für den Aufstieg zum supramentalen Gipfel, den wir als eine Aufeinanderfolge gesonderter Stufen ansehen, von denen jede vollendet sein muß, bevor der Übergang zur nächsten erfolgt. Das wäre so, wie wenn die Seele eine organisierte natürliche Individualität aus sich herausstellen würde, einen Wanderer, der die in der universalen Natur ausgehauenen Stufen emporsteigt. Jedes Ansteigen bringt ihn in seiner Ganzheit, als ein umgrenztes Vollständiges, als den gesonderten Körper eines bewußten Wesens, von einem Zustand seines Daseins zu dem in der Reihenfolge nächsten empor. Das ist insofern korrekt, als ausreichende Einbeziehung in den einen Zustand vollendet sein muß, bevor ein Aufstieg zur nächst-höheren Station völlig sicher sein kann. Eine solche klare Aufeinanderfolge mag auch der Kurs sein, dem einige wenige, gerade in den frühen Stufen dieser Evolution, folgten. Das mag auch zum natürlichen Prozeß werden, nachdem die ganze Stufenfolge der Evolution ausgebaut und abgesichert ist. Die evolutionäre Natur ist aber keine logische Reihe getrennter Abschnitte. Vielmehr ist sie eine Ganzheit aufsteigender Mächte des Wesens, die einander durchdringen, fest ineinander gefügt sind und bei ihrer Einwirkung aufeinander gegenseitige Veränderung bewirken. Kommt das höhere Bewußtsein in das niedere herab, so verändert es das niedere, wird aber auch selbst von diesem gewandelt und herabgemindert. Steigt das niedere empor, so wird es sublimiert, gibt aber zugleich auch der sublimierenden Substanz und Macht etwas von seinen Eigenschaften ab. Diese gegenseitige Einwirkung erschafft eine übergroße Zahl verschiedener Zwischengrade und ineinandergefügter Formen von Kraft und Bewußtheit des Wesens. Das macht es aber auch schwierig, die völlige Einbeziehung aller Kräfte unter der vollen Lenkung durch eine einzige Macht zustandezubringen. Aus diesem Grunde gibt es in der Evolution des Einzelnen in Wirklichkeit nicht eine Reihe von einfachen, klar getrennten und einander folgenden Stufen. Statt dessen ist die Bewegung komplex und von einer zum Teil bestimmten, zum Teil verworrenen Reichhaltigkeit. Man kann die Seele durchaus als einen Wanderer oder Bergsteiger beschreiben, der Schritt für Schritt zu seinem hohen Ziel empordringt. Er muß jede Stufe aushauen und umfassend sichern, häufig wieder zurücksteigen, um die tragende Stufenfolge neu auszubauen und abzusichern, damit nicht das Ganze unter ihm zerbröckelt. Die Evolution des ganzen Bewußtseins gleicht aber eher der Strömung eines anschwellenden Ozeans der Natur. Sie kann mit der Flut oder zunehmender Dünung verglichen werden, deren oberster Kamm an die höheren Ränder einer Klippe oder eines Hochufers prallt, während die übrigen Fluten in der Tiefe bleiben. Auf jeder Stufe können die höheren Teile der Natur schon vorläufig, wenn auch noch unvollständig, im neuen Bewußtsein organisiert werden. Die niederen befinden sich aber noch im Zustand des Fließens oder der Formung. Sie bewegen sich teilweise noch in ihrem alten Kurs, sind jedoch beeinflußt und fangen an, sich zu wandeln; teilweise gehören sie schon zur neuen Art, die aber erst unvollständig verwirklicht und in ihrer Umwandlung noch nicht gesichert ist. Ein anderes Bild wäre das einer Armee, die in einzelnen Kolonnen vorrückt und neues Gelände erobert, während die Hauptmacht noch hinten im überrannten Gebiet bleibt, das aber zu groß ist, als daß es wirksam besetzt werden könnte. Darum muß man öfters anhalten und zum Teil in die durchquerten Gebiete zurückkehren, um sie zu konsolidieren und den Zugriff nach dem eroberten Land und die Angleichung seiner Bevölkerung sicherzustellen. Eine rasche Eroberung könnte wohl möglich sein. Sie wäre aber nur etwas wie der Bau von Zwingburgen, eine Zwangsherrschaft in einem fremden Land. So wäre das auch hier kein völliges Emporheben, keine totale Angleichung, keine Einbeziehung, wie sie für die vollständige supramentale Umwandlung notwendig ist.

Das bedingt gewisse Konsequenzen, die zu einer Abänderung der klaren Aufeinanderfolgen der Evolution führen und sie daran hindern, dem deutlich festgelegten und sicher ausgebauten Kurs zu folgen, den unsere logische Intelligenz zwar von der Natur verlangt, jedoch nur selten von ihr bekommt. Bei dieser höheren Evolution der aufsteigenden Mächte des Geistes geht es ebenso zu wie bei ihrem bisherigen Verlauf: Leben und Mental beginnen erst dann, hervorzutreten, wenn die Organisation der Materie genügend fortgeschritten ist, um sie zuzulassen; aber die komplexere und vollkommenere Organisation der Materie kommt erst mit der Evolution von Leben und Mental. Mental erscheint, sobald das Leben genügend organisiert ist, um eine entwickelte Schwingung von Bewußtsein zu erlauben; das Leben bekommt aber seine volle Organisation und Entwicklung erst dann, wenn das Mental auf es einwirken kann. Die spirituelle Evolution beginnt, sobald der Mensch als Mental zu den Regungen der Spiritualität fähig ist; aber das Mental erhebt sich erst dann zu seiner höchsten Vollkommenheit, wenn Fülle und Helligkeit des Geistes in ihm zunehmen. Sobald es zu einer ausreichenden spirituellen Entwicklung gekommen ist, manifestieren sich immer mehr eine gewisse Intuition, eine Erleuchtung des Wesens, die Bewegungen der höheren spirituellen Grade des Bewußtseins,-manchmal die eine, manchmal die andere oder alle zusammen. Sie warten nicht darauf, daß jede Macht in der Reihe sich zuerst vervollkommnet hat, bevor eine höhere Macht in Aktion treten kann. Licht und Macht aus dem Übermental können irgendwie herabkommen, eine Teilformation ihrer selbst im Wesen erschaffen und eine führende Rolle spielen. Sie können überwachen oder lenkend eingreifen, während das Intuitive und das Erleuchtete Mental sowie das Höhere Mental noch nicht voll entfaltet sind. Diese würden dann weiter in dem Ganzen verbleiben und mit der größeren Macht zugleich wirken. Oft würden sie von ihr durchdrungen oder sublimiert sein oder sich zu ihr erheben, um eine höhere oder übermentale Intuition, eine stärkere oder übermentale Erleuchtung oder ein umfassenderes übermentales spirituelles Denken zu gestalten. Dieses ineinander verschlungene Wirken findet deshalb statt, weil jede herabkommende Macht durch starken Druck auf die Natur und durch ihr emporhebendes Wirken höhere Mächte schon in das Wesen eindringen läßt, bevor die vorhergehende Macht in ihrer Ausformung vollkommen ist. Es geschieht aber auch, weil das Werk, die niedere Natur emporzuheben und zu transformieren, nur unter Schwierigkeiten geleistet werden kann, wenn nicht ein Eingreifen aus immer größerer Höhe stattfindet. Die Erleuchtung und das höhere Denken bedürfen der Hilfe der Intuition. Die Intuition braucht die Unterstützung des Übermentals, um die Finsternis oder die Unwissenheit zu bekämpfen, in der sie sich abmühen, und um ihnen ihre Erfüllung zu geben. Doch können schließlich auch der Zustand und die Einbeziehung des Übermentals nicht vollkommen sein, solange nicht das Höhere Mental und das Erleuchtete Mental einbezogen und in die Intuition emporgehoben sind und nicht zuletzt die Intuition selbst integriert und in die alles ausweitende und sublimierende Übermental-Energie hineingenommen wurde. Dem Gesetz der Stufenfolge muß auch in der Komplexität des Prozesses der evolutionären Natur Rechnung getragen werden.

Eine weitere Ursache für die Komplexität entsteht aus der Notwendigkeit der Einbeziehung selbst. Denn es handelt sich hier nicht nur darum, daß die Seele zu einem höheren Zustand emporkommt; vielmehr soll das so gewonnene höhere Bewußtsein die niedere Natur emporheben und transformieren. Diese Natur besitzt jedoch die dichte Undurchdringlichkeit ihrer vorhergehenden Gestaltung, die der Herabkunft widersteht und sie blockiert. Wir haben gesehen, daß die Natur der Unwissenheit selbst dann, wenn die höhere Macht schon die Sperre durchbrochen hat, herabgekommen und am Wirken ist, ihr Widerstand leistet und sie behindert. Entweder bemüht sie sich, die Umwandlung gänzlich abzulehnen, oder sie versucht, die neue Macht so zu verändern, daß sie irgendwie mit ihrem eigenen Wirken übereinstimmt. Oder sie stürzt sich sogar selbst auf sie, um sie zu packen, zu erniedrigen und unter ihrer Art von Wirken und ihren niederen Zielen zu knechten. Bei ihrem Werk, diesen schwierigen Stoff der Natur emporzuheben und zu assimilieren, kommen die höheren Mächte gewöhnlich zuerst in das Mental herab und besetzen die Mental-Zentren, weil diese ihnen an Intelligenz und Wissens-Macht am nächsten stehen. Kommen sie zuerst in das Herz oder in das vitale Wesen von Kraft und Sinnlichkeit herab, wie sie es manchmal tun, weil diese bei vielen Menschen offener sind und sie zuerst herbeirufen, dann sind die Ergebnisse vermischter, zweifelhafter, unvollkommener und unsicherer, als wenn die Dinge in der logischen Ordnung geschehen. Aber die herabkommende Macht ist selbst dann, wenn sie in ihrem normalen Wirken das Wesen Schicht um Schicht in der natürlichen Ordnung der Herabkunft emporhebt, nicht fähig, jede vollkommen einzunehmen und zu transformieren, bevor sie weitergeht. Sie kann diese nur ganz allgemein und unvollkommen in ihren Besitz nehmen, so daß jede in ihrem Wirken noch teils von der neuen höheren, teils von einer vermischten, teils von der alten unveränderten niederen Ordnung ist. Das ganze Mental kann in seinem vollen Umfang nicht auf einmal umgewandelt werden; denn die Mental-Zentren sind kein Bereich, der vom übrigen Wesen isoliert wäre. Die mentale Aktion wird von der Aktivität der vitalen und physischen Schichten durchdrungen. In diesen Schichten befinden sich aber die niedrigeren Gestaltungen des Mentals selbst, das vitale Mental und das physische Mental; diese müssen zuerst umgewandelt werden, bevor es zu einer völligen Transformation des mentalen Wesens kommen kann. Die höhere transformierende Macht muß deshalb, sobald es angeht, herabkommen, ohne auf eine vollständige mentale Umwandlung zu warten: in das Herz, um die emotionale Natur einzunehmen und zu verwandeln; danach in die niederen vitalen Zentren, um die ganze vitale, bewegliche und sinnliche Natur in Besitz zu bekommen und zu verändern; schließlich in die physischen Zentren, um die ganze körperliche Natur zu erfassen und zu transformieren. Aber selbst dies ist nichts Endgültiges. Denn übrig bleiben immer noch die unterbewußten Schichten und das unbewußte Fundament. Diese Mächte und Schichten des Wesens wirken so stark ineinander und sind so miteinander verwoben, daß man beinahe sagen kann, bei dieser Umwandlung ist nichts vollendet, wenn nicht alles vollendet ist. Da gibt es Ebbe und Flut. Die Kräfte der alten Natur ziehen sich zurück und besetzen zum Teil wieder ihre alten Gebiete. Sie unternehmen einen langsamen Rückzug mit Nachhut-Gefechten. Gegenangriffen und Aggressionen. Der höhere Einfluß besetzt jedesmal mehr erobertes Gebiet, bleibt aber seiner Souveränität so lange ungewiß, als noch etwas übrig bleibt, das nicht Teil seiner lichtvollen Herrschaft geworden ist.

Drittens macht die Bewußtseins-Macht den Vorgang noch dadurch komplexer, daß sie gleichzeitig in mehr als einem Zustand leben kann. Im besonderen wird eine Schwierigkeit dadurch geschaffen, daß unser Wesen in eine innere und eine äußere oder vordergründige Natur zerteilt ist. Das wird noch dadurch verwirrter, daß es ein verborgenes Umgebungs- oder Umwelt-Bewußtsein gibt, in dem unsere unsichtbaren Verbindungen mit der Welt außerhalb von uns entschieden werden. Wenn sich das erwachende innere Wesen spirituell öffnet, empfängt es willig die höheren Einflüsse, assimiliert sie und nimmt die höhere Natur an. Das äußere, vordergründige Selbst, das fast gänzlich durch die Kräfte der Unwissenheit und Unbewußtheit geformt wird, erwacht langsamer und empfängt und assimiliert auch langsamer. Darum gibt es hier eine lange Periode, in der zwar das innere Wesen ausreichend umgewandelt ist, das äußere jedoch noch in die vermischte und schwierige Bewegung einer unvollkommenen Umwandlung verwickelt bleibt. Diese Ungleichmäßigkeit wiederholt sich auf jeder Stufe des Aufstiegs. Denn bei jeder Umwandlung folgt das innere Wesen bereitwilliger; das äußere hinkt widerstrebend hinterher, oder es bleibt trotz seiner Aspiration und seines Wunsches unzulänglich. Das erfordert das ständig wiederholte Bemühen, es emporzunehmen, anzupassen, zu orientieren. Diese Arbeit wird in immer neuen Begriffen durchgeführt, bleibt aber im Prinzip immer dieselbe. Selbst wenn auch die äußere und die innere Natur des Einzelnen in einem harmonisierten spirituellen Bewußtsein geeint sind, verbleibt doch der mehr äußerliche, ihm aber verborgene Teil, in dem sich sein Wesen mit dem Wesen der Außenwelt vermischt und durch das die Außenwelt in sein Bewußtsein eindringt, ein Feld der Unvollkommenheit. Notwendigerweise treffen hier unterschiedliche Einflüsse aufeinander: Auf den inneren spirituellen Einfluß stoßen die ganz entgegengesetzten Einflüsse, die für die Herrschaft über die gegenwärtige Weltordnung maßgebend sind. Das neue spirituelle Bewußtsein muß den Zusammenprall mit den vorherrschenden und etablierten, nicht-spiritualisierten Mächten der Unwissenheit aushalten. Das schafft eine Schwierigkeit, die auf allen Stufen der spirituellen Evolution und bei ihrem Drängen auf Umwandlung der Natur von ausschlaggebender Bedeutung ist.

Man kann eine subjektive Spiritualität zuwege bringen, die den Umgang mit der Welt ablehnt oder auf ein Minimum beschränkt oder damit zufrieden ist, nur ein Beobachter ihrer Vorgänge zu sein, und darum die andringenden Einflüsse zurück- oder hinauswirft, ohne sich auf eine Reaktion auf sie einzulassen oder ihnen das Eindringen zu erlauben. Soll aber die innere Spiritualität in einem freien Welt-Wirken objektiv gemacht werden und muß sich der Einzelne hinaus in die Welt begeben und in gewissem Sinn die Welt in sich hineinnehmen, dann kann dies in dynamischer Weise nur dadurch geschehen, daß wir die Welt-Einflüsse in unserem Umkreis oder in der Umwelt durch unser eigenes Wesen in uns hineinnehmen. Das spirituelle innere Bewußtsein muß dann mit diesen Einflüssen derart umgehen, daß sie, sobald sie sich nahen oder eindringen, entweder ausgelöscht werden und wirkungslos bleiben oder gerade durch ihr Eintreten in die dem Wesen eigene Art und Substanz umgewandelt werden. Es kann sie auch zwingen, den spirituellen Einfluß anzunehmen und mit einer transformierenden Macht in die Welt, aus der sie kommen, zurückzukehren; denn solch ein Bezwingen der niederen universalen Natur ist Teil einer vollkommenen spirituellen Aktion. Dazu muß aber das der Umwelt und Umgebung bewußte Wesen so tief in das spirituelle Licht und die spirituelle Substanz eingetaucht sein, daß nichts hereinkommen kann, ohne daß es sich dieser Verwandlung unterzieht. Die eindringenden äußeren Einflüsse dürfen absolut nicht ihre niedere Bewußtheit, ihre niederen Anschauungen und ihre niedere Dynamik mit hineinbringen. Das ist aber eine kaum zu erreichende Vollkommenheit, weil das Umwelt-Bewußtsein gewöhnlich nicht nur unser eigenes geformtes und verwirklichtes Selbst ist, sondern wir selbst plus der äußeren Welt-Natur. Aus diesem Grund ist es immer leichter, die inneren selbst-genügsamen Schichten zu spiritualisieren, als das äußere Wirken umzuwandeln. Die Vervollkommnung der nach innen gekehrten, im Innern wohnenden oder subjektiven Spiritualität, die erhaben über der Welt steht oder gegen sie abgeschirmt ist, ist leichter als die Vervollkommnung der ganzen Natur in einer krafterfüllten, beweglichen Spiritualität, die im Leben versachlicht wird, die Welt umfaßt, Meister ist über ihre Umgebung und souverän im Umgang mit der Welt-Natur. Weil aber die vollständige Umwandlung das dynamische Wesen gänzlich erfassen und das tätige Leben und das Selbst der Welt draußen in sich aufnehmen muß, wird diese vollständigere Umwandlung der sich entwickelnden Natur verlangt.

Die wesentliche Schwierigkeit liegt in der Tatsache, daß die Substanz unseres normalen Wesens aus der Unbewußtheit gebildet wird. Unsere Unwissenheit ist ein zunehmendes Wissen in einer Wesens-Substanz, die nicht-bewußt ist. Das von ihr entwickelte Bewußtsein und das von ihr begründete Wissen sind stets mit dieser Nichtbewußtheit verklammert, von ihr durchdrungen und eingehüllt. Gerade diese Substanz der Nichtbewußtheit soll in eine Substanz der Über-Bewußtheit umgewandelt werden, in der es stets Bewußtsein und ein spirituelles Innesein gibt, selbst dann, wenn sie nicht aktiv, nicht ausgedrückt und nicht in die Form von Erkenntnis geprägt sind. Bis dahin dringt die Nichtbewußtheit ein oder umringt, ja, verschlingt und absorbiert in der Finsternis ihres Vergessens alles, was in das Bewußtsein eingeht. Sie zwingt das herabkommende Licht, mit dem minderen Licht, in das es eintritt, einen Kompromiß zu schließen. So kommt es zu einer Vermischung, Verminderung und Verdünnung des Lichtes, einer Herabsetzung, Veränderung, mangelhaften Glaubwürdigkeit seiner Wahrheit und Macht. Zumindest begrenzt die Nichtbewußtheit seine Wahrheit, engt seine Kraft ein, beschränkt seine Anwendbarkeit und Reichweite. Seine grundsätzliche Wahrheit wird abgesperrt von der vollen Wahrheit individueller Verwirklichung oder von der Verwendung der schon erreichten kosmischen Wahrheit. So kann sich zwar Liebe als Lebensgesetz eines innerlich aktiven Prinzips praktisch behaupten. Wenn sie aber nicht alle Substanz des Wesens einnimmt, kann nicht alles individuelle Fühlen und Handeln vom Gesetz der Liebe geprägt werden. Wird sie auch vom Einzelnen vollkommen gelebt, so kann sie doch von der allgemeinen Nichtbewußtheit, die ihr blind und feindlich gegenübersteht, zu etwas Einseitigem und so wirkungslos gemacht werden; oder sie wird gezwungen, den Bereich ihrer kosmischen Anwendung einzuschränken. Der menschlichen Natur ist ein vollständiges Wirken im Einklang mit einem neuen Wesens-Gesetz immer schwierig. Denn in der Substanz der Unbewußtheit herrscht zum Selbst-Schutz das Gesetz blinder, zwingender Notwendigkeit, die das Spiel der Möglichkeiten, die aus ihr hervortreten oder in sie eingehen, beschränkt und diese davon abhält, hier frei zu wirken und erfolgreich zu sein oder ihre unbedingte Fülle zu verwirklichen. Was ihnen allein zugestanden wird, ist ein vermischtes, relatives, gedrosseltes und herabgemindertes Kräftespiel. Sonst würden sie den Rahmen des Unbewußten sprengen und gewaltsam erschüttern, ohne die Basis der Welt-Ordnung wirkungsvoll umzuwandeln. Denn keine von ihnen hat in ihrem mentalen oder vitalen Spiel die göttliche Kraft, das finstere ursprüngliche Prinzip zu ersetzen und eine völlig neue Welt-Ordnung aufzubauen.

Eine Transformation der menschlichen Natur kann nur dann erreicht werden, wenn die Substanz des Wesens so tief in das spirituelle Prinzip eingetaucht ist, daß alle seine Bewegungen eine spontane Dynamik und ein harmonisierter Entwicklungsprozeß des Geistes sind. Denn gerade wenn die höheren Mächte mit ihren intensiven Kräften in die Substanz der Unbewußtheit kommen, tritt ihnen dort der Widerstand dieser blinden Notwendigkeit entgegen und sie werden diesem einengenden und herabmindernden Gesetz der nicht-bewußten Substanz unterworfen. Die Notwendigkeit tritt ihnen mit ihren starken Privilegien eines unerschütterlichen und unerbittlichen Gesetzes entgegen. Den Anspruch des Lebens beantwortet sie stets mit dem Gesetz des Todes. Der Forderung des Lichtes stellt sie das Bedürfnis nach Erholung im Schatten und in einem dunklen Hintergrund entgegen. Die Souveränität, die Freiheit und Dynamik des Geistes bekämpft sie mit ihrer Kraft zur Angleichung durch Begrenzung und zur Beschränkung durch Unfähigkeit und durch Zwang zur Ruhe ursprünglicher Trägheit für die Energie. Hinter ihren Verneinungen steht eine geheime Wahrheit. Dieser kann sich aber nur das Supramental annehmen, indem es die Gegensätze in der ursprünglichen Wirklichkeit aussöhnt und so die pragmatische Lösung des Rätsels entdeckt. Nur die supramentale Kraft kann die Schwierigkeit der fundamentalen Unwissenheit völlig überwinden. Denn mit ihr kommt eine entgegengesetzte, lichtvoll gebietende Notwendigkeit ins Bewußtsein, die allen Dingen zugrundeliegt und die ursprüngliche und endgültige selbst-bestimmende Wahrheits-Kraft des selbst-seienden Unendlichen ist. Diese größere lichtvolle spirituelle Notwendigkeit und ihr souveränes Gebot kann allein die blinde Notwendigkeit der Unbewußtheit verdrängen, völlig durchdringen, in sich verwandeln und so ersetzen.

Eine supramentale Umwandlung der ganzen Substanz des Wesens und darum notwendigerweise auch all seiner Eigenschaften, Mächte und Regungen findet statt, wenn das der Natur involvierte Supramental hervortritt, um mit dem supramentalen Licht und der supramentalen Kraft, die aus der Übernatur herabkommen, zusammenzutreffen. Der Einzelne muß das Werkzeug und erste Feld der Transformation sein. Eine isolierte individuelle Umwandlung genügt aber nicht und könnte nicht völlig durchführbar sein. Selbst wenn sie erreicht wird, kann die individuelle Umwandlung nur dann dauernde und kosmische Bedeutung haben, wenn der Einzelne Zentrum und Zeichen dafür wird, daß sich die supramentale Bewußtseins-Kraft als eine offen wirksame Macht in den irdischen Aktivitäten der Natur sicher eingerichtet hat, – in derselben Art, wie das denkende Mental durch die menschliche Entwicklung als offen wirkende Macht im Leben und in der Materie eingeführt worden ist. Das würde bedeuten, daß in der Evolution ein gnostisches Wesen, ein gnostischer purusha, und eine gnostische prakriti, eine gnostische Natur, in Erscheinung treten. Eine supramentale Bewußtseins-Kraft muß hervortreten, freigesetzt und innerhalb des irdischen Ganzen aktiv werden; eine supramentale Instrumentation des Geistes soll sich organisch im Leben und im Körper entfalten – denn auch das Körper-Bewußtsein soll genügend erwacht sein, damit es ein geeignetes Instrument für das Wirken der neuen supramentalen Kraft und ihrer Ordnung ist. Bis dahin könnte jede Umwandlung in einen Zwischenzustand nur etwas Partielles und Ungesichertes sein. Zwar könnte eine übermentale oder intuitive Instrumentation der Natur entwickelt werden. Sie wäre aber nur eine der uns umgebenden grundlegenden Unbewußtheit aufgenötigte lichtvolle Gestaltung. Erst wenn das supramentale Prinzip und sein kosmisches Verfahren dauerhaft auf der eigenen Basis eingerichtet sind, können die vorher auftretenden Mächte von Übermental und spirituellem Mental sich mit Sicherheit darauf gründen und ihre eigene Vollkommenheit erlangen. Im irdischen Dasein würden sie eine Hierarchie von Zuständen des Bewußtseins bilden, die sich aus dem Mental und dem physischen Leben bis zur höchsten spirituellen Ebene erhebt. Das Mental und die mentale Menschheit würden als eine der Stufen in der spirituellen Evolution bestehen bleiben. Aber andere höher gelegene Stufen würden dort gebildet und zugänglich sein, auf denen das verkörperte mentale Wesen, sobald es dafür zubereitet ist, in die Gnosis emporsteigen und sich in ein verkörpertes supramentales und spirituelles Wesen verwandeln könnte. Auf dieser Basis würde das Prinzip des göttlichen Lebens in der irdischen Natur geoffenbart. Selbst die Welt der Unwissenheit und Unbewußtheit würden so ihr eigenes tief versunkenes Geheimnis entdecken und dessen göttlichen Sinn auf jeder niederen Stufe zu erkennen beginnen.

Kapitel XXVII. Der gnostische Mensch

Ein vollkommener Pfad zur Wahrheit ist in das Seiende gekommen für unsere Fahrt ans andere Ufer jenseits der Finsternis.

Rig Veda, I.46.11.

O Wahrheits-Bewußter, sei der Wahrheit bewußt; lasse hervorbrechen viele Ströme der Wahrheit;

Rig Veda, V. 12.2.

O Flamme, o Wein, deine Kraft ist bewußt geworden; du hast das Eine Licht entdeckt für die vielen.

Rig Veda, I. 93. 4.

Rein-Weiß und doppelt in ihrer Weite folgt sie wirksam, wie jemand der weiß, dem Pfad der Wahrheit und schmälert nicht seine Anweisungen.

Rig Veda, V. 80. 4, 5.

Durch die Wahrheit halten sie die Wahrheit, die alle hält, in der Macht des Opfers, im höchsten Äther.

Rig Veda, V. 15. 2.

O Unsterblicher, der du geboren wirst in Sterblichen in dem Gesetz der Wahrheit, der Unsterblichkeit, der Schönheit... Aus der Wahrheit geboren, wächst er durch die Wahrheit, – ein König, eine Gottheit, die Wahrheit, das Unermeßliche.

Rig Veda, IX. 110.4; 108. 8.

Sobald wir in unserem Denken die Grenzlinie erreichen, an der die Entwicklung vom Mental zum Übermental fortschreitet als Entwicklung vom Übermental zum Supramental, stoßen wir auf eine Schwierigkeit, die zu überwinden fast unmöglich ist. Denn wir möchten nach einer genauen Idee, einer klaren mentalen Beschreibung des supramentalen oder gnostischen Daseins suchen, mit dem die evolutionäre Natur in der Unwissenheit in Wehen liegt. Mit Überschreiten dieser äußersten Grenze des sublimierten Mentals verläßt aber das Bewußtsein den Bereich mentalen Wahrnehmens und Wissens. Es wird umfassender als dessen bezeichnendes Wirken und entgeht dessen Herrschaft. Es ist wohl deutlich, daß die supramentale Natur eine vollkommene Einbeziehung und der Höhepunkt spiritueller Natur und Erfahrung sein muß. Sie müßte auch die völlige Spiritualisierung der Welt-Natur aufgrund des wahren Charakters des evolutionären Prinzips enthalten, obwohl dieses nicht auf diese Umwandlung begrenzt wäre. Unsere Welt-Erfahrung würde auf diese Stufe unserer Evolution emporgehoben und durch Umwandlung ihrer göttlichen Elemente und durch schöpferische Zurückweisung ihrer Unvollkommenheiten und Verkleidungen eine gewisse göttliche Wahrheit und Fülle erlangen. Das sind aber allgemeine Formeln; sie geben uns keine genaue Vorstellung von dieser Umwandlung. Unsere normale Auffassung, Idee oder Formulierung spiritueller Dinge ist mental. Bei der gnostischen Umwandlung überschreitet aber die Evolution eine Grenze, hinter der die höchste und radikale Umkehrung des Bewußtseins und der Wertmaßstäbe eintritt. Formen von mentaler Erkenntnis reichen da nicht mehr aus. Dem mentalen Denken ist es schwierig, die supramentale Natur zu verstehen und zu beschreiben.

Mentale Natur und mentales Denken gründen sich auf ein Bewußtsein des Endlichen. Supramentale Natur ist im Kern ein Bewußtsein und eine Macht des Unendlichen. Supramentale Natur sieht alles vom Standpunkt der Einheit her und betrachtet alle Dinge, auch die größte Vielfalt und Verschiedenheit, selbst das, was dem Mental als stärkster Widerspruch erscheint, im Lichte dieser Einheit. Ihr Wille, ihre Gedanken, Gefühle, Sinnesorgane sind aus der Substanz der Einheit geschaffen. Von dieser Grundlage geht ihr Wirken aus. Im Gegensatz dazu denkt, sieht, will, fühlt und empfindet die mentale Natur vom Ausgangspunkt der Zerteilung her und hat nur ein konstruiertes Verständnis von Einheit. Selbst wenn sie die Einheit erfährt, muß sie doch von der Einheit aus auf der Grundlage von Begrenzung und Verschiedenheit handeln. Das supramentale, das göttliche Leben, aber ist ein Leben von wesenhafter, ungezwungener und innewohnender Einheit. Für das Mental ist es unmöglich, im einzelnen vorauszusagen, was die supramentale Umwandlung hinsichtlich Lebens-Aktion oder äußerem Verhalten sein muß, oder festzulegen, was für Formen sie für das individuelle oder kollektive Dasein erschaffen soll. Denn das Mental handelt aufgrund eines intellektuellen Gesetzes oder Plans, durch eine vernünftig begründete Willensentscheidung, infolge eines mentalen Impulses oder im Gehorsam gegen einen Lebens-Trieb. Die supramentale Natur hingegen wirkt nicht aufgrund einer mentalen Idee oder Regel, ist nicht einem niederen Trieb unterworfen. Jeder ihrer Schritte wird von einer inneren spirituellen Schau diktiert; sie dringt umfassend und genau in die Wahrheit aller Wesen und in die Wahrheit jeder Sache ein. Sie handelt stets im Einklang mit der innewohnenden Wirklichkeit, nicht aufgrund einer mentalen Idee, nicht im Gehorsam gegen ein aufgezwungenes Verhaltensmuster, eine Gedanken-Konstruktion oder einen ausgedachten Plan. Ihre Bewegung ist ruhig, selbstbeherrscht, freiwillig und formbar. Sie entsteht in natürlicher Weise aus einer harmonischen Übereinstimmung mit der Wahrheit, die man in der Substanz des bewußten Wesens fühlt, in einer spirituellen Substanz, die allumfassend und deshalb zuinnerst eins ist mit allem, was in ihre Seins-Erkenntnis einbezogen ist. Mentale Beschreibung könnte die supramentale Natur entweder nur in Sätzen darstellen, die zu abstrakt sind, oder in mentalen Bildern, die sie möglicherweise in etwas von ihrer Wirklichkeit ganz Verschiedenes verwandeln. Darum scheint es unmöglich zu sein, daß das Mental voraussehen oder andeuten könnte, was ein supramentales Wesen sein oder was es wirken soll. Denn hier können mentale Ideen und Formulierungen nichts entscheiden, zu keiner genauen Definition oder Bestimmung kommen, weil sie dem Gesetz und der Selbst-Schau der supramentalen Natur nicht nahe genug sind. Gerade aus dieser Tatsache der Verschiedenheit der Natur kann man zugleich auch gewisse Schlüsse ziehen, die zumindest für eine allgemeine Beschreibung des Übergangs vom Übermental zum Supramental gültig sein oder uns eine unbestimmte Vorstellung vom ersten Zustand des evolutionären supramentalen Seins geben könnten.

Dieser Übergang ist die Stufe, auf der die supramentale Gnosis dem Übermental die Führung abnehmen und die ersten Fundamente für ihre bezeichnende Manifestation und ihre unverhüllten Wirkweisen legen kann. Sie muß deshalb durch einen entscheidenden, aber lange vorbereiteten Übergang von der Entwicklung in der Unwissenheit zur stets fortschreitenden Entwicklung im Wissen gekennzeichnet sein. Das absolute Supramental und das supramentale Wesen werden sich nicht plötzlich offenbaren und so wirksam werden, wie sie es auf ihrer eigenen Ebene sind. Es wird keine rasche Apokalypse eines wahrheitsbewußten Daseins geben, das immer vom Selbst erfüllt und im Selbst-Wissen vollkommen ist. Vielmehr wird es das Phänomen des supramentalen Wesens sein, das in die Welt evolutionären Werdens herabkommt und sich hier gestaltet, das die Mächte der Gnosis in der irdischen Natur entfaltet. Das ist in der Tat das Prinzip alles irdischen Wesens. Ist doch der Prozeß des Erden-Daseins das Spiel einer unendlichen Wirklichkeit, die sich zuerst in einer Folge von dunkel begrenzten, undurchsichtigen, unvollständigen, halben Gestaltungen verbirgt, die durch ihre Unvollkommenheit und die Art ihrer Verkleidung die Wahrheit entstellen, die hervorzubringen sie sich müht. Sie kommt aber danach immer mehr zu halb-erleuchteten Abbildungen ihrer selbst, die, sobald die supramentale Herabkunft eintritt, zur wahren forschreitenden Offenbarung werden. Die supramentale Gnosis kann den Schritt der Herabkunft aus dem ursprünglichen Supramental und des Empornehmens des evolutionären Supramentals sehr wohl unternehmen und zur Vollendung bringen, ohne daß sie ihren wesenhaften Charakter ändert. Sie kann die Formel annehmen, daß ein Wahrheits-bewußtes Dasein auf innere Selbst-Erkenntnis gegründet ist. Zugleich kann sie die mentale Natur, die Natur von Leben und materiellem Körper zu sich empornehmen. Denn als Wahrheits-Bewußtsein des Unendlichen hat das Supramental in seinem dynamischen Prinzip die unendliche Macht zur freien Selbst-Bestimmung. Es kann alles Wissen in sich besitzen und doch nur das gestaltet aus sich herausstellen, was auf jeder Stufe der Evolution erforderlich ist. Es formuliert all das, was mit dem Göttlichen Willen in der Manifestation und mit der Wahrheit der Sache übereinstimmt, die manifestiert werden soll. Durch diese Macht kann das Supramental sein Wissen zurückhalten, seinen Charakter und das Gesetz seines Wirkens verbergen, das Übermental und unterhalb des Übermentals eine Welt der Unwissenheit offenbaren, in der das Seiende einwilligt, an seiner Außenseite unwissend zu sein und sich sogar unter die Herrschaft einer alles durchdringenden Nichtbewußtheit zu stellen. Auf dieser neuen Stufe wird aber die bisher angenommene Verhüllung aufgehoben. Nun will sich die Evolution bei jedem Schritt in der Macht des Wahrheits-Bewußtseins vorwärts bewegen. Ihre progressiven Entscheidungen werden von einem bewußten Wissen getroffen, nicht mehr in den Gestaltungen von Unwissenheit und Unbewußtheit.

So wie auf Erden ein mentales Bewußtsein mit seiner Macht begründet wurde, das eine Rasse mentaler Wesen bildete und die ganze für die Umwandlung bereite Erden-Natur in sich hinein- und empornehmen, so Wird jetzt auf Erden ein gnostisches Bewußtsein mit seiner Macht begründet, das eine Rasse von gnostischen spirituellen Menschen bilden und die ganze Erden-Natur in sich empornehmen wird, die für diese neue Umwandlung zubereitet ist. Hierzu wird es von oben her, fortschreitend, aus seinem eigenen Bereich des vollkommenen Lichtes, der Macht und Schönheit all das in sich aufnehmen, was bereit ist, aus jenem Bereich in das Erden-Wesen herabzukommen. Denn die Evolution vollzog sich in der Vergangenheit dadurch, daß auf jeder kritischen Stufe eine verborgene Macht aus ihrer Involution in der Unbewußtheit empordrang, daß aber auch von oben her, aus ihrer Ebene, diese Macht herabkam, die in ihrem höheren natürlichen Reich bereits selbst-verwirklicht war. Auf all diesen früheren Stufen gab es eine Trennung zwischen dem Selbst und Bewußtsein der Außenseite und dem subliminalen Selbst und Bewußtsein. Das vordergründige Wesen wurde vor allem durch den Druck der von unten empordringenden Kraft, durch das Unbewußte, gebildet, das die Gestaltung einer verborgenen Kraft des Geistes langsam hervortreten ließ. Das subliminale Wesen wurde teils auf dieselbe Weise, hauptsächlich aber durch gleichzeitiges Einströmen derselben umfangreichen Kraft von oben gebildet. Ein mentales oder ein vitales Wesen kam in die subliminalen Wesensschichten herab und gestaltete von seinem verborgenen dortigen Posten aus an der Außenseite eine mentale oder vitale Persönlichkeit. Bevor aber die supramentale Umwandlung eintreten kann, muß bereits die verhüllende Trennung zwischen den subliminalen und den äußeren Schichten niedergebrochen sein. Das Einströmen, die Herabkunft, wird im Bewußtsein als einem Ganzen und nicht nur teilweise hinter der Verhüllung stattfinden: Der Vorgang wird kein verborgener, unklarer und zwiespältiger mehr sein, sondern ein offenbares Hervorblühen, das vom ganzen Wesen bei seiner Unwandlung bewußt gefühlt und befolgt wird. In anderer Hinsicht wird der Prozeß gleichartig sein – supramentales Einströmen von oben, Herabkunft eines gnostischen Wesens in die Natur und Hervortreten der verhüllten supramentalen Kraft von unten. Einströmen und Enthüllen werden miteinander alles beseitigen, was von der Natur der Unwissenheit übrigblieb. Die Herrschaft der Unbewußtheit wird verschwinden, denn die Unbewußtheit wird durch den Ausbruch des größeren geheimen Bewußtseins in ihr, des verborgenen Lichtes, in das verwandelt werden, was sie in Wirklichkeit immer gewesen ist, ein Meer der geheimen Überbewußtheit. Die Folge davon ist eine erste Gestaltung von gnostischem Bewußtsein und gnostischer Natur.

Die Erschaffung eines supramentalen Wesens, einer supramentalen Natur und eines supramentalen Lebens auf Erden wird nicht das einzige Ergebnis dieser Evolution sein. Sie wird auch die höchste Entwicklung jener Stufen mit sich bringen, die zu ihr emporgeführt haben. Denn sie wird bestätigen, daß das Übermental, die Intuition und die anderen Grade der spirituellen Natur-Kraft in die irdische Natur hineingeboren sind und diese besitzen. Sie wird eine Rasse gnostischer Wesen bilden und eine Hierarchie aufrichten, eine leuchtende Leiter aufsteigender Stufen und aufeinanderfolgender aufbauender Gestaltungen des gnostischen Lichtes und seiner Macht in der Erden-Natur. Denn die Beschreibung als Gnosis trifft auf jedes Bewußtsein zu, das auf der Wahrheit des Seienden und nicht auf der Unwissenheit oder Nichtbewußtheit gegründet ist. Alles Leben und alle lebenden Wesen, die bereit sind, über die mentale Unwissenheit emporzukommen, aber noch nicht reif sind für den supramentalen Gipfel, würden so auf einer Art Stufenleiter oder Skala mit überschneidenden Graden ihre sichere Grundlage finden, die Zwischenstufen ihrer Selbst-Gestaltung, den Ausdruck der von ihnen verwirklichten Fähigkeit spirituellen Seins auf dem Weg zur höchsten Wirklichkeit. Wir dürfen aber auch erwarten, daß die Gegenwart des freigesetzten und nun souveränen supramentalen Lichtes und seiner Kraft auf dem Gipfel der evolutionären Natur ihre Auswirkungen auf die ganze Evolution zeitigen wird. Ein Drängen, ein entscheidender Druck würden das Leben der niederen Entwicklungsstufen beeinflussen. Ein wenig vom Licht und von der Kraft würde nach unten hindurchdringen und überall in der Natur die verborgene Wahrheits-Macht zu stärkerem Wirken erwecken. Dem Leben der Unwissenheit würde sich ein bestimmendes Prinzip von Harmonie auferlegen. Zwietracht, blindes Suchen, Zusammenprall im Widerstreit, abnormer Wechsel zwischen Maßlosigkeit und Depression, das labile Gleichgewicht unsichtbarer Kräfte, die vermischt und konfliktreich am Werk sind, würden das Einströmen fühlen. Sie würden einem geordneteren Vorgehen und harmonischen Schritten der Entwicklung des Wesens, einer mehr offenbarenden Gestaltung des fortschreitenden Lebens und Bewußtseins, einer besseren Lebens-Ordnung ihren Platz einräumen. In das menschliche Leben würde so ein freieres Spiel von Intuition, Mitempfinden und gegenseitigem Verstehen kommen, ein klareres Empfinden für die Wahrheit des Selbsts und der Dinge, ein eher erleuchteter Umgang mit den günstigen und schwierigen Umständen des Daseins.

Die Evolution würde zu einem stufenweisen Fortschreiten von einem schwächeren zu einem helleren Licht werden anstelle eines ständigen vermischten und verworrenen Ringens zwischen dem Wachstum von Bewußtsein und der Macht der Unbewußtheit, zwischen den Kräften des Lichtes und den Kräften der Finsternis. Auf jeder ihrer Stufen würden die zu dieser Stufe gehörenden bewußten Wesen auf die innere Bewußtseins-Kraft antworten und ihr kosmisches Naturgesetz zur Möglichkeit einer höheren Stufe dieser Natur ausweiten. Das ist zumindest eine hervorragende Möglichkeit, die wir als die natürliche Folge des unmittelbaren Einwirkens des Supramentals auf die Evolution ansehen können. Dieses Eingreifen kann das evolutionäre Prinzip nicht aufheben. Denn das Supramental hat ebenso die Macht, seine Wissenskraft zurückzuhalten oder in Reserve zu bewahren, wie das Vermögen, sie voll oder teilweise im Wirken einzusetzen. Das würde aber den schwierigen und leidvollen Vorgang des evolutionären Hervortretens harmonisieren, stetig machen, erleichtern, beruhigen und in starkem Maße mit Freude erfüllen.

In der Natur des Supramentals selbst gibt es etwas, das dieses wichtige Ergebnis unvermeidlich macht. In seinem Grundprinzip liegt ein auf Einheit, Integration und Harmonie hinwirkendes Bewußtsein. Wenn es herabkommt und in der Evolution auf die Verschiedenheiten des Unendlichen einwirkt, wird es seine Tendenz zur Vereinigung, sein Drängen auf Einbeziehung und seinen harmonischen Einfluß nicht verlieren. Das Übermental führt die Verschiedenheiten und auseinanderstrebenden Möglichkeiten auf ihren je eigenen divergierenden Bahnen durch. Es kann Widersprüche und Disharmonien zulassen. Es macht aber aus ihnen Elemente eines kosmischen Ganzen, so daß sie, wenn auch ohne ihr Wissen und gegen ihren Willen, gezwungen sind, ihren Anteil an seiner Ganzheit beizutragen. Wir können auch sagen, das Übermental akzeptiert oder ermutigt sogar die Widersprüche. Es verpflichtet sie aber dazu, sich gegenseitig in ihrem Dasein so zu unterstützen, daß die Wege des Wesens, des Bewußtseins und der Erfahrung wohl auseinanderstreben mögen, als ob sie von dem Einen und voneinander wegführten, daß sie sich aber dennoch auf dem Weg zum Einssein erhalten und jedes, auf seinem eigenen Pfad, wieder zur Einheit zurückführen. Das ist der geheime Sinn selbst in unserer eigenen Welt der Unwissenheit, die von der Unbewußtheit her, jedoch mit dem zugrundeliegenden kosmischen Bewußtsein des Übermental-Prinzips, wirkt. In solch einer Schöpfung besitzt aber der individuelle Mensch dieses geheime Prinzip in seiner Erkenntnis nicht; er gründet auch sein Wirken nicht darauf. Ein Übermental-Mensch würde dieses Geheimnis hier wahrnehmen. Er könnte aber nur im Einklang mit der Inspiration, der dynamischen Kontrolle oder inneren Lenkung durch den Geist des Göttlichen Wesens in seinem Innern auf der Grundlage seiner eigenen Entwicklungslinie in der Natur und des Gesetzes seines Handelns, svabhava, svadharma, wirken und würde die übrigen Menschen ihren eigenen Entwicklungsbahnen innerhalb des Ganzen überlassen. So könnte eine Übermental-Schöpfung in der Unwissenheit etwas von der umgebenden Welt der Unwissenheit Abgesondertes sein. Sie wäre gegen diese durch die erleuchtete, sie umhegende und von ihr trennende Mauer des eigenen Prinzips abgeschirmt. Im Gegensatz dazu wird der supramentale gnostische Mensch seine ganze Lebensweise nicht nur auf ein inniges Empfinden und eine effektive Verwirklichung der harmonischen Einheit in seinem inneren und äußeren Leben sowie in seinem Gruppenleben gründen, sondern er wird auch eine harmonische Einheit mit der weiterlebenden mentalen Welt herstellen, selbst wenn diese Welt noch ganz und gar eine solche der Unwissenheit bliebe. Denn das gnostische Bewußtsein in ihm erkennt die sich entwickelnde Wahrheit und macht das in den Gestaltungen der Unwissenheit verborgene Prinzip der Harmonie nach außen hin wirksam. Bei seinem Empfinden für integrale Ganzheit ist das etwas Natürliches. Es liegt innerhalb seiner Macht, diese Gestaltungen der Unwissenheit in einer wahren Ordnung mit dem eigenen gnostischen Prinzip und mit der entwickelten Wahrheit und Harmonie seiner höheren Lebens-Schöpfung zu verknüpfen. Das wäre aber ohne tiefgreifende Umwandlung im Leben in der Welt unmöglich. Doch wäre ein solcher Wandel die natürliche Folge des Erscheinens einer neuen Macht in der Natur und ihres universalen Einflusses. In dem Hervortreten des gnostischen Menschen liegt also die Hoffnung auf eine harmonischere evolutionäre Ordnung in der irdischen Natur.

Eine supramentale oder gnostische Menschenrasse wird keine nach einem einzigen Typus gebildete, nach einem einzigen Muster modellierte Rasse sein. Ist doch das dem Supramental zugrundeliegende Gesetz die Einheit, die sich in der Verschiedenheit erfüllt. Darum wird es bei den Manifestationen des gnostischen Bewußtseins unendliche Verschiedenheit geben, obwohl dieses Bewußtsein in seiner Grundlage, in seinem Aufbau und in seiner alles offenbarenden und alles vereinenden Ordnung noch eines ist. Es leuchtet ein, daß sich der dreifache Zustand des Supramentals in dieser neuen Manifestation nachvollzieht. Unterhalb von ihm, und dennoch zu ihm gehörig, gibt es die Grade der übermentalen und der intuitiven Gnosis mit den Seelen, die diese Grade des emporsteigenden Bewußtseins bereits realisiert hatten. Beim weiteren Fortschreiten der Evolution im Wissen wird es aber auch auf der höchsten Stufe individuelle Wesen geben, die über die supramentale Gestaltung hinaus weiter emporsteigen und von der höchsten Höhe des Supramentals aus die Gipfel einer unitarischen Selbst-Verwirklichung im Körper erreichen, die der letzte und allerhöchste Zustand der Epiphanie der Schöpfung ist. In der supramentalen Rasse selbst werden aber die Einzelnen unterschiedlichen Rang einnehmen und nicht nach einer einzigen Art von Individualität geprägt sein. Jeder Mensch ist dort vom anderen verschieden, ist eine einzigartige Gestaltung des Wesens, obwohl er mit den übrigen im Fundament des Selbsts, des Empfindens von Einheit und im Prinzip seines Wesens eins ist. Wir können nur versuchen, von diesem allgemeinen Prinzip des supramentalen Seins uns eine, wenngleich durch die Begrenzungen des mentalen Denkens und der mentalen Sprache unzulängliche, Vorstellung zu machen. Allein das Supramental könnte ein lebendigeres Bild vom gnostischen Wesen geben. Für das Mental sind nur einige abstrakte Umrisse möglich.

Die Gnosis ist das wirkungsstarke Prinzip des Geistes, die höchste Dynamik spirituellen Seins. Der gnostische Einzelne ist die höchste Vollendung des spirituellen Menschen. Seine ganze Art zu sein, zu denken, zu leben und zu handeln wird von der Macht einer allumfassenden Spiritualität gelenkt. Für sein Selbst-Innesein werden alle Dreiheiten des Geistes wirklich; sie werden in seinem inneren Leben verwirklicht: Sein ganzes Dasein ist in das Einssein mit dem transzendenten und universalen Selbst und Geist verschmolzen. Sein ganzes Handeln entstammt dem höchsten Selbst und Geist und gehorcht deren göttlicher Lenkung der Natur. Das ganze Leben läßt ihn das Bewußte Wesen, den purusha, im Innern empfinden und findet seinen Selbst-Ausdruck in der Natur. Für ihn werden sein ganzes Leben und alle seine Gedanken, Gefühle und Handlungen mit dieser Bedeutung erfüllt und auf dem Fundament der Geistes-Wirklichkeit erbaut. Er fühlt die Gegenwart des Göttlichen Wesens in jedem Zentrum seines Bewußtseins, in jeder Schwingung seiner Lebens-Kraft, in jeder Zelle seines Körpers. Bei allem Wirken seiner Kraft in der Natur wird der gnostische Mensch dessen innesein, daß die erhabene Welt-Mutter, die Obernatur, am Werk ist. Sein natürliches Wesen wird er erkennen als das Werden und die Manifestation der Macht der Welt-Mutter. In diesem Bewußtsein wird er leben und wirken in transzendenter Freiheit, in erfüllter Freude des Geistes, in voller Identität mit dem kosmischen Selbst und in ungezwungenem Mitfühlen mit allen Wesen im Universum. Sie alle werden für ihn zu seinem eigenen Selbst, alle Arten und Mächte von Bewußtsein zu Arten und Mächten seiner eigenen Universalität. In dieser einbeziehenden Universalität könnte es keine Gebundenheit an niedere Kräfte geben. Er würde nicht von seiner höchsten Wahrheit abgelenkt werden. Denn diese Wahrheit schließt alle Wahrheit der Dinge ein und erhält jede an ihrem Platz in einer Beziehung von unterschiedlicher Harmonie. Diese läßt keine Verwirrung, keinen Zusammenstoß, keine Grenzverletzung und keine Mißklänge in den verschiedenen Harmonien zu, die die volle Harmonie bilden. Sein eigenes Leben und das der Welt werden für ihn zum vollkommenen Kunstwerk. Das wäre wie die spontane Schöpfung eines kosmischen Genies, das unfehlbar ist, wenn es seine vielfältige Ordnung ausarbeitet. Das gnostische Individuum ist in der Welt und von der Welt; es überragt sie aber auch in seinem Bewußtsein und lebt im transzendenten Selbst über ihr. Es wird allumfassend, aber im Universum frei, individuell, aber nicht durch eine gesonderte Individualität begrenzt sein. Die wahre Person ist nicht eine isolierte Wesensgestalt. Ihre Individualität ist allumfassend. Denn sie individualisiert das Universum. Sie tritt aber zugleich in einer spirituellen Luft von transzendenter Unendlichkeit in göttlicher Weise hervor wie ein hoher, über die Wolken herausragender Berggipfel. Denn die Person individualisiert die Göttliche Transzendenz.

Drei Mächte stellen sich unserem Leben als die drei Schlüssel zur Lösung seines Mysteriums dar: das Individuum, die kosmische Wesenheit und die in beiden und jenseits von ihnen gegenwärtige Wirklichkeit. Im Leben des supramentalen Menschen werden diese drei Mysterien des Seins eine geeinte Erfüllung ihrer Harmonie finden. Er wird das vollkommene und vollendete Individuum sein, das in seinem Wachstum zufrieden ist und im Ausdruck seines Selbsts seine Erfüllung gefunden hat. Denn alle seine Elemente werden bis zu einem höchsten Grad erhoben und in eine Art allumfassender Weite integriert. Um was wir hier ringen, das ist dort Vollendung und Harmonie. Worunter wir innerlich am meisten leiden, ist die Unvollkommenheit, Unfähigkeit und Disharmonie in unserer Natur. Das rührt aber daher, daß wir in unserem Wesen unvollendet, in unserer Selbst-Erkenntnis unvollkommen und im Besitz unseres Selbsts und unserer Natur mangelhaft sind. Die Gabe der supramentalen Gnosis ist vollkommene Selbst-Erkenntnis in allen Dingen und in jedem Augenblick. Mit ihr erlangen wir die völlige Meisterschaft über uns selbst, nicht nur im Sinne einer Lenkung der Natur, sondern im Sinne der Macht eines vollkommenen Ausdrucks unseres Selbsts in der Natur. Jede Erkenntnis des Selbsts, die dort möglich ist, wird vollkommen im Willen des Selbsts verkörpert, und der Wille wird vollkommen im Handeln des Selbsts verkörpert. Das Ergebnis ist die vollständige dynamische Gestaltung des Selbsts in seiner Natur. Bei den niederen Graden des gnostischen Wesens ist der Ausdruck des Selbsts je nach Verschiedenheit der Natur begrenzt. Die Vollkommenheit ist eingeschränkt, um ein Nebenelement zu formulieren. Oder es werden Elemente zur Harmonie einer göttlichen Symphonie kombiniert; dazu werden Mächte aus der kosmischen Gestalt des unendlichen mannigfaltigen Einen ausgewählt. Im supramentalen Menschen wird aber diese Notwendigkeit, um der Vollkommenheit willen zu begrenzen, verschwinden. Die Verschiedenheit wird hier nicht durch Begrenzung gesichert, sondern durch Unterschiede in der Macht und Färbung der Übernatur. Dasselbe Ganze des Wesens und dasselbe Ganze der Natur bringen sich in einer unendlich verschiedenen Art und Weise zum Ausdruck. Denn der supramentale Mensch erreicht eine neue Ganzheit, Harmonie und Gleichheit mit dem Selbst des Einen Wesens. Was an der Außenseite zum Ausdruck gebracht oder in einem gewissen Augenblick zurückgehalten wird, hängt nicht von Fähigkeit oder Unfähigkeit ab, sondern von der dynamischen Selbst-Entscheidung des Geistes: von seiner Lust am Ausdruck seines Selbsts, von der Wahrheit des Göttlichen Willens, von seiner Freude über sich selbst im Individuum, schließlich, nebenbei, auch von der Wahrheit dessen, was durch den Einzelnen im Einklang der Ganzheit getan werden muß. Denn der vollendete Einzelne ist das kosmische Individuum, da unsere Individualität nur dann vollendet sein kann, wenn wir das Universum in uns hineingenommen – und transzendiert – haben.

Da der supramentale Mensch in seinem kosmischen Bewußtsein alles als sich selbst sieht und fühlt, wird er in diesem Sinne handeln. Er wird in allumfassender Bewußtheit und einer Harmonie seines individuellen Selbsts mit dem totalen Selbst, seines individuellen Willens mit dem totalen Willen, seines individuellen Handelns mit dem totalen Handeln wirken. Denn am meisten leiden wir in unserem äußeren Leben und in dessen Rückwirkungen auf unser inneres Leben an der Unvollkommenheit unserer Beziehungen zur Welt: daran, daß wir die anderen Menschen nicht erkennen; an unserer Disharmonie mit dem Ganzen der Dinge; an unserer Unfähigkeit, unsere Forderung an die Welt mit der Forderurig der Welt an uns zum Ausgleich zu bringen. Da besteht ein Konflikt, für den es letztlich nur die eine Lösung zu geben scheint, daß wir beidem, der Welt und uns selbst, entkommen, ein Widerstreit zwischen der Durchsetzung unseres Selbsts und einer Welt, der wir diese Durchsetzung aufzwingen wollen, die aber viel zu groß für uns zu sein scheint und die gleichgültig unsere Seele, unser Mental, unser Leben und unseren Körper mit ihrem Kurs auf ihr Ziel hin überrollt. Wir haben keinen Einblick in die Beziehung zwischen unserem Kurs und Ziel und dem der Welt. Um uns damit in Einklang zu bringen, müssen wir entweder uns ihr aufzwingen und sie uns dienstbar machen, oder wir müssen uns selbst unterdrücken und ihr hörig werden. Wir müssen, was schwierig ist, das Gleichgewicht dieser beiden Notwendigkeiten, der Beziehung zwischen dem individuellen persönlichen Schicksal und dem kosmischen Ganzen und seiner verborgenen Absicht, herstellen. Für den supramentalen Menschen, der im kosmischen Bewußtsein lebt, wird eine solche Schwierigkeit nicht bestehen, da er kein Ich mehr hat. Seine kosmische Individualität erkennt die kosmischen Kräfte mit ihrer Bewegung und ihrer Bedeutung als einen Teil seiner selbst. Das Wahrheits-Bewußtsein in ihm sieht bei jedem Schritt die rechte Beziehung und findet den rechten dynamischen Ausdruck für diese Beziehung.

Tatsächlich sind beide, Individuum und Universum, gleichzeitiger und aufeinander bezogener Ausdruck des gleichen transzendenten Wesens. Zwar gibt es in der Unwissenheit und unter ihrem Gesetz falsche Anpassung und Konflikte. Es muß aber zwischen beiden auch die rechte Beziehung und ein Ausgleich bestehen, zu dem alles hinführt. Wir verfehlen ihn nur durch die Blindheit unseres Ichs und durch unseren Versuch, das Ich durchzusetzen, nicht das Selbst, das in allen eines ist. Das supramentale Bewußtsein trägt diese Wahrheit der Beziehung als sein natürliches Recht und Vorrecht in sich, da allein es die kosmischen Beziehungen und die des Individuums zum Universum bestimmt und frei und souverän als Macht der Transzendenz über sie entscheidet. Im mentalen Menschen könnte nicht einmal der Druck des kosmischen Bewußtseins, der das Ich überwältigt, und das Gewahrwerden der transzendenten Wirklichkeit als solcher eine dynamische Lösung herbeiführen. Denn es gäbe immer noch eine Unvereinbarkeit zwischen der befreiten spirituellen Mentalität und dem dunklen Leben der kosmischen Unwissenheit, die aufzulösen oder zu überwinden das Mental nicht die Macht besitzt. Im supramentalen Menschen jedoch, der nicht nur statisch, sondern auch dynamisch bewußt ist und im schöpferischen Licht und in der Macht der Transzendenz handelt, hat das supramentale Licht, das Wahrheits-Licht, rtam jyotih, diese Macht. Denn hier herrscht Einung mit dem kosmischen Selbst, nicht Gebundenheit an die Unwissenheit der kosmischen Natur in ihrer niederen Formulierung. Im Gegenteil, es gibt hier eine Vollmacht, im Licht der Wahrheit auf jene Unwissenheit einzuwirken. Umfassende Universalität des Selbst-Ausdrucks, weite harmonische Universalität des Welt-Wesens ist hier das eigentliche Kennzeichen der supramentalen Person, des Menschen in seiner gnostischen Natur.

So stellt sich das Dasein des supramentalen Wesens dar als das Spiel einer sich vielfältig und vielfach offenbarenden Wahrheits-Macht des Eins-Seins und des Eins-Bewußtseins zur Freude des Eins-Seins. Der Sinn gnostischen Lebens ist die tiefe Freude an der Manifestation des Geistes in seiner Wahrheit des Seienden. Alle seine Bewegungen sind eine Darlegung der Wahrheit des Geistes, aber auch der Freude des Geistes – eine Bestätigung des spirituellen Seins, des spirituellen Bewußtseins, der spirituellen Freude am Wesen. Trotz der zugrundeliegenden Einheit ist dies etwas anderes als die Tendenz der Selbstbehauptung in uns. Sie ist irgendwie egozentrisch und trennend, der Selbst-Behauptung anderer entgegengesetzt, gleichgültig und ungenügend aufgeschlossen für deren Forderungen an das Dasein. Dagegen wird der supramentale Mensch, im Selbst mit allen geeint, die Freude an der Selbst-Offenbarung des Geistes in sich ebenso wie die Freude des Göttlichen Wesens in allen suchen: Er wird die kosmische Freude besitzen. Er wird Macht haben, die Wonne des Geistes und die Freude am Seienden anderen zu bringen. Denn ihre Freude wird ein Teil seiner eigenen Daseins-Freude sein. Man hat es beschrieben als ein Zeichen dafür, daß ein spiritueller Mensch befreit und zu seiner Erfüllung gelangt ist, wenn er sich um das Gute für alle Wesen bekümmert und sich Freude wie Kummer anderer zu eigen macht. Der supramentale Mensch wird deshalb nicht altruistischer Selbstentäußerung bedürfen, da solche längst zu seiner Selbst-Erfüllung und zur Erfüllung des Einen in allen gehört. Darum kann es keinen Widerspruch, keine Spannung geben zwischen dem, was für ihn selbst, und dem, was für die anderen gut ist. Er braucht auch nicht erst allumfassendes Mitempfinden dadurch zu erwerben, daß er die Freuden und Kümmernisse der noch in der Unwissenheit lebenden Geschöpfe auf sich nimmt. Sein kosmisches Mitempfinden ist ein Teil der ihm eingeborenen Wahrheit des Seienden und hängt nicht von persönlicher Anteilnahme an minderer Lust und Leiden ab. Er transzendiert, was er umfaßt; in diesem Überschreiten wird seine Macht liegen. Sein universales Fühlen und Handeln wird stets eine spontane Haltung und natürliche Bewegung sein, unwillkürlicher Ausdruck der Wahrheit und ein Akt der Freude des Selbst-Seins des Geistes. Darin kann es keinen Raum geben für ein begrenztes Selbst oder für ein Begehren, für die Befriedigung oder Enttäuschung des begrenzten Selbsts, für die Befriedigung oder Enttäuschung von Begehren, keinen Raum für das relative, vom Äußeren abhängige Glück und Leid, das unsere begrenzte Natur besucht oder heimsucht. Denn diese Dinge gehören dem Ich und der Unwissenheit an, nicht aber der Freiheit und Wahrheit des Geistes.

Das gnostische Wesen besitzt den Willen zum Handeln, aber auch das Wissen von dem, was gewollt werden soll, und die Macht, sein Wissen wirksam zu machen. Es wird nicht durch die Unwissenheit dazu verleitet, das zu tun, was nicht getan werden darf. Außerdem geschieht sein Wirken nicht aus einem Streben nach Ertrag oder Erfolg. Die Freude daran liegt im Sein und im Tun, im reinen Zustand des Geistes, im reinen Handeln des Geistes, in der reinen Wonne des Geistes. So wie sein statisches Bewußtsein alles in sich enthält und darum für immer selbst-erfüllt ist, so wird die Dynamik seines Bewußtseins bei jedem Schritt und bei jedem Tun spirituelle Freiheit und Selbst-Erfüllung finden. Alles wird in seiner Beziehung zum Ganzen gesehen, so daß jeder Schritt in sich erleuchtet, freudvoll und befriedigend sein wird, da er im Einklang steht mit einer lichtvollen Ganzheit. Eigentliches Kennzeichen eines supramentalen Bewußtseins, worin es sich von den unzusammenhängenden, ohne Erkenntnis aufeinanderfolgenden Schritten unseres Bewußtseins in der Unwissenheit unterscheidet, ist dieses Bewußtsein, dieses Leben in der spirituellen Ganzheit und das Handeln aus ihr, eine befriedete Ganzheit im Wesen des Seienden und eine befriedete Ganzheit in der dynamischen Bewegung des Wesens; das Empfinden für die Beziehungen innerhalb dieser Ganzheit, das jeden Schritt begleitet. Das gnostische Sein und die Seins-Seligkeit ist ein allumfassendes Wesen und eine allumfassende Seligkeit. In jeder gesonderten Bewegung gibt es die Gegenwart dieser Ganzheit und Allheit. In einer jeden wird das Empfinden der ganzen Bewegung eines integralen Wesens und der Gegenwart seiner völligen und integralen Seins-Seligkeit, ananda, erfahren, anstelle einer partiellen Erfahrung des Selbsts oder nur eines Bruchstücks seiner Freude. Das im Handeln selbst-verwirklichte Wissen des gnostischen Menschen wird die Real-Idee des Supramentals, die Instrumentation des wesenhaften Lichtes des Bewußtseins sein, nicht aber eine ideative Erkenntnis. Es wird das Selbst-Licht aller Wirklichkeit des Seienden und Werdenden sein, das sich ständig nach außen ergießt und jeden einzelnen Akt und jede Tätigkeit mit dem reinen und vollen Entzücken seines Selbst-Seins erfüllt. Ein unendliches Bewußtsein mit seinem Wissen durch Identität erlebt in jeder Unterschiedlichkeit die Freude und Erfahrung des Identischen. In jedem Endlichen fühlt es das Unendliche.

Die Evolution des gnostischen Bewußtseins bringt eine Transformation unseres Bewußtseins von der Welt und unseres Handelns in der Welt mit sich. Denn sie nimmt in die neue Bewußtheits-Macht nicht nur die innere Erfahrung auf, sondern auch unser äußeres Wesen und unser Welt-Wesen. Beide werden neu geschaffen; sie werden in Empfinden und Macht des spirituellen Seins einbezogen. Bei dieser Umwandlung muß es bei uns sofort zu einer Umkehrung und Zurückweisung unserer gegenwärtigen Seins-Weise und zur Erfüllung ihrer inneren Richtung und Tendenz kommen. Denn wir stehen jetzt zwischen diesen beiden Begriffen, einer äußeren Welt von Leben und Materie, die uns gestaltet hat, und einer neuen Welt, die wir selbst im Sinne des sich entfaltenden Geistes erschaffen. Unsere gegenwärtige Lebensweise ist zugleich Unterwerfung unter die Lebens-Kraft und die Materie, aber auch ein Kampf mit dem Leben und mit der Materie. Von Anfang an erschafft das äußere Dasein durch unsere Reaktionen auf seine äußeren Erscheinungen ein inneres, mentales Sein. Wenn wir uns überhaupt selbst gestalten, geschieht das bei den meisten Menschen weniger durch bewußten Druck einer freien Seele oder Intelligenz von innen, als vielmehr durch Reaktion auf unsere Umgebung und auf die Natur der Welt, die auf uns einwirkt. Das Ziel aber, auf das wir uns bei Entwicklung unseres bewußten Wesens hinbewegen, ist ein inneres Sein, das durch seine Erkenntnis und Macht seine äußere Lebensform und die sein Selbst ausdrückende Lebens-Umwelt erschafft. In der gnostischen Natur kommt diese Bewegung zu ihrem höchsten Ziel. Unsere äußere Lebensweise erbaut dann ein vollendetes inneres Sein, dessen Licht und Macht im äußeren Leben vollkommene Gestalt annehmen wird. Der gnostische Mensch nimmt die Welt von Leben und Materie an. Er wird sie aber seiner Wahrheit und dem Zweck seines Daseins anpassen. Er wird das Leben selbst nach seinem eigenen spirituellen Bild umformen. Das kann er fertigbringen, weil er das Geheimnis einer spirituellen Schöpfung besitzt und sich in Gemeinschaft und Einheit mit dem Schöpfer in seinem Innern befindet. Zuerst wird es dadurch wirksam werden, daß sich sein inneres und äußeres individuelles Dasein umgestaltet. Dieselbe Macht und dasselbe Prinzip werden aber auch in jedem gemeinsamen gnostischen Leben wirksam. Die Beziehungen zwischen gnostischen Wesen werden Ausdruck ihres einen gnostischen Selbsts und der Übernatur sein, die alles gemeinsame Dasein in eine bedeutungsvolle Macht und Form ihrer selbst gestaltet.

In allem spirituellen Leben ist in erster Linie das innere Leben wichtig. Der spirituelle Mensch lebt stets in seinem Innern. In einer Welt der Unwissenheit, die ihre Umwandlung verweigert, muß er sich in gewissem Sinn von dieser absondern und sein inneres Leben gegen das Eindringen und den Einfluß der dunkleren Mächte der Unwissenheit schützen. Er steht außerhalb der Welt, selbst wenn er mitten in ihr ist. Wirkt er auf sie ein, so geschieht das von der Burg seines inneren spirituellen Wesens aus, wo er im innersten Heiligtum eins ist mit dem höchsten Sein, wo allein seine Seele und Gott beieinander sind. Das gnostische Leben ist ein inneres Leben, in dem der Gegensatz von innen und außen, von Selbst und Welt, versöhnt und überwunden sein wird. Das gnostische Wesen wird in Wahrheit ein inneres Sein besitzen, in dem es mit Gott allein ist, eins mit dem Ewigen, selbst-versunken in die Tiefen des Unendlichen, in Kommunion mit dessen Höhen und mit den erleuchteten Abgründen seines Geheimnisses. Nichts wird es in diesen Tiefen stören oder in sie eindringen können; nichts wird es von diesen Höhen herabziehen können, weder die Inhalte der Welt, noch sein Wirken, noch alles, was ihn umgibt. Das ist der Aspekt der Transzendenz spirituellen Lebens. Für die Freiheit des Geistes ist er notwendig.

Andernfalls wäre die Identität mit der Natur in der Weit eine begrenzende Bindung und keine freie Identität. Zugleich ist die Gottes-Liebe und die Seligkeit in Gott der Ausdruck des Herzens für jene innere Gemeinschaft und Einheit. Und diese Freude und Liebe wird sich ausdehnen und das ganze Dasein umfassen. Der Friede, Gottes im Innern wird in der gnostischen Erfahrung des Weltalls zur universalen Ruhe, zu einem nicht nur passiven, sondern kraftgeladenen gelassenen Gleichmut. Eine Stille von Freiheit in Einheit herrscht über allem, was ihm begegnet: Sie wird alles beruhigen, was in sie eintritt. Sie wird ihr Gesetz von Frieden den Beziehungen des supramentalen Menschen mit der Welt auferlegen, in der er lebt. In all sein Handeln begleitet ihn das innere Einssein, die innere Kommunion. Sie geht in alle seine Beziehungen zu anderen Menschen ein, die nun für ihn nicht mehr die Anderen sind, sondern Selbste seiner selbst, in dem einen Sein, in seinem eigenen universalen Sein. Diese Gelassenheit und diese Freiheit im Geist werden ihn befähigen, alles Leben in sich hineinzunehmen und doch das spirituelle Selbst zu bleiben, selbst die Welt der Unwissenheit zu umfassen, ohne selbst in die Unwissenheit hineingerissen zu werden.

Wird doch seine Erfahrung des kosmischen Daseins – durch dessen Naturgestalt und infolge seiner individuellen Zentrierung – diejenige eines Menschen sein, der im Universum lebt, zugleich aber auch die eines Menschen, der das Universum und alle seine Wesen in seinem Innern trägt, weil er sich in seinem Einssein selbst nach außen verstreut und ausdehnt. Dieser ausgeweitete Zustand des Wesens ist nicht nur eine Ausdehnung im Einssein des Selbsts oder nur eine solche in begrifflicher Idee und Schau, sondern eine Ausweitung des Einsseins im Herzen, in den Sinnen, in einem konkreten physischen Bewußtsein. Der gnostische Mensch hat kosmisches Bewußtsein, kosmischen Sinn und kosmisches Empfinden, durch die alles objektive Leben zu einem Teil seines subjektiven Daseins wird, so daß er das Göttliche Wesen in allen Gestaltungen erkennen, wahrnehmen, fühlen, sehen und hören kann. Alle Gestaltungen und Bewegungen werden von ihm erkannt, empfunden, gesehen, gefühlt, als ob sie in dem eigenen weiten Selbst seines Wesens stattfänden. Die Welt wird nicht nur mit seinem äußeren, sondern mit seinem inneren Leben verbunden. Er begegnet der Welt nicht nur in ihrer äußeren Gestalt durch äußeren Kontakt. Er steht auch innerlich mit dem inneren Selbst der Dinge und Wesen in Beziehung.

Er nimmt bewußt sowohl ihre inneren wie ihre äußeren Reaktionen auf. Er nimmt wahr, was in ihrem Innern ist, dessen sie selbst nicht bewußt sind. Er wirkt mit innerem Verständnis auf alle ein und begegnet ihnen in vollkommenem Mitempfinden und dem Gefühl des Einsseins, doch auch mit einer Unabhängigkeit, die durch keinen Kontakt überwältigt wird. Sein Wirken auf die Welt ist zumeist inneres Wirken durch die Macht des Geistes, durch die spirituell-supramentale Ideen-Kraft, die sich in der Welt selbst ihre Form gibt: durch das geheime ungesprochene Wort, die Macht des Herzens, dynamische Lebenskraft, durch die alles umhüllende und in alles eindringende Macht des Selbsts, das eines ist mit allen Dingen. Das äußerlich zum Ausdruck kommende sichtbare Handeln ist nur die Randerscheinung einer äußersten Projektion dieser umfassenderen einzigen Ganzheit und Aktivität.

Zugleich bleibt aber das allumfassende innere Leben des Einzelnen nicht auf inneren Kontakt beschränkt, der die physische Welt durchdringt und einschließt. Der Einzelne dehnt ihn weiter aus, weil er die natürliche Verbindung seines subliminalen inneren Wesens mit anderen Ebenen des Seienden voll verwirklicht. Erkenntnis ihrer Mächte und Einflüsse wird zum normalen Element der inneren Erfahrung. Die Ereignisse dieser Welt werden nicht allein in ihrem äußeren Aspekt gesehen, sondern auch im Lichte all dessen, was hinter der physischen und irdischen Schöpfung und Bewegung verborgen ist. Der gnostische Mensch besitzt nicht nur eine der Wahrheit bewußte Beherrschung der erkannten Macht des Geistes über seine physische Welt, sondern auch die Vollmacht über die mentalen und vitalen Ebenen. Er kann ihre stärkeren Kräfte für die Vervollkommnung des physischen Daseins einsetzen. Dieses größere Wissen und diese umfassendere Macht über alles Dasein vermehrt erheblich die Herrschaft der Instrumentation des gnostischen Wesens über seine Umgebung und über die Welt der physischen Natur.

Im Selbst-Sein, dessen dynamisches Wahrheits-Bewußtsein das Supramental ist, gibt es für das Wesen nur das eine Ziel, zu sein; für das Bewußtsein nur das eine Ziel, des Wesens bewußt zu werden; für die Seins-Seligkeit nur das eine Ziel, diese Wonne zu erfahren. Das All ist eine Ewigkeit, die aus dem Selbst existiert, die im Selbst ihr Genüge hat. Die Manifestation, das Werden, hat in ihrer ursprünglichen supramentalen Bewegung denselben Charakter. Sie trägt und erhält in einem aus dem Selbst seienden und im Selbst genügsamen Rhythmus eine Aktivität des Wesens, die sich als vielfältiges Werden erkennt. Die Aktivität des Bewußtseins nimmt die Form vielfältiger Selbst-Erkenntnis an; die Aktivität der Kraft des bewußten Seins existiert für die Herrlichkeit und Schönheit ihrer vielfältigen Wesens-Macht; die Aktivität der Seligkeit nimmt zahllose Formen von Freude an. Sein und Bewußtsein des supramentalen Menschen hier in der Materie müssen im wesentlichen von derselben Art sein. Doch kennzeichnen untergeordnete Eigenschaften den Unterschied zwischen dem Supramental auf seiner eigenen Ebene und einem Supramental, das im Erden-Dasein in seiner manifestierten Macht wirkt. Denn hier wird es zu einem sich entwickelnden Wesen, zu einem sich entwickelnden Bewußtsein, zu einer sich entwickelnden Seins-Seligkeit. Der gnostische Mensch erscheint als Zeichen für eine Entwicklung aus dem Bewußtsein der Unwissenheit in das Bewußtsein von saccidananda. Wir befinden uns in der Unwissenheit hauptsächlich, um zu wachsen, um zu erkennen und zu handeln, oder genauer gesagt, um in etwas hineinzuwachsen, um durch das Erkennen zu einem Ziel zu gelangen, damit etwas getan wird. Da wir unvollkommen sind, finden wir in unserem Wesen keine Befriedigung. Wir müssen unter innerem Zwang, unter Mühen und Schwierigkeiten, darum ringen, in etwas hineinzuwachsen, das wir nicht sind. Da wir unwissend und mit dem Bewußtsein unserer Unwissenheit belastet sind, müssen wir zu einem Zustand gelangen, in dem wir fühlen, daß wir wissen. Gefesselt an unsere Unfähigkeit, müssen wir nach Stärke und Einfluß jagen. Gepeinigt vom Bewußtsein unserer Leiden, müssen wir versuchen, daß etwas geschieht, durch das wir einige Lebensfreude erlangen oder eine zufriedenstellende Lage des Lebens festhalten können. Das Dasein zu erhalten, ist uns in der Tat erstes Bemühen und erste Notwendigkeit. Es ist jedoch nur unser Ausgangspunkt; denn die bloße Erhaltung eines unvollkommenen, von Leiden zerquälten Daseins kann nicht befriedigendes Ziel für unser Wesen sein. Der instinktive Daseins-Wille, die Lust am Dasein, die alles ist, was die Unwissenheit aus der dem Leben insgeheim zugrundeliegenden Macht und Glückseligkeit, ananda, herausholen kann, muß durch das Bedürfnis ergänzt werden, zu handeln und zu werden. Wir haben aber keine klare Erkenntnis davon, was wir tun und was wir werden sollen. So raffen wir zusammen, was wir an Wissen, Macht, Stärke, Reinheit, Frieden und Freude bekommen können. Wir werden zu dem, was wir werden können. Aber all unser Streben und unser Bemühen, etwas davon zu erlangen, und das wenige, das wir als unseren Gewinn festhalten können, wandelt sich in Fangstricke, mit denen wir gefesselt werden. Jene Dinge werden dann zu unserem Lebensziel: Aber unsere Seele zu erkennen und unser Selbst zu sein, was doch die Zielrichtung für den wahren Weg unseres Wesens sein müßte, ist ein Geheimnis, das uns völlig entgeht, da wir uns vordringlich mit dem Erlernen äußerer Dinge, mit der Aufstellung äußerer Erkenntnis-Konstruktionen, mit dem Erfolg in äußerem Wirken und mit Freude an äußeren Dingen befassen. Der spirituelle Mensch dagegen hat seine Seele entdeckt. Er hat sein Selbst gefunden und lebt darin. Er ist seines Selbsts bewußt und hat seine Freude daran. Für die Vollkommenheit seines Daseins benötigt er die äußeren Dinge nicht. Der gnostische Mensch, der von dieser neuen Grundlage ausgeht, nimmt unser unwissendes Werden auf und wandelt es in ein erleuchtetes Werden der Erkenntnis und erkannte Macht des Seienden um. Darum bringt er all das, was wir in der Unwissenheit zu werden versuchen, im Wissen zur Vollendung. Er verwandelt alle Erkenntnis in eine Manifestation des Selbst-Wissens des Seienden. Alle Macht und alles Wirken macht er zu einer Macht und zu einem Wirken der Selbst-Kraft des Seienden. Alle Lust erhöht er zur universalen Seligkeit von Selbst-Sein. Jede Hörigkeit und Gebundenheit fällt dann weg, da das Selbst-Sein bei jedem Schritt und in jedem Ding seine volle Befriedigung findet, da sich das Licht des Bewußtseins selbst zur Erfüllung bringt, da das Entzücken der Seins-Seligkeit sich selbst findet. Auf jeder Stufe der Evolution im Wissen werden diese Macht, dieser Wille des Wesens und diese Freude am Sein entfaltet. Das ist ein freies Werden, das durch das Empfinden des Unendlichen, die Wonne des brahman und die erleuchtete Sanktion der Transzendenz getragen und gefördert wird.

Die supramentale Transformation, die supramentale Evolution muß eine Erhöhung von Mental, Leben und Körper mit sich bringen. Sie werden aus sich heraus in eine höhere Art des Wesens emporgehoben, in der aber ihre Eigentümlichkeiten und Mächte nicht unterdrückt oder beseitigt, vielmehr durch dieses Emporkommen über sich selbst hinaus vervollkommnet und erfüllt werden. In der Unwissenheit sind alle unsere Wege die Pfade des Geistes, auf denen dieser blind oder mit zunehmendem Licht nach sich selbst sucht. Das gnostische Wesen und Leben ist die Selbst-Entdeckung des Geistes. Nun schaut und erreicht er die Ziele all dieser Pfade, jedoch in der höheren Art seiner eigenen, jetzt geoffenbarten und bewußten Wahrheit des Seienden. Das Mental sucht nach Licht, nach Erkenntnis, – nach Wissen um die einzige Wahrheit, auf die sich alle Wahrheiten gründen; nach der wesenhaften Wahrheit des Selbsts und der Dinge; aber auch nach dem, was aller Wahrheit der Mannigfaltigkeit in diesem Einssein zugrundeliegt, all seinem Detail und Umstand, der vielfältigen Art von Wirken und Form, von Gesetz, Bewegung und Ereignis, der verschiedenen Manifestation und Schöpfung. Für das denkende Mental besteht die Freude am Dasein im Entdecken und Durchdringen des Mysteriums der Schöpfung, das wir mit der Erkenntnis erreichen. Das erfüllt die gnostische Umwandlung in reichem Maße. Sie wird dem Erkennen aber einen neuen Charakter geben. Die Erkenntnis arbeitet hier nicht durch die Entdeckung des Unbekannten, sondern sie bringt das bereits Gewußte zum Vorschein. Alles wird zum Finden “des Selbsts durch das Selbst im Selbst”. Denn das Selbst des gnostischen Menschen ist nicht das mentale Ich, sondern der Geist, der eins ist mit allen. Darum schaut der gnostische Mensch die Welt als Universum des Geistes. Er findet in ihr die eine, allen Dingen zugrundeliegende Wahrheit: Das Identische entdeckt überall Identität und identische Wahrheit; es entdeckt auch die Macht, die Wirkweisen und Beziehungen dieser Identität. Die Offenbarung des Details, des Umstands, der überreichen Arten und Formen der Manifestation ist das Enthüllen der endlos reichen Fülle der Wahrheiten dieser Identität, der Formen und Mächte des Selbsts, ihrer überraschenden Vielfalt und Menge der Formen, die ihre Einheit auf unendliche Weise offenbar machen. Diese Erkenntnis entwickelt sich dadurch weiter, daß das gnostische Wesen sich mit allen identifiziert, in alle eingeht durch eine Berührung, die mit einem Sprung eine höhere Selbst-Entdeckung und das Aufflammen von Einsichten einbringt, eine Intuition in die Wahrheit, die größer und gesicherter ist, als das Mental sie erreichen kann. Das führt auch zu einer Intuition in die Art und Weise, wie die geschaute Wahrheit zu verkörpern und zu verwenden ist, zu einer praktisch-brauchbaren Intuition in ihre dynamischen Prozesse, zur unmittelbaren inneren Bewußtheit, die das Leben und die physischen Sinne bei jedem Schritt ihres Wirkens und ihres Dienstes am Geist lenkt, wenn sie als Werkzeuge zur erfolgreichen Durchführung eines Verfahrens in Leben und Materie eingesetzt werden müssen.

Der Charakter jeder gnostischen Erkenntnisbewegung und Wissensbetätigung äußert sich so: Das intellektuelle Suchen wird ersetzt durch die supramentale Identität und die gnostische Intuition der Inhalte der Identität. Der Geist ist mit seinem Licht überall gegenwärtig und durchdringt den ganzen Erkenntnisprozeß und alle Verwendung des Wissens, so daß es zu einer Vereinigung von Erkennendem, Erkenntnis und erkannter Sache, von dem das Erkennen betätigenden Bewußtsein, seinen Werkzeugen und der durchgeführten Angelegenheit kommt. Das einzelne Selbst wacht derweilen über der integralen Bewegung und bringt sich innerlich in ihr zum Ausdruck. Es macht sie zu einer makellosen Einheit von Selbst-Verwirklichung. Das beobachtende und beurteilende Mental müht sich darum, sich von dem, was es zu erkennen hat, zu distanzieren und es objektiv und wirklichkeitsgetreu zu sehen. Es versucht, dieses als Nicht-Selbst, als eine unabhängige andersartige Wirklichkeit zu erkennen, die vom Vorgang des persönlichen Denkens oder durch die Gegenwart des Selbsts nicht beeinträchtigt wird. Das gnostische Bewußtsein kann sofort, von innen her und genau, seinen Gegenstand durch umfassend-verstehende und eindringende Identifikation mit ihm erkennen. Es geht über das hinaus, was es zu erkennen hat, bezieht es aber ein. Es erkennt den Gegenstand ebenso als einen Teil seiner selbst, wie es jede Seite oder Regung seines Wesens erkennt, ohne daß es sich durch die Identifizierung einengt oder sein Denken sich so in ihr verfangen läßt, daß es in seiner Erkenntnis gebunden oder begrenzt wäre. Hier herrscht die unmittelbare Gewißheit, Genauigkeit, eine Fülle unmittelbarer innerer Erkenntnis, weil das Bewußtsein einer allumfassenden, nicht einer begrenzten und ich-gebundenen Person gehört. Es ist nicht jene Selbst-Täuschung des persönlichen Mentals, durch die wir ständig irren. Das führt weiter zu einer All-Erkenntnis, die nicht die eine Wahrheit der anderen entgegenstellt, um zu sehen, weiche sich durchsetzen und überleben wird. Vielmehr vervollständigt die eine Wahrheit die andere im Licht der alleinigen Wahrheit, von der alle nur Aspekte sind. Jede Idee, Schau und Wahrnehmung trägt diesen Charakter eines inneren Sehens, einer inneren ausgedehnten Selbst-Wahrnehmung, einer umfassenden, vom Selbst her einbeziehenden Erkenntnis eines unteilbaren Ganzen, das sich auswirkt, indem Licht in einer sich selbst verwirklichenden Harmonie des Wahrheits-Wesens auf Licht einwirkt. Das ist eine Entfaltung des Lichts, keine Entbindung von Licht aus Finsternis, vielmehr wie eine Geburt von Licht aus sich selbst. Denn wenn ein supramentales Bewußtsein in seiner Entwicklung einen Teil seiner Inhalte an Selbst-Erkenntnis in sich zurückhält, tut es das nicht als einen Schritt oder Akt der Unwissenheit, sondern bringt es absichtsvoll etwas aus seinem zeitlosen Wissen in den Ablauf der Zeit-Manifestation hervor. Die Erkenntnis-Methode dieser evolutionären supramentalen Natur ist Selbst-Erleuchtung, eine Offenbarung von Licht aus Licht.

So wie das Mental nach Licht sucht, um Wissen und Meisterschaft durch Wissen zu entdecken, so sucht das Leben nach der Entfaltung der eigenen Kraft und nach Meisterschaft durch Kraft. Sein Verlangen ist auf Wachstum gerichtet, auf Macht, Eroberung, Besitz, Befriedigung, Schöpfung, Freude, Liebe, Schönheit. Seine Daseins-Freude ist, sich ständig auszudrücken, sich zu entwickeln, in mannigfaltiger Weise zu handeln, zu erschaffen, zu genießen, in großer Fülle sich selbst und seine Macht zu erleben. Die gnostische Evolution erhebt das zu seinem höchsten und vollsten Ausdruck. Sie handelt aber nicht, um dem mentalen oder vitalen Ich Macht, Befriedigung und Genuß zu verschaffen, den engen Besitz seiner selbst und Ausübung seiner gierigen, ehrgeizigen Macht über andere Menschen und Dinge, damit es sich noch stärker durchsetzt und sein aufgeblasenes Ich verkörpert. Läßt sich doch auf solche Weise keine spirituelle Fülle und Vollkommenheit erreichen. Das gnostische Leben existiert und wirkt für das Göttliche Wesen in ihm selbst und in der Welt und für das Göttliche Wesen in allen. Für das gnostische Wesen ist es Sinn des Lebens, daß das individuelle Wesen und die Welt immer mehr von der Göttlichen Gegenwart, ihrem Licht, ihrer Macht, Liebe, Freude und Schönheit in Besitz genommen wird. In der immer befriedigenderen Vervollkommnung dieser zunehmenden Offenbarung findet auch der Einzelne seine Befriedigung. Seine Macht wird zur Instrumentation der Macht der Obernatur, um jenes größere Leben und die höhere Art in die Welt zu bringen und in ihr auszuweiten. Was das an Eroberung und Abenteuer im Gefolge hat, dient nur jenem Ziel, nicht aber der Herrschaft irgendeines individuellen oder kollektiven Ichs. Liebe ist für den gnostischen Menschen Berührung, das Sichbegegnen, die Einung von Selbst mit Selbst, von Geist mit Geist, eine Vereinigung des Wesens, die Macht, Freude, Innerlichkeit und Nähe von Seele zu Seele, des Einen zum Einen; sie ist die Freude an der Identität und an den Auswirkungen ihrer Mannigfaltigkeit. Für ihn liegt der völlig offenbarte Sinn des Lebens in dieser Freude an einer innig verbundenen, sich selbst offenbarenden Mannigfaltigkeit des Einen, an der vielfältigen Einheit des Einen und an einer frohen gegenseitigen Einwirkung in der Identität. Denselben Sinn haben für ihn die Schöpfung, die ästhetische oder dynamische Schöpfung, das mentale, vitale und materielle Erschaffen, die Schönheit und Wahrheit der Formen und Körper des Ewigen, die Schönheit und Wahrheit seiner Mächte und Eigenschaften, die Schönheit und Wahrheit seines Geistes, seine gestaltlose Schönheit von Selbst und wesentlichem Sein.

Als Folge der völligen Umwandlung und Umkehrung des Bewußtseins, die eine neue Beziehung des Geistes zu Mental, Leben und Materie, sowie eine neue Bedeutung und Vollkommenheit in dieser Beziehung herstellt, kommt es auch zu einer Umkehrung, einer vervollkommnenden neuen Bedeutung der Beziehung zwischen dem Geist und dem Körper, den er bewohnt. In unserer gegenwärtigen Lebensweise drückt sich die Seele, so gut sie kann oder so schlecht sie muß, durch das Mental und die Vitalität aus. Öfters aber konzediert sie dem Mental und der Vitalität, selbst nur mit ihrer Unterstützung zu wirken: Der Körper ist das Werkzeug dieses Wirkens. Aber auch wenn der Körper gehorcht, begrenzt und bestimmt er den Selbst-Ausdruck von Mental und Leben durch die beschränkten Möglichkeiten und den erworbenen Charakter seiner eigenen physischen Instrumentierung. Außerdem hat er ein Gesetz für sein eigenes Wirken, eine Bewegung und einen Willen, eine Kraft oder das Drängen einer Regung seiner unterbewußten oder halb-hervorgetretenen bewußten Macht seines Wesens, das sie nur zum Teil beeinflussen oder verändern können. Und selbst in diesem Teil können sie mehr durch mittelbare als durch unmittelbare, und wenn unmittelbar, mehr durch unterbewußte als durch gewollte und bewußte Einwirkung ausrichten. Bei der gnostischen Art von Wesen und Leben muß aber der Wille des Geistes unmittelbar die Bewegungen und das Gesetz des Körpers lenken und bestimmen. Denn der Körper steht unter einem Gesetz, das vom Unterbewußten und Unbewußten her wirkt. Im gnostischen Menschen ist indessen das Unterbewußte bewußt geworden und der supramentalen Herrschaft untergeordnet; es wird von deren Licht und Wirken durchdrungen. Die Grundlage der Unbewußtheit mit ihrer dunklen Zweideutigkeit, ihrer Widersetzlichkeit oder trägen Reaktion wird durch das Hervortreten des Supramentals in ein niederes oder unterstützendes Überbewußtsein umgewandelt. Der Körper wird bereits im verwirklichten Wesen des Höheren Mentals, im Intuitiven Mental sowie im Übermental genügend bewußt, so daß er auf den Einfluß der Idee und der Willens-Kraft reagieren kann. Dadurch wird die Einwirkung des Mentals auf die physischen Seiten, die in uns rudimentär, chaotisch und zumeist unwillkürlich ist, zu einer beträchtlichen Macht entwickelt. Im supramentalen Menschen wird aber alles durch das Bewußtsein beherrscht, das die Real-Idee in sich enthält. Diese Real-Idee ist eine Wahrheits-Wahrnehmung, die sich selbst wirksam durchsetzt. Ist sie doch die Idee und der Wille des Geistes in seiner unmittelbaren Aktion. Sie ruft eine Bewegung in der Substanz des Wesens hervor, die sich unvermeidlich in Zustand und Handeln des Menschen auswirken muß. Dieser dynamische unwiderstehliche spirituelle Realismus des Wahrheits-Bewußtseins auf der höchsten Stufe seiner selbst ist hier im entwickelten gnostischen Wesen bewußt und als solcher leistungsfähig geworden. Es handelt nicht mehr, wie bisher, unverhüllt in scheinbarer Unbewußtheit und durch das Gesetz des Mechanismus selbst-eingeschränkt, sondern wirksam aus dem Selbst als die souveräne Wirklichkeit. Diese beherrscht das Dasein mit ganzem Wissen und voller Macht und bezieht in ihre Herrschaft auch die Funktionen und Tätigkeiten des Körpers mit ein. Durch die Macht des spirituellen Bewußtseins wird der Körper in ein zuverlässiges, geeignetes und völlig aufgeschlossenes Werkzeug des Geistes verwandelt.

Diese neue Beziehung zwischen Geist und Körper setzt – und ermöglicht – an Stelle einer Zurückweisung die freie Annahme des Ganzen der materiellen Natur. Nun ist nicht mehr geboten, daß wir uns aus ihr zurückziehen, jede Identifikation mit ihr oder ihre Annahme verweigern, wie es zuerst normalerweise zwingend für das spirituelle Bewußtsein um seiner Befreiung willen ist. Die Identifizierung mit dem Körper aufzugeben und sich vom Körper-Bewußtsein zu trennen, ist ein Schritt, der sowohl für die spirituelle Befreiung wie für die spirituelle Vollkommenheit und Bemeisterung der Natur anerkannt und für notwendig gehalten wurde. Wenn diese Befreiung aber wirksam geworden ist, kann das spirituelle Licht mit seiner Kraft in den Körper eindringen und ihn emporheben. Dann kann man die materielle Natur auf neue, befreite und souveräne Weise annehmen. Das ist in der Tat nur dann möglich, wenn die Gemeinschaft von Geist und Materie verwandelt wird, wenn es zu einer Lenkung und Umkehrung des gegenwärtigen Kräfteverhältnisses kommt, das der physischen Natur bisher erlaubte, den Geist zu verhüllen und ihre eigene Vorherrschaft durchzusetzen. Im Licht umfassenden Wissens kann man auch die Materie als das brahman ansehen, als eine von brahman aus sich herausgestellte Selbst-Energie, als eine Form von Substanz des brahman. Das gnostische Licht und seine Macht des geheimen Bewußtseins, die im Innern der materiellen Substanz bewußt und in diesem umfassenderen Wissen sicher sind, können sich mit der so geschauten Materie einen und sie als Werkzeug zur spirituellen Offenbarung annehmen. Es ist sogar eine gewisse Ehrfurcht vor der Materie und eine sakramentale Haltung bei allem Umgang mit ihr möglich. So wie in der Gita vom Akt der Nahrungsaufnahme als einem materiellen Sakrament, einem Opfer, einer Darbringung des brahman an brahman durch brahman gesprochen wird, so können auch das gnostische Bewußtsein und seine Sinne alle Formen der Einwirkung des Geistes auf die Materie als dasselbe ansehen. Der Geist hat sich selbst zur Materie gemacht, um sich hier darzubieten als Instrument für Wohlbefinden und Freude, yogaksema, der erschaffenen Wesen, als Selbst-Opfer zu universalem physischen Nutzen und Dienst. Wenn der gnostische Mensch die Materie verwendet, dies aber ohne materiellen oder vitalen Hang, ohne ein Verlangen tut, wird er fühlen, daß er den Geist in dieser Form seiner selbst mit dessen Zustimmung und Sanktion für dessen eigenen Zweck gebraucht. In ihm wird es eine gewisse Achtung für physische Dinge geben, ein Wahrnehmen des verborgenen Bewußtseins in ihnen, ihres dumpfen Willens, nützlich und dienstbar zu sein. So wird er das Göttliche Wesen, brahman, in allem verehren, was er verwendet. Er wird sein göttliches Material sorgsam, vollkommen fehlerlos gebrauchen zum wahren Rhythmus, rechter Harmonie und Schönheit im Leben der Materie und bei ihrer Verwendung.

Im weiteren Verlauf dieser neuen Beziehung zwischen Geist und Körper bewirkt die gnostische Evolution die Spiritualisierung, Vervollkommnung und Erfüllung des physischen Wesens. Sie tut für den Körper dasselbe wie wir für das Mental und das Leben. Neben dem, was im Körper dunkel, schwach und begrenzt ist – was diese Umwandlung überwinden wird –, ist das Körper-Bewußtsein ein geduldiger Diener. Mit seiner gewaltigen Reserve an Möglichkeiten kann es zum machtvollen Instrument des individuellen Lebens werden. Es verlangt nur wenig für seine eigenen Bedürfnisse. Es begehrt vor allem Fortdauer, Gesundheit, Kraft, physische Vervollkommnung, körperliches Glück, Befreiung vom Leiden, Ruhe. Diese Forderungen sind an sich nicht verwerflich, niedrig oder rechtswidrig. Sie übertragen doch nur in die Begriffe der Materie die Vervollkommnung von Gestalt und Substanz, Macht und Wonne, die ganz natürlich aus dem Geist ausströmen und seine ausdrucksvolle Offenbarung sind. Sobald die gnostische Kraft im Körper wirkt, können diese Dinge dauerhaft wirksam werden. Denn das, was ihnen entgegengesetzt ist, rührt von einem Druck äußerer Kräfte auf das physische Mental, auf das nervliche und materielle Leben, auf den Organismus des Körpers und von einer Unwissenheit her, die nicht weiß, wie sie diesen Kräften entgegentreten soll, oder nicht fähig ist, ihnen richtig oder mit Macht zu begegnen. Dazu kommt eine gewisse Verdunkelung, die den Stoff des physischen Bewußtseins durchdringt und seine Reaktion verzerrt, so daß es darauf falsch antwortet. Eine supramentale Bewußtheit und Erkenntnis, die vom Selbst her wirkt und sich selbst wirksam macht, ersetzt diese Unwissenheit. Sie befreit die verdunkelten und verdorbenen intuitiven Antriebskräfte im Körper, stellt sie wieder her, erleuchtet sie und versorgt sie mit mehr bewußter Wirkkraft. Diese Umwandlung stellt her und erhellt die rechte physische Wahrnehmung der Dinge, die rechte Beziehung zu ihnen und die rechte Reaktion auf Gegenstände und Energien, sowie den rechten Rhythmus von Mental, Nerven und Organismus. In den Körper bringt sie eine höhere spirituelle Macht ein, sowie mehr Lebens-Kraft, die, vereint mit der universalen Lebens-Kraft, fähig ist, von dorther Energie zu beziehen. Dazu erleuchtet sie zur Harmonie mit der materiellen Natur und verleiht das weite, ruhige Eingehen in die ewige Stille, die ihr göttliche Stärke und Beruhigung geben kann. Darüber hinaus – und das ist die wichtigste und fundamentale Umwandlung – durchflutet sie das ganze Wesen mit einer erhabenen Bewußtseins-Kraft, die alle Kräfte des Daseins, die den Körper umgeben und Druck auf ihn ausüben, in sich hineinnimmt, assimiliert und mit sich in Einklang bringt.

Die Unvollkommenheit und Schwäche der Bewußtseins-Kraft, die sich im mentalen, vitalen und physischen Wesen offenbart, ihre Unfähigkeit, die auf sie gerichteten Einwirkungen der universalen Energie willenhaft aufzunehmen oder zurückzuweisen oder, falls sie sie aufnimmt, zu assimilieren und zu harmonisieren, ist die Ursache von Schmerz und Leiden. Im Reich der Materie beginnt die Natur in völliger Unempfindlichkeit. Es ist eine bemerkenswerte Tatsache, daß sich entweder eine verhältnismäßige Unempfindlichkeit oder sehr geringe Empfindlichkeit oder, noch öfters, ein größeres Vermögen zum Aushalten von Leiden und eine härtere Haltung ihnen gegenüber in den Anfängen des Lebens, im Tier, im primitiven oder wenig entwickelten Menschen findet. In dem Maß, in dem der Mensch in der Evolution wächst, nimmt auch seine Empfindlichkeit zu.

Er leidet stärker in Mental, Leben und Körper, denn das Wachstum in seinem Bewußtsein wird nicht genügend von seinem Wachstum an Kraft unterstützt. Der Körper wird subtiler, feiner, empfindsamer, in seiner äußeren Kraft aber weniger fest und leistungsfähig. Darum muß der Mensch seinen Willen, seine mentale Macht zuhilfe rufen, um sein nervliches Wesen zu stärken, zu korrigieren und zu kontrollieren. Er muß es zu den anstrengenden Aufgaben zwingen, die er von seinen Instrumenten verlangt. Er muß es gegen Leiden und Katastrophen stählen. Bei seinem spirituellen Aufstieg vermehrt sich außerordentlich diese Macht des Bewußtseins und sein Wille über die Werkzeuge, die Kontrolle des Geistes und des inneren Mentals über die äußere Mentalität und das nervliche Wesen sowie über den Körper. Ruhige und weite Gelassenheit des Geistes allen Erschütterungen und Einwirkungen gegenüber tritt ein und wird zur gewohnten Haltung. Sie kann vom Mental auf die vitalen Schichten übergehen und auch dort Kraft und Frieden erheblich ausweiten und dauerhaft machen. Dieser Zustand kann sich sogar im Körper bilden und von innen her den Erschütterungen von Kummer, Schmerz und allen Arten von Leid begegnen. Es kann sogar zu einer Kraft gewollter physischer Unempfindlichkeit kommen. Oder man kann die Fähigkeit erwerben, sich mental von jeglicher Erschütterung und Verletzung zu lösen, was beweist, daß die schwächliche Unterwerfung des körperlichen Ichs unter die gewöhnlichen Reaktionen auf die materielle Natur nicht zwangsläufig und unabänderlich ist. Noch bedeutungsvoller ist die auf der Ebene des spirituellen Mentals oder des Übermentals hervortretende Macht, die uns die Schwingungen von Schmerzen in solche von ananda umwandeln läßt. Wenn das auch nur bis zu einem gewissen Punkt gelingt, weist es doch auf die Möglichkeit hin, die Gesetzmäßigkeit des reagierenden Bewußtseins völlig umzukehren. Das kann auch mit einer Macht zur Selbst-Verteidigung verbunden werden, die die Erschütterungen zurückweist, die wir nur unter größeren Schwierigkeiten umwandeln oder aushalten könnten. Auf einer gewissen Stufe muß die gnostische Entwicklung eine Vollkommenheit dieser Zurückweisung und dieser Macht zur Selbst-Verteidigung bewirken, die den Anspruch des Körpers auf Unverletzbarkeit und gelassene Freude erfüllt und in ihm das Vermögen aufbaut, sich in vollem Maße am Dasein zu erfreuen. Ein spirituelles ananda kann in den Körper einströmen und Zellen und Gewebe durchfluten. Eine erleuchtete Materialisation dieses höheren ananda könnte von sich aus eine vollständige Umwandlung der mangelhaften oder schädlichen Empfindlichkeiten der körperlichen Natur zustandebringen. Insgeheim besteht zwar in der ganzen Anlage unseres Wesens ein Streben, ein Verlangen nach der höchsten, vollkommenen Seins-Seligkeit, das aber verhüllt ist durch die Absonderung der naturhaften Schichten unseres Wesens. Deren unterschiedliches Drängen ist verdunkelt durch deren Unfähigkeit, mehr zu begreifen oder zu fassen als oberflächliche Lust. Im Körperbewußtsein nimmt dieses Verlangen die Gestalt eines Bedürfnisses nach körperlichem Glück an. In den vitalen Schichten ist es Sehnsucht nach Lebens-Glück, eine stark schwingende Reaktion auf vielseitige Freude, auf Entzücken und jede überraschende Befriedigung. Im Mental gestaltet es sich zu einem bereitwilligen Empfangen aller Formen mentaler Freude. Auf einer höheren Ebene erscheint es in dem Wunsch des spirituellen Mentals nach Frieden und göttlicher Ekstase. Dieses Streben gründet in der Wahrheit unseres Wesens. Denn ananda ist die wahre Essenz von brahman; es ist die höchste Natur der allgegenwärtigen Wirklichkeit. Das Supramental selbst geht auf den absteigenden Stufen der Manifestation aus ananda hervor und im evolutionären Aufstieg wieder in ananda ein. In Wirklichkeit ist es aber nicht in dem Sinne mit ihm verschmolzen, daß es ausgelöscht und zunichte wird. Vielmehr ist es in ihm ursprünglich daheim, ununterscheidbar vom Selbst der Bewußtheit und der selbst-wirksamen Kraft der Seligkeit des Seienden. Sowohl bei seiner involutionären Herabkunft als auch bei seiner evolutionären Rückkehr wird das Supramental von der ursprünglichen Seins-Seligkeit unterstützt und trägt diese bei all seinen Betätigungen als deren förderndes Wesen in sich. Denn im Geist ist Bewußtsein sozusagen die Vater-Macht; aber ananda ist der spirituelle Mutter-Schoß, aus dem sich das Supramental offenbart, und der es erhaltende Ursprung, in den es die Seele bei ihrer Rückkehr in den Zustand des Geistes zurückbringt. Steigt die supramentale Manifestation weiter hinauf, so erfährt sie als nächstfolgende Stufe und höchsten Gipfel dessen, was das Selbst erreicht, eine Manifestation der Seligkeit von brahman: Auf die Entwicklung des Wesens der Gnosis folgt die Entwicklung des Wesens der Seligkeit. Als ihre Konsequenz wird die Verkörperung des gnostischen Seins zu einer Verkörperung des glückseligen Seins führen. Immer ist im Wesen der Gnosis und im Leben der Gnosis eine gewisse Macht von ananda als unabtrennbares und durchdringendes Kennzeichen für die supramentale Selbst-Erfahrung vorhanden. Bei der Befreiung der Seele aus der Unwissenheit ist die erste Grunderfahrung Friede, Ruhe, das Schweigen und die Stille des Ewigen und Unendlichen. Eine noch höhere Macht und größere Gestaltung des spirituellen Aufstiegs erhebt diesen Frieden der Befreiung in die Seligkeit einer vollkommenen Erfahrung und Verwirklichung der ewigen Glückseligkeit, zur Wonne des Ewigen und Unendlichen. Dieses ananda ist dem gnostischen Bewußtsein als allumfassende Seligkeit innerlich zu eigen und wird mit der Entwicklung der gnostischen Natur weiter wachsen.

Man hat gemeint, Ekstase sei nur ein niederer und vergänglicher Übergang; der Friede des Erhabenen sei die höchste Verwirklichung, die alles überhöhende, bleibende Erfahrung. Das mag auf der Ebene des spirituellen Mentals wahr sein. Dort ist die erste erlebte Ekstase tatsächlich eine spirituelle Entrückung. Diese kann aber häufig mit einem höchsten Glücksgefühl der vitalen Schichten vermischt sein, die vom Geist ergriffen werden. Begeisterung, Frohlocken, Erregung, intensivste Freude des Herzens und die reine innere Empfindung der Seele können ein wunderbares Durchgangs-Erlebnis, eine erhebende Kraft sein, sind aber keine letzte und bleibende Grundlage. Auf den höchsten Erhebungen spiritueller Seligkeit fehlen Begeisterung und Erregung. Statt dessen gibt es dort einen unermeßlich hohen Grad der Teilnahme an einer ewigen Ekstase, die sich auf das ewige Sein und darum auf glückselige Ruhe und ewigen Frieden gründet. Friede und Ekstase hören dort auf, etwas Verschiedenes zu sein; sie werden eins. Das Supramental versöhnt und verschmilzt ebenso alle Unterschiede wie alle Widersprüche; es bringt diese Einheit zustande. Zu den ersten Stufen der Selbst-Verwirklichung gehören eine umfassende Ruhe und eine tiefe Freude des All-Seins. Diese Ruhe und diese Seligkeit sind aber ein einziger Zustand und erheben sich zusammen in eine wachsende Kraftfülle, bis sie ihren Höhepunkt in der ewigen Ekstase, in der Wonne erreichen, die das Unendliche ist. Im gnostischen Bewußtsein existiert wohl stets auf jeder Stufe diese grundlegende spirituelle bewußte Seins-Seligkeit bis zum gewissen Grad in der ganzen Tiefe des Wesens. Es werden aber auch alle Bewegungen der Natur von ihr durchdrungen, ebenso alle Aktionen und Reaktionen des Lebens und Körpers: Nichts kann sich dem Gesetz von ananda entziehen. Einen Anfang dieser fundamentalen Ekstase des Wesens, die sich in vielfältiger Schönheit und Seligkeit darstellt, kann es schon vor der gnostischen Umwandlung geben. Sie überträgt sich im Mental in die Stille einer starken Freude an spiritueller Wahrnehmung, Schau und Erfahrung. Im Herzen bewirkt sie eine weite, tiefe oder leidenschaftliche Wonne in universaler Einung, Liebe, Sympathie und Freude an den Wesen und an den Dingen. Im Willen und in den vitalen Schichten fühlt man sie als die freudige Energie einer göttlichen Lebens-Macht im Handeln oder als eine Glückseligkeit der Sinne, die den Einen überall wahrnehmen und antreffen. Als ihre normale ästhetische Empfindung der Dinge schauen sie die universale Schönheit und geheime Harmonie der Schöpfung, von der unser Mental nur unvollkommene Ahnungen oder ein seltenes übernormales Empfinden aufnehmen kann. Im Körper offenbart sich ananda als ein Entzücken, das aus den Höhen des Geistes in ihn einströmt, als Friede und Wonne eines reinen spiritualisierten physischen Daseins. Die universale Schönheit und Herrlichkeit des Wesens manifestiert sich immer mehr. Alle Gegenstände offenbaren verborgene Linien, Schwingungen, Mächte, harmonische Bedeutungen, die vor dem normalen Mental und den physischen Sinnen verborgen sind. In den Erscheinungen des Universums wird das ewige ananda enthüllt.

Das sind die ersten größeren Ergebnisse der spirituellen Transformation, die notwendigerweise aus der Natur des Supramentals erfolgen. Wenn es aber nicht nur zu einer Vervollkommnung des inneren Seins, des Bewußtseins einer inneren Seins-Seligkeit kommen soll, sondern zu einer Vervollkommnung des Lebens und Handelns, erheben sich von unserer mentalen Betrachtungsweise her zwei Fragen, die für unser Denken über unser Leben und seine Dynamik beträchtliche, ja primäre Bedeutung haben. Die erste fragt nach dem Ort der Persönlichkeit im gnostischen Menschen – ob der Zustand, die Struktur des Menschen ganz anders sein werde als das, was wir als die Gestalt und das Leben der Person erfahren, oder ob sie ihr ähnlich sind. Wenn es eine Persönlichkeit gibt und diese irgendwie verantwortlich für ihre Handlungen sein soll, erhebt sich hier die zweite Frage nach dem Ort des sittlichen Elements und seiner Vervollkommnung und Erfüllung in der gnostischen Natur. Nach der allgemeinen Annahme ist das separative Ich unser Selbst. Müsse das Ich in einem transzendentalen oder universalen Bewußtsein verschwinden, dann müsse auch das personale Leben und Handeln aufhören. Denn wenn das Individuum verschwinde, könne es nur ein apersonales Bewußtsein, ein kosmisches Selbst, geben. Wenn aber das Individuum völlig ausgelöscht werde, sei jede weitere Frage nach Personalität, Verantwortlichkeit oder sittlicher Vervollkommnung gegenstandslos. Einer anderen Richtung zufolge bleibt die spirituelle Person bestehen, sie ist jedoch befreit, geläutert in ihrer Natur und in einem himmlischen Sein. Hier seien wir aber noch auf der Erde; darum werde vermutet, die Ich-Personalität werde ausgelöscht und durch einen universalisierten spirituellen Einzelnen ersetzt, der Zentrum und Macht des transzendenten Wesens sei. Man könnte schließen, dieses gnostische oder supramentale Individuum sei selbst ohne Persönlichkeit, es sei ein apersonaler purusha. Es könne zwar viele gnostische Individuen geben, gebe aber keine Persönlichkeit; alle seien dasselbe nach Wesen und Natur. Das würde wiederum die Vorstellung von einer Leere oder dem Blanko eines reinen Wesens wachrufen, von dem die Aktivität und Funktion eines erfahrenden Bewußtseins ausgehe, das aber selbst ohne die Struktur einer solchen differenzierten Personalität wäre, wie wir diese jetzt beobachten und in unserer äußeren Person für uns selbst halten. Das wäre jedoch eher eine mentale als eine supramentale Lösung des Problems einer spirituellen Individualität, die das Ich überlebt und in der Erfahrung weiterbesteht. Im Supramental-Bewußtsein sind Personalität und Apersonalität keine entgegengesetzten Prinzipien. Sie sind untrennbare Aspekte einer und derselben Wirklichkeit. Diese Wirklichkeit ist nicht das Ich, sondern das Wesen, das im Stoff seiner Natur apersonal und universal ist, aber aus ihm eine es zum Ausdruck bringende Persönlichkeit bildet, die in den Wandlungen der Natur seine Form des Selbsts ist.

Apersonalität ist in ihrem Ursprung etwas Fundamentales und Universales. Sie ist ein Sein, eine Kraft, ein Bewußtsein, das verschiedene Ausgestaltungen seines Wesens und seiner Energie annimmt. Jede solche Gestaltung von Energie, Qualität, Macht oder Kraft wird, obwohl sie an sich noch allgemein, apersonal und universal ist, vom individuellen Wesen als Material angenommen, um aus ihm seine Persönlichkeit aufzubauen. So ist also in der ursprünglichen undifferenzierten Wahrheit der Dinge die Apersonalität die reine Substanz der Natur des Wesens, die Person. In der dynamischen Wahrheit der Dinge differenziert sie ihre Mächte und leiht sie aus, um durch ihre Variationen die Offenbarung der Persönlichkeit zu konstituieren. Liebe ist die Natur des Liebenden, Mut ist die Natur des Kriegers. Liebe und Mut sind apersonale und universale Kräfte oder Formulierungen der kosmischen Kraft. Sie sind Mächte des Geistes, seines universalen Wesens und seiner universalen Natur. Die Person ist das Wesen. Sie trägt und fördert das, was so apersonal ist. Sie behält es in sich als ihr Eigenes, als die Natur ihres Selbsts. Die Person ist das, was der Liebende, der Krieger eigentlich ist. Was wir die Personalität der Person nennen, ist ihre Ausdrucksform im Natur-Zustand und im Natur-Wirken. In ihrem Selbst-Sein ist sie ursprünglich und letztlich viel mehr als das. Sie stellt eine Gestaltung ihres Selbsts heraus als ihr manifestiertes, bereits entwickeltes natürliches Wesen oder als ihr Selbst in der Natur. In dem gestalteten, begrenzten Individuum ist sie der personale Ausdruck dessen, was apersonal ist. Wir können sagen, sie hat sich das Personale angeeignet, um ein Material zu haben, mit dem sie ein bedeutungsvolles Abbild ihrer selbst in der Manifestation herstellen kann. In ihrem ungeformten, unbegrenzten Selbst, in ihrem wirklichen Wesen, in der wahren Person, dem purusha, ist sie das nicht, sondern enthält sie unbegrenzte und universale Möglichkeiten. Als das göttliche Individuum gibt sie ihnen aber ihre eigene Richtung in der Manifestation, so daß jede unter den Vielen ein einzigartiges Selbst des einen Göttlichen Wesens ist. Das Göttliche Wesen, das Ewige, stellt sich nach außen dar als Sein, Bewußtsein, Seligkeit, Weisheit, Wissen, Liebe, Schönheit. Wir können es uns als diese apersonalen und universalen Mächte seiner selbst vorstellen, sie als die Natur des Göttlichen und des Ewigen ansehen. So können wir sagen: Gott ist Liebe, Gott ist Weisheit, Gott ist Wahrheit oder Gerechtigkeit: Er selbst ist aber nicht ein apersonaler Zustand oder ein Abstraktum von Zuständen oder Eigenschaften. Er ist das Wesen, zugleich absolut, universal und individuell. Wenn wir von dieser Grundlage aus die Dinge betrachten, gibt es offensichtlich keinen Gegensatz, keine Unvereinbarkeit, keine Unmöglichkeit einer Koexistenz oder einer einheitlichen Existenz des Apersonalen und der Person. Jede ist auch die andere. Sie leben ineinander, verschmelzen miteinander. Dennoch können sie irgendwie erscheinen, als seien sie die verschiedenen Enden und Seiten derselben Wirklichkeit, ihre Vorderseite und ihre Rückseite. Das gnostische Wesen ist von der Natur des Göttlichen Wesens. Darum wiederholt es in sich selbst dieses natürliche Mysterium des Seins.

Ein supramentaler gnostischer Einzelmensch ist eine spirituelle Person, aber keine Persönlichkeit nach dem Muster einer feststehenden Kombination festliegender Eigenschaften, also kein festgelegter Charakter. Er kann das nicht sein, da er ein bewußter Ausdruck des Universalen und Transzendenten ist. Sein Wesen kann aber auch kein unverantwortliches apersonales Dahinfließen sein, das willkürlich Wellen verschiedener Gestalt, Wogen der Persönlichkeit aufwirft, wenn es sich so durch die Zeit ergießt. Etwas Ähnliches mag man bei Menschen fühlen, die in ihren Tiefen keine starke zentralisierende Person haben, sondern aus einer Art verworrener Multipersonalität, je nach dem Element handeln, das in ihnen zur Zeit vordringlich wird. Das gnostische Bewußtsein ist aber ein Bewußtsein von Harmonie, von Erkenntnis des Selbsts und von Meisterschaft aus dem Selbst; es kann keine solche Unordnung hervorbringen. Gewiß gibt es verschiedene Auffassungen über das, was eine Persönlichkeit und einen Charakter ausmacht. Nach der einen Anschauung sieht man Persönlichkeit an als eine feststehende Struktur von erkennbaren Eigenschaften, die eine Macht des Wesens ausdrücken. Eine andere Auffassung unterscheidet Persönlichkeit und Charakter. Persönlichkeit ist das Strömen eines das Selbst ausdrückenden oder empfindenden oder reagierenden Wesens. Charakter ist geformte Festigkeit des Naturaufbaus. Aber ein Strömen der Natur und eine Festigkeit der Natur sind zwei Aspekte, von denen keiner allein und auch nicht beide zusammen eine Definition von Persönlichkeit sein können. Gibt es doch in allen Menschen ein doppeltes Element, das ungeformte, wenn auch begrenzte Strömen des Wesens oder der Natur, aus dem die Persönlichkeit gestaltet wird; und die personale Formgestalt aus diesem Strömen. Die Ausgestaltung mag starr werden oder verknöchern, sie mag genügend formbar bleiben, um sich ständig zu wandeln und zu entwickeln. Sie entwickelt sich aber aus dem gestaltungsfähigen Strömen, indem sie die Persönlichkeit verändert oder ausweitet oder neu prägt. Gewöhnlich geschieht das nicht durch Vernichtung einer bereits hergestellten Gestaltung oder indem diese durch eine neue Form des Wesens ersetzt wird, – es kann nur bei abnormer Wandlung oder übernormaler Bekehrung geschehen. Neben diesem Strömen und dieser Verfestigung gibt es aber noch ein drittes, verborgenes Element: die Person im Hintergrund, von der die Persönlichkeit ein Selbst-Ausdruck ist. Die Person stellt die Persönlichkeit in den Vordergrund als ihre Rolle, ihren Charakter, persona, im gegenwärtigen Akt des langen Dramas des manifestierten Daseins. Die Person ist aber umfassender als ihre Persönlichkeit. So mag es sein, daß dieses innere Übermaß in die vordergründige Gestaltung überströmt. Ergebnis ist, daß sich das Wesen selbst in einer Weise zum Ausdruck bringt, die man nicht länger mit festen Eigenschaften, normalen Äußerungen der Stimmung oder exakten Umrissen beschreiben oder durch irgendwelche strukturellen Begrenzungen markieren kann. Es ist aber auch kein Strömen ohne Unterschied, das völlig gestaltlos und ungreifbar wäre: Obwohl das Wirken dieses Selbst-Ausdrucks der Natur, jedoch nicht er selbst, charakterisiert werden kann, ist er doch ausdrücklich fühlbar. Man kann ihn bei seinem Wirken verfolgen, man kann ihn erkennen. Nur kann man ihn nicht leicht beschreiben. Ist er doch eher eine Macht des Wesens als eine Struktur. Die gewöhnliche begrenzte Persönlichkeit kann man durch eine Beschreibung der in ihrem Leben, Denken und Handeln ausgeprägten Charaktereigenschaften, durch ihre ganz deutliche äußere Struktur und den Ausdruck ihres Selbsts erfassen. Selbst wenn uns das, was nicht so deutlich ausgedrückt ist, entgehen sollte, würde das doch offensichtlich unser im allgemeinen angemessenes Verständnis nur wenig mindern, da das übersehene Element gewöhnlich wenig mehr ist als ein gestaltloses Rohmaterial, der Teil des Strömens, der nicht verwendet wurde, um einen bedeutungsvolleren Teil der Persönlichkeit zu gestalten. Eine solche Beschreibung wäre aber jämmerlich unangemessen, um der Person Ausdruck zu verleihen, sobald sich die Macht ihres Selbsts im Innern in reicherem Maß manifestiert und die verborgene Macht ihres (ihrer Göttlichkeit, d. Ü.) in die Zusammensetzung im Vordergrund und in das Leben hervortreten läßt. Wir fühlen uns in der Gegenwart eines Lichtes von Bewußtsein, einer Macht, eines Meeres von Energie. Wir können diese freien Wogen von Aktivität und Qualität unterscheiden und beschreiben, die Gegenwart selbst aber nicht deutlich fixieren. Und dennoch haben wir den Eindruck von Persönlichkeit, von der Gegenwart eines machtvollen Wesens, von einem starken, hohen und schönen erkennbaren Irgendwer, von einer Person, nicht von einem begrenzten Geschöpf der Natur, sondern von einem Selbst, von einer Seele, von purusha. Der gnostische Einzelmensch wird eine solche innere unverhüllte Person sein, die beides in einem geeinten Selbst-Innesein umfaßt, die Tiefen – die sich nicht länger selbst verhüllen – und das Vordergründige. Er ist nicht eine nur äußere Persönlichkeit, die ein umfassenderes geheimes Wesen nur teilweise zum Ausdruck bringt. Er ist nicht nur eine Welle, sondern er ist der Ozean: Er ist der purusha, das selbstenthüllte innere bewußte Sein. Eine künstlich geformte ausdrucksvolle Maske, die persona, hat er nicht mehr nötig.

So ist also die Natur der gnostischen Person ein unendliches und allumfassendes Wesen, das sein ewiges Selbst durch bedeutungsvolle Form und in der individuellen und zeitlichen Selbst-Manifestation sich ausdrückende Macht offenbart – oder unsere mentale Unwissenheit ahnen läßt. Die Manifestation der individuellen Natur, ob in ihren Umrissen scharf und unterscheidbar oder vielgestaltig, vielfältig, proteisch, doch noch harmonisch, wäre vorhanden als Hinweis auf das Wesen, nicht als das ganze Wesen: Man fühlt jenes Wesen dahinter. Es ist erkennbar, aber nicht definierbar. Es ist unendlich. Auch das Bewußtsein der gnostischen Person ist ein unendliches Bewußtsein. Es projiziert Gestaltungen, um sich auszudrücken. Es bleibt aber immer seiner uneingeschränkten Unendlichkeit und Universalität inne. Es überträgt Macht und Gefühl seiner Unendlichkeit und Universalität in die Endlichkeit ihrer Ausdrucksformen – durch die es überdies nicht an der weiteren Bewegung seiner Selbst-Offenbarung gehindert wird. Das ist aber noch kein ungeregeltes, unkenntliches Strömen, sondern ein Prozeß der Selbst-Offenbarung, der die innewohnende Wahrheit seiner Seins-Mächte im Einklang mit dem harmonischen Gesetz sichtbar macht, das jeder Manifestation des Unendlichen natürlich ist.

Aus dieser Art seiner gnostischen Individualität entsteht nun, vom Selbst determiniert, der Charakter von Leben und Wirken des gnostischen Menschen. In ihm kann es kein Sonderproblem ethischen oder anderen Inhalts geben, keinen Konflikt zwischen Gut und Böse. Tatsächlich kann dort überhaupt kein Problem entstehen, denn Probleme sind Schöpfungen mentaler Unwissenheit, die nach Wissen sucht. Sie können nicht in einem Bewußtsein existieren, in dem das Wissen entsteht, das aus dem Selbst geboren ist, und wo das Handeln aus dem Wissen selbst geboren wird, aus einer präexistenten Wahrheit des Wesens, das bewußt und des Selbsts inne ist. Eine wesenhafte und universale spirituelle Wahrheit des Wesens manifestiert sich selbst. Sie bringt sich in ihrer eigenen Art und ihrem das Selbst verwirklichenden Bewußtsein frei zur Erfüllung. Das ist eine Wahrheit des Wesens, die in allen Menschen, selbst in der unendlichen Verschiedenheit ihrer Wahrheit, eins ist und die alles als eines fühlen läßt. Diese Wahrheit ist eigentlich ein wesenhaftes und universales Gutes, das sich manifestiert, sich in seiner eigenen Natur und in dem das Selbst wirksam machenden Bewußtsein zur Erfüllung bringt. Sie ist eine Wahrheit des Guten, das in allen Menschen und für alle, sogar in der unendlichen Verschiedenheit ihres Guten, eins ist. Die Reinheit des ewigen Selbst-Seins ergießt sich in alles Handeln und macht und erhält so alle Dinge rein. Da könnte es keine Unwissenheit geben, die zu unrechtem Wollen und zu fehlerhaften Schritten führt. Es ist auch kein trennender Egoismus möglich, der durch seine Unwissenheit und seinen separaten Gegen-Willen sich selbst oder anderen Schaden zufügt, der von seinem Ich getrieben wird, mit seiner eigenen Seele, mit seinem Mental, Leben oder Körper in unrechter Weise umzugehen, oder der auf Seele, Mental, Leben und Körper anderer Menschen falsch einwirkt. Das alles ist die praktische Ursache alles Bösen unter den Menschen. Emporzukommen in ein Jenseits von Tugend und Sünde, von Gut und Böse, ist ein wesentlicher Teil der vedantischen Idee der Befreiung. Aus dieser Wechselbeziehung ergibt sich eine von selbst einleuchtende Folge. Denn Befreiung bedeutet, daß wir in die wahre spirituelle Natur des Wesens eintreten, wo jedes Wirken automatisch Selbst-Ausdruck jener Wahrheit ist und es nichts anderes geben kann. In der Unvollkommenheit und im Widerstreit unserer Wesensseiten zeigt sich ein Bemühen, zum rechten Maßstab für unser Verhalten zu kommen und diesen zu beachten. Das ist Ethik, Tugend, verdienstvolles Leben, punya. Anders zu handeln, ist Sünde, nicht verdienstvoll, papa. Das ethische Mental proklamiert ein Gesetz der Liebe, ein Gesetz der Gerechtigkeit, ein Gesetz der Wahrheit, Gesetze ohne Zahl, schwer zu halten, schwierig miteinander in Einklang zu bringen. Ist aber das Einssein mit den anderen Menschen, das Einssein mit der Wahrheit bereits das Wesenhafte der erkannten spirituellen Natur, dann ist kein Gesetz der Wahrheit und der Liebe mehr notwendig. Jetzt freilich muß noch das Gesetz, der Maßstab für unser Verhalten, uns aufgezwungen werden, weil es in unserem natürlichen Wesen noch eine Gegen-Macht der Absonderung gibt, eine Möglichkeit der Feindschaft, eine Kraft der Zwietracht, des bösen Willens, des Streites. Alle Ethik ist die Konstruktion eines Guten in einer Natur, die von den aus der Finsternis geborenen Mächten der Unwissenheit mit dem Bösen heimgesucht wurde, wie das in der alten Legende des Vedanta dargestellt wird. Wo aber alles durch die Wahrheit des Bewußtseins und der Wahrheit des Wesens selbstbestimmt ist, kann es keinen Standard des Guten, keinen Kampf, ihn einzuhalten, keine Tugend oder Verdienste, keine Sünde oder Schuld in unserer Natur geben. Die Macht von Liebe, Wahrheit und rechtem Willen wird hier herrschen, nicht als ein mental konstruiertes Gesetz, sondern als die eigentliche Substanz und Konstitution unserer Natur. Sie werden durch die Integration des Wesens auch mit Notwendigkeit zum eigentlichen Stoff und zur konstituierenden Natur unseres Handelns. In diese Natur unseres wahren Wesens, in die Natur der spirituellen Wahrheit und des Einsseins emporzuwachsen, ist die Befreiung, die wir durch die Evolution des spirituellen Wesens erlangen: Die gnostische Entwicklung verleiht uns die vollständige Dynamik, daß wir so zu uns selbst zurückkehren können. Sobald das getan ist, verschwindet die Notwendigkeit für Maßstäbe der Tugend, dharma. Hier gilt allein das Gesetz und die Selbst-Ordnung der Freiheit des Geistes. Es kann hier kein von außen auferlegtes oder konstruiertes Gesetz für das Verhalten, dharma, geben. Alles wird zu einem Ausströmen aus dem Selbst der spirituellen Selbst-Natur, zum svadharma des svabhava.

Hier kommen wir zum Kern des dynamischen Unterschieds zwischen einem Leben in der mentalen Unwissenheit und einem Leben im gnostischen Wesen und in der gnostischen Natur. Es ist der Unterschied zwischen einem integrierten voll bewußten Menschen, der in vollem Besitz seiner eigenen Seins-Wahrheit diese Wahrheit in seiner eigenen Freiheit ausarbeitet, frei von allen selbst-konstruierten Gesetzen, während sein Leben dennoch eine Erfüllung aller wahren Gesetze des Werdens in ihrer wesenhaften Bedeutung ist, und dem Menschen in einem unwissenden, selbst-zerteilten Dasein, das nach seiner Wahrheit sucht, um seine Ergebnisse in Gesetzen festzulegen und sein Leben nach einem so hergestellten Muster zu gestalten. Jedes wahre Gesetz ist der rechte Vorgang und Entwicklungsprozeß einer Wirklichkeit, einer Energie oder Macht des Seienden in Aktion, das die ihm innewohnende Bewegung, die seiner Seins-Wahrheit zugrundeliegt, zur Erfüllung bringt. Dieses Gesetz mag unbewußt sein, sein Wirken mag als mechanisch erscheinen – bei dem Gesetz der materiellen Natur ist das so oder scheint es zumindest so zu sein. Es kann auch eine bewußte Energie sein, die in ihrem Wirken frei bestimmt wird vom Bewußtsein im Wesen, das seines eigenen Wahrheits-Gebots und seiner formbaren Möglichkeiten zum Selbst-Ausdruck dieser Wahrheit ebenso bewußt ist, wie es auch stets im ganzen und jeden Augenblick im einzelnen der aktuellen Dinge inne ist, die es zu verwirklichen hat: Das ist die Darstellung des Gesetzes des Geistes. Vollkommene Freiheit des Geistes, eine völlig im Selbst seiende Ordnung, die aus dem Selbst erschafft, aus dem Selbst wirksam und in der eigenen natürlichen und unvermeidlichen Bewegung ihrer selbst sicher ist, das ist der Charakter dieser Dynamik der gnostischen Übernatur.

Auf dem Höhepunkt des Wesens steht das Absolute mit seiner absoluten Freiheit der Unendlichkeit, aber auch mit der absoluten Wahrheit seiner selbst und der Macht dieser Wahrheit des Wesens. Diese beiden Aspekte wiederholen sich im Leben des Geistes in der Übernatur. Dort ist alles Wirken das Wirken des höchsten Selbsts, des höchsten ishvara, in der Wahrheit der Übernatur. Es ist zugleich die Wahrheit des Wesens des Selbsts und die mit dieser Wahrheit geeinte Wahrheit des Willens des ishvara – eine zweieinige Wirklichkeit –, die sich in jedem individuellen gnostischen Wesen im Einklang mit seiner Übernatur zum Ausdruck bringt. Die Freiheit des gnostischen Einzelnen ist seine geistige Freiheit, die Wahrheit seines Wesens und die Macht seiner Energie im Leben dynamisch zur Erfüllung zu bringen. Das heißt aber zugleich, daß seine Natur der Wahrheit des Selbsts, die in seinem Sein geoffenbart ist, und dem Willen des Göttlichen Wesens in ihm und in allen gehorcht. Dieser All-Wille ist ein einziger in jedem gnostischen Einzelnen, in vielen gnostischen Individuen und in dem bewußten All, das sie enthält und besitzt. Dieser All-Wille ist in jedem gnostischen Menschen seiner selbst bewußt und dort eins mit dessen eigenem Willen. Zugleich ist dieser Einzelne dessen bewußt, daß der gleiche Wille, das gleiche Selbst und dieselbe Energie in allen verschieden aktiv ist. Solch gnostisches Bewußtsein und solch gnostischer Wille, der seines Einsseins in vielen gnostischen Individuen bewußt ist, der auch um ihre übereinstimmende Ganzheit und die Bedeutung und Gemeinsamkeiten in ihrer Verschiedenheit weiß, muß eine symphonische Bewegung, die Bewegung von Einheit, Einklang und Gegenseitigkeit im Zusammenwirken des Ganzen sicherstellen. Zugleich sichert er im Einzelnen Einheit und symphonische Übereinstimmung aller Mächte und Bewegungen seines Wesens. Alle Energien des Wesens suchen ihren Selbst-Ausdruck. In ihrer höchsten Entfaltung erstreben sie ihr Absolutes. Dies finden sie im erhabenen Selbst. Zugleich entdecken sie dort ihr höchstes Einssein, die Harmonie und Gegenseitigkeit eines geeinten und gemeinsamen Selbst-Ausdrucks in seiner alles schauenden und alles vereinenden dynamischen Macht von Selbst-Bestimmung und Selbst-Verwirklichung, die supramentale Gnosis. Ein gesondertes selbstseiendes Wesen kann mit anderen separaten Wesen in Spannungen leben, mit dem universalen All, in dem sie zusammen existieren, in Widerstreit liegen und sich in einem Zustand von Widerspruch befinden gegen jede höchste Wahrheit, die sich im Universum zum Ausdruck bringen will. Das geschieht mit dem Einzelnen in der Unwissenheit, da er seinen Standpunkt im Bewußtsein gesonderter Individualität einnimmt. Es kann auch einen ähnlichen Konflikt, einen Zwist, eine Unvereinbarkeit geben zwischen den Wahrheiten, Energien, Eigenschaften, Mächten und Wesensarten, die im Einzelnen und im Universum als getrennte Mächte wirken. Eine Welt voller Konflikt, ein Widerstreit in uns selbst, der Gegensatz des Einzelnen zu seiner Umwelt sind normale und unvermeidliche Erscheinungen des trennenden Bewußtseins der Unwissenheit und unseres schlecht harmonisierten Daseins. Im gnostischen Bewußtsein kann das aber nicht geschehen, da dort jeder sein vollkommenes Selbst findet und alle ihre Wahrheit und den Einklang ihrer verschiedenen Bewegungen in Jenem entdecken, das sie alle überragt und dessen Ausdruck sie sind. Darum herrscht im gnostischen Leben völliger Einklang zwischen dem freien Selbst-Ausdruck des Wesens und seinem unwillkürlichen Gehorsam gegenüber dem Gesetz, das der höchsten und universalen Wahrheit der Dinge innewohnt. Das sind für ihn die miteinander verbundenen Seiten der einen Wahrheit. Das ist auch die eigene höchste Wahrheit seines Wesens, die sich in der geeinten Wahrheit seiner selbst und der Dinge in der einen Obernatur auswirkt. Dort gibt es auch völlige Übereinstimmung zwischen den vielen und verschiedenen Mächten des Wesens und ihres Wirkens. Denn auch die Mächte, die in ihrer hervortretenden Bewegung widerspruchsvoll sind und, wenn wir sie mental erfahren, miteinander in Streit zu liegen scheinen, fügen sich und ihr Wirken auf natürliche Weise ineinander, da jede Macht ihre Wahrheit des Selbsts und die Wahrheit ihrer Beziehung zu den anderen hat und diese in der gnostischen Übernatur im Selbst gegründet und aus dem Selbst gestaltet wird.

Darum wird in der supramentalen gnostischen Natur nicht mehr die starre Art und der harte Stil einer festen Regel, einer einschränkenden Standardisierung, die Aufnötigung einer festgelegten Reihe von Prinzipien notwendig sein. Man braucht das Leben nicht in ein System oder in ein Schema hineinzuzwängen, das allein Geltung haben soll, weil es vom Mental als die einzig richtige Wahrheit des Wesens und Verhaltens anerkannt wird. Denn solch ein Maßstab kann nicht das Ganze des Lebens umschließen; solch eine Konstruktion kann es nicht zu ihrem Inhalt machen. Es kann sich auch nicht freiwillig dem Druck des All-Lebens oder den Notwendigkeiten der evolutionären Kraft anpassen. Da muß das Leben sich selbst oder den von ihm konstruierten Begrenzungen entfliehen, sei es durch seinen Tod, sei es durch seinen Zerfall oder durch heftigen Konflikt und revolutionären Aufruhr. Das Mental muß sein begrenztes Lebens-Gesetz und seine Lebensweise auf solche Weise auswählen, weil es in sich selbst gebunden und in seiner Schau und Fähigkeit begrenzt ist. Der gnostische Mensch aber nimmt das Ganze des Lebens und Daseins in sich auf. Er erfüllt und verwandelt es in den harmonischen Selbst-Ausdruck einer unermeßlichen Wahrheit, die eins und verschiedenartig, unendlich eins und unendlich vielfältig ist. So werden Wissen und Wirken des gnostischen Menschen die Weite und Vielgestaltigkeit unendlicher Freiheit haben. Dieses Wissen wird seine Gegenstände zugleich mit seinem Eintreten in die umfassende Weite des Ganzen erfassen. Es ist nur durch die integrale Wahrheit des Ganzen und die vollständige und innerste Wahrheit des Gegenstandes gebunden, nicht aber durch die gestaltete Idee oder durch festgelegte mentale Symbole, durch die das Mental gefangen, festgehalten und eingesperrt wird, so daß es die Freiheit seines Erkennens verliert. Auch wird seine ganze Aktivität nicht durch den Zwang starrer Regeln gefesselt oder durch Verpflichtungen einem vergangenen Zustand oder Wirken gegenüber oder durch dessen zwingende Folge, das karma. Sein Handeln hat jene sich aus dem Unendlichen ergebende, jedoch vom Selbst gelenkte und sich aus dem Selbst entwickelnde Formbarkeit, mit der das Unendliche unmittelbar auf seine endlichen Gestaltungen einwirkt. Diese Bewegung verursacht kein Dahinströmen, kein Chaos, sondern einen befreiten und harmonischen Ausdruck der Wahrheit. Das ist freie Selbst-Bestimmung des spirituellen Wesens in einer formbereiten, völlig bewußten Natur.

Im Bewußtsein des Unendlichen bricht die Individualität nicht das kosmische Ganze auseinander und engt es nicht ein; und das Kosmische widerspricht nicht der Transzendenz. Das gnostische Wesen, das im Bewußtsein des Unendlichen lebt, erschafft sich seine Selbst-Manifestation als Individuum. Es tut das aber als Mittelpunkt einer umfassenderen Universalität und zugleich als Mittelpunkt der Transzendenz. Als allumfassendes Individuum wird es in all seinem Handeln in Harmonie mit dem kosmischen Wirken sein. Hinsichtlich seiner Transzendenz ist es aber nicht durch eine vorübergehende niedere Ausdrucksform begrenzt oder sämtlichen kosmischen Kräften auf Gnade und Ungnade ausgeliefert. Seine Universalität wird sogar die Unwissenheit seiner Umgebung in sein umfassenderes Selbst einbeziehen. Doch würde es, da es ihrer gründlich bewußt ist, nicht von ihr beeinträchtigt werden. Es wird dem höheren Gesetz seiner transzendenten Individualität folgen und deren gnostische Wahrheit in seiner Seins- und Wirkweise zum Ausdruck bringen. Sein Leben wird so zu einem freien harmonischen Ausdruck des Selbsts. Da aber sein höchstes Selbst eins ist mit dem Wesen des ishvara, wird die natürliche göttliche Lenkung seines Selbst-Ausdrucks durch den ishvara, durch sein höchstes Selbst und die Übernatur, die seine höchste Natur ist, in Wissen, Leben und Wirken automatisch eine umfassende, unbegrenzte, aber vollkommene Ordnung bringen. Der Gehorsam seiner individuellen Natur gegenüber dem ishvara und der Übernatur wird zur natürlichen Übereinstimmung, der eigentlichen Voraussetzung für die Freiheit des Selbsts. Denn es ist ein Gehorsam gegenüber seinem höchsten Wesen, eine Antwort an den Ursprung seines Daseins. Die individuelle Natur ist hier nichts Abgesondertes; sie ist eine Strömung aus der Ubernatur. Die Antinomie von purusha und prakriti, diese eigentümliche Trennung und Unausgewogenheit von Seele und Natur, unter der die Unwissenheit leidet, ist hier völlig beseitigt. Denn nun ist die Natur das Ausströmen der Selbst-Kraft der Person; die Person ist das Ausströmen aus der höchsten Natur, die supramentale Macht des Wesens des ishvara. Es ist diese erhabene Wahrheit seines Wesens, ein unendlich harmonisches Prinzip, das die Ordnung seiner spirituellen Freiheit schafft, eine zuverlässige, unwillkürliche und formbare Ordnung.

Im niederen Dasein ist die Gesetzmäßigkeit unwillkürlich, bindet die Natur ohne Ausnahme, sind ihre Bahnen streng festgelegt. Die kosmische Bewußtseins-Kraft entwickelt ein Schema der Natur und deren gewohnheitsmäßiges Gepräge, ihre festgelegte Routine des Wirkens. Sie zwingt das unterrationale Wesen, nach dem Schema, dem Gepräge oder der für es geschaffenen Routine zu leben und zu handeln. Von diesem im voraus festgelegten Schema, von dieser Routine, geht das Mental im Menschen aus. Im Gang seiner Entwicklung erweitert es aber diesen Plan, vergrößert die Schablone und versucht, dieses unbewußte oder halb-bewußte Gesetz des automatischen Ablaufs durch eine Ordnung zu ersetzen, die sich auf Ideen, tiefere Bedeutungen und angenommene Lebens-Motive gründet. Oder es versucht, durch die Intelligenz Maßstäbe aufzustellen, ein durch ein rationales Ziel, durch Nützlichkeit oder Brauchbarkeit bestimmtes Rahmenwerk zu konstruieren. Doch gibt es in den Wissens- oder Lebens-Strukturen des Menschen nichts wirklich Bindendes oder Dauerhaftes. Er kann aber neue Maßstäbe für sein Denken, Erkennen, seine Persönlichkeit, sein Leben und Verhalten setzen und, mehr oder minder bewußt und vollständig, sein Dasein auf sie gründen oder zumindest versuchen, bestmöglich sein Leben im gedanklichen Rahmen des von ihm angenommenen oder erwählten Gesetzes, dharma, zu gestalten. Beim Übergang zum spirituellen Leben ist, im Gegensatz hierzu, das höchste Ideal nicht mehr ein Gesetz, sondern Freiheit im Geist. Der Geist bricht durch alle Formeln hindurch, um sein Selbst zu finden. Muß er sich immer noch um Gestaltung nach außen kümmern, dann wird er zur Freiheit eines uneingeschränkten und wahren, statt künstlichen Ausdrucks, zu einer wahren und spontan spirituellen Ordnung kommen. “Gib jedes dharma, alle Maßstäbe und Regeln für dein Leben und Wirken auf und nimm deine Zuflucht allein zu Mir” (Gita, XVIII, 66). Das ist die höchste Regel für ein vollkommenes Dasein, die dem Suchenden vom Göttlichen Wesen vorgehalten wird. Wenn wir nach dieser Freiheit trachten, wenn wir loskommen wollen von einem konstruierten Gesetz, um in das Gesetz des Selbsts und Geistes einzutreten, wenn wir die mentale Lenkung zurückweisen, um sie durch die Lenkung durch die spirituelle Wirklichkeit zu ersetzen, wenn wir die niedere konstruierte Wahrheit des Mentals aufgeben und uns dafür der höheren essentiellen Wahrheit des Wesens unterstellen, – können wir durch eine Stufe hindurchgehen, in der es zwar innere Freiheit, aber auch Mangel an äußerer Ordnung gibt, ein im Fließen der Natur dahintreibendes Handeln, kindisch und träge wie ein reglos und passiv am Boden liegendes oder vom Winde verwehtes Blatt, oder ein Verhalten, das nach außen sogar als unzusammenhängend oder überspannt erscheint. Man kann aber auch zu einer vorübergehenden geordneten Art, das Selbst spirituell zum Ausdruck zu bringen, gelangen, die für die Stufe ausreicht, die man in einer gewissen Zeit oder in diesem Leben erreichen kann. Es kann eine personale Ordnung sein, das Selbst auszudrücken, die mit der Norm dessen übereinstimmt, was man bis jetzt von der spirituellen Wahrheit verwirklicht hat. Später ändert sich das in freier Weise durch die Kraft der Spiritualität, um die noch umfassendere Wahrheit auszudrücken, die man nun weiter zu verwirklichen hat. Der supramentale gnostische Mensch befindet sich aber in einem Bewußtsein, in dem das Wissen selbst-seiend ist und sich im Einklang mit der Ordnung manifestiert, die vom Willen des Unendlichen in der Übernatur selbst-bestimmt ist. Diese Bestimmung durch das Selbst im Einklang mit einem selbst-seienden Wissen ersetzt den Automatismus der Natur und die Maßstäbe des Mentals durch die spontane Unmittelbarkeit der Wahrheit, die im eigentlichen Kern des Seins selbst-bewußt und selbst-handelnd ist.

Im gnostischen Menschen wird dieses selbst-bestimmende Wissen, das freiwillig der Wahrheit des Selbsts und der ganzen Wahrheit des Seienden zwanglos gehorcht, zum eigentlichen Gesetz seines Daseins. Wissen und Wollen werden in ihm eins und können nicht in Widerstreit stehen. Wahrheit des Geistes und des Lebens werden eins und können nicht gegensätzlich zueinander sein. Wenn sein Wesen sich auswirkt, kann es keinen Streit, keine ungleiche oder gegensätzliche Spannung zwischen dem Geist und den Gliedern geben. Im Supramental-Bewußtsein sind die beiden Prinzipien von Freiheit und Gesetz, die sich im Mental und Leben ständig als gegensätzlich oder unvereinbar darstellen – obwohl sie das nicht zu sein brauchen, wenn die Freiheit durch das Wissen behütet und das Gesetz auf die Wahrheit des Wesens gegründet ist –, einander nahe verwandt und eben fundamental eins. Das ist so, weil beide als die untrennbaren Aspekte der inneren spirituellen Wahrheit und damit auch als ihre Bestimmungen eins sind. Jede ist in der anderen innerlich gegenwärtig, denn beide entstehen aus einer Identität und stimmen deshalb im Wirken gemäß natürlicher Identität überein. Der gnostische Mensch fühlt in keiner Weise und in keinem Grad seine Freiheit durch eine Zwangsordnung seines Denkens oder seiner Handlungen beschränkt, da diese Ordnung eine innere und unwillkürliche ist. Er empfindet die Freiheit und die Ordnung seiner Freiheit als eine einzige Wahrheit seines Wesens. Seine Freiheit des Wissens bedeutet keineswegs, daß er der Unwahrheit oder dem Irrtum folgen dürfte. Denn er muß ja nicht, wie das Mental, durch die Möglichkeit von Irrtum hindurchgehen, um zu erkennen. Im Gegenteil, bei jeder solchen Abweichung würde er aus der Fülle seines gnostischen Selbsts herausfallen. Das wäre eine Minderung seiner Selbst-Wahrheit, etwas, das seinem Wesen fremd und schädlich ist. Denn seine Freiheit ist eine Freiheit des Lichts, nicht eine der Finsternis. Seine Freiheit zu handeln ist nicht die Willkür, einem bösen Willen oder den Impulsen der Unwissenheit zu folgen. Denn auch das ist seinem Wesen fremd; es würde dieses beschränken und mindern, nicht aber befreien. Er fühlt den Antrieb, eine Unwahrheit oder einen bösen Willen auszuführen, nicht als eine zur Freiheit führende Bewegung, sondern als eine Vergewaltigung, die der Freiheit des Geistes zugefügt wird, als feindliches Eindringen und Zwang, als Angriff auf seine Übernatur, als die Tyrannei einer fremden Natur.

Ein supramentales Bewußtsein muß in seiner Grundlage ein Wahrheits-Bewußtsein, ein unmittelbares, innewohnendes Bewußtsein der Wahrheit des Wesens und der Wahrheit der Dinge sein. Es ist eine Macht des Unendlichen, das seine Endlichkeiten kennt und sie ausarbeitet. Es ist eine Macht des Allumfassenden, das sein Einssein und die Einzelheiten, sein kosmisches Sein und dessen Individualitäten kennt und ausarbeitet. In seinem Selbst ist es im Besitz der Wahrheit. Es braucht nicht nach der Wahrheit zu suchen oder unter dem Gefühl der Sorge zu leiden, daß es sie verfehlen könnte, wie das beim Mental der Unwissenheit der Fall ist. Der entwickelte gnostische Mensch ist in dieses Wahrheits-Bewußtsein des Unendlichen und Allumfassenden eingegangen, und es bestimmt dann für ihn und in ihm all sein individuelles Erkennen und Handeln. Er besitzt nun ein Bewußtsein von allumfassender Identität und daraus folgend – oder eigentlich ihm eigen – ein Wahrheits-Wissen, Wahrheits-Schauen, Wahrheits-Fühlen, Wahrheits-Wollen, eine Wahrheits-Vernunft und Wahrheits-Dynamik des Handelns. Dies alles ist in seiner Identität mit dem Einen enthalten oder entsteht selbsttätig aus seiner Identität mit dem All. Sein Leben wird dadurch zu einem Vorwärtsgehen auf den Bahnen spiritueller Freiheit und umfassender Weite. Es ersetzt das Gesetz der Mental-Idee und das Gesetz des vitalen physischen Bedürfens, des Verlangens und der zwingenden Gewalt der Lebensumwelt. So wird sein Leben und Wirken durch nichts anderes gebunden als durch die Göttliche Weisheit und den Göttlichen Willen, die entsprechend seinem Wahrheits-Bewußtsein auf ihn und in ihm wirken. Nun könnte man erwarten, im Leben in der Unwissenheit könnte das Fehlen eines aufgezwungenen Gesetzes-Systems zu einem Wirrwarr von Konflikten, zu Ausschweifung und ichhafter Unordnung führen, weil sich das menschliche Ich verselbständigt hat und zu kleinlich ist und den Drang fühlt, in das Leben anderer einzugreifen, es in Besitz zu nehmen und für sich zu verwenden. Das alles kann aber im Leben des gnostischen Menschen nicht existieren. Denn im gnostischen Wahrheits-Bewußtsein des supramentalen Wesens muß es notwendig eine Wahrheit der rechten Beziehung aller Teile und Bewegungen des Wesens geben – sei es des Wesens des Einzelnen oder des Wesens eines gnostischen Kollektivs –, ein spontanes und erleuchtetes Einssein und Ganzsein in allen Bewegungen des Bewußtseins und bei jedem Wirken im Leben. Hier kann es keinen Streit zwischen den Gliedern geben. Denn es ist nicht nur das Bewußtsein des Wissens und Wollens in diese vollständige Harmonie von Ganzheit und Einheit eingeschlossen, sondern auch das Bewußtsein des Herzens, das Lebens-Bewußtsein und das Körper-Bewußtsein, alles, was in uns die emotionalen, vitalen oder physischen Seiten unserer Natur ausmacht. In unserer Sprache könnten wir sagen, der supramentale Wissens-Wille des gnostischen Menschen übt eine vollkommene Kontrolle aus über Mental, Herz, Leben und Körper. Diese Beschreibung könnte aber nur für die Übergangsstufe gelten, wenn die Übernatur diese Wesensseiten in ihre Art umprägt. Sobald dieser Übergang vollzogen ist, bedarf es keiner Kontrolle mehr. Alles wird dann ein einziges geeintes Bewußtsein und ein Ganzes in einer ungezwungenen integralen Einheit sein.

Im gnostischen Menschen kann es keinen Widerstreit zwischen der Selbst-Behauptung des Ichs und einer Lenkung durch ein Über-Ich geben. Denn da das gnostische Individuum mit seinem Handeln im Leben sich selbst und die Wahrheit seines Wesens ausdrückt, zugleich aber auch den Göttlichen Willen – da er das Göttliche Wesen als sein wahres Selbst und als den Ursprung und die konstituierende Macht seiner spirituellen Individualität erkennt –, sind diese beiden Triebfedern seines Verhaltens nicht nur in jeder einzelnen Aktion gleichzeitig, sondern auch ein und dieselbe Antriebskraft. Diese Motiv-Macht wirkt bei jeder Veranlassung im Einklang mit der Wahrheit des Umstandes; beim Menschen im Einklang mit seinem Bedürfen, seiner Natur und seinen Beziehungen; im Ereignis im Einklang mit dem, was der Göttliche Wille von diesem Ereignis fordert. Denn hier ist alles das Ergebnis eines komplexen Zusammenwirkens und einer engen Verknüpfung vieler Kräfte der einen Kraft. Das gnostische Bewußtsein und der Wahrheits-Wille schauen die Wahrheit dieser Kräfte, einer jeden einzelnen und aller zusammen. Sie üben die notwendige Einwirkung oder den Eingriff auf den Kräfte-Komplex aus, um auszuführen, was nach jenem Willen durch diesen getan werden soll, – allein dies und nichts mehr. Als Folge dieser überall gegenwärtigen Identität, die alles lenkt und alle Unterschiede harmonisiert, kann es für ein trennendes Ich, das auf seine gesonderte Ich-Durchsetzung aus ist, keinen Spielraum geben. Der Wille des Selbsts des gnostischen Menschen ist eins mit dem Willen des ishvara; er ist kein trennender oder gegensätzlicher Ich-Wille mehr. Dieser Wille wird die Freude am Handeln und an dessen Ergebnis haben, ist aber frei von allem Ich-Anspruch, von aller Gebundenheit an das Handeln und von allem Verlangen nach dessen Frucht. Er tut nur das, von dem er einsieht, daß es getan werden muß, weil er zu diesem Tun innerlich veranlaßt ist. In der mentalen Natur kann es zu Gegensätzlichkeit und Widerstreit zwischen der Anstrengung des Ichs und dem Gehorsam gegenüber dem Höheren Willen kommen. Betrachtet sich hier doch das Ich oder die Pseudo-Person als verschieden vom Höchsten Wesen, dem Willen und der Person. Im gnostischen Menschen ist aber die Person ein Wesen aus dem Wesen. Darum kann es zu keiner Opposition und zu keinem Widerstreit kommen. Das Wirken der Person ist das Wirken des ishvara in der Person, des Einen in den Vielen. Es kann keinen Grund geben für die abgetrennte Durchsetzung eines Ich-Willens oder des Stolzes auf eigene Unabhängigkeit.

Auf diese Tatsache, daß das Göttliche Wissen und die Göttliche Kraft, die erhabene Übernatur, durch den gnostischen Menschen mit dessen voller Teilnahme handelt, gründet sich die Freiheit des gnostischen Menschen. Diese Einheit gibt ihm seine Befreiung. Auf die Einheit seines Willens mit dem Willen des Ewigen gründet sich die Unabhängigkeit des spirituellen Menschen gegenüber dem Gesetz, einschließlich des moralischen Gesetzes, die so häufig behauptet wird. Da müssen alle mentalen Maßstäbe verschwinden, da jede Notwendigkeit für sie aufhört. Das höhere verbürgte Gesetz der Identität mit dem Göttlichen Selbst und der Identität mit allen Wesen hat sie ersetzt. Dort wird man auch nicht nach Selbstsucht und Altruismus fragen, nach dem eigenen Ich und nach dem der anderen, da man alle als das eine Selbst sieht und fühlt und nur das tut, was die höchste Wahrheit und die höchste Güte bestimmt. Beim Handeln fühlt man, wie eine selbst-seiende allumfassende Liebe, ein Mitempfinden, ein Einssein alles durchdringt. Aber dieses Fühlen dringt ganz und gar in das Wirken ein, färbt und motiviert es, beherrscht und bestimmt es nicht nur von außen her. Diese Liebe steht nicht für sich selbst da, in Opposition gegen die umfassendere Wahrheit der Dinge. Sie diktiert auch nicht ein aus persönlichen Gründen verursachtes Abweichen von der göttlich gewollten wahren Bewegung. Eine solche Opposition und Abweichung könnte nur in der Unwissenheit geschehen, wo Liebe oder irgendein anderes starkes Prinzip der Natur von der Weisheit ebenso abgesondert sein kann, wie sie von der Macht geschieden ist. In der supramentalen Gnosis stehen aber alle Mächte einander innig nahe und wirken als eine einzige Macht. In der gnostischen Person lenkt und bestimmt das Wahrheits-Wissen; alle anderen Kräfte des Wesens wirken in ihrer Aktion zusammen. Da gibt es keinen Raum für Disharmonie und Streit zwischen den Mächten der Natur. In allem Wirken gibt es nur ein Gebot des Seins, das erfüllt zu werden sucht. Eine noch nicht offenbar gewordene Wahrheit des Seienden soll manifestiert werden. Eine sich manifestierende Wahrheit soll entwickelt, weiter verfolgt und in der Manifestation vervollkommnet werden. Oder sie soll, wenn ihr Ziel schon erreicht ist, die tiefe Freude an ihrem Wesen und ihrer Selbst-Verwirklichung genießen. Im halben Licht und in der halben Nacht der Unwissenheit bleibt dieses Gebot verborgen oder nur halb-offenbar. Der Drang, es zu erfüllen, ist eine unvollkommene, ringende, zum Teil enttäuschte Bewegung. Im gnostischen Menschen und seinem Leben werden die Gebote des Wesens im Innern gefühlt, unmittelbar wahrgenommen und im Wirken entfaltet. Das ist ein freies Spiel ihrer Möglichkeiten. Die Verwirklichung geschieht im Einklang mit der Wahrheit der Umstände und der Absicht der Obernatur. All das wird im Wissen geschaut und entfaltet sich im Handeln. Da gibt es kein unsicheres Kämpfen und kein Sich-Quälen mit den zum Wirken eingesetzten Kräften. Es ist auch kein Raum für Disharmonie des Wesens und für ein widersprüchliches Wirken des Bewußtseins: Ganz überflüssig wird es, die äußerlichen Maßstäbe eines mechanischen Gesetzes dort aufzuzwingen, wo es diese innewohnende Macht der Wahrheit und ihr spontanes Wirken im Handeln unserer Natur gibt. Denn das Gesetz und das natürliche Kräftespiel allen Seins besteht darin, daß wir durch harmonisches Wirken den göttlichen Beweggrund ausarbeiten und die gebotene Wahrheit der Dinge ausführen.

Das Prinzip supramentalen Lebens ist das Wissen durch Identität, das die Mächte des vervollständigten Wesens zur Bereicherung der Instrumentation verwendet. Auf den anderen Stufen des gnostischen Wesens ist die Instrumentation von anderer Ordnung; doch erfüllt sich auch hier eine Wahrheit von spirituellem Wesen und Bewußtsein. So wirkt ein Höheres Mental durch die Wahrheit des Denkens, die Wahrheit der Idee, und bringt sie in der Lebens-Aktivität zur Vollendung. In der supramentalen Gnosis jedoch ist das Denken eine abgeleitete Bewegung; es ist eine Ausdrucksform der Wahrheits-Schau, nicht die bestimmende oder hauptsächliche Antriebs-Kraft. Denken ist hier eher ein Werkzeug, um Erkenntnis auszudrücken, als um Erkenntnis zu gewinnen oder um zu handeln. Es dringt in das Handeln nur als vorstoßende Spitze vom Ganzen des Identitäts-Willens und Identitäts-Wissens ein. In gleicher Weise sind im erleuchteten gnostischen Menschen die unmittelbare Berührung mit der Wahrheit und die wahrnehmenden Wahrheits-Sinne hauptsächliche Triebfedern des Handelns. Im Übermental verursacht das verstehende unmittelbare Erfassen der Wahrheit der Dinge und des Wesensprinzips jedes Dinges mit all seinen dynamischen Folgen die große Weite gnostischer Schau und gnostischen Denkens. Es faßt sie zusammen und erschafft so ein Fundament für Wissen und Handeln. Diese umfassende Weite von Wesen, Schau und Handeln ist das bunte Ergebnis eines zugrundeliegenden Identitäts-Bewußtseins. Die Identität selbst tritt noch nicht als der eigentliche Stoff des Bewußtseins oder als die wirkliche Kraft des Handelns in den Vordergrund. In der supramentalen Gnosis kehrt aber alles erleuchtete unmittelbare Erfassen der Wahrheit der Dinge, der Wahrheits-Sinn, die Wahrheits-Schau und das Wahrheits-Denken, wieder in seinen Ursprung im Identitäts-Bewußtsein zurück, um dort weiter zu bestehen als ein einziger Körper seines Wissens. Das Identitäts-Bewußtsein lenkt nun und enthält alles. Es manifestiert sich als Bewußtheit im Kern der Wesens-Substanz und offenbart die ihm innewohnende, sich selbst erfüllende Kraft. Es bestimmt sich selbst dynamisch in der Form von Bewußtsein und in der Form von Wirken. Die ihr innewohnende Bewußtheit ist Ursprung und Prinzip des Wirkens der supramentalen Gnosis. Sie könnte sich mit sich selbst begnügen und hätte es nicht nötig, irgendetwas auszudrücken oder zu verkörpern. Aber das Spiel erleuchteter Schau, das Spiel strahlenden Denkens, das Spiel aller anderen Bewegungen des spirituellen Bewußtseins würde dabei nicht fehlen. Es gäbe eine freie Instrumentation um ihres brillanten Wirkens willen, um einer göttlich reichen Fülle und Verschiedenartigkeit willen, wegen der mannigfaltigen Freude an der Selbst-Offenbarung und wegen der Freude an den Mächten des Unendlichen. In den Zwischen-Stufen oder -Graden der Gnosis kann es die Offenbarung von unterschiedlichen und getrennten Ausdrucksweisen für die Aspekte des göttlichen Wesens und der göttlichen Natur geben: eine Seele und ein Leben von Liebe; eine Seele und ein Leben von göttlichem Licht und Wissen; eine Seele und ein Leben von göttlicher Macht, von souveränem Wirken und Erschaffen, sowie unzählige andere Formen göttlichen Lebens. Auf der supramentalen Höhe wird dies alles in eine vielfältige Einheit, in eine höchste Vervollständigung von Wesen und Leben emporgehoben. Erfüllung des Wesens in einer erleuchteten und wonnevollen Vereinheitlichung seiner Zustandsformen und Mächte, sowie ihres in sich ausgeglichenen dynamischen Wirkens ist der Sinn dieses gnostischen Seins.

Alle supramentale Gnosis ist ein zweifaches Wahrheits-Bewußtsein: ein Bewußtsein der inneren Erkenntnis des Selbsts und, infolge der Identität von Selbst und Welt, ein Bewußtsein gründlicher Welt-Erkenntnis. Diese Erkenntnis ist das Kriterium, die charakteristische Macht der Gnosis. Das ist nicht rein ideative Erkenntnis, kein Bewußtsein, das Ideen beobachtet, sie gestaltet und dann versucht, sie auszuführen. Es ist ein wesenhaftes Bewußtseins-Licht, das Selbst-Licht aller Wirklichkeiten von Wesen und Werden, die Selbst-Wahrheit des Wesens, das sich selbst bestimmt, formuliert und wirksam macht. Zweck der Manifestation ist es, zu sein, nicht zu erkennen. Erkenntnis ist nur die Instrumentation für ein zum Wirken hervortretendes Bewußtsein des Wesens. So ist das gnostische Leben auf der Erde eine Manifestation oder ein Spiel des wahrheits-bewußten Wesens. Das Wesen ist seiner selbst in allen Dingen bewußt geworden. Es geht dem Bewußtsein seiner selbst nicht mehr verloren, ist nicht mehr tief hinabgesunken in ein Selbst-Vergessen oder Halb-Vergessen seines wirklichen Seins, das deshalb eintrat, weil es in Form und Handeln vertieft war. Vielmehr verwendet es nun Form und Handeln mit einer entbundenen spirituellen Macht, um sich frei und vollkommen auszudrücken. Nun sucht es nicht mehr nach seiner verlorenen, vergessenen oder verhüllten und verborgenen Bedeutung oder seinen Bedeutungen. Es ist nicht mehr gebunden, sondern erlöst aus Unbewußtheit und Unwissenheit. Es ist seiner Wahrheiten und Mächte innegeworden. Es bestimmt frei, in einer Bewegung, die sich in jeder Einzelheit stets in Übereinstimmung und Einklang befindet mit seiner höchsten und allumfassenden Wirklichkeit, seine Manifestation, das Spiel seiner Substanz, das Spiel seines Bewußtseins, das Spiel seiner Daseins-Kraft, das Spiel seiner Seins-Seligkeit.

In der gnostischen Entwicklung wird es eine große Mannigfaltigkeit in Haltung, Zustand und harmonisierten Wirkweisen von Bewußtsein, Kraft und Daseins-Freude geben. Natürlicherweise zeigen sich im Lauf der Zeit viele Stufen weiteren Aufstiegs des sich entfaltenden Supramentals zu seinen Gipfelhöhen. Alle haben aber die gemeinsame Basis und das gemeinsame Prinzip. Bei seiner Manifestation ist der Geist, das Seiende, obwohl er sein ganzes Selbst erkennt, nicht verpflichtet, alles von sich in die aktuelle Außenseite von Gestaltung und Handeln herauszustellen, die seine unmittelbare Macht und der Grad seines Selbst-Ausdrucks sind. Der Geist kann einen vordergründigen Selbst-Ausdruck herausstellen und alles übrige von sich in der unausgedrückten Seligkeit seines Selbst-Seins zurückhalten. Jenes Alles im Hintergrund und seine Seligkeit finden sich im Vordergründigen, erkennen sich darin selbst und halten hier ihren Selbst-Ausdruck, ihre Manifestation, durch die eigene Gegenwart aufrecht und durchtränken sie mit dem Gefühl für seine Ganzheit und Unendlichkeit. Diese frontale Gestaltung ist wegen all dem übrigen hinter ihr und weil sie in der Macht des Wesens festgehalten wird ein Akt der Selbst-Erkenntnis und nicht der Unwissenheit. Sie ist ein erleuchteter Ausdruck der Überbewußtheit, kein Aufwallen aus der Unbewußtheit. Große, abgestimmte Variation ist darum ein Element in der Schönheit und Vollständigkeit der Entwicklung gnostischen Bewußtseins und Seins. Gerade bei seinem Umgang mit dem Mental der Unwissenheit in seiner Umgebung verwendet das supramentale Leben diese ihm eingeborene Macht und Bewegung der Wahrheit seines Wesens ebenso wie bei seinem Umgang mit den noch niederen Graden der gnostischen Entwicklung. Im Lichte dieser integralen Wirklichkeit setzt es seine eigene Wahrheit des Wesens in Beziehung zu jener Wahrheit des Wesens, die hinter der Unwissenheit steht. So gründet es alle Beziehungen auf die gemeinsame spirituelle Einheit und nimmt es die manifestierte Unterschiedlichkeit an, um sie in Einklang zu bringen. Das gnostische Licht wird die rechte Beziehung, das rechte Handeln, die rechte Reaktion eines jeden auf jeden anderen unter allen Umständen sicherstellen. Die gnostische Macht, der gnostische Einfluß werden stets eine symphonische Beziehung durchsetzen, die rechte Beziehung des entwickelteren zu dem weniger entwickelten Leben sicherstellen und durch ihren Einfluß dem niederen Dasein eine größere Harmonie vermitteln.

Soweit wir der Evolution mit unserem mentalen Begreifen bis zu dem Punkt folgen können, wo sie aus dem Übermental hervortritt und die Grenze zur supramentalen Gnosis überschreitet, ist das die Art von Wesen, Leben und Wirken des gnostischen Einzelnen. Dieser Charakter der Gnosis bestimmt offensichtlich alle Beziehungen des Lebens oder Gruppen-Lebens gnostischer Menschen. Denn ein gnostisches Kollektiv ist ebenso eine kollektive Seelen-Macht des Wahrheits-Bewußtseins, wie der gnostische Einzelmensch eine individuelle Seelen-Macht aus ihm ist. Es muß dieselbe Vereinigung von Leben und Handeln im Gleichklang sein, die gleiche verwirklichte und bewußte Einheit des Wesens, die gleiche Ungezwungenheit haben und das tiefe Gefühl des Einsseins, eine einzige und gegenseitige Wahrheits-Schau und Wahrheits-Empfindung der einzelnen Selbste und der Selbste miteinander, das gleiche Wahrheits-Wirken in der Beziehung eines jeden zu jedem anderen und aller zu allen. Dieses Kollektiv ist keine mechanische, sondern eine spirituelle integrale Einheit und handelt als solche. In ähnlicher Weise ist die Einheit von Freiheit und Ordnung unvermeidliches Gesetz kollektiven Lebens. Die Freiheit eines unterschiedlichen Spiels des Unendlichen in göttlichen Seelen, eine Ordnung von bewußter Einheit der Seelen ist das Gesetz des supramentalen Unendlichen. Unsere mentale Auffassung von Einheit unterstellt ihr das Gesetz der Gleichheit. Ein durch die mentale Vernunft zustandegebrachtes Einssein drängt auf eine durchgehende Standardisierung als sein einzig wirksames Mittel. Nur geringfügige Andeutungen von Differenzierung können praktisch zugelassen werden. Das Gesetz des gnostischen Lebens setzt aber die größte Verschiedenheit im Selbst-Ausdruck des Einsseins voraus. Im gnostischen Bewußtsein führt Unterschiedlichkeit nicht zu Zwist, sondern zur freiwilligen natürlichen Anpassung, zum Empfinden des Sich-einander-Ergänzens zur Fülle, zur vielseitigen Verwirklichung der Sache, die kollektiv erkannt, getan und im Leben ausgearbeitet werden soll. Wird doch die Schwierigkeit in Mental und Leben vom Ich dadurch geschaffen, daß es integral Zusammengehöriges in Teile zertrennt, die sich als Gegensätze, Widersprüche und Grundverschiedenheiten darstellen. Alles, worin sie sich unterscheiden, wird leicht empfunden, durchgesetzt und betont. Das, worin sie sich begegnen, was ihre Unterschiedlichkeiten zusammenhält, wird weithin verfehlt oder nur mit Schwierigkeiten entdeckt. Alles muß dadurch getan werden, daß man durch eine konstruierte Einheit die Unterschiede überwindet oder sie einander angleicht. Gewiß gibt es ein grundlegendes Prinzip von Einheit. Die Natur drängt darauf, daß es in einer Konstruktion der Einheit zum Vorschein kommt. Denn die Natur ist ebenso kollektiv und gesellschaftlich wie individuell und ichhaft. Sie besitzt ebenso ihre Instrumentation der Vergesellschaftung, Sympathien, gemeinsamen Bedürfnisse, Interessen, Anziehungen und Verwandtschaften, wie ihre gewalttätigen Mittel, Einheit zu erzwingen. Aber ihre sekundär durchgesetzte und so aufdringliche Basis von Ich-Leben und Ich-Natur überlagert die Einheit und verdirbt alle ihre Konstruktionen durch Unvollkommenheit und Unsicherheit. Eine weitere Schwierigkeit ist dadurch gegeben, daß Intuition und unmittelbare innere Berührung fehlen oder sehr unvollkommen sind. Dadurch wird jeder Mensch zu einem gesonderten Wesen und dazu gezwungen, nur unter Schwierigkeiten das Wesen und die Natur des anderen kennenzulernen. Er muß äußerlich zu Verständnis, Gegenseitigkeit und Einklang kommen, statt innerlich durch unmittelbares Empfinden und Erfassen. So wird durch die Hülle von gegenseitiger Unkenntnis jeder mentale und vitale Austausch behindert, vom Ich verfärbt oder zu Unvollkommenheit und Unvollständigkeit verurteilt. Im kollektiven gnostischen Leben wird das einbeziehende Wahrheits-Empfinden, die zur Eintracht strebende Einheit der gnostischen Natur alle Unterschiedlichkeiten als eigenen Reichtum enthalten. Sie wird ein vielfältiges Denken, Handeln, Fühlen in die Einheit eines erleuchteten Lebens-Ganzen umwandeln. Das ist das offenkundige Prinzip des Wahrheits-Bewußtseins, das unvermeidliche Ergebnis seines Charakters und seine dynamische Verwirklichung der spirituellen Einheit alles Seienden. Diese Verwirklichung, die Grundvoraussetzung für die Vervollkommnung des Lebens, die man auf der mentalen Ebene so schwer erlangen kann und die, selbst wenn man sie innerlich realisiert hat, nur schwer dynamisch durchzusetzen und zu organisieren ist, wird in aller gnostischen Schöpfung und im gnostischen Leben zu etwas in natürlicher Weise Dynamischem und spontan aus dem Selbst Organisiertem.

Das ist leicht zu verstehen, wenn wir die gnostischen Wesen als solche ansehen, die ihr Leben ohne jede Berührung mit einem Leben der Unwissenheit führen. Die gnostische Manifestation ist aber angesichts der Tatsache, daß sich die Entwicklung hier vollzieht, nur ein Ereignis, wenn auch ein ganz entscheidendes Ereignis im Ganzen. Die niederen Grade des Bewußtseins und Lebens werden neben ihr weiterbestehen. Einige werden die Offenbarung in der Unwissenheit festhalten. Andere werden eine vermittelnde Stellung zwischen dieser und der Manifestation in der Gnosis einnehmen. Diese beiden Formen von Wesen und Leben werden entweder Seite an Seite nebeneinander existieren oder einander durchdringen. In beiden Fällen kann man erwarten, daß das gnostische Prinzip, wenn auch nicht sofort, so doch schließlich das Ganze beherrschen wird. Die höheren spirituell-mentalen Grade stehen mit dem jetzt sie offen unterstützenden und zusammenhaltenden supramentalen Prinzip in enger Berührung und werden von dem Zwang der Unwissenheit und Unbewußtheit, der sie einst einengte, befreit. Als eine Wahrheit des Seienden werden sie, wenn auch in eingeschränktem und vermindertem Grad, all ihr Licht und ihre Energie aus der supramentalen Gnosis beziehen und mit deren supramentalen Mächten in umfassender Berührung stehen. So werden sie selbst zu bewußten Antriebskräften des Geistes. Sie werden, wenn auch noch nicht im vollen Besitz der ganz verwirklichten spirituellen Substanz, doch nicht mehr einer niederen Instrumentation unterworfen sein, die durch den Stoff der Nichtbewußtheit bruchstückhaft, verdünnt, vermindert und verfinstert ist. Alle Unwissenheit, die emporkommt oder eingeht in das Übermental, in das intuitive, erleuchtete oder höher-mentale Wesen, hört auf, unwissend zu sein. Sie tritt ein in das Licht. Sie realisiert in diesem Licht die Wahrheit, die sie mit ihrer Finsternis überdeckt hatte. Sie erfährt eine Befreiung, eine Umwandlung, einen neuen Zustand von Bewußtsein und Wesen. So wird sie diesen höheren Zuständen angeglichen und für den supramentalen Zustand vorbereitet. Zugleich wird das involvierte Prinzip der Gnosis jetzt als offene, nach außen gedrungene und ständige Kraft wirken, nicht mehr nur als eine verborgene Macht mit einem geheimen Ursprung, die die Dinge in verhüllter Form unterstützt oder nur gelegentlich eingreift, ihrer einzigen Funktion. Nun kann sie etwas von ihrem Gesetz der Harmonie der fortbestehenden Unbewußtheit und Unwissenheit auferlegen. Denn die in diesen verborgene gnostische Macht wird nun mit vergrößerter Stärke ihrer Hilfe und wirkenden Ursache, mit freierem und machtvollerem Eingreifen aktiv sein. Die Menschen der Unwissenheit werden nun, infolge ihrer Verbindung mit gnostischen Menschen, vom Licht der Gnosis beeinflußt und infolge der entwickelten und wirksamen Gegenwart des supramentalen Wesens und der supramentalen Macht in der Erden-Natur bewußter sein und besser reagieren. In dem noch nicht transformierten Teil der Menschheit kann sehr wohl eine neue und höhere Gemeinschaft mentaler menschlicher Wesen entstehen. Denn nun kann jenes mentale Wesen hervortreten, das unmittelbar intuitiv oder teilweise intuitiv geworden, aber noch nicht gnostisch ist, ferner das unmittelbar oder teilweise erleuchtete mentale Wesen und schließlich das mentale Wesen, das in unmittelbarer oder partieller Kommunion mit der höheren Denk-Ebene steht: Diese Menschen werden immer zahlreicher, immer mehr in ihrer Art entwickelt und immer sicherer. Sie könnten sogar als Rasse eines höheren Menschseins existieren, die in wahrer Brüderlichkeit, entstanden aus dem Empfinden für die Manifestation des einen Göttlichen Wesens in allen Menschen, die weniger Entwickelten emporführt. Auf diese Weise wird die Vollendung auf der höchsten Stufe auch eine minder hohe Vollkommenheit auf seiner eigenen Stufe von dem bedeuten, was noch unten bleiben muß. Am höheren Ende der Evolution werden sich die aufsteigenden Höhen und Gipfel des Supramentals immer weiter erheben bis zu einer höchsten Manifestation des reinen spirituellen Seins, des Bewußtseins und der Seins-Seligkeit von saccidananda.

Man könnte noch die Frage aufwerfen, ob die gnostische Umkehr, der Übergang in die gnostische Entwicklung und über sie hinaus, nicht bedeutet, daß früher oder später die Evolution aus der Unbewußtheit aufhört, da der Grund für diesen dunklen Anfang der Dinge hier unten nun wegfällt. Das hängt aber von der weiteren Frage ab, ob die Bewegung zwischen der Überbewußtheit und der Unbewußtheit, also zwischen den beiden Polen des Seins, ein ständiges Gesetz der materiellen Manifestation oder nur ein vorläufiger Umstand ist. Letztere Annahme läßt sich nur schwer aufrecht erhalten, weil das unbewußte Fundament, das für das ganze materielle Universum gelegt wurde, mit so gewaltiger Kraft alles durchdringt und fortdauert. Würde dieses erste evolutionäre Prinzip völlig umgekehrt oder ausgeschaltet werden, so bedeutete das, daß sich das geheime involvierte Bewußtsein gleichzeitig in jedem Teil dieser ungeheuren universalen Unbewußtheit manifestieren würde. Eine Umwandlung in einem besonderen Ablauf der Natur, wie es die Bahn der Erden-Entwicklung ist, würde keine solche alles durchdringende Auswirkung haben: Die Manifestation in der Erden-Natur hat ihre eigene Kurve. Die Vollendung dieser Kurve ist alles, was wir zu betrachten haben. Hier kann man eine Aussage in dem Sinne wagen, daß im endgültigen Ergebnis der sich offenbarenden Schöpfung oder in der Reproduktion der oberen Hemisphäre des bewußten Wesens hier in der niederen Dreifaltigkeit die Evolution zwar in ihren Graden und Stufen dieselbe bleibt, aber dem Gesetz der Harmonie, dem Gesetz der Einheit in der Verschiedenheit und der in der Verschiedenheit sich herausarbeitenden Einheit unterworfen ist. Nur ist das nicht länger eine Evolution durch Kampf. Sie wird eine harmonische Entwicklung von Stufe zu Stufe werden, von einem schwächeren zu einem stärkeren Licht, von dem einen Typus der Macht und Schönheit eines sich entfaltenden Seins zu einem höheren Typus. Das könnte nur anders sein, wenn aus irgendeinem Grund das Gesetz von Kämpfen und Leiden noch für die weitere Ausarbeitung jener geheimnisvollen Möglichkeiten im Unendlichen notwendig wäre, dessen Prinzip dem Absturz in die Unbewußtheit zugrundeliegt. Diese Notwendigkeit scheint aber für die Erden-Natur zu entfallen, sobald die supramentale Gnosis aus der Unbewußtheit hervorgetreten ist. Mit ihrem endgültigen Erscheinen fängt eine Umwandlung an. Diese Umwandlung erfährt ihre höchste Vollendung, wenn die supramentale Entwicklung vollkommen geworden ist und sich in die größere Fülle der höchsten Manifestation von Sein-Bewußtsein-Seligkeit, von saccidananda, emporgehoben hat.

Kapitel XXVIII. Das Göttliche Leben

O sehende Flamme, du trägst den Menschen der krummen Wege hinein in die bleibende Wahrheit und in das Wissen.

Rig Veda, I.31.6.

Ich läutere Erde und Himmel durch die Wahrheit.

Rig Veda, I.133.1.

In dem, der sie festhält, setzt seine Ekstase die beiden Geburten in Bewegung, den Ausdruck des menschlichen und den des göttlichen Selbsts, und er bewegt sich zwischen ihnen.

Rig Veda, IX. 86.42.

Mögen die unüberwindlichen Strahlen seiner unmittelbaren Erkenntnis aufleuchten, nach der Unsterblichkeit suchen und beide Geburten durchdringen. Denn durch sie läßt er in einer einzigen Bewegung menschliche Kräfte und göttliche Dinge in Fluß geraten.

Rig Veda, IX. 70.3.

Laß sie alle deinen Willen annehmen, wenn du, ein lebender Gott, aus dem dürren Baum geboren wirst, damit sie Göttlichkeit erlangen und durch die Eile deiner Bewegung zum Besitz der Wahrheit und der Unsterblichkeit kommen.

Rig Veda, I.68.2.

Wir haben uns bemüht, zu entdecken, was Wirklichkeit und Sinn unseres Daseins als bewußte Wesen im materiellen Universum ist und in welcher Richtung und wie weit uns dieser Sinn, wenn wir ihn einmal entdeckt haben, führt, zu welcher menschlichen oder göttlichen Zukunft. Gewiß könnte unser Dasein hier eine bedeutungslose Laune der Materie selbst oder einer die Materie aufbauenden Energie sein, es könnte einer unerklärlichen Laune des Geistes entstammen. Andererseits könnte unser hiesiges Dasein der willkürlichen Phantasie eines überkosmischen Schöpfers entstammen. In diesem Fall hätte es keine wesenhafte Bedeutung. Es hätte überhaupt keine Bedeutung, wenn Materie oder eine unbewußte Energie der phantasiereiche Baumeister wäre, denn dann würde es bestenfalls die zufällige Darstellung einer wandernden Spirale des Zufalls oder die starre Kurve blinder Notwendigkeit sein. Es könnte nur illusorische Bedeutung haben, die sich, wenn sie einem Irrtum des Geistes entstammt, in nichts auflöst. Ein bewußter Schöpfer mag sehr wohl unserem Dasein einen Sinn zugrundegelegt haben, der aber durch eine Offenbarung seines Willens entdeckt werden muß, da er nicht an sich in der Selbst-Natur der Dinge enthalten und dort entdeckbar ist. Wenn es aber eine selbst-seiende Wirklichkeit gibt, deren Ergebnis unser Dasein hier ist, dann muß es eine Wahrheit dieser Wirklichkeit geben, die sich hier manifestiert, ausarbeitet und entwickelt; diese wird der Sinn unseres Wesens und Lebens sein. Was jene Wirklichkeit auch sein mag, sie ist etwas, das den Aspekt eines Werdens in der Zeit angenommen hat, eines unteilbaren Werdens. Denn unsere Gegenwart und unsere Zukunft tragen, umgewandelt und verändert, die Vergangenheit in sich, die sie erschuf. Und die Vergangenheit und Zukunft enthielten bereits und enthalten jetzt für uns unsichtbar, weil sie noch nicht manifestiert, noch nicht entwickelt ist, ihre eigene Transformation in die noch unerschaffene Zukunft. Der Sinn unseres hiesigen Daseins bestimmt unser Schicksal. Dieses Schicksal ist bereits in uns als Notwendigkeit oder Möglichkeit vorhanden, als die Notwendigkeit der verborgenen und hervortretenden Wirklichkeit unseres Wesens und als die Wahrheit ihrer Möglichkeiten, die herausgearbeitet werden soll. Wenn beide auch noch nicht verwirklicht wurden, sind sie doch schon jetzt in dem enthalten, was bisher manifestiert worden ist. Wenn es ein Wesen gibt, das im Werden hervortritt, eine Wirklichkeit des Seins, die sich in der Zeit entrollt, dann ist das, was dieses Wesen, diese Wirklichkeit insgeheim sind, gerade das, was wir werden sollen. So liegt der Sinn unseres Lebens im Werden.

Bewußtsein und Leben müssen die Schlüsselworte für das sein, was auf diese Weise in der Zeit herausgearbeitet wird. Denn ohne sie wären die Materie und die Welt der Materie ein sinnloses Phänomen, etwas, das sich eben durch Zufall oder durch eine unbewußte Notwendigkeit ereignet hat. Aber das Bewußtsein, wie es ist, und das Leben, wie es ist, können nicht das ganze Geheimnis sein. Denn beide sind ganz deutlich etwas Unvollendetes und befinden sich noch in einem Werde-Prozeß. Bewußtsein ist in uns das Mental. Unser Mental ist aber unwissend und unvollendet, eine vermittelnde Macht. Es ist zu etwas hingewachsen, das jenseits von ihm liegt. Es wächst noch weiter. Es gab niedrigere Bewußtseins-Stufen, die ihm vorausgingen, aus denen es sich erhob.

Ganz offensichtlich muß es höhere Stufen geben, zu denen es sich erhebt. Vor unserem denkenden, rationalen, reflektierenden Mental gab es ein noch nicht denkendes, jedoch lebendiges und empfindendes Bewußtsein. Vor diesem war das Unterbewußte und das Unbewußte. Wahrscheinlich wartet nach uns oder in unserem jetzt noch unentwickelten Selbst ein höheres Bewußtsein, das aus sich selbst erhellt und nicht vom konstruierenden Denken abhängig ist: Unser unvollkommenes und unwissendes Denk-Mental ist gewiß nicht das letzte Wort des Bewußtseins, nicht seine äußerste Möglichkeit. Denn das Wesentliche am Bewußtsein ist die Macht, seines Selbsts und seiner Gegenstände innezusein. Ihrer wahren Art nach muß diese Macht unmittelbar, selbsterfüllt und vollständig sein. Wenn das Bewußtsein in uns mittelbar, unvollständig, in seinen Wirkweisen unerfüllt und von konstruierten Werkzeugen abhängig ist, so deshalb, weil es hier aus einer ursprünglichen verhüllenden Unbewußtheit hervortritt und noch mit der anfänglichen Nichtbewußtheit belastet und von ihr umhüllt ist, die dem Unbewußten angehört. Es muß aber die Macht haben, vollständig hervorzutreten. Seine Bestimmung muß sein, daß es sich in seine eigene Vollkommenheit, die seine wahre Natur ist, entwickelt. Völlig seiner Gegenstände bewußt zu sein, ist die wahre Natur des Bewußtseins. Von diesen Gegenständen ist der erste das Selbst, das Wesen, das hier sein Bewußtsein entfaltet. Alles übrige ist das, was wir als das Nicht-Selbst ansehen. Wenn aber das Sein unteilbar ist, dann muß dieses Nicht-Selbst in Wirklichkeit auch das Selbst sein. Es muß also Bestimmung des sich entwickelnden Bewußtseins sein, in seiner Bewußtheit vollkommen zu werden, seiner selbst völlig inne und all-bewußt. Dieser vollkommene und natürliche Bewußtseins-Zustand ist für uns die Überbewußtheit; er liegt jenseits von uns. Würde unser Mental plötzlich in ihn versetzt, es könnte zuerst nicht arbeiten. Zu diesem Überbewußtsein hin muß sich aber unser bewußtes Wesen entwickeln. Diese Evolution unseres Bewußtseins in die Überbewußtheit, in eine höchste Art seiner selbst, ist aber nur möglich, wenn die Unbewußtheit, die hier unsere Grundlage ist, In Wirklichkeit selbst eine involvierte Überbewußtheit ist. Denn das, was im Werden der Wirklichkeit in uns sein soll, muß hier bereits in seinen Anfängen involviert, also insgeheim vorhanden sein. Wir können sehr wohl das Unbewußte als solch ein involviertes Wesen oder als solch eine Macht auffassen, wenn wir die materielle Schöpfung der unbewußten Energie gründlich erforschen und erkennen, wie sie mit erstaunlichem Konstruieren und unendlichem Planen das Werk einer unermeßlichen involvierten Intelligenz auszugestalten sich bemüht; wenn wir ferner erkennen, daß wir selbst etwas von dieser Intelligenz sind, die aus ihrer Involution die Entwicklung eines Bewußtseins hervorbringt, dessen Hervortreten nicht unterwegs stillstehen kann, bevor nicht das Involvierte entrollt ist und sich als höchste, völlig des Selbsts und des Alls bewußte Intelligenz enthüllt. Dieser Intelligenz haben wir den Namen Supramental oder Gnosis gegeben. Denn es muß offensichtlich das Bewußtsein der Wirklichkeit, das Wesen, der Geist sein, der verborgen in uns da ist und sich hier langsam manifestiert. Wir sind die Werdenden dieses Wesens und müssen in seine Natur emporwachsen.

Wenn Bewußtsein das zentrale Geheimnis ist, dann ist Leben der äußere Hinweis auf es, die effektive Macht des Seienden in der Materie. Denn das Leben befreit das Bewußtsein. Es gibt ihm seine Form oder die Verkörperung seiner Kraft und macht es im materiellen Akt wirksam. Wenn es das höchste Ziel des sich entwickelnden Wesens bei seiner Geburt ist, daß es etwas von sich in der Materie offenbart oder bewirkt, dann ist Leben das äußere und kraftvolle Zeichen dafür; es weist auf die Offenbarung und das Bewirkte hin. Aber auch das Leben ist so, wie es jetzt ist, unvollkommen und in Entwicklung begriffen. Es entwickelt sich durch ein Wachsen von Bewußtsein, wie sich Bewußtsein durch eine höhere Organisation und Vervollkommnung des Lebens entwickelt: Ein höheres Bewußtsein bedeutet ein höheres Leben. Der Mensch, das mentale Wesen, hat deshalb unvollkommenes Leben, weil das Mental nicht die erste und höchste Macht des Bewußtseins des Wesens ist. Selbst wenn das Mental vollendet wäre, gäbe es immer noch etwas, das noch verwirklicht werden muß, noch nicht manifestiert ist. Denn was involviert ist und hervortritt, ist nicht ein Mental, sondern Geist. Und das Mental ist nicht die ursprüngliche Bewußtseins-Dynamik des Geistes. Seine ursprüngliche Dynamik ist das Supramental, das Licht der Gnosis. Wenn also Leben zu einer Manifestation des Geistes werden soll, muß es die schwere Aufgabe und Absicht der evolutionären Natur sein, in uns ein spirituelles Wesen und das göttliche Leben eines vollendeten Bewußtseins in der supramentalen oder gnostischen Macht des spirituellen Wesens zu manifestieren.

Seinem Prinzip nach ist alles spirituelle Leben ein Hineinwachsen in eine göttliche Lebensweise. Es ist schwierig, die Grenze festzulegen, wo das mentale Leben aufhört und das göttliche beginnt; denn beide projizieren sich ineinander, und während eines langen Zeitraums existieren beide miteinander vermischt. Man kann einen großen Teil dieses Zwischenbereichs – falls sich das Drängen des Geistes nicht völlig von der Erde oder der Welt abwendet – als den Prozeß ansehen, in dem ein höheres Leben ausgestaltet wird. In dem Maß, wie Mental und Leben mit dem Licht des Geistes erleuchtet werden, ziehen sie etwas an von der Göttlichkeit, der verborgenen größeren Wirklichkeit, oder reflektieren sie. Das muß zunehmen, bis dieser ganze Zwischenbereich durchquert und alles Dasein im vollen Licht und in der Macht des spirituellen Prinzips geeint ist. Damit aber das Drängen der Evolution gänzlich zur Erfüllung kommen kann, müssen diese Erleuchtung und Umwandlung das ganze Wesen, Mental, Leben und Körper, empornehmen und neu schaffen. Es darf nicht nur zu einer inneren Erfahrung des Göttlichen Wesens kommen, vielmehr sollen beide, das innere und das äußere Dasein, durch seine Macht neu geprägt werden. Es soll nicht nur im individuellen Leben Form annehmen, es soll auch ein kollektives Leben gnostischer Individuen als höchste Macht und Form des Werdens des Geistes in der Erd-Natur begründet werden. Um dies zu ermöglichen, soll die spirituelle Wesenheit in uns ihre integral gewordene Vollkommenheit nicht nur des äußeren Zustandes des Wesens, sondern auch der nach außen wirkenden Macht des Wesens entwickelt haben. Zusammen mit dieser Vervollkommnung und als eine Notwendigkeit ihres vollständigen Handelns soll sie ihre eigene Dynamik und den Werkzeugcharakter des äußeren Daseins entfaltet haben.

Zweifellos kann es ein inneres spirituelles Leben, ein Himmelreich in unserem Innern, geben, das nicht abhängig ist von irgendeiner Manifestierung oder Instrumentierung äußerer Art oder von einer Formel des äußeren Wesens. Das innere Leben ist von höchster spiritueller Bedeutung, das äußere besitzt seinen Wert nur in dem Maße, wie es den inneren Zustand zum Ausdruck bringt. Der Mensch der spirituellen Verwirklichung lebt, handelt und verhält sich bei allen Äußerungen seines Wesens und Handelns so, wie es in der Gita heißt: “Er lebt und bewegt sich in Mir.” Er ist im Göttlichen Wesen daheim; er hat das spirituelle Sein realisiert. Lebt der spirituelle Mensch in dem Empfinden des spirituellen Selbsts, in der Verwirklichung des Göttlichen Wesens in sich und überall, dann lebt er innerlich ein göttliches Leben. Dessen Widerschein fällt auf die äußeren Handlungen seines Daseins, selbst wenn diese nicht – oder scheinbar nicht – über die gewöhnliche Werkzeugverwendung menschlichen Denkens und Handelns in dieser Welt, der Erden-Natur, hinausgehen. Das ist die erste Wahrheit und das Wesentliche der Sache. Doch wäre es, vom Gesichtspunkt einer spirituellen Evolution her gesehen, nur eine individuelle Befreiung und Vervollkommnung innerhalb einer unveränderten Umgebung im Dasein. In unserer Vorstellung von Gipfelhöhe, vom göttlichen Ziel, müssen wir eine stärkere Umwandlung in der Erden-Natur selbst ins Auge fassen, eine spirituelle Umwandlung des ganzen Prinzips und Werkzeugcharakters von Leben und Handeln, sowie das Hervortreten einer neu geordneten Gemeinschaft von Menschen und eines neuen Erden-Lebens. Hier wird die gnostische Umwandlung primär bedeutsam. Man kann alles, was vorausgeht, als Aufbau und Vorbereitung für diese Umwandlung der gesamten Natur ansehen, was eine neue Mutation bedeutet. Denn das zur Erfüllung gekommene göttliche Leben auf Erden muß eine gnostische Art dynamischer Lebensweise sein. Es soll eine Lebens-Methode werden, die höhere Werkzeuge für die Welt-Erkenntnis und das Wirken in der Welt zur Dynamisierung des Bewußtseins im physischen Dasein entwickelt und die Werte einer Welt materieller Natur zu sich empornimmt und umwandelt.

Immer jedoch muß, ihrer Natur gemäß, die ganze Grundlegung des gnostischen Lebens etwas Innerliches, nichts Äußerliches sein. Im Leben des Geistes ist es der Geist, die innere Wirklichkeit, die das Mental, das vitale Wesen und den Körper zu ihrer Werkzeugverwendung aufgebaut hat und einsetzt. Denken, Fühlen und Handeln existieren nicht für sich selbst; sie sind nicht Zweck, sondern Mittel. Sie dienen dazu, die in unserem Innern manifestierte göttliche Wirklichkeit zum Ausdruck zu bringen. Andernfalls, ohne diese Innerlichkeit, ohne diese spirituelle Urheberschaft, ist ein höheres oder göttliches Leben in einem allzu veräußerlichten Bewußtsein oder allein durch äußere Mittel unmöglich. In unserem gegenwärtigen Leben in der Natur, in unserem veräußerlichten vordergründigen Dasein, scheint es so, als ob die Welt uns erschaffe. In der Umkehrung zum spirituellen Leben sind aber wir es, die wir uns selbst und unsere Welt erschaffen müssen. In dieser neuen Schöpfungs-Formel ist das innere Leben primär bedeutsam; alles übrige kann nur Ausdruck und Ergebnis sein. Gerade das wird durch unser Ringen um Vollkommenheit ausgedrückt, um Vollkommenheit unserer eigenen Seele, unseres Mentals und Lebens und um Vollkommenheit des Lebens der Menschheit. Denn wir sind in eine Welt versetzt worden, die dunkel, unwissend, materiell, unvollkommen ist. Unser äußeres bewußtes Wesen wird geschaffen durch die Kräfte, den Druck und die prägenden Einwirkungen dieser unermeßlichen stummen Finsternis, durch die physische Geburt und unsere Umgebung, sowie durch die Erziehung, die wir durch die Einflüsse und Erschütterungen des Lebens erhalten. Dennoch sind wir uns in unbestimmter Weise dessen bewußt, daß etwas in uns ist, oder zu sein sucht, das anders ist als das, was so geschaffen wurde: Geist, der aus sich selbst existiert, sich selbst bestimmt und unser Wesen drängt, ein Ebenbild seiner verborgenen Vollkommenheit oder eine Idee von Vollkommenheit zu erschaffen. Es gibt etwas in uns, das auf dieses Verlangen antwortet und immer stärker wird. Es ringt danach, das Ebenbild des göttlichen Etwas zu werden. Es wird auch getrieben, auf die Außenwelt, die ihm gegeben ist, einzuwirken und auch sie in ein höheres Ebenbild umzuformen, in ein Abbild des eigenen spirituellen, mentalen und vitalen Wachstums. Es will unsere Welt zu etwas umwandeln, das nach unserem Mental und unserem das Selbst begreifenden Geist erschaffen ist, zu etwas Neuem, Harmonischem, Vollkommenem.

Aber unser Mental ist verdunkelt, in seinen Erkenntnissen partiell, irregeleitet durch gegensätzliche, vordergründige Erscheinungen und aufgeteilt auf verschiedene Möglichkeiten. Es wird nach drei verschiedenen Richtungen hin angezogen und kann jede von ihnen bevorzugen. In seinem Suchen nach dem, was sein soll, konzentriert sich unser Mental auf unser inneres spirituelles Wachsen, auf unsere Vervollkommnung, auf unser eigenes individuelles Wesen und inneres Leben. Oder es konzentriert sich ausschließlich auf die individuelle Entwicklung unserer vordergründigen Natur, auf die Vervollkommnung unseres Denkens und unserer äußeren dynamischen oder praktischen Einwirkung auf die Welt, auf irgendeinen Idealismus unserer persönlichen Beziehung zu unserer Umwelt. Oder das Mental konzentriert sich ganz auf die äußere Welt: Es will sie besser und geeigneter machen für unsere Ideen und unser Temperament oder für unsere Auffassung von dem, was sein sollte. Auf der einen Seite fühlen wir den Ruf unseres spirituellen Wesens. Das ist unser wahres Selbst, eine transzendente Wirklichkeit, ein Wesen des Göttlichen Wesens, das nicht von der Welt erschaffen ist, das in sich selbst leben und sich aus der Welt zur Transzendenz erheben kann. Auf der anderen Seite gibt es die Forderung unserer Umwelt an uns. Sie ist eine kosmische Gestaltung, ein Ausdruck des Göttlichen Wesens, eine Macht der Wirklichkeit in Verkleidung. Dazu kommt die zerteilte oder zweifache Forderung unseres der Natur angehörenden Wesens an uns, das zwischen diesen beiden Begriffen steht, von ihnen abhängt und sie verbindet. Denn dem äußeren Anschein nach ist es von der Welt erschaffen. Und doch ist es -da sein wahrer Schöpfer in uns lebt und die Werkzeugausstattung der Welt, die es zu bilden scheint, nur das zuerst verwendete Mittel ist -in Wirklichkeit eine Form, eine verkleidete Manifestation eines größeren spirituellen Wesens in unserem Innern. Diese Forderung vermittelt zwischen jener Haltung, mit der wir ganz auf unsere innere Vollkommenheit oder unsere spirituelle Befreiung drängen, und unserem ausschließlichen Interesse an der äußeren Welt und ihrer Gestaltung. Sie drängt darauf, daß wir eine glücklichere Beziehung zwischen den beiden Tendenzen finden, und sie erschafft das Ideal eines besseren Menschen in einer besseren Welt. Jedoch müssen Wirklichkeit, Ursprung und Grundlage eines vollendeten Lebens in uns selbst gefunden werden. Keine äußere Gestaltung kann sie ersetzen: Wenn es zu dem wahren Leben kommen soll, das in der Welt und in der Natur verwirklicht ist, muß das wahre Selbst in uns selbst realisiert sein.

Bei unserem Hineinwachsen in ein göttliches Leben müssen wir zuerst nach dem Geist trachten. Es ist offensichtlich, daß nur dann eine göttliche Lebensweise nach außen hin möglich ist, wenn wir den Geist aus seinen mentalen, vitalen und physischen Verhüllungen und Verkleidungen heraus geoffenbart und in uns selbst entwickelt haben; wenn wir ihn mit Geduld, wie es die Upanishad ausdrückt, aus unserem Körper herausgezogen haben; wenn wir in uns selbst ein inneres Leben des Geistes erbauen. Zunächst ist es in der Tat mentale oder vitale Göttlichkeit, die wir wahrnehmen und sein möchten. Aber gerade dann muß das individuelle mentale Wesen oder das Wesen von Macht, vitaler Kraft und Begehren in uns zu einer Gestalt dieser Göttlichkeit heranwachsen, bevor unser Leben in jenem minderen Sinn göttlich sein kann wie das Leben des infra-spirituellen Übermenschen, des mentalen Halbgottes oder des vitalen Titanen, des Deva oder des Asura. Ist dieses innere Leben einmal erschaffen, muß es unser weiteres Anliegen sein, unser gesamtes äußeres Wesen, unser Denken, Fühlen, Handeln in der Welt, in eine vollkommene Macht dieses inneren Lebens umzuwandeln. Nur wenn wir auf jene tiefere und höhere Art in unseren dynamischen Wesensseiten leben, kann dort eine Kraft wirken, die höheres Leben erschafft. Nur so kann die Welt umgebildet werden, entweder in eine gewisse Macht oder Vollkommenheit von Mental und Leben oder in die Macht und Vollkommenheit des Geistes. Eine vollendete menschliche Welt kann nicht von Menschen erschaffen werden oder aus Menschen zusammengesetzt sein, die selbst unvollkommen sind. Auch wenn alle unsere Handlungen bis ins einzelne durch Erziehung, Gesetz oder ein soziales oder politisches System geregelt sind, kommt dabei nur eine schematische Regelung für mentale Wesen, ein modellartiges Machwerk für Leben, ein künstlich geschaffenes Verhaltensmuster heraus. Eine erzwungene Übereinstimmung dieser Art kann aber nicht den Menschen umwandeln. Sie kann ihn nicht im Innern neu erschaffen, keine vollkommene Seele, keinen vollkommenen denkenden Menschen, kein vollkommenes oder zur Vollkommenheit heranwachsendes Wesen herausmeißeln oder modellieren. Denn Seele, Mental und Leben sind Mächte des Wesens; sie können wachsen, aber sie können nicht modelliert oder künstlich hergestellt werden. Ein äußerer Prozeß oder eine äußere Gestaltung können zwar Seele, Mental und Leben helfen und sie zum Ausdruck bringen, sie können sie aber nicht erschaffen oder entwickeln. Gewiß kann man das Wachstum des Wesens unterstützen, doch nicht durch den Versuch, es künstlich herzustellen, sondern dadurch, daß man es anregt und beeinflußt oder ihm die eigenen Kräfte von Seele, Mental und Leben zur Verfügung stellt. Trotzdem muß es aus seinem Innern wachsen. Es muß von dort und nicht von außen her entscheiden, was aus diesen Kräften und Einflüssen gemacht werden soll. Das ist die erste Wahrheit, die wir im schöpferischen Eifer und Streben zu lernen haben. Sonst ist all unser Bemühen von vornherein dazu verurteilt, sich in einem erfolglosen Kreislauf zu bewegen, und das Ergebnis, in dem es endet, ein spektakuläres Versagen.

Die ganze Arbeit der Naturkraft ist darauf gerichtet, daß wir etwas sind oder etwas werden, daß wir etwas ins Wesen bringen. Erkennen, Fühlen, Handeln sind untergeordnete Energien, die ihren Wert besitzen, da sie dem Wesen bei seiner partiellen Selbst-Verwirklichung helfen, das auszudrücken, was es ist. Und sie unterstützen es auch in seinem Drang, darüber hinaus das noch nicht Realisierte auszudrücken, nämlich das, was sein soll. Es kann aber nicht das Wesentliche oder der Zweck des Lebens sein, zu erkennen, zu leben, zu denken, zu handeln, sei es religiös, ethisch, politisch, sozial, ökonomisch, utilitaristisch oder genießerisch, ob in mentaler, vitaler oder physischer Form der Daseinskonstruktion. Denn das sind nur Aktivitäten der Mächte des Wesens. Oder es sind die Mächte seines Werdens, krafterfüllte Symbole seiner selbst, Schöpfungen des verkörperten Geistes, dessen Mittel, das zu entdecken oder zu formulieren, was er zu sein sich bemüht. Das physische Mental des Menschen ist geneigt, auf eine andere Art zu sehen und die wahre Methode der Dinge auf den Kopf zu stellen. Nimmt es doch die oberflächlichen Kräfte oder Erscheinungen der Natur als das Wesentliche und Grundlegende. Was sie durch sichtbaren oder äußerlichen Prozeß schaffen, hält es für das Wesentliche ihres Wirkens. Es erkennt nicht, daß das nur eine sekundäre Erscheinung ist, die einen größeren geheimen Vorgang verdeckt. Denn der verborgene Prozeß der Natur besteht darin, daß sie das Wesen offenbart, indem sie dessen Mächte und Formen hervorbringt. Ihr äußerer Druck ist nur ein Mittel, um das involvierte Wesen aufzuwecken, damit es die Notwendigkeit der Evolution, der Gestaltung aus dem Selbst, erkennt. Sobald die Natur die spirituelle Stufe ihrer Evolution erreicht hat, muß der bisher verborgene Vorgang den ganzen Prozeß bestimmen. Nun wird es grundlegend wichtig, daß wir durch die Verhüllung der Kräfte bis zu ihrem geheimen Ursprung durchbrechen, der der Geist selbst ist. Das einzige, das getan werden muß, ist, daß wir wir selbst werden. Unser wahres Selbst ist aber das, was in unserem Innern ist. Ober unser äußeres Selbst des Körpers, Lebens und Mentals hinauszukommen, ist die Voraussetzung dafür, daß wir dieses höchste Wesen werden, das unser wahres und göttliches Wesen ist, damit wir als dieses offenbare Selbst handeln. Nur wenn wir im Innern wachsen und im Inneren leben, können wir es finden. Das endgültige Ziel, das diese Kraft der Natur uns gewiesen hat, ist, daß wir, sobald dies geschehen ist, von dorther das spirituelle oder göttliche Mental, das entsprechende Leben und den entsprechenden Körper bilden; daß wir mit diesen Werkzeugen eine Welt schaffen, die die wahre Umgebung für eine göttliche Lebensweise ist. Dies also ist die erste Notwendigkeit für uns, daß das Individuum, jeder Einzelne, den Geist, die göttliche Wirklichkeit in seinem Innern, entdeckt und in seinem ganzen Wesen und Leben zum Ausdruck bringt. Ein göttliches Leben muß zuerst und vor allem ein inneres Leben sein. Denn da das Äußere der Ausdruck dessen sein muß, was im Innern ist, kann es im äußeren Dasein keine Göttlichkeit geben, wenn es keine Vergöttlichung des inneren Wesens gibt. Das Göttliche Wesen im Menschen wohnt verhüllt in seinem spirituellen Zentrum. Für den Menschen kann es gar nicht möglich sein, über sich selbst hinauszukommen oder ein höheres Ziel seines Daseins zu verwirklichen, wenn es nicht in seinem Innern die Wirklichkeit eines ewigen Selbsts und des Geistes gibt.

Zu sein und in vollem Maße zu sein, ist die Absicht der Natur in uns. Um aber in vollem Maße zu sein, muß man seines eigenen Wesens völlig bewußt sein: Unbewußtheit, Halb-Bewußtheit oder eine mangelhafte Bewußtheit ist ein Wesenszustand, in dem wir nicht im Besitz unseres Selbsts sind. Es ist zwar Dasein, aber nicht die Fülle des Wesens. Im ganzen und vollständig unseres Selbsts und der ganzen Wahrheit unseres Wesens innezusein, ist die notwendige Voraussetzung dafür, daß wir unser Dasein wahrhaft besitzen. Dieses Selbst-Innesein ist es, was man unter spirituellem Wissen versteht. Die Essenz spirituellen Wissens ist ein inneres, aus dem Selbst seiendes Bewußtsein. Seine ganze Ausübung von Wissen, eigentlich seine Aktivität jeglicher Art muß dieses Bewußtsein sein, das sich jeweils formuliert. Alles andere Wissen ist ein Bewußtsein, das sein Selbst vergessen hat und nun danach strebt, wieder zum Bewußtsein seines Selbsts und dessen Inhalts zurückzukehren. Es ist eine Unwissenheit des Selbsts, die sich bemüht, sich wieder zurückzuverwandeln in das Wissen des Selbsts. Da aber Bewußtsein in sich die Kraft des Seins birgt, müssen wir, um in vollem Maße zu sein, die innere und integrale Kraft unseres Wesens haben. Das bedeutet, daß wir in den Besitz der vollen Kraft unseres Selbsts und all ihrer Verwendung kommen sollen. Es wäre ein nur verstümmeltes oder vermindertes Dasein, wenn wir bloß da sein würden, ohne daß wir die Kraft unseres Wesens besitzen, oder nur eine halbe oder mangelhafte Kraft von ihm hätten. Es wäre bloßes Existieren, aber nicht die Fülle unseres Wesens. Es ist sicher möglich, nur statisch zu existieren, wobei die Kraft des Wesens in sich selbst gesammelt und unbeweglich ist. Integrales Sein verlangt dagegen, daß wir sowohl in der Dynamik wie in der Statik des Wesens sind: Macht des Selbsts ist das Zeichen für die Göttlichkeit des Selbsts. Geist ohne Macht ist kein Geist. Wie das spirituelle Bewußtsein etwas Inneres und Selbst-Seiendes ist, muß aber auch diese Kraft unseres spirituellen Wesens etwas Innerstes sein, automatisch in ihrem Wirken, aus dem Selbst seiend, das Selbst zur Erfüllung bringend. Jede Werkzeugausrüstung, die es verwendet, muß ein Teil seiner selbst sein. Ja, jede äußere Instrumentation, deren sich das spirituelle Bewußtsein bedient, muß zu einem Teil seiner selbst und zu einer Ausdrucksform seines Wesens gemacht werden. Die Kraft des Wesens in einer bewußten Handlung ist Wille, Alles, was der bewußte Wille des Geistes ist, sein Wille des Wesens und des Werdens, all das muß das ganze Dasein harmonisch zur Erfüllung bringen können. Jedes Wirken, jede Energie des Wirkens, die diese Souveränität nicht besitzt oder nicht Meister des Mechanismus ihres Wirkens ist, trägt durch diesen Mangel das Zeichen der Unvollkommenheit der Wesenskraft, der Zerteilung oder behindernden Aufspaltung des Bewußtseins, der Unvollständigkeit in der Manifestation des Wesens an sich.

Letztlich soll das Bewußtsein, um vollständig zu sein, die volle Seins-Seligkeit besitzen. Wesen ohne Seins-Seligkeit, ohne volle innige Freude am eigenen Selbst und an allen Dingen ist etwas Neutrales und Herabgemindertes. Auch es ist ein Seiendes, aber nicht die Fülle des Seins. Auch diese Seligkeit soll eine innere, aus dem Selbst seiende, automatische sein. Sie darf nicht von Dingen außerhalb des Selbsts abhängen. Woran sie ihre tiefe Freude hat, das macht sie zu einem Teil ihrer selbst, sie hat ihre Lust daran als an einem Teil ihrer eigenen Universalität. Alle Un-Seligkeit, aller Schmerz und alles Leiden sind Zeichen von Unvollkommenheit, von Unvollständigkeit. Sie entstehen aus einer Zerteilung des Wesens, aus einer Unvollständigkeit des Bewußtseins des Wesens. Die göttliche Lebensweise besteht darin, daß wir vollkommen werden im Wesen, im Bewußtsein des Wesens, in der Kraft des Wesens, in der Seligkeit des Wesens und daß wir in dieser integrierten Vollständigkeit leben.

In vollem Maße zu sein, bedeutet aber weiter, daß wir allumfassend sind. Wenn wir innerhalb der Begrenzungen des kleinen beschränkten Ichs leben, existieren wir zwar auch; es ist aber eine unvollkommene Existenz. Seiner wirklichen Natur nach bedeutet es ein Leben in einem unvollständigen Bewußtsein und den Besitz einer unvollständigen Kraft und Seins-Seligkeit. Wir sind dadurch weniger, als wir selbst eigentlich sind. Das bringt unvermeidlich mit sich, der Unwissenheit, Schwäche und dem Leiden unterworfen zu sein. Selbst wenn unsere Natur durch göttliche Zusammensetzung ihrer Art diese Dinge ausschließen könnte, würden wir doch nur in einem beschränkten Horizont des Daseins, in einem eingeengten Bewußtsein und in einer begrenzten Macht und Freude am Sein leben. Alles Wesen ist ein einziges Wesen. In der Fülle leben heißt, in vollem Maße all das zu sein, was ist. So ist notwendige Voraussetzung für eine integrale göttliche Lebensweise: im Wesen aller zu sein und alle in unser eigenes Wesen einzubeziehen; des Bewußtseins aller bewußt zu sein; mit unserer Kraft in die allumfassende Kraft integriert zu sein; alles Handeln und alle Erfahrung in unserem Innern mitzutragen und als das eigene Handeln und die eigene Erfahrung zu fühlen; alle Selbste als unser eigenes Selbst zu erleben; alle Seins-Seligkeit als eigene Seins-Seligkeit zu empfinden.

Um aber so in Fülle und Freiheit unserer Universalität allumfassend sein zu können, müssen wir auch übernatürlich sein. Die spirituelle Fülle des Wesens ist Ewigkeit. Wir besitzen nicht die Wirklichkeit des Selbsts und nicht die Fülle unseres spirituellen Seins, wenn wir nicht das Bewußtsein des zeitlos ewigen Wesens haben; wenn wir vom Körper, vom verkörperten Mental oder vom verkörperten Leben abhängig sind; wenn wir abhängig sind von dieser oder jener Welt, von dieser oder jener Bedingung des Wesens. Wir sind nur ein Eintags-Geschöpf, wenn wir nur als ein Selbst des Körpers leben oder nur unser Körper sind. Dann sind wir dem Tod, dem Begehren, Schmerz und Leiden, Verfall und Dekadenz ausgeliefert. Es ist also erste Bedingung für eine göttliche Lebensweise, daß wir das Körper-Bewußtsein transzendieren, über es hinauskommen; daß wir nicht im Körper oder durch den Körper festgehalten werden; daß wir vielmehr den Körper als Werkzeug behandeln, als eine mindere äußere Gestaltung aus dem Selbst. Eine zweite Bedingung ist, daß wir nicht ein der Unwissenheit und Bewußtseins-Beschränkung unterworfenes Mental bleiben; daß wir das Mental transzendieren und als Werkzeug behandeln; daß wir es als eine äußere Gestaltung des Selbsts beherrschen. Eine dritte Bedingung ist, daß wir durch das Selbst und durch den Geist sind; daß wir nicht vom Leben abhängig sind und uns mit ihm identifizieren; daß wir das Leben transzendieren, beherrschen und als Ausdruck und Instrumentation des Selbsts verwenden. Auch das körperliche Leben besitzt nicht sein Wesen vollständig, seiner Art gemäß, wenn das Bewußtsein nicht umfassender ist als der Körper und wenn es nicht sein physisches Einssein mit allem materiellen Dasein fühlt. Auch das vitale Leben besitzt nicht seine Lebensfülle in ihrer Eigenart, wenn das Bewußtsein nicht über das begrenzte Spiel individueller Vitalität hinauskommt und das universale Leben als das ihm eigene ebenso fühlt wie sein Einssein mit allem Leben. Auch die Mentalität ist kein vollbewußtes Dasein, keine Aktivität ihrer Art, wenn man nicht über die individuellen mentalen Begrenzungen hinauskommt und das Einssein mit dem allumfassenden Mental und mit dem Mental aller Menschen fühlt und nicht seine Freude an der eigenen Bewußtseins-Vollständigkeit deshalb hat, weil sie in reicher Mannigfaltigkeit zur Erfüllung kommt. Wir sollen aber nicht nur die Formel des Geistes im Individuum, sondern auch die Formel des Universums transzendieren. Nur so können beide, das individuelle und das universale Dasein, ihr wahres Wesen und vollkommene Einstimmung finden. In ihrer äußeren Formulierung sind beides unvollständige Begriffe der Transzendenz, doch in ihrer Essenz sind sie vollständig. Nur indem das individuelle und das universale Bewußtsein dieses Wesenhaften bewußt werden, können sie zu ihrer eigenen Fülle und zur Freiheit der Wirklichkeit kommen. Sonst bleibt der Einzelne der kosmischen Bewegung und deren Reaktionen und Begrenzungen unterworfen und verfehlt dadurch seine vollkommene spirituelle Freiheit. Er muß in die höchste göttliche Wirklichkeit eingehen, er soll sein Einssein mit ihr fühlen, er soll in ihr leben, er soll ihr Geschöpf aus dem Selbst sein. Sein Mental, sein Leben und seine Körperlichkeit sollen in Begriffe ihrer Übernatur umgewandelt werden. Sein ganzes Denken, alle seine Gefühle und Handlungen sollen durch die Übernatur bestimmt werden, als deren Selbst-Gestaltung existieren. Das alles kann in ihm nur vollkommen werden, wenn er sich aus der Unwissenheit in das Wissen und durch das Wissen in das höchste Bewußtsein mit seiner Dynamik und Seins-Seligkeit entwickelt hat. Doch kann einiges Wesentliche dieser Dinge und ihre ausreichende Versorgung mit Werkzeugen schon bei der ersten spirituellen Umwandlung geschehen, was dann im Leben der gnostischen Übernatur seine höchste Entfaltung findet.

Diese Dinge sind ohne ein nach innen gerichtetes Leben unmöglich. Man kann sie nicht erlangen, wenn man im äußeren Bewußtsein verbleibt, das stets nach draußen gerichtet ist und nur oder hauptsächlich im Vordergründigen oder von dorther aktiv ist. Der individuelle Mensch muß sein Selbst, sein wahres Sein finden. Das kann er nur, wenn er nach innen geht, wenn er in seinem Innern und von dorther lebt. Denn das vordergründige, äußere Bewußtsein oder Leben, das vom inneren Geist losgetrennt ist, wird zum Feld der Unwissenheit. Es kann nur über sich selbst hinauskommen und die Unwissenheit überwinden, indem es sich für die umfassende Weite des inneren Selbsts und Lebens öffnet. Gibt es überhaupt ein Wesen der Transzendenz in uns, dann muß es dort, in unserem geheimen Selbst sein. An unserer Außenseite gibt es nur das Eintags-Wesen unserer Natur, das durch Begrenzung und Umstände gebildet wird. Wenn sich in uns ein Selbst findet, fähig zu umfassender Weite und Universalität, fähig, in ein kosmisches Bewußtsein einzutreten, muß dieses auch in unserem inneren Wesen sein. Das äußere Bewußtsein ist ein physisches Bewußtsein, das dreifach durch Mental, Leben und Körper an seine individuellen Begrenzungen gebunden ist. Jeder vom äußeren Bewußtsein her unternommene Versuch, zur Universalität zu kommen, kann nur zu einer Aufblähung des Ichs oder zu einer Selbst-Entäußerung der Persönlichkeit führen, indem diese in der Masse ausgelöscht oder der Masse unterjocht wird. Nur wenn der Einzelne innerlich wächst, von innen her bewegt wird und handelt, kann er sein Wesen frei und wirksam, allumfassend und übernatürlich machen. Für eine göttliche Lebensweise muß es zu einer Verlegung des Zentrums und unmittelbaren Ursprungs der dynamischen Wirkweisen des Wesens von außen nach innen kommen. Denn dort ist der Sitz der Seele. Jetzt ist sie ganz oder halb verhüllt, darum befindet sich unser unmittelbares Wesen und der Ursprung unseres Handelns an unserer Außenseite. Die Upanishad sagt, der Selbst-Seiende habe in den Menschen die Tore des Bewußtseins nach außen aufgestoßen. Einige wenige jedoch wendeten das Auge nach innen. Und diese seien es, die den Geist sehen und erkennen, die das spirituelle Wesen entfalten. So ist es für die Umwandlung unserer Natur und für das göttliche Leben zuerst notwendig, daß wir in unser Inneres schauen, unser Selbst sehen, in unser Inneres eingehen und in ihm leben.

Es ist eine schwierige Aufgabe, dem normalen Bewußtsein des menschlichen Wesens diese Bewegung nahezulegen, nach innen zu gehen und im Innern zu leben. Doch gibt es keinen anderen Weg, unser Selbst zu finden. Der materialistische Denker stellt einen Gegensatz auf zwischen dem Extrovertierten und dem Introvertierten. Er meint, man müsse die extrovertierte Haltung als die einzige Sicherheit akzeptieren. Nach innen gehen bedeute, man trete in eine Finsternis, eine Leere ein, oder man verliere das Gleichgewicht des Bewußtseins und werde krank. Nur von außen her werde solch inneres Leben, soweit man es konstruieren könne, entstehen. Unsere Gesundheit sei nur dadurch gesichert, daß wir uns strikt auf ihre heilenden und nährenden äußeren Quellen verlassen. Das Gleichgewicht des persönlichen Mentals und Lebens könne nur dadurch gesichert sein, daß wir uns auf die äußere Wirklichkeit stützen; denn die materielle Welt sei die einzige fundamentale Wirklichkeit. Das mag für den physischen Menschen, für den geborenen Extrovertierten zutreffen, der sich als Geschöpf der äußeren Natur fühlt. Durch sie gebildet, von ihr abhängig, würde er sich selbst verlieren, wenn er nach innen ginge. Für ihn gibt es kein inneres Wesen, kein inneres Leben. Aber auch der – nach dieser Unterscheidung – introvertierte Mensch besitzt nicht das innere Leben. Er ist kein Seher, der das wahre innere Selbst und die inneren Dinge schaut. Er ist vielmehr der kleine mentale Mensch, der nur oberflächlich in sich hineinschaut. Dort nimmt er nicht sein spirituelles Selbst, sondern sein Lebens-Ich, sein Mental-Ich wahr. Nun beschäftigt er sich in heilloser Weise mit den Regungen dieser kleinen, armseligen Zwerg-Schöpfung. Die Vorstellung oder Erfahrung innerer Finsternis ist, wenn er nach innen schaut, die erste Reaktion seiner Mentalität, die immer nur an der Oberfläche gelebt und das innere Sein nie wirklich erfahren hat. Er verfügt nur über eine konstruierte innere Erfahrung, die für die Materialien ihres Wesens von der Außenwelt abhängt. Den Menschen jedoch, in deren Wesen die Macht eines mehr verinnerlichten Lebens eingedrungen ist, bringt dieser Weg nach innen und das Leben in der Innerlichkeit nicht Finsternis oder dumpfe Leere, sondern umfassende Ausweitung. Eine neue Erfahrung bricht in ihnen auf. Es kommt zu einer größeren Schau und mehr Fähigkeit. Das geweitete Leben wird unendlich viel wahrer und vielseitiger als jenes erste kleinliche Leben, das nur um seiner selbst willen von unserem normalen physischen Menschsein konstruiert war. Die Freude des Wesens ist umfassender und reicher als jede Daseins-Lust, die der äußere vitale Mensch oder der vordergründige mentale Mensch durch ihre dynamische Vital-Kraft bzw. die Aktivität oder Subtilität und Ausweitung des mentalen Daseins erwerben kann. Das Schweigen, das Eintreten in eine weite, ja ungeheuere oder unendliche Leere ist ein Teil der inneren spirituellen Erfahrung. Vor diesem Schweigen, vor dieser Öde hat das physische Mental eine gewisse Angst. Das kleine oberflächlich aktiv denkende oder vitale Mental schreckt davor zurück oder hat eine Abneigung dagegen, denn es verwechselt das Schweigen mit mentaler oder vitaler Unfähigkeit und die Leere mit Stillstand oder Nicht-Sein. Dieses Schweigen ist aber das Schweigen des Geistes. Es ist die Voraussetzung für höheres Wissen, für mehr Macht und tiefere Freude. Durch diese Leere wird der Becher unseres natürlichen Wesens ausgeleert. Er wird von seinen trüben Inhalten befreit, so daß er mit dem Wein Gottes gefüllt werden kann. Das ist Übergang, aber nicht in das Nicht-Sein, sondern in ein höheres Sein. Selbst wenn sich das Wesen dem Stillstand zuwendet, ist das kein Ende in einem Nicht-Sein, sondern in einem unendlich weiten, unaussprechlichen Sein des spirituellen Wesens: Wir versinken in die nicht mitteilbare Überbewußtheit des Absoluten.

Tatsächlich bedeutet aber diese Hinwendung und Bewegung nach innen nicht, daß wir in unser personales Selbst eingesperrt werden. Sie ist vielmehr der erste Schritt zur Universalität. Sie vermittelt uns die Wahrheit sowohl über unser äußeres Dasein als auch über unser inneres Sein. Denn dieses innere Leben kann sich ausweiten und das universale Leben umfassen. Es kann viel realer und dynamischer mit dem Leben aller in Berührung kommen, dort eindringen und es umfassen, weit mehr als das in unserem vordergründigen Bewußtsein überhaupt möglich ist. Auch wenn wir uns an unserer Außenseite weitmöglichst allumfassend machen, ist das nur ein armseliges und hinkendes Bemühen, eine Konstruktion, ein Vorwand, nicht die wirkliche Sache: Denn in unserem vordergründigen Bewußtsein müssen wir vom Bewußtsein der anderen Menschen getrennt sein und die Fesseln des Ichs tragen. Gerade hier wird unsere Ich-Losigkeit zumeist zu einer subtilen Form von Ich-Haftigkeit und geeignet zu einer noch stärkeren Durchsetzung unseres Ichs. Selbstzufrieden mit unserer Pose von Altruismus, sehen wir nicht, daß das eine Verschleierung dessen ist, daß wir anderen Menschen, die wir in unseren ausgeweiteten Umkreis einbeziehen, unser individuelles Ich, unsere Ideen, unsere mentale und vitale Persönlichkeit und unser Bedürfnis nach Ausweitung unseres Ichs aufnötigen. Insoweit wir wahrhaft erfolgreich für andere Menschen leben, wird das durch die innere spirituelle Kraft von Liebe und Mitempfinden getan. Doch sind das Vermögen und der Wirkungsbereich dieser Kraft in uns unbedeutend. Die psychische Bewegung, die das fördert, ist unvollkommen. Ihr Wirken vollzieht sich oft unwissend, weil es hier zwar eine Berührung von Mental und Herz gibt, unser Wesen jedoch nicht das Wesen der anderen Menschen in gleicher Weise umfaßt wie unser eigenes. Äußere Einung mit anderen Menschen muß immer dazu führen, daß das Vordergründige des Lebens der einen mit dem der anderen von außen her miteinander verbunden wird. Das innere Ergebnis ist entsprechend gering. Zwar binden sich unser Mental und Herz mit ihren Regungen an das gemeinsame Leben und an die Menschen, mit denen wir hier zusammentreffen. Als Fundament bleibt aber dieses gemeinsame äußerliche Leben bestehen. Die im Innern konstruierte Einheit, oder was immer von ihr trotz gegenseitiger Unwissenheit, disharmonischem Egoismus, dem Konflikt der Mentalitäten, Herzen, vitalen Temperamente und Interessen überhaupt dauerhaft werden kann, ist nur ein partieller und ungesicherter Überbau. Das spirituelle Bewußtsein, das spirituelle Leben kehrt dieses Aufbau-Prinzip um. Es gründet sein Wirken im kollektiven Leben auf innere Erfahrung; die anderen Menschen werden in unser Wesen einbezogen. Es kommt zum inneren Empfinden und einer Wirklichkeit von Einssein. Aus diesem Empfinden von Einssein handelt der individuelle spirituelle Mensch. Das verschafft ihm die unmittelbare Erfahrung des Anspruchs, den das eine Selbst an das andere stellt. Er kennt das Bedürfnis des Lebens, was gut ist, das Werk von Liebe und Sympathie, das in Wahrheit geleistet werden kann. Nur die Verwirklichung der spirituellen Einheit, eine Kraftaufladung des innigen Bewußtseins, daß wir eins sind, daß in allen Menschen nur ein Selbst ist, kann das göttliche Leben begründen und sein Wirken durch diese Wahrheit regieren.

Im gnostischen oder göttlichen Wesen, im gnostischen Leben haben wir ein inniges und vollständiges Bewußtsein vom Selbst der anderen, ein Bewußtsein ihres Mentals, Lebens, physischen Wesens; wir fühlen sie, als ob sie unsere eigenen wären. Der gnostische Mensch handelt nicht aus einem oberflächlichen Gefühl von Liebe und Sympathie oder einem ähnlichen Empfinden, sondern aus diesem Bewußtsein enger Verbundenheit, aus diesem innigen Einssein. All sein Wirken in der Welt wird durch eine Wahrheit erleuchtet, in der er schaut, was getan werden soll. Er fühlt in sich den Willen der Göttlichen Wirklichkeit, die auch die Göttliche Wirklichkeit in den anderen Menschen ist. Er vollzieht diesen Willen für das Göttliche Wesen in den anderen Menschen und für das Göttliche Wesen in allem. So erfüllt er den wahren Zweck des Alls, wie er ihn im Licht des höchsten Bewußtseins, durch die Art und Weise und die Schritte erkennt, durch die er in der Macht der Übernatur verwirklicht werden muß. Der gnostische Mensch findet sein Selbst nicht nur in der eigenen Erfüllung, die die Erfüllung des Göttlichen Wesens und Willens in ihm darstellt, sondern auch in der Erfüllung der anderen Menschen. Seine allumfassende Individualität wirkt sich in der Bewegung aus, durch die das All in allen Menschen auf ein höheres Werden drängt. Er schaut überall ein göttliches Wirken. Sein Handeln ist alles, was von ihm zur Summe dieses göttlichen Wirkens beigetragen wird, von dem inneren Licht, dem Willen und der Kraft, die in ihm wirken. Es gibt in ihm kein sich absonderndes Ich, das selbst Urheber von irgendetwas sein will. Vielmehr bedient sich das Transzendente, das Universale seiner allumfassend gewordenen Individualität, um nach außen in die Aktion des Universums hineinzuwirken. So wie er nicht für sein separates Ich lebt, so lebt er auch nicht für die Zwecke irgendeines kollektiven Ichs. Er lebt im Göttlichen Wesen und lebt für das Göttliche Wesen, das in ihm selbst, im Kollektiv und in allen Menschen ist. Diese Universalität in Aktion, die von dem aussehenden Willen im Sinne verwirklichten Einsseins in allen organisiert wird, ist das Gesetz seiner göttlichen Lebensweise.

Wenn wir vom göttlichen Leben sprechen, meinen wir zuerst, daß dieser Drang nach individueller Vollkommenheit und nach innerer Vollendung des Wesens spirituell zur Erfüllung kommen soll. Das ist die erste wesentliche Voraussetzung für ein vollendetes Leben auf Erden. Wir tun deshalb recht daran, wenn wir die äußerstmögliche individuelle Vollkommenheit zu unserem ersten und höchsten Anliegen machen. Unser zweites wichtiges Anliegen ist die Vollkommenheit der spirituellen und pragmatischen Beziehung des Einzelnen zu allen Menschen seiner Umgebung. Die Lösung dieses zweiten Erfordernisses liegt in der vollständigen Universalität und im Einssein mit allem Leben auf Erden. Das ist das andere, damit zusammenhängende Ergebnis der Entwicklung zum gnostischen Bewußtsein und zur gnostischen Natur. Doch bleibt als drittes Erfordernis eine neue Welt, eine Umwandlung im Leben der ganzen Menschheit, zumindest ein neues vervollkommnetes kollektives Leben in der Erden-Natur. Das erfordert, daß nicht nur isoliert entwickelte Einzelwesen erscheinen, die in der unentwickelten Masse wirken, sondern viele gnostische Einzelne eine neue Art Mensch und ein neues Gemeinschaftsleben gestalten, das dem gegenwärtigen individuellen und gemeinschaftlichen Dasein überlegen ist. Ein kollektives Leben dieser Art muß sich offensichtlich nach demselben Prinzip aufbauen wie das Leben des gnostischen Einzelnen. Es gibt in unserem gegenwärtigen menschlichen Dasein eine physische Vergesellschaftung, die durch die gemeinsame physische Lebens-Tatsache und durch all das zusammengehalten wird, was aus ihr hervorgeht: eine Gemeinschaft der Interessen, eine gemeinschaftliche Zivilisation und Kultur, ein gemeinsames Sozial-Gesetz, gleichgeschaltete Mentalität, ökonomischer Zusammenschluß; und es sind die Ideale, Gefühle und Bemühungen des kollektiven Ichs, die zusammen mit den individuellen Bindungen und Verbindungen durch das ganze Gewebe hindurchgehen und helfen, es zusammenzuhalten. Andererseits wird dort, wo es in diesen Dingen Differenz, Opposition und Konflikt gibt, die praktische gegenseitige Anpassung oder ein organisierter Kompromiß durch die Notwendigkeiten des Zusammenlebens erzwungen. Eine natürliche oder eine künstliche Ordnung wird errichtet. Das ist aber nicht die gnostische, göttliche Methode des kollektiven Zusammenlebens. Denn das, was dort alle aneinander bindet und zusammenhält, ist nicht die Tatsache, daß das Leben ein einigermaßen geeintes soziales Bewußtsein schaffen soll. Vielmehr konsolidiert ein gemeinsames Bewußtsein das gemeinsame Leben. Die Menschen werden durch die Entwicklung des Wahrheits-Bewußtseins in ihnen geeint. In der veränderten Seins-Weise, die dieses Bewußtsein in ihnen zustandebringt, fühlen sie sich als die Verkörperung eines einzigen Selbsts, als die Seelen einer einzigen Wirklichkeit. Durch die grundlegende Einheit des Wissens erleuchtet und bewegt, durch ein grundlegend geeintes Wollen und Fühlen angetrieben, findet durch all das ein Leben, das die spirituelle Wahrheit ausdrückt, seine natürlichen Werdeformen. Dort ist Recht und Ordnung vorhanden, denn die Wahrheit des Einsseins erschafft ihre eigene Ordnung. Es mag ein oder mehrere Gesetze des Zusammenlebens geben, sie sind aber vom Selbst bestimmt. Sie sind Ausdruck der Wahrheit des spirituell geeinten Wesens und spirituell geeinten Lebens. Die ganze Gestaltung des gemeinsamen Daseins kommt dadurch zustande, daß die spirituellen Kräfte, die sich in solch einem Leben spontan ausarbeiten müssen, sich selbst aufbauen. Diese Kräfte werden vom inneren Wesen im Innern empfangen und in ursprünglicher Übereinstimmung von Idee, Aktion und Zweck ausgedrückt oder selbstverwirklicht.

Die mentale Methode, um Übereinstimmung sicherzustellen, besteht darin, daß die Mechanisierung vermehrt, für alles eine gemeinsame Norm aufgestellt und alles nach einem gemeinsamen Modell festgelegt wird. Das ist aber nicht das Gesetz der gnostischen Art zu leben. In ihr gibt es beachtlich freie Mannigfaltigkeiten der verschiedenen gnostischen Gemeinschaften. Jede muß auf ihre Weise das spirituelle Leben verkörpern. So bringen dann auch die Individuen einer einzelnen Gemeinschaft ihr Selbst in beachtlicher Mannigfaltigkeit zum Ausdruck. Diese freie Mannigfaltigkeit ist aber kein Chaos und schafft keinen Zwist. Denn die Mannigfaltigkeit der einen Wahrheit des Wissens und der einen Wahrheit des Lebens gründet sich auf Entsprechung und nicht auf Gegensatz. In einem gnostischen Bewußtsein ist es unmöglich, daß das Ich auf seiner persönlichen Idee beharrt, seinen persönlichen Willen und sein Eigeninteresse durchdrückt oder lautstark erzwingt. Statt dessen gibt es das vereinende Gefühl für eine gemeinsame Wahrheit in vielen Ausdrucksformen, für ein gemeinsames Selbst in Bewußtsein und Körper vieler Menschen. Dort herrscht Universalität und Formbarkeit, die den Einen schaute und in vielen Abbildungen seiner selbst ausdrückt, die das Einssein in der Mannigfaltigkeit ausarbeitet als das innewohnende Gesetz des Wahrheits-Bewußtseins und der Wahrheit seiner Natur. Eine einzige Bewußtseins-Kraft, deren alle bewußt sind und als deren Werkzeuge sie sich sehen, wirkt durch alle hindurch und bringt ihr Wirken in Einklang. Der gnostische Mensch fühlt eine einzige harmonische Kraft der Übernatur, die in allen wirkt. Er empfängt ihre Ausformung in sich selbst. Er gehorcht dem Wissen und der Macht, die sie ihm für das göttliche Werk gibt. In ihm ist aber kein Drang oder Zwang, die eigene Macht und Erkenntnis seines Innern der Macht oder Erkenntnis anderer entgegenzusetzen oder sich selbst als ein Ich im Kampf gegen das Ich anderer zu behaupten. Denn das spirituelle Selbst hat die eigene unveränderliche Freude und Fülle, die in allen Lebensumständen unverletzlich ist. Es hat die Unendlichkeit der Wahrheit seines Wesens: Stets fühlt es deren Fülle, in welcher Formulierung sie auch hervortritt. Die Wahrheit des Geistes im Innern hängt nicht von ihrer besonderen Ausdrucksform ab. Sie braucht darum auch nicht um irgendeine besondere äußere Formulierung und Selbst-Bestätigung zu kämpfen. Die Formen entstehen hier aus sich selbst gestaltet in der rechten Beziehung zu anderen Formgebungen, und zwar jede an ihrem Ort in der Gesamtgestaltung. Wenn sich die Wahrheit des gnostischen Bewußtseins und Wesens irgendwo fest durchsetzt, kann sie die Harmonie mit jeder anderen Wahrheit des Wesens in ihrer Umgebung finden. Ein spiritueller oder gnostischer Mensch fühlt seinen Einklang mit allem gnostischen Leben ringsum, welche Stellung in dem Ganzen er auch einnimmt. Je nach seinem Platz darin weiß er, wie er zu lenken oder zu regieren, aber auch, wie er sich unterzuordnen hat. In beiden findet er gleichmäßige Freude: Kann man doch die Freiheit des Geistes, weil er ewig, selbst-seiend und unveränderlich ist, ebenso im Dienen, in williger Unterordnung und Anpassung an das Selbst anderer finden, wie in Macht und Lenkung. Innere spirituelle Freiheit kann ihren Platz ebenso in der Wahrheit einer inneren spirituellen Hierarchie annehmen, wie in der mit ihr nicht unvereinbaren Wahrheit von grundsätzlich spiritueller Gleichberechtigung. In einem gemeinsamen Leben von verschiedenen Graden und Stufen des sich entwickelnden gnostischen Wesens ordnet sich die Wahrheit auf diese Weise selbst und existiert hier als eine natürliche Ordnung des Geistes. Einheit ist die Grundlage des gnostischen Bewußtseins, gegenseitige Hilfe ist das natürliche Ergebnis seines unmittelbaren Bewußtseins der Einheit in der Mannigfaltigkeit. Harmonie ist die unvermeidliche Macht, in der ihre Kraft wirkt. Einheit, Gegenseitigkeit und Harmonie müssen also das unausweichliche Gesetz eines gemeinsamen oder kollektiven gnostischen Lebens sein. Welche Formen dieses annimmt, hängt vom Willen der evolutionären Offenbarung der Übernatur ab; doch dies ist sein allgemeiner Charakter und sein Prinzip.

Dies ist der ganze Sinn, das innewohnende Gesetz und das Erforderliche beim Übergang vom rein mentalen und materiellen Wesen und Leben zum spirituellen und supramentalen Wesen und Leben, daß der Mensch die Befreiung, Vollkommenheit und Selbst-Erfüllung, nach der er in der Unwissenheit strebt, nur erlangen kann, wenn er aus seiner jetzigen Natur der Unwissenheit weitergeht in eine Natur spiritueller Selbst- und Welt-Erkenntnis. Diese höhere Natur nennen wir Übernatur, weil sie jenseits der jetzt erreichten Bewußtseins-Stufe und Begabung liegt. In Wirklichkeit ist es aber seine eigene wahre Natur. Es ist ihre Höhe und Vollkommenheit, zu der er gelangen muß, wenn er sein wahres Selbst und jede mögliche Entfaltung seines Wesens finden will. Alles was sich in der Natur ereignet, muß das Ergebnis der Natur selbst sein, die Auswirkung von etwas, was in sie einbezogen oder ihr eigen ist, als dessen unvermeidliche Frucht und Konsequenz. Ist unsere Natur nur grundlegende Unbewußtheit und Unwissenheit, die nur mit Mühe zu unvollkommener Erkenntnis, zu unvollkommener Formgebung durch Bewußtsein und Wesen gelangt, dann müssen die Ergebnisse in unserem Wesen, Leben, Handeln und Erschaffen das sein, was sie jetzt sind: eine ständige Unvollkommenheit, ein ungesichertes halbes Resultat, eine unvollkommene Mentalität, ein unvollkommenes Leben, ein unvollkommenes physisches Dasein. Wir versuchen, Systeme der Erkenntnis und Systeme des Lebens zu errichten, um dadurch zu einer gewissen Vervollkommnung unseres Daseins zu gelangen, zu einer gewissen Ordnung der rechten Beziehungen, zur rechten Verwendung des Mentals, zum rechten Gebrauch, zu Glück und Schönheit unseres Lebens, zur rechten Verwendung unseres Körpers. Was wir aber dadurch erlangen können, ist nur etwas Konstruiertes und Halb-Richtiges, vermischt mit viel Falschem, das nicht liebenswert ist und unglücklich macht. Weil in unseren immer neuen Konstruktionen der tückische Fehler steckt, weil Mental und Leben nirgendwo bei ihrem Suchen dauernde Ruhe finden können, sind sie der Zerstörung, der Dekadenz und der Auflösung ihrer Ordnung ausgesetzt. Dann gehen wir von ihnen zu anderen Konstruktionen weiter, die letztlich auch nicht erfolgreicher und dauerhafter sind, selbst wenn sie nach der einen oder anderen Seite hin reicher, erfüllter oder rational einleuchtender sein sollten. Das kann nicht anders sein, da wir nichts konstruieren können, was über unsere Natur hinausgeht. Wir sind unvollkommen, darum können wir keine Vollkommenheit konstruieren, wie wundervoll uns auch der Mechanismus, den unsere mentale Genialität erfindet, und wie erfolgreich nach außen er auch erscheinen mag. Da wir unwissend sind, können wir kein System einer völlig wahren und fruchtbringenden Erkenntnis des Selbsts und der Welt konstruieren. Unsere Wissenschaft ist selbst eine Konstruktion, eine Masse von Formeln und Erfindungen. In der Erkenntnis der Prozesse und im Erschaffen von geeigneten Maschinen ist sie meisterhaft. Sie weiß aber nichts über die Grundlagen unseres Wesens und des Wesens der Welt. Sie kann unsere Natur nicht vervollkommnen. Darum kann sie auch nicht unser Leben zu etwas Vollkommenem machen.

Unsere Natur, unser Bewußtsein gehören Menschen, die nichts voneinander wissen, die voneinander getrennt, in ihrem zerteilten Ich verwurzelt sind. Sie müssen darum ringen, eine Art von Beziehung zwischen ihren Verkörperungen der Unwissenheit herzustellen. Denn es herrschen in der Natur der Drang zur Einung und die Kräfte, die auf Einung hinwirken. So werden für Individuen und Gruppen Übereinstimmungen von relativer und bedingter Vollkommenheit geschaffen, gesellschaftlicher Zusammenschluß wird erreicht. Im allgemeinen sind aber die so gebildeten Beziehungen ständig beeinträchtigt durch unvollkommenes Mitempfinden, unvollkommenes gegenseitiges Verstehen, grobe Mißverständnisse, Streit, Zwietracht und Unglücksfälle. Das kann nicht anders sein, solange es keine wahre Einung des Bewußtseins gibt, die sich auf das Wesen der Selbst-Erkenntnis, des inneren gegenseitigen Erkennens, auf die innere Verwirklichung der Einheit, auf die Eintracht unserer inneren Wesens- und Lebens-Kräfte gründet. In unserem gesellschaftlichen Aufbau mühen wir uns darum, eine gewisse Annäherung an Einheit, Gegenseitigkeit und Gleichklang herzustellen, weil es ohne diese Dinge kein vollkommenes gesellschaftliches Zusammenleben geben kann. Was wir hier aufbauen, ist aber eine konstruierte Einheit, ein Zusammenschluß von Interessen und Egos, der durch Gesetz und Sitte erzwungen wird und allen eine konstruierte Ordnung aufnötigt, in der die Interessen der einen die der anderen überwiegen. Das gesellschaftliche Ganze hält nur eine halbakzeptierte, halb-erzwungene, halb-natürliche, halb-künstliche gegenseitige Angleichung in Gang. Von Gemeinschaft zu Gemeinschaft gibt es noch viel weniger Anpassung. Ständig kehrt der Kampf des einen kollektiven Ichs gegen das andere wieder. Das ist das Beste, was wir zustandebringen. All unsere hartnäckigen Neu-Anpassungen in der gesellschaftlichen Ordnung können uns nichts Besseres eintragen als eine unvollkommene Lebensstruktur.

Nur wenn sich unsere Natur über sich selbst hinaus entwickelt, wenn sie zu einer Natur von Selbst-Erkenntnis, gegenseitigem Verstehen, von Einheit, wahrem Wesen und wahrem Leben wird, kann es zu einer Vervollkommnung unserer selbst und unseres Daseins kommen, zu einem Leben wahren Wesens, zu einem Leben von Einheit, Gegenseitigkeit und Gleichklang, zu einem Leben wahren Glücks, zu einem harmonischen und schönen Leben. Bleibt aber unsere Natur auf das festgelegt, was sie ist und was sie bisher geworden ist, dann ist keine Vollkommenheit, kein wirkliches und dauerndes Glück im irdischen Leben möglich. Dann brauchen wir überhaupt nicht danach zu suchen und müssen das Bestmögliche aus unseren Unvollkommenheiten machen. Oder wir müssen die Vollkommenheit anderswo, in einem überirdischen Jenseits suchen. Oder wir müssen über all solches Suchen hinausgehen und das Leben überschreiten, indem wir unsere Natur und unser Ich in einem Absoluten auslöschen, aus dem dieses unser befremdendes und unbefriedigendes Wesen einst ins Dasein trat. Gibt es aber in uns ein spirituelles Wesen, das bereit ist, hervorzutreten, während unser gegenwärtiger Zustand nur ein unvollkommenes oder halbes Hervortreten bedeutet, und ist das Unbewußte ein Ausgangspunkt, der in sich die Machtfülle von Überbewußtheit und Übernatur enthält, die in der Entwicklung offenbar werden muß, und ist er nur eine Verschleierung durch die sichtbare Natur, in der jenes höhere Bewußtsein verborgen ist und aus der es sich selbst zu entfalten hat, und ist die Evolution des Wesens das eigentliche Gesetz, dann ist das, wonach wir suchen, nicht nur möglich, sondern ein Teil dessen, was schließlich in der Notwendigkeit der Dinge liegt. Es ist unsere spirituelle Bestimmung, daß wir jene Übernatur offenbaren und selbst zu ihr werden, denn sie ist die Natur unseres wahren Selbsts, unser noch verborgenes, weil unentwickeltes ganzes Wesen. Dann wird die Natur der Einheit unausweichlich als Lebens-Ergebnis Einheit, Gegenseitigkeit und Harmonie erbringen. Ein inneres Leben, das zum vollen Bewußtsein und zur umfassenden Macht des Bewußtseins erwacht ist, wird dann unvermeidlich Frucht tragen in allen Menschen, die es besitzen: Selbst-Erkenntnis, ein vollendetes Dasein, die Freude eines zufriedenen Wesens, das Glück einer erfüllten Natur.

Ursprünglich eigen ist dem gnostischen Bewußtsein und dem Werkzeugcharakter der Übernatur die Vollständigkeit von Betrachten und Handeln; die Einheit von Wissen zu Wissen; die Aussöhnung zwischen allem, was in unserer mentalen Betrachtung und Erkenntnis gegensätzlich zu sein scheint; die Identität von Wissen und Wollen, die als eine einzige Macht in vollkommenem Einklang mit der Wahrheit der Dinge wirken. Dieser angeborene Charakter der Übernatur ist die Grundlage für die vollkommene Einheit, Gegenseitigkeit und Harmonie ihres Wirkens. Im mentalen Wesen besteht ein Zwiespalt zwischen seiner konstruierten Erkenntnis und der wirklichen oder der ganzen Wahrheit der Dinge, so daß selbst das, was in ihr wahr ist, oft oder zuletzt, wirkungslos oder nur zum Teil wirkungsvoll wird. Alles, was wir hier von der Wahrheit entdecken, wird wieder umgestürzt, was wir mit Leidenschaft an Wahrheit verwirklicht haben, wird zunichte gemacht. Oft wird das Ergebnis unseres Handelns zum Teil eines Plans, der nicht in unserer Absicht lag. Oder es geschieht zu einem Zweck, dessen Rechtmäßigkeit wir nicht anerkennen können. Oder die Wahrheit der Idee wird durch das wirkliche Ergebnis ihres pragmatischen Erfolgs verfälscht. Und selbst wenn die Idee erfolgreich verwirklicht worden ist, muß ihr Erfolg früher oder später in Enttäuschung und neuem Bemühen enden, weil die Idee etwas Unvollständiges, eine isolierte Konstruktion des Mentals und losgelöst ist von der einen und ganzen Wahrheit der Dinge. Weil eine Disharmonie besteht zwischen unserer Anschauung und unseren Begriffen einerseits und der wirklichen Wahrheit und der ganzen Wahrheit der Dinge andererseits und weil unser Mental in seiner Parteilichkeit und Oberflächlichkeit täuschende Konstruktionen herstellt, werden wir so tief enttäuscht. Es herrscht aber nicht nur ein Zwiespalt zwischen der einen und der anderen Erkenntnis, sondern auch zwischen dem einen und dem anderen Willen und zwischen der Erkenntnis und dem Willen im gleichen Menschen, eine Zerteilung und Disharmonie in ihm, so daß dort, wo die Erkenntnis reif und ausreichend ist, ein gewisses Wollen im Menschen ihr Widerstand leistet oder der Wille ihr gegenüber versagt. Wo aber der Wille mächtig, stürmisch oder fest und kraftvoll wirkt, fehlt es an der Erkenntnis, die ihn zu seiner rechten Verwendung lenkt. Alle Arten von Unausgeglichenheit, falscher Anpassung, Unvollständigkeit unserer Erkenntnis, unseres Wollens oder Vermögens, unserer ausführenden Kraft oder deren Handhabung greifen ständig in unser Handeln, in seine Auswirkung in unserem Leben ein. Sie sind eine überreiche Quelle von Unvollkommenheit oder Untüchtigkeit. Diese Unordnungen, Mängel, Disharmonien sind normal für Zustand und Energie der Unwissenheit. Sie können nur durch ein Licht beseitigt werden, das größer ist als das der Mental-Natur oder das der Lebens-Natur. Der ursprüngliche Charakter alles gnostischen Betrachtens und Wirkens sind Identität, authentische Einheit und Harmonie von Wahrheit zu Wahrheit. Sobald das Mental in die Gnosis emporwächst, sobald unser mentales Betrachten und Handeln in das gnostische Licht emporgehoben oder von ihm besucht und beherrscht wird, beginnt es, an diesem Charakter teilzuhaben. Selbst wenn es noch beschränkt und begrenzt ist, muß es viel vollkommener und innerhalb dieser Grenzen leistungsfähiger werden: Immer mehr vermindern sich die Ursachen unserer Unfähigkeit und unseres Versagens; schließlich verschwinden sie. Es wird aber auch ein umfassenderes Dasein mit seinen Machtvollkommenheiten aus einem höheren Bewußtsein und einer größeren Kraft in unser Mental eindringen; sie werden neue Mächte des Wesens zum Vorschein bringen. Wissen ist eine Macht und ein Akt des Bewußtseins. Wille ist bewußte Macht und bewußter Akt der Kraft des Wesens. Im gnostischen Menschen erlangen beide eine Größenordnung höherer Art, als wir jetzt irgendwie an ihnen kennen, einen höheren Grad ihrer selbst und eine reichere Versorgung mit Werkzeugen. Denn überall, wo es einen Zuwachs an Bewußtsein gibt, vermehrt sich auch die potentielle und die aktuelle Macht des Daseins.

In der irdischen Formulierung von Wissen und Macht wird diese Entsprechung nicht voll ersichtlich, weil hier das Bewußtsein selbst in der ursprünglichen Unbewußtheit verborgen ist. Darum sind seine natürliche Stärke und der Rhythmus seiner Mächte bei ihrem Erscheinen herabgemindert und durch die Disharmonien und Verhüllungen der Unwissenheit verwirrt. Das Unbewußte ist hier die ursprüngliche, machtvolle und automatisch wirksame Kraft. Das bewußte Mental ist nur ein kleiner, mühevoll arbeitender Agent. Der Grund dafür ist, daß das bewußte Mental in uns nur einen begrenzten Aktionsradius hat, das Unbewußte hingegen die ungeheuer starke Aktion eines universalen verborgenen Bewußtseins ist: Die kosmische Kraft, als materielle Energie verkleidet, verbirgt durch die aufdringliche Materialität ihres Verfahrens vor uns die geheime Tatsache, daß das Wirken des Unbewußten in Wirklichkeit der Ausdruck eines unermeßlichen, allumfassenden Lebens ist, ein verhülltes universales Mental, eine getarnte Gnosis. Besäße sie nicht diese ihre ursprünglichen Mächte, sie könnte keine Macht zum Handeln, keinen sie ordnenden Zusammenhang haben. Es hat auch den Anschein, als ob die Lebens-Kraft in der materiellen Welt dynamischer und wirksamer sei als das Mental. Unser Mental ist nur in seiner Idee und Erkenntnis frei und uneingeschränkt mächtig: Seine Aktionskraft, seine Macht, außerhalb des mentalen Gebiets effektiv zu wirken, ist gezwungen, mit dem Leben und mit der Materie als ihren Werkzeugen zu arbeiten. Unter den unserem Mental durch das Leben und die Materie aufgezwungenen Bedingungen wird sie behindert und nur halb wirksam. Dabei sehen wir aber auch, daß die Natur-Kraft im mentalen Menschen viel machtvoller bei seinem Umgang mit sich selbst, mit dem Leben und der Materie ist, als die Natur-Kraft im Tier. Die größere Kraft von Bewußtsein und Wissen, die hervorgetretene höhere Kraft von Wesen und Willen begründen diese Überlegenheit. Im menschlichen Leben selbst scheint der vitale Mensch wegen der Überlegenheit an kinetischer Lebens-Kraft eine stärkere Dynamik in seinem Handeln zu haben als der mentale Mensch: Der intellektuelle Mensch neigt dazu, im Denken tüchtig zu sein, aber untüchtig in seiner Macht über die Welt, während der bewegliche vitale Aktions-Mensch das Leben beherrscht. Aber gerade seine Verwendung des Mentals befähigt ihn, zu einer vollen Ausnutzung dieser Überlegenheit zu gelangen. Schließlich wird der mentale Mensch durch seine Macht der Erkenntnis, durch seine Wissenschaft befähigt, die Bemeisterung seines Daseins weit über das hinaus auszudehnen, was das Leben in der Materie durch seine Funktionen oder was der vitale Mensch mit seiner Lebens-Kraft und seinem Lebens-Instinkt ohne diesen Zuwachs an effektivem Wissen fertigbringen kann. Eine unermeßlich größere Macht über das Dasein und über die Natur muß kommen, wenn ein noch höheres Bewußtsein hervortritt und die behinderten Maßnahmen der mentalen Energie in unserer zu stark individualisierten und begrenzten Daseins-Kraft ersetzt.

Auch inmitten unserer höchsten mentalen Meisterschaft gegenüber dem Selbst und den Dingen verbleibt doch eine gewisse grundsätzliche Abhängigkeit des Mentals vom Leben und von der Materie. Das Mental erkennt seine Unterlegenheit an. Es weiß sich unfähig, das mentale Gesetz unmittelbar durchzusetzen und durch mentale Mächte die verständnislosen Gesetze und Funktionen dieser untergeordneten Kräfte des Wesens umzuwandeln. Diese Begrenzung ist aber nicht unüberwindlich. Die Vertiefung in die geheimen Erkenntnisse zeigt uns – und eine dynamische Kraft spirituellen Wissens erbringt uns dasselbe Zeugnis –, daß diese Unterwerfung des Mentals unter die Materie, des Geistes unter ein minderes Gesetz des Lebens, nicht das ist, was es zuerst zu sein scheint: Es ist kein grundlegender Zustand in den Dingen, kein unverletzliches und unveränderliches Gesetz der Natur. Die größte, bedeutungsvollste natürliche Entdeckung, die der Mensch machen kann, ist, daß das Mental und noch mehr die Kraft des Geistes über Leben und Materie siegreich bleiben und sie beherrschen können. Das ist durch viele erprobte und noch nicht erprobte Wege nach allen Richtungen hin bewiesen, – und zwar durch ihre eigene Natur und unmittelbare Macht, nicht nur durch Erfindungen und Apparaturen, wie die von den Naturwissenschaften entdeckten überlegenen materiellen Werkzeuge. In der Evolution der gnostischen Übernatur kommt diese unmittelbare Macht des Bewußtseins, diese direkte Einwirkung der Kraft des Wesens, seine freie Meisterschaft und Kontrolle über Leben und Materie zu ihrer höchsten Entfaltung und erreicht ihren Gipfel. Denn das höhere Wissen des gnostischen Menschen ist in der Hauptsache nicht von außen erworbenes und erlerntes Wissen, sondern das Ergebnis einer Entwicklung des Bewußtseins und der Kraft des Bewußtseins. Es ist eine neue Dynamisierung des Menschen. Als Folge davon wird er wach für viele Dinge, die jenseits von dem liegen, was er bisher erlangt hatte, und besitzt sie nun: eine klare und vollständige Erkenntnis seines Selbsts, unmittelbare Kenntnis der anderen, unmittelbares Wissen von verborgenen Kräften, unmittelbare Einsicht in den geheimen Mechanismus von Mental, Leben und Materie. Dieses neue Wissen und das Handeln aus diesem Wissen gründet in einem unmittelbaren intuitiven Bewußtsein der Dinge und einer unmittelbaren intuitiven Macht über sie. Eine aktiv wirksame Innenschau, die für uns jetzt etwas Übernormales ist, wird zum normalen Arbeitsstil dieses Bewußtseins. Ein integraler gesicherter Erfolg sowohl im Ganzen des Handelns wie in seinen Einzelheiten ist das Ergebnis dieser Umwandlung. Denn der gnostische Mensch steht im Einklang und in Übereinstimmung mit der Bewußtseins-Kraft, die allem zugrundeliegt: Die supramentale Real-Idee, die sich selbst durchsetzende Wahrheits-Kraft, verwendet sein Schauen und seinen Willen als ihren Kanal. So wird sein Handeln zu einer freien Offenbarung der Macht und der Wirkweisen der Ursprungs-Kraft des Seins, der Kraft eines alles bestimmenden bewußten Geistes, dessen Formulierungen von Bewußtsein sich unfehlbar in Mental, Leben und Materie auswirken. Wenn so der gnostische Mensch in seiner Entwicklung im Licht und in der Macht des supramentalen Wissens handelt, wird er immer mehr zum Meister über sich selbst, zum Herrn über die Kräfte des Bewußtseins, zum Beherrscher der Energien der Natur und verfügt nun souverän über alle seine Instrumente von Leben und Materie. In seinem niedrigeren Zustand, auf den Zwischenstufen oder in den Mittelformen der sich entwickelnden gnostischen Natur, ist diese Macht noch nicht in ihrer Fülle gegenwärtig, wenn auch in einem gewissen Grad ihrer Wirkungen schon aktiv vorhanden. Sie ist in ihren Anfängen da und wächst mit dem Aufstieg auf ihrer Stufenleiter. Sie ist die natürliche Begleiterin des Wachstums von Bewußtsein und Wissen.

Eine neue Macht und neue Mächte des Bewußtseins werden also unvermeidlich die Folge einer Entwicklung der Bewußtseins-Kraft sein, die über das Mental hinaus zu einem höheren Prinzip der Erkenntnis und Dynamik ansteigt. Ihrer wesenhaften Natur nach müssen diese neuen Mächte charakterisiert sein durch die Herrschaft des Mentals über Leben und Materie, des bewußten Lebens-Willens und der Lebens-Kraft über die Materie, des Geistes über Mental, Leben und Materie. Bezeichnend für sie ist aber auch, daß sie die Schranken zwischen Seele und Seele, Mental und Mental, Leben und Leben niederbrechen. Eine solche Umwandlung ist für den Werkzeugcharakter des gnostischen Lebens unerläßlich. Denn eine vollständige gnostische oder göttliche Lebensweise umfaßt nicht nur das individuelle Leben des Menschen, sondern auch das Leben anderer, die mit diesem Einzelnen in einem gemeinsamen, sie vereinenden Bewußtsein eins geworden sind. Solch ein Leben muß als die hauptsächliche, es bildende Macht unwillkürliche und angeborene Einheit und Übereinstimmung besitzen, die nicht künstlich gemacht sind. Das kann nur Zustandekommen, wenn in den Einzelnen eine größere Identität von Wesen und Bewußtsein da ist. Sie sind geeint in ihrer spirituellen Substanz. Sie fühlen sich als Selbste eines einzigen Selbst-Seins. Sie handeln in einer mehr einenden Kraft von Wissen, in einer höheren Macht des Wesens. Es muß zu einer inneren, unmittelbaren gegenseitigen Kenntnis kommen, die sich auf ein Bewußtsein von Einssein und Identität gründet. Man wird sich des beiderseitigen Wissens, Denkens und Fühlens, der inneren und äußeren Bewegungen bewußt. Es kommt zur bewußten Kommunikation von Mental und Mental, zwischen den Herzen. So wirkt bewußt das eine Leben auf das andere ein. Bewußter Austausch zwischen den Kräften des einen Menschen und denen des anderen wird möglich. Fehlen aber einige dieser Mächte und ihr intensives Leuchten oder sind sie mangelhaft, kann es nicht zu einer wirklichen, vollständigen Einung kommen, scheidet aus, daß sich Wesen, Denken, Fühlen sowie die inneren und äußeren Bewegungen jedes Einzelnen genau in die der Individuen seiner Umgebung wirklich und ganz einpassen. So wird das sich weiter entwickelnde Leben dadurch geprägt sein, daß das Fundament und der Aufbau bewußter Einmütigkeit der Seelen – wie man das nennen könnte -wachsen.

Die natürliche Ordnung des Geistes ist Harmonie. Sie ist das innewohnenden Gesetz und die spontane Folge der Einheit in Vielfalt, der Einheit in Verschiedenheit, einer Manifestation in vielen Variationen des Einsseins. In einer reinen und leeren Einheit kann es gewiß keinen Raum für Harmonie geben; denn hier gibt es nichts, was in Einklang zu bringen wäre. In völliger oder überwiegender Mannigfaltigkeit muß es entweder Gegensätze geben, oder man schaltet die Unterschiede in einer künstlich hergestellten Übereinstimmung einander gleich. In der gnostischen Einheit in Vielfalt ist jedoch die Harmonie als spontaner Ausdruck der Einheit da. Dieser spontane Ausdruck setzt Gegenseitigkeit des Bewußtseins voraus: Man ist des anderen Bewußtseins durch unmittelbaren inneren Kontakt und Austausch inne. Im Leben unterhalb der Vernunft wird die Harmonie durch instinktives Einssein von Natur aus durch Einheit im Zusammenwirken der Naturen hergestellt. Es besteht eine instinktive Kommunikation, eine instinktive oder unmittelbare Verständigung durch vital-intuitive Sinne, durch die die Einzelnen einer Tier- oder Insekten-Gemeinschaft miteinander verkehren können. Im menschlichen Leben wird das durch Verständigung mittels der Sinnen-Erkenntnis, der mentalen Wahrnehmung, der Mitteilung von Ideen durch die Rede ersetzt. Doch sind die verwendbaren Mittel unvollkommen, Harmonie und Zusammenarbeit unvollständig. Im gnostischen Leben, einem Leben der Übervernunft und Übernatur, ist die tief und weit reichende Wurzel des gegenseitigen Verstehens eine des Selbsts bewußte spirituelle Einheit des Wesens, eine spirituell bewußte Gemeinschaft und ein Austausch zwischen den Naturen. Dieses höhere Leben hat neue und überlegene Mittel und Mächte entwickelt, die im Innern das eine Bewußtsein mit dem anderen Bewußtsein einen. Der natürliche grundlegende Werkzeugcharakter dieses höheren Lebens liegt in der unmittelbaren Innigkeit, mit der ein Bewußtsein mit einem anderen Bewußtsein, Gedanke mit Gedanke, Vision mit Vision, Sinne mit Sinnen, Leben mit Leben, Körper-Bewußtsein mit Körper-Bewußtsein zuinnerst und unmittelbar kommunizieren. Alle diese neuen Mächte nehmen die alten äußeren Werkzeuge zu sich empor und verwenden sie – als untergeordnete Mittel – mit weit größerer Macht und zu umfassenderem Zweck. Sie stellen sie in den Dienst des Geistes, der sich selbst in einer tiefen Einheit von Wesen und Leben ausdrückt.

Nun erkennt das moderne Mental eine Entwicklung angeborener und latenter und dennoch nicht entfalteter Mächte des Bewußtseins nicht als vertretbar an, weil diese über unsere gegenwärtige Darstellung der Natur hinausgehen. Unseren unwissenden, voreingenommenen Auffassungen, deren Grundlage eine begrenzte Erfahrung ist, scheinen sie zum Übernatürlichen, Wundersamen, Geheimen zu gehören. Gehen sie doch über das bekannte Wirken der materiellen Energie hinaus, das man bisher gewöhnlich für die einzige Ursache und Eigenschaft der Dinge und für die einzige Werkzeugausrüstung der Welt-Kraft gehalten hat. Man akzeptiert jedoch als natürliche Tatsache, daß der bewußte Mensch Wunder wirken kann, der eine Apparatur von materiellen Kräften entdeckt und entwickelt, die über all das hinausgehen, was die Natur selbst organisiert hat, und dadurch unserem Dasein fast unbegrenzte Zukunftsaussichten eröffnet. Trotzdem wird behauptet, es sei unmöglich, daß der Mensch Bewußtseins-Mächte und spirituelle, mentale und vitale Kräfte erwecken, entdecken und als Werkzeuge verwenden könne, die über all das hinausgehen, was die Natur oder der Mensch bisher organisiert hat. In solch einer Entwicklung liegt aber nichts Übernatürliches oder Wundersames, es sei denn, insofern sie ebenso für uns eine Übernatur oder eine höhere Natur ist wie die menschliche Natur gegenüber der des Tiers, der Pflanze oder materieller Gegenstände. Unser Mental und seine Mächte, unsere Verwendung der Vernunft, unsere mentale Eingebung und Einsicht, die Sprache, die Möglichkeiten der philosophischen, wissenschaftlichen und ästhetischen Entdeckung der Wahrheiten und Entfaltungsmöglichkeiten des Wesens und die Herrschaft über seine Kräfte, – das alles ist eine Entwicklung, die stattgefunden hat. Sie würde aber als ganz unmöglich erscheinen, wenn wir uns auf den Standpunkt des begrenzten Tier-Bewußtseins und seiner Fähigkeiten stellen würden. Denn dort ist nichts, was einen so großartigen Fortschritt garantieren könnte. Dennoch gibt es auch im Tier vage anfängliche Manifestationen, rudimentäre Elemente oder steckengebliebene Möglichkeiten, zu denen sich unsere Vernunft und Intelligenz mit ihren außerordentlichen Entwicklungen verhalten wie eine unvorstellbar erfolgreiche Reise, die man von einem armen und verheißungslosen Ausgangspunkt aus begann. Die Rudimente der spirituellen Mächte, die zur gnostischen Übernatur gehören, sind in ähnlicher Weise gerade hier in unserer gewöhnlichen Kräfte-Zusammensetzung aktiv, doch erscheinen sie nur gelegentlich und selten. So ist die Annahme nicht unvernünftig, daß auf dieser viel höheren Stufe der Evolution ein ähnlicher, doch größerer Fortschritt, von diesen rudimentären Anfängen ausgehend, zu einer weiteren unermeßlichen Entfaltung und einem neuen Weg in die Zukunft führen kann.

In der Erfahrung der Mystiker weiß man, daß sich neue Mächte des Bewußtseins entwickeln, sei es sobald sich die inneren Zentren öffnen, sei es auf andere Weise, spontan oder durch eigenes Wollen und Bemühen oder entsprechend dem Verlauf des spirituellen Wachstums. Sie treten hervor, als seien sie das automatische Ergebnis einer inneren Öffnung, oder sie kommen als Antwort auf einen Anruf im Wesen. Aus diesem Grund hat man es für nötig gehalten, dem Suchenden zu empfehlen, diesen Mächten nicht nachzujagen, sie gar nicht anzunehmen und zu verwenden. Solche Zurückweisung ist für Menschen folgerichtig, die sich aus dem Leben zurückziehen wollen. Denn jede Annahme größerer Macht bindet sie an das Leben und ist eine Belastung ihres bloßen und reinen Dranges nach Befreiung. Für den Gott-Liebenden ist es natürlich, daß er allen anderen Zwecken und Zielen gleichgültig gegenübersteht, da er ja Gott um Seiner Selbst willen sucht. Er will weder Macht gewinnen noch anderen niederen Attraktionen folgen. Diesen verführerischen, oft gefährlichen Kräften nachzustreben, ist ein Abweichen von seinem Ziel. Eine ähnliche Zurückweisung ist für den unreifen Suchenden notwendige Selbst-Beschränkung und spirituelle Selbstzucht, da solche Mächte eine große, ja eine tödliche Gefahr sein können. Denn ihre übernormale Art mag leicht in ihm eine abnorme Vergrößerung seiner Ichhaftigkeit nähren. Ein nach der Vollkommenheit strebender Mensch mag sich vor der Macht an sich hüten, weil Macht ebenso erniedrigen wie erhöhen kann; nichts kann mehr mißbraucht werden als sie. Diese Einschränkung wird aber ungültig, wenn neue Fähigkeiten als ein unvermeidliches Ergebnis unseres Hineinwachsens in ein höheres Bewußtsein und in ein größeres Leben auftreten und wenn dieses Wachsen Teil des wahren Ziels des spirituellen Wesens in uns ist. Denn ohne eine höhere Bewußtseins-Macht, eine größere Macht für das Leben und die spontane Entwicklung der nötigen Werkzeuge, die für die Erkenntnis und Kraft jener Übernatur normal sind, kann das Wesen nicht in die Übernatur emporwachsen, kann sein Leben nicht in der Übernatur verlaufen und in ihr vollkommen werden. In dieser zukünftigen Entwicklung des Wesens gibt es nichts, was man als unvernünftig oder unglaublich ansehen könnte. Das ist der notwendige Verlauf der Evolution des Bewußtseins und seiner Kräfte beim Übergang von der mentalen zur gnostischen oder supramentalen Formgebung unseres Daseins. Diese Wirkweise der Kräfte der Übernatur sind nur ein natürliches, normales und spontan einfaches Betätigen des neuen höheren oder größeren Bewußtseins, in das der Mensch im Laufe seiner Selbst-Entwicklung weitergeht. Der gnostische Mensch, der das gnostische Leben annimmt, entwickelt und verwendet die Mächte dieses größeren Bewußtseins ebenso, wie der Mensch die Mächte seiner mentalen Natur entwickelt und verwendet.

Offenkundig ist eine solche Vermehrung der Macht oder der Mächte des Bewußtseins nicht nur normal, sondern auch für ein höheres und vollkommeneres Leben unentbehrlich. Soweit im menschlichen Leben eine teilweise Harmonie nicht nur durch ein festgelegtes Gesetz oder eine Ordnung aufrechterhalten wird, die den Individuen, die die Gemeinschaft bilden, teils zur freien Annahme überlassen, zum Teil aufgedrängt, zum Teil aufgezwungen oder unausweichlich aufgenötigt wird, beruht diese Harmonie auf der Zustimmung der erleuchteten oder interessierten Elemente in ihrem Mental, Herz und Lebens-Empfinden. Es ist die Zustimmung zu einer aus gemeinsamen Ideen, Wünschen, vitalen Befriedigungen, Daseinszielen zusammengesetzten mentalen Verkörperung. Doch ist in der Masse derer, die die Gemeinschaft bilden, nur ein unvollständiges Verstehen und Wissen von den Ideen, Lebenszielen, Lebensmotiven, die sie angenommen haben. Unvollkommen ist auch ihre Macht, sie auszuführen, und unvollkommen ihr Wille, sie stets uneingeschränkt aufrechtzuerhalten, sie voll auszuführen oder das Leben zu einer höheren Vollkommenheit zu bringen. Darum herrscht hier ein Element von Kampf und Zwietracht, vieles an unterdrückten oder enttäuschten Wünschen und frustriertem Wollen; ein brodelndes verdrängtes Unbehagen oder eine erwachte explosive Unzufriedenheit über ungleich erfüllte Interessen. Neue Ideen und Lebens-Motive drängen heran und können nicht ohne Aufruhr und Unruhe eingeordnet werden. In den menschlichen Wesen und ihrer Umgebung wirken Lebens-Kräfte, die im Gegensatz stehen zu der Harmonie, die konstruiert worden war. Noch ist nicht die volle Macht da, den Zwist und die Veränderungen der Verhältnisse zu überwinden, die durch den Zusammenprall der mannigfaltigen Kräfte in Mental und Leben und durch den Angriff der zersetzenden Kräfte in der allumfassenden Natur geschaffen werden. Es fehlt an spirituellem Wissen und an spiritueller Macht, einer Macht aus dem Selbst, einer aus der inneren Einung mit den anderen Menschen geborenen Macht, einer Macht über die uns umgebenden und in uns eindringenden Welt-Kräfte, und einer aus umfassender Schau kommenden und voll ausgerüsteten Macht, das Wissen wirksam zu machen. Diese Fähigkeiten, die zur eigentlichen Substanz des gnostischen Wesens gehören, fehlen in uns oder sind nur mangelhaft, doch sind sie ursprünglich im Licht und in der Dynamik der gnostischen Natur enthalten.

Neben der unvollkommenen gegenseitigen Anpassung von Mental, Herz und Leben jener Individuen, die eine menschliche Gemeinschaft bilden, werden aber auch Mental und Leben des einzelnen Menschen selbst von Kräften angetrieben, die miteinander nicht in Einklang stehen.

Unsere Versuche, sie in Übereinstimmung zu bringen, sind unvollkommen. Noch unvollkommener ist unsere Kraft, irgendeine von ihnen zu einer integralen, befriedigenden Betätigung im Leben einzusetzen. So ist das Gesetz von Liebe und Sympathie für unser Bewußtsein etwas Natürliches. Wenn wir geistig wachsen, nimmt auch seine Forderung an uns zu. Da ist aber in uns auch das Verlangen des Intellekts, der Druck der vitalen Kraft mit ihren Antrieben, der Anspruch und das Drängen von vielen anderen Elementen, die nicht mit dem Gesetz von Liebe und Sympathie übereinstimmen. Wir wissen nicht, wie wir sie alle in das Gesetz unseres Daseins einpassen oder eine von ihnen oder alle richtig und voll wirksam oder zwingend machen sollen. Damit wir sie im ganzen Wesen und im ganzen Leben übereinstimmend und aktiv fruchtbar machen können, müssen wir selbst in eine vollständigere spirituelle Natur emporwachsen. Durch dieses Wachsen sollen wir im Licht und in der Kraft eines höheren, umfassenderen und vollständigeren Bewußtseins leben, in dem Wissen und Macht, Liebe und Sympathie sowie das Spiel des Lebens-Willens die natürlichen und immer gegenwärtigen anerkannten Elemente sind. Wir sollen uns bewegen und handeln im Licht der Wahrheit, das intuitiv und spontan die Sache, die getan werden soll, zugleich mit der Art ihrer Ausführung sieht und sich intuitiv und spontan im Handeln und in der Kraft zur Erfüllung bringt, – indem es die Fülle unserer Wesens-Kräfte in diese intuitive Spontaneität seiner Wahrheit und in deren einfache und normale höchste Art empornimmt und alle Schritte der Natur mit ihren in Einklang gebrachten Wirklichkeiten durchdringt.

Es dürfte klar sein, daß diese Fülle nicht dadurch in Einklang oder Übereinstimmung gebracht werden kann, daß man die Teile rational zusammenfügt oder mentale Konstruktionen erfindet. Es kann das nur Eingebung und Selbst-Erkenntnis des erwachten Geistes tun. Von solcher Art ist die Natur des entwickelten supramentalen Menschen und sein Dasein. Sein spirituelles Schauen und seine Sinne nehmen in sein einendes Bewußtsein alle Kräfte des Wesens empor und erheben sie in die Normalität eines einträchtigen Zusammenwirkens. Denn dieser Einklang und diese Eintracht sind die wahre Richtschnur des Geistes. Zwietracht und Disharmonie unseres Lebens und unserer Natur sind für diesen abnorm, wenn auch für das Leben der Unwissenheit das Normale. Gerade weil sie für den Geist nicht normal sind, bleibt ein Wissen in unserem Innern unbefriedigt und ringt um eine höhere Harmonie in unserem Dasein. Dieser Zusammenklang und diese Eintracht des ganzen Wesens, die für den gnostischen Einzelnen natürlich ist, soll in gleicher Weise auch etwas Natürliches für eine Gemeinschaft gnostischer Menschen sein. Denn sie ruht auf einer Einung von Selbst mit Selbst im Licht einer gemeinsamen und gegenseitigen Bewußtheit des Selbsts. Es ist richtig, daß innerhalb des totalen irdischen Daseins, von dem das gnostische Leben ein Teil ist, immer noch ein Leben weitergeht, das einer weniger entwickelten Ordnung angehört. Das intuitive und gnostische Leben muß sich in dieses totale Dasein einpassen und in es soviel wie möglich von seinem Gesetz der Einheit und Harmonie hineinbringen. Es könnte so aussehen, als ob hier das Gesetz einer spontanen Harmonie unanwendbar sei, weil die Beziehung des gnostischen Lebens zu dem unwissenden Leben seiner Umgebung nicht auf die Gegenseitigkeit der Erkenntnis des Selbsts und auf das Empfinden des einen Wesens und des gemeinsamen Bewußtseins gegründet ist. Das wäre mithin die Beziehung eines Wirkens aus dem Wissen zu einem Wirken aus der Unwissenheit. Diese Schwierigkeit braucht aber nicht so groß zu sein, wie sie uns jetzt erscheint. Denn zum gnostischen Wissen gehört, daß es in sich ein vollkommenes Verständnis für das Bewußtsein der Unwissenheit besitzt. Darum ist es für ein gesichertes gnostisches Leben nicht unmöglich, sein Dasein mit dem jedes weniger entwickelten Lebens in Einklang zu bringen, das mit ihm zusammen in der Erden-Natur existiert.

Wenn das unsere Bestimmung in der Evolution ist, bleibt uns zu erkennen, wo wir in dieser kritischen Wende des evolutionären Fortschritts stehen – eines Fortschritts, der eher in Kreisen und Spiralen als in einer geraden Linie verlief, der sich zumindest in einer Zickzack-Kurve vorwärtsbewegte – und ob in naher oder absehbarer Zukunft Aussicht auf eine Wendung zu einem entscheidenden Schritt besteht. In unserem menschlichen Verlangen nach personaler Vollkommenheit und nach der Vollkommenheit des Lebens der Menschheit werfen die Elemente der künftigen Evolution ihren Schatten voraus. Wir ringen danach, tun das aber in der Verwirrung einer nur halb-erleuchteten Erkenntnis. Es gibt eine Disharmonie zwischen den notwendigen Elementen, eine Betonung des Gegensätzlichen, einen Überfluß an rudimentären, unbefriedigenden und schlecht einander angepaßten Lösungen. Diese schwanken hin und her zwischen den drei bevorzugten Lösungen unseres Idealismus: vollständige und einzige Entfaltung des Wesens des Menschen für sich selbst, die Vervollkommnung des Individuums; volle Entfaltung des kollektiven Wesens, Vervollkommnung der Gesellschaft; schließlich, pragmatisch mehr begrenzt, die vollkommenen oder bestmöglichen Beziehungen des Einzelnen zum Einzelnen und zur Gesellschaft und von Gemeinschaft zu Gemeinschaft. Manchmal wird ausschließlich oder vorherrschend Gewicht auf das Individuum gelegt, manchmal auf das Kollektiv oder die Gesellschaft, manchmal auf die richtige und ausgewogene Beziehung zwischen Individuum und kollektivem Ganzen der Menschheit. Die eine Idee hält das Wachsen von Leben, Freiheit und Vollkommenheit des menschlichen Individuums für das wahre Ziel unseres Daseins. Das Ideal kann entweder nur freier Selbst-Ausdruck des persönlichen Wesens sein oder ein vom Selbst beherrschtes Ganzes des völlig entfalteten Mentals, des verfeinerten reichen Lebens und des vollkommenen Körpers oder die spirituelle Vollkommenheit und Befreiung. Unter diesem Gesichtspunkt existiert die Gesellschaft nur als Feld für Handeln und Wachsen des individuellen Menschen. Sie erfüllt ihre Funktion am besten, wenn sie ihm möglichst weiten Raum, reiche Mittel, genügend Freiheit oder Führung zur Entwicklung seines Denkens, Handelns, Wachsens und seiner Möglichkeit zur vollen Entfaltung seines Wesens gewährt. Eine entgegengesetzte Idee legt das meiste oder ausschließliche Gewicht auf das kollektive Leben: Die Existenz und das Wachsen der Menschheit ist hier alles. Der Einzelne soll für die Gesellschaft oder für die Menschheit leben. Oder er gilt sogar nur als eine Zelle der Gesellschaft, das ist sein einziger Nutzen, der Zweck seiner Geburt. Sein Dasein in der Natur hat keine andere Bedeutung, keine andere Funktion. Oder man hält die Nation, die Gesellschaft, die Gemeinschaft für ein kollektives Wesen, das seine Seele in seiner Kultur, in seiner Lebens-Macht, seinen Idealen und Institutionen, in allen Weisen offenbart, in denen es sein Selbst zum Ausdruck bringt. Das einzelne Leben soll von dieser Kulturform geprägt sein, dieser Lebens-Macht dienen und dem zustimmen, daß es nur als Werkzeug existiert, um das kollektive Dasein aufrechtzuerhalten und wirksam zu machen. Einer anderen Vorstellung nach liegt die Vollkommenheit des Menschen in seinen ethischen und sozialen Beziehungen zu anderen Menschen. Er ist ein gesellschaftliches Wesen und soll für die Gesellschaft, für die anderen, für seinen Nutzen zugunsten der Menschheit leben. Auch die Gesellschaft ist dazu da, allen zu dienen, ihnen ihre rechte Beziehung zueinander, ihre Erziehung und Ausbildung, ihre Chancen in der Wirtschaft und einen gerechten Rahmen für ihr Leben zu gewähren. In den Kulturen des Altertums legte man das größte Gewicht auf die Gemeinschaft und auf die Eingliederung des Einzelnen in die Gemeinschaft. Immer stärker wurde aber die Idee einer Vervollkommnung des Einzelnen. Im alten Indien wurde die Idee vom spirituellen Individuum vorherrschend. Die Gesellschaft war dabei äußerst wichtig, weil der Einzelne in ihr und unter ihrem prägenden Einfluß zuerst durch den sozialen Status des physischen, vitalen und mentalen Menschen hindurchgehen mußte, der sein Interesse und Begehren befriedigt, sowie nach Wissen und rechtem Leben strebt, bevor er die Stufe erreichen konnte, auf der er für eine wahre Selbst-Verwirklichung und ein freieres spirituelles Dasein geeignet war. In neueren Zeiten legt man alles Gewicht auf das Leben der Gesellschaft. Man sucht nach der vollkommenen Gesellschaft. Zuletzt konzentrierte man sich auch auf die richtige Organisation und die wissenschaftliche Mechanisierung des Lebens der Menschheit als eines Ganzen. Man neigt neuerdings dazu, den einzelnen Menschen nur als Mitglied des Kollektivs, als eine Einheit innerhalb der menschlichen Rasse anzusehen, dessen Dasein den gemeinsamen Zielen und dem totalen Interesse der organisierten Gesellschaft untergeordnet werden muß. Man sieht in ihm viel weniger – oder gar nicht – ein mentales oder spirituelles Wesen mit eigenem Anrecht auf Dasein und eigener Verfügungsmacht darüber. Diese Tendenz hat noch nicht überall ihren Höhepunkt erreicht. Sie wächst aber überall rapide und strebt nach Alleinherrschaft.

So wird in den Wandlungen des menschlichen Denkens der Einzelne einerseits dazu gedrängt oder dazu eingeladen, die Bejahung seines eigenen Selbsts, die Entfaltung des eigenen Mentals, Lebens und Körpers, seine spirituelle Vollkommenheit zu entdecken und zu verfolgen. Andererseits fordert man von ihm, er solle sich aufgeben und unterordnen; er solle die Ideen, Ideale, den Willen, die Triebkräfte und Interessen der Gemeinschaft als die seinen akzeptieren. Von der Natur wird er angetrieben, er solle für sich selbst leben; von etwas, das tief in seinem Innern ist, wird er dazu gedrängt, seine Individualität durchzusetzen. Die Gesellschaft und ein gewisser mentaler Idealismus verlangen von ihm, er solle für die Menschheit oder für das höhere Wohl der Gemeinschaft leben. Dem Prinzip des Ichs und seinem Interesse begegnet das Prinzip des Altruismus und stellt sich entgegen. Der Staat errichtet seine Gottheit und verlangt vom Menschen Gehorsam, Unterwerfung, Unterordnung, Selbst-Aufopferung. Der Einzelne muß gegen diesen maßlosen Anspruch die Rechte seiner Ideale, seine Ideen, seine Persönlichkeit, sein Gewissen behaupten. Offensichtlich ist dieser ganze Streit zwischen den Normen ein unsicheres Tasten der mentalen Unwissenheit des Menschen, die ihren Weg zu finden sucht und dabei verschiedene Seiten der Wahrheit anpackt, aber aus Mangel an integraler Ganzheit in ihrer Erkenntnis unfähig ist, sie miteinander in Einklang zu bringen. Nur Wissen, das vereinen und zur Übereinstimmung bringen kann, findet den Ausweg. Diese Erkenntnis gehört aber einem tieferen Prinzip unseres Wesens an, dem Einssein und Vollständigkeit ursprünglich eignen. Nur wenn wir dieses Prinzip in uns selbst finden, können wir das Problem unseres Daseins und damit auch das Problem der rechten Art individueller und gemeinschaftlicher Lebensweise lösen.

Es gibt eine Wirklichkeit, eine Wahrheit alles Seins, die größer und bleibender ist als alle ihre Gestaltungen und Offenbarungen. Es muß das Geheimnis der Vollkommenheit sowohl des individuellen wie des gemeinschaftlichen Menschen sein, daß er diese Wahrheit und Wirklichkeit findet, in ihr lebt und ihre möglichst vollkommene Manifestation und Gestaltung erlangt. Diese Wirklichkeit findet sich zuinnerst in jeder Sache; sie verleiht jeder ihrer Ausgestaltungen ihre Wesens-Macht und ihren Wesens-Wert. Das Universum ist eine Manifestation der Wirklichkeit. Es gibt eine Wahrheit des universalen Seins, eine Macht des kosmischen Wesens, ein All-Selbst oder einen Welt-Geist. Die Menschheit ist eine Gestaltung oder Manifestation der Wirklichkeit innerhalb des Universums. Es gibt eine Wahrheit und ein Selbst der Menschheit, einen menschlichen Geist, eine Bestimmung des menschlichen Lebens. Die Gemeinschaft ist eine Gestaltung der Wirklichkeit, eine Manifestation des Geistes des Menschen. Es gibt eine Wahrheit, ein Selbst, eine Macht des kollektiven Wesens. Das Individuum ist eine Gestaltung der Wirklichkeit. Es gibt eine Wahrheit des Individuums, ein Selbst, eine Seele oder einen Geist des Individuums, der sich durch Mental, Leben und Körper des Einzelnen zum Ausdruck bringt. Er kann sich aber auch in etwas ausdrücken, das über Mental, Leben und Körper hinausgeht, ja durch etwas, das jenseits der Menschheit existiert. Denn unser Menschsein ist nicht das Ganze der Wirklichkeit, auch nicht ihre bestmögliche Gestaltung und der Ausdruck ihres Selbsts. Bevor der Mensch existierte, hatte die Wirklichkeit eine unter-menschliche Gestaltung und Selbst-Schöpfung angenommen. Sie kann auch nach ihm oder in ihm eine über-menschliche Gestaltung und Selbst-Schöpfung annehmen. Der Einzelne ist als Geist oder als Wesen nicht an die Grenzen seines Menschseins gebunden. Er ist weniger als das Menschliche gewesen, er kann mehr werden als das Menschliche. Das Universum findet sein Selbst durch ihn ebenso, wie er sein Selbst im Universum findet. Er ist aber dazu fähig, mehr zu werden als das Universum, da er über es hinauskommen und in ein Etwas jenseits von diesem in sich und in jenem eintreten kann, das absolut ist. Er ist auch nicht innerhalb der Gemeinschaft eingegrenzt. Wenn auch sein Mental und sein Leben in gewisser Weise Teile des gemeinschaftlichen Mentals und Lebens sind, gibt es doch in ihm etwas, das über diese hinausgehen kann. Die Gemeinschaft existiert durch das Individuum. Denn ihr Mental, Leben und Körper werden durch Mental, Leben und Körper der Einzelnen gebildet, die sie zusammensetzen. Würde sie vernichtet oder aufgelöst, dann würde zwar ihre eigene Existenz vernichtet und aufgelöst. Doch würden sich Geist oder Macht von ihr wieder in anderen Individuen neu gestalten. Der individuelle Mensch ist aber nicht nur eine Zelle des kollektiven Daseins. Er würde nicht aufhören zu existieren, wenn er von der kollektiven Masse getrennt oder von ihr ausgestoßen würde. Denn das Kollektiv, die Gemeinschaft ist eben nicht das Ganze der Menschheit, ist nicht die Welt. Der Einzelne kann auch anderswo in der Menschheit existieren und sich selbst finden, und er kann für sich selbst in der Welt leben. Auch wenn die Gemeinschaft ein Leben hat, mit dem sie das der Einzelnen, die sie bilden, beherrscht, so macht sie doch nicht deren ganzes Leben aus. Wie die Gesellschaft ihr Wesen besitzt, das sie durch das Leben der Individuen durchzusetzen sucht, so hat auch der Einzelne sein eigenes Wesen, das er im Leben der Gemeinschaft zu behaupten sucht. Er selbst ist aber nicht an sie gebunden. Er kann sich auch in einem anderen gemeinschaftlichen Leben bestätigen. Wenn er dazu nicht stark genug ist, kann er das Dasein eines Nomaden führen oder sich in die Einsamkeit des Eremiten zurückziehen. Dort kann er auch, wenn er nicht ein vollständiges materielles Leben führen oder erreichen kann, doch spirituell existieren und die eigene Wirklichkeit und das innewohnende Selbst seines Wesens finden.

Gewiß ist der Einzelne der Schlüssel, mit dem wir das Geheimnis der evolutionären Bewegung erschließen. Denn es ist der Einzelne, der sein Selbst findet und der Wirklichkeit bewußt wird. Die Bewegung des Kollektivs ist weithin eine unterbewußte Massenbewegung. Um bewußt zu werden, muß es sich durch die Individuen Form geben und zum Ausdruck bringen. Sein allgemeines Massen-Bewußtsein ist immer weniger entwickelt als das Bewußtsein seiner am höchsten entwickelten Individuen. Es macht nur insofern Fortschritte, als es ihre Einwirkung annimmt oder weiter entfaltet, was sie entwickeln. Der Einzelne schuldet seine höchste Loyalität weder dem Staat, der ein Mechanismus ist, noch der Gemeinschaft, die nur ein Teil des Lebens, nicht aber das Ganze des Lebens ist. Seine Treue muß der Wahrheit gehören, dem Selbst, dem Geist, dem Göttlichen Wesen, das in ihm und in allen gegenwärtig ist. Das wahre Ziel seines Daseins muß für ihn sein, sich nicht der Masse zu unterwerfen, sich nicht in ihr zu verlieren. Vielmehr soll er jene Wahrheit seines Wesens in sich selbst finden und zum Ausdruck bringen. Und er soll der Gemeinschaft und der Menschheit bei ihrem Suchen nach ihrer Wahrheit und nach der Fülle des Wesens helfen. Inwieweit aber die Macht des individuellen Lebens oder der spirituellen Wirklichkeit im Innern sich nach außen auswirkt, hängt von der eigenen Entwicklung ab: Solange der Mensch noch unentwickelt ist, muß er in vielen Beziehungen sein unentwickeltes Selbst allem unterordnen, was größer ist als dieses. Sobald er sich entwickelt, nähert er sich der spirituellen Freiheit. Diese Freiheit ist aber durchaus nichts völlig von dem All-Sein Gesondertes. Sie ist mit diesem solidarisch verbunden, weil auch dieses das Selbst, der gleiche Geist ist. Sobald er sich zur spirituellen Freiheit hinbewegt, nähert er sich auch dem spirituellen Einssein. Der Mensch, der den Geist verwirklicht, der befreite Mensch, ist, wie die Gita sagt, hauptsächlich mit dem beschäftigt, was für alle Menschen das Gute ist. Buddha muß, nachdem er den Weg zum nirvana entdeckt hat, wieder zurückkehren, um denen den Weg dorthin zu öffnen, die noch unter der Täuschung ihres konstruierten Wesens, statt in ihrem wahren Wesen-oder im Nicht-Wesen -leben. Vivekananda, vom Absoluten angezogen, fühlt den Ruf der in das Menschsein verkleideten Göttlichkeit, vor allem den Aufschrei der Gefallenen und der Leidenden, den Ruf des Selbsts an das Selbst im dunklen Leib des Universums. Ist der Einzelne einmal zur Verwirklichung der Wahrheit seines Wesens, zur inneren Befreiung und Vollkommenheit erwacht, muß das sein primäres Suchen sein, – zunächst weil das der Ruf des Geistes in seinem Innern ist; aber auch, weil der Mensch nur dadurch, daß er die Wahrheit seines Wesens freisetzt, vervollkommnet und verwirklicht, zur Wahrheit des Lebens gelangen kann. Auch eine vollendete Gemeinschaft kann nur durch die Vollkommenheit ihrer Individuen existieren. Und die Vollkommenheit kann nur dann kommen, wenn jeder im Leben sein spirituelles Wesen entdeckt und behauptet und wenn alle ihre spirituelle Einheit und die daraus folgende Einheit ihres Lebens entdecken. Für uns kann es nur dann wirkliche Vollkommenheit geben, wenn unser inneres Selbst und die Wahrheit des spirituellen Seins jegliche Wahrheit des instrumentalen Daseins in sich empornehmen und ihm Einheit, Verbundenheit und Harmonie verleihen. Wie unsere einzig wirkliche Freiheit darin besteht, daß wir in unserem Innern die spirituelle Wirklichkeit entdecken und aus allen Bindungen befreien, so ist auch unser alleiniges Mittel zur wahren Vollkommenheit, daß wir die spirituelle Wirklichkeit in allen Elementen unserer Natur souverän und aus dem Selbst wirksam machen.

Unsere Natur ist vielseitig. Wir müssen einen Schlüssel zu ihrer völligen Einung und zu ihrer Fülle und Vielfalt finden. Ihre erste Basis in der Evolution ist das materielle Leben. Mit ihm hat die Natur angefangen. Auch der Mensch muß mit ihm beginnen. Er muß zuerst sein materielles und vitales Dasein sichern. Würde er aber hier anhalten, könnte es für ihn keine Evolution geben. Sein nächstes und höheres Streben muß darauf gerichtet sein, sich als ein mentales Wesen innerhalb eines materiellen – sowohl individuellen wie gesellschaftlichen -Lebens zu finden, das möglichst vollkommen ist. Die Idee der Griechen wies die Zivilisation Europas in diese Richtung. Die Römer haben sie verstärkt – oder geschwächt – durch das Ideal der organisierten Macht. Der Kultus der Vernunft, die Interpretation des Lebens durch kritisches, utilitaristisches, organisierendes und konstruierendes Denken und die Beherrschung des Lebens durch die Wissenschaft sind das letzte Ergebnis dieser Inspiration. In alten Zeiten bestand aber das höhere schöpferische dynamische Element darin, daß man nach einer idealen Wahrheit, nach dem Guten und Schönen strebte. Man prägte Mental, Leben und Körper durch dieses Ideal eine Vollkommenheit auf. Sobald aber das Mental im Menschen ausreichend entwickelt ist, erwacht in ihm, jenseits und oberhalb von diesem, sein wichtigstes spirituelles Anliegen, das Selbst und die innerste Wahrheit des Seienden zu entdecken. Er will Mental und Leben zur Wahrheit des Geistes befreien und durch die Macht des Geistes Solidarität, Einheit und Gegenseitigkeit aller Menschen im Geist vervollkommnen. Das war das Ideal des Ostens, das durch den Buddhismus und andere alte Disziplinen zu den Küsten Asiens und Ägyptens getragen wurde und von dort durch das Christentum nach Europa einströmte. Aber diese Antriebskräfte, die eine Zeitlang wie das Licht schwach-leuchtender Fackeln Verwirrung und Finsternis erhellten, mit der die alten Zivilisationen in der Barbaren-Flut untergingen, wurden vom modernen Geist aufgegeben. Er hatte ein anderes Licht entdeckt, das Licht der Wissenschaft. Man suchte jetzt nach der höchsten Vollkommenheit der ökonomischen Gesellschaft, nach einer idealen materiellen Organisation von Zivilisation und Bequemlichkeit, nach der Verwendung der Vernunft, Wissenschaft und Erziehung zur allgemeinen Verbreitung einer utilitaristischen Rationalität, die das Individuum zu einem vollkommen gewordenen sozialen Wesen in einer vollkommenen ökonomischen Gesellschaft macht. Was vom spirituellen Ideal übrigblieb, war – eine Zeitlang – die mentalisierte und moralisierte humanitäre Haltung, die alle religiöse Färbung und soziale Ethik abgelegt hatte. Man hielt das für völlig ausreichend, um die religiöse und individuelle Ethik zu ersetzen. So weit war die Menschheit gekommen, als sie fand, daß sie sich durch die Schnelligkeit ihrer eigenen Bewegung in ein subjektives Chaos und in ein Chaos ihres Lebens gestürzt hatte, in dem alle überkommenen Werte vernichtet waren und jeder gesicherte Boden unter ihrer sozialen Organisation, ihrem Verhalten und ihrer Kultur zu schwinden schien.

Denn dieses Ideal, das Gewicht bewußt auf das materielle und ökonomische Leben zu legen, war in Wirklichkeit ein Rückfall der Zivilisation in jenen ersten Zustand des Menschen, in seine frühere Barbarei, als er sich hauptsächlich mit dem Leben und der Materie befaßte. Es ist ein spiritueller Rückschritt, bei dem ihm die Hilfsmittel des Mentals einer entwickelten Menschheit und eine voll entfaltete Wissenschaft zur Verfügung stehen. Die Betonung eines vollendeten ökonomischen und materiellen Daseins hat als Element in der ganzen Fülle menschlichen Lebens gewiß seinen Platz im Ganzen. Wird aber das Hauptgewicht allein oder vorherrschend hierauf gelegt, dann wird es für die Menschheit und für die Evolution an sich sehr gefährlich. Die erste Gefahr ist, daß die alte vitale und materielle Barbarei in zivilisierter Form wiederersteht. Die Mittel, die die Wissenschaft uns zur Verfügung stellt, schalten zwar die Gefahr aus, daß eine kraftlos und senil gewordene Zivilisation von stärkeren primitiven Völkern unterhöhlt und zerstört wird. Die Gefahr liegt aber darin, daß die Barbarei wieder in uns selbst, im zivilisierten Menschen ersteht. Das ist es, was wir überall rings um uns sehen. Denn das muß notwendig eintreten, wenn es kein hohes und strenges mentales oder moralisches Ideal gibt, das den vitalen und physischen Menschen in uns emporhebt, wenn ihn kein spirituelles Ideal von seinem Ich befreit und in sein inneres Wesen führt. Vermeidet man einen solchen Rückfall, besteht noch eine andere Gefahr. Denn eine andere mögliche Konsequenz ist, daß der Drang zur Entwicklung nachläßt und das gesellschaftliche Leben sich in einem stabilen, bequemen Mechanismus ohne Ideal oder höheren Ausblick auskristallisiert. Die Vernunft an sich kann die Menschheit nicht lange in ihrem Fortschritt erhalten. Sie kann das nur, solange sie eine Mittlerin zwischen Leben und Körper einerseits und etwas Höherem und Größerem im Innern des Menschen andererseits ist. Denn allein diese innere spirituelle Not, das Drängen aus Jenem her, das in ihm noch unverwirklicht ist, hält im Menschen, wenn er einmal die Stufe des Mentals erreicht hat, den evolutionären Druck, das Streben zum Geist lebendig. Weist er das zurück, muß er entweder zurückfallen und alles von neuem beginnen. Oder er muß, wie andere Formen des Lebens vor ihm, als ein Versager der Evolution verschwinden, weil er unfähig ist, das Drängen der Entwicklung durchzuhalten oder ihm zu dienen. Bestenfalls wird er dann irgendwie als Typus mittelmäßiger Vollkommenheit steckenbleiben, wie das bei anderen Tierformen der Fall ist, während die Natur ihren Weg über ihn hinaus zu einer höheren Schöpfung fortsetzt.

Im Augenblick macht die Menschheit eine Krisis ihrer Evolution durch, in der sich eine Entscheidung über ihr Schicksal verbirgt. Denn sie hat eine Stufe erreicht, auf der das menschliche Mental in gewissen Richtungen eine enorme Entwicklung vollzogen hat. In anderen bleibt sie verwirrt stehen und kann ihren Weg nicht mehr finden. Des Menschen immer aktives Mental und sein Lebens-Wille haben ein Gebäude des äußeren Lebens errichtet, eine Konstruktion von nicht mehr zu bewältigender ungeheurer Größe und Kompliziertheit. Diese soll seinen mentalen, vitalen und körperlichen Ansprüchen und Forderungen dienen. Er hat einen komplizierten politischen, gesellschaftlichen, administrativen, ökonomischen und kulturellen Apparat als organisiertes kollektives Mittel, um seine intellektuellen, sinnlichen, ästhetischen und materiellen Bedürfnisse zu befriedigen. So hat der Mensch ein System der Zivilisation errichtet, das zu groß geworden ist, als daß er es mit seinem beschränkten mentalen Vermögen und Verständnis und seinen noch mehr begrenzten spirituellen und moralischen Fähigkeiten verwenden und handhaben könnte. Er ist ein allzu gefährlicher Knecht seines stümperhaften Ichs und seiner Gelüste geworden. Denn in seinem Bewußtsein ist noch kein höheres schauendes Mental und keine intuitive Seele des Wissens hervorgetreten, die aus einer solchen Lebensfülle an der Basis die Voraussetzung schaffen könnte für das freie Wachsen von etwas, das mehr ist als das Mental. Diese neue Fülle der Mittel des Lebens könnte für ihn durch ihre Macht, ihn von dem unaufhörlichen, nie befriedigten Druck seiner ökonomischen und physischen Bedürfnisse zu befreien, zu einer großen Hilfe werden, andere, höhere Ziele zu verfolgen, die über das materielle Dasein hinausgehen. So könnte er eine höhere Wahrheit, das Gute und die Schönheit entdecken. Er könnte einen höheren göttlichen Geist neu gewahren, der eingreift und das Leben zur höheren Vollendung des Wesens führt. Statt dessen wird aber die neue Fülle dazu verwendet, neue Bedürfnisse zu wecken und das kollektive Ich in aggressiver Weise auszudehnen. Zugleich hat ihm die Wissenschaft viele Möglichkeiten der universalen Kraft zur Verfügung gestellt und das Leben der Menschheit materiell zu einem einzigen gemacht. Der Träger aber, der diese universale Kraft verwendet, ist ein kleines menschliches Individuum oder ein gesellschaftliches Ich, das im Licht seiner Erkenntnis oder in seinen Bewegungen nichts Allumfassendes besitzt. Dieser Mensch hat kein inneres Empfinden und keine Macht, die in diesem physischen Schrumpfen der menschlichen Welt die wahre Lebens-Einheit, mentale oder spirituelle Einheit bewerkstelligen könnte. Alles, was sich hier abspielt, ist das Chaos zusammenprallender mentaler Ideen. Es ist der vielfache Druck von individuellem und kollektivem physischen Mangel und Bedürfen. Es sind vitale Ansprüche und Wünsche, die Triebe eines unwissenden Lebens-Dranges, des Hungers und der Forderungen nach Lebens-Befriedigung für die Einzelnen, die Klassen und Nationen. Das ist ein reicher Nährboden für politische, soziale und ökonomische Quacksalbereien und Ideologien, ein Durcheinander von Schlagwörtern und Allheilmitteln. Dafür sind die Menschen bereit, zu unterdrücken und unterdrückt zu werden, zu töten und getötet zu werden. Irgendwie wollen sie das durch die ungeheuren, schrecklichen Mittel, die ihnen zur Verfügung stehen, anderen in dem Glauben aufzwingen, dies sei der Ausweg zu etwas Idealem. Die Entwicklung des Mentals und des Lebens der Menschen muß mit Notwendigkeit zu einer wachsenden Universalität führen. Bleibt aber die Basis des Ichs und eines teilenden und zerschneidenden Mentals bestehen, dann kann die Offenheit für das Allumfassende nur dazu führen, daß unvereinbare Ideen und Impulse weiterwuchern und ungeheure Mächte und Wünsche sich erheben. Eine chaotische Masse von unangeglichenem, vermischtem mentalen, vitalen und physischen Material eines umfassenderen Daseins wallt auf, die sich, da nicht von einem schöpferischen, harmonisierenden Licht des Geistes emporgehoben, in einer allumfassend werdenden Verwirrung und einem Widerstreit dahinwälzen muß, aus dem man unmöglich ein höheres harmonisches Leben aufbauen kann. In der Vergangenheit hat der Mensch das Leben dadurch harmonisiert, daß er es durch die Bildung von Ideen und die Festsetzung von Grenzen organisierte. Er hat Gesellschaften geschaffen, die sich auf feste Vorstellungen und Gebräuche gründeten, auf ein bestimmtes kulturelles System oder auf ein organisches Lebens-System, von denen jedes seine eigene Ordnung besaß. All das wurde dann in den Schmelzkessel eines sich immer mehr vermischenden Lebens geworfen. Immer neue Ideen strömen ein. Motive, Tatsachen und Möglichkeiten verlangen ein neues höheres Bewußtsein, um dieser potentiellen Seins-Kräfte Herr zu werden, sie in Einklang zu bringen. Vernunft und Wissenschaft können nur dadurch helfen, daß sie allgemeine Normen aufstellen, daß sie alles in einer künstlich arrangierten und mechanisierten Einheit des materiellen Lebens festlegen. Ein größeres Ganzheits-Wesen, Ganzheits-Wissen, mehr Ganzheits-Macht ist notwendig, um alles in die größere Einheit eines Ganzheits-Lebens zusammenzuschweißen.

Die einzige Wahrheit des Lebens, die erfolgreich diese unvollkommenen mentalen Konstruktionen der Vergangenheit ersetzen kann, ist ein Leben von Einheit, Gegenseitigkeit und Harmonie, das aus der tieferen und umfassenderen Wahrheit unseres Wesens geboren ist. Jene Konstruktionen waren eine Kombination von Zusammenschluß und gelenktem Konflikt; eine Anpassung der Egoitäten und der Interessen, die als Gruppen zusammengefaßt oder ineinander verflochten wurden, um eine Gesellschaft zu bilden, die durch gemeinsame allgemeine Lebens-Motive gefestigt wurde. Es war eine Einung durch innere Not und den Druck des Kampfes mit den äußeren Kräften. Nach einer Umwandlung und Neugestaltung des Lebens beginnt die Menschheit in ihrer Blindheit jetzt immer mehr zu suchen aus dem Gefühl, ihre ganze Existenz hänge davon ab, daß sie den Weg dazu findet. Entwicklung des Mentals in seiner Einwirkung auf das Leben hat eine Organisation mentaler Aktivität und Verwendung der Materie in einem Ausmaß entfaltet, wie sie ohne innere Umwandlung mit den Fähigkeiten des Menschen nicht länger durchgehalten werden kann. Es ist zwingend geworden, daß die ego-zentrische menschliche Individualität, die auch in ihren Zusammenschlüssen getrennt bleibt, einem Lebens-System angepaßt wird, das Einheit, volle Gegenseitigkeit und Harmonie verlangt. Die Bürde aber, die damit der Menschheit auferlegt wird, ist für die gegenwärtige dürftige menschliche Persönlichkeit, für ihr beschränktes Mental und ihre schwachen Lebenstriebe zu groß. Sie kann die notwendige Umwandlung nicht zuwege bringen. Sie verwendet diesen neuen Apparat und diese Organisation zum Dienst am alten unter-spirituellen und unter-rationalen Lebens-Ich der Menschheit. Aus diesen Gründen scheint es, als rase das Schicksal des Menschengeschlechts in gefährlicher Weise in eine sich lange hinziehende Verwirrung, in die gefährliche Krise und Finsternis einer gewalterfüllten umwälzenden Unsicherheit hinein, als ob es, ungeduldig und im Gegensatz zu sich selbst, unter dem Druck des vitalen Ichs stünde, das von gewaltigen Kräften gepackt ist, die ebenso stark sind wie die von ihm entwickelte gewaltige mechanische Organisation von Leben und Wissenschaft, deren Übermacht durch Vernunft und Willen der menschlichen Persönlichkeit nicht mehr bemeistert werden kann. Selbst wenn sich herausstellt, daß das nur eine vorübergehende Phase oder Erscheinung ist, eine erträgliche strukturelle Anpassung gefunden werden könnte, die es dem Menschen erlaubt, auf seinem ungewissen Weg durch weniger schwere Katastrophen weiterzugehen, so kann es doch nur eine Atempause sein. Denn das Problem ist fundamental. Wenn die evolutionäre Natur das Problem im Menschen sich vergegenwärtigt, konfrontiert sie sich einer kritischen Entscheidung, die eines Tages dem wahren Sinn der Evolution entsprechend getroffen werden muß, wenn die Menschheit zum Ziel kommen oder auch nur überleben will. Die Tendenz der Evolution drängt auf eine Entfaltung der kosmischen Kraft im irdischen Leben, die zu ihrem Träger ein stärkeres mentales und umfassenderes vitales Wesen benötigt, ein weniger begrenztes Mental, eine höhere, weitere, bewußtere, einmütiger gewordene Lebens-Seele, anima. Das wiederum erfordert, daß die sie tragende und fördernde Seele und das spirituelle Selbst im Innern enthüllt werden, um jene zu unterstützen. Alles, was das moderne Mental uns in dieser Krisis als Licht zu ihrer Lösung anbieten kann, ist eine rationale und wissenschaftliche Formel des vitalistischen und materialistischen menschlichen Wesens und seines Lebens, das Suchen nach einer vollendeten ökonomischen Gesellschaft und den demokratischen Kultus des Durchschnittsmenschen. Wenn diese Ideen auch eine Wahrheit stützt, so genügt sie offensichtlich nicht, um das Bedürfnis einer Menschheit zu befriedigen, deren Mission es ist, sich über sich selbst hinaus zu entwickeln, die jedenfalls, wenn sie überhaupt am Leben bleiben will, in ihrer Entwicklung weit über das hinausgehen muß, was sie jetzt ist. Ein Lebens-Instinkt hat im Menschengeschlecht, und selbst im Durchschnitts-Menschen, die Unzulänglichkeit gefühlt und drängt auf eine Umwertung der bisherigen Werte, auf die Entdeckung neuer Werte und will das Leben auf eine neue Grundlage stellen. Das hat die Form eines Versuches angenommen, eine einfache, fertige Grundlage für Einheit, Gegenseitigkeit und Harmonie im Gemeinschaftsleben zu finden. Man will das dadurch erzwingen, daß man den Zusammenstoß der ichhaften Kräfte im Konkurrenzkampf unterdrückt und so für die Gemeinschaft zu einem Leben der Übereinstimmung anstelle eines Lebens der Gegensätze gelangt. Um diese an sich wünschenswerten Ziele zu verwirklichen, werden Mittel wie diese angewandt: Unter Zwang setzt man mit Erfolg einige wenige beschränkte Ideen oder Schlagwörter unter Ausschluß alles andern Denkens auf den Thron. Das Mental des Einzelnen wird unterdrückt, und die Elemente des Lebens werden mechanisch zusammengepreßt. Einheit und Triebkräfte der Lebens-Kraft werden mechanisiert. Der Mensch wird durch den Staat vergewaltigt, und das individuelle Ich wird durch das gesellschaftliche ersetzt. Man idealisiert dieses Gemeinschafts-Ich als die Seele der Nation, der Rasse, der Gemeinschaft. Das ist aber ein gewaltiger Irrtum, der sich als verhängnisvoll herausstellen kann. Die hier entdeckte Formel ist eine erzwungene und aufgenötigte Einmütigkeit von Mental, Leben und Handeln. Sie wird unter dem Druck von etwas, das man für das Größere hält, von der kollektiven Seele und dem kollektiven Leben, zu ihrer höchsten Kraft-Anspannung gesteigert. Dieses obskure kollektive Wesen ist aber nicht die Seele oder das Selbst der Gemeinschaft. Es ist eine Vital-Kraft, die aus dem Unterbewußten aufsteigt. Entzieht man ihr das Licht der Führung durch die Vernunft, kann sie nur von finsteren massiven Kräften getrieben werden, die mächtig, aber für die Menschheit verderblich sind, weil sie der bewußten Evolution entgegenstehen, deren Sachwalter und Träger der Mensch ist. Die evolutionäre Natur hat die Menschheit absolut nicht in diese Richtung gewiesen. Das ist eine Rückkehr zu dem, was sie hinter sich gelassen hat.

Eine andere Lösung, die man versucht, gründet sich noch auf die materialistische Vernunft und die kollektive Organisation des ökonomischen Lebens der Menschheit. Die angewandte Methode ist aber dieselbe: Zwangs-Einengung des Lebens und aufgenötigte Einmütigkeit des Mentals, sowie mechanische Organisation des gesellschaftlichen Daseins. Einmütigkeit dieser Art kann nur durch Unterdrückung jeglicher Freiheit von Denken und Leben aufrechterhalten werden. Das muß entweder zu der leistungstüchtigen Stabilität einer Termiten-Zivilisation führen, oder es trocknen die Quellen des Lebens aus und rasche oder langsame Dekadenz setzt ein. Durch das Wachsen von Bewußtsein können die kollektive Seele und ihr Leben ihrer selbst innewerden und sich entfalten. Das freie Spiel von Mental und Leben ist wesentlich für das Wachsen von Bewußtsein. Denn Mental und Leben sind die einzige Werkzeugausrüstung der Seele, bis sich höhere Instrumente herausgebildet haben. Diese dürfen in ihrer Betätigung nicht behindert oder unbeweglich, starr und repressiv gemacht werden. Die durch das Wachsen des individuellen Mentals und Lebens bewirkten Schwierigkeiten oder Unordnungen können nicht durch Unterdrückung des Individuums heilsam beseitigt werden. Zur wahren Heilung kann der Mensch nur kommen, wenn er zu einem größeren Bewußtsein vorwärtsgeht und in diesem zu seiner Erfüllung und Vollkommenheit kommt. Eine alternative Lösung ist die Entwicklung einer erleuchteten Vernunft und eines erleuchteten Willens des normalen Menschen, der einem neuen sozialisierten Leben zustimmt, in dem er sein Ich zugunsten der rechten Gestaltung des Lebens der Gemeinschaft unterordnen will. Forschen wir nach, wie diese radikale Umwandlung zustandegebracht wird, so finden wir den Vorschlag von zwei Trägern für die Verwirklichung. Die eine Institution soll ein umfassenderes und besseres mentales Wissen durch die rechten Gedanken, richtige Information, rechte Erziehung des gesellschaftlichen und bürgerlichen Individuums bewirken. Die andere Organisation will die Schaffung eines neuen gesellschaftlichen Mechanismus, der alles durch das Zaubermittel eines sozialen Mechanismus löst, der die Menschheit in ein besseres Modell umprägt. In der Erfahrung findet man aber nicht, was man einst erhofft hatte, daß Erziehung und intellektuelles Training an sich schon den Menschen umwandeln können. Sie stellt dem menschlichen Individuum und dem Kollektiv nur eine bessere Information und einen wirkungsvolleren Apparat zur Verfügung, mit dem sie sich durchsetzen können. Sie läßt aber in beiden das gleiche unveränderte menschliche Ich zurück. Auch lassen sich Mental und Leben nicht mit Hilfe irgendeines sozialen Mechanismus in die Vollkommenheit zurechtstanzen, nicht einmal in das, was man für Vollkommenheit hielt, in ihren konstruierten Ersatz. Materie kann man auf diese Weise zurechtschneiden; auch das Denken kann so gleichgeschaltet werden. In unserem menschlichen Dasein sind aber Materie und Denken nur Werkzeuge der Seele und der Lebens-Kraft. Mechanische Maßnahmen können die Seele und die Lebens-Kraft nicht in genormte Formen zwingen. Sie können diese höchstens vergewaltigen, die Seele und das Mental stumpf und statisch machen und allein die äußeren Lebensbetätigungen regulieren. Wenn man das aber erfolgreich tun will, kann man auf Zwang und Unterdrückung von Mental und Leben nicht verzichten. Das bedeutet aber wieder fortschrittsfeindliche Statik und Verfall. Das rationalistische Mental mit seinem Sinn für das Logische und Praktische hat keinen anderen Weg, um aus den vieldeutigen und komplexen Bewegungen der Natur das Bestmögliche herauszuholen, als daß es Mental und Leben reglementiert und mechanisiert. Geschieht das, muß die Seele der Menschheit entweder dadurch ihre Freiheit gewinnen und sich ihr Wachsen sichern, daß sie revoltiert und die Maschine zerstört, in deren eiserne Räder sie gerissen wurde. Oder sie muß entkommen, indem sie sich in sich selbst zurückzieht und das Leben ablehnt. Der wahre Ausweg für den Menschen liegt darin, daß er seine Seele, die Kraft des Selbsts und ihre Werkzeuge entdeckt und durch diese sowohl die Mechanisierung des Mentals wie die Unwissenheit und Unordnung der Lebens-Natur ersetzt. Für eine solche Bewegung, das Selbst zu entdecken und wirkungsvoll zu machen, ist aber in einer eng reglementierten und mechanisierten Existenz wenig Raum und Freiheit.

Es besteht die Möglichkeit, daß das menschliche Mental bei der Abkehr von der mechanistischen Auffassung von Leben und Gesellschaft seine Zuflucht in der Rückkehr zur religiösen Idee und in einer von der Religion regierten oder sanktionierten Gesellschaft sucht. Zwar kann die organisierte Religion Mittel liefern, den Einzelnen innerlich emporzuheben. Sie kann in sich oder in dem, was hinter ihr wirkt, für ihn einen Weg bewahren, durch den er sich für die spirituelle Erfahrung öffnet. Sie hat jedoch das Leben und die Gesellschaft der Menschheit nicht verändert. Sie konnte das nicht tun, weil sie, wenn sie die Gesellschaft leitete, mit den niederen Seiten des Lebens Kompromisse eingehen mußte. Sie konnte darum nicht auf die innere Wandlung des ganzen Wesens drängen. Sie konnte nur darauf bestehen, daß ihre Glaubenslehren anerkannt werden, daß man formell ihre ethischen Maßstäbe befolgt und der Institution, dem Zeremoniell und dem Ritual zustimmt. Eine so aufgefaßte Religion kann eine religiös-ethische Färbung oder einen oberflächlichen Firnis liefern. Manchmal kann sie auch, wenn sie einen starken Kern innerer Erfahrung bewahrt, bis zu einem gewissen Grad eine unvollständige spirituelle Tendenz allgemein verbreiten. Sie transformiert aber dadurch nicht die Menschheit; sie kann kein neues Prinzip für das Dasein der Menschheit schaffen. Nur eine allumfassende spirituelle Lenkung, die dem ganzen Leben und der ganzen Natur zuteil wird, kann die Menschheit über sich selbst emporheben. Eine andere, der religiösen Lösung verwandte Auffassung besteht darin: Menschen von spiritueller Vollkommenheit, eine Bruderschaft oder Einheit Aller im Glauben oder in einer spirituellen Disziplin lenken die Gesellschaft. Diese Spiritualisierung von Leben und Gesellschaft hebt den alten Mechanismus des Lebens in solch eine Vereinigung empor, oder man erfindet für sie einen neuen Mechanismus. Auch diesen Versuch hat man früher ohne Erfolg unternommen. Das war die ursprüngliche Idee bei der Gründung von mehr als nur einer Religion. Doch waren das menschliche Ich und die vitale Natur zu stark, als daß die religiöse Idee durch ihre Einwirkung auf das Mental oder durch dieses nach außen ihren Widerstand überwinden konnte. Nur wenn die Seele völlig hervortritt, wenn das ursprüngliche Licht und die Macht des Geistes voll herniederkommen und sie dadurch unsere unzulängliche mentale und vitale Natur durch eine spirituelle und supramentale Übernatur ersetzen oder transformieren und emporheben kann, wird dieses Wunder der Evolution bewirkt.

Auf den ersten Blick könnte es so aussehen, als ob das Drängen auf radikale Umwandlung unserer Natur alle Hoffnung der Menschheit in eine ferne Zukunft der Evolution hinausschiebt. Scheint doch das Bemühen, unsere normale menschliche Natur zu überschreiten, in ein Jenseits unseres mentalen, vitalen und physischen Wesens emporzukommen, für den Menschen, wie er jetzt ist, zu hoch, zu schwer und unmöglich zu sein. Selbst wenn das so wäre, bliebe es die alleinige Möglichkeit einer neuen Mutation des Lebens. Ist es doch unvernünftig und unspirituell, auf eine wahre Umwandlung des menschlichen Lebens zu hoffen, ohne daß die menschliche Natur umgewandelt wird. Wir würden damit etwas Unnatürliches und Unwirkliches, ein unmögliches Wunder verlangen. Was aber durch diese Umwandlung bewirkt werden soll, ist nicht etwas völlig Fernliegendes, nichts, was unserem Sein fremd und für es radikal unmöglich ist. Denn was so entwickelt werden soll, ist bereits in unserem Wesen vorhanden; es ist nicht außerhalb von ihm. Worauf die evolutionäre Natur drängt, ist, daß wir wach werden für die Erkenntnis unseres Selbsts, für die Entdeckung des Selbsts, für die Offenbarung des Selbsts und des Geistes in unserem Innern, und daß wir dessen Selbst-Wissen, Selbst-Macht und seine ihm innewohnende Selbst-Instrumentierung sich frei entfalten lassen. Außerdem ist das ein Schritt, auf den hin das Ganze der Evolution eine Vorbereitung ist. Bei jeder Krisis im Schicksal der Menschheit kommt ihr Verlauf seinem Ziel näher, wenn die mentale und vitale Evolution des Wesens zu einem Punkt führt, an dem Intellekt und Vitalkraft einen gewissen Höhepunkt der Spannung erreichen und entweder zusammenbrechen, in Stumpfsinn und Versagen zurücksinken oder zum Stillstand kommen in einer Ruhe ohne weiteren Fortschritt oder sich ihren Weg erzwingen, indem sie die Verhüllung zerreißen, gegen die sie ankämpfen. Notwendig dazu ist, daß von einigen oder vielen in der Menschheit eine Umkehr zur Schau dieser Umwandlung gefühlt wird; daß sie ihre zwingende Notwendigkeit empfinden; daß sie auch der Möglichkeit dazu bewußt sind und den Willen haben, die Wandlung in sich selbst zu ermöglichen und den Weg zu finden. Diese Tendenz fehlt nicht. Mit der wachsenden Krisis im menschlichen Welt-Geschick muß sie zunehmen. Die Notwendigkeit, entweder dem Problem zu entfliehen oder es zu lösen, und das Gefühl, daß es keine andere als die spirituelle Lösung gibt, muß unter dem Drängen der kritischen Umstände noch wachsen und immer zwingender werden. Wenn dieses Verlangen im Wesen der Menschen aufsteigt, muß darauf stets eine Antwort in der Göttlichen Wirklichkeit und in der Natur erfolgen.

In der Tat könnte die Antwort eine nur individuelle sein. Das könnte zu einer Vermehrung der spiritualisierten Individuen führen oder auch, was vorstellbar, wenn auch nicht wahrscheinlich ist, dazu, daß eines oder mehrere gnostische Individuen isoliert in der nicht spiritualisierten Masse der Menschheit leben. Solche isolierten verwirklichten Wesen müssen sich entweder in ihr verborgenes göttliches Reich zurückziehen und sich in spiritueller Einsamkeit sichern. Oder sie müssen mit ihrem inneren Licht auf die Menschheit einwirken, um auf das Wenige hinzuwirken, das unter solchen Verhältnissen um einer glücklicheren Zukunft willen vorbereitet werden kann. Die innere Umwandlung kann erst dann in kollektiver Form Gestalt annehmen, wenn der gnostische Einzelne andere Menschen findet, die dieselbe Art eines inneren Lebens führen wie er selbst, und wenn er mit diesen eine Gruppe bilden kann, die ihr autonomes Dasein führt. Oder es muß sich eine besondere Gemeinschaft, ein Orden von Menschen aufgrund eigenen Lebensgesetzes bilden. Dieser innere Drang nach einem abgesonderten Leben mit eigener Lebensregel, die der inneren Macht oder Motiv-Kraft spirituellen Seins entspricht und eine eigene Atmosphäre entstehen läßt, hat sich in der Vergangenheit in der Bildung des Klosterlebens oder in Versuchen verschiedener Art ausgedrückt, ein neues getrenntes, selbst-regiertes kollektives Zusammenleben zu gestalten, das in seinem spirituellen Prinzip anders war als das gewöhnliche Leben. Das Klosterleben ist seiner Natur nach eine Vereinigung von Suchenden nach einer anderen Welt, von Menschen, deren ganzes Streben darauf gerichtet ist, die spirituelle Wirklichkeit zu finden, sie in sich zu verwirklichen und das gemeinsame Dasein durch Lebensregeln zu formen, die bei diesem Bemühen helfen. Gewöhnlich herrscht hier nicht das Bemühen, eine neue Lebensgestaltung zu bilden, die über die gewöhnliche menschliche Gesellschaft hinausgeht, und eine neue Welt-Ordnung zu schaffen. Es kann sein, daß eine Religion ein solches Zukunftsziel aufstellt oder einen ersten Versuch macht, ihm näher zu kommen. Es kann auch ein mentaler Idealismus einen solchen Versuch unternehmen. Alle diese Bemühungen sind aber stets an der Unbewußtheit und Unwissenheit unserer jetzigen menschlichen vitalen Natur gescheitert. Denn diese Natur ist ein Hindernis, dessen gewaltige Widersetzlichkeit kein bloßer Idealismus, kein unvollkommenes spirituelles Streben auf die Dauer beherrschen kann. Entweder versagt ein solches Bemühen infolge seiner eigenen Unvollkommenheit, oder die Unvollkommenheit der umgebenden Welt dringt in es ein. Dann sinkt es von der leuchtenden Höhe seines Strebens auf die gewöhnliche menschliche Stufe herab und wird zu etwas Vermischtem und Minderwertigem. Wenn ein gemeinsames spirituelles Leben das spirituelle Wesen, und nicht nur das mentale, vitale und physische, ausdrücken soll, muß es sich auf Werte gründen und diese durchhalten, die höher sind als die mentalen, vitalen und physischen der gewöhnlichen menschlichen Gesellschaft. Steht das Streben nicht auf solchem Fundament, so wird daraus nur die übliche menschliche Gesellschaft in einer gewissen Abwandlung. Damit das neue Leben sichtbar hervortreten kann, ist ein völlig neues Bewußtsein in vielen Einzelnen nötig, das ihr ganzes Wesen transformiert und ihr mentales, vitales und physisches Natur-Selbst umwandelt. Nur eine solche Umwandlung der allgemeinen Natur von Mental, Leben und Körper kann ein neues kollektives Dasein hervorbringen, das lebenswert ist. Die Tendenz der Entwicklung darf nicht nur darauf gerichtet sein, einen neuen Typus mentaler Wesen hervorzubringen. Vielmehr soll es eine Art von Menschen sein, die ihr ganzes Dasein aus unserer gegenwärtigen mentalisierten Tierhaftigkeit auf eine umfassendere Ebene der Erden-Natur emporgehoben haben.

Jede solche vollständige Transformation des Erden-Lebens kann sich nicht auf einmal in einer nennenswerten Zahl von Menschen durchsetzen. Selbst wenn der Wendepunkt erreicht und die entscheidende Linie überschritten ist, muß das neue Leben in seinen Anfängen noch durch eine Periode von Bedrängnis und mühevoller Entwicklung hindurchgehen. Der notwendige erste Schritt ist eine allgemeine Umwandlung aus dem alten Bewußtsein heraus. Durch diesen Schritt nehmen wir alles Leben in das spirituelle Prinzip empor. Die Vorbereitung dazu mag lange dauern. Die einmal begonnene Transformation selbst mag nur stufenweise vorwärtskommen. An einem gewissen Punkt mag sie im Einzelnen auch rasch erfolgen und sich sogar durch einen Sprung, einen Aufschwung der Entwicklung vollziehen. Eine individuelle Transformation bedeutet aber noch nicht, daß ein neuer Menschen-Typus oder ein neues kollektives Leben erschaffen wurde. Man kann sich eine Anzahl einzelner Menschen vorstellen, die sich getrennt voneinander, inmitten des alten Lebens, entwickeln und später miteinander vereinigen, um den Kern des neuen Daseins zu bilden. Es ist aber nicht wahrscheinlich, daß die Natur auf diese Weise vorgeht. Es wäre auch für den einzelnen Menschen schwierig, eine vollständige Umwandlung zu erlangen, solange er noch in das Leben der niederen Natur eingeschlossen ist. Auf einer gewissen Stufe der Entwicklung mag es nötig sein, die uralte Methode zu befolgen und sich in einer gesonderten Gemeinschaft zusammenzuschließen in der doppelten Absicht: nur zuerst für sich eine gesicherte Atmosphäre zu schaffen, einen Ort und ein Leben, in dem sich das Bewußtsein des Einzelnen auf seine Entwicklung in einer Umgebung konzentrieren kann, in der alles auf dieses einzige Bemühen eingestellt und in ihm zentriert ist. Ferner, wenn diese Dinge dazu reif sind, um das neue Leben in dieser Umgebung und in dieser vorbereiteten spirituellen Atmosphäre auszudrücken und zu entfalten. Es mag sein, daß sich bei einer solchen Konzentration des Bemühens alle Schwierigkeiten der Umwandlung mit gesammelter Kraft einstellen. Denn jeder Suchende trägt in sich die Möglichkeiten, aber auch die Unvollkommenheiten einer Welt, die transformiert werden soll. Somit bringt er nicht nur seine positiven Fähigkeiten mit, sondern auch seine Schwierigkeiten und die Widerstände seiner alten Natur. Vermischt in dem begrenzten Kreis eines kleinen engen Gemeinschaftslebens können diese an Zerstörungskraft beträchtlich zunehmen, was der gesteigerten Macht und Konzentration der Kräfte, die auf die Evolution hinwirken, entgegenarbeitet. Das ist eine Schwierigkeit, die in der Vergangenheit alle Bemühungen des mentalen Menschen vereitelt hat, etwas Besseres, Wahreres und Harmonischeres als das gewöhnliche mentale und vitale Leben zu entfalten. Wenn aber die Natur bereit ist, wenn sie die Entscheidung für die Evolution getroffen hat, wenn die aus den höheren Ebenen herniederkommende Macht des Geistes stark genug ist, wird diese Schwierigkeit überwunden und eine erste Gestaltung – oder Gestaltungen – dieser Evolution möglich.

Wenn wir uns darauf verlassen dürfen, daß das Gesetz der Evolution durch das führende Licht, den Willen und einen leuchtenden Ausdruck der Wahrheit des Geistes im Leben bestimmt wird, setzen wir eine gnostische Welt voraus, eine Welt, in der das Bewußtsein aller Wesen auf diese Basis gegründet ist. Man darf annehmen, daß dort der Lebens-Austausch der gnostischen Individuen in einer gnostischen Gemeinschaft oder in Gemeinschaften seiner Natur nach in gegenseitigem Verstehen und Harmonie vor sich geht. Jetzt und hier verläuft aber tatsächlich ein Leben gnostischer Menschen noch innerhalb des Lebens von Menschen in der Unwissenheit oder Seite an Seite mit diesen. Es versucht, in ihm oder aus ihm hervorzutreten. Es scheint, als seien die Gesetze dieser zwei Lebensformen konträr und einander widerstreitend. Es könnte also naheliegend sein, daß sich das Leben einer spirituellen Gemeinschaft gänzlich aus dem Leben der Unwissenheit zurückzieht und von ihm trennt. Sonst wäre ein Kompromiß zwischen beiden Lebensformen notwendig. Mit dem Kompromiß entsteht aber die Gefahr, daß das höhere Dasein verdorben oder unvollkommen wird. Da kommen zwei verschiedenartige und miteinander unverträgliche Daseins-Prinzipien miteinander in Berührung. Obwohl das höhere Prinzip das niedere Dasein beeinflußt, wirkt das niedere auch auf das höhere ein, da eine solche wechselseitige Einwirkung das Gesetz aller gegenseitiger Berührung und jeden Austausches ist. Man kann sogar die Frage erheben, ob nicht Konflikt und Zusammenstoß ihre Beziehung in erster Linie regelt, da sich im Leben der Unwissenheit stets der schreckliche Einfluß der Kräfte jener Finsternis, die das Böse und die Gewalttätigkeit unterstützen, vorfindet und aktiv ist. Ihr Interesse ist darauf gerichtet, alles höhere Licht, das in das Dasein der Menschen eindringt, zu verdunkeln und zu zerstören. Es war in der Vergangenheit häufig so, daß sich gegen alles, was neu ist oder sich über die geltende Ordnung der menschlichen Unwissenheit zu erheben oder aus ihr auszubrechen sucht, Opposition und Intoleranz, sogar Verfolgung erhebt. Ist das Neue siegreich, drängen sich die niederen Kräfte in es ein. Wenn die Welt das Neue akzeptiert, ist es gefährlicher, als wenn sie sich ihm widersetzt. Am Ende wird dann das neue Prinzip des Lebens ausgelöscht, entwertet oder verdorben. Diese Opposition kann noch viel gewalttätiger werden. Ein enttäuschender Ausgang ist dann noch wahrscheinlicher, wenn ein neues Licht oder eine neue Macht die Erde grundsätzlich als ihr angestammtes Erbe beanspruchen. Wir dürfen aber davon ausgehen, daß das neue und vollkommenere Licht auch eine neue und vollkommenere Macht mit sich bringt. Es mag gar nicht notwendig sein, daß es sich völlig absondert. Es kann sich in so vielen Inseln festsetzen und von dort aus seine Einflüsse und Infiltrationen in alles alte Leben hineingießen, um es zu durchstrahlen. Dadurch gewinnt es die Überhand und bringt Hilfe und Erleuchtung. Ein neues emporstrebendes Bemühen in der Menschheit versteht diese mit der Zeit immer besser und heißt sie willkommen.

Das sind aber offensichtlich Probleme des Übergangs in der Evolution, bevor die volle und siegreiche Umwandlung durch die sich offenbarende Kraft stattgefunden hat und bevor das Leben des gnostischen Menschen ebenso zu einem festgegründeten Teil der irdischen Welt-Ordnung geworden ist wie das des mentalen Menschen. Gehen wir davon aus, daß das gnostische Bewußtsein im Erden-Bewußtsein auf sichere Fundamente gestellt werden soll, müssen auch die ihm zur Verfügung stehende Macht und sein Wissen viel größer sein als Macht und Wissen des mentalen Menschen. Dann ist das Leben einer Gemeinschaft gnostischer Menschen, angenommen es verläuft getrennt für sich, gegen einen Angriff ebenso gesichert, wie es das organisierte Leben gegen einen Angriff einer niederen Gattung gewesen ist. Genauso aber, wie dieses Wissen und das eigentliche Prinzip der gnostischen Natur eine erleuchtete Einheit im gemeinsamen Leben gnostischer Menschen sicherstellt, reicht es auch dazu aus, eine überlegene Harmonie und aussöhnende Verständigung zwischen den beiden Typen des Lebens sicherzustellen. Der Einfluß des supramentalen Prinzips auf die Erde wirkt sich auf das Leben der Unwissenheit aus und legt ihm innerhalb seiner Grenzen Harmonie auf. Es ist vorstellbar, daß dabei das gnostische Leben noch für sich gesondert bleibt. Es wird aber sicherlich all das vom menschlichen Leben außerhalb in seinen Bereich aufnehmen, was der Spiritualität zugewandt ist und zu ihren Höhen vorwärtsgeht. Der Rest mag sich vor allem aufgrund des mentalen Prinzips auf seinen alten Fundamenten organisieren. Da ihm aber nun vonseiten eines erkennbaren höheren Wissens Hilfe und Einfluß zuströmt, tut es das voraussichtlich in den Grundzügen einer vollkommeneren Harmonisierung, deren das menschliche Kollektiv bis jetzt nicht fähig ist. Auch hier kann indessen das Mental nur Wahrscheinlichkeiten und Möglichkeiten voraussagen. Das Supramental-Prinzip in der Übernatur wird selbst im Einklang mit der Wahrheit der Dinge über das Gleichgewicht einer neuen Welt-Ordnung entscheiden.

Eine gnostische Übernatur transzendiert alle Werte unserer normalen unwissenden Natur. Unsere Maßstäbe und Werte sind von der Unwissenheit erschaffen und können deshalb nicht das Leben der Übernatur bestimmen. Zugleich ist aber unsere gegenwärtige Natur aus der Übernatur abgeleitet. Sie ist keine reine Unwissenheit, sondern ein Halbwissen. Darum darf man vernünftigerweise annehmen, daß jedwede spirituelle Wahrheit, die in oder hinter ihren Normen und Werten existiert, in dem höheren Leben wieder erscheinen wird. Nur treten sie hier nicht als Maßstäbe auf, sondern als umgewandelte Elemente, die aus der Unwissenheit emporgehoben und in die wahre Harmonie eines erleuchteteren Daseins versetzt sind. Wie der universal gewordene spirituelle Einzelmensch die begrenzte Personalität des Ichs abwirft, sobald er sich über das Mental zum vollkommenen Wissen in der Übernatur erhebt, so müssen die widersprüchlichen Ideale des Mentals von ihm abfallen. Was aber hinter ihnen wahr ist, bleibt im Leben der Übernatur erhalten. Das gnostische Bewußtsein ist ein Bewußtsein, in dem alle Widersprüche aufgehoben oder ineinander verschmolzen werden in einem höheren Licht des Betrachtens und Seins und in einer vereinten Erkenntnis des Selbsts und der Welt. Der gnostische Mensch erkennt die Ideale und Normen des Mentals nicht an. Seine Beweggründe sind nicht, für sich, für sein Ich, für die Menschheit, für andere Menschen, für die Gemeinschaft oder für den Staat zu leben. Denn er ist einer höheren Wahrheit als dieser Halb-Wahrheiten inne: der Göttlichen Wirklichkeit. Für sie lebt er nun, für das, was sie in ihm und in allen will, im Geist der Universalität, im Lichte dessen, was die Transzendenz will. Aus demselben Grunde kann es im gnostischen Leben keinen Widerstreit zwischen Ich-Behauptung und Altruismus geben. Denn das Selbst des gnostischen Menschen ist eins mit dem Selbst aller. Es gibt keinen Konflikt zwischen dem Ideal des Individualismus und dem kollektiven Ideal, denn beide Ideale sind Begriffe einer höheren Wirklichkeit. Für den Geist des gnostischen Menschen können sie nur insofern von Wert sein, als beide die Wirklichkeit zum Ausdruck bringen oder ihre Erfüllung dem Willen der Wirklichkeit dient. Zugleich wird aber in seinem Dasein all das erfüllt, was in den mentalen Idealen wahr und in ihnen schattenhaft vorgebildet ist. Denn während einerseits sein Bewußtsein so weit über die menschlichen Werte hinausgeht, daß er Gott nicht ersetzen kann durch die Menschheit, die Gemeinschaft, den Staat, die anderen Menschen oder durch sich selbst, ist es doch andererseits Teil seines Handelns im Leben, daß er das Göttliche Wesen in sich selbst anerkennt, ein Empfinden hat für das Göttliche Wesen in den anderen Menschen, ein Gefühl des Einsseins mit der Menschheit, mit allen anderen Wesen, mit der ganzen Welt, weil das Göttliche Wesen in ihnen ist. Das führt ihn zu einer stärkeren und besseren Bejahung der immer stärker erkannten Wirklichkeit in ihnen. Denn alles, was er tun soll, wird von der Wahrheit des Wissens und des Willens in ihm, von einer ganzen und unendlichen Wahrheit entschieden. Sie wird nicht durch ein einzelnes mentales Gesetz oder eine Norm festgelegt. Vielmehr handelt er in Freiheit innerhalb der ganzen Wirklichkeit, mit Achtung vor jeder Wahrheit an ihrem Ort, in klarer Erkenntnis der Kräfte, die am Werk sind, und der Absicht des sich offenbarenden Göttlichen Schöpferwillens bei jedem Schritt der kosmischen Evolution und in jedem Ereignis und Umstand.

Für das vollkommen gewordene spirituelle oder gnostische Bewußtsein muß alles Leben die Offenbarung der verwirklichten Wahrheit des Geistes sein: Nur dem, der sich umwandeln, in jener größeren Wahrheit sein spirituelles Selbst finden kann und in ihre Harmonie einschmelzen läßt, kann die Aufnahme in jenes Leben gewährt werden. Was überleben wird, kann das Mental nicht entscheiden. Denn die supramentale Gnosis will selbst ihre Wahrheit zu uns herabbringen. Diese Wahrheit nimmt alles, was vorher von ihr in unsere Ideale und Verwirklichungen des Mentals, Lebens und Körpers hineingegeben worden ist, zu sich empor. Die Formen, die sie hier angenommen hat, können nicht überleben. Denn sie sind wahrscheinlich für das neue Dasein nicht geeignet, ohne gewandelt oder ersetzt zu werden. Was aber in ihnen oder auch in ihren Formen wirklich und bleibend ist, wird sich der zum Überleben notwendigen Transformation unterziehen. Dabei wird vieles, was für das menschliche Leben normal ist, verschwinden. Die vielen mentalen Idole, Prinzipien und Systeme, einander widerstreitenden Ideale, die der Mensch in allen Bereichen seines Mentals und Lebens geschaffen hat, können im Licht der Gnosis keine Anerkennung und Verehrung verlangen. Aussicht, als Element einer auf viel umfassenderer Grundlage gegründeten Harmonie Eingang zu finden, kann – falls sie existiert – nur die Wahrheit haben, die verborgen hinter diesen vieldeutigen Bildern steht. Krieg könnte offensichtlich in einem Leben, das vom gnostischen Bewußtseins regiert wird, keine Seins-Grundlage haben mit seinem Geist der Gegensätzlichkeit und Feindschaft, seiner Brutalität, Zerstörung und ignoranten Gewalttätigkeit, dem politischen Kampf mit seinem ständigen Konflikt, seiner häufigen Unterdrückung, den Unehrlichkeiten, schimpflichen Handlungen, egoistischen Interessen, mit Unwissenheit, Unfähigkeit und Chaos. Die Künste und Handwerke bestehen weiter, aber nicht für minderwertiges mentales oder vitales Vergnügen, zur Freizeit-Unterhaltung und Lusterregung, sondern als Ausdrucksformen und Mittel der Wahrheit des Geistes, um der Schönheit und Freude am Sein willen. Leben und Körper sind nicht mehr die tyrannischen Herren, die neun Zehntel unseres Daseins zu ihrer Befriedigung verlangen. Vielmehr sind sie Mittel und Mächte, den Geist auszudrücken. Da Materie und Körper voll anerkannt sind, ist zugleich auch die Beherrschung und rechte Verwendung der physischen Dinge ein Teil des verwirklichten Lebens des Geistes in seiner Manifestation in der Erden-Natur.

Man nimmt fast allgemein an, spirituelles Leben müsse notwendig ein Leben in asketischer Dürftigkeit sein, man müsse alles verwerfen, was nicht für die bloße Erhaltung des Körpers notwendig sei. Das ist zwar gültig für ein spirituelles Leben, das seiner Natur und Absicht nach ein Leben der Abkehr vom Leben ist. Und auch abgesehen von diesem Ideal könnte man denken, die Hinwendung zum Geist erfordere immer äußerste Einfachheit, da alles übrige ein Leben des vitalen Verlangens und der Selbst-Befriedigung in körperlicher Lust sei. Von einem umfassenderen Gesichtspunkt her gesehen ist das aber ein mentaler Maßstab, der sich auf das Gesetz der Unwissenheit gründet, deren Motiv das Begehren ist. So kann als gültiges Prinzip der Grundsatz auftreten, man müsse, um die Unwissenheit zu überwinden und das Ich auszulöschen, nicht nur das Begehren selbst vollständig zurückweisen, sondern auch alle Dinge, die das Begehren befriedigen können. Eine solche Norm ist aber wie jeder mentale Maßstab keineswegs absolut und ebensowenig als Gesetz für jenes Bewußtsein bindend, das sich über das Begehren erhoben hat. Zum Wesenskern einer solchen Natur gehört völlige Reinheit und Meisterschaft aus dem Selbst. Sie bleibt dieselbe in Armut und in Reichtum. Wäre sie doch nicht wirklich oder vollständig, wenn sie durch beides erschüttert oder befleckt werden könnte. Die einzige Regel für unser gnostisches Wesen ist, daß wir durch unser Selbst den Geist, den Willen des Göttlichen Wesens zum Ausdruck bringen. Dieser Wille, dieser Selbst-Ausdruck kann sich ebenso durch äußerste Einfachheit wie durch äußerste Vielfalt und Üppigkeit des Lebens oder durch natürliche Ausgewogenheit offenbaren – denn Schönheit und Fülle, die verborgene Süße und das Lächeln in den Dingen, der Sonnenschein und die Freude am Leben sind ebenfalls Mächte und Ausdrucksformen des Geistes. Nach allen Richtungen hin bestimmt der Geist, der im Innern das Gesetz unserer Natur lenkt, auch den Rahmen des Lebens, seine Einzelheiten und seine Umstände. In allem herrscht dasselbe formbare Prinzip. So notwendig die Geltung strenger Normen für eine Ordnung der Dinge durch das Mental ist, so kann dies doch nicht das Gesetz spirituellen Lebens sein. Hier wird sich vielmehr eine große Mannigfaltigkeit und Freiheit des Ausdrucks des Selbsts zeigen, die ihre Basis in der zugrundeliegenden Einheit hat. Und doch gibt es dabei überall Harmonie und eine Ordnung aus der Wahrheit.

Ein Leben gnostischer Menschen, das die Evolution zu einem höheren, supramentalen Zustand emporträgt, mag man zutreffend als ein göttliches Leben charakterisieren. Denn es ist ein Leben im göttlichen Wesen, des Hervorbrechens eines spirituellen göttlichen Lichtes mit seiner in der materiellen Natur geoffenbarten Macht und Freude. Man könnte es auch als das Leben eines spirituellen und supramentalen Über-Menschentums beschreiben, da es über die mentale menschliche Ebene hinausgeht. Man darf das aber nicht mit vergangenen oder gegenwärtigen Vorstellungen von Übermenschentum verwechseln. Denn in der mentalen Vorstellung besteht das Übermenschentum darin, daß ein Mensch über die normale menschliche Stufe hinauskommt, und zwar nicht durch eine höhere Art, sondern nur durch einen höheren Grad derselben Art: durch ausgeweitete Persönlichkeit, ein vergrößertes und übertriebenes Ich, vermehrte Macht des Mentals, erhöhte Vital-Kraft und verfeinerte oder verdichtete und massive Übertreibung der Kräfte der menschlichen Unwissenheit. Sie enthält auch, und das wird allgemein dabei vorausgesetzt, die Idee einer gewalttätigen Beherrschung der Menschheit durch den Übermenschen. Das wäre ein Übermenschentum vom Typus Nietzsches. Im schlimmsten Fall ist es die Herrschaft der “blonden” oder der dunklen oder irgendeiner und jeder “Bestie”, eine Rückkehr zu brutaler Gewalt, Rohheit und Kraft. Es wäre keine Evolution, sondern ein Rückfall in die alte verbissen-gewalttätige Barbarei. Oder es könnte bedeuten, daß der Rakshasa oder Asura aus dem eifrigen, aber in der verkehrten Richtung angelegten Bemühen der Menschheit hervorgeht, über sich selbst hinauszukommen und sich zu transzendieren. Ein gewalttätiges und turbulentes übertriebenes vitales Ich, das sich durch eine höchst tyrannische oder anarchische Kraft der Selbst-Durchsetzung befriedigt, ist der Typus eines übermenschlichen Rakshasa. Aber der Riese, das Ungeheuer, das die Menschen und die Welt verschlingt, dieser Rakshasa gehört, auch wenn er noch überlebt, zum Geist der Vergangenheit. Würde dieser Typus wieder in größerer Zahl hervortreten, so wäre auch das eine rückwärts gerichtete Entwicklung. Der Typus des Asura stellt seine überwältigende Kraft zur Schau. Er ist selbstbeherrscht, verhalten, unter Umständen gar von asketisch gebändigter Mentalität und Lebens-Macht. Er kann stark, ruhig, kalt, in seiner gesammelten Vehemenz furchtbar, dabei subtil, herrschsüchtig und zugleich eine Sublimierung des mentalen und vitalen Ichs sein. Die Erde hat aber in ihrer Vergangenheit genug von dieser Art. Wenn sie sich wiederholt, verlängert sie nur die alten Entwicklungslinien. Für ihre Zukunft kann die Erde vom Titan, vom Asura keinen wahren Nutzen haben und nicht die Möglichkeit gewinnen, über sich selbst hinauszukommen. Selbst wenn diese Typen in sich eine große oder übernormale Macht besäßen, würde das die Erde nur auf weiteren Kreisen ihres alten Umlaufs forttragen. Was jetzt hervortreten muß, ist etwas viel Schwierigeres und zugleich etwas viel Einfacheres. Es ist ein Wesen, das sein Selbst verwirklicht; es baut auf das spirituelle Selbst auf; die Seele wird stärker, und es wächst ihr Drängen; ihr Licht, ihre Macht und ihre Schönheit werden entbunden und gewinnen an Souveränität. Das ist kein ichhaftes Übermenschentum, das sich durch mentale und vitale Herrschaft über die Menschheit durchsetzt, sondern die Souveränität des Geistes gegenüber seinen eigenen Werkzeugen. Dieses Übermenschentum besitzt sein Selbst und sein Leben in der Macht des Geistes. In einem neuen Bewußtsein findet die Menschheit den Weg, über sich hinauszukommen und sich selbst zu erfüllen durch die Enthüllung des Göttlichen, das in ihr auf seine Geburt drängt. Das ist die einzige wahre Art Übermenschentum. Das ist die einzig wahre Möglichkeit für einen Schritt nach vorn in der evolutionären Natur.

Dieser neue Zustand ist in der Tat eine Umkehrung des gegenwärtigen Gesetzes des menschlichen Bewußtseins und Lebens. Es kehrt das Prinzip des Lebens in der Unwissenheit um. Von der Seele kann man sagen, sie ist in die Unbewußtheit herabgekommen, um die Unwissenheit, ihre Überraschung und ihr Abenteuer zu genießen. Sie hat die Verkleidung der Materie angenommen, um das Abenteuer und die Freude am Erschaffen und Entdecken zu genießen, ein Abenteuer des Geistes, ein Abenteuer von Mental und Leben und die gefährlichen Überraschungen ihres Wirkens in der Materie. Sie sucht das Neue und Unbekannte zu entdecken und zu erobern. Aus all diesem besteht das Abenteuer des Lebens. Es scheint nun, dies alles könnte aufhören, wenn die Unwissenheit aufhört. Das Leben des Menschen besteht aus Licht und Finsternis, aus Gewinnen und Verlusten, Schwierigkeiten und Gefahren, den Freuden und Leiden der Unwissenheit. Das ist das Spiel von Farben, das sich auf dem Boden einer allgemeinen Neutralität der Materie vollzieht, die das Nicht-Bewußte und die Empfindungslosigkeit des Unbewußten zur Grundlage hat. Für das normale Lebens-Wesen mag ein Dasein ohne die Reaktionen von Erfolg und Enttäuschung, ohne vitale Freude und Traurigkeit, Gefahr und Leidenschaft, Lust und Schmerz, ohne die Wechselfälle und Ungewißheiten des Schicksals, ohne den Kampf, die Schlacht und die Anstrengung, ohne Freude an der Neuerung und Überraschung und ohne schöpferisches Tun, das sich ins Unbekannte projiziert, als öde, ohne Abwechslungen und darum auch ohne vitale Würze erscheinen. Darum hält der normale Mensch jedes Leben, das über diese Dinge hinausgeht, für etwas Gestaltloses, Ödes oder unveränderlich Eintöniges. Die Vorstellung des menschlichen Mentals vom Himmel ist eine unablässige Wiederholung ewiger Monotonie. Das ist aber eine falsche Auffassung. Denn wenn wir ins gnostische Bewußtsein eintreten, gehen wir ins Unendliche ein. Das ist eine Schöpfung des Selbsts, die das Unendliche auf unendliche Weise in die Formen des Seienden einbringt. Der Reiz des Unendlichen ist viel größer und vielseitiger, auch in unvergänglicher Weise freudvoller, als der Reiz des Endlichen. Die Evolution im Wissen ist eine schönere und herrlichere Manifestation mit viel weiteren Ausblicken, die sich immer neu entfalten und in jeder Weise stärker sind als jede Entwicklung in der Unwissenheit. Die Wonne des Geistes ist immer neu. Die von ihm gewählten Formen der Schönheit sind unzählig. Seine Göttlichkeit ist immer jung. Der Geschmack der Seligkeit, rasa, des Unendlichen ist ewig und unerschöpflich. Die gnostische Manifestation des Lebens ist erfüllter und trägt reichere Frucht. Ihr Reiz ist intensiver als der schöpferische Reiz der Unwissenheit. Sie ist ein größeres, froheres ständiges Wunder.

Gibt es eine Evolution in der materiellen Natur und ist sie eine Evolution des Wesens, deren zwei Schlüssel-Begriffe und Mächte Bewußtsein und Leben heißen, dann muß diese Fülle des Wesens, diese Fülle des Bewußtseins, diese Fülle des Lebens das Ziel der Entwicklung sein, dem wir zustreben und das sich auf einer früheren oder späteren Stufe unserer Bestimmung manifestieren wird. Das Selbst, der Geist, die aus der ersten Unbewußtheit von Leben und Materie sich enthüllende Wirklichkeit wird ihre vollständige Wahrheit von Wesen und Bewußtsein in diesem Leben hier und in dieser Materie entfalten. Die Wahrheit wird zu sich selbst zurückkehren – sollte es ihre Absicht sein, daß das Individuum ins Absolute heimkehrt, kann sie auch diese Rückkehr vollziehen – nicht durch eine Enttäuschung am Leben, sondern durch ihre spirituelle Vollkommenheit im Leben. Unsere Entwicklung in der Unwissenheit mit ihrer bunten Mischung von Freude und Schmerz bei unserer Entdeckung des Selbsts und der Welt, mit ihren halben Erfüllungen, ihrem ständigen Finden und Verlieren, ist nur ein erster Zustand. Sie muß unausweichlich zu einer Entwicklung im Wissen führen: Der Geist findet sich selbst und entfaltet sich selbst. Das Göttliche Wesen offenbart sich selbst in den Dingen in jener wahren Macht seiner selbst in einer Natur, die für uns jetzt noch die Übernatur ist.

ENDE
BUCH 2

 

1 ein Name für Vishnu, der als der Gott im Menschen ständig mit nara, dem menschlichen Wesen, in zweifacher Einung verbunden lebt.

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2 Eine andere Upanishad verwirft die Geburt des Seienden aus dem Nicht-Seienden als Unmöglichkeit. Sie sagt, Seiendes könne nur aus Seiendem geboren werden. Wenn wir aber Nicht-Seiendes nicht als ein nichtexistentes Nihil sondern als ein “x” nehmen, das über unsere Idee oder Erfahrung des Daseins hinausgeht – eine Bedeutung, die auf das absolute brahman des advaita ebenso anwendbar ist wie auf die Leere oder die Nulldimension der Buddhisten –, verschwindet die Unmöglichkeit. Denn Jenes mag sehr wohl der Ursprung des Seienden sein: ob durch eine empfangende oder formgebende maya, durch Manifestation oder durch Schöpfung aus sich selbst.

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3 Ich verwende hier das Wort “Intuition” in Ermangelung eines besseren. In Wahrheit ist es ein Notbehelf und für den von ihm verlangten Begriffsinhalt unzulänglich. Dasselbe muß auch von dem Wort “Bewußtsein” und von vielen anderen gesagt werden, die wir mangels besserer gezwungen sind, in ihrer Bedeutung ungebührlich auszuweiten.

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4 Unteilbar in der Totalität der Bewegung. Jeder Augenblick von Zeit und von Bewußtsein mag als gesondert von seinem Vorgänger und Nachfolger angesehen werden, jede auf die vorhergehende folgende Aktion von Energie als ein neues Quantum oder als eine neue Schöpfung. Das hebt aber die Kontinuität nicht auf, ohne die es keine Dauer in der Zeit und keinen Zusammenhang des Bewußtseins gäbe. Ob ein Mensch geht, rennt oder Sprünge macht, seine Schritte sind zwar stets voneinander getrennt, aber es ist etwas vorhanden, das die Schritte unternimmt und die Bewegung zusammenhängend macht.

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5 Gegenwärtig ist die merkwürdige Spekulation verbreitet, das Leben auf der Erde sei nicht aus einer anderen Welt, sondern von einem anderen Planeten gekommen. Für unser Denken würde das nichts erklären. Die wesentliche Frage ist: Wie kommt Leben überhaupt in die Materie? und nicht: Wie ist es in die Materie eines bestimmten Planeten gekommen?

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6 Ich übernehme den Ausdruck aus dem Rig Veda, rta-cit, in der Bedeutung: Bewußtsein der wesenhaften Wahrheit des Seienden ( satyam ), der geordneten Wahrheit des aktiven Seienden ( rtam ) und des unendlichen Selbstinneseins ( brhat ), in dem allein dieses Bewußtsein möglich ist.

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7 Ein vedischer Ausdruck: Die Götter handeln im Einklang mit den ersten Gesetzen, ursprünglich und darum erhaben, denn diese sind das Gesetz der Wahrheit der Dinge.

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8 Diese aus neuesten wissenschaftlichen Untersuchungen abgeleiteten Erwägungen werden hier nicht angeführt als Illustration oder Beweis für die Natur und den Prozeß von Leben in Materie, wie sie hier entwickelt werden. Naturwissenschaft und Metaphysik (ob gegründet auf rein intellektuelle Spekulation oder, wie in Indien, letztlich auf eine spirituelle Schau und Erfahrung der Dinge) haben jede ihren eigenen Bereich und ihre eigene Forschungsmethode. Naturwissenschaft kann ihre Ergebnisse ebensowenig der Metaphysik diktieren, wie Metaphysik ihre Schlußfolgerungen der Naturwissenschaft aufzwingen kann. Wenn wir aber die vernünftige Annahme akzeptieren, daß das Seiende und die Natur in allen ihren Zuständen ein System von Entsprechungen besitzen, das eine ihnen zugrundeliegende gemeinsame Wahrheit ausdrückt, ist es erlaubt zu vermuten, Wahrheiten des physischen Universums könnten ebenso einiges Licht auf den Charakter wie die Abläufe jener Kraft werfen, die im Universum aktiv ist, zwar kein vollständiges Licht, denn Naturwissenschaft ist hinsichtlich der Reichweite ihrer Forschung notwendigerweise nicht vollständig und besitzt auch keinen Zugang zum Verständnis der okkulten Bewegungen der Kraft.

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9 Geborenwerden, Wachsen und Sterben von Leben sind in ihrem vordergründigen Aspekt derselbe Prozeß von Ansammlung, Gestaltung und Auflösung, wenn sie auch in ihrem inneren Ablauf und in ihrer Bedeutung mehr als das sind. Selbst die Beseelung des Körpers durch das psychische Wesen folgt, wenn die okkulte Schau dieser Dinge korrekt ist, einem ähnlichen äußeren Vorgang. Denn die Seele zieht als Kern für das Geborenwerden die Elemente ihrer mentalen, vitalen und physischen Umhüllungen mit deren Inhalten an sich und fügt sie zusammen, weitet diese Formationen im Leben aus und läßt sie beim Weitergehen fallen; sie löst die Aggregate wieder auf und zieht ihre inneren Mächte in sich selbst zurück, bis sie in der Wiedergeburt den ursprünglichen Vorgang wiederholt.

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10 Hier wird vom Mental so gesprochen, wie es unmittelbar im Leben, im vitalen Wesen, durch das Herz wirkt. Liebe (als das relative, nicht als das absolute Prinzip) ist ein Prinzip des Lebens, nicht des Mentals; es kann aber nur dann im Besitz seines Selbsts sein und sich auf beständige Dauer hin entwickeln, wenn es vom Mental in dessen Licht emporgehoben wird. Was im Körper und in den vitalen Schichten Liebe genannt wird, ist meist eine Form von Hunger ohne Dauer.

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11 Das wirkliche Unterbewußte ist ein niederes herabgemindertes Bewußtsein, dem Unbewußten nahe. Das Subliminale ist ein umfassenderes Bewußtsein als das unseres vordergründigen Daseins. Beide gehören aber zum inneren Bereich unseres Wesens, dessen unser vordergründiges Dasein nicht gewahr ist. Darum werden die beiden in unserer gewöhnlichen Auffassung und Sprechweise durcheinandergebracht.

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12 Das Wort “psychisch” wird in unserem gewöhnlichen Sprachgebrauch häufiger in bezug auf diese Begehren-Seele verwendet als für das wahre psychische Wesen. Noch ungenauer wird es für psychische und andere Phänomene eines unnormalen oder übernormalen Charakters gebraucht, die in Wirklichkeit mit dem inneren Mental, dem inneren Vital und dem subtilen physischen Wesen verbunden sind, das in uns subliminal und absolut kein direktes Wesen der Psyche ist. Auch solche Phänomene wie Materialisation und Dematerialisation werden in den Begriff “psychisch” einbezogen, obwohl sie, wenn sie tatsächlich erwiesen sind, offensichtlich keine Seelenaktion darstellen und kein Licht auf Art oder Existenz der psychischen Wesenheit werfen würden, vielmehr unnormales Wirken einer okkulten subtilen physischen Energie wären, die in den gewöhnlichen Status des groben Körpers der Dinge eingreift, ihn erst zurück in seinen eigenen subtilen Zustand verwandelt und ihn dann wieder in den Begriffen der groben Materie rekonstruiert.

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13 Das Mental, wie wir es kennen, erschafft nur in einem relativen, instrumentalen Sinn. Es hat unbegrenzte Macht zur Kombination, aber seine schöpferischen Motive und Formen kommen zu ihm von oben: Alle geschaffenen Formen haben ihre Basis im Unendlichen, oberhalb von Mental, Leben und Materie. Sie werden hier aus dem Infinitesimalen repräsentiert, rekonstruiert – gewöhnlich stark miß-konstruiert. Ihre Wurzeln sind oben, ihre Verzweigungen gehen nach unten, sagt der Rig Veda. Das überbewußte Mental, von dem wir sprechen, sollte man eher ein Übermental nennen. Es nimmt in der hierarchischen Ordnung der Mächte des Geistes eine Zone ein, die direkt vom supramentalen Bewußtsein abhängt.

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14 Mental wird hier in seinem weitesten Sinn gebraucht und schließt auch das Wirken einer Übermental-Macht ein, die dem supramentalen Wahrheits-Bewußtsein am nächsten steht und die erste Quelle für die Erschaffung der Unwissenheit ist.

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15 In einer gegebenen Welt brauchte es keine Involution zu geben, sondern alle übrigen Prinzipien könnten einem einzigen untergeordnet oder in ihm enthalten sein. In einer solchen Weltordnung ist Evolution nicht notwendig.

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16 Prajna der Mandukya Upanishad: das Selbst, in einem tiefen Schlaf befangen, ist der Herr und Schöpfer aller Dinge.

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17 In der buddhistischen Theorie ist Wiedergeburt nur deshalb zwingend, weil das karma sie erfordert. Nicht eine Seele, sondern das karma ist das Verbindungsglied für ein dem Schein nach fortdauerndes Bewußtsein, denn das Bewußtsein ändert sich von Augenblick zu Augenblick: Es gibt diese scheinbare Kontinuität von Bewußtsein, aber es gibt keine wirkliche, unsterbliche Seele, die die Geburt auf sich nimmt und durch den Tod des Körpers hindurchgeht, um in einem anderen Körper wiedergeboren zu werden.

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18 In dieser Anschauung ist das Selbst Eines; es kann nicht viele sein oder sich vervielfältigen. Darum kann es auch kein wahres Individuum geben, sondern höchstens das eine Selbst, das allgegenwärtig ist und jedes Mental und jeden Körper mit der Idee des “Ich” beseelt.

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19 Dr. Schweitzer behauptet in seinem Buch über das Denken Indiens, daß dies der wirkliche Sinn der Lehre der Upanishaden gewesen und daß Wiedergeburt eine spätere Erfindung sei. Aber es gibt zahllose wichtige Stellen in fast allen Upanishaden, die positiv die Wiedergeburt behaupten. Und auf alle Fälle erkennen die Upanishaden das Überleben der Personalität nach dem Tod und ihren Übergang in andere Welten an, was mit jener Interpretation nicht vereinbar wäre. Wenn es ein Überleben in anderen Welten und auch eine endgültige Bestimmung zur Befreiung in das brahman für die hier verkörperten Seelen gibt, dann zwingt sich die Wiedergeburt von selbst auf. Es gibt keinen Grund für die Annahme, das sei eine spätere Theorie. Der Schreiber war offensichtlich durch Anknüpfung an westliche Philosophie geneigt, in den eher subtilen und komplexen Gedanken des alten Vedanta einen rein pantheistischen Sinn hineinzulesen.

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20 Gewisse Ausdrücke im Rig Veda scheinen diese Auffassung zum Inhalt zu haben. Von der Erde, dem materiellen Prinzip, wird als der Grundlage all dieser Welten gesprochen, oder die sieben Welten werden als die sieben Ebenen der Erde beschrieben.

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21 Unter “irdisch” verstehen wir nicht diese eine Erde und den Zeitablauf ihrer Dauer, sondern wir verwenden “Erde” in der umfassenderen Bedeutung der Wurzel des vedantischen prthvi, das Erd-Prinzip, das für die Seele Wohnstätten für ihre physische Gestalt erschafft.

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22 Handeln, karma. Nach der in diesem Vers der Upanishad ausgedrückten Anschauung wird das karma oder das Wirken dieses Lebens durch das Leben in der jenseitigen Welt, in der seine Ergebnisse zur Erfüllung kommen, erschöpft, die Seele kehrt für ein neues karma zur Erde zurück. Die Ursache für die Geburt in dieser Welt, für karma, für das Weitergehen der Seele zu einem Dasein in einer anderen Welt und für ihre Rückkehr hierher, ist ganz und gar das eigene Bewußtsein der Seele, ihr Wille und ihr Begehren.

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23 Selbst wenn die Wissenschaft – Naturwissenschaft oder okkulte Wissenschaft -die notwendigen Voraussetzungen oder Mittel für ein unbegrenztes Überleben des Körpers entdeckte, würde die Seele einen Weg finden, den Körper aufzugeben und zu einer neuen Inkarnation weiterzugehen, wenn der Körper sich nicht so anpassen könnte, daß er zum tauglichen Instrument würde, um das innere Wachsen der Seele auszudrücken. Die materiellen oder physischen Ursachen des Todes sind nicht dessen einzige oder wahre Ursache. Sein wahrer innerster Grund ist die spirituelle Notwendigkeit der Entwicklung eines neuen Wesens.

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24 Das ist das Wesentliche des spirituellen Ideals und der Verwirklichung, auf die uns die Gita hinweist.

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25 So die Gita. Die buddhistische Hochschätzung des allumfassenden Mitleidens, karuna, und des Mitgefühls mit allen (“Die ganze Erde ist meine Familie.”), vasudhaiva kutumbakam, als des höchsten Grundsatzes für das Handeln, sowie die Betonung der Liebe durch das Christentum beweisen diese kraftvolle Seite spirituellen Wesens.

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26 Das psychische und das spirituelle Sich-öffnen können mit ihren Erfahrungen und Folgen vom Leben weg- oder zu einem nirvana hinführen. Wir betrachten sie hier aber einzig und allein als Stufen einer Transformation der Natur.

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27 Das Wort, das die Idee ausdrückt, besitzt dieselbe Macht, wenn es mit spiritueller Macht aufgeladen ist. Das ist der Grund für die indische Verwendung des mantra.

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