Sri Aurobindo
Das Göttliche Leben
Buch 1
Kapitel I. Das Streben des Menschen
Usha folgt denen zum Ziel, die ins Jenseitige weitergehen. Sie ist die erste in der Folge der ewigen Morgendämmerungen, die kommen, – sie weitet sich aus, bringt das Lebendige hervor, erweckt einen Gestorbenen... Wie weit reicht sie, wenn sie Einklang schafft zwischen den Morgendämmerungen, die früher leuchteten, und denen, die jetzt scheinen müssen? Sie sehnt sich nach den Morgen der Vergangenheit und bringt ihr Licht zu vollem Glanz. Sie strahlt ihr Licht in die Zukunft und eint sich mit denen, die noch kommen sollen.
Kutsa Angirasa – Rig Veda, I.113.8.10.
Dreifach sind jene höchsten Geburten dieser göttlichen Kraft, die in der Welt ist, sie sind wahr, sie sind begehrenswert. Dort regt Er sich, weit-offenbar, im Inneren des Unendlichen, und leuchtet klar, lichtvoll, Erfüllung bringend... Was in Sterblichen unsterblich ist und im Besitz der Wahrheit, ist ein Gott, er wohnt im Innern als eine Kraft, die sich in unseren göttlichen Mächten auswirkt... Erhebe dich hoch über alles, o Stärke, zerreiße alle Schleier und offenbare in uns die Dinge der Gottheit.
Vamadeva – Rig Veda, IV.1.7., IV.2.1., IV.4.5.
Das früheste Anliegen im erwachten Denken des Menschen und, wie es scheint, sein unentrinnbares und letztes ist auch das höchste, das sein Denken sich vorstellen kann, – denn es überlebt die längsten Zeiträume des Skeptizismus und kehrt nach jeder Verbannung wieder zurück. Es offenbart sich in der Ahnung der Gottheit, im Impuls zur Vollkommenheit, im Suchen nach reiner Wahrheit und unvermischter Seligkeit, im Empfinden einer geheimen Unsterblichkeit. Die frühen Morgendämmerungen menschlicher Erkenntnis bezeugen dieses ständige Streben. Heute sehen wir, daß sich eine Menschheit anschickt, zu ihren ursprünglichen Sehnsüchten zurückzukehren, gesättigt und doch nicht befriedigt von der sieghaften Analyse des Äußeren der Natur. Die älteste Formulierung der Weisheit verspricht auch ihre letzte zu sein: Gott, Licht, Freiheit, Unsterblichkeit.
Diese unvergänglichen
Ideale der Menschheit stehen andererseits in Widerspruch zu ihrer alltäglichen
Erfahrung und sind die Bestätigung höherer und tieferer Erfahrungen, die für die
Menschheit im allgemeinen ungewöhnlich sind und in ihrer organischen
Vollständigkeit nur durch eine revolutionäre individuelle Anstrengung oder durch
einen evolutionären allgemeinen Fortschritt erlangt werden können. Als die
Offenbarung Gottes in der Materie und als das Ziel der Natur in ihrer irdischen
Evolution wird uns verheißen: Wir sollen in einem tierhaften, vom Ego bestimmten
Bewußtsein das göttliche Wesen erkennen, besitzen und sein. Wir dürfen unsere
zwielichtige oder verfinsterte physische Mentalität in die Fülle supramentaler
Erleuchtung verwandeln. Wir können Frieden und eine aus dem Selbst seiende
Seligkeit dort erbauen, wo es jetzt nur die Spannung vergänglicher
Befriedigungen gibt, die stets bedrängt werden vom physischen Schmerz und Leiden
des Gemüts. Wir vermögen die Fundamente zu einer unendlichen Freiheit in der
Welt zu legen, die sich uns als ein Komplex mechanischer Notwendigkeiten
präsentiert. Wir sollen unsterbliches Leben in einem Leib entdecken und
verwirklichen, der dem Tod und ständiger Veränderung unterworfen ist. Für den
gewöhnlichen materiellen Intellekt, der seine gegenwärtige
Bewußtseins-Organisation als äußerste Grenze seiner Möglichkeiten ansieht, ist
der direkte Widerspruch zwischen den unverwirklichten Idealen und der
verwirklichten Tatsächlichkeit ein endgültiges Argument gegen den Wert jener
Ideale. Wenn wir aber die Wirkensweisen der Natur gründlicher erforschen, kommt
uns diese direkte Widersprüchlichkeit eher vor als Teil der tiefsinnigen Methode
der Natur und als das Siegel ihrer vollen Zustimmung.
Denn alle Probleme des Daseins sind im wesentlichen
Probleme der Harmonie. Sie entstehen aus der Wahrnehmung einer unaufgelösten
Disharmonie und dem unbewußten Verlangen nach einer unentdeckten Übereinstimmung
oder Einheit. Die praktischen und mehr animalischen Schichten im Menschen
bringen es fertig, sich mit einer unaufgelösten Disharmonie zufriedenzugeben.
Das ist aber für sein voll erwachtes Mental unmöglich. Gewöhnlich gehen selbst
seine praktischen Seiten der allgemeinen Notwendigkeit einer Lösung nur dadurch
aus dem Wege, daß sie entweder das Problem ausklammern oder einen faulen,
unerleuchteten Nützlichkeitskompromiß eingehen. Denn die gesamte Natur sucht
wesenhaft nach Harmonie: das Vital und die Materie in ihrem eigenen Bereich
ebenso wie das Mental durch die Ordnung seiner Wahrnehmungen.
Je größer die scheinbare Unordnung der dargebotenen Materialien oder die
scheinbare Verschiedenheit, selbst bis zur unvereinbaren Gegensätzlichkeit der
Elemente, die verwendet werden müssen, ist, desto stärker der Ansporn zur
Harmonie. Er drängt nach einer feineren und machtvolleren Ordnung, als sie
normalerweise durch ein weniger schweres Bemühen zustande kommen kann. Das
aktive Leben in Einklang zu bringen mit einem zu formenden Material, in dem
Trägheit die Grundlage der Aktivität zu sein scheint, ist ein Problem des
Entgegengesetzten, das die Natur gelöst hat und in immer umfassenderer Vielfalt
zu lösen sucht. Seine vollkommene Lösung wäre die materielle Unsterblichkeit
eines völlig durchorganisierten, das Mental unterstützenden Tierkörpers. Ein
anderes Problem des Entgegengesetzten, bei dem die Natur erstaunliche Ergebnisse
zustande gebracht hat und nach immer neuen höheren Wundern strebt, ist der
Einklang zwischen bewußtem Mental und bewußtem Willen mit einer Gestalt und
einem Leben, die an sich nicht offenkundig ihres Selbsts bewußt sind und
bestenfalls einen mechanischen oder unterbewußten Willen aufbringen können. Ihr
höchstes Wunder wäre hier das Bewußtsein eines Tierwesens, das nach der Wahrheit
und dem Licht nicht mehr nur sucht, sondern beide zugleich mit der praktischen
Allmacht besitzt, die aus dem Besitz eines unmittelbaren, vervollkommneten
Wissens herrührt. So ist also dieser Aufwärtsdrang im Menschen nach
Harmonisierung immer umfassenderer Gegensätze nicht nur an sich vernunftgemäß,
sondern einzig mögliche Erfüllung eines Gesetzes und Bemühens, wie sie einer
grundlegenden Methode der Natur und dem wahren Sinn ihres universalen Ringens zu
entsprechen scheinen.
Wir sprechen von der Evolution des Lebens in der
Materie, von der Evolution des Mentals in der Materie. Evolution ist aber ein
Wort, das eigentlich nur das Phänomen feststellt, ohne es zu erklären. Denn es
scheint keinen Grund zu geben, warum sich Leben aus materiellen Elementen oder
Mental aus lebendigen Formen durch Evolution entfalten sollte, wenn wir nicht
die vedantische Lösung annehmen, daß Leben schon in Materie und Mental schon in
Leben involviert ist, weil ihrem Wesen nach Materie eine Form verhüllten Lebens
und Leben eine Form verhüllten Bewußtseins ist. Dann dürfte nur wenig gegen
einen weiteren Schritt in der Reihe und gegen die Zustimmung dazu eingewendet
werden können, daß mentales Bewußtsein selbst nur eine Form und eine Verhüllung
höherer Zustände ist, die jenseits des Mentals liegen. In diesem Fall erweist sich der unbesiegbare Drang des Menschen zu Gott, Licht,
Seligkeit, Freiheit, Unsterblichkeit wohl an seinem richtigen Platz in der Kette
einfach als der zwingende Impuls, durch den Natur die Evolution über das Mental
hinaus sucht, und er erscheint ebenso natürlich, wahr und richtig zu sein wie
der Impuls zum Leben, den sie in gewisse Formen der Materie einpflanzte, und wie
der Impuls zum Mental, den sie gewissen Formen von Leben eingab. Wie dort, so
existiert dieser Impuls hier mehr oder minder dunkel in ihren verschiedenen
Gefäßen mit einer immer höher ansteigenden Reihe in der Macht seines
Willens-zum-Sein. Wie dort, so entwickelt er sich hier in Stufen und muß die
notwendigen Organe und Fähigkeiten voll zur Entfaltung bringen. So wie der
Impuls zum Mental von den empfindsameren Reaktionen des Lebens in Metall und
Pflanze bis zu seiner vollen Organisation im Menschen emporreicht, so gibt es
auch im Menschen die gleiche emporsteigende Reihe, die Vorbereitung, wenn nicht
noch mehr, eines höheren göttlichen Lebens. Das Tier ist ein lebendiges
Laboratorium, in dem die Natur sozusagen den Menschen erarbeitet hat. Der Mensch
mag sehr wohl ein denkendes, lebendiges Laboratorium sein, in dem sie mit seiner
bewußten Mitwirkung den Über-Menschen, den Gott erarbeiten will. Oder sollten
wir nicht besser sagen: Gott offenbaren will? Denn wenn die Evolution die
fortschreitende Offenbarung seitens der Natur von dem ist, was in ihr schlief
oder involviert in ihr wirkte, ist die Natur auch die offenbare Realisation von
dem, was sie insgeheim ist. Wir dürfen sie also nicht auf einer gewissen Stufe
ihrer Evolution bitten, innezuhalten, und wir haben auch nicht das Recht, mit
den Vertretern der Religion als verkehrt und anmaßend oder, mit den Vertretern
des Rationalismus, als Krankheit oder Halluzination ihre etwaige Absicht oder
ihr Bemühen zu verurteilen, über die jetzige Stufe hinauszugehen. Wenn es wahr
ist, daß Geist in Materie involviert und sichtbare Natur insgeheim Gott ist,
dann ist es für den Menschen auf Erden das erhabenste und legitime Ziel, in sich
selbst das Göttliche zu offenbaren und Gott im Innern und nach außen hin zu
verwirklichen.
So rechtfertigt sich vor der überlegenden Vernunft wie
vor dem drängenden Instinkt oder der Intuition der Menschheit das ewige
Paradoxon und die ewige Wahrheit eines göttlichen Lebens in einem Tierkörper,
der einem sterblichen Gehäuse innewohnenden unsterblichen Sehnsucht oder
Wirklichkeit eines sich in begrenzten Mentalwesen und getrennten Ichs
repräsentierenden einzigen und universalen Bewußtseins, eines transzendenten, unbegrenzbaren, zeitlosen und
raumlosen Wesens, das allein Zeit, Raum und Kosmos möglich und in diesen allen
die höhere Wahrheit durch den niedrigeren Begriff realisierbar macht. Man hat
manchmal den Versuch unternommen, Fragen, die schon so oft vom logischen Denken
für unlösbar erklärt wurden, endgültig loszuwerden und die Menschen zu
überreden, ihre mentale Betätigung auf die praktischen unmittelbaren Probleme
ihrer materiellen Existenz im Universum zu beschränken. Solche Fluchtversuche
hatten aber nie dauerhafte Wirkung. Die Menschheit kehrt von ihnen mit nur noch
heftigerem Drang zum Forschen und noch stärkerem Hunger nach unmittelbarer
Lösung zurück. Aus diesem Hunger zieht der Mystizismus seinen Nutzen, und neue
Religionen entstehen, um die alten zu ersetzen, die man zerstörte oder ihrer
Bedeutung beraubte durch einen Skeptizismus, der selbst nicht befriedigte, da
das Forschen zwar sein Beruf, er aber nie willens war, gründlich genug zu
ermitteln. Eine Wahrheit ableugnen oder ersticken zu wollen, weil sie in ihrem
äußeren Wirken noch unerleuchtet ist und nur zu oft durch finsteren Aberglauben
oder eine rohe Glaubensform dargestellt wird, ist selbst eine Art von
Obskurantismus. Schließlich erweist sich, daß der Wille, sich einer kosmischen
Notwendigkeit deshalb zu entziehen, weil es mühevoll und schwierig ist, sie
durch leicht greifbare Ergebnisse zu rechtfertigen, und weil es lange dauert,
ihre Abläufe unter Kontrolle zu bringen, keine Anerkennung der Wahrheit der
Natur, sondern eine Revolte gegen den geheimen mächtigeren Willen der Großen
Mutter ist. Es ist besser und vernünftiger, wir nehmen das, was sie uns als
Menschheit zu verwerfen verbietet, an und erheben es aus dem Bereich blinden
Instinkts, unerleuchteter Intuition und ziellosen Strebens empor in das Licht
der Vernunft und in einen aufgeklärten und bewußt vom Selbst gelenkten Willen.
Wenn es dann ein höheres Licht erleuchteter Intuition oder sich selbst
enthüllender Wahrheit gibt, die jetzt im Menschen blockiert oder unwirksam ist
oder nur zeitweise wie durch einen Schleier aufblitzt oder nur gelegentlich
aufleuchtet wie das Nordlicht an unserem materiellen Himmel, auch dann sollen
wir uns nicht fürchten, weiter zu streben. Denn wahrscheinlich wird das der
nächsthöhere Zustand eines Bewußtseins sein, demgegenüber das Mental nur eine
Vorform und Verschleierung darstellt. Der Pfad unserer fortschreitenden
Selbst-Ausweitung in jenen höchsten Zustand, der am Ende der Ruheplatz der
Menschheit ist, mag durch die Herrlichkeiten dieses Lichtes hindurchführen
Kapitel II. Die beiden Verneinungen. 1. Die Ablehnung des Materialisten
Er verlieh der
Bewußtseinskraft Nachdruck, (in der strengen Disziplin des Denkens) und kam zu
der Erkenntnis, daß Materie das brahman ist. Denn aus Materie werden alle
Wesen geboren. Nach der Geburt wachsen sie durch Materie und gehen wieder in
Materie ein, wenn sie von hinnen scheiden. Dann ging er zu Varuna, seinem Vater,
und sprach: “Herr, belehre mich über das brahman.” Der aber antwortete
ihm: “Konzentriere in dir (erneut) die Bewußtseinskraft; denn die Kraft
ist brahman”.
Taittiriya Upanishad III, 1,2.
Die Behauptung, es gebe ein göttliches Leben auf Erden und ein Erfühlen der Unsterblichkeit im sterblichen Dasein, kann nur dann eine feste Grundlage haben, wenn wir nicht allein ewigen Geist als den Bewohner dieser körperlichen Behausung und Träger dieses veränderlichen Gewandes anerkennen, sondern auch Materie, aus der der Körper gemacht ist, als ein geeignetes und edles Material annehmen, aus dem Er ständig Seine Gewänder webt und immer neu die unendliche Reihe Seiner Wohnungen erbaut.
Das genügt jedoch nicht, uns davon abzuhalten, daß wir
vor dem Leben im Körper zurückschrecken, es sei denn, wir nehmen mit den
Upanishaden hinter den Erscheinungen die Identität im Wesentlichen dieser beiden
extremen Begriffe des Daseins wahr und können darum in der Sprache jener alten
Schriften sagen: “Auch Materie ist brahman.” So erst geben wir dem
kraftvollen Bild seine volle Bedeutung, womit das physische Universum als der
äußere Leib des Göttlichen Wesens beschrieben wird. Diese Identifikation
überzeugt jedoch den rationalen Intellekt durchaus nicht – so weit sind
offensichtlich diese beiden extremen Begriffe voneinander getrennt –, wenn wir
nicht eine Reihe von Begriffen in aufsteigender Folge zwischen Geist und Materie
anerkennen wollen: Leben, Mental, Supramental und die Stufen, die Mental und
Supramental verbinden. Sonst müssen die beiden als unversöhnbare Gegner erscheinen, die durch eine unglückliche Ehe aneinander gebunden
sind, deren Scheidung die einzig vernünftige Lösung wäre. Identifiziert man
beide und stellt jeden in den Begriffen des anderen dar, dann wird daraus ein
künstliches Gebilde des Denkens, das der Logik der Tatsachen widerspricht und
nur durch irrationalen Mystizismus möglich ist.
Bejahen wir nur einerseits reinen Geist und andererseits mechanische, nicht intelligente Substanz oder Energie und nennen wir das eine Gott oder Seele und das andere Natur, dann wird es unvermeidlich sein, daß wir schließlich entweder Gott verleugnen oder uns von der Natur abkehren. Sowohl für das Denken als auch für das Leben wird also eine Entscheidung zwingend. Denken kommt entweder zur Verleugnung des einen als einer Illusion der Phantasie oder des anderen als einer Illusion der Sinne. Leben klammert sich fest an das Immaterielle und flieht in Abscheu oder selbstvergessener Ekstase vor sich selber, oder es verleugnet seine eigene Unsterblichkeit, orientiert sich nicht mehr an Gott, sondern am Tier. Dann haben purusha und prakriti, die passiv-lichtvolle Seele der Sankhyas und deren mechanisch-aktive Energie nichts miteinander gemein, nicht einmal ihre entgegengesetzten Seins-Zustände trägen Beharrens. Ihre Antinomien können nur dadurch aufgelöst werden, daß die von Trägheit angetriebene Aktivität sich in die unbewegliche Ruhe auflöst, auf die sie die bedeutungslose Aufeinanderfolge ihrer Bilder in wirkungsloser Weise projiziert hatte. Shankaras weltfreies, inaktives Selbst und seine maya der vielen Namen und Formen sind in gleicher Weise unvereinbare, unversöhnbare Einheiten. Ihr starrer Widerstreit kann nur dadurch aufhören, daß sich die vielfältige Illusion in die alleinige Wahrheit ewigen Schweigens auflöst.
Der Materialist hat es leichter. Wenn er den Geist leugnet, kann er zu einer eher überzeugenden einfachen Behauptung gelangen, zu einem wirklichen Monismus der Materie oder auch der Kraft. Er kann aber nicht auf die Dauer bei dieser einseitigen Behauptung bleiben. Auch er muß schließlich ein Unerkennbares als unbeweglich beharrend annehmen, fern dem bekannten Universum, den passiven purusha oder den schweigenden atman. Das dient aber nur dem Zweck, durch vage Konzession die unerbittlichen Forderungen des Denkens beiseite zu schieben, oder als Entschuldigung für die Weigerung, die Grenzen des Forschens weiter auszudehnen.
Darum kann sich das
menschliche Mental mit diesen unfruchtbaren Widersprüchen nicht zufriedengeben.
Es muß immer weiter nach vollständiger Bejahung suchen. Sie kann es nur durch
erleuchtete Aussöhnung der Gegensätze finden. Um diese Aussöhnung zu erreichen,
muß es durch alle Stufen gehen, die uns unser inneres Bewußtsein auferlegt, und
dabei entweder durch die objektive Methode der Analyse, angewandt auf das Leben
und das Mental wie bisher auf die Materie, oder durch subjektive Synthese und
Erleuchtung zu dem Ruhepunkt der höchsten Einheit gelangen, ohne dabei der
Energie ihren Ausdruck in der Vielfalt zu verbieten. All die vielförmigen und
scheinbar einander widersprechenden Gegebenheiten des Daseins können allein in
solch vollständiger und allumfassender Bejahung harmonisiert werden. Nur so
können die zahlreichen, einander bekämpfenden Kräfte, die unser Denken und Leben
beherrschen, die zentrale Wahrheit entdecken, die sie hier symbolisieren und
verschiedenartig zur Erfüllung bringen. Nur so kann unser Denken, das eine wahre
Mitte erlangt hat, aufhören, die Dinge zu umkreisen. Es kann nun so wirken wie
das brahman der Upanishaden: tief gegründet und standfest in seinem
Kräftespiel und weltweitem Herumschweifen. Unser Leben kennt nun sein Ziel und
kann ihm ebenso mit heiterer unwandelbarer Freude und Erleuchtung wie mit
rhythmisch wechselnder Kraft dienen.
Ist dieser Rhythmus aber einmal gestört, dann ist es
für den Menschen nötig und dienlich, jeden dieser beiden großen Gegensätze
gesondert in seiner extremen Behauptung nachzuprüfen. Es ist die natürliche Art
des Mentals, dann mit vollkommener Klarheit zu der Bejahung, die es verloren
hatte, zurückzukehren. Es mag unterwegs den Versuch machen, auf den
dazwischenliegenden Stufen anzuhalten und alle Dinge auf die Begriffe von
ursprünglicher Lebens-Energie oder von Sinnesempfindung oder von Ideen
zurückzuführen. Solche ausschließenden Lösungen haben aber immer den Charakter
von etwas Unwirklichem. Sie mögen eine Zeitlang die logische Vernunft zufrieden
stellen, die nur mit reinen Ideen umgeht. Sie können aber nicht den Sinn des
Mentals für Aktualität befriedigen. Denn dieses weiß, daß hinter ihm etwas
steht, das nicht die Idee ist. Andererseits weiß es auch, daß etwas in
seinem Inneren ist, das mehr ist als der vitale Atem. Sowohl Geist wie Materie
können es eine Zeitlang meinen lassen, sie seien die absolute Wirklichkeit.
Keines der dazwischenliegenden Prinzipien kann das tun. Darum muß das Mental
zuerst zu den beiden Extremen gehen, bevor es sich wieder
erfolgreich dem Ganzen zuwenden kann. Dem Intellekt steht ein Sinnenapparat zur
Verfügung, der seiner Eigenart gemäß nur Teile des Daseins deutlich und klar
wahrnehmen kann und sich einer Sprache bedienen muß, die nur dann deutlich wird,
wenn sie sorgfältig trennt und abgrenzt. Hat er diese Vielfalt elementarer
Prinzipien vor sich, so wird er bei seinem Suchen nach der Einheit dazu
getrieben, alles rücksichtslos auf die Begriffe eines einzigen Prinzips
zurückzuführen. Um dieses durchzusetzen, versucht er praktisch, die anderen
auszuschließen. Will aber der Intellekt ohne diesen Prozeß des Ausschaltens den
wahren Ursprung der Identität erkennen, muß er entweder den Sprung über sich
selbst hinaus wagen oder den Kreis ganz durchlaufen, um am Ende zu finden, daß
sich alles in gleicher Weise auf Jenes zurückführen läßt, das über jede
Definition und Beschreibung erhaben und doch nicht nur wirklich, sondern auch
erreichbar ist. Auf welchem Weg wir auch gehen mögen, Jenes ist immer das Ziel,
zu dem wir gelangen, und wir können es nur verfehlen, wenn wir uns weigern, die
Reise zu vollenden.
Darum ist es verheißungsvoll, daß wir heute nach vielen Experimenten und verbalen Lösungen wieder den beiden Extremen gegenüberstehen, die allein so lange Zeit die strengsten Nachprüfungen durch die Erfahrung ausgehalten haben und am Ende der Erfahrung beide zu einem Ergebnis kamen, dem das universale Grundgefühl in der Menschheit, dieser verhüllte Richter, Hüter und Vertreter des universalen Geistes der Wahrheit, die Anerkennung als richtig oder befriedigend verweigert. In Europa und in Indien haben sich in gleicher Weise die Ablehnung des Materialisten und die Entsagung des Asketen als die einzige Wahrheit zu behaupten und das Verständnis des Lebens zu beherrschen gesucht. Wenn das Ergebnis in Indien ein reiches Anhäufen der Schätze des Geistes, oder doch mancher von ihnen, gewesen ist, so führte es auf der anderen Seite zu einem folgenschweren Bankrott des Lebens. In Europa hat dagegen die Fülle an Reichtümern und die triumphale Beherrschung der Mächte und Schätze dieser Welt fortschreitend zu einem gleichen Bankrott in den Dingen des Geistes geführt. Der Intellekt, der die Lösung aller Probleme in dem einen Begriff der Materie suchte, fand keine Befriedigung in der erhaltenen Antwort. Darum wird die Zeit reif -und dahin bewegt sich auch die Tendenz der Welt – für eine neue umfassende Bejahung im Denken, in der inneren und äußeren Erfahrung und für die ihr entsprechende neue, reiche Selbst-Erfüllung in einem vollständigen Menschsein für den Einzelnen wie für die Menschheit.
Aus dem Unterschied in
den Beziehungen des Geistes und der Materie zu dem Unerkennbaren, das sie beide
repräsentieren, ergibt sich auch ein Unterschied der Wirksamkeit in den
materiellen und den spirituellen Verneinungen. Die Ablehnung des Materialisten
ist zwar nachdrücklicher und unmittelbar erfolgreicher, sie spricht auch die
Masse der Menschheit viel leichter an. Sie ist aber von geringerer Dauer und
letztlich weniger wirkungsstark als die verzehrende, gefährliche Entsagung des
Asketen. Denn sie trägt ihre eigene Überwindung in sich. Ihr stärkstes Element
ist der Agnostizismus, der das Unerkennbare hinter aller Manifestation zugibt,
aber die Grenzen des Unerkennbaren soweit ausdehnt, daß es alles umfaßt, was
noch unbekannt ist. Seine Voraussetzung ist, daß die physischen Sinne unser
einziges Erkenntnismittel sind und darum die Vernunft, selbst bei weitesten und
kühnsten Höhenflügen, dem Bereich der Sinne nicht entkommen kann. Sie muß sich
immer und ausschließlich mit den Tatsachen auseinandersetzen, die jene ihr
liefern oder nahelegen. Und selbst diese Anregungen müssen stets fest an ihren
Ursprung gebunden bleiben. Wir können nicht über sie hinausgehen und können sie
nicht als Brücke verwenden, die uns in einen Bereich führt, in dem machtvollere
und weniger begrenzte Fähigkeiten eine Rolle spielen und eine andere
Forschungsmethode angewandt werden muß.
Eine so willkürliche Voraussetzung spricht sich ihr
eigenes Urteil der Unzulänglichkeit. Man kann sie nur aufrechterhalten, wenn man
den ganzen weiten Bereich von Evidenz und Erfahrung, der ihr widerspricht,
unbeachtet läßt oder wegerklärt, wenn man edle und nützliche Eigenschaften
bestreitet oder herabsetzt, die in allen menschlichen Wesen bewußt, verborgen
oder zumindest latent vorhanden sind, und sich weigert, supra-physische
Phänomene zu erforschen, wenn sie nicht in Beziehung zur Materie und ihren
Bewegungen hervortreten und als untergeordnete Wirkung materieller Kräfte
aufgefaßt werden können. Sobald wir die Wirkungsweisen von Mental und
Supramental zu untersuchen beginnen und dabei jenes Vorurteil fallen lassen, das
in ihnen von Anfang an nur einen der Materie untergeordneten Begriff sehen will,
kommen wir mit einer Masse von Phänomenen in Berührung, die dem starren Zugriff
und einengenden Dogmatismus der materialistischen Formel völlig entgehen. In dem
Augenblick, wo wir anerkennen – was uns unsere sich immer mehr ausweitende
Erfahrung anzuerkennen zwingt –, daß es im Universum erkennbare Wirklichkeiten
außerhalb der Reichweite der 22 - Sinne gibt und daß im Menschen Mächte und Fähigkeiten
vorhanden sind, die viel eher die materiellen Organe bestimmen, durch die sie
sich in Berührung mit der Welt der Sinne, mit dieser äußeren Schale unseres
wahren vollständigen Daseins, halten, als daß sie durch diese bestimmt werden – verschwindet die Prämisse des materialistischen Agnostizismus. Nun sind wir für
eine umfassende Darstellung und eine sich immer weiter entwickelnde Erforschung
der Tatsachen bereit.
Zuerst sollten wir aber den außerordentlichen, unentbehrlichen Nutzen anerkennen, den wir der kurzen Periode des rationalistischen Materialismus, durch die die Menschheit hindurchgegangen ist, verdanken. Denn man kann jenes weite Gebiet von Tatsachen und Erfahrungen, dessen Tore sich jetzt wieder vor uns zu öffnen beginnen, nur dann mit Sicherheit betreten, wenn der Intellekt streng zu einer klaren, nüchternen Disziplin trainiert worden ist. Wenn sich das Mental unreifer Menschen dieses Gebietes bemächtigt, führt das zu gefährlichen Entstellungen und irreführenden Phantastereien. Tatsächlich hat das in der Vergangenheit einen wirklichen Wahrheitskern mit einer solchen Kruste entstellenden Aberglaubens und vernunftwidriger Dogmen überzogen, daß dadurch jeder Fortschritt zu wahrer Erkenntnis unmöglich wurde. Da war es zu einer gewissen Zeit nötig, reine Bahn zu schaffen und dabei die Wahrheit zusammen mit ihrer irreführenden Entstellung hinauszufegen, damit der Weg für einen neuen Anfang und ein gesicherteres Fortschreiten frei werde. Die rationalistische Tendenz des Materialismus hat der Menschheit diesen großen Dienst erwiesen.
Die die Sinne transzendierenden Befähigungen wurden,
durch die Tatsache, daß sie in die Materie verstrickt, in einen physischen
Körper entsandt sind, um dort zu wirken, und unter ein Joch gespannt sind, um
den einen Wagen zusammen mit den Sehnsüchten des Gefühlslebens und den Impulsen
der Nerven zu ziehen, einem vermischten Wirken ausgesetzt, wobei sie in Gefahr
stehen, eher eine Verwirrung zu erleuchten, als die Wahrheit aufzuhellen. Dieses
vermischte Tätigsein ist besonders dann gefährlich, wenn Menschen mit
ungeläutertem Mental und unreinen Empfindungen sich in die höheren Bereiche
spiritueller Erfahrung zu erheben versuchen. Wie oft verlieren sie sich durch
diese voreiligen und überstürzten Abenteuer in Bereiche ungreifbarer
Wolkengebilde, halberhellten Nebels und einer Finsternis, von Blitzen zerrissen,
die mehr blenden als leuchten. Das Abenteuer war auf dem Weg, auf dem die Natur
ihren Fortschritt zu bewirken beliebt – und sie amüsiert sich ja auch bei ihrem Wirken,
– gewiß notwendig, für die Vernunft war es
aber doch überstürzt und voreilig.
Darum ist es unerläßlich, daß sich die vorwärtsschreitende Erkenntnis auf einen klaren, reinen und disziplinierten Intellekt gründet. Ebenso nötig ist auch, daß sie von Zeit zu Zeit ihre Irrtümer durch die Beschränkung auf die sinnlich wahrnehmbare Tatsache korrigiert und zu den konkreten Wirklichkeiten der physischen Welt zurückkehrt. Dem Sohn der Erde erbringt, selbst wenn er nach supraphysischem Wissen sucht, die Berührung mit der Erde stets eine Erneuerung seiner Kraft. Man kann sogar sagen, daß wir das Supraphysische nur dann in seiner ganzen Fülle meistern – zu seinen Höhen können wir immer emporstreben wenn wir unsere Füße fest auf dem irdischen Grund behalten. “Die Erde ist seiner Füße Stand,” sagt die Upanishad, wenn immer sie das Selbst betrachtet, das sich im Universum manifestiert (Mundaka Upanishad, II. 1. 4. und Brihadaranyaka Upanishad, I. 1. 1.). Es steht sicherlich fest: Je weiter wir unsere Erkenntnis der physischen Welt ausdehnen und je gesicherter wir sie machen, desto breiter und tragfähiger wird auch die Fundierung der höheren Erkenntnis, selbst für das höchste Wissen, selbst für brahmavidya.
Wenn wir also aus der materialistischen Periode menschlicher Erkenntnis auftauchen, müssen wir uns davor hüten, vorschnell das zu verurteilen, was wir hinter uns lassen, oder auch nur ein Tüttelchen ihrer Errungenschaften wegzuwerfen, bevor wir über Wahrnehmungen und Mächte verfügen können, die klar verstanden und gesichert genug sind, um sie zu ersetzen. Vielmehr sollen wir das, was der Atheismus für das Göttliche tat, mit Achtung betrachten und die Dienste bewundern, die jener Agnostizismus vorbereitend für die grenzenlose Vermehrung des Wissens leistete. In unserer Welt ist Irrtum ständig Diener und Pfadfinder von Wahrheit. Denn Irrtum ist in Wirklichkeit halbe Wahrheit, deren Fehler nur in ihrer Begrenztheit liegt. Oft ist er Wahrheit, die sich vermummt, um unbeachtet ihrem Ziel nahezukommen. Es wäre gut, er könnte immer das sein, was er in dem großen Zeitabschnitt war, den wir nun verlassen; der treue Diener, streng, gewissenhaft, mit reinen Motiven, innerhalb seiner Grenzen erleuchtet, zwar nur halbe Wahrheit, aber nicht rücksichtslose, anmaßende Verirrung.
Ein gewisser Agnostizismus ist die endgültige Wahrheit
jeder Erkenntnis. Denn wenn wir an das Ende jeglichen Pfades gelangen, erscheint
uns das Universum nur als ein Symbol, als äußere Erscheinung einer unerkennbaren Wirklichkeit, die sich hier in verschiedenen Systemen von
Werten zum Ausdruck bringt: physischen, vitalen und sinnlichen, sowie
intellektuellen, idealen und spirituellen Werten. Je mehr Jenes für uns zur
Wirklichkeit wird, desto mehr wird erkannt, daß es stets jenseits des
definierenden Denkens und des formulierenden Ausdrucks steht. “Dorthin reicht
nicht das Mental und auch nicht die Sprache” (Kena Upanishad, I. 3.).
Dennoch kann man, wie von Seiten der Illusionisten, die Unwirklichkeit der
Erscheinung ebenso wie die Nichterkennbarkeit des Unerkennbaren übertreiben.
Wenn wir von Ihm als dem Unerkennbaren sprechen, meinen wir in Wirklichkeit, daß
Es sich dem Zugriff unseres Denkens und unserer Sprache entzieht, dieser
Instrumente, die stets mit dem Sinn der Unterscheidung vorgehen und mit der
Methode der Definition darstellen. Ist Es aber auch nicht durch das Denken
erkennbar, so ist Es doch durch eine höchste Bemühung von Bewußtsein erreichbar.
Es gibt überdies eine Art Erkenntnis, die mit Identität eins ist und durch die
Es in gewissem Sinn erkannt werden kann. Gewiß kann eine solche Erkenntnis nicht
zutreffend in den Begriffen von Denken und Sprache ausgedrückt werden. Wenn wir
sie aber erlangt haben, ergibt sich daraus eine Neubewertung von Jenem in den
Symbolen unseres kosmischen Bewußtseins, und zwar nicht nur in einem einzigen,
sondern in allen Symbolbereichen. Das führt zu einer Umwandlung unseres inneren
Wesens und, durch die innere Umwandlung, zu einer Verwandlung unseres äußeren
Lebens. Außerdem gibt es eine Art des Erkennens, durch die Jenes sich mittels
all dieser Namen und Gestaltungen des phänomenalen Daseins offenbart, die Es vor
der gewöhnlichen Intelligenz verbergen. Zu diesem höheren (wenn auch noch nicht
höchsten) Verfahren des Erkennens können wir gelangen, wenn wir die Grenzlinien
der materialistischen Formel überschreiten und Leben, Mental und Supramental in
den Phänomenen untersuchen, die für sie charakteristisch sind, und nicht mehr
nur in jenen untergeordneten Abläufen, durch die sie sich mit der Materie
verknüpfen.
Das Unbekannte ist nicht das Unerkennbare. (“Anders ist
Jenes als das Erkannte; es steht auch über dem Unerkannten”, Kena Upanishad,
I. 3.). Es braucht für uns nicht das Unerkannte zu bleiben, wenn wir nicht
Unwissenheit vorziehen oder in unseren anfänglichen Begrenzungen stecken bleiben
wollen. Denn allen Dingen, die nicht unerkennbar sind, also allen Dingen im
Universum, entsprechen in diesem Universum Eigenschaften, die sie zur Kenntnis
nehmen können. Im Menschen, dem Mikrokosmos, sind
diese Fähigkeiten stets existent und auf einer bestimmten Stufe
entwicklungsfähig. Wir können vorziehen, sie nicht zu entfalten. Wo sie nur
teilweise entwickelt sind, können wir sie anhalten und ihnen eine Art
Unterernährung auferlegen. Grundsätzlich ist alles, was erkennbar ist, auch der
Erkenntnis des Menschen zugänglich. Da nun im Menschen dieser unveräußerliche
Drang der Natur zu seiner Selbst-Verwirklichung liegt, kann sich auch kein Kampf
des Intellekts für immer durchsetzen, das Wirken unserer Fähigkeiten auf einen
begrenzten Bereich einzuschränken. Wenn wir die Materie erforscht und ihre
verborgenen Eigenschaften als wirklich erkannt haben, muß dieselbe Erkenntnis,
die sich in jener zeitweiligen Begrenzung als nützlich erwiesen hatte, uns nun
(wie die Treiber im Veda) zurufen: “Vorwärts, drängt nun weiter auch in andere
Gefilde!”, Rig Veda, I. 4. 5.).
Wäre der moderne Materialismus nur ein nicht-intelligentes Sich-zufriedengeben im materiellen Leben, dann wäre der Fortschritt auf unbestimmte Zeit verzögert. Da aber seine wahre Seele das Suchen nach der Erkenntnis ist, kann er diesem unmöglich selbst ein Halt zurufen. Wenn er die Schranken der Sinneserkenntnis und der Vernunftschlüsse aus der Sinneserkenntnis erreicht hat, wird sein eigener Schwung ihn darüber hinwegtragen. Die Schnelligkeit und Sicherheit, mit der er das sichtbare Universum erfaßt hat, ist nur ein Unterpfand für die Energie und den Erfolg, die wir bei der Eroberung dessen, was jenseits der Sinnenwelt existiert, wiederholt zu sehen hoffen, wenn einmal der Schritt über die Schranke hinweg getan ist. Wir sehen dieses Vordringen jetzt schon in seinen verborgenen Anfängen.
Erkenntnis hat, auf welchem Pfad man auch nach ihr
strebt, die Tendenz, nicht nur in dem einen letzten Begriff, sondern auch auf
der großen Linie ihrer allgemeinen Ergebnisse eins zu werden. Hierfür kann
nichts auffallender und überzeugender sein als der Umfang, bis zu dem die
moderne Naturwissenschaft auf dem Gebiet der Materie die Auffassungen und sogar
die Formeln der Sprache bestätigt, zu denen man mit einer ganz anderen Methode
im Vedanta gekommen ist, und zwar im ursprünglichen Vedanta der Upanishaden,
nicht dem der verschiedenen Schulen metaphysischer Philosophie. Diese offenbaren
andererseits ihre volle Bedeutung und ihre reicheren Inhalte erst, wenn man sie
in dem neuen Licht betrachtet, das durch die Entdeckungen der modernen
Naturwissenschaften auf sie geworfen wird. Das gilt beispielsweise für jenen
vedantischen Ausdruck, der die Dinge im Kosmos als eine einzige Saat beschreibt, die von der universalen Energie in vielfachen Formen
entfaltet worden ist (Svetasvatara Upanishad, VI. 12.). Bedeutungsvoll
ist besonders die Tendenz der Naturwissenschaften zu einem Monismus, der sich
mit der Vielfalt verträgt, also zur Idee des Veda von dem einen wesenhaften Sein
mit seinen vielfachen Werdeformen. Selbst wenn man auf der dualistischen
Erscheinung von Materie und Kraft besteht, widerspricht das doch nicht diesem
Monismus. Denn es wird offenkundig, daß Materie ihrem Wesen nach etwas für die
Sinne nicht Existentes, sondern nur, wie das pradhana der
Sankhya-Philosophen, eine begriffliche Form der Substanz ist. Tatsächlich hat
man immer schneller den Punkt erreicht, an dem nur noch eine willkürliche
Unterscheidung im Denken die Form der Substanz von der Form der Energie trennt.
Schließlich ist Materie Ausdruck der Formulierung einer unbekannten Kraft. Auch das Leben, dieses noch nicht ausgelotete Mysterium, offenbart sich als eine geheime Energie von Empfindungsfähigkeit, die in ihre materielle Formulierung eingesperrt ist. Ist die trennende Unwissenheit überwunden, die uns eine Kluft zwischen Leben und Materie empfinden läßt, können wir nur schwer annehmen, Mental, Leben und Materie seien etwas anderes als eine einzige in einer dreifachen Formel ausgedrückte Energie, die dreifache Welt der vedischen Seher. Dann wird sich auch die Auffassung von einer rohen materiellen Kraft als Mutter des Mentals nicht mehr halten lassen. Die Energie, die die Welt erschafft, kann nichts anderes sein als ein Wille, und Wille ist Bewußtsein, das sich in den Dienst eines Wirkens und eines Resultats stellt.
Was sollte dieses Werk und dieses Ergebnis anderes sein
als eine Selbst-Involution von Bewußtsein in die Form und eine Selbst-Evolution
aus der Form, um so die mächtige Möglichkeit im Universum, das es geschaffen
hat, zu aktualisieren? Was ist der Wille im Menschen anderes als ein Wille zu
unendlichem Leben, zu unbegrenztem Wissen und zu ungefesselter Macht? Selbst die
Naturwissenschaft träumt heute von einem physischen Sieg über den Tod, sie
drückt einen unersättlichen Durst nach Wissen aus und schafft irgendwie an einer
irdischen Allmacht für die Menschheit. Raum und Zeit ziehen sich durch ihr
Wirken fast bis zum Nullpunkt zusammen. Sie versucht auf hundert Wegen, den
Menschen zum Herrn über die Umstände zu machen und ihm so die Fesseln der
Kausalität zu erleichtern. Die Vorstellung von einer Begrenzung,
von einem “unmöglich” wird immer verschwommener. Statt dessen sieht es so aus,
als ob der Mensch das, was er beharrlich will, schließlich auch zu tun fähig
sein muß. Denn das Bewußtsein in der Menschheit findet am Ende immer die Mittel
dazu. Diese Allmacht drückt sich aber nicht im einzelnen Menschen aus, sondern
der kollektive Wille der Menschheit bewirkt das und verwendet das Individuum als
Werkzeug. Schauen wir aber noch tiefer, dann ist das nicht ein bewußter Wille
des Kollektivs, vielmehr eine überbewußte Macht, die das Individuum als Zentrum
und Mittel und das Kollektiv als Grundbedingung und Feld verwendet. Was ist
dieser Wille aber anderes als der Gott im Menschen, die unendliche Identität,
die vielfältige Einheit, der Allwissende, der Allmächtige? Den Menschen hat Er
zu Seinem Ebenbild erschaffen und ihm das Ich als Zentrum des Wirkens gegeben.
Und Er erschuf die Menschheit, den kollektiven narayana,1 um darin den Menschen
zu prägen und zu begrenzen. Nun sucht Er in den universalen Menschen,
visvamanava, irgendein Ebenbild von Einheit, Allwissenheit und Allmacht zum
Ausdruck zu bringen, in denen das Göttliche Wesen sich selbst versteht. “Was
unsterblich in den Menschen lebt, das ist ein Gott. Er wohnt in ihrem Inneren
als eine Kraft, die sich in unseren göttlichen Kräften auswirkt” (Rig Veda,
IV. 2. 1.). Diesem ungeheuren kosmischen Impuls dient die moderne Welt, ohne daß
sie ihr Ziel recht erkennt, mit all ihren Aktivitäten, und sie bemüht sich
unbewußt um dessen Erfüllung.
Doch gibt es stets Begrenzung und Behinderung,
Begrenzung in der Er-Kenntnis durch den materiellen Bereich, und Behinderung in
der Macht durch den materiellen Mechanismus. Aber auch hier ist die neueste
Bestrebung bedeutungsvoll für eine freiere Zukunft. So wie die Außenposten der
wissenschaftlichen Erkenntnis immer mehr an die Grenzen hinausgeschoben werden,
die das Materielle vom Immateriellen scheiden, so suchen die höchsten
Errungenschaften der praktischen Naturwissenschaft die technischen Mittel, mit
denen man die höchsten Wirkungen erzielt, immer mehr zu vereinfachen und bis auf
den Nullpunkt zu reduzieren. Drahtlose Telegraphie ist äußeres Zeichen der Natur
und Hinweis auf eine neue Orientierung. Das sinnenfällige physische Mittel für
die unmittelbare Übertragung der physischen Kraft ist beseitigt. Es wird nur noch an den Punkten der Sendung und des Empfangs beibehalten.
Schließlich müssen auch diese noch verschwinden. Denn wenn man die Gesetze und
Kräfte des Supraphysischen vom richtigen Ausgangspunkt her studiert, wird man
unfehlbar für das Mental Mittel und Wege finden, die physische Energie
unmittelbar zu erfassen und genau auf ihrem Weg zum Ziel zu beschleunigen. Wenn
wir das einmal erkennen, stehen uns die Tore für ungeheure Ausblicke in die
Zukunft offen. Selbst wenn wir das volle Wissen und die vollständige Kontrolle
über die Welten unmittelbar oberhalb der Materie hätten, wäre auch dort noch
eine Grenze und noch ein Jenseits davon. Der letzte Knoten unserer Gebundenheit
befindet sich an jenem Punkt, an dem das Äußere in die Einung mit dem Inneren
übergeht. Dort wird der Mechanismus des Ichs selbst bis zum Nullpunkt
verfeinert. Das Gesetz für unser Handeln ist letztlich Einheit, die Vielfalt
umfaßt und in sich selbst besitzt. Da ist nicht mehr wie jetzt Vielfalt, die um
Gestaltung der Einheit ringt. Hier ist der zentrale Thron des kosmischen
Wissens, von wo es sein ausgedehntes Reich überschaut. Hier ist das Reich
unseres Selbsts eins mit dem Reich unserer Welt: svarajya und samrajya,
das doppelte Ziel, das sich der Yoga der Alten gesetzt hatte. Hier ist das Leben
in dem ewig erhabenen Wesen: salokya-mukti, Befreiung durch das Dasein in
einer einzigen Welt des Seienden zusammen mit dem Göttlichen Wesen. Hier ist die
Verwirklichung Seiner Göttlichen Natur in unserem menschlichen Dasein:
sadharmya-mukti, die Befreiung durch die Annahme der Göttlichen Natur.
Kapitel III. Die beiden Verneinungen. 2. Die Zurückweisung des Asketen
All dies ist das
brahman; dieses Selbst ist das brahman, und das Selbst ist
vierfältig. (Es ist) jenseits von Beziehung, gestaltlos, undenkbar, in ihm ist
alles still.
Mandukya Upanishad, Verse 2,7.
Es gibt doch noch ein Jenseits davon.
Denn auf der anderen Seite des kosmischen Bewußtseins gibt es, für uns unerreichbar, ein noch mehr transzendentes Bewußtsein – nicht nur transzendent zum Ich, sondern auch zum Kosmos selbst demgegenüber das Universum wie ein winziges Bild vor einem unermeßlichen Hintergrund dazustehen scheint. Jenes trägt und erhält die universale Aktivität – oder duldet sie vielleicht nur. Es umfaßt das Leben mit Seiner ungeheuren Weite, – oder lehnt es vielleicht von Seiner Unendlichkeit her ab.
Der Materialist ist zwar von seinem Gesichtspunkt her gerechtfertigt, wenn er darauf besteht, die Materie sei die Wirklichkeit, die relative Welt das einzige, dessen wir einigermaßen gewiß sein könnten, das Jenseits etwas völlig Unerkennbares, wenn nicht gar Nicht-Seiendes, ein Traum des Mentals, eine Abstraktion des Denkens, das sich von der Wirklichkeit geschieden hat. Andererseits ist auch der in das Jenseits verliebte Sannyasin von seinem Gesichtspunkt aus gerechtfertigt, wenn er darauf besteht, der reine Geist sei die Wirklichkeit, das einzige, das frei ist von Wechsel, Geburt und Tod, das Relative sei nur eine Schöpfung des Mentals und der Sinne, ein Traum, eine Abstraktion im umgekehrten Sinn einer Mentalität, die sich vom reinen und ewigen Wissen zurückziehe.
Gibt es eine Rechtfertigung durch Logik und Erfahrung,
die zur Stütze für das eine Extrem vorgebracht werden kann, der man nicht auch
eine ebenso zwingende Logik und eine in gleicher Weise gültige Erfahrung vom
anderen Ende her entgegenstellen könnte? Die Welt der Materie wird durch die Erfahrung der physischen Sinne bestätigt, und da diese
als solche nicht fähig sind, etwas Nichtmaterielles oder nicht als grobe Materie
Organisiertes wahrzunehmen, möchten sie uns davon überzeugen, das Übersinnliche
sei das Unwirkliche. Dieser primitive simple Irrtum unserer körperlichen Organe
gewinnt dadurch nicht an Gültigkeit, daß er in das Gebiet des philosophischen
Vernunftdenkens erhoben wird. Seine anmaßende Behauptung ist offensichtlich
unbegründet. Selbst in der Welt der Materie existiert manches, das die
physischen Sinne zu erkennen unfähig sind. Dennoch gründet sich dieses Leugnen
des Übersinnlichen, es sei notwendigerweise eine Illusion oder Halluzination,
auf die dauernde, sinnenhafte Gleichsetzung des Wirklichen mit dem materiell
Wahrnehmbaren, was doch selbst eine Halluzination ist. Da es durchweg das, was
es zu beweisen sucht, schon voraussetzt, kommt es zu einem Zirkelschluß und kann
darum keinen Wert für ein unparteiisches Vernunftdenken beanspruchen.
Nicht nur gibt es physische Wirklichkeiten von übersinnlicher Art, sondern auch – wenn Evidenz und Erfahrung überhaupt eine Probe auf die Wahrheit bieten – Sinne, die supraphysisch sind, die nicht nur die Wirklichkeiten der materiellen Welt ohne die Hilfe der körperlichen Sinnesorgane erkennen, sondern uns auch in Berührung mit anderen supraphysischen Wirklichkeiten bringen können, die einer anderen Welt angehören, – sozusagen eingeschlossen in eine Organisation bewußter Erfahrungen, die von einem anderen Prinzip abhängen als dem der groben Materie, aus dem unsere Sonnen und Erden gebildet zu sein scheinen (suksma indriya, subtile Organe, die im subtilen Körper, suksma deha, existieren und Mittel des subtilen Sehens und Erfahrens sind, suksma drsti).
Diese Wahrheit, durch Erfahrung und Glauben der
Menschheit seit den Ursprüngen des Denkens dauernd behauptet, wird jetzt, da der
Zwang zu einer ausschließlichen besonderen Beschäftigung mit den Geheimnissen
der materiellen Welt nicht länger besteht, immer mehr durch neu entdeckte Formen
wissenschaftlicher Forschung gerechtfertigt. Den immer zahlreicheren Beweisen,
von denen nur die offensichtlichsten, äußerlichsten unter dem Namen Telepathie
und verwandten Erscheinungen bekannt sind, kann nur die mentale Haltung solcher
Menschen widersprechen, die noch im brillanten Gehäuse der Vergangenheit
eingeschlossen sind, deren Intellekt trotz seiner Schärfe durch die Begrenzung
auf das Feld ihrer Erfahrung und Forschung beschränkt ist oder die die Aufklärung und Vernunft mit der gutgläubigen Wiederholung von
Formeln verwechseln, die, von einem verflossenen Jahrhundert uns vererbt, nun
eifersüchtig als tote oder sterbende Dogmen konserviert werden.
Gewiß ist der Einblick in supraphysische
Wirklichkeiten, der durch methodische Forschung erworben wird, noch unvollkommen
und ungenügend bestätigt, denn die dabei verwendeten Methoden sind noch primitiv
und fehlerhaft. Jedoch hat man diese wiederentdeckten subtilen Sinne schließlich
als vertrauenswürdige Zeugen physischer Tatsachen erkannt, die jenseits der
Reichweite körperlicher Organe liegen. Es ist also unberechtigt, sie falsche
Zeugen zu schelten, wenn sie supraphysische Tatsachen jenseits des Bereiches der
materiellen Bewußtseinsorganisation bezeugen. Ihr Zeugnis muß wie jede Evidenz,
also auch die der physischen Sinne selbst, kontrolliert, erforscht und durch die
Vernunft geordnet werden. Man muß es richtig auswerten, in die richtigen
Beziehungen setzen, seinen Geltungsbereich, seine Gesetze und Verfahrensweisen
genau bestimmen. Die Wahrheit großer Erfahrungsbereiche, deren Objekte in einer
subtileren Substanz existieren und durch subtilere Instrumente als durch die der
groben physischen Materie wahrgenommen werden, beansprucht letztlich dieselbe
Geltung wie die Wahrheit des materiellen Universums. Die jenseitigen Welten
existieren: Sie haben ihren universalen Rhythmus, ihre erhabenen Linien und
Gestaltungen, ihre aus sich seienden Gesetze, mächtigen Energien und die ihnen
entsprechenden lichtvollen Erkenntnismittel. Sie üben auf unsere hiesige
physische Existenz und in unserem physischen Körper ihren Einfluß aus. Hier
organisieren sie auch die Mittel für ihre Manifestation und entsenden hierher
ihre beauftragten Boten und Zeugen. Die Welten sind jedoch nur Rahmen für unsere
Erfahrung, die Sinne nur Instrumente der Erfahrung und Ausdrucksmittel. Die
große zugrunde liegende Tatsache ist das Bewußtsein. An es, den universalen
Beobachter und Zeugen, für den die Welt ein Feld und die Sinne Instrumente sind,
appellieren die Welten und ihre Gegenstände zur Bestätigung ihrer Wirklichkeit,
der einen oder der vielen Welten, der physischen ebenso wie der supraphysischen
Welt; denn wir haben keinen anderen Beweis dafür, daß sie existieren. Man hat
eingewendet, das sei keine der Konstitution der Menschheit und ihrer Betrachtung
einer objektiven Welt eigentümliche Beziehung, sondern gerade die wahre Natur
des Daseins an sich. Denn alles phänomenale Dasein bestehe aus einem beobachtenden Bewußtsein und einer aktiven Objektivität, und die Aktion
könne nicht ohne den beobachtenden Zeugen vor sich gehen, weil das Universum nur
im Bewußtsein und für das Bewußtsein existiere, das beobachtet, und unabhängig
davon keine Wirklichkeit besitze. In Erwiderung darauf hat man dann behauptet,
das materielle Universum erfreue sich einer ewigen Existenz aus sich selbst: Es
war schon hier, bevor Leben und Mental in Erscheinung traten, es wird überleben,
wenn sie wieder verschwunden sind und den ewigen unbewußten Rhythmus der Sonnen
nicht mehr mit ihrem vergänglichen Ringen und ihren beschränkten Gedanken
stören. Der Unterschied zwischen diesen Auffassungen, nur scheinbar ein
metaphysischer, ist praktisch von größter Bedeutung, er bestimmt die gesamte
Anschauung des Menschen vom Leben, vom Ziel, dem er all sein Bemühen weiht, und
vom Feld, auf das er seine Energien konzentrieren soll. Er stellt die Frage nach
der Wirklichkeit des kosmischen Daseins und, was noch wichtiger ist, nach dem
Wert des menschlichen Lebens.
Verfolgen wir den materialistischen Schluß konsequent
genug, ergibt sich daraus die Bedeutungslosigkeit und Unwirklichkeit des Lebens
des Einzelnen und der Menschheit. Logischerweise läßt uns das nur folgende Wahl:
Der Einzelne muß mit fieberhaftem Bemühen aus seinem vergänglichen Dasein alles,
was er kann, an sich reißen, um, wie man sagt, “sein Leben auszuleben”. Oder er
muß der Menschheit und dem Einzelnen leidenschaftslos und absichtslos dienen,
wobei er gut weiß, daß der Einzelne nur eine vorübergehende Fiktion des
nervlichen Mentals und die Menschheit nur die ein wenig länger lebende
kollektive Form desselben regulären nervlichen Spasmas der Materie ist. Dann
arbeiten oder genießen wir unter dem Zwang einer materiellen Energie, die uns
mit dem kurzen Wahn des Lebens betrügt oder mit der edleren Täuschung
irreleitet, es gebe ein sittliches Ziel und höchste mentale Erfüllung.
Materialismus wie spiritueller Monismus gelangen zu einer maya, die ist
und doch auch nicht ist: Sie ist, denn sie ist gegenwärtig und zwingend, und sie
ist nicht, denn sie ist nur eine Erscheinung und in ihren Wirkungen
vorübergehend. Wenn wir vom anderen Ende her zu viel Nachdruck auf die
Unwirklichkeit der objektiven Welt legen, gelangen wir auf anderem Weg zu
ähnlichen, sogar noch einschneidenderen Schlüssen: zum fiktiven Charakter des
individuellen Ichs, zur Unwirklichkeit und Zwecklosigkeit des menschlichen
Daseins, zur Rückkehr in das Nichtsein oder in das beziehungslose Absolute, der
einzig vernünftigen Flucht aus dem sinnlosen
Wirrwarr des Lebens in einer Scheinwelt.
Aber diese Frage kann eben nicht durch logisches Argumentieren aufgrund der Gegebenheiten unseres gewöhnlichen physischen Daseins gelöst werden. Denn in diesen Gegebenheiten gibt es immer eine Lücke der Erfahrung, die keine Auseinandersetzung zu einem Schluß kommen läßt. Normalerweise haben wir weder die definitive Erfahrung eines kosmischen Mentals oder eines Supramentals, die nicht an das Leben des individuellen Körpers gebunden wäre, noch besitzen wir eine feste Erfahrungsgrenze, die uns zu der Vermutung berechtigen könnte, unser subjektives Selbst sei wirklich von dem physischen Rahmen abhängig und könne diesen weder überleben noch sich über den individuellen Körper hinaus ausweiten. Dieser uralte Streit kann nur entschieden werden durch Ausweitung unseres Bewußtseins oder durch unverhofftes Wachsen unserer Erkenntnis-Instrumente.
Um befriedigend zu sein, muß die Ausweitung unseres Bewußtseins notwendigerweise eine innere Ausdehnung der individuellen zur kosmischen Existenz sein. Denn wenn der beobachtende Zeuge existiert, ist er nicht das individuelle verkörperte Mental, das in die Welt hineingeboren ist, sondern jenes kosmische Bewußtsein, das das Universum umfängt und zugleich als immanente Intelligenz in all dessen Wirken erscheint. Beide Welten werden ewig und wirklich von Ihm erhalten als Sein eigenes aktives Dasein, oder sie werden aus ihm geboren und verschwinden wieder in es durch einen Akt von Wissen oder einen Akt bewußter Macht. Nicht das organisierte Mental ist der beobachtende Zeuge des kosmischen Daseins und sein Herr, sondern Jenes, das still und ewig gleichmäßig in der lebendigen Erde und dem lebenden menschlichen Körper west, für das Mental und Sinne entbehrliche Instrumente sind.
Nach und nach wird in der modernen Psychologie die
Möglichkeit eines kosmischen Bewußtseins in der Menschheit ebenso wie die
Möglichkeit elastischer Werkzeuge der Erkenntnis zugegeben, wenn sie auch,
obwohl ihnen Wert und Macht zugestanden wird, noch als Halluzination eingestuft
werden. In der Psychologie des Ostens wurde das kosmische Bewußtsein immer als
Wirklichkeit und Ziel unserer weiteren subjektiven Entfaltung anerkannt. Das
Wesentliche für den Übergang zu diesem Ziel ist, daß wir die uns durch den
Ich-Sinn aufgezwungenen Schranken durchschreiten, am Wissen aus dem Selbst
zumindest teilnehmen und, als höchstes Ziel, uns
mit ihm, das insgeheim in allem Leben und in dem, was uns als unbelebt
erscheint, west, identifizieren.
Wenn wir in jenes Bewußtsein eingehen, können wir, ebenso wie Es, weiter im universalen Dasein verweilen. Dann beginnen alle unsere Begriffe des Bewußtseins und auch unsere sinnenhafte Erfahrung, sich zu verwandeln, und wir werden dessen gewahr, daß die Materie ein einziges Sein ist. Die Körper sind seine Gestaltungen, in die sich das einzige Sein, das auch in allen anderen Körpern ist, von sich selbst physisch absondert, obwohl es wiederum durch physische Mittel eine Kommunikation zwischen diesen zahllosen Punkten seines Wesens herstellt. Ähnlich erfahren wir Mental und Leben als das gleiche Sein, eins in seiner Vielfalt, sich trennend und sich auf jedem Gebiet wieder durch die jener Bewegung angemessenen Mittel vereinend. Wenn wir wollen, können wir so weitergehen und nach zahlreichen verbindenden Stufen eines Supramentals innewerden, dessen universale Wirksamkeit der Schlüssel für alle untergeordneten Aktivitäten ist. Dabei werden wir dieses kosmischen Seins nicht nur bewußt, sondern zugleich in ihm bewußt. Wir empfangen es in unserem Empfinden, und wir treten in einem Innewerden in es ein. Wir leben nun in ihm, wie wir vorher im Ich-Sinn gelebt haben: aktiv, immer mehr in Verbindung, ja, geeint mit Mental, Leben und Körpern, die anders sind als der Organismus, den wir den unseren nennen, und dadurch Wirkungen auf unser moralisches und mentales Wesen und auf das subjektive Wesen anderer Menschen hervorrufen ebenso wie auf die physische Welt und ihre Ereignisse durch Mittel, die der göttlichen Begabung näher liegen als jene, die unserer ichhaften zur Verfügung stehen.
Das kosmische Bewußtsein ist also für den Menschen, der
mit ihm in Kontakt gekommen ist oder in ihm lebt, etwas Wirkliches, und zwar von
größerer Wirklichkeit, als es die physische ist. Es ist wirklich an sich, in
seinen Auswirkungen und Werken. Ist es so für die Welt, die sein eigener totaler
Ausdruck ist, etwas Wirkliches, so ist auch die Welt für es wirklich. Sie ist es
jedoch nicht als ein unabhängiges Dasein. Denn in jener höheren, weniger
behinderten Erfahrung nehmen wir wahr, daß Bewußtsein und Seiendes nichts
voneinander Verschiedenes sind, sondern daß alles Seiende ein höchstes
Bewußtsein und alles Bewußtsein ein Selbst-Sein ist ewig in sich selbst,
wirklich in seinem Wirken, weder ein Traum noch eine Evolution. Die Welt ist
genau deshalb wirklich, weil sie nur im Bewußtsein existiert. Denn sie ist eine
Bewußte Energie, eins mit dem Seienden, das sie
erschafft. Das Dasein einer materiellen Gestaltung aus eigener Vollmacht,
unabhängig von der aus dem Selbst erleuchteten Kraft, die diese Form annimmt, – das wäre ein Widerspruch gegen die Wahrheit der Dinge, ein Phantasiegebilde, ein
Albdruck, etwas Unmögliches, Falsches.
Aber dieses bewußte Seiende als die Wahrheit des unendlichen Supramentals Ist mehr als das Universum und lebt unabhängig davon ebenso in Seiner eigenen unausdrückbaren Unendlichkeit wie in den kosmischen Harmonien. Durch Jenes lebt die Welt, Jenes lebt nicht durch die Welt. Ebenso wie wir in das kosmische Bewußtsein eingehen und eins sein können mit allem kosmischen Dasein, so können wir auch in das die Welt transzendierende Bewußtsein eingehen und über alle kosmische Existenz erhoben werden. Und dann stellt sich die Frage, die uns zuerst begegnete, ob diese Transzendenz notwendigerweise auch eine Ablehnung des Universums bedeutet. Welche Beziehung hat dieses Universum zu dem Jenseits?
An den Toren der Transzendenz steht jener reine, vollkommene Geist, der in den Upanishaden beschrieben wird: lichtvoll, lauter, er trägt die Welt und erhält sie, ist aber in ihr inaktiv, ohne Kraftanspannung, ohne den Makel der Dualität, ohne die Narben der Zerteilung, ein Einziger, Identischer, bar aller Erscheinung von Relation und Vielfalt, das reine Selbst der Advaitins (der vedantischen Monisten), das intakte brahman, das transzendente Schweigen. Wenn das Mental plötzlich, ohne vermittelnde Übergänge, durch diese Tore hindurchgeht, überkommt es ein Empfinden, die Welt sei unwirklich, wirklich sei allein das Schweigen. Das ist eine der machtvollsten und überzeugendsten Erfahrungen, deren das menschliche Mental fähig ist. Hier haben wir in der Wahrnehmung des reinen Selbsts oder des Nichtseins hinter ihm den Ausgangspunkt für eine zweite Verneinung, am anderen Pol, parallel zur materialistischen. Sie ist aber vollständiger, endgültiger, gefährlicher in ihren Auswirkungen auf die einzelnen Menschen und auf die Kollektive, wenn sie ihren machtvollen Anruf hören, in die Wüste zu gehen –, die Entsagung des Asketen.
Diese Revolte des Geistes gegen die Materie hat
zweitausend Jahre lang immer stärker die Mentalität Indiens beherrscht seit der
Buddhismus das Gleichgewicht der alten arischen Welt erschütterte. Zwar ist das
Empfinden, der Kosmos sei eine Illusion, nicht der ganze Ausdruck indischen
Denkens. Es gibt noch andere philosophische Aussagen und
religiöse Strebungen. Es fehlte auch nicht an manchen Versuchen, selbst von
seiten der extremsten Philosophien, zu einem Ausgleich zwischen den beiden
Aussagen zu kommen. Alle haben aber im Schatten der großen Entsagung gelebt, und
für alle ist das höchste Ziel des Lebens das Gewand des Asketen. Die allgemeine
Auffassung des Daseins ist durchsetzt von der buddhistischen Lehre von der Kette
des Karma, der konsequenten Antinomie von Gebundenheit und Freiheit,
Gebundenheit durch Geburt und Befreiung, wenn das Geborenwerden aufhört. Deshalb
vereinen sich alle Stimmen zu einem großen Einklang: Nicht hier in dieser Welt
der Dualitäten kann unser Himmelreich sein, sondern im Jenseits, entweder in den
Wonnen des ewigen vrinda-van (goloka, dem Vaishnava-Himmel ewiger
Schönheit und Seligkeit), oder in der hohen Seligkeit des brahmaloka (dem
höchsten Zustand von reinem Sein, Bewußtsein und Wonne, den die Seele erlangen
kann, ohne selbst völlig im Undefinierbaren ausgelöscht zu werden), oder
jenseits von allen Manifestationen in einem unaussprechlichen nirvana
(nicht notwendigerweise dem Erlöschen alles Seienden, aber doch des Wesens, wie
wir es kennen: Auslöschung des Ego, des Begehrens, ichhaften Handelns und
ichhafter Mentalität), oder dort, wo alle besondere Erfahrung in der
gestaltlosen Einheit des unbestimmbaren Seins aufgegangen ist. Viele
Jahrhunderte hindurch hat ein großes Heer leuchtender Zeugen, von Heiligen und
Lehrern, von Namen, die der indischen Erinnerung heilig sind und die
Vorstellungswelt Indiens beherrschen, immer dasselbe Zeugnis abgelegt und mit
anschwellendem Klang denselben erhabenen weltfernen Ruf erhoben: Entsagung ist
der einzige Pfad zur Erkenntnis, Annahme des physischen Lebens der Akt des
Unwissenden, Beendigung des Geborenwerdens der rechte Gebrauch der menschlichen
Geburt. Das ist die Forderung des Geistes, die Abkehr von der Materie.
Für ein Zeitalter ohne Sympathie für den asketischen
Geist – in der ganzen Welt scheint die Stunde des Einsiedlers vorbei zu sein
oder vorüberzugehen – ist es leicht, diese so hochbedeutsame Richtung dem
Nachlassen der vitalen Energie einer alten Rasse zuzuschreiben, die müde wurde
unter ihrer Bürde, ihrem einst gewaltigen Anteil am gemeinsamen Fortschritt, und
erschöpft ist durch ihren vielseitigen Beitrag zur Summe des Ringens und Wissens
der Menschheit. Wir haben aber erkannt, daß der asketische Geist einer Wahrheit
des Daseins, einem Zustand bewußter Realisation entspricht, die auf der höchsten
Stufe unserer Möglichkeit steht. Auch im
praktischen Leben ist der asketische Geist ein unentbehrliches Element für die
menschliche Vervollkommnung. Solange die Menschheit am entgegengesetzten Ende
steht und ihren Intellekt und ihr Vitalwesen nicht vom Hörigsein einer immer
aufdringlicheren Tierhaftigkeit befreit hat, kann man auf seine besondere
Betonung nicht verzichten.
Gewiß suchen wir nach einer vollständigeren und umfassenderen Bejahung. Wir erkennen, daß in dem indischen asketischen Ideal die große vedantische Formel: “Der Eine ohne einen Zweiten” nicht genügend im Licht jener anderen, in gleicher Weise zwingenden Formel gelesen wurde: “Alles dieses ist das brahman.” Das leidenschaftliche Streben des Menschen empor zum Göttlichen Wesen wurde nicht stark genug mit dem Herniederkommen des Göttlichen Wesens verbunden, das Sich herabneigt, um ewig Seine Manifestation zu umfassen. Seine Bedeutung in der Materie ist nicht ebenso klar verstanden worden wie Seine Wahrheit im Geist. Die Wirklichkeit, die der Sannyasin sucht, ist in ihrer vollen Höhe begriffen worden, aber nicht, wie von den alten Vedantins, in ihrer vollen Ausdehnung und umfassenden Fülle. Wir dürfen bei unserer vollständigeren Bejahung nicht die Rolle des reinen spirituellen Impulses unterschätzen. Wie wir gesehen haben, was für einen großen Dienst der Materialismus den Zielen des Göttlichen Wesens geleistet hat, so müssen wir auch den noch größeren Dienst anerkennen, der dem Leben von den Asketen geleistet wurde. In der endgültigen Harmonie werden wir die Wahrheiten der materialistischen Naturwissenschaften und ihren wirklichen Nutzen auch dann bewahren, wenn manche oder gar alle ihrer bestehenden Formen zerbrochen oder zurückgelassen werden müssen. Eine noch größere Gewissenhaftigkeit in der richtigen Bewahrung muß uns bei unserem Umgang mit dem Vermächtnis der arischen Vergangenheit leiten, selbst wenn es heute geringer eingeschätzt oder entwertet wird
Kapitel IV. Allgegenwärtige Wirklichkeit
Wenn jemand Ihn als
brahman, das Nicht-Seiende, erkennt, wird er nur zum Nicht-Seienden. Wenn
einer erkennt, daß brahman Ist, dann wird er erkannt als der wirklich
Seiende.
Taittiriya Upanishad, II.6.
Da wir also den Anspruch des reinen Geistes anerkennen, in uns seine absolute Freiheit zu offenbaren, wie auch den Anspruch der universalen Materie, Prägeform und Voraussetzung für unsere Manifestation zu sein, müssen wir nun eine Wahrheit finden, die diese Widersacher völlig aussöhnen, beiden den ihnen zukommenden Anteil am Leben und die ihnen zustehende Rechtfertigung vor dem Denken geben kann. Dabei dürfen wir keinen in seinen Rechten beschränken, keinem seine souveräne Wahrheit bestreiten, aus der selbst seine Irrtümer und auch die Ausschließlichkeit seiner Übertreibungen ständig ihre Kraft herleiten. Wir dürfen dessen sicher sein, daß wir überall dort, wo eine extreme Behauptung einen so starken Eindruck auf das menschliche Mental macht, vor etwas stehen, das nicht nur Irrtum, Aberglaube oder Halluzination ist, sondern vor einer souveränen verhüllten Tatsache, die von uns Loyalität verlangt und sich rächen wird, wenn wir sie leugnen oder ausschließen. Hierin liegt die Schwierigkeit für eine zufriedenstellende Lösung und die Ursache für diese fehlende Endgültigkeit, die allem Kompromiß zwischen Geist und Materie anhaftet. Ein Kompromiß ist immer ein Schachern, ein Interessengeschäft zwei miteinander streitender Mächte. Er ist keine wahre Versöhnung, die stets von einem gegenseitigen Verstehen ausgeht, das zu einer Art inniger Einheit führt. Wir werden also am ehesten durch die bestmögliche Einigung von Materie und Geist zu der sie versöhnenden Wahrheit und der besten Grundlage ausgleichender Praxis im inneren Leben des Einzelnen wie in seiner äußeren Existenz gelangen.
Im kosmischen Bewußtsein haben wir bereits einen
Treffpunkt gefunden, wo Materie den Geist und Geist die Materie, beide sich
gegenseitig als wirklich anerkennen. Im kosmischen Bewußtsein sind Mental und
Leben vermittelnde Mächte und nicht mehr – was sie in der gewöhnlichen, vom Ich
beherrschten Mentalität zu sein scheinen – Bewirker der Trennung,
Anstifter eines künstlichen Streits zwischen den positiven und negativen
Prinzipien derselben unerkennbaren Wirklichkeit. Wenn das Mental das kosmische
Bewußtsein erlangt, durch eine Erkenntnis erleuchtet ist, die zugleich die
Wahrheit der Einheit und die Wahrheit der Vielfalt wahrnimmt und die Formeln
ihres Zusammenwirkens begreift, findet es seine Disharmonien zugleich erklärt
und durch die göttliche Harmonie ausgesöhnt. In sich befriedet, ist es bereit,
Bewirker jener höchsten Einung zwischen Gott und leben zu werden, nach der wir
streben. Da offenbart sich dann dem wirklichkeitsoffenen Denken und den
verfeinerten Sinnen die Materie als Gestalt und Körper des Geistes, – als Geist
in seiner sich selbst formenden Ausdehnung. Durch dieselben übereinstimmenden
Bewirker offenbart sich der Geist als Seele, Wahrheit und Wesen der Materie.
Beide erkennen und bekennen sich gegenseitig als göttlich, wirklich und im
Wesenhaften eins. In dieser Erleuchtung werden Mental und Leben zugleich
als Gestaltungen und Instrumente des höchsten Bewußten Seins geoffenbart, durch
die Es Sich ausbreitet und Sich Wohnung in der materiellen Form schafft. In
dieser Form enthüllt Es Sich seinen vielfachen Bewußtseinszentren. Das Mental
erlangt seine Selbst-Erfüllung, wenn es zum reinen Spiegel für die Wahrheit des
Seienden wird, die sich in den Symbolen des Universums zum Ausdruck bringt. Das
Leben kommt zur Erfüllung, wenn es seine Energien bewußt der vollkommenen
Selbst-Darstellung des Göttlichen Wesens in immer neuen Gestaltungen und
Betätigungen des universalen Daseins zur Verfügung stellt.
Im Lichte dieser Auffassung können wir die Möglichkeit eines göttlichen Lebens in der Welt für den Menschen ins Auge fassen. Es wird zugleich die Naturwissenschaft rechtfertigen, indem es einen lebendigen Sinn für die kosmische und irdische Evolution und ihr für die Intelligenz erkennbares Ziel enthüllt, und durch die Verwandlung der menschlichen in die göttliche Seele den großen idealen Traum aller Hochreligionen verwirklichen.
Was wird dann aber aus jenem schweigenden Selbst, das
sich uns als inaktiv, rein, selbst-existent, wonnevoll in sich als die dauernde
Rechtfertigung des Asketen darstellte? Auch hier muß eine Harmonie, nicht
unversöhnlicher Gegensatz die erleuchtende Wahrheit sein. Das schweigende und
der aktive brahman sind keine verschiedenen, entgegengesetzten und
unvereinbaren Wesenheiten, von denen die eine kosmische Illusion bestreitet,
während die andere sie behauptet. Sie sind das eine brahman
in zwei Aspekten, dem positiven und dem negativen, und beide füreinander
notwendig. Aus diesem Schweigen tritt ewig das Wort hervor, das die Welten
erschafft; denn das Wort bringt zum Ausdruck, was im Schweigen selbst-verborgen
ist. Eine ewige Passivität macht die vollkommene Freiheit und Allmacht einer
ewigen göttlichen Aktivität in unzählbaren kosmischen Systemen möglich. Die
Werdeformen dieser Aktivität beziehen ihre Energien und ihre unbegrenzbare Macht
zu Variation und Harmonie aus dem unparteiischen Beistand des unveränderlichen
Seins, aus seiner Zustimmung zu dieser unendlichen Schöpferkraft seiner eigenen
dynamischen Natur.
Auch der Mensch wird erst dann vollkommen, wenn er in sich selbst jene absolute Stille und Passivität des brahman gefunden hat und durch sie eine freie unerschöpfliche Aktivität mit der gleichen göttlichen Toleranz und Schöpferfreude trägt und fördert. Wer so in seinem Innern die Stille besitzt, kann stets wahrnehmen, wie aus ihrem Schweigen der ewige Zustrom der Energien emporsprudelt, die im Universum wirken. Darum ist es nicht die Wahrheit des Schweigens, wenn man von ihm sagt, in seiner Natur liege die Verwerfung der Aktivität im Kosmos. Die scheinbare Unvereinbarkeit der beiden Zustandsformen ist ein Irrtum des beschränkten Mentals, das so sehr an scharfe Gegenüberstellungen von Bejahung und Verneinung und an den plötzlichen Übergang von dem einen Pol zum anderen gewöhnt ist, daß es ein allumfassendes, weites und genügend starkes Bewußtsein nicht begreifen kann, das die beiden Pole in gleichzeitiger Umfassung einbezieht. Das Schweigen lehnt die Welt nicht ab, es hält sie in Gang. Oder besser gesagt, es fördert mit gelassener Unparteilichkeit die Aktivität und das Zurücktreten aus der Aktivität. Es billigt auch deren Aussöhnung, durch die die Seele frei und still bleibt, selbst wenn sie sich für jegliches Handeln hergibt.
Trotzdem gibt es das absolute Sich-Zurückziehen, es
gibt das NichtSeiende. Die alte Schrift sagt: Aus dem Nicht-Seienden erschien
das Seiende. (“Am Anfang war dies alles das Nicht-Seiende. Aus diesem wurde das
Seiende geboren.” Taittiriya Upanishad, II. 7.). Also muß es wieder in
das Nicht-Seiende zurücksinken. Wenn das unendliche unterschiedslose Sein alle
Möglichkeiten der Unterscheidung und vielfältigen Verwirklichung zuläßt,
verneint und verwirft dann nicht das Nicht-Seiende als der Urzustand und die
einzige konstante Wirklichkeit letztlich alle Möglichkeit eines wirklichen
Universums? Dann wäre das Nihil gewisser Schulen
des Buddhismus die wahre asketische Lösung. Das Selbst wäre ebenso wie das Ich
nur eine ideative Gestaltung durch ein illusionäres phänomenales Bewußtsein.
Wieder finden wir, daß wir durch Worte irregeführt und getäuscht werden, durch die scharfen Gegenüberstellungen unserer begrenzten Mentalität, die sich gern auf verbale Unterscheidungen verläßt, als ob sie in vollkommener Weise letzte Wahrheiten darstellen könnten, und unsere supramentalen Erfahrungen im Sinne dieser einander ausschließenden Unterscheidungen umdeutet. Nicht-Seiendes ist nur ein Wort. Untersuchen wir die Tatsache genauer, die es darstellt, können wir nicht mehr dessen gewiß sein, daß das absolute Nicht-Sein bessere Aussicht hat als das unendliche Selbst, mehr zu sein als nur ein Denkgebilde des Mentals. In Wirklichkeit meinen wir mit diesem Nichts etwas, das jenseits des letzten Begriffs liegt, auf den wir unsere reinste Auffassung und unsere abstrakteste und subtilste Erfahrung des aktuell Seienden zurückführen können, wie wir es erkennen und begreifen, solange wir in diesem Universum leben. Dieses Nichts ist also eigentlich ein Etwas, das jenseits positiven Begreifens liegt. Wir errichten die Fiktion einer Nichtheit, damit wir durch die Methode totalen Ausschließens noch über alles hinauskommen, was wir wissen können und dessen wir bewußt sind. Wenn wir das Nihil gewisser Philosophien näher untersuchen, nehmen wir immer deutlicher wahr, daß es eine Nulldimension ist, die zugleich das All oder ein undefinierbares Unendliches ist, das dem Mental als etwas Leeres erscheint, weil dieses nur endliche Konstruktionen begreift. Tatsächlich ist es jedoch das einzig wahre Sein.2
Wenn wir sagen, aus dem Nicht-Seienden erschien das
Seiende, merken wir, daß wir in Begriffen von Zeit über etwas sprechen, das
jenseits der Zeit liegt. Wann war denn jenes schicksalhafte Datum in der
Geschichte des ewigen Nichts, an dem Seiendes aus ihm geboren wurde, und wann wird jenes ebenfalls schreckliche Datum kommen, an dem ein
unwirkliches All wieder in die ewig dauernde Leere zurücksinken wird? Wenn
sat und asat beide zu bejahen sind, müssen wir sie doch so auffassen,
daß sie gleichzeitig ihre Geltung besitzen. Sie erkennen einander an, wenn sie
auch ablehnen, sich miteinander zu vermischen. Beide sind, da wir uns in
Begriffen der Zeit ausdrücken müssen, ewig. Wer soll ein ewiges Seiendes davon
überzeugen, daß es in Wirklichkeit nicht existiert, sondern daß nur ein ewiges
Nicht-Seiendes etwas Wirkliches ist? Wie sollen wir dann in einer solchen
Verneinung aller Erfahrung die Lösung finden, die alle Erfahrung erklärt?
Das Unerkennbare bejaht Sich Selbst als reines Seiendes, als die freie Basis alles kosmischen Daseins. Wir benennen mit Nicht-Seiendes eine entgegengesetzte Bejahung, daß Es frei ist von aller kosmischen Existenz, – also frei von allen positiven Begriffen aktuellen Daseins, die ein Bewußtsein im Universum sich selbst gegenüber formulieren kann, selbst vom abstraktesten, sogar vom transzendenten Begriff. Es bestreitet sie nicht als wirklichen Ausdruck Seiner Selbst. Es bestreitet aber, daß Es durch alles oder irgendetwas, das Es zum Ausdruck bringt, eingeschränkt werde. Das Nicht-Seiende ermöglicht ebenso das Seiende, wie das Schweigen die Aktivität zuläßt. Für die erwachte menschliche Seele wird durch diese gleichzeitige Verneinung und Bejahung, die einander nicht aufheben, sondern sich so ergänzen, wie es alle anderen Gegensätze tun, die gleichzeitige Wahrnehmung eines bewußten Selbst-Seienden als Wirklichkeit und des Unerkennbaren jenseits davon als die gleiche Wirklichkeit realisierbar. So war es für den Buddha möglich, den Zustand des nirvana zu erlangen und doch machtvoll in der Welt zu wirken, apersonal in seinem inneren Bewußtsein und doch im Handeln die machtvollste Persönlichkeit, von der wir wissen, daß sie gelebt und große Einwirkungen auf die Erde hervorgebracht hat.
Wenn wir über diese Dinge nachdenken, erkennen wir
immer besser, wie unzureichend die von uns verwendeten Worte in ihrer ichhaften
Anmaßung und wie verwirrend sie durch ihre fehlleitende Betonung der
Unterschiedlichkeit sind. Außerdem sehen wir immer besser, daß die Begrenzungen,
die wir brahman auferlegen, aus einer Enge der Erfahrung im individuellen
Mental herrühren, das sich auf den einen Aspekt des Nichterkennbaren
konzentriert und von da aus weitergeht, um alle übrigen Aspekte zu verneinen
oder zu entwerten. Wir neigen immer dazu, das, was wir vom Absoluten erfassen
oder wissen können, zu starr in die Begriffe
unserer besonderen Relativität zu übertragen. Wir bejahen betont den Einen und
Identischen, indem wir leidenschaftlich die Meinungen und partiellen Erfahrungen
anderer diskriminieren und die Ichhaftigkeit unserer eigenen Meinungen und
partiellen Erfahrungen dagegensetzen. Es ist weiser, zu warten, zu lernen und zu
wachsen. Da wir um unserer Selbst-Vervollkommnung willen von diesen Dingen
sprechen müssen, die eigentlich keine menschliche Sprache ausdrücken kann,
sollen wir lieber nach der weitesten, biegsamsten und umfassendsten positiven
Aussage suchen und auf sie die größte, alles umschließende Harmonie gründen.
Wir erkennen also, daß es für das individuelle Bewußtsein möglich ist, in einen Zustand einzutreten, in dem das relative Dasein scheinbar aufgelöst wird und sogar das Selbst ein unangemessener Begriff zu sein scheint. Es ist möglich, hinüberzugehen in ein Schweigen jenseits des Schweigens. Aber das ist nicht das Ganze unserer höchsten Erfahrung, und es ist auch nicht die einzige, alles andere ausschließende Wahrheit. Denn wir finden, daß dieses Nirvana, dieses Sichselbstauslöschen, der Seele zwar absoluten Frieden und Freiheit im Inneren gibt, dennoch im Handeln mit einem vom Begehren freien starken Wirken nach außen vereinbar ist. Diese Möglichkeit einer völlig bewegungslosen Apersonalität und leeren Stille im Innern, während man nach außen die Werke der ewigen Wahrheiten, Liebe, Wahrheit und Gerechtigkeit erfüllt, diese Überlegenheit gegenüber dem Ego, der Kette ichhaft-persönlicher Handlungen und der Identifizierung mit der veränderlichen Form und Idee, und nicht das kleinliche Ideal einer Flucht vor Kummer und Leiden infolge der physischen Geburt war vielleicht einst der wirkliche Kern der Lehre des Buddha. Jedenfalls könnte die völlig bewußte Seele des Menschen, ebenso wie der vollkommene Mensch Schweigen und Aktivität in sich vereinen kann, in die absolute Freiheit des Nicht-Seienden zurücktreten, ohne dadurch ihren Halt am Seienden und am Universum zu verlieren. Sie könnte so in sich selbst ständig neu das ewige Wunder des Göttlichen Seins vollziehen im Universum und zugleich jenseits davon und sozusagen auch jenseits ihrer selbst. Die entgegengesetzte Erfahrung wäre nur eine Konzentration der Mentalität des Individuums auf das Nichtsein mit dem Ergebnis, daß es seine kosmische Aktivität vergißt und sich persönlich aus ihr, die doch immer im Bewußtsein des Ewig-Seienden weitergeht, zurückzieht.
So erkennen wir, nachdem
wir Geist und Materie im kosmischen Bewußtsein ausgesöhnt haben, im
transzendenten Bewußtsein die Versöhnung zwischen der endgültigen Bejahung des
Alls und seiner Verneinung. Wir entdecken, daß alle Bejahungen Behauptungen
eines Zustands oder einer Aktivität des Unerkennbaren sind und daß alle
entsprechenden Verneinungen behaupten, es sei frei von oder in diesem Zustand
oder dieser Aktivität. Das Unerkennbare ist Etwas für uns, das erhaben,
wunderbar und unaussprechlich ist, das Sich ständig unserem Bewußtsein gegenüber
formuliert, Sich aber immer wieder dieser Formulierung entzieht, die Es gemacht
hat. Das tut es aber nicht etwa wie ein bösartiger Geist oder ein heimtückischer
Zauberer, der uns von einer Unwahrheit zu einer noch größeren Unwahrheit und
schließlich zur endgültigen Verneinung aller Dinge führt, sondern gerade hier
als der Weise, der hoch über unserer Weisheit steht und uns von einer
Wirklichkeit zu einer noch tieferen und umfassenderen Wirklichkeit leitet, bis
wir die tiefste und weiteste finden, deren wir fähig sind. Das brahman
ist eine allgegenwärtige Wirklichkeit, nicht eine allgegenwärtige Ursache
ständiger Illusionen.
Wenn wir so eine positive Grundlage für unsere Harmonie
annehmen – worauf könnte sonst Harmonie gegründet werden? –, müssen die
verschiedenen begrifflichen Formulierungen des Unerkennbaren, von denen jede
eine Wahrheit darstellt, die jenseits des Begreifens liegt, soweit wie möglich
in ihrer Beziehung zueinander und in ihrer Auswirkung auf das Leben verstanden,
statt voneinander getrennt, statt einander ausschließend, statt in der Weise
bejaht zu werden, daß sie alle anderen Bejahungen aufheben oder ungebührlich
herabsetzen. Der wirkliche Monismus, das wahre advaita, erkennt alle
Dinge als das eine brahman an und versucht nicht, Sein Dasein in zwei
unvereinbare Wesenheiten zu zertrennen: in ewige Wahrheit und ewige Unwahrheit,
brahman und Nicht-brahman, Selbst und Nicht-Selbst, ein wirkliches
Selbst und eine unwirkliche, aber doch ewig dauernde maya. Wenn es wahr
ist, daß das Selbst allein existiert, muß auch wahr sein, daß alles dieses das
Selbst ist. Wenn dieses Selbst, Gott oder brahman, kein hilfloser
Zustand, keine gefesselte Macht, keine begrenzte Personalität, sondern das
Seiner Selbst bewußte All ist, muß es in ihm auch einen triftigen, ihm ureigenen
Grund für die Manifestation geben. Um ihn zu entdecken, müssen wir von der
Hypothese ausgehen, in allem, was manifestiert ist, wirkt eine mächtige Kraft,
Weisheit und Wahrheit des Seienden. Die Disharmonie
und das offenkundige Böse der Welt müssen innerhalb ihrer Sphäre zugegeben
werden; wir dürfen sie aber nicht als Sieger über uns anerkennen. Das tiefste
Grundgefühl der Menschheit sucht immer und klugerweise Weisheit als das letzte
Wort der universalen Manifestation, nicht eine ewige Irreführung und Illusion, – ein geheimes, letztlich triumphierendes Gutes, nicht ein all-schöpferisches,
unbesiegbares Böses – zuletzt Sieg und Erfüllung und nicht das enttäuschte
Zurückschrecken der Seele vor ihrem großen Abenteuer.
Wir können doch nicht annehmen, die einzige Wesenheit werde von etwas, das außerhalb von ihr besteht oder anders ist als sie, beherrscht, da so etwas nicht existiert. Auch können wir nicht annehmen, sie unterwerfe sich gegen ihren Willen einem Teilgebilde ihres Selbst, das in ihrem Selbst ihrem ganzen Wesen feindlich gegenüberstehe, von ihr abgelehnt werde und dennoch zu stark für sie sei. Das würde nur bedeuten, daß wir mit anderen Worten den Widerspruch zwischen einem All und etwas, das anders ist als das All, wiederherstellen. Selbst wenn wir sagen, das Universum existiere nur deshalb, weil das Selbst in seiner absoluten Unparteilichkeit alle Dinge in gleicher Weise toleriere und alle Tatsachen und Möglichkeiten mit Gleichgültigkeit betrachte, gibt es dennoch etwas, das die Manifestation will, sie trägt und erhält. Dieses Etwas kann nichts anderes sein als das All. Brahman ist unteilbar in allen Dingen. Was in der Welt gewollt wird, geschieht letzten Endes durch den Willen des brahman. Nur unser relatives Bewußtsein sucht, durch die Phänomene des Bösen, der Unwissenheit und des Leidens im Kosmos bestürzt und verwirrt, brahman von der Verantwortung für sich selbst und seine Werke zu entbinden, indem es ein Gegenprinzip, maya oder mara, einen bewußten Teufel oder ein selbstseiendes Prinzip des Bösen aufstellt. Es gibt nur Einen Herrn und Ein Selbst; die Vielen sind nur Seine Repräsentanten und Werdeformen.
Sollte also die Welt ein Traum, eine Illusion oder ein
Irrtum sein, so ist sie ein Traum, der vom Selbst in seiner Totalität nicht nur
verursacht und gewollt, sondern auch gefördert und ständig erhalten wird.
Überdies existiert dieser Traum in einer Wirklichkeit. Der Stoff, aus dem er
gebildet ist, ist eben jene Wirklichkeit. Brahman muß das Material der
Welt ebenso sein wie ihre Grundlage und ihr ganzer Inhalt. Wenn das Gold, aus
dem ein Gefäß gebildet ist, wirklich existiert, wie sollten wir dann annehmen,
das Gefäß selbst sei ein Wahngebilde? Wir sehen, daß solche Worte wie Traum und
Illusion nur die Kunstgriffe unserer Sprache
sind, Gewohnheiten unseres relativen Bewußtseins. Sie stellen eine gewisse
Wahrheit, sogar eine bedeutende Wahrheit dar, aber sie entstellen diese auch.
Ebenso wie sich das Nicht-Seiende als etwas anderes herausstellt als eine
Nichtsheit, so erweist sich auch der kosmische Traum als etwas anderes als ein
reines Phantasiegebilde oder eine Halluzination des Mentals. Das Phänomen ist
kein Phantasiegebilde, es ist substantielle Form der Wahrheit.
Wir gehen also vom Begriff einer allgegenwärtigen Wirklichkeit aus, von der weder das Nicht-Seiende am einen, noch das Universum am anderen Ende Negationen sind, die einander aufheben. Vielmehr sind sie verschiedene Zustandsformen der Wirklichkeit, Bejahung auf der Vorder- und Rückseite derselben Münze. Die höchste Erfahrung dieser Wirklichkeit im Universum erweist diese nicht nur als ein bewußtes Sein, sondern als höchste Intelligenz, Kraft und selbst-seiende Seligkeit. Jenseits dieses Universums ist noch ein anderes unerkennbares Sein, eine andere höchste, unaussprechliche Seligkeit. Darum sind wir zur Annahme berechtigt, daß sich die Dualitäten des Universums, wenn wir sie nicht wie jetzt nur durch unsere sinnenhaften partiellen Begriffe, sondern durch unsere befreite Intelligenz und Erfahrung interpretieren, auch in diese höchsten Begriffe auflösen lassen. Solange wir uns noch unter dem Druck der Gegensätzlichkeiten abmühen, muß sich diese Auffassung zweifellos ständig auf einen Glaubensakt stützen, wenn auch auf einen Glauben, den die höchste Vernunft, die umfassende und geduldigste Reflexion nicht ablehnen, sondern bestätigen. Gewiß wurde dieser Glaube der Menschheit verliehen, um ihr auf ihrem Weg zu helfen, bis sie zu einer Stufe ihrer Entwicklung gekommen ist, da sich der Glaube in Wissen und in die vollkommene Erfahrung verwandelt und die Weisheit durch ihre Werke gerechtfertigt wird.
Kapitel V. Die Bestimmung des Einzelnen
Durch die Unwissenheit
überschreiten sie die Grenze des Todes, und durch das Wissen genießen sie
Unsterblichkeit... Durch das Nicht-Geborenwerden überschreiten sie die Grenze
des Todes, und durch die Geburt genießen sie Unsterblichkeit.
Isha Upanishad, II.14.
Eine allgegenwärtige Wirklichkeit ist die Wahrheit alles Lebens und Daseins, ob es absolut oder relativ, körperlich oder unkörperlich, belebt oder unbelebt, intelligent oder unintelligent ist. Die Wirklichkeit ist eine einzige, und nicht eine Summe oder Ansammlung, in all ihren unendlich verschiedenen, ja ständig entgegengesetzten Ausdrucksweisen, von den Widersprüchen, die unserer gewöhnlichen Erfahrung am nächsten liegen, bis hin zu jenen entlegensten Antinomien, die sich am Rande des Unaussprechlichen verlieren. In dieser Wirklichkeit haben alle Variationen ihren Ursprung. In ihr haben alle Variationen ihren Bestand. Zu ihr kehren alle Variationen wieder zurück. Alle Bejahungen werden nur deshalb verneint, um hin zu einer umfassenderen Bejahung derselben Wirklichkeit zu führen. Alle Antinomien treten einander entgegen, damit sie in ihren einander entgegengesetzten Aspekten eine einzige Wahrheit anerkennen und durch die Methode des Widerstreits ihre beiderseitige Einheit zutiefst umfassen. Brahman ist das Alpha und das Omega. Brahman ist das Eine, neben dem nichts anderes existiert. Diese Einheit ist aber ihrer Natur nach undefinierbar. Wenn wir versuchen, sie uns durch unser Mental vorzustellen, müssen wir durch eine unendliche Reihe von Begriffen und Erfahrungen hindurchgehen. Und doch werden wir am Ende genötigt, unsere weitesten Begriffe und umfassendsten Erfahrungen zu negieren, um zu der Feststellung zu gelangen, daß die Wirklichkeit über alle Definitionen hinausgeht. Wir kommen zu der Formel der indischen Weisen neti neti: “Es ist nicht dieses, Es ist nicht jenes”. Es gibt keine Erfahrung, durch die man Es begrenzen, auch keinen Begriff, durch das man Es definieren kann.
Die Einheit ist ein Unerkennbares, das uns in vielen
Zuständen und Eigenschaften des Seins, in vielen Bewußtseinsformen, in vielen
Energiewirkungen erscheint. Nur so viel kann letzten Endes das Mental aussagen über das Sein, das wir selbst sind und das wir in allem sehen, was sich
unserem Denken und unseren Sinnen darbietet. In diesen Zuständen, Formen,
Wirkungen und durch sie haben wir uns dem Unerkennbaren zu nahen und es darin zu
erkennen. Unsere Gedanken versündigen sich aber gegen Seine Unerkennbarkeit und
kommen nicht zur wahren Einheit. Sie gelangen vielmehr zu einer Zerteilung des
Unteilbaren, wenn wir in unserer Hast, zu einer Einheit zu finden, die unser
Mental begreifen und festhalten kann, und in unserem Drang, das Unendliche in
unseren Begriff einzuschränken, die Wirklichkeit mit irgendeinem definierbaren
Zustand des Seienden, sei er noch so rein und ewig, mit einer besonderen
Eigenschaft, sei sie noch so allgemein und umfassend, und mit einer festen
Formulierung von Bewußtsein, sei sie in ihrem Horizont noch so weit, oder mit
einer Energie oder Aktivität, sei sie in ihrer Anwendung noch so grenzenlos,
identifizieren und alles übrige ausschließen.
So stark war diese in alten Zeiten erfaßte Wahrheit,
daß die vedantischen Seher selbst dann, als sie zur krönenden Idee, zur
überzeugenden Erfahrung von saccidananda als dem für unser Bewußtsein
höchsten positiven Ausdruck der Wirklichkeit gelangt waren, in ihren
Spekulationen ein asat errichteten oder in ihren Begriffen zu ihm
weitergingen, zu einem jenseitigen Nicht-Seienden, das nicht das äußerste Sein,
das reine Bewußtsein, die unendliche Seligkeit ist, deren Ausdruck oder
Entstellung alle unsere Erfahrungen sind. Wenn es überhaupt ein Sein, ein
Bewußtsein, eine Seligkeit gibt, dann liegt das jenseits der höchsten und
reinsten positiven Form dieser Dinge, die wir hier besitzen können, und ist
darum anders als das, was wir hier unter diesen Namen kennen. Der Buddhismus,
der etwas willkürlich von den Theologen zu einer unvedischen Lehre erklärt
wurde, weil er die Autorität der Schriften ablehnte, geht jedoch auf diese
wesentlich vedantische Auffassung zurück. Nur betrachtete die positive und
synthetische Auffassung der Upanishaden sat und asat nicht als
Gegensätze, die einander aufheben, sondern als äußerste Antinomie, durch die wir
zum Unerkennbaren emporblicken. In allem Handeln unseres positiven Bewußtseins
muß die Einheit auch die Vielfalt berücksichtigen; denn die Vielen sind auch
brahman. Durch vidya, das Wissen vom Einssein, erkennen wir Gott.
Ohne es ist avidya, das relative vielfältige Bewußtsein, die Nacht der
Finsternis und die Unordnung der Unwissenheit. Wenn wir aber den Bereich dieser
Unwissenheit ausschalten, wenn wir avidya
verwerfen, als sei es etwas Nichtseiendes und Unwirkliches, wird Erkenntnis
selbst zu einer Art Dunkelheit und Ursprung der Unvollkommenheit. Wir werden zu
Menschen, die durch ein Licht so geblendet sind, daß sie nicht mehr den Bereich
sehen können, den jenes Licht erleuchtet.
Still, weise und klar ist die Lehre unserer ältesten Weisen. Sie hatten die Geduld und Stärke, zu finden und zu erkennen. Sie besaßen auch die Klarheit und Demut, die Begrenztheit unserer Erkenntnis zuzugeben. Sie gewahrten die Grenzen, über die unsere Erkenntnis hinausgehen muß in einen Bereich jenseits von ihr. Eine spätere Ungeduld von Herz und Mental, das heftige Hingezogensein zu einer höchsten Seligkeit oder hohen Meisterschaft reiner Erfahrung und scharfer Intelligenz suchte den Einen, um die Vielen zu verneinen. Weil man den Atem der Höhen verspürt hatte, verachtete man das Geheimnis der Tiefe und schreckte vor ihr zurück. Das beharrliche Schauen der alten Weisheit sah aber, daß man, um Gott wirklich zu erkennen, Ihn überall gleich und ohne Unterschied erkennen muß, die Gegensätzlichkeiten, durch die Er hindurchscheint, wohl erwägend und wertend, aber nicht von ihnen überwältigt.
Wir werden also die scharfen Unterscheidungen einer unvollständigen Logik übergehen, die erklärt, da das Eine die Wirklichkeit ist, seien die Vielen eine Illusion, und weil das Absolute, sat, das einzige Sein ist, sei das Relative asat und nicht-seiend. Wenn wir dem Einen beharrlich in den Vielen nachgehen, kehren wir mit dem Segen und der Offenbarung des Einen zurück, das sich in den Vielen bestätigt.
Wir wollen uns auch vor der übertriebenen Bedeutung
hüten, die das Mental jenen besonderen Anschauungen beilegt, zu denen es bei
seinen machtvolleren Höhenflügen und Übergängen gelangt. Die Auffassung des
spiritualisierten Mentals, das Universum sei ein unwirklicher Traum, kann für
uns keinen absoluteren Wert haben als die des materialisierten Mentals, Gott und
das Jenseits seien illusorische Gedanken. Im einen Fall ist das Mental, da es
nur auf die Evidenz der Sinne eingestellt ist und Wirklichkeit auf das
körperliche Faktum gründet, entweder nicht daran gewöhnt, andere Mittel der
Erkenntnis zu verwenden, oder unfähig, den Begriff Wirklichkeit auf eine
supraphysische Erfahrung auszudehnen. Im anderen Fall überträgt dasselbe Mental
das zu überwältigender Erfahrung unkörperlicher Wirklichkeit im Jenseitigen
gelangt, einfach jene selbe Unfähigkeit und das daraus folgende
Empfinden von Traum und Halluzination auf die Erfahrungen der Sinne. Aber wir
erkennen auch die Wahrheit, die beide Auffassungen entstellen. Es ist wahr, daß
für diese Welt der Form, in die wir zu unserer Selbst-Verwirklichung
hineingestellt sind, nichts voll gültig ist, wenn es nicht unser physisches
Bewußtsein in Besitz genommen und sich auf den niedersten Ebenen in Harmonie mit
seiner Manifestation auf den höchsten Gipfeln geoffenbart hat. Ebenso wahr ist,
daß Gestaltung und Materie, wenn sie sich als selbstseiende Wirklichkeit
behaupten, eine Illusion der Unwissenheit sind. Form und Materie können nur als
Gestalt und Substanz einer Manifestation für das Unkörperliche und Unmaterielle
gültig sein. Sie sind ihrer Natur nach ein Akt göttlichen Bewußtseins und nach
ihrem Zweck und Ziel die Darstellung eines Zustandes des Geistes.
Mit anderen Worten: Wenn brahman in die Form eingegangen ist und Sein Wesen in materieller Substanz dargestellt hat, kann das nur sein, weil es sich der Selbst-Manifestation in den Gebilden relativen und phänomenalen Bewußtseins erfreuen will. Brahman ist in dieser Welt, um Sich in den Werten des Lebens darzustellen. Leben existiert in brahman, damit es brahman in sich selbst entdeckt. Darum ist der Mensch in der Welt wichtig, damit er ihr zu jener Entwicklung von Bewußtsein verhilft, in der ihre Umgestaltung durch vollkommene Entdeckung des Selbst möglich wird. Gott im Leben zur Erfüllung zu bringen, ist des Menschen Menschsein. Er geht hervor aus der Tier-Vitalität und deren Wirkensweisen. Sein Ziel ist aber ein göttliches Dasein.
Wie im Denken, so ist auch im Leben das wahre Gesetz
der Selbst-Verwirklichung ein stets fortschreitendes umfassendes Verstehen.
Brahman bringt Sich in vielen aufeinanderfolgenden Bewußtseinsformen zum
Ausdruck. Sie folgen in ihrer Beziehung aufeinander, selbst wenn sie im Seienden
koexistent und in der Zeit gleichzeitig sind. So muß sich auch das Leben bei
seiner Selbst-Entfaltung in immer neue Bereiche seines eigenen Wesens erheben.
Wenn wir aber aus Eifer für unsere neue Errungenschaft beim Übergang von einem
Bereich in den anderen das verwerfen, was uns bisher gegeben war, wenn wir also
beim Eintritt in das mentale Leben das physische Leben, das unsere Grundlage
ist, wegwerfen oder gering achten oder wenn wir, angezogen vom Spirituellen, das
Mentale und das Physische zurückweisen, bringen wir Gott nicht integral zur
Erfüllung und leisten wir auch den Bedingungen Seiner Selbst-Manifestation nicht
Genüge. Wir werden nicht vollkommen, sondern wechseln
nur das Feld unserer Unvollkommenheiten oder erreichen höchstens eine begrenzte
Höhe. Wie hoch wir auch emporsteigen, und sei es bis zum Nicht-Seienden, unser
Anstieg ist doch falsch, wenn wir unsere Basis vergessen. Die wahre Göttlichkeit
der Natur besteht darin, daß wir die niedere nicht sich selbst überlassen,
sondern in das Licht der höheren umwandeln, die wir erreicht haben. Brahman
ist vollständig und vereinigt gleichzeitig viele Bewußtseinszustände. Auch wir,
die die Natur des brahman offenbaren, sollten vollständig und
allumfassend werden.
Neben dem Zurückscheuen vor dem physischen Leben gibt es im asketischen Impuls noch eine andere Übertreibung, die vom Ideal vollständiger Manifestation korrigiert wird. Im Leben ist der Knotenpunkt die Beziehung zwischen drei allgemeinen Bewußtseinsformen: dem individuellen, universalen und transzendenten oder suprakosmischen Bewußtsein. In seiner üblichen Haltung zu den Lebensbetätigungen betrachtet sich der Einzelne als ein gesondertes Wesen, das in das Universum einbezogen ist. Beide, Individuum und Universum, sind abhängig von Jenem, das sowohl Individuum wie Universum transzendiert. Dieser Transzendenz geben wir gewöhnlich den Namen Gott, der dadurch für unsere Auffassung nicht so sehr über-kosmisch als außer-kosmisch wird. Eine natürliche Folge dieser Trennung ist die Herabsetzung und Entwertung des Einzelnen und des Universums. Logischerweise wäre der äußerste Schluß, daß Individuum und Universum aufhören müssen, wenn wir die Transzendenz erlangt haben.
Die integrale Schau der Einheit von brahman vermeidet diese Konsequenzen. Wie wir das körperliche Leben nicht aufzugeben brauchen, um das mentale und das spirituelle zu erlangen, können wir zu einer Anschauung gelangen, in der die Beibehaltung individueller Betätigungen nicht mehr im Widerspruch dazu steht, daß wir das kosmische Bewußtsein erfassen oder das transzendente und suprakosmische erlangen. Das die Welt Transzendierende umfaßt das Universum, ist eins mit ihm und schließt es nicht aus. Ebenso umfaßt das Universum den einzelnen Menschen, ist eins mit ihm und schließt ihn nicht aus. Der einzelne Mensch ist ein Mittelpunkt des ganzen universalen Bewußtseins. Das Universum ist eine Gestaltung und Begrenzung, die von der Immanenz des Formlosen und Unbegrenzbaren völlig eingenommen wird.
Dies ist immer die wahre Beziehung, die durch unsere Unwissenheit und unser falsches Bewußtsein von den Dingen vor uns verhüllt ist.
Wenn wir zum Wissen oder
zum richtigen Bewußtsein gelangen, wird zwar nichts Wesentliches in der ewigen
Beziehung geändert, doch verwandeln sich vom individuellen Mittelpunkt her der
Einblick und der Ausblick grundlegend und, als Folge davon, auch Geist und
Wirkungskraft ihrer Betätigung. Der Einzelne ist für das Wirken des
Transzendenten im Universum weiterhin notwendig, und die Möglichkeit zu diesem
Wirken in ihm hört durch seine Erleuchtung nicht auf. Im Gegenteil, da die
bewußte Offenbarung des Transzendenten im Individuum das Mittel ist, durch das
das Kollektiv, das Universale, ebenso seiner bewußt werden soll, ist es zwingend
notwendig im Welten-Spiel, daß der erleuchtete Einzelne in der Welt weiter
handelt. Wäre es Gesetz, daß er gerade durch die Tatsache der Erleuchtung
zwangsläufig aus der Welt verschwinden müßte, wäre die Welt dazu verurteilt,
ewig der Schauplatz unerlöster Finsternis, des Todes und des Leidens zu bleiben.
Eine solche Welt kann nur fürchterliche Qual oder mechanische Illusion sein.
Als solche will die asketische Weltanschauung sie auch
begreifen. Die Erlösung des Einzelnen kann aber nicht wirklich Sinn haben, wenn
das Dasein im Kosmos selbst eine Illusion ist. Nach der monistischen Anschauung
ist die individuelle Seele eins mit dem Erhabenen. Ihr Empfinden von
Getrenntheit ist Unwissenheit, Flucht aus diesem Empfinden und Identität mit dem
Erhabenen ist die Erlösung. Wem aber nützt dann diese Flucht? Nicht dem
Erhabenen Selbst, denn bei ihm wird vorausgesetzt, daß es immer und unwandelbar
frei, still, schweigend und rein ist. Auch nicht der Welt, denn sie bleibt
ständig in der Gebundenheit und wird durch die Flucht einer einzelnen Seele
nicht von der universalen Illusion befreit. Es ist die individuelle Seele
selbst, die sich ihr höchstes Gut durch die Flucht aus Kummer und Trennung in
den Frieden und die Seligkeit bewirkt. Also könnte es so aussehen, als gäbe es
gerade im Ereignis der Befreiung und Erleuchtung eine gewisse Wirklichkeit der
individuellen Seele, unterschieden von der Welt und vom Erhabenen. Für den
Anhänger der IIlusionstheorie ist aber die individuelle Seele Illusion und nur
existent im unerklärlichen Geheimnis von maya. So ergibt sich: Die Flucht
einer illusorischen, nicht-seienden Seele aus illusorischer, nicht-seiender
Gebundenheit in einer illusorischen, nicht-seienden Welt ist das höchste Gut,
nach dem diese nicht-seiende Seele trachten muß! Denn das ist das letzte Wort
dieser Erkenntnis: “Es gibt niemand, der gebunden, niemand, der befreit ist und niemand, der frei zu werden sucht.” So wird vidya letztlich
ebenso sehr ein Teil des Phänomenalen wie avidya. Maya tritt uns
gerade bei unserer Flucht in den Weg und lacht über die triumphierende Logik,
die den Knoten ihres Geheimnisses zu durchschneiden schien.
Man sagt also, diese Dinge könnten nicht erklärt werden. Sie seien das ursprüngliche, unauflösbare Wunder. Sie seien uns eine praktische Tatsache und müßten akzeptiert werden. Durch Konfusion sollen wir der Konfusion entkommen. Die individuelle Seele könne den Knoten des Ego nur durch einen höchsten Akt von Egoismus durchhauen, indem sie sich ausschließlich an ihre individuelle Erlösung bindet, was auf absolute Bejahung ihrer gesonderten Existenz in maya hinausläuft. Wir sollen andere Seelen so ansehen, als seien sie Phantasiegebilde unseres Mentals. Ihre Erlösung sei unwichtig, unsere Seele allein sei ganz wirklich und ihre Erlösung das einzige, worauf es ankomme. Ich soll also meine persönliche Flucht aus der Gebundenheit als wirklich ansehen, während andere Seelen, die ebenso mein eigenes Ich sind, in ihrer Gebundenheit zurückbleiben!
Nur wenn wir jede unvereinbare Antinomie zwischen
Selbst und Welt unbeachtet lassen, ordnen sich die Dinge durch eine weniger
paradoxe Logik an ihrem richtigen Platz ein. Wir müssen die Vielseitigkeit der
Manifestationen akzeptieren, indem wir zugleich die Einheit des Manifestierten
behaupten. Ist das aber nicht gerade die Wahrheit, die uns überall begegnet,
wohin wir schauen, wenn wir es nicht vorziehen wollen, nichts zu sehen? Ist das
nicht letzten Endes das vollkommen natürliche und einfache Geheimnis des
Bewußten Seienden, daß Es weder durch seine Einheit noch durch seine Vielfalt
gebunden ist? Es ist “absolut” in dem Sinne, daß es völlig unabhängig und frei
ist, auf Seine Weise alle möglichen Begriffe, in denen Es sich selbst ausdrückt,
einzubeziehen und zu arrangieren. Da ist niemand gebunden, niemand befreit,
niemand, der sucht, frei zu werden. Denn immer ist Jenes vollkommene Freiheit.
Es ist so frei, daß es sogar nicht einmal durch seine Freiheit gebunden ist. Es
kann den Gebundenen spielen, ohne in eine wirkliche Gebundenheit zu geraten.
Seine Fessel ist eine selbst-auferlegte Vereinbarung. Seine Eingrenzung in das
Ich ist eine vorübergehende Maßnahme, die Es verwendet, um seine Transzendenz
und Universalität im Schema des individuellen brahman zu wiederholen. Das
Transzendente, das Suprakosmische ist absolut und in sich selbst frei, jenseits
von Zeit und Raum, jenseits der begrifflichen Gegensätze von endlich und unendlich. Im Kosmos aber gebraucht es seine Freiheit
der Selbst-Gestaltung, seine maya, um aus Sich Selbst ein System in den
komplementären Begriffen von Einheit und Vielfalt herzustellen. Es konstituiert
diese vielfältige Einheit in den drei Bewußtseinsformen des Unterbewußten,
Bewußten und Überbewußten. Denn wir sehen tatsächlich, daß die Vielen, die in
einer Gestaltung in unserem materiellen Universum objektiviert sind, als eine
unterbewußte Einheit anfangen, die sich deutlich genug in kosmischer Aktion und
kosmischer Substanz kundtut, deren sie selbst aber nach außen hin nicht bewußt
sind. Im Bewußten wird das Ich zu jenem Punkt an der Oberfläche, an dem das
Gewahrwerden der Einheit hervortreten kann. Es wendet seinen Begriff der Einheit
aber nur auf die äußere Form und das oberflächliche Handeln an und nimmt, weil
es all das nicht berücksichtigt, was im Hintergrund wirkt, auch nicht wahr, daß
es nicht nur in sich selbst eins ist, sondern auch eins mit den anderen. Diese
Einschränkung des universalen Ich auf den getrennten Ich-Sinn konstituiert
unsere unvollkommene individualisierte Personalität. Wenn aber das Ich das
personale Bewußtsein transzendiert, schließt es das immer mehr ein, was für uns
überbewußt ist, und wird davon überwältigt. Es erkennt die kosmische Einheit und
geht in das Transzendente Selbst ein, das der Kosmos hier in vielfältiger
Einheit ausdrückt.
Die Befreiung der individuellen Seele ist also der
Schlüssel zum definitiven göttlichen Wirken. Sie ist die grundlegende göttliche
Notwendigkeit und der Angelpunkt, um den sich alles andere dreht. Sie ist der
Licht-Punkt, an dem die beabsichtigte völlige Selbst-Manifestation in den Vielen
hervorzutreten beginnt. Aber die befreite Seele dehnt ihre Wahrnehmung der
Einheit sowohl horizontal wie vertikal aus. Ihre Einheit mit dem transzendenten
Einen ist unvollständig ohne ihre Einheit mit den kosmischen Vielen. Diese
Einheit überträgt sich nach den Seiten hin durch Multiplikation, eine
Reproduktion ihres eigenen befreiten Zustands an anderen Punkten in der
Vielfalt. Die göttliche Seele vervielfacht sich in ähnlichen befreiten Seelen,
wie sich das Tier in ähnlichen Körpern reproduziert. Darum besteht überall dort,
wo eine einzelne Seele befreit ist, die Tendenz zur Ausdehnung, sogar zur
Explosion desselben göttlichen Selbstbewußtseins in anderen individuellen Seelen
unserer irdischen Menschheit und – wer weiß? – vielleicht sogar jenseits des
irdischen Bewußtseins. Wo sollen wir die Grenze dieser Ausdehnung festlegen? Ist
es wirklich nur eine Legende, wenn berichtet
wird, Buddha habe, als er an der Schwelle des Nirvana, des Nicht-Seienden,
stand, seine Seele zurückgewandt und das Gelübde getan, er wolle nie den
unwiderruflichen Schritt hinüber tun, solange noch ein einziges Wesen unerlöst
auf der Erde lebe, gefesselt durch den Knoten des Leidens und die Gebundenheit
des Ichs?
Wir können aber das Höchste erlangen, ohne uns im kosmischen Bereich auszulöschen. Brahman behält immer Seine beiden Grundhaltungen von innerer Freiheit und Gestaltung nach außen. Es bringt sich zum Ausdruck und bleibt doch frei von diesem Ausdruck. Da wir Jenes brahman sind, können wir den gleichen göttlichen Besitz unseres Selbsts erlangen. Die Harmonie dieser beiden Tendenzen ist die Grundvoraussetzung alles Lebens, das wirklich göttlich zu sein strebt. Wenn man die Freiheit dadurch erstrebt, daß man das wegwirft, worüber man hinausgekommen ist, führt diese Freiheit auf dem Weg der Negation zur Ablehnung dessen, was Gott angenommen hat. Übt man die Aktivität so aus, daß man ganz im Wirken und in der Energie aufgeht, so führt das zur Bejahung niederer Werte und zur Verleugnung des Höchsten. Warum sollte denn der Mensch unbedingt das scheiden wollen, was Gott zusammengefügt hat und in einer Synthese vereint? Vollkommen zu sein, so wie Er vollkommen ist, ist die Bedingung, wenn man Ihn integral erlangen will.
Durch avidya, die Vielfalt, hindurch führt unser Weg aus dem vorübergehenden ichhaften Selbst-Ausdruck, in dem Tod und Leiden vorherrschen. Durch vidya, die mit avidya durch das vollkommene Empfinden von Einheit selbst in der Vielfalt übereinstimmt, genießen wir integral Unsterblichkeit und Seligkeit. Indem wir zum Ungeborenen jenseits von allem Werden gelangen, werden wir von dieser niederen Geburt und vom Tod befreit. Indem wir das Werden als das Göttliche Wesen frei annehmen, dringen wir mit dieser unsterblichen Seligkeit in die Sterblichkeit ein und werden zu erleuchteten Zentren ihres bewußten Selbst-Ausdrucks in der Menschheit.
Kapitel VI. Der Mensch im Universum
Des Menschen Seele, ein
Reisender, wandert in diesem Zyklus des brahman, gewaltig groß, eine
Totalität von Lebensabläufen, eine Totalität von Zuständen. Sie wähnt sich
verschieden von Ihm, der den Impuls gibt zur Reise. Ist sie von Ihm angenommen,
erlangt sie ihr Ziel der Unsterblichkeit.
Svetasvatara Upanishad, I.6.
Die fortschreitende Offenbarung einer großen, lichtvollen, transzendenten Wirklichkeit, deren Mittel und Material, Grundlage und Feld die vielfachen Relativitäten dieser Welt sind, die wir sehen, und jener anderen Welten, die wir nicht sehen, erscheint mithin als der Sinn des Universums, – da es eine Bedeutung und ein Ziel hat und weder zwecklose Illusion noch ein zufälliges Ereignis ist. Dieselbe logische Überlegung, die uns zu dem Schluß führt, das Welt-Dasein sei kein irreführender Kunstgriff des Mentals, rechtfertigt gleicherweise die Gewißheit, daß das Universum keine blinde, träge, aus sich selbst seiende Masse gesonderter äußerer Erscheinungen ist, die auf ihrer Bahn durch die Ewigkeit so gut sie können zusammenhalten und miteinander ringen. Es ist auch keine ungeheure Selbst-Schöpfung, kein Selbst-Impuls einer unwissenden Kraft ohne geheime Intelligenz im Innern, die sich ihres Ausgangspunktes und ihres Zieles bewußt ist und ihren Verlauf wie ihre Bewegung lenkt. Vielmehr hält ein seiner selbst voll bewußtes Sein, das uneingeschränkter Herr seiner selbst ist, das phänomenale Wesen, in das es involviert ist, in seinem Besitz, verwirklicht sich in Gestaltung und entfaltet sich im Individuum.
Dieses lichtvolle Hervortreten ist der Tagesanbruch,
den die arischen Ahnen anbeteten. Seine erfüllte Vollkommenheit ist jener
höchste Schritt des die Welt durchdringenden Vishnu, den sie schauten, wie wenn
ein Auge seine seherische Kraft bis in die reinsten Himmel des Mentals
ausweitet. Denn dieses Licht existiert schon als alles offenbarende und lenkende
Wahrheit der Erscheinungen. Es wacht über die Welt und zieht den sterblichen
Menschen zu sich hin, zuerst ohne die Erkenntnis seines bewußten Mentals durch
den allgemeinen Gang der Natur, zuletzt aber bewußt durch fortschreitendes
Erwachen und Selbst-Ausweitung, empor zu seinem
göttlichen Aufstieg. Dieser Aufstieg zum Göttlichen Leben ist des Menschen
Reise, sein Werk der Werke, sein willkommenes Opfer. Er allein ist des Menschen
wirkliche Aufgabe und die Rechtfertigung für sein Dasein in der Welt. Ohne ihn
wäre er nur ein Insekt, das zwischen anderen Eintagsfliegen auf einem Fleck aus
Schlamm und Wasser herumkriecht, der es fertig brachte, sich inmitten der
schauerlichen Unermeßlichkeiten des physischen Universums zu gestalten.
Diese Wahrheit der Dinge, die aus den Widersprüchen der Welt der Erscheinungen hervorleuchten soll, wird als unendliche Seligkeit und ein seines Selbsts bewußtes Sein erklärt, das überall, in allen Dingen, zu allen Zeiten und jenseits der Zeit dasselbe ist, seiner selbst bewußt hinter all diesen Phänomenen. Durch deren intensivste Vibrationen von Aktivität oder umfassendste Totalität kann es nie völlig ausgedrückt oder irgendwie eingeschränkt werden. Es existiert in sich selbst und hängt bezüglich seines Daseins nicht von seinen Manifestationen ab. Diese repräsentieren es hier, erschöpfen es aber nicht. Sie weisen auf es hin, enthüllen es aber nicht. Dieses Sein ist innerhalb ihrer Gestaltungen nur sich selbst gegenüber offenbar. Das in die Formen involvierte bewußte Sein gelangt bei seiner Evolution zur Erkenntnis seiner selbst durch Intuition, Selbst-Schau und Selbst-Erfahrung. Es wird in der Welt es selbst, indem es sich selbst erkennt. Es erkennt sich selbst, indem es es selbst wird. Indem das Sein sich innerlich auf diese Weise besitzt, teilt es auch seinen Gestaltungen und Eigenschaften die bewußte Seligkeit von saccidananda mit. Die beabsichtigte Umwandlung sowie Wert und Zweck des individuellen Daseins ist das Hervortreten von unendlichem Seligkeit-Sein-Bewußtsein im Werdeprozeß von Mental, Vital und Körper, – denn unabhängig von ihnen existiert saccidananda ewig. Es offenbart sich so durch das Individuum in der Beziehung, wie es in der Identität in sich selbst ist.
Daß das Unerkennbare sich selbst als saccidananda
erkennt, ist die eine erhabene positive Grundthese des Vedanta. Sie enthält alle
anderen, oder diese sind aus ihr abgeleitet. Das ist die eine wirkliche
Erfahrung, die übrig bleibt, wenn wir alles abgerechnet haben: entweder negativ,
indem wir ihre äußeren Gestaltungen und Hüllen eliminieren, oder positiv, indem
wir ihre Namen und Formen auf die beständige Wahrheit zurückführen, die sie
enthalten. Um das Leben zur Erfüllung zu bringen oder um es zu transzendieren,
ferner ob Reinheit, Stille, Freiheit im Geist
unser Ziel ist oder Machtfülle, Freude und Vollkommenheit, saccidananda
ist dafür der unvorstellbare, allgegenwärtige, unentbehrliche Begriff, nach dem
das menschliche Bewußtsein im Erkennen und Fühlen oder im Empfinden und Handeln
ewig sucht.
Das Universum und das Individuum sind die beiden
wesentlichen Erscheinungen, in die das Unerkennbare herniederkommt und durch die
man sich ihm nahen muß. Denn die anderen Kollektive zwischen diesen beiden
entstehen nur aus ihrem Zusammenwirken. Dieses Herabkommen der höchsten
Wirklichkeit ist seiner Natur nach Selbst-Verhüllung. Bei dem Herabkommen
entstehen aufeinanderfolgende Ebenen, bei der Verhüllung immer weitere Schleier.
Notwendigerweise nimmt die Enthüllung die Form eines Aufstiegs an, und ebenso
müssen Aufstieg und Enthüllung beide progressiv sein. Denn jede der
aufeinanderfolgenden Ebenen des Herniederkommens des Göttlichen Wesens wird für
den Menschen zur Stufe eines Aufstiegs. Jede Hülle, die den unbekannten Gott
verbirgt, wird für den Gott-Liebenden und Gott-Suchenden zum Anlaß, Ihn zu
enthüllen. Um sich aus dem rhythmischen Schlummer der materiellen Natur zu
befreien, die der Seele und Idee noch unbewußt ist, die jedoch den
geordneten Wirkungsablauf ihrer Energie in ihrer dumpfen, mächtigen materiellen
Trance aufrechterhalten, ringt sich so die Welt empor in einen rascheren,
unterschiedlicheren, aber auch ungeordneteren Rhythmus des Lebens, das sich bis
zu den Grenzgebieten des Selbst-Bewußtseins müht. Aus dem Leben kämpft sich die
Welt weiter hinauf bis zum Mental, in dem das Einzelwesen zu sich selbst und
seiner Welt gegenüber zum Bewußtsein erwacht. Durch dieses Erwachen gewinnt das
Universum den erforderlichen Hebel für sein höchstes Werk. Es gewinnt die ihrer
selbst bewußte Individualität. Das Mental nimmt dieses Werk jedoch nur auf, um
es fortzusetzen, nicht um es zu vollenden. Es ist ein Arbeiter mit scharfer aber
begrenzter Intelligenz, der das Durcheinander von Materialien aufgreift, das ihm
vom Leben angeboten wird. Wenn er diese nach seinen Kräften verarbeitet,
angepaßt, abgeändert und eingestuft hat, reicht er sie weiter an den erhabensten
Künstler unseres göttlichen Menschseins. Dieser Künstler hat seinen Sitz im
Supramental, denn supermind is superman, das Supramental ist der
Obermensch. Deshalb muß unsere Welt noch über das Mental emporkommen zu einem
noch höheren Prinzip, zu einem höheren Zustand und einer höheren
Kraftentfaltung, in der Universum und Individuum das erkennen und in Besitz
nehmen, was beide eigentlich schon sind. Darum
stehen beide sich nun in vollem gegenseitigen Verstehen gegenüber, in Harmonie
und geeint.
Die Unordnungen von Leben und Mental hören auf, wenn wir das Geheimnis einer Ordnung entdecken, die vollkommener ist als die physische. Die Materie unterhalb von Leben und Mental enthält zwar in sich die Ausgewogenheit vollkommener Ruhe und der Aktion unermeßlicher Kraft, aber sie ist nicht im Besitz dessen, was sie in sich enthält. Ihr Friede trägt die Maske stumpfer, unerleuchteter Trägheit, eines Schlafes in Unbewußtheit oder gar eines betäubten, eingesperrten Bewußtseins. Da sie von einer Kraft getrieben wird, die ihr wahres Selbst ist, deren Sinn sie aber nicht begreifen, noch sich zu eigen machen kann, besitzt sie nicht die voll erwachte Freude an ihren eigenen harmonischen Energien.
Leben und Mental erwachen zum Empfinden dieses Mangels in der Form ringender und suchender Unwissenheit und verworrenen, gehemmten Verlangens. Das sind die ersten Schritte zur Selbst-Erkenntnis und Selbst-Erfüllung. Wo ist dann aber das Reich ihrer Selbst-Erfüllung? Es kommt dadurch zu ihnen, daß sie über sich selbst hinausgelangen. Jenseits von Leben und Mental gewinnen wir bewußt in seiner göttlichen Wahrheit, was die Ausgeglichenheit der materiellen Natur in grober Weise darstellte, – Ruhe, die weder Trägheit noch in sich verschlossene Trance des Bewußtseins ist, vielmehr Konzentration einer absoluten Kraft und Selbst-Erkenntnis, das Wirksamwerden einer unermeßlichen Energie, die zugleich ein Aufwallen unsagbarer Seligkeit ist. Denn nun ist jeder einzelne Akt Ausdruck nicht mehr von Mangel und unwissendem Mühen, sondern von absolutem Frieden und Selbst-Meisterschaft. Wenn unsere Unwissenheit das erlangt, nimmt sie das Licht wahr, dessen verdüsterter, partieller Widerschein sie war. Dann kommen unsere Begehren zur Ruhe in Überfluß und hoher Erfüllung, worauf sie, selbst in ihren groben materiellen Formen, stets ihre wenn auch verdüsterte und gefallene Sehnsucht gerichtet haben.
Universum und Individuum brauchen einander zu ihrem
Aufstieg. Tatsächlich existieren sie immer füreinander und haben voneinander
ihren Nutzen. Das Universum ist eine Ausbreitung des göttlichen Alls in die
Unendlichkeit von Raum und Zeit. Das Individuum ist dessen Konzentration
innerhalb der Grenzen von Raum und Zeit. Das Universum sucht in unendlicher
Ausdehnung nach der göttlichen Totalität, die zu sein es fühlt, ohne sie völlig
verwirklichen zu können. Denn bei der Ausbreitung treibt
das Sein hin zu einer pluralistischen Summe seiner selbst, die weder die
ursprüngliche noch die letzte Einheit sein kann, vielmehr eine sich
wiederholende Dezimale ohne Ende oder Anfang. Darum erschafft das Universum in
sich eine ihres Selbsts bewußte Konzentration des Alls, durch die es sein
Streben befriedigen kann. Im bewußten Individuum wendet sich prakriti
nach innen, um purusha wahrzunehmen; die Welt sucht nach dem Selbst. So
wie Gott ganz und gar zur Natur geworden ist, sucht die Natur nun fortschreitend
danach, Gott zu werden.
Andererseits wird das Individuum durch das Universum gezwungen, sich selbst zu verwirklichen. Das Universum ist ihm nicht nur Grundlage, Mittel, Feld und Stoff für das göttliche Wirken, der individuelle Mensch muß sich notwendigerweise auch universal und apersonal machen, damit er das göttliche All, das seine Wirklichkeit ist, manifest machen kann. Denn die Konzentration des universalen Lebens, das er ist, findet innerhalb von Beschränkungen statt und ist nicht, wie die intensivere Einheit von brahman, bar jedes Begriffs von Grenze und Ende. Dennoch ist ihm geboten, selbst dann, wenn er sich am weitesten in eine Bewußtseins-Universalität ausdehnt, ein geheimes, transzendentes Etwas zu bewahren, das sich ihm dunkel und ichhaft in dem Empfinden von Personalität darstellt. Andernfalls hätte er sein Ziel verfehlt, das ihm gestellte Problem würde nicht gelöst, und das göttliche Wirken, für das er die Geburt angenommen hatte, würde nicht geleistet.
Das Universum tritt dem Individuum als Leben entgegen,
als ein Kräftespiel, dessen ganzes Geheimnis er zu meistern hat, als eine Masse
zusammenprallender Ergebnisse, als ein Wirbel potentieller Energien. Er soll aus
diesen eine erhabene Ordnung und noch nicht verwirklichte Harmonie freimachen.
Das ist schließlich der wirkliche Sinn des menschlichen Fortschritts. Er soll
nicht einfach nur in leicht veränderten Formulierungen das noch einmal
feststellen, was die physische Natur bereits zustande gebracht hat. Auch darin
kann das Ideal des menschlichen Lebens nicht bestehen, daß er einfach das
Tierleben auf der höheren Stufe seiner Mentalfunktionen wiederholt. Sonst würden
irgendein System oder eine Ordnung, die ein erträgliches Wohlbefinden und eine
mäßige mentale Zufriedenheit sichern, unsern Fortschritt zum Stillstand bringen.
Das Tier begnügt sich mit einer bescheidenen Befriedigung seiner Bedürfnisse.
Die Götter sind mit ihren Herrlichkeiten zufrieden. Nur der Mensch kann erst
dann dauernd zur Ruhe kommen, wenn er ein höchstes Gut erlangt hat. Deshalb ist
er auch das höchste der lebendigen Wesen, weil er
das unzufriedenste ist, das am meisten den Druck seiner Begrenztheit fühlt.
Vielleicht ist er allein dazu fähig, vom göttlichen Wahnsinn der Sehnsucht nach
einem fernen Ideal ergriffen zu werden.
Für den Geist im Leben ist darum das Individuum, in dem
sich seine potentiellen Kräfte konzentrieren, in besonderer Weise der Mensch,
purusha. Der Sohn des Menschen ist im höchsten Grade dazu ausersehen, Gott
zu inkarnieren. Der Mensch ist manu, der Denker, mano-maya purusha,
die mentale Person oder die Seele als Träger des Mentals nach der Auffassung der
Weisen des Altertums. Er ist nicht nur ein Säugetier höherer Art, sondern eine
geistig empfängliche Seele, die ihre Grundlage im animalischen Leib in der
Materie hat. Er ist bewußter Name, numen. Er nimmt Gestalt an und
verwendet sie als ein Mittel, durch das die Person mit der Substanz umgehen
kann. Das aus der Materie hervortretende animalische Leben ist nur der
untergeordnete Begriff seiner Existenz. Das Leben in Denken, Fühlen, Wollen und
bewußtem Impuls, das wir in seiner Gesamtheit mit Mental bezeichnen und das sich
müht, die Materie und ihre vitalen Energien in seine Macht zu bekommen und sie
dem Gesetz seiner fortschreitenden Transformation zu unterwerfen, ist der
mittlere Begriff, in dem der Mensch bei seinem Wirken vorübergehend Station
macht. Auch hier gibt es aber einen noch höheren Begriff, nach dem das Mental im
Menschen sucht. Ihn möchte er finden und ihm in seiner mentalen und leiblichen
Existenz eine sichere Grundlage geben. Diese praktische Bejahung von etwas, das
dem gegenwärtigen Ich des Menschen wesenhaft überlegen ist, ist das Fundament
für das göttliche Leben im menschlichen Dasein. Ist der Mensch zu einem Wissen
von sich erwacht, das tiefer ist als seine erste mentale Idee über sich selbst,
beginnt er, sich von dem, was er so sicher zu bejahen hat, eine gewisse Formel
auszudenken und ein Wahrnehmungsbild zu erfassen. Dann kommt es ihm aber vor,
als sei diese Bejahung zwischen zwei Verneinungen gestellt. Wenn er jenseits
dessen, was er bis jetzt erlangt hat, die Macht, das Licht, die Seligkeit eines
seiner selbst bewußten unendlichen Seins wahrnimmt oder davon berührt wird und
seine Gedanken darüber oder seine Erfahrung davon in die Begriffe überträgt, die
seiner Mentalität entsprechen – Unendlichkeit, Allwissenheit, Allmacht,
Unsterblichkeit, Freiheit, Liebe, Seligkeit, Gott –, scheint ihm diese Sonne
seines Schauens zwischen einer doppelten Nacht zu leuchten, einer Finsternis
unter und einer noch mächtigeren Finsternis über
ihr. Denn wenn er sich müht, sie bis zum äußersten zu erkennen, scheint sie in
etwas überzugehen, das weder ein einzelner dieser Begriffe noch ihre Summe
darstellen kann. Sein Mental verneint schließlich Gott zugunsten eines Jenseits,
zumindest scheint es zu finden, Gott transzendiere Sich Selbst und verweigere
Sich begrifflicher Erfassung. Aber auch hier, in der Welt, in ihm selbst und in
seiner Umgebung, begegnen dem Menschen stets die Gegensätze zu seinen
Bejahungen. Immer ist der Tod bei ihm, Beschränkung umlagert sein Wesen und
seine Erfahrung, Irrtum, Unbewußtheit, Schwäche, Trägheit, Kummer, Schmerz, das
Böse – sie alle sind fortwährende Unterdrücker seines Bemühens. So wird er auch
hier dazu getrieben, Gott zu verleugnen, zumindest scheint das Göttliche Wesen
sich selbst zu verneinen, sich in einer äußeren Erscheinung oder in einem
Ergebnis zu verbergen, das anders ist als seine wahre, ewige Wirklichkeit.
Die Begriffe dieses Leugnens sind nicht wie die jener anderen, entlegeneren Verneinung dem Verstehen des Menschen unerreichbar, darum natürlicherweise geheimnisvoll und für sein Mental unerkennbar, sie scheinen vielmehr erkennbar, bekannt und klar zu sein – und dennoch mysteriös. Er weiß nicht, was sie sind, warum sie existieren, wie sie ins Seiende gekommen sind. Er sieht ihre Vorgänge so, wie sie sich auf ihn auswirken und wie sie ihm erscheinen. Er kann aber ihre wesenhafte Wirklichkeit nicht ergründen.
Vielleicht sind sie unergründlich? Vielleicht sind sie
in ihrem Wesen auch wirklich unerkennbar? Oder sie besitzen überhaupt keine
wesenhafte Wirklichkeit, sind eine Illusion, asat ein Nicht-Seiendes. Die
Negation auf höherer Ebene erscheint uns manchmal als ein Nihil, als ein
Nicht-Sein. So mag auch die Negation auf der niederen Ebene ihrem Wesen nach ein
Nihil sein, ein Nicht-Sein. Aber wie wir schon jene Ausflucht aus der
Schwierigkeit im Blick auf die höhere Verneinung von uns gewiesen haben, so
weisen wir sie auch für dieses niedere asat zurück. Die Wirklichkeit
dieser Negation gänzlich zu bestreiten oder ihr dadurch entrinnen zu wollen, daß
wir sie als bloße verhängnisvolle Illusion erklären, bedeutet, daß wir das
Problem einfach von uns weisen und unserem Werk davonlaufen. Für das Leben sind
die Dinge, die Gott zu bestreiten und Gegensätze zu saccidananda zu sein
scheinen, auch dann wirklich, wenn sie sich als etwas nur Zeitweiliges
herausstellen. Sie und ihre Gegensätze, das Gute, das Wissen, Freude und Lust, Leben und Überleben, Stärke und Macht, fortschreitendes Wachstum, sind
gerade das Material, mit dem das Leben arbeitet. Es ist in der Tat
wahrscheinlich, daß sie das Ergebnis oder vielmehr die untrennbaren
Begleiterscheinungen, zwar nicht einer Illusion, aber doch einer falschen
Beziehung sind, deshalb unrichtig, weil sie sich auf eine falsche Auffassung von
dem gründen, was das Individuum im Universum ist. Daher kommt die falsche
Haltung des Menschen sowohl zu Gott und zur Natur, wie zu sich selbst und zu
seiner Umgebung. Denn das, was er bisher geworden ist, hat jede Harmonie mit dem
verloren, was die Welt seiner Wohnstätte ist und was er selbst sein sollte und
werden muß. Darum ist der Mensch diesen Widersprüchen gegen die geheime Wahrheit
der Dinge unterworfen. Ist das aber so, dann sind sie nicht die Strafe für einen
Sündenfall, sondern Voraussetzungen seines Fortschritts. Sie sind die ersten
Elemente für das Werk, das er zu vollbringen hat, und der Preis, den er für die
Krone entrichten muß, die er zu erringen hofft. Sie sind der enge Pfad, auf dem
die Natur aus der Materie heraus in das Bewußtsein entrinnt. Sie sind zugleich
ihr Lösegeld und ihr Kapital.
Denn aus diesen falschen Beziehungen und mit ihrer Hilfe müssen wir die wahren Beziehungen finden. Mittels der Unwissenheit müssen wir den Weg über den Tod hinaus finden. So spricht der Veda auch in rätselhaften Andeutungen von Energien, die wie Frauen sind, böse in ihrem Impuls, vom rechten Weg abgekommen und ihrem Herrn Harm zufügend, dennoch bauen sie, obwohl sie an sich falsch und unglücklich sind, am Ende diese ungeheure Wahrheit auf, diese Wahrheit, die Seligkeit ist. So wäre dann für den Menschen das Opfer vollbracht, die Reise vollendet, Himmel und Erde wären miteinander zum Ausgleich gekommen und beide in der Seligkeit des Höchsten geeint, wenn der Mensch, statt das Böse in der Natur durch einen Akt moralischer Chirurgie aus sich herauszuoperieren oder sich mit Abscheu aus dem Leben zurückzuziehen, den Tod in ein vollkommeneres Leben umwandelt, die kleinen Dinge der menschlichen Beschränktheit in die hohen Dinge der göttlichen unbegrenzten Weite emporhebt, das Leiden in Seligkeit umformt, das Böse in sein eigentliches Gutes umkehrt und Irrtum und Lüge in ihre geheime Wahrheit überträgt.
Wie können aber solche Gegensätze ineinander übergehen?
Durch welche Alchimie soll dieses Blei der Sterblichkeit verwandelt werden In
das Gold göttlichen Wesens? Wie aber, wenn sie in ihrer Essenz überhaupt keine Gegensätze, wenn sie Offenbarungen einer einzigen
Wirklichkeit und in ihrer Substanz identisch sind? Dann allerdings wird eine
göttliche Umwandlung vorstellbar.
Wir haben gesehen, daß das jenseitige Nicht-Seiende sehr wohl ein unbegreifliches Sein und vielleicht eine unaussprechliche Seligkeit sein kann. Jedenfalls stellt sich in der Psychologie des befreiten, auf der Erde weiter wirkenden Menschen das nirvana des Buddhismus – der ein voll erleuchtendes Bemühen des Menschen formuliert, das höchste Nicht-Sein zu erlangen und in ihm zur Ruhe zu kommen – als unaussprechlicher Friede und als Freude dar. Seine praktische Auswirkung ist das Erlöschen alles Leidens durch das Verschwinden aller ichhaften Vorstellung oder Empfindung. Wir kommen einem positiven Begriff von Nirvana am nächsten, wenn wir es als eine unaussprechliche Glückseligkeit verstehen – falls dieser Name oder überhaupt ein Name einem Frieden beigelegt werden kann, der so inhaltslos ist – der Begriff der eigenen Existenz scheint völlig aufgesogen und verschwunden zu sein. Es ist ein saccidananda, auf das wir selbst die höchsten Begriffe von sat, chit und ananda nicht mehr anzuwenden wagen. Alle Begriffe werden hier zunichte, und alle erkennende Erfahrung bleibt weit zurück.
Andererseits haben wir die Vermutung gewagt: Da alles eine einzige Wirklichkeit ist, kann auch diese untergeordnete Verneinung, dieser andere Widerspruch oder dieses Nicht-Sein von saccidananda nichts anderes sein als saccidananda selbst. In Wahrheit kann es durch den Intellekt begriffen, in der Schau wahrgenommen und sogar durch die Empfindungen erfaßt werden als das, was es zu bestreiten scheint. Für unsere bewußte Erfahrung wäre das immer so, wenn die Dinge nicht durch einen ungeheuren fundamentalen Irrtum verfälscht würden und durch Unwissenheit, die alles in ihrem Besitz und unter ihrem Zwang hält durch maya oder avidya. In diesem Empfinden könnte eine Lösung gesucht werden, vielleicht keine zufriedenstellende metaphysische Lösung für das logische Mental, denn wir stehen hier an der Grenzlinie zum Unerkennbaren und Unaussprechlichen und bemühen uns vergeblich, hinüberzuschauen, aber eine ausreichende Grundlage in der Erfahrung zum Praktizieren des göttlichen Lebens.
Dazu müssen wir wagen, tiefer als nur in die helle
Oberfläche der Dinge einzudringen, bei der das Mental so gern verweilt. Wir
müssen es mit dem Unermeßlichen und Dunklen aufnehmen, in die unergründlichen
Tiefen des Bewußtseins untertauchen, uns mit Zuständen des Wesens identifizieren, die nicht unsere eigenen sind. Bei solchem Forschen
leistet die menschliche Sprache nur geringe Hilfe. Wir könnten jedoch in ihr
zumindest einige Symbole und Bilder finden, mit einigen gerade noch
ausdrückbaren Andeutungen zurückkehren, die für das Licht der Seele eine Hilfe
sind und auf das Mental einen Widerschein von dem unaussprechlichen Plan werfen.
Kapitel VII. Das Ich und die Dualitäten
Die Seele, die ihren
Sitz auf demselben Baum der Natur hat, wird aufgezehrt und getäuscht und hat
Kummer, weil nicht sie der Herr ist. Wenn sie aber jenes andere Selbst und
dessen Hoheit schaut und mit ihm, der der Herr ist, zur Einung kommt,
schwindet ihr Kummer dahin.
Svetasvatara Upanishad, IV, 7.
Wenn in Wahrheit alles saccidananda ist, können Tod, Leiden, Böses, Beschränkung nur die in der praktischen Wirkung positive, im Wesen negative Schöpfung eines verzerrenden Bewußtseins sein, das aus der totalen, einenden Erkenntnis seiner selbst in den Irrtum von Trennung und partieller Erfahrung verfallen ist. Das ist der Sündenfall des Menschen, wie er in dem poetischen Gleichnis der hebräischen Genesis versinnbildlicht ist. Jener Fall des Menschen ist sein Abirren aus der völligen, lauteren Annahme Gottes und seiner selbst, oder vielmehr Gottes in sich selbst, in ein trennendes Bewußtsein, das jenes ganze Gefolge der Gegensatzpaare nach sich zieht: Leben und Tod, Gutes und Böses, Freude und Leid, Fülle und Mangel, die Frucht eines zerteilten Wesens. Das ist die Frucht, die Adam und Eva, purusha und prakriti, die von der Natur verführte Seele, gegessen haben. Die Erlösung kommt dadurch, daß wir das Universale im Individuum und den spirituellen Begriff im physischen Bewußtsein wiedererlangen. Nur dann kann es der Seele in der Natur erlaubt sein, an der Frucht des Lebensbaumes teilzuhaben, wie Gott zu sein und für immer zu leben. Nur dann kann der Zweck, weshalb sie in das materielle Bewußtsein herabgekommen ist, erfüllt werden, wenn die Erkenntnis von Gut und Böse, von Freude und Leiden, von Leben und Tod dadurch vollendet wurde, daß die menschliche Seele ein höheres Wissen erlangt, das diese Gegensätze miteinander versöhnt, sie im Universalen zur Identität bringt und ihre Zertrennungen in das Ebenbild der göttlichen Einheit umwandelt.
Für saccidananda, das in allen Dingen in
weitester Allgemeinheit und unparteilicher Universalität ausgebreitet ist,
können Tod, Leiden, Böses und Begrenzung höchstens die ins Extreme umgekehrten
Begriffe, die Schattengestalten ihrer lichtvollen Gegensätze sein. So wie alle
diese Dinge von uns gefühlt werden, sind sie nur
Töne einer Disharmonie. Sie formulieren Absonderung, wo sie Einheit, und
Mißverständnis, wo sie Einverständnis sein sollten. Sie versuchen, zu
unabhängigen Harmonien zu kommen, wo sich jedes Instrument von selbst in das
Ganze des Orchesters einfügen sollte. Jede Totalität muß – und wäre sie auch nur
eine Totalität in einem einzigen Schema der universalen Vibrationen, nur eine
Totalität des physischen Bewußtseins – ohne den Besitz all dessen, was jenseits
von ihr und hinter ihr in Bewegung ist, in ihrem Bereich eine Rückverwandlung in
die Harmonie und eine Versöhnung der schrillen Gegensätze sein. Andererseits
können aber für saccidananda, das die Gestaltungen des Universums
transzendiert, die dualen Begriffe als solche, gerade wenn man sie so versteht,
nicht mehr mit Recht anwendbar sein. Transzendenz gestaltet um. Sie versöhnt
nicht die Gegensätze, sie wandelt sie vielmehr in etwas Übergeordnetes um, das
ihre Gegensätzlichkeiten beseitigt.
Zuerst müssen wir aber danach streben, das Individuum wieder in Beziehung zur Harmonie des gesamten Universums zu bringen. Hier ist es für uns nötig – sonst gibt es kein Entkommen aus dem Problem –, daß wir klar sehen: Die Begriffe, in denen unser jetziges Bewußtsein die Werte des Universums darbietet, sind, auch wenn sie praktisch für die Zwecke von Erfahrung und Fortschritt des Menschen gerechtfertigt sind, nicht die einzigen, in denen man diese Werte wiedergeben kann, und sie dürften auch nicht die vollständigen, rechten und letzten Formulierungen sein. So wie es Sinnesorgane oder Träger von Sinnesbefähigungen geben kann, die unsere physische Welt in verschiedener Weise und vielleicht besser wahrnehmen, weil sie vollkommener sind als unsere Sinnesorgane oder Sinnesbefähigung, mag es auch andere mentale und supramentale Betrachtungsweisen des Universums geben, die über die unsrigen hinausgehen. Es gibt Bewußtseinszustände, in denen Tod nur eine Verwandlung innerhalb unsterblichen Lebens ist, Schmerz heftige Rückflut der Wogen universalen Entzückens, Begrenztheit eine Rückwendung des Unendlichen zu sich selbst, Böses ein Kreisen des Guten um seine eigene Vollkommenheit. Das ist keineswegs nur so im abstrakten Begreifen, sondern auch in aktueller Schau und in ständiger und substantieller Erfahrung. Zu solchen Bewußtseinszuständen zu gelangen, sollte für den Einzelnen einer der wichtigsten und unentbehrlichsten Schritte seines Fortschreitens zur Selbst-Vervollkommnung sein.
Gewiß müssen die von
unseren Sinnen und vom dualistischen Sinnen-mental gegebenen praktischen Werte
in ihrem eigenen Bereich Geltung behalten und als Standard für die gewöhnliche
Lebenserfahrung so lange akzeptiert werden, bis eine umfassendere Harmonie
fertig ist, in die sie eingehen und sich umwandeln können, ohne den Halt an
jenen Wirklichkeiten zu verlieren, die sie repräsentieren. Würde man die
Sinnesbefähigungen ohne das Wissen erweitern, das den alten Sinneswerten ihre
richtige Deutung von dem neuen Standpunkt aus gibt, so könnte das zu ernstlichen
Störungen, zu Unfähigkeiten führen und den Menschen unbrauchbar machen für das
praktische Leben und für die geordnete, disziplinierte Verwendung der Vernunft.
Ebenso kann die Ausweitung unseres mentalen Bewußtseins über die Erfahrung der
ichhaften Dualitäten hinaus in ein unreguliertes Einswerden mit einer Form
totalen Bewußtseins leicht Verwirrung und Behinderung des aktiven menschlichen
Lebens innerhalb der geltenden Ordnung der Beziehungen in der Welt herbeiführen.
Das liegt zweifellos der Mahnung der Gita an den Menschen zugrunde, der das
Wissen besitzt, er dürfe die Lebens- und die Denkgrundlage der Unwissenden nicht
in Verwirrung bringen, denn sie würden durch sein Vorbild verführt, wären aber
unfähig, das Prinzip seines Handelns zu begreifen, und würden so ihr eigenes
Wertsystem verlieren, ohne zu einer höheren Grundlegung zu gelangen.
Solch eine Störung und Leistungsverminderung kann man
für sich persönlich akzeptieren, und viele große Seelen haben das für eine
Übergangszeit getan und so den Preis für ihren Eintritt in ein umfassenderes
Dasein entrichtet. Das wahre Ziel des menschlichen Fortschritts muß aber
bleiben, wirkungsvoll und synthetisch das Gesetz jenes erweiterten Daseins in
einer neuen Ordnung von Wahrheiten neu zu interpretieren und es in einer
richtigen, machtvolleren Einwirkung dieser Befähigungen auf das Lebens-Material
des Universums darzustellen. Für die menschlichen Sinne wandert die Sonne rund
um die Erde, sie war für die Menschen Daseinsmittelpunkt, und die Bewegungen des
Lebens wurden auf der Grundlage eines Mißverstehens geordnet. Die Wahrheit ist
das genaue Gegenteil davon; aber ihre Entdeckung hätte wenig genützt, wenn es
nicht eine Naturwissenschaft gäbe, die die neue Anschauung zum Mittelpunkt einer
rationalen und geordneten Erkenntnis macht, die den Wahrnehmungen der Sinne ihre
richtigen Werte beilegt. Genauso kreist für das mentale Bewußtsein Gott um das
personale Ich, und alle Seine Werke und Wege
werden vor das Gericht unserer ichhaften Empfindungen, Gefühle und Auffassungen
gestellt und erhalten hier Werte und Deutungen, die zwar eine Verdrehung und
Umkehrung der Wahrheit der Dinge, aber doch nützlich und praktisch ausreichend
sind für eine gewisse Entwicklung menschlichen Lebens und Fortschritts. Sie sind
eine primitive praktische Systematisierung unserer Erfahrung der Dinge und so
lange gültig, als wir noch in einer gewissen Ordnung von Ideen und Aktivitäten
zu Hause sind. Sie stellen aber nicht den letzten und höchsten Zustand
menschlichen Lebens und Wissens dar. “Wahrheit ist der Weg, nicht die
Unwahrheit.” Es ist nicht die Wahrheit, daß Gott das Ich als das Zentrum des
Daseins umkreist und vom Ich und seiner Schau der Dualitäten beurteilt werden
kann, sondern daß das göttliche Wesen selbst die Mitte ist und daß das
Individuum nur dann seine wirkliche Wahrheit erfährt, wenn es diese in den
Begriffen des Allumfassenden und Transzendenten erkennt. Würde man die bisherige
ichhafte Auffassung durch diese neue ohne angemessene Erkenntnisgrundlage
ersetzen, so führte das dazu, daß man alte Ideen durch neue ersetzt, die aber
immer noch unrichtig und willkürlich sind, und so anstelle einer ruhigen
Unordnung richtiger Werte eine ungestüme Unordnung hervorbringt. Solche
Unordnung kennzeichnet oft das Auftreten neuer Philosophien und Religionen und
leitet wertvolle Umwälzungen ein. Das wahre Ziel wird aber nur erreicht, wenn
wir um die richtige zentrale Auffassung ein vernunftgemäßes, wirkungsvolles
Wissen ordnen können, in dem das ichhafte Leben alle seine Werte umgewandelt und
verbessert wieder finden kann. Dann werden wir jene neue Ordnung von Wahrheiten
besitzen, die es uns ermöglichen, unser jetziges Dasein durch ein mehr
göttliches Leben zu ersetzen und gotterfüllter und kraftvoller mit unseren
Fähigkeiten auf das Lebens-Material des Universums einzuwirken.
Jenes neue Leben und jene neue Macht des integralen
menschlichen Selbsts muß notwendigerweise auf wirklicher Einsicht in die großen
Wahrheiten beruhen, die eine Übersetzung der Natur des göttlichen Seins in
unsere Art des Erfassens der Dinge sind. Das muß dadurch geschehen, daß das Ich
auf seinen falschen Standpunkt und seine falschen Gewißheiten verzichtet, in die
richtige Beziehung und Harmonie zu den Totalitäten eintritt, deren Teil es
bildet, und zu den Transzendenzen, denen es entstammt. Es soll sich vollkommen
für eine Wahrheit und ein Gesetz öffnen, die über seine herkömmlichen Ordnungen hinausgehen, für eine Wahrheit, die seine eigene Erfüllung ist, und für
ein Gesetz, das seine Befreiung bringt. Sein Ziel muß dabei sein, jene Werte
aufzugeben, die Schöpfungen der egoistischen Betrachtung der Dinge sind. Dessen
Krönung ist, Beschränkung, Unwissenheit, Tod, Leiden und das Böse zu
transzendieren.
Hier auf Erden und in unserem menschlichen Leben können wir so lange nicht die Dualitäten transzendieren und beseitigen, wie die Grundbegriffe dieses Lebens zwangsläufig an unsere gegenwärtigen ichzentrierten Bewertungen gebunden sind. Solange das Leben seiner Natur nach ein individuelles Phänomen und nicht Repräsentation eines universalen Seins und das Atmen eines mächtigen Lebens-Geistes ist, solange die Gegensatzpaare, die Antwort des Individuums auf seine Kontakte mit dem Leben, nicht nur eine Reaktion, sondern das wirkliche Wesen und die Grundbedingungen alles Lebens sind, solange die Begrenztheit die unabänderliche Natur der Substanz ist, aus der unser Mental und unser Körper gebildet sind, solange Zersetzung durch den Tod die erste und letzte Bedingung des Lebens, sein Ende und sein Anfang sind, solange Lust und Schmerz der untrennbare duale Stoff jeder Empfindung, solange Freude und Leid das notwendige Licht und der Schatten jedes Gefühls und solange Wahrheit und Irrtum die beiden Pole sind, zwischen denen ewig jede Erkenntnis sich bewegen muß – solange können wir das alles nur dann transzendieren, wenn wir das menschliche Leben in einem Nirvana jenseits von allem Dasein aufgeben oder in eine andere Welt, in einen Himmel gelangen, der ganz anders konstituiert ist als dieses materielle Universum.
Für das herkömmliche Mental des Menschen, der an seine
vergangenen und gegenwärtigen Assoziationen gebunden bleibt, ist es nicht sehr
leicht, sich ein zwar noch menschliches, aber doch radikal verändertes Dasein
innerhalb unserer jetzigen festgelegten Lebensverhältnisse vorzustellen. Im
Blick auf unsere mögliche höhere Evolution sind wir eigentlich in der Lage des
Affen, der nach Darwins Theorie unser Ahne ist. Für jenen Affen, der sein
Instinkt-Leben auf den Urwaldbäumen führte, wäre die Vorstellung unmöglich
gewesen, eines Tages würde ein Geschöpf seiner Art auf Erden eine neue, Vernunft
genannte, Fähigkeit auf die Materialien seiner inneren und äußeren Existenz
anwenden, würde mit dieser Macht seine Instinkte und Gewohnheiten beherrschen
und die Bedingungen seines physischen Lebens verändern, würde sich Häuser aus
Stein erbauen, die Kräfte der Natur manipulieren, über die Meere fahren, durch die Lüfte fliegen, würde Gesetze für sein Verhalten
schaffen und bewußte Methoden entwickeln für seine mentale und spirituelle
Entfaltung. Auch wenn eine solche Vorstellung dem Affen-Mental möglich gewesen
wäre, hätte der Affe sich doch wohl schwerlich vorstellen können, er selbst
werde sich durch Fortschritt der Natur oder durch langes Bemühen des Willens und
seiner eigenen Tendenz in jenes Geschöpf entwickeln können. Da der Mensch
Vernunft erwarb und darüber hinaus die Macht seiner Phantasie und Intuition
einsetzte, kann er sich ein Dasein vorstellen, das höher steht als sein eigenes,
und er kann sogar seinen persönlichen Aufstieg über seinen jetzigen Zustand
hinaus zu jenem Dasein ins Auge fassen. Seine Idee von einem höchsten Zustand
ist eine Verabsolutierung all dessen, was seinen eigenen Auffassungen positiv
und seinem instinktiven Streben wünschenswert erscheint: Erkenntnis ohne den
negativen Schatten von Irrtum, Seligkeit ohne Verneinung in der
Leidenserfahrung, Macht ohne ständige Infragestellung durch Unfähigkeit,
Reinheit und Seinsfülle ohne das gegenteilige Empfinden von Mangel und
Beschränkung. So stellt er sich seine Götter vor, ebenso konstruiert er seine
Himmel. Jedoch stellt sich seine Vernunft eine mögliche Erde und eine mögliche
Menschheit nicht ebenso vor. Sein Traum von Gott und Himmel ist in Wirklichkeit
ein Traum von seiner eigenen Vollkommenheit. Wenn er dessen praktische
Verwirklichung hier als sein höchstes Ziel annehmen will, steht er aber vor der
gleichen Schwierigkeit, wie es seinem Ahnen, dem Affen, ergangen wäre, hätte man
von ihm gefordert, er solle an sich selbst als an den zukünftigen Menschen
glauben. Seine Phantasie und religiösen Bestrebungen mögen dem Menschen jenes
Ziel vor Augen halten. Setzt sich aber sein rationales Denken durch, verwirft es
Phantasie und transzendente Intuition und legt sie als brillanten Aberglauben
beiseite, der den harten Tatsachen des materiellen Universums widerspreche; so
wird daraus allenfalls eine ihn inspirierende Vision des Unmöglichen. Möglich
erscheinen ihm nur bedingtes Wissen, begrenzte Freude und Macht, ein immer
bedrohtes Gutes.
Dennoch ist im Prinzip der Vernunft selbst die Bejahung
einer Transzendenz enthalten. Denn nach ihrem ganzen Ziel und Wesen ist Vernunft
das Suchen nach Erkenntnis, sozusagen das Streben nach Wahrheit durch Ausschluß
von Irrtum. Sie blickt und strebt nicht nur nach dem Übergang von einem größeren
zu einem geringeren Irrtum, sondern sie setzt eine positive, präexistente
Wahrheit voraus, auf die wir uns durch die
Dualitäten von richtiger und falscher Erkenntnis hindurch fortschreitend
hinbewegen können. Wenn unsere Vernunft hinsichtlich der anderen Bestrebungen
der Menschheit nicht die gleiche instinktive Gewißheit besitzt, so deshalb, weil
ihr dort die gleiche eingeborene wesenhafte Erleuchtung fehlt, die sie ihrer
eigenen positiven Betätigung zugrunde legt. Wir können uns wohl eine positive
absolute Verwirklichung von Glück vorstellen, weil das Herz, dem dieses Urgefühl
für das Glück angehört, seine eigene Form von Gewißheit hat, zum Glauben fähig
ist und weil unser Denken sich die Ausschaltung von unbefriedigtem Mangel, dem
offensichtlichen Grund des Leidens, vorstellen kann. Wie sollen wir uns aber die
Ausschaltung des Schmerzes aus unserem nervlichen Empfinden oder des Todes aus
dem leiblichen Leben vorstellen? Dennoch ist die Zurückweisung des Schmerzes ein
vorherrschender Instinkt der Empfindungen und die Ablehnung des Todes eine
dominierende Forderung, tief gegründet im Wesen unserer Vitalität. Aber diese
Dinge stellen sich unserer Vernunft dar als instinktives Streben und nicht als
verwirklichbare Möglichkeiten.
Dennoch sollte das gleiche Gesetz überall gelten. Der Irrtum der praktischen Vernunft liegt in ihrer übermäßigen Unterwerfung unter die augenfällige Tatsächlichkeit, die sie unmittelbar als wirklich empfinden kann, und darin, daß ihr der Mut fehlt, tiefer liegende Tatsachen einer möglichen Verwirklichung bis hin zu ihrem logischen Schluß zu verfolgen. Was jetzt ist, ist die Realisierung einer vorausgegangenen möglichen Verwirklichung. Was gegenwärtig nur potentiell verwirklichbar ist, ist der Hinweis auf eine künftige Realisierung. Und hier existiert eine potentielle Verwirklichung; denn die Bemeisterung der augenfälligen Dinge hängt davon ab, daß wir ihre Ursachen und Abläufe kennen, und wenn wir die Gründe für Irrtum, Kummer, Schmerz, Tod wissen, können wir mit einiger Hoffnung auf ihre Beseitigung hinarbeiten. Wissen ist Macht, Erkenntnis ist Meisterschaft.
Tatsächlich verfolgen wir als Ideal, soweit wir damit
kommen, die Ausschaltung all dieser negativen oder uns feindlichen Phänomene.
Ständig versuchen wir, die Ursachen von Irrtum, Schmerz und Leiden zu
verringern. Die Naturwissenschaft träumt davon, daß sie, je weiter ihre
Erkenntnisse reichen, die Geburt regulieren und das Leben grenzenlos verlängern,
wenn nicht den Tod überhaupt besiegen kann. Da wir aber bloß äußere oder
sekundäre Ursachen ins Auge fassen, können wir nur daran denken, diese in
gewissem Umfang zu beseitigen, nicht jedoch die
Wurzeln dessen ausrotten, gegen das wir kämpfen. Wir sind deshalb so
eingeschränkt, weil wir um sekundäre Wahrnehmungen ringen und nicht um eine
Grund-Erkenntnis, weil wir zwar die Abläufe der Dinge kennen, aber nicht ihr
Wesen. So gelangen wir zwar zu einer machtvolleren Bewältigung der Umstände,
aber nicht zu einer wesentlichen Herrschaft über sie. Könnten wir die
wesentliche Natur und die wesentliche Ursache von Irrtum, Leiden und Tod
begreifen, dann dürften wir hoffen, zu einer Herrschaft über sie zu gelangen,
die dann keine relative, sondern eine vollständige sein würde. Wir könnten sogar
hoffen, jene ganz und gar auszuschalten und so den mächtigen Instinkt unserer
Natur dadurch zu rechtfertigen, daß wir jenes absolute Gute gewinnen: Seligkeit,
Erkenntnis, Unsterblichkeit, die wir in unserer Intuition als den wahren,
höchsten Zustand des menschlichen Wesens erkennen.
Der alte Vedanta bietet uns eine solche Lösung im Begriff und in der Erfahrung des brahman als der einzigen universalen und wesentlichen Tatsache und der Natur des brahman als saccidananda. In dieser Schau ist das Wesentliche alles Lebens die Bewegung eines universalen und unsterblichen Seins, das Wesentliche alles Empfindens und Fühlens das Spiel einer universalen selbst-seienden Seins-Seligkeit, das Wesentliche alles Denkens und Wahrnehmens die Ausstrahlung einer universalen, alles durchdringenden Wahrheit, das Wesentliche aller Aktivität die fortschreitende Entfaltung eines universalen, aus dem Selbst wirkenden Guten.
Spiel und Bewegung verkörpern sich aber in einer
Vielfalt von Formen, einer Vielartigkeit von Tendenzen, einem Zusammenspiel von
Energien. Die Vielfalt läßt das Einwirken eines bestimmenden, zeitweise
entstellenden Faktors zu: des individuellen Ego. Die Natur des Ichs ist
Selbst-Begrenzung des Bewußtseins durch ein gewolltes Nicht-Erkennen der übrigen
Wirkungen des vielfältigen Spiels und sein ausschließliches Aufgehen in einer
einzigen Form, einer einzigen Kombination von Tendenzen, einem einzigen Bereich
von Energiebewegungen. Ego ist der Faktor, der die Reaktionen von Irrtum,
Kummer, Schmerz, Bösem und Tod bestimmt; denn es legt diese Werte Bewegungen
bei, die sonst in ihrer richtigen Beziehung zum Einen Sein, zur Seligkeit,
Wahrheit und dem Guten repräsentiert würden. Fänden wir wieder die richtige
Beziehung, könnten wir die vom Ego bestimmten Reaktionen ausschalten und sie
schließlich auf ihre wahren Werte zurückführen. Diese Entdeckung kann dadurch bewirkt werden, daß der Einzelne in der rechten Weise am
Bewußtsein der Totalität teilnimmt und des Transzendenten bewußt wird, das die
Totalität repräsentiert.
In den späteren Vedanta schlich sich folgende Idee ein und wurde zum starren Dogma: Das begrenzte Ego sei nicht nur die Ursache der Dualitäten, sondern wesenhafte Grundbedingung für die Existenz des Universums. Wenn wir uns von der Unwissenheit des Ichs und von den daraus herrührenden Begrenzungen befreien, schalten wir die Dualitäten aus; mit ihnen eliminieren wir aber auch unsere Existenz in der kosmischen Bewegung. So gelangen wir wieder dahin zurück, daß die Natur der menschlichen Existenz ihrem Wesen nach böse und illusorisch sei und alles Ringen um Vollkommenheit im Leben der Welt eitel. Hier könnten wir allenfalls ein relatives Gutes suchen, das aber immer mit seinem Gegenteil verknüpft sei. Bekennen wir uns aber zu der umfassenderen und tieferen Idee, derzufolge das ich nur eine zwischenstufige Repräsentation von etwas ist, das jenseits von ihm existiert, entrinnen wir dieser Konsequenz und können den Vedanta zur Erfüllung des Lebens verwenden, statt dem Leben zu entfliehen. Die wesenhafte Ursache und Grundlage universalen Daseins ist der Herr, ishvara oder purusha, der sich in individuellen und universalen Formen offenbart und sie in Besitz hält. Das begrenzte Ich ist nur das Bewußtseins-Phänomen der Zwischenstufe, das für eine gewisse Entwicklungslinie notwendig ist. Folgt der Einzelne dieser Linie, so kann er zu dem gelangen, das jenseits von ihm ist und das er repräsentiert. Er kann es auch weiter repräsentieren, aber dann nicht mehr als ein unerleuchtetes beschränktes Ego, sondern als Mittelpunkt Göttlichen Wesens und universalen Bewußtseins, das alle individuellen Bestimmungen umfaßt, verwendet und in Harmonie mit dem Göttlichen Wesen umwandelt.
Wir haben also die Manifestation des Göttlichen
Bewußten Wesens in der Totalität der physischen Natur als die Grundlage
menschlichen Daseins im materiellen Universum. Wir haben das Hervortreten dieses
Bewußten Wesens in einem involvierten und darum unvermeidlich evolvierenden
Leben, Mental und Supramental als die Grundlagen unseres aktiven Wirkens. Diese
Evolution hat es dem Menschen ermöglicht, in der Materie in Erscheinung zu
treten. Sie wird es ihm auch ermöglichen, fortschreitend Gott im Körper zu
manifestieren, – die universale Inkarnation. In der vom Ich bestimmten Gestalt
besitzen wir den Vermittlungsfaktor von entscheidender Bedeutung, der es dem
Einen möglich macht, als die bewußten Vielen aus
jener indeterminierten, allgemeinen, finsteren und gestaltlosen Totalität
emporzutauchen, die wir das Unterbewußte nennen, hrdya samudra, “das
Ozean-Herz in den Dingen” nach dem Rig Veda. Wir haben die Dualitäten Leben und
Tod, Freude und Leid, Lust und Schmerz, Wahrheit und Irrtum, Gutes und Böses als
die ersten Gestaltungen ichhaften Bewußtseins, als das natürliche,
unvermeidliche Ergebnis seines Versuchs, Einheit in einer künstlichen
Konstruktion seiner selbst zu realisieren außerhalb der totalen Wahrheit des
Guten, des Lebens und der Seins-Seligkeit im Universum. Diese ichhafte
Konstruktion wird dadurch aufgelöst, daß der Einzelne sich selbst für das
Universum und für Gott öffnet als das Mittel, um zu jener höchsten Erfüllung zu
gelangen, von der das ichhafte Leben in gleicher Weise nur ein Vorspiel ist, wie
es das Tierleben für das Menschenleben war. Wir realisieren das All im
Individuum, indem wir das begrenzte Ich in ein bewußtes Zentrum göttlicher
Einheit und Freiheit umwandeln. Das ist das Ziel, bei dem diese Erfüllung
anlangt. So strömt das unendliche, absolute Sein, die Wahrheit, das Gute, und
die Seligkeit des Wesens auf die Vielen in der Welt über als das göttliche
Endergebnis, auf das sich die Zyklen unserer Evolution hinbewegen. Das ist die
erhabene Geburt, die die mütterliche Natur in sich trägt. Sie ringt danach,
hiervon entbunden zu werden.
Kapitel VIII. Die Methoden vedantischer Erkenntnis
Dieses geheime Selbst in
allen Wesen ist nicht äußerlich sichtbar, es wird aber mittels der höchsten, der
subtilen Vernunft von denen gesehen, die die subtile Schau haben.
Katha Upanishad, III.12.
Worin besteht aber das Wirken dieses saccidananda in der Welt, und durch welche sachlichen Verfahren werden die Beziehungen zwischen ihm und dem Ich, das es zuerst verkörpert, hergestellt und dann zur Vollendung gebracht? Denn von diesen Beziehungen und dem dabei befolgten Verfahren hängt die ganze Philosophie und Praxis eines göttlichen Lebens für den Menschen ab.
Wir gelangen zum Begriff und zur Erkenntnis eines göttlichen Daseins, indem wir über die Evidenz der Sinne hinauskommen und in das Jenseits der Mauern des physischen Mentals eindringen. Solange wir uns nur auf die Beweiskraft der Sinne und auf das physische Bewußtsein beschränken, können wir nichts anderes begreifen und erkennen als die materielle Welt und ihre Phänomene. Wir haben jedoch gewisse Fähigkeiten, die es unserer Mentalität ermöglichen, zu Auffassungen zu gelangen, die wir in der Tat durch Vernunftschlüsse oder durch Variationen unserer Phantasie aus den Tatsachen der physischen Welt, wie wir sie sehen, ableiten können, die aber nicht durch rein physische Gegebenheiten oder physische Erfahrung begründet sind. Das erste dieser Instrumente ist die Reine Vernunft.
Menschliche Vernunft wirkt auf doppelte Weise, auf
vermischte oder abhängige und auf reine oder souveräne Art. Die Vernunft begnügt
sich mit einem vermischten Wirken, wenn sie sich auf den Kreis unserer
sinnlichen Erfahrung beschränkt, deren Gesetz als endgültige Wahrheit anerkennt
und sich nur mit der Erforschung des Phänomens befaßt, also mit den äußeren
Erscheinungen der Dinge in ihren Beziehungen, Abläufen und
Verwendungsmöglichkeiten. Diese Art der Vernunftbetätigung kann unmöglich das
erkennen, was wirklich ist. Sie erkennt nur das, was zu sein scheint. Sie hat
kein Lot, um mit ihm die Tiefen des Seins zu ergründen, und sie kann sich über
den Bereich des Werdenden nur einen allgemeinen
Überblick verschaffen. Andererseits bringt die Vernunft ihr reines Wirken zur
Geltung, wenn sie unsere Sinneserfahrungen nur als Ausgangspunkt nimmt, sich
jedoch keinesfalls durch sie einschränken läßt, vielmehr hinter sie zurücktritt,
sie beurteilt, aus eigener Vollmacht arbeitet und nach allgemeinen,
unveränderlichen Begriffen zu gelangen strebt, die nicht durch die äußeren
Erscheinungen der Dinge gebunden sind, sondern sich auf das gründen, was hinter
diesen steht. Sie mag zu ihrem Ergebnis durch unmittelbares Urteilen gelangen,
indem sie, unvermittelt von der äußeren Erscheinung, zu dem durchdringt, was
dahinter steht. In diesem Fall mag es so aussehen, als sei der so gewonnene
Begriff ein Ergebnis der sinnlichen Erfahrung und von ihr abhängig, obwohl er in
Wirklichkeit ein Begriff der aus eigener Vollmacht wirkenden Vernunft ist. Die
Begriffe der Reinen Vernunft können auch – und das ist für ihr Wirken
charakteristischer – die Erfahrung, von der sie ausgehen, nur zum Anlaß nehmen
und sie dann weit hinter sich lassen, bevor sie zu ihrem Ergebnis gelangen, so
weit, daß das Ergebnis das direkte Gegenteil von dem zu sein scheint, was unsere
sinnliche Erfahrung uns diktieren will. Dieser Vorgang ist legitim und
unentbehrlich, da unsere normale Erfahrung einerseits nur einen kleinen Teil der
universalen tatsächlichen Gegebenheiten erfaßt, andererseits selbst innerhalb
dieser Grenzen ihres eigenen Bereichs mangelhafte Instrumente verwendet und uns
falsche Gewichte und Maße liefert. Wir müssen über diese normale Erfahrung
hinauskommen, uns von ihr distanzieren und ihre Aufdringlichkeit oft bestreiten,
wenn wir zu angemessenen Begriffen von der Wahrheit der Dinge gelangen wollen.
Daß der Mensch die Irrtümer des Sinnenmentals durch den Gebrauch der Vernunft
korrigieren kann, ist eine der wertvollsten Mächte, die von ihm entwickelt
wurden, und der Hauptgrund für seine überlegene Stellung unter den irdischen
Geschöpfen.
Der vollständige Gebrauch der Reinen Vernunft bringt
uns schließlich von der physischen zur metaphysischen Erkenntnis. Die Begriffe
metaphysischer Erkenntnis befriedigen aber an sich die Forderung unseres
integralen Wesens nicht vollständig. Sie sind zwar für die Reine Vernunft selbst
völlig befriedigend, da sie der Stoff ihres eigenen Seins sind. Unsere Natur
sieht aber die Dinge immer durch zwei Augen, denn sie betrachtet sie doppelt als
Idee und als Faktum. Darum ist für uns jeder Begriff so lange unvollständig und
für den einen Teil unserer Natur so lange unwirklich, bis er zu einer Erfahrung
wird. Die jetzt infrage stehenden Wahrheiten
gehören aber zu einer Ordnung, die unserer normalen Erfahrung nicht unterworfen
ist. Sie stehen ihrer Natur nach “jenseits der Wahrnehmung der Sinne, können
aber durch das Wahrnehmen der Vernunft erfaßt werden”. Darum ist eine andere
Erfahrungsfähigkeit notwendig, durch die die Forderung unserer Natur erfüllt
werden kann. Diese kann, da wir es mit dem Supraphysischen zu tun haben, nur
durch Ausweitung der psychologischen Erfahrung kommen.
In gewissem Sinn ist unsere gesamte Erfahrung
psychologisch, da auch das, was wir durch die Sinne empfangen, erst dann für uns
Bedeutung und Wert gewinnt, wenn es in die Begriffe des Sinnen-Mentals, des
manas der indischen philosophischen Terminologie, übersetzt ist. Unsere
Philosophen sagen, manas sei der sechste Sinn. Wir können sogar sagen,
manas sei der einzige Sinn, und die anderen Sinne – Sehen, Hören, Tasten,
Riechen, Schmecken – seien nur Spezialfunktionen des Sinnen-Mentals, das zwar
normalerweise die Sinnesorgane als Grundlage seiner Erfahrung verwendet, aber
umfassender als diese und zu unmittelbarer Erfahrung befähigt ist, die der ihm
ursprünglich eigenen Wirkensweise entspricht. Infolgedessen ist die psychische
Erfahrung, genauso wie bei den Erkenntnissen der Vernunft, mit doppelter
Wirkensweise im Menschen begabt: vermischt oder abhängig und rein oder souverän.
Vermischt wirkt sie gewöhnlich dann, wenn das Mental die äußere Welt, das
Objekt, wahrzunehmen sucht. Rein wirkt sie, wenn sie ihrer selbst, des Subjekts,
bewußt werden will. Bei der ersteren Wirkensart hängt die psychische Erfahrung
von den Sinnen ab und bildet ihre Wahrnehmungen im Einklang mit ihrer Evidenz.
Bei letzterer wirkt sie in ihrem eigenen Innern und wird der Dinge unmittelbar
durch eine Art von Identität mit ihnen inne. Auf diese Weise beobachten wir
unsere Gefühle. Wir sind uns des Zorns bewußt, weil wir, wie jemand scharfsinnig
sagte, selbst Zorn werden. Wir sind uns ebenso unseres eigenen Daseins bewußt,
und hier wird die Natur der Erfahrung als eine Erkenntnis durch Identität
sichtbar. In Wirklichkeit ist jede Erfahrung ihrer geheimen Natur nach eine
Erkenntnis durch Identität. Ihr wahrer Charakter bleibt aber vor uns verborgen,
da wir uns von der übrigen Welt durch Ausschließung, durch die Unterscheidung
zwischen uns selbst als dem Subjekt und allem anderen als dem Objekt,
abgesondert haben. So müssen wir nun Verfahren und Organe entwickeln, durch die
wir wieder in eine Kommunikation mit allem eintreten können, was wir
ausgeschlossen haben. Wir müssen das unmittelbare Erkennen mittels bewußter Identität ersetzen durch ein indirektes Erkennen, das durch physischen
Kontakt und mentale Sympathie verursacht zu sein scheint. Diese Einschränkung
ist eine fundamentale Schöpfung des Ichs und ein Beispiel für die Art und Weise,
wie es überall verfährt. Es fängt bei einem ursprünglich falschen Ausgangspunkt
an und überdeckt die wirkliche Wahrheit der Dinge mit weiteren, dadurch
bedingten Verfälschungen, die für uns zu praktischen Wahrheiten der Beziehung
werden.
Aus dieser Natur mentaler und sinnenhafter Erkenntnis,
wie sie gegenwärtig in uns organisiert ist, folgt, daß in unseren jetzt
bestehenden Einschränkungen keine unentrinnbare Notwendigkeit liegt. Sie sind
das Ergebnis einer Evolution, in der sich das Mental daran gewöhnt hat, von
gewissen physiologischen Funktionen und ihren Reaktionen als seinen normalen
Mitteln abhängig zu sein, durch die es in Beziehung zum materiellen Universum
tritt. Obwohl wir also in der Regel, wenn wir die äußere Welt wahrzunehmen
suchen, dies mittelbar durch die Sinnesorgane tun müssen und nur soviel von der
Wahrheit über Dinge und Menschen erfahren können, als uns die Sinne einbringen,
ist diese Regel nur die Regelmäßigkeit einer herrschenden Gewohnheit. Das Mental
kann ohne die Hilfe der Sinnesorgane die Objekte der Sinne zur Kenntnis nehmen – was für es natürlich wäre, wenn es dazu überredet werden könnte, sich von seiner
Zustimmung zur Herrschaft der Materie über es zu befreien – wie in Experimenten
der Hypnose und bei verwandten psychologischen Phänomenen. Da aber unser
Wachbewußtsein durch das Gleichgewicht zwischen Mental und Materie, das durch
das Leben in seiner Evolution hergestellt wurde, festgelegt und begrenzt wird,
ist dieses unmittelbare Erkennen in unserem gewöhnlichen Wachzustand unmöglich
und muß deshalb dadurch zustande gebracht werden, daß das wache Mental in einen
Schlafzustand versenkt wird, der das wahre oder subliminale Mental befreit. Dann
kann das Mental seinen wahren Charakter als der eine und zureichende Sinn
durchsetzen und auf die Sinnesobjekte sein reines, souveränes statt vermischtes
und abhängiges Wirken ausüben. Diese Ausweitung der mentalen Befähigung ist in
Wirklichkeit nicht unmöglich, jedoch in unserem Wachzustand nur schwieriger, – wie allen bekannt ist, die auf gewissen Wegen psychischen Experimentierens weit
genug vorangeschritten sind. Das souveräne Wirken des Sinnen-Mentals kann dazu
verwendet werden, außer den fünf Sinnen, die wir gewöhnlich gebrauchen, noch
andere zu entwickeln. Es ist z. B. möglich, genau und ohne physische Mittel das Gewicht eines Gegenstands zu bestimmen, den wir in der Hand halten.
Hier wird das Empfinden von Kontakt und Druck genauso nur als Ausgangspunkt
verwendet wie von der Reinen Vernunft die Gegebenheiten der Sinneserfahrung. In
Wirklichkeit ist es aber nicht der Tastsinn, der den Wert des Gewichts dem
Mental mitteilt. Dieses findet den richtigen Wert durch seine eigene unabhängige
Wahrnehmung und verwendet das Tasten nur, um mit dem Gegenstand in Beziehung zu
treten. Wie bei der Reinen Vernunft, kann auch beim Sinnen-Mental die
Sinneserfahrung nur als Ausgangspunkt dienen, von dem aus es zu einer Erkenntnis
gelangt, die nichts mit den Sinnesorganen zu tun hat und oft ihrer Evidenz
widerspricht. Auch ist die Befähigungs-Ausweitung nicht nur auf
Oberflächen-Erscheinungen begrenzt. Sobald wir durch einen der Sinne mit einem
äußeren Objekt in Beziehung getreten sind, ist es möglich, manas so
anzuwenden, daß wir den Inhalt des Objekts wahrnehmen. So können wir z. B. die
Gedanken und Gefühle anderer empfangen oder wahrnehmen, ohne deren Äußerung,
Gebärden, Handeln oder Gesichtsausdruck als Hilfe zu gebrauchen, sogar im
Widerspruch zu deren immer nur partiellen und oft irreführenden Daten.
Schließlich können wir die inneren Sinne unmittelbar verwenden, d. h. die
Sinnen-Mächte als solche in ihrem rein mentalen oder subtilen, im Unterschied zu
ihrem physischen Wirken, das doch nur eine Auswahl aus ihrer totalen und
allgemeinen Betätigung für die Zwecke des äußeren Lebens ist, und
Sinneserfahrungen, Erscheinungen und Abbildungen von Dingen wahrnehmen, die
anders sind als die zur Organisation unserer materiellen Umgebung gehörigen.
Alle diese Ausweitungen unserer Befähigung werden zwar vom physischen Mental nur
mit Zögern und Ungläubigkeit angenommen, da sie für das gewöhnliche Schema
unseres alltäglichen Lebens und für unsere Erfahrung zu abnorm sind, zu schwer
zu betätigen und noch schwerer zu systematisieren, als daß man aus ihnen eine
systematische, gebrauchsfähige Anordnung von Instrumenten machen könnte. Dennoch
müssen wir sie anerkennen, da sie das unvermeidliche Ergebnis jedes Versuchs zur
Ausweitung des Bereiches unseres oberflächlich aktiven Bewußtseins sind:
entweder durch dilettantisches Bemühen und einen zufälligen, schlecht geordneten
Effekt oder durch wissenschaftliches, wohlreguliertes Praktizieren.
Doch nichts davon bringt uns zu dem Ziel, das wir im
Auge haben: zur psychischen Erfahrung jener Wahrheiten, die “jenseits der
Sinneserfahrung liegen, jedoch der wahrnehmenden Vernunft erfaßbar sind” (buddhigrahyam atindriyam, Gita VI. 21). Wir bekommen dadurch
nur Zugang zu einem umfassenderen Bereich von Phänomenen und wirkungsvolleren
Mitteln zu ihrer Beobachtung. Die Wahrheit der Dinge entzieht sich stets in ein
Jenseits der Sinne. Es gibt aber ein gesundes, ursprünglich zur Konstitution des
universalen Daseins gehöriges Gesetz, demzufolge dort, wo man durch die Vernunft
Wahrheiten erlangen kann, auch im Organismus der Vernunft ein Mittel vorhanden
sein muß, um durch Erfahrung zu diesen Wahrheiten zu gelangen oder ihre
Wirklichkeit zu bestätigen. Das einzige Mittel, das unserer Mentalität
verbleibt, ist eine Ausweitung jener Form der Erkenntnis durch Identität, die
uns das Innewerden unseres eigenen Seins ermöglicht. In Wirklichkeit gründet
sich die Erkenntnis der Inhalte unseres Selbsts auf ein uns mehr oder minder
bewußtes Wahrnehmen unseres Selbsts, das unserem Begreifen mehr oder weniger
gegenwärtig ist. Mit einer allgemeineren Formel kann man das auch so ausdrücken:
Die Erkenntnis der Inhalte ist in der Erkenntnis des Beinhaltenden enthalten.
Wenn wir also unsere Fähigkeit zur Selbst-Erkenntnis durch unser Mental
ausweiten können, so daß wir des Selbsts jenseits und außerhalb von uns, des
atman oder brahman der Upanishaden, innewerden, können wir jene
Wahrheiten in den Besitz unserer Erfahrung bringen, die die Inhalte von atman
und brahman im Universum bilden. Auf diese Möglichkeit hat sich jener
indische Vedanta gegründet. Er hat durch die Erkenntnis des Selbsts das
Universum zu erkennen gesucht.
Der Vedanta hat aber die mentale Erfahrung und die
Begriffe der Vernunft stets so verstanden, daß sie, selbst auf ihrer höchsten
Stufe, eine Widerspiegelung in mentalen Identifikationen sind, nicht die
höchste, aus dem Selbst seiende Identität. Wir müssen über das Mental und die
Vernunft hinausgehen. Die in unserem Wachbewußtsein aktive Vernunft ist nur ein
Vermittler zwischen dem unterbewußten All, von dem wir in unserer aufsteigenden
Evolution herkommen, und dem überbewußten All, zu dem wir durch diese Evolution
gedrängt werden. Das Unterbewußte und das Überbewußte sind zwei verschiedene
Formulierungen für dasselbe All. Das Schlüsselwort für das Unterbewußte heißt
Leben, das Schlüsselwort für das Überbewußte heißt Licht. Im Unterbewußten ist
Erkenntnis oder Bewußtsein in Wirken involviert, denn Aktivität ist das Wesen
des Lebens. Im Überbewußten tritt das Wirken wieder in das Licht zurück und
enthält keine involvierte Erkenntnis mehr, sondern ist selbst in einem höchsten
Bewußtsein enthalten. Erkenntnis durch Intuition ist
beiden gemein. Grundlage der Intuitions-Erkenntnis ist bewußte oder effektive
Identität dessen, das erkennt, mit dem, das erkannt wird. Das ist jener Zustand
eines gemeinsamen Daseins im Selbst, da der Erkennende und das Erkannte durch
das Erkennen eins werden. Im Unterbewußten manifestiert sich die Intuition
jedoch im Wirken, in Wirksamkeit, und Erkenntnis oder bewußte Identität ist
entweder völlig oder mehr oder minder im Wirken verborgen. Da das Gesetz und
Prinzip des Überbewußten Licht ist, offenbart sich im Gegensatz dazu die
Intuition hier ihrer wahren Natur gemäß als eine Erkenntnis, die aus bewußter
Identität hervorgeht, und die Wirksamkeit des Handelns ist eher der
Begleitumstand oder die daraus folgende Notwendigkeit; sie spielt sich nicht
mehr als das primäre Faktum auf. Zwischen diesen beiden Zuständen wirken
Vernunft und Mental als Vermittler, die es dem Menschen erlauben, die Erkenntnis
aus dem Gefangensein im Wirken zu befreien und darauf vorzubereiten, daß sie
ihren wesenhaften Vorrang einnimmt. Wenn das Selbst-Innesein im Mental sowohl
auf das die Erkenntnis Enthaltende, also das eigene Selbst, wie auf das andere
Selbst, also das in der Erkenntnis Enthaltene, angewendet wird und sich in die
erleuchtete, selbst-manifeste Identität emporhebt, wandelt sich auch die
Vernunft in die Form der aus dem Selbst erleuchteten
Intuitions-Erkenntnis3 um. Das ist der
höchstmögliche Zustand unserer Erkenntnis, da sich nun das Mental im Supramental
zur Erfüllung bringt. Auf einem solchen Schema menschlichen Selbst-Verstehens
waren die Schlußfolgerungen des ältesten Vedanta aufgebaut. Hier die Ergebnisse
auszubreiten, zu denen die Weisen des Altertums auf dieser Grundlage kamen, ist
nicht meine Absicht. Es ist aber notwendig, kurz einige ihrer wichtigsten
Schlußfolgerungen zu betrachten, soweit sie das Problem des Göttlichen Lebens
beeinflussen, mit dem wir uns hier allein befassen. In jenen Ideen werden wir
vorläufig die besten Grundlagen für das finden, was wir jetzt wieder aufbauen
wollen. Wenn auch, wie bei jeder Erkenntnis, ein alter Ausdruck in gewissem Maß
durch einen neuen, für eine spätere Mentalität passenden ersetzt werden muß
und, wie eine Morgendämmerung der anderen folgt, altes Licht sich mit
neuem vereinigen muß, so sollen wir mit dem alten Schatz als unserem
Anfangskapital, soviel wir noch davon wiedergewinnen können, zu unserem eigenen
Vorteil sorgsam umgehen, um daraus die größten Gewinne zu ziehen, wenn wir uns
erneut mit dem unwandelbaren und doch sich ständig wandelnden Unendlichen
befassen.
Sad brahman, Reines, Undefinierbares,
Unendliches, Absolutes Sein ist der äußerste Begriff, zu dem vedantische Analyse
bei ihrer Schau des Universums gelangt, jene fundamentale Wirklichkeit, die die
vedantische Erfahrung hinter aller Bewegung und Gestaltung, die die phänomenale
Wirklichkeit konstituieren, entdeckte. Offensichtlich gehen wir, wenn wir diesen
Begriff aufstellen, weit über das hinaus, was unser gewöhnliches Bewußtsein und
unsere normale Erfahrung enthalten oder verbürgen. Die Sinne und das
Sinnen-Mental wissen absolut nichts von einem reinen oder absoluten Sein. Alles,
was unsere Sinneserfahrung uns mitteilen kann, ist Form und Bewegung. Zwar
existieren Gestaltungen, aber ihr Dasein ist nicht rein, vielmehr stets
vermischt, kombiniert, zusammengesetzt und relativ. Wenn wir in unser Inneres
gehen, mögen wir von der präzisen äußeren Form frei werden, aber wir können uns
nicht der Bewegung und Wandlung entledigen. Bewegung von Materie im Raum,
Bewegung der Wandlung in der Zeit scheinen Grundbedingung des Daseins zu sein.
Tatsächlich können wir nur etwa sagen: Das ist Dasein, die Idee von Dasein an
sich entspricht keiner entdeckbaren Wirklichkeit. Höchstens beim Phänomen des
Selbst-Innewerdens oder hinter ihm bekommen wir manchmal einen flüchtigen
Eindruck von etwas Unbeweglichem, Unveränderlichem. Wir schauen etwas ganz
unbestimmt, oder wir stellen uns vor, wir seien jenseits von allem Leben und
Tod, jenseits von allem Wechsel, aller Gestaltung und Wirksamkeit. Da ist in uns
etwas wie eine Tür, die sich manchmal öffnet, so daß wir die Herrlichkeiten
einer jenseitigen Wahrheit schauen, die, bevor sich die Tür wieder schließt,
einen ihrer Strahlen auf uns fallen läßt, eine erleuchtende Andeutung, an der
wir uns, wenn wir die Kraft und Ausdauer besitzen, mit unserem Glauben
festhalten und die wir zum Ausgangspunkt für das Kräftespiel eines Bewußtseins
machen können, das anders ist als das des Sinnen-Mentals, das Kräftespiel der
Intuition. Wenn wir Intuition sorgfältig erforschen, finden wir, daß sie unser
erster Lehrer ist. Intuition steht immer verhüllt hinter der Tätigkeit unseres
Mentals. Intuition bringt dem Menschen jene brillanten Botschaften aus dem Unbekannten, die der Anfang einer höheren Erkenntnis sind. Vernunft
kommt erst hinterher, um zu sehen, welchen Vorteil sie für sich aus der
leuchtenden Ernte ziehen kann. Intuition gibt uns jene Idee, daß etwas hinter
und jenseits von allem existiert, das wir erkennen und zu sein scheinen, das den
Menschen stets im Widerspruch zu seiner niederen Vernunft und zu all seiner
normalen Erfahrung verfolgt und zwingt, jene gestaltlose Wahrnehmung in die eher
positiven Ideen von Gott, Unsterblichkeit, Himmel und all dem anderen zu
formulieren, durch das wir sie dem Mental gegenüber auszudrücken suchen. Denn
Intuition ist so stark wie die Natur selbst, aus deren Seele sie entsprungen
ist, und sie kümmert sich nicht um die Widersprüche der Vernunft oder die
Ablehnungen der Erfahrung. Sie weiß, was ist, weil es ist, weil sie selbst es
aus Jenem ist und weil sie aus Jenem kam. Sie will das nicht dem Urteil dessen
unterwerfen, das lediglich etwas Werdendes und nur eine Erscheinung ist. Das,
wovon die Intuition zu uns spricht, ist nicht so sehr das Sein, als vielmehr Der
(Das) Seiende, denn sie nimmt ihren Ursprung aus jenem einen Lichtpunkt in uns,
der ihr ihre Überlegenheit gibt, jene manchmal geöffnete Tür in unserer
Selbst-Wahrnehmung. Der alte Vedanta ergriff diese Botschaft der Intuition und
formulierte sie in den drei großen Erklärungen der Upanishaden: ,,Ich bin Er”,
“Du bist Jenes, o Svetaketu”, “Alles ist das brahman; dieses Selbst ist
das brahman.”
Da Intuition aber infolge der Eigenart ihres Wirkens,
das hinter dem Schleier und von dort her geschieht, hauptsächlich in den
unerleuchteten, weniger deutlich artikulierten Schichten des Menschen aktiv ist
und als Gehilfen vor dem Schleier in dem beschränkten Licht, das unser
Wachbewußtsein ist, nur jene Werkzeuge hat, die unfähig sind, sich ihre
Botschaften voll anzugleichen, kann sie uns die Wahrheit nicht in jener
geordneten und deutlich artikulierten Form vermitteln, die unsere Natur
verlangt. Bevor sie in uns eine solche Vollständigkeit unmittelbarer Erkenntnis
zustande bringen könnte, müßte sie sich in unserem äußeren Wesen konstituieren
und den hier führenden Teil in ihren Besitz nehmen. In unserem äußeren Wesen ist
aber nicht die Intuition, sondern die Vernunft organisiert und hilft uns, unsere
Wahrnehmungen, Gedanken und Handlungen zu ordnen. Darum mußte das Zeitalter
intuitiver Erkenntnis, repräsentiert durch das alte vedantische Denken der
Upanishaden, dem Zeitalter rationaler Erkenntnis Platz machen. Die inspirierte
Schrift wich der metaphysischen Philosophie, wie danach die metaphysische Philosophie von der experimentellen Naturwissenschaft
verdrängt wurde. Intuitives Denken, das ein Botschafter aus dem Überbewußten und
darum unsere höchste Begabung ist, wurde durch Reine Vernunft ersetzt, die nur
eine Art Stellvertreter darstellt und den mittleren Schichten unseres Wesens
angehört. Reine Vernunft wurde ihrerseits eine Zeitlang durch das vermischte
Wirken jener Vernunft ersetzt, die auf unseren Ebenen und niederen Erhebungen
wohnt und in ihrer Schau nicht über den Horizont jener Erfahrung hinausschaut,
die das physische Mental und die Sinne oder solche Hilfen uns einbringen, die
wir für sie erfinden. Dieser Vorgang, der ein Abstieg zu sein scheint, ist in
Wirklichkeit ein Kreislauf des Fortschritts. Denn in jedem Fall ist die
niedrigere Befähigung gezwungen, so viel sie assimilieren kann von dem
aufzunehmen, was die höhere bereits hergegeben hatte, und zu versuchen, es durch
eigene Methoden wieder neu zur Geltung zu bringen. Durch diesen Versuch
vergrößert sich ihre Blickweite und gelangt sie schließlich zu einer
verfeinerten und reicheren Selbst-Anpassung an die höheren Fähigkeiten. Gäbe es
nicht diese Aufeinanderfolge und den Versuch zu einer gesonderten Assimilation,
müßten wir immer unter der ausschließlichen Herrschaft eines Teils unserer Natur
bleiben, während der Rest entweder unterdrückt und zu sehr unterworfen oder in
seinem Bereich abgesondert und darum in seiner Entwicklung rückständig bliebe.
Durch die Aufeinanderfolge und den gesonderten Assimilationsversuch wird der
rechte Ausgleich hergestellt, eine vollkommenere Harmonie unserer
Erkenntnisgebiete vorbereitet.
Wir beobachten diese Aufeinanderfolge in den
Upanishaden und in den darauffolgenden indischen Philosophien. Die Weisen des
Veda und Vedanta verließen sich völlig auf Intuition und spirituelle Erfahrung.
Irrtümlich sprechen Gelehrte manchmal von großen Debatten oder Diskussionen in
der Upanishad. Wo immer eine Kontroverse zu sein scheint, geschieht sie nicht
durch Diskussion, durch Dialektik oder den Gebrauch logischer Vernunft, sondern
durch ein Vergleichen von Intuitionen und Erfahrungen, in denen die weniger
erleuchteten den erleuchteteren, die engeren, fehlerhafteren oder weniger
wesentlichen den umfassenderen, vollkommeneren und wesentlicheren wichen. Der
eine Denker fragte den anderen: “Was weißt du?” und nicht: “Was denkst du?”,
auch nicht: “Zu welchem Schluß ist deine logische Vernunft gekommen?” Nirgendwo
in der Upanishad finden wir eine Spur dessen, daß man zur Unterstützung der
Wahrheiten des Vedanta auf das logische Vernunftdenken drängte.
Offensichtlich waren die Weisen davon überzeugt, daß Intuition durch
vollkommenere Intuition korrigiert werden müsse; dabei können die logischen
Vernunftschlüsse nicht ihr Richter sein.
Dennoch verlangt die menschliche Vernunft zu ihrer
Befriedigung nach einer eigenen Methode. Darum nahmen, als das Zeitalter
rationalistischer Spekulation begann, die indischen Philosophen, aus Ehrfurcht
vor dem Erbe der Vergangenheit, eine doppelte Haltung zu der Wahrheit ein, die
sie suchten. Sie erkannten im sruti, in den früheren Ergebnissen der
Intuition oder, wie sie es lieber nannten, in der inspirierten Offenbarung, eine
Autorität an, die der Vernunft überlegen ist. Gleichzeitig gingen sie von der
Vernunft aus und prüften die Ergebnisse nach, die diese ihnen gab. Sie hielten
dabei nur solche Schlußfolgerungen für gültig, die durch die höchste Autorität
gestützt wurden. So vermieden sie bis zu einem gewissen Grad die
Gewohnheits-Sünde der Metaphysik, die Tendenz, in den Wolken zu kämpfen, da sie
mit Worten umgeht, als ob diese zwingende Tatsachen seien, während sie doch nur
Symbole sind, die immer sorgfältig nachgeprüft und ständig auf den Sinn dessen
zurückgeführt werden müssen, was sie darstellen. Ihre Spekulationen hatten
anfangs die Tendenz, sich nahe dem Zentrum der höchsten und tiefsten Erfahrung
zu halten und unter der vereinten Zustimmung beider großen Autoritäten Vernunft
und Intuition vorwärtszuschreiten. Trotzdem triumphierte tatsächlich der
natürliche Drang der Vernunft, ihre eigene Überlegenheit durchzusetzen, über die
Theorie, sie sei unterzuordnen. So kamen die miteinander streitenden Schulen
auf, von denen sich jede in der Theorie auf den Veda gründete und dessen Texte
als Waffe gegen die anderen benutzte. Die höchste intuitive Erkenntnis schaut
die Dinge im Ganzen, im Umfassenden, und die Einzelheiten nur als Seiten des
unteilbaren Ganzen. Sie tendiert zu einer unmittelbaren Synthese und zur Einheit
der Erkenntnis. Im Gegensatz dazu arbeitet die Vernunft mit Analyse und Trennung
und sammelt ihre Tatsachen, um ein Ganzes zu bilden. In der so geschaffenen
Zusammensetzung gibt es aber Gegensätze, Anomalien, logische Unvereinbarkeiten.
Die natürliche Tendenz der Vernunft will die einen bejahen, die anderen, die
ihren bevorzugten Schlußfolgerungen widersprechen, verneinen, damit sie ein
fehlerloses logisches System bilden kann. So wurde die Einheit der ersten
intuitiven Erkenntnis zerbrochen. Die Genialität der Logiker erfand immer neue
Kunstgriffe, Methoden der Interpretation und Maßstäbe unterschiedlicher Wertung,
durch die unbequeme Texte der Schrift praktisch
für ungültig erklärt und volle Freiheit für die metaphysische Spekulation
gewonnen werden konnten.
Trotzdem erhielten sich teilweise die wichtigsten Begriffe des älteren Vedanta in den verschiedenen philosophischen Systemen. Von Zeit zu Zeit wurden Anstrengungen unternommen, sie wieder in ein Abbild der alten Katholizität und Einheit intuitionalen Denkens zusammenzufassen. Hinter dem Denken aller Systeme überlebte in verschiedener Darstellung der grundlegende Begriff purusha, atman oder sad brahman, das Reine Seiende der Upanishaden, oft in eine Idee oder einen psychologischen Zustand rationalisiert, aber stets die alte Bürde einer unausdrückbaren Wirklichkeit tragend. Was mag die Beziehung der Bewegung des Werdens, die wir die Welt nennen, zu dieser absoluten Einheit sein? Wie kann das Ich – ob es durch diese Bewegung erschaffen wurde oder selbst die Ursache dieser Bewegung ist – zu jenem wahren Selbst, der Divinität oder Wirklichkeit zurückkehren, die vom Vedanta verkündet wird? Das waren die spekulativen und praktischen Fragen, die stets das Denken Indiens beschäftigt haben.
- 88 -
Ein einziges Unzerteilbares, das ist reines Sein.
Chhandogya Upanishad, Vl.2.1.
Ziehen wir unseren Blick aus einer ichhaften Vorliebe für begrenzte und flüchtige Interessen zurück und betrachten die Welt mit leidenschaftslosen, wißbegierigen Augen, die nur nach der Wahrheit forschen, dann ist unser erstes Ergebnis die Wahrnehmung einer grenzenlosen Energie unendlichen Seins, unendlicher Bewegung, unendlicher Aktivität, die sich in unbegrenzten Raum, in ewige Zeit ergießt. Dieses Sein ist unendlich erhaben über unser Ich, über jedes Ich und jede Ich-Kollektivität. Auf der Waage dieser Energien sind die grandiosen Schöpfungen von Äonen nur der Staub eines Augenblicks: In ihrer unberechenbaren Summe gelten zahllose Myriaden der Gestirne nur als ein winziger Schwarm. Wir handeln, fühlen und weben unsere Lebens-Gedanken instinktiv so, als ob diese ungeheure Welt-Bewegung um uns als Mittelpunkt kreise und wirke zu unserem Nutzen, uns zu Hilfe oder Harm, oder als ob ihr Hauptanliegen eigentlich die Befriedigung unserer egoistischen Sehnsüchte, Gefühle, Ideen und Wertungen wäre, so wie wir sie zu unserem Hauptinteresse machen. Wenn wir aber wirklich zu sehen beginnen, erkennen wir, daß die Welt-Energie für sich selbst existiert und nicht für uns. Sie hat ihre eigenen gigantischen Ziele, ihre eigene komplexe, grenzenlose Idee, ihr eigenes mächtiges Verlangen oder Entzücken, das sie zu erfüllen sucht. Sie hat ihre eigenen ungeheuren Maßstäbe, die auf unsere Armseligkeit wie mit einem nachsichtigen und ironischen Lächeln herabblicken. Trotzdem dürfen wir unser Pendel nicht zum anderen Extrem ausschlagen lassen und uns eine zu positive Vorstellung von unserer eigenen Unwichtigkeit bilden. Auch das wäre ein Akt der Unwissenheit. Wir würden dabei unsere Augen vor wichtigen Tatsachen des Universums verschließen.
Denn diese grenzenlose Bewegung betrachtet uns nicht so, als ob wir für sie unwichtig wären. Die Naturwissenschaft offenbart uns, wie ihre Sorgfalt bis ins kleinste reicht, wie klug ihr Plan, wie intensiv die Hingabe ist, die sie ihren geringsten wie ihren größten Werken widmet. Diese mächtige Energie ist eine allen gleichermaßen gerechte, unparteiische.
Mutter, samam brahma,
nach dem bedeutungsvollen Begriff der Gita. Ihre Intensität und Bewegungskraft
ist dieselbe, ob sie ein System von Sonnen erschafft und erhält oder das Leben
in einem Ameisenhaufen organisiert. Die Illusion von Größe und Quantität
verführt uns dazu, das eine als groß und das andere als geringfügig anzusehen.
Wenn wir im Gegensatz dazu nicht auf die Masse der Quantität, sondern auf die
Kraft der Qualität schauen, werden wir die Ameise für größer halten als das
Sonnensystem, das sie bewohnt, und den Menschen für bedeutender als die ganze
unbelebte Natur zusammengenommen. Aber das ist wieder die Illusion der Qualität.
Treten wir hinter beide zurück und untersuchen nur die Intensität der Bewegung,
deren Aspekte Qualität und Quantität sind, nehmen wir wahr, daß brahman
gleichermaßen in allem wohnt, was ist. Da alles gleichermaßen an seinem Wesen
teilhat, sind wir versucht zu sagen: brahman ist mit seiner Energie
gleichermaßen an alle verteilt. Aber auch das ist eine Illusion der Quantität.
Brahman wohnt in allem unteilbar, und es scheint nur so, als ob es zerteilt
und ausgeteilt sei. Schauen wir noch einmal und prüfen mit Beobachtung, die
nicht von intellektuellen Begriffen beherrscht ist, sondern durch Intuition
gebildet wird und ihren Höhepunkt in der Erkenntnis durch Identität findet, dann
sehen wir, daß das Bewußtsein dieser unendlichen Energie ein anderes ist als
unser mentales Bewußtsein. Es ist unteilbar. Es gibt nicht einen gleichen Teil
seiner selbst, sondern sein ganzes Selbst zu ein und derselben Zeit sowohl an
das Sonnensystem wie an den Ameisenhaufen. Für brahman gibt es nicht ein
Ganzes und Teile davon, sondern jedes Ding ist selbst ganz brahman und
empfängt sein volles Genüge durch das Ganze des brahman. Qualität und
Quantität sind verschieden, das Selbst ist gleichmäßig dasselbe. Form der
Aktionskraft, ihre Art und das Resultat ihrer Stärke variieren unendlich, aber
die ewige, ursprüngliche, unendliche Energie ist dieselbe in allen. Die Kraft
der Stärke, die den starken Menschen ausmacht, ist kein bißchen größer als die
Kraft der Schwäche, die den Schwachen charakterisiert. Die Energie, die in der
Repression verausgabt wird, ist ebenso groß wie die auf die Expression
verwendete. Sie ist dieselbe in Verneinung und Bejahung, im Schweigen wie im
Laut.
Die erste Abrechnung, die wir in Ordnung zu bringen
haben, ist darum diejenige zwischen der unendlichen Bewegung, der Energie des
Seins, das die Welt ist, und uns selbst. Gegenwärtig führen wir noch eine
falsche Buchhaltung. Wir sind für das All unendlich wichtig, aber für uns ist das All nebensächlich. Wir nehmen nur uns selbst wichtig. Das ist
das Kennzeichen der Ur-Unwissenheit, die die Wurzel des Ichs ist, das nur mit
sich selbst als Mittelpunkt denken kann, als ob es das All wäre, und von dem,
was nicht es selbst ist, nur so viel akzeptiert, als anzuerkennen es mental
geneigt oder worauf Rücksicht zu nehmen es durch die Schockwirkungen seiner
Umgebung gezwungen ist. Wenn das Ich nun gar zu philosophieren beginnt,
behauptet es dann nicht, die Welt existiere nur in seinem Bewußtsein und durch
dieses? Die einzige Probe auf die Wirklichkeit sind ihm sein eigener
Bewußtseinszustand oder seine mentalen Maßstäbe. Alles, was außerhalb dieses
Gesichtskreises liegt, erscheint ihm leicht als falsch oder nicht-existent.
Diese mentale Selbstgenügsamkeit des Menschen bewirkt ein System falscher
Rechnungsführung, die uns davon abhält, dem Leben den rechten vollen Wert
abzugewinnen. Die Ansprüche des menschlichen Mentals und Ichs beruhen zwar in
gewissem Sinn auf Wahrheit, aber diese Wahrheit tritt erst hervor, wenn das
Mental seine Unwissenheit verstanden, das Ich sich dem All unterworfen und in
ihm seine gesonderte Selbstbehauptung verloren hat. Denn das ist der Anfang
wahren Lebens, das wir anerkennen: wir, oder vielmehr die Ergebnisse und äußeren
Erscheinungen, die wir mit “wir” bezeichnen, sind nur eine Teilbewegung der
unendlichen Bewegung, und dieses Unendliche ist es, das wir unbedingt erkennen,
das wir bewußt sein und das wir mit voller Hingabe zur Erfüllung bringen müssen.
Der andere Teil der richtigen Abrechnung liegt in der Einsicht, daß wir in
unserem wahren Selbst eins sind mit der Gesamtbewegung und ihr gegenüber nicht
als von geringerem oder untergeordnetem Wert gelten. Das alles in der Art
unseres Seins, Denkens, Fühlens und Handelns zum Ausdruck zu bringen, ist
notwendig für die höchste Stufe eines wahren oder göttlichen Lebens.
Um die Abrechnung richtig machen zu können, müssen wir
wissen, was dieses All, diese unendliche, allmächtige Energie ist. Hier stoßen
wir auf eine neue Schwierigkeit. Denn von der Reinen Vernunft wird uns
versichert – und das scheint auch vom Vedanta behauptet zu werden –, daß in der
gleichen Weise, wie wir dieser Bewegung untergeordnet und ein Aspekt von ihr
sind, so auch diese Bewegung einem Etwas untergeordnet und ein Aspekt von etwas
anderem als sie selbst ist, von einer großen, zeitlosen, raumlosen Stabilität,
sthanu, die unveränderlich, unerschöpflich, unveräußerlich ist. Sie handelt
selbst nicht, obwohl sie diese ganze Aktion in
sich enthält. Sie ist nicht Energie sondern reines Sein. Wer nur diese
Welt-Energie wahrnimmt, kann tatsächlich erklären, daß es so etwas nicht gibt.
Die Vorstellung von einer ewigen Stabilität, einem unveränderlichen reinen Sein
sei eine Fiktion unserer intellektuellen Begriffe, die von einer falschen Idee
des Stabilen ausgehe. Denn es gebe nichts, das stabil sei. Alles sei Bewegung,
und unser Begriff des Stabilen sei ein künstliches Gebilde unseres mentalen
Bewußtseins, durch das wir uns einen festen Standpunkt sichern wollen, um mit
der Bewegung praktisch umgehen zu können. Man kann leicht zeigen, daß das
innerhalb der Bewegung selbst wahr ist. Dort gibt es nichts, das stabil wäre.
Alles, was feststehend zu sein scheint, ist nur ein Block von Bewegung, die
Formulierung einer im Wirken begriffenen Energie, die unser Bewußtsein so
beeinflußt, daß sie ihm ruhend zu sein scheint. Das ist etwa so, wie uns die
Erde still zu stehen scheint oder wie ein Eisenbahnzug uns, die wir in ihm
fahren, als bewegungslos erscheint, während draußen die Landschaft
vorüberfliegt. Ist es nun aber ebenso wahr, daß es nichts gibt, das dieser
Bewegung zugrunde liegt, sie fördert und erhält, selbst aber bewegungslos und
unveränderlich ist? Ist es wahr, daß das Dasein nur aus Aktion der Energie
besteht? Oder ist diese Energie nicht vielmehr ein Ausströmen aus dem Sein?
Wir sehen sofort, daß ein solches Sein, wenn es überhaupt existiert, ebenso wie die Energie, unendlich sein muß. Weder Vernunft noch Erfahrung, weder Intuition noch Phantasie bezeugen uns die Möglichkeit, daß es irgendwo schließlich einen Endpunkt geben kann. Alles, was endet und beginnt, setzt etwas voraus, das jenseits von Ende und Anfang liegt. Ein absolutes Ende und ein absoluter Anfang sind nicht nur begrifflich ein Widerspruch, sondern auch ein Widerspruch zum Wesen der Dinge, Vergewaltigung und Fiktion. Unendlichkeit legt sich den Erscheinungen der Endlichkeit durch ihr unausweichliches Selbst-Sein auf.
Das ist jedoch nur Unendlichkeit im Blick auf Zeit und
Raum, eine ewige Dauer, eine unbegrenzte Ausdehnung. Die Reine Vernunft geht
weiter. Wenn sie in ihrem farblosen strengen Licht Zeit und Raum betrachtet,
weist sie darauf hin, daß beide Kategorien des Bewußtseins sind, Bedingungen,
unter denen wir unsere Wahrnehmung der Phänomene ordnen. Wenn wir auf das Sein
an sich schauen, verschwinden Zeit und Raum. Wenn es überhaupt eine Ausdehnung
gibt, ist sie keine räumliche, sondern eine
psychologische Ausdehnung. Gibt es überhaupt eine Dauer, dann ist sie keine
zeitliche, sondern eine psychologische Dauer. Dann können wir leicht einsehen,
daß Ausdehnung und Dauer nur Symbole sind, die dem Mental etwas
vergegenwärtigen, das nicht in intellektuelle Begriffe übersetzt werden kann:
eine Ewigkeit, die uns als der gleiche, alles in sich enthaltende, immer neue
Augenblick, und eine Unendlichkeit, die uns als der gleiche, alles in sich
enthaltende, alles durchdringende Punkt ohne räumliche Größe erscheint. Dieser
Konflikt der Begriffe, der so scharf und doch ein so genauer Ausdruck von jenem
Etwas ist, das wir wirklich wahrnehmen, zeigt uns, daß hier Mental und Sprache
ihre Grenzen überschritten haben und darum ringen, eine Wirklichkeit
auszudrücken, in der die eigenen konventionellen Vorstellungen und notwendigen
Widersprüchlichkeiten in eine unbeschreibliche Identität verschwinden.
Ist das aber eine wahre Darstellung? Könnte es nicht
sein, daß Zeit und Raum nur deshalb verschwinden, weil das Sein, das wir
betrachten, eine Fiktion des Intellekts ist, ein phantastisches Nihil als
Sprachschöpfung, die wir in begriffliche Wirklichkeit auszubauen versuchen?
Wieder betrachten wir jenes Sein-an-sich und sagen nein. Es gibt hinter dem
Phänomen nicht nur etwas Unendliches, sondern Undefinierbares. Von keinem
Phänomen und von keiner Totalität von Phänomenen können wir behaupten, daß sie
absolut existieren. Selbst wenn wir alle Phänomene auf ein einziges grundlegend
universales Phänomen der Bewegung oder der Energie zurückführen, das keine
weitere Reduktion zuläßt, erhalten wir nur ein undefinierbares Phänomen. Der
eigentliche Begriff der Bewegung enthält in sich die potentielle Gegebenheit der
Ruhe und verrät dadurch, daß sie Aktivität eines Seins ist. Die wahre Idee von
Energie in Aktion enthält in sich die Idee von Energie, die sich der Aktion
enthält. Eine absolute Energie, die nicht in Aktion ist, ist einfach und rein
absolutes Sein. Wir haben nur diese Alternative: entweder ein undefinierbares
reines Sein oder eine undefinierbare Energie in Aktion. Ist letztere allein
wahr, ohne stabile Basis oder Ursache, dann ist Energie ein durch die allein
existierende Aktion oder Bewegung erzeugtes Ergebnis oder Phänomen. Dann haben
wir kein Sein, oder wir haben das Nihil der Buddhisten, bei dem das Sein nur
Eigenschaft eines ewigen Phänomens, der Aktion, des Karma, der Bewegung ist.
Das, so versichert die Reine Vernunft, läßt meine Wahrnehmungen unbefriedigt. Es
widerspricht meinem fundamentalen Schauen, deshalb kann
es nicht sein. Das führt uns empor, auf Stufen eines Aufstiegs, der zuletzt
abrupt aufhört, und die ganze Treppe hängt ohne Widerlager im Leeren.
Wenn dieses undefinierbare, unendliche, zeitlose und
raumlose Sein ist, dann ist es notwendig ein reines Absolutes. Es kann nicht in
irgendeiner Quantität oder in viele Quantitäten summiert werden; es kann auch
nicht aus einer Qualität oder aus einer Kombination von Qualitäten
zusammengesetzt sein. Es ist kein Aggregat von Formen oder formales Substrat für
Formen. Würden alle Formen, Quantitäten und Qualitäten verschwinden, so würde
dieses Sein doch bleiben. Ein Sein ohne Quantität, ohne Qualität und ohne Form
ist nicht nur begrifflich denkbar, es ist das einzige, das wir hinter diesen
Phänomenen begreifen können. Notwendigerweise meinen wir, wenn wir sagen, es sei
ohne diese Eigenschaften, daß es sie überragt, daß es etwas ist, in das sie auf
solche Weise eingehen, daß das zu sein aufhört, was wir Form, Qualität und
Quantität nennen, und daß sie aus ihm als Form, Qualität und Quantität in die
Bewegung hervortreten. Sie gehen nicht in eine einzige Form, eine einzige
Qualität oder eine einzige Quantität ein, die allem übrigen zugrunde liegt – denn so etwas gibt es nicht
– sondern in etwas, das durch keinen dieser Begriffe
definiert werden kann. So gehen alle Dinge, die Zustandsformen und Erscheinungen
der Bewegung sind, in Jenes ein, aus dem sie herkamen. Dort werden sie, insoweit
sie existieren, zu etwas, das nicht mehr mit den Begriffen beschrieben werden
kann, die für sie in der Bewegung zutreffen. Darum sagen wir, das reine Sein ist
ein Absolutes. Es ist an sich selbst durch unser Denken unerkennbar, obwohl wir
in höchster Identität, die über die Begriffe der Erkenntnis hinausgeht, in es
zurücktreten können. Im Gegensatz dazu ist die Bewegung das Feld des Relativen.
Doch enthalten nach der eigentlichen Definition des Relativen alle Dinge in der
Bewegung in sich das Absolute, sie sind in Ihm enthalten, und sie sind das
Absolute. Die vom Vedanta gegebene Illustration, die diese Identität in ihrem
Unterschied zum Absoluten und Relativen am nächsten darstellt, ist die Beziehung
der Phänomene der Natur zum fundamentalen Äther, der in ihnen enthalten ist, sie
konstituiert, sie in sich enthält und doch so verschieden von ihnen ist, daß
sie, wenn sie in ihn eingehen, das zu sein aufhören, was sie jetzt sind. Wenn
wir von Dingen sagen, sie kehren in das zurück, aus dem sie kamen, verwenden wir
notwendigerweise die Sprache unseres Zeit-Bewußtseins und
müssen uns dabei vor seinen Illusionen hüten. Das Hervortreten der Bewegung aus
dem Unbeweglichen ist ein ewiges Phänomen. Unsere Begriffe und Wahrnehmungen
sind nur deshalb gezwungen, dieses Phänomen in eine zeitliche Ewigkeit von
aufeinanderfolgender Dauer zu versetzen – womit die Ideen von immer
wiederkehrenden Anfang, Mitte und Ende verbunden sind weil wir es uns nicht in
jenem anfang- und endlosen, immer-neuen Augenblick vorstellen können, der die
Ewigkeit des Zeitlosen ist.
Man könnte einwenden, dies alles sei nur so lange
gültig, als wir die Begriffe der Reinen Vernunft akzeptieren und ihnen
unterworfen bleiben. Die Begriffe der Vernunft hätten aber keine zwingende
Kraft. Wir dürften das Sein nicht durch das beurteilen, was wir mental
begreifen, sondern durch das, was wir als seiend sehen. Die reinste, freieste
Form der Einsicht in das Dasein, wie es ist, zeige uns nichts als Bewegung. Es
existieren nur zwei Dinge, Bewegung im Raum und Bewegung in der Zeit, wobei die
erstere objektiv, die letztere subjektiv ist. Ausdehnung ist wirklich, Dauer ist
wirklich, Raum und Zeit sind etwas Wirkliches. Selbst wenn wir hinter die
Ausdehnung im Raum zurücktreten und diese als psychisches Phänomen wahrnehmen
könnten, als einen Versuch des Mentals, das Dasein praktisch handhabbar zu
machen, daß wir das unzertrennbare Ganze auf einen begrifflichen Raum verteilen,
könnten wir doch nicht hinter die Bewegung von Aufeinanderfolge und Wechsel in
der Zeit zurücktreten. Denn diese sei der eigentliche Stoff unseres Bewußtseins.
Wir und die Welt seien eine Bewegung, die dauernd vorwärtsschreitet und sich
dadurch vermehrt, daß sie alle Aufeinanderfolgen der Vergangenheit in ein
Gegenwärtiges einbezieht, das sich uns wieder als den Anfang aller
Aufeinanderfolgen der Zukunft darstellt – ein Beginnen, ein Gegenwärtiges, das
sich uns immer wieder entzieht, weil es nicht ist, denn es ist schon vergangen,
bevor es geboren wird. Was ist, sei die ewige unteilbare Aufeinanderfolge der
Zeit, die auf ihrem Strom eine progressive Bewegung von Bewußtsein trage, das
auch unteilbar sei.4
Dauer also, ewig aufeinanderfolgende Bewegung und
Wechsel in der Zeit, sei das einzige Absolute. Werden sei das einzige Sein.
In Wirklichkeit ist dieser Gegensatz zwischen tatsächlicher Einsicht in das Sein und begrifflichen Fiktionen der Reinen Vernunft trügerisch. Wenn in dieser Sache Intuition wirklich im Gegensatz zu Intelligenz stünde, könnten wir nicht ein rein begriffliches Vernunftdenken gegen fundamentale Einsicht vertrauensvoll unterstützen. Aber diese Berufung auf die intuitive Erfahrung ist unvollständig. Sie ist nur insoweit gültig, als sie fortschreitet, und irrt dort, wo sie kurz vor der vollständigen Erfahrung Halt macht. Solange sich die Intuition nur an das klammert, was wir werden, sehen wir uns in dauerndem Vorwärtsschreiten von Bewegung und Wechsel des Bewußtseins in der ewigen Aufeinanderfolge von Zeit. Wir sind der Strom, die Flamme in der Bildsprache des Buddhismus. Es gibt aber eine höchste Erfahrung und höchste Intuition, durch die wir hinter das Ich unserer Außenseite zurücktreten und finden, daß dieses Werden, dieser Wechsel und diese Aufeinanderfolge nur die äußere Erscheinung unseres Wesens sind und daß es Jenes in uns gibt, das überhaupt nicht in das Werden involviert ist. Wir können nicht nur die Intuition von diesem Etwas haben, das stabil und ewig in uns ist, können nicht nur in der Erfahrung einen flüchtigen Blick werfen hinter den Schleier der ständig dahinflutenden Erscheinungen des Werdens, sondern wir können uns auch dorthin zurückziehen und ganz in ihm leben. Dadurch bewirken wir eine völlige Wandlung in unserem äußeren Leben, in unserer Haltung gegenüber der Bewegung der Welt und in unserer Einwirkung auf sie. Die Stabilität, in der wir so leben können, ist genau das, was die Reine Vernunft uns bereits gegeben hat, obwohl man auch ohne das Vernunftdenken dahin gelangen kann und ohne im voraus zu wissen, was es ist: Es ist reines Sein, ewig, unendlich, undefinierbar, frei von den Einwirkungen der Aufeinanderfolge der Zeit, nicht involviert in die Ausdehnung des Raums, jenseits von Form, Quantität und Qualität. Es ist das Selbst, allein und absolut.
Das reine Sein ist also
eine Tatsache und kein bloßer Begriff. Es ist die fundamentale Wirklichkeit. Wir
wollen aber sofort hinzufügen: Bewegung, Energie, Werden sind ebenso Tatsache
und Wirklichkeit Die höchste Intuition und die ihr entsprechende Erfahrung mögen
die andere korrigieren, darüber hinausgehen, ja sie auch suspendieren; aber sie
schaffen sie nicht ab. Wir haben also zwei fundamentale Tatsachen des reinen
Seins und des Welt-Daseins, eine Tatsache des Seins und eine Tatsache des
Werdens. Die eine oder die andere zu bestreiten, ist leicht. Die Tatsachen des
Bewußtseins anzuerkennen und ihre Beziehungen zueinander zu entdecken, ist die
wahre, fruchttragende Weisheit.
Wir müssen uns daran erinnern, daß Stabilität und Bewegung nur unsere psychischen Repräsentationen des Absoluten sind, wie das auch bei Einheit und Vielheit der Fall ist. Das Absolute steht jenseits von Stabilität und Bewegung, ebenso jenseits von Einheit und Vielfalt. Es hat seinen ewigen Stand der Ruhe in dem Einen und Stabilen, aber es wirbelt um sich selbst unendlich, unfaßbar, sicher in der Bewegung und vielfältig. Welt-Dasein ist der ekstatische Tanz Shivas, der den Körper des Gottes vor den Augen des Schauenden zahllos vervielfältigt: er beläßt aber jenes farblos-weiße Sein genau dort, wo und was es war, immer ist und ewig sein wird. Sein einziger absoluter Zweck ist die Freude am Tanz.
Da wir aber das Absolute an sich weder beschreiben noch ausdenken können, jenseits von Stabilität und Bewegung, jenseits von Einheit und Vielheit, und da uns das auch nicht zusteht, müssen wir die doppelte Tatsache annehmen und beide, Shiva und Kali, anerkennen. Wir müssen zu erkennen suchen, was diese unermeßliche Bewegung in Zeit und Raum im Blick auf jenes zeitlose und raumlose Reine Sein ist, das Eine und Stabile, auf das Meßbarkeit und Unmeßbarkeit unanwendbar sind. Wir haben gesehen, was Reine Vernunft, Intuition und Erfahrung über das Reine Sein, über sat zu sagen haben. Was haben sie aber über die Kraft, die Bewegung, über shakti zu sagen?
Als erstes haben wir uns zu fragen: Ist diese Kraft
einfach nur Kraft, nur intelligenzlose Bewegungsenergie? Oder ist das
Bewußtsein, das aus ihr in diese materielle Welt, in der wir leben,
hervorzutreten scheint, nicht allein eines ihrer phänomenalen Resultate,
vielmehr ihre eigene wahre und geheime Natur? In Begriffen des Vedanta: ist
diese Kraft einfach prakriti, nur eine Bewegung von Kraftwirkung und
Verfahren, oder ist prakriti in
Wirklichkeit eine Macht von chit, ihrer Natur nach eine Kraft
schöpferischer Selbstbewußtheit? Um die Lösung dieses wesentlichen Problems
dreht sich alles übrige.
Sie schauten die
Selbst-Kraft des Göttlichen Wesens, tief verborgen durch seine eigenen bewußten
Wirkensweisen.
Svetasvatara Upanishad, I.3.
Dieses ist Er, der wach ist in denen, die schlafen.
Katha Upanishad, V.8.
Alles phänomenale Dasein äßt sich auf Kraft, auf eine Bewegung von Energie zurückführen. Diese nimmt mehr oder minder materielle, mehr oder minder grobe oder feine Formen an, um sich ihrer eigenen Erfahrung gegenüber selbst darzustellen. In alten Gleichnissen, durch die sich menschliches Denken Ursprung und Gesetz des Wesens verständlich und wirklich zu machen versuchte, wurde dieses unendliche Dasein von Kraft als ein Meer dargestellt. Am Anfang ist es völlig ruhig und darum frei von Formen. Aber die erste Dünung, der Anfang einer Bewegung, macht das Erschaffen von Gestaltungen notwendig. Das ist der Keim des Universums.
Materie ist die Darstellung von Kraft, die für unsere
Intelligenz am leichtesten vorstellbar ist, zumal sie durch Kontaktwirkungen in
der Materie geprägt ist, auf die ein in ein materielles Gehirn involviertes
Mental reagiert. Nach Auffassung der Physiker des Alten Indien ist der
Elementarzustand materieller Kraft ein Zustand rein materieller Ausdehnung im
Raum, deren besondere Eigentümlichkeit Vibration ist, die für uns durch das
Phänomen von Klang typisiert wird. Vibration reicht aber in diesem Zustand von
Äther nicht aus, um Formen zu erschaffen. Zuerst muß in der Strömung des
Kraft-Ozeans ein Widerstand auftreten, ein Sich-Zusammenziehen und ein
Sich-Ausdehnen, ein Wechselspiel von Vibrationen, ein Zusammenstoß von Kräften,
um einen Anfang fester Beziehungen und gegenseitiger Wirkungen zu erschaffen.
Wenn materielle Kraft ihren ersten ätherartigen Zustand verändert, nimmt sie
einen zweiten, in der alten Sprache luftartig genannten, an, dessen besondere
Eigentümlichkeit der Kontakt von Kraft zu Kraft ist, die Grundlage für alle
materiellen Beziehungen. Wir haben jedoch noch keine wirklichen Formen, sondern
nur variierende Kräfte. Ein weiteres Prinzip ist nötig, das Dauer schafft. Es wird durch eine dritte Selbst-Abwandlung der
ursprünglichen Kraft bewirkt, deren Prinzip von Licht, Elektrizität, Feuer und
Wärme die für uns charakteristische Manifestation ist. Nun können wir zwar
Formen von Kraft haben, die ihren eigenen Charakter und ihre besonderen
Wirkensweisen bewahren, aber noch keine stabilen Formen von Materie sind. Ein
vierter Zustand wird durch Ausbreitung im Raum und einen ersten
Vermittlungsstoff für Dauerwirkungen von Anziehung und Abstoßung
charakterisiert, der anschaulich mit Wasser oder mit flüssiger Zustand
bezeichnet wird. Ein fünfter Zustand von Kohäsion, Erde oder fester Zustand
genannt, vollendet die Zahl der erforderlichen Elemente.
Alle Formen von Materie, die wir wahrnehmen, alle physischen Dinge bis zu den allerfeinsten, werden durch Kombination dieser fünf Elemente aufgebaut. Von ihnen hängt auch unsere ganze sinnenhafte Erfahrung ab. Durch den Empfang von Vibration kommt der Sinn für Klang. Durch Kontakt der Dinge in einer Welt von Vibrationen der Kraft entsteht der Tastsinn. Durch die Einwirkung von Licht bei den Formen, die durch die Kraft von Licht, Feuer und Wärme zum Leben gebracht, ausgeformt und erhalten werden, entsteht der Gesichtssinn. Durch das vierte Element bildet sich der Geschmackssinn. Das fünfte Element erschafft den Geruchssinn. Das alles ist im wesentlichen die Reaktion auf Vibrationskontakte zwischen den Kräften. Auf diese Weise überbrückten die Denker des Altertums die Kluft zwischen der reinen Kraft und ihren letzten Ausgestaltungen. Sie überwanden damit die Schwierigkeit, die das gewöhnliche Mental des Menschen am Verstehen hindert: Warum können alle diese Formen, die für seine Sinne so wirklich, fest und dauerhaft sind, in Wahrheit nur vorübergehende Phänomene sein, und warum kann etwas wie reine Energie, die für die Sinne nicht-existent, ungreifbar und eigentlich unglaubhaft ist, die einzige dauernde kosmische Realität sein?
Das Problem des Bewußtseins wird durch diese Theorie
nicht gelöst. Sie erklärt nicht, inwiefern der Kontakt von Kraft-Vibrationen
bewußte Empfindungen entstehen lassen sollte. Die Sankhya-Philosophen, die
analytischen Denker, nahmen darum hinter den fünf Elementen noch zwei Prinzipien
an, die sie mahat und ahankara nannten, Prinzipien, die in
Wirklichkeit nicht-materiell sind. Ersteres ist nichts anderes als das ungeheure
kosmische Prinzip von Kraft, letzteres ist das einteilende Prinzip der
Ich-Formation. Trotzdem werden diese beiden Prinzipien, ebenso wie das Prinzip der Intelligenz, buddhi, im Bewußtsein nicht aufgrund
der Kraft selbst aktiv, sondern dank einer inaktiven Bewußten Seele oder von
Seelen, in denen ihre Aktivitäten reflektiert werden und die durch diese
Reflexion die Tönung von Bewußtsein annehmen.
Diese Deutung wird von einer Schule indischer Philosophie angeboten, die den modernen materialistischen Ideen am nächsten kommt. Sie hat die Idee einer mechanischen oder unbewußten Kraft in der Natur so weit entwickelt, als es ernsthaft forschendem indischen Denken möglich war. Bei all seinen Mängeln war ihr Hauptgedanke doch so unbestreitbar, daß er allgemein angenommen wurde. Wie man auch immer das Phänomen Bewußtsein erklären mag, ob Natur nur ein träger Impuls oder ein bewußtes Prinzip ist, ganz gewiß ist es Kraft. Das Prinzip der Dinge ist eine gestaltende Bewegung von Energien. Alle Formen entstehen durch Zusammentreffen und gegenseitige Anpassung zwischen ungestalteten Kräften. Jede Empfindung und Betätigung ist Antwort von etwas in einer Form von Kraft auf Kontakte anderer Formen von Kraft. Das ist die Welt, wie wir sie erfahren. Von dieser Erfahrung müssen wir immer ausgehen.
Die physikalische Analyse der Materie durch die moderne Naturwissenschaft ist zum selben allgemeinen Schluß gekommen, auch wenn noch ein paar letzte Fragen in der Schwebe bleiben. Intuition und Erfahrung bestätigen diese Übereinstimmung zwischen Naturwissenschaft und Philosophie. Die Reine Vernunft findet in ihr die Bestätigung ihrer eigenen wesentlichen Auffassungen. Selbst wenn man die Welt ihrem Wesen nach als einen Akt von Bewußtsein auffaßt, ist eben ein Akt vorausgesetzt und im Akt eine Bewegung von Kraft, ein Spiel von Energie. Den gleichen Beweis für die fundamentale Art der Welt erhalten wir, wenn wir von innen her unsere eigene Erfahrung untersuchen. All unsere Aktivitäten sind das Spiel der dreifachen Kraft der alten Philosophien: Erkenntnis-Kraft, Begehrens-Kraft, Aktions-Kraft; sie alle erweisen sich in Wirklichkeit als drei Ströme einer einzigen ursprünglichen und identischen Macht, adya shakti. Selbst unsere Ruhezustände sind nur die Ausgeglichenheit oder das Gleichgewicht des Spiels ihrer Bewegung.
Wenn man annimmt, daß Bewegung von Kraft die ganze
Natur des Kosmos ausmacht, erheben sich zwei Fragen. Zuerst: Wie kam es dazu,
daß diese Bewegung überhaupt im Innern des Seins stattfand? Wenn wir annehmen,
Kraft sei nicht nur ewig, sondern das eigentliche Wesen alles Seins, entsteht diese Frage nicht. Wir haben aber diese Theorie
abgelehnt. Wir wissen um ein Sein, das nicht unter dem Zwang der Bewegung steht.
Wie kann diese Bewegung, die der ewigen Ruhe des Seins fremd ist, in ihm
stattfinden? Aus welcher Ursache? Durch welche Möglichkeit? Unter welchem
geheimnisvollen Antrieb?
Die vom alten indischen Denken am meisten gebilligte Antwort lautet: Kraft ist dem Sein innewohnend. Shiva und Kali, brahman und shakti, sind eins, nicht zwei, die voneinander trennbar sind. Die dem Sein innewohnende Kraft mag in Ruhe oder in Bewegung sein. Auch wenn sie in Ruhe ist, existiert sie nichtsdestoweniger. Sie ist dann nicht aufgehoben, vermindert oder irgendwie in ihrem Wesen verändert. Diese Antwort ist völlig rational und in Übereinstimmung mit der Natur der Dinge, daß wir sie ohne Zögern annehmen können. Denn es ist unmöglich, weil ein Widerspruch gegen die Vernunft, anzunehmen, die Kraft sei etwas, das dem einen unendlichen Sein fremd gegenübersteht und von außen her in es eingedrungen ist oder das nicht-existent war und erst an einem gewissen Punkt der Zeit in ihm auftrat. Selbst die Theorie der Illusionisten muß zugeben, daß maya, die Macht der Selbst-Illusion, in brahman, im ewigen Wesen potentiell ewig ist. Dann erhebt sich als einzige Frage die nach ihrer Manifestation oder Nicht-Manifestation. Die Sankhya-Philosophie behauptet ebenfalls die ewige Koexistenz von prakriti und purusha, von Natur und Bewußter Seele, und die miteinander abwechselnden Zustände bei prakriti von Ruhe oder Gleichgewicht und von Bewegung oder Störung des Gleichgewichts.
Da aber Kraft so dem Sein eingeboren und es die Natur
der Kraft ist, diese doppelte Kraftentfaltung von Ruhe und Bewegung, also von
Selbst-Konzentration in Kraft und Selbst-Ausbreitung in Kraft, zu besitzen,
erhebt sich gar nicht die Frage nach dem Wie der Bewegung, ihrer Möglichkeit,
dem auslösenden Impuls oder der zwingenden Ursache. Wir können also leicht
verstehen, daß sich diese Potentialität entweder darstellen muß als
alternierender Rhythmus von Ruhe und Bewegung, die in der Zeit aufeinander
folgen, oder als ewige Selbst-Konzentration von Kraft im unbeweglichen Sein mit
einem oberflächlichen Spiel von Bewegung, Wechsel und Formation wie das Steigen
und Fallen von Wogen auf der Oberfläche des Ozeans. Dieses Oberflächenspiel – von dem wir hier notwendigerweise in unzureichenden Bildern sprechen -kann
entweder mit der Selbst-Konzentration gleichzeitig und selbst auch ewig sein
oder in der Zeit anfangen und enden und immer wieder in
einer Art von konstantem Rhythmus aufgenommen werden; dann ist es nicht in der
Kontinuität, jedoch in der Wiederkehr ewig.
Nachdem wir so das Problem des Wie ausgeschaltet haben, steht vor uns die Frage nach dem Warum. Warum sollte diese Möglichkeit eines Spiels von Bewegung der Kraft überhaupt aktuell werden? Warum sollte die Kraft des Seins nicht ewig in sich selbst konzentriert bleiben, unendlich, frei von aller Variation und Gestaltung? Auch diese Frage stellt sich uns nicht, wenn wir annehmen, das Sein sei nicht-bewußt, die Bewußtheit sei nur eine Entfaltung materieller Energie, die wir irrtümlich für immateriell halten. Dann könnten wir einfach sagen, dieser Rhythmus sei die Art von Kraft im Sein, und es bestehe absolut kein Grund dafür, nach einem Warum zu suchen, nach einer Ursache, einem ursprünglichen Motiv oder einem letzten Zweck für das, was seiner Natur nach ewig selbst-seiend ist. Wir können diese Frage nicht an das ewige Selbst-Sein richten und es darüber ausforschen, warum es existiert oder wie es ins Dasein gekommen ist. Ebensowenig können wir die Selbst-Kraft des Seins und die ihr eingeborene Natur des Impulses über die Bewegung befragen. Erforschen können wir also nur ihre Art der Selbst-Manifestation, ihre Prinzipien von Bewegung und Gestaltung, ihren Evolutionsprozeß. Da beide, das Sein und die Kraft, träge sind, dumpf in Zustand und Impuls, beide unbewußt und unintelligent, kann es keinen Zweck, kein letztes Ziel in der Evolution, keine ursprüngliche Ursache oder Absicht geben.
Wenn wir aber vermuten oder entdecken, das Sein sei
bewußtes Wesen, stellt sich uns das Problem. Wir können tatsächlich ein bewußtes
Wesen annehmen, das untergeordnet ist seiner Natur von Kraft, von der es
beherrscht wird, und darum keine Wahl hat, sich im Universum zu manifestieren
oder nicht. Von solcher Art ist der kosmische Gott der Tantriker und Mayavadins,
der shakti oder maya untertan ist. Purusha ist in maya
involviert oder von shakti kontrolliert. Offensichtlich ist aber ein
solcher Gott nicht das höchste unendliche Sein, von dem wir ausgegangen sind. Er
ist zugegebenermaßen nur eine Gestalt von brahman im Kosmos, brahman
geht logischerweise shakti und maya zeitlich voraus, die
brahman wieder in sein transzendentes Wesen zurücknimmt, wenn sie von ihrem
Wirken zurücktreten. Bei einem bewußten Sein, das absolut ist, unabhängig von
seinen Gestaltungen, nicht determiniert durch sein Wirken, müssen wir die
eingeborene Freiheit voraussetzen, die Potentialität von Bewegung zu
manifestieren oder nicht zu manifestieren. Ein von
prakriti beherrschtes brahman ist nicht brahman, sondern ein
träges Unendliches, das in sich einen aktiven Inhalt besitzt, der machtvoller
ist als das Beinhaltende, ein bewußter Träger von Kraft, dessen Kraft sein
Gebieter ist. Wenn wir sagen, brahman sei von sich selbst als Kraft, also
von seiner eigenen Natur, beherrscht, werden wir Widerspruch und Ausflucht
unseres ersten Postulats nicht los. Wir müßten zu einem Sein zurückgehen, das in
Wirklichkeit nichts anderes wäre als Kraft: Kraft in Ruhe oder in Bewegung,
vielleicht eine absolute Kraft, aber kein absolutes Sein.
Wir müssen also die Beziehung zwischen Kraft und
Bewußtsein erforschen. Was verstehen wir aber unter letzterem Begriff?
Gewöhnlich verstehen wir darunter die uns nächstliegende Vorstellung von einem
wachen mentalen Bewußtsein, wie es der Mensch während des größeren Teils seines
körperlichen Daseins besitzt, wenn er nicht schläft, betäubt oder sonstwie
seiner physischen und äußeren Empfindungen beraubt ist. Bei einer solchen
Auffassung ist deutlich genug in der Ordnung des materiellen Daseins Bewußtsein
die Ausnahme und nicht die Regel. Selbst wir Menschen besitzen es nicht ständig.
Aber diese gewöhnliche oberflächliche Auffassung der Eigenart des Bewußtseins
muß nun, wenn sie auch immer noch unser gewöhnliches Denken und unsere
Gedankenverbindungen färbt, definitiv aus dem philosophischen Denken
verschwinden. Wir wissen, daß es in uns etwas gibt, das auch dann bewußt bleibt,
wenn wir schlafen, betäubt sind, unter der Wirkung von Drogen stehen oder in
Ohnmacht liegen, also in allen scheinbar unbewußten Zuständen unseres physischen
Wesens. Aber nicht nur das; vielmehr können wir jetzt sicher sein, daß die
Denker des Altertums Recht hatten, wenn sie erklärten, auch in unserem
Wachzustand selbst sei das, was wir unser Bewußtsein nennen, nur eine kleine
Auswahl aus unserem ganzen bewußten Wesen. Es ist eine Oberflächenerscheinung,
nicht einmal das Ganze unseres Mentalbereiches. Hinter ihm liegt, viel
umfassender als es, ein subliminales oder unterbewußtes Mental, das der größere
Teil unserer selbst ist und Höhen und Tiefen enthält, die noch kein Mensch je
gemessen oder ausgelotet hat. Diese Erkenntnis verschafft uns den Ausgangspunkt
für eine wahre Wissenschaft von der Kraft und ihren Wirkensweisen. Sie befreit
uns endgültig von Einschränkung durch das Materielle und der Illusion des
Handgreiflichen. Der Materialismus besteht freilich darauf, daß jede mögliche
Ausweitung des Bewußtseins ein materielles Phänomen und von unseren physischen Organen unabtrennbar sei. Nicht das Bewußtsein verfüge über sie, es
sei ihr Erzeugnis. Gegen die Flut wachsender Erkenntnis kann diese orthodoxe
Behauptung aber ihr Feld nicht länger verteidigen. Ihre Erklärungen werden immer
unzureichender und verkrampfter. Es wird immer klarer, daß die
Leistungsfähigkeit unseres totalen Bewußtseins nicht nur bei weitem über unsere
Organe, die Sinne, die Nerven, das Gehirn hinausgeht, sondern daß selbst für
unser gewöhnliches Denken und Bewußtsein diese Organe nur deren
gewohnheitsmäßige Werkzeuge, nicht ihre Erzeuger sind. Das Bewußtsein verwendet
das Gehirn, das sein Drängen nach höherer Entwicklung hervorgebracht hat. Nicht
das Gehirn hat das Bewußtsein produziert, noch verwendet es dieses. Es gibt
sogar abnorme Vorkommnisse, die beweisen, daß unsere Organe nicht völlig
unentbehrliche Instrumente sind. Der Herzschlag ist für das Leben ebensowenig
absolut notwendig wie das Atmen, auch die organisierten Gehirnzellen sind es
nicht für das Denken. Unser physischer Organismus verursacht oder erklärt Denken
und Bewußtsein ebensowenig wie die Konstruktion einer Maschine die Antriebskraft
des Dampfes oder der Elektrizität verursacht oder erklärt. Die Kraft ist das
Primäre, nicht das physische Instrument.
Folgenschwere logische Konsequenzen ergeben sich hieraus. An erster Stelle dürfen wir fragen: Könnte nicht – da selbst dort mentales Bewußtsein existiert, wo wir nur Unbelebtheit und Trägheit sehen – auch in materiellen Objekten ein universales unterbewußtes Mental vorhanden sein, obwohl es nicht handeln und sich aus Mangel an Organen seinem äußeren Wesen nicht mitteilen kann? Ist der materielle Zustand eine Leere an Bewußtsein, ist er nicht vielmehr ein Schlaf des Bewußtseins, unter dem Gesichtspunkt der Evolution vielleicht ein ursprünglicher Schlaf und nicht der eines Zwischenzustandes? Belehrt durch das menschliche Beispiel, verstehen wir ja unter Schlaf nicht Suspendierung des Bewußtseins, sondern daß dieses nach innen gesammelt ist und sich von der bewußten physischen Reaktion auf die Einwirkungen äußerer Dinge zurückgezogen hat. Ist das nicht gerade der Zustand alles Daseins, das noch keine Mittel für Kommunikation mit der äußeren physischen Welt entwickelt hat? Gibt es nicht eine Bewußte Seele, purusha, die ewig wacht gerade in allem, das schläft?
Wir können noch weitergehen. Wir sollten, wenn wir vom
unterbewußten Mental sprechen, mit diesem Ausdruck etwas meinen, das von der
äußeren Mentalität nicht verschieden ist, sondern nur unter der Oberfläche wirkt, dem wachen Menschen unbekannt in diesem Sinne, außer wenn er
tiefer hinabdringt und einen weiteren Horizont gewinnt. Aber die Phänomene des
subliminalen Selbsts gehen weit über die Grenzen einer solchen Definition
hinaus. Es umschließt ein Wirken, das an Leistungsfähigkeit dem, was wir als die
Mentalität unseres wachen Selbsts erkennen, nicht nur unermeßlich überlegen,
sondern auch der Art nach völlig verschieden ist. Wir haben darum ein Recht zu
der Vermutung, es gibt in uns ein Überbewußtes ebenso wie ein Unterbewußtes,
einen Bereich bewußter Fähigkeiten und entsprechend eine Organisation von
Bewußtsein, die sich weit über jene psychische Schicht erhebt, der wir den Namen
Mentalität geben. Kann aber dieses subliminale Selbst in uns, das sich über den
Mentalbereich empor in das Überbewußte erhebt, nicht auch in das Unterbewußte
unterhalb des Mentals hinabreichen? Gibt es in uns und in der Welt nicht
Bewußtseinsformen, die submental sind und denen wir die Bezeichnung vitales und
physisches Bewußtsein geben könnten? Wenn das so ist, müssen wir auch in der
Pflanze und im Metall eine Kraft annehmen, die wir Bewußtsein nennen können,
obwohl sie nicht die Mentalität von Mensch oder Tier ist, der wir bisher das
Monopol dieser Bezeichnung vorbehalten hatten.
Das ist nicht nur wahrscheinlich, sondern gewiß, wenn wir die Dinge objektiv betrachten. Es gibt in uns solch ein vitales Bewußtsein, das in den Zellen des Körpers und in den automatischen Funktionen so wirkt, daß wir sinnvolle Bewegungen ausüben und Anziehungen und Abstoßungen gehorchen, denen unser Mental fremd gegenübersteht. Bei Tieren ist dieses vitale Bewußtsein ein noch wichtigerer Faktor. In Pflanzen nehmen wir es intuitiv wahr. Das suchende Sich-Ausstrecken und Sich-Zusammenziehen der Pflanze, ihre Lust und ihr Schmerz, ihr Schlaf und ihr Wachsein und all jenes geheimnisvolle Leben, dessen Wirklichkeit ein indischer Forscher durch streng wissenschaftliche Methoden ans Licht gebracht hat, sind alles Bewegungen von Bewußtsein, jedoch nicht, soweit wir sehen können, von Mentalität. Es gibt also ein Untermentales, ein vitales Bewußtsein, das genau dieselben anfänglichen Reaktionen hat wie das mentale, jedoch in der Konstitution seiner Selbst-Erfahrung vom mentalen Wesen ebenso verschieden ist wie das Überbewußte in der Konstitution seiner Selbst-Erfahrung von ihm.
Hört der Bereich dessen, was wir Bewußtsein nennen
können, bei der Pflanze, bei dem auf, worin wir das Dasein eines
unter-animalischen Lebens erkennen? Wäre das so, müßten wir eine Kraft des
Lebens und des Bewußtseins voraussetzen, die
ursprünglich der Materie fremd war, trotzdem – vielleicht aus einer anderen Welt
– in sie eindrang und von ihr Besitz ergriff. Woher kann sie sonst gekommen
sein?5 Die Denker des Altertums
glaubten an die Existenz solch anderer Welten, die vielleicht Leben und
Bewußtsein unserer Welt fördern und erhalten oder es sogar durch ihren Druck
hervorrufen, es aber nicht dadurch erschaffen, daß sie selbst in diese Welt
eintreten. Nichts kann sich aus der Materie entwickeln, das nicht bereits in ihr
enthalten ist.
Es gibt aber keinen Grund zu der Annahme, die ganze
Skala von Leben und Bewußtsein breche ab und mache vor dem Halt, was uns als
rein materiell erscheint. Die Entwicklung neueren Forschens und Denkens scheint
auf etwas wie einen dunklen Anfang von Leben und vielleicht auch auf eine Art
von stumpfem oder unterdrücktem Bewußtsein im Metall, in den Erden und in
anderen “unbelebten” Gestaltungen hinzuweisen, oder es könnte dort zumindest der
Urstoff von dem, was in uns zum Bewußtsein wird, vorhanden sein. Doch ist ein
Bewußtsein der Materie, der trägen Form, für uns tatsächlich schwer zu verstehen
oder vorstellbar, während wir in der Pflanze das, was ich vitales Bewußtsein
nannte, dunkel erkennen und begreifen können. So nehmen wir uns das Recht
heraus, das, was wir für unser Verstehen und unsere Vorstellung zu schwierig
finden, einfach zu bestreiten. Trotzdem wird, wenn man Bewußtsein weit genug bis
in die Tiefen verfolgt, nicht glaubhaft, daß da plötzlich in der Natur eine
solche Kluft sein sollte. Unser Denken hat ein Recht, auch dort eine Einheit
anzunehmen, wo jene Einheit, die bei allen anderen Klassen von Phänomenen
anerkannt wird, bei einer bestimmten Klasse zwar nicht bestritten wird, jedoch
viel verborgener ist als in den anderen. Wenn wir annehmen, daß es in der
Einheit keinen Bruch gibt, gelangen wir zum Dasein von Bewußtsein in allen
Formen von Kraft, wo immer sie auch in der Welt am Werk ist. Selbst wenn es
keinen bewußten oder überbewußten purusha geben sollte, der allen Formen
innewohnt, gibt es doch in jenen Formen eine bewußte Kraft des Seienden, an der selbst ihre äußeren Teile aktiv oder passiv
teilnehmen.
Bei einer solchen Anschauung verändert natürlich das Wort Bewußtsein seine Bedeutung. Es ist nicht mehr synonym mit Mentalität, sondern es bezeichnet eine ihrer selbst innegewordene Kraft des Seins, für die Mentalität nur ein Mittelbegriff ihrer vollen Entfaltung ist. Unterhalb der Mentalität sinkt das Bewußtsein in vitale und materielle Bewegungen hinab, die für uns unterbewußt sind. Oberhalb davon steigt es in das supramentale Bewußtsein empor, das für uns das Überbewußte ist. In allem ist es aber ein und dieselbe Sache, die sich in verschiedener Weise organisiert. Das ist wieder die indische Auffassung von chit, das als Energie die Welten erschafft. Im wesentlichen kommen wir so zu jener Einheit, die die materialistische Naturwissenschaft vom anderen Ende her wahrnimmt, wenn sie behauptet, das Mental könne keine andere Kraft sein als Materie, vielmehr allein Entfaltung und Ergebnis materieller Energie. Wo das Denken in Indien seine größte Tiefe erreicht hat, versichert es seinerseits, Mental und Materie sind in Wahrheit nur verschiedene Grade derselben Energie, verschiedene Organisationen einer einzigen bewußten Kraft des Seins.
Was für ein Recht haben wir aber zu der Annahme, Bewußtsein sei die zutreffende Beschreibung dieser Kraft? Bewußtsein setzt doch irgendwie Intelligenz, Zielbewußtsein, Selbsterkenntnis voraus, auch wenn diese nicht die Formen annehmen sollten, an die unsere Mentalität gewöhnt ist. Selbst von diesem Gesichtspunkt aus unterstützt alles eher die Idee einer universalen Bewußten Kraft, als daß es ihr widerspricht. Wir sehen zum Beispiel im Tier Betätigungen vollkommenen Zielbewußtseins und eines exakten, eigentlich wissenschaftlich genauen Wissens, die beide völlig jenseits der Fähigkeiten des Tier-Mentals liegen. Der Mensch kann diese nur durch lange Ausbildung und Erziehung erwerben, und selbst dann verwendet er sie viel weniger sicher und rasch. Wir sind berechtigt, in dieser allgemeinen Tatsache den Beweis für eine bewußte Kraft im Tier und im Insekt am Werk zu sehen, die intelligenter, zweckbewußter, klarer über ihre Absicht, ihre Ziele, Mittel und Bedingungen ist als die höchste Mentalität, die bisher auf Erden in individueller Form sichtbar hervorgetreten ist. Bei den Vorgängen in der unbelebten Natur finden wir dasselbe alles durchdringende charakteristische Anzeichen einer verborgenen höchsten Intelligenz: “Sie ist verborgen in den Verfahrensweisen ihres eigenen Wirkens.”
Das einzige Argument
gegen eine bewußte, intelligente Ursache für dieses zweckbestimmte Wirken, für
diese Betätigung von Intelligenz, von Auswahl, Anpassung und suchendem Tasten
ist jenes weitverbreitete Element in den Abläufen der Natur, dem wir den Namen
Verschwendung geben. Offensichtlich gründet sich aber dieser Einwand auf die
Begrenztheit des menschlichen Intellekts, der den allgemeinen Verfahren der
Welt-Kraft seine ihm eigene, besondere Rationalität aufzudrängen sucht, die gut
genug ist für beschränkte menschliche Ziele. Sehen wir doch nur einen Teil vom
Zweck und Ziel der Natur und nennen alles, was diesem Ausschnitt nicht
förderlich ist, Verschwendung. Aber selbst unser eigenes menschliches Handeln
ist voll von scheinbarer Vergeudung, die zwar vom individuellen Gesichtspunkt
aus als solche erscheint, die aber, dessen können wir sicher sein, sehr wohl den
weiten universalen Zweck der Dinge fördert. Jenen Teil ihrer Absicht, den wir
überschauen können, bekommt die Natur ganz gewiß erfüllt trotz, vielleicht sogar
tatsächlich mit Hilfe ihrer scheinbaren Verschwendung. Darum dürfen wir ihr auch
voll für das übrige, das wir noch nicht überschauen können, vertrauen.
Alles in allem kann man unmöglich die Antriebskraft einer starken Zweckmäßigkeit, die Führung durch eine scheinbar blinde Tendenz und die Tatsache übersehen, daß die Weltkraft zuletzt oder auch unmittelbar das anvisierte Ziel trifft, das für ihre Wirkensweisen in Tier, Pflanze und unbelebten Dingen charakteristisch ist. Solange für das wissenschaftliche Denken die Materie Alpha und Omega gewesen ist, war es ehrlicher Zweifel, wenn man sich scheute zuzugeben, daß Intelligenz die Mutter von Intelligenz sein könne. Jetzt ist es nur noch ein fadenscheiniges Paradoxon zu behaupten, das Bewußtsein des Menschen, seine Intelligenz und Meisterschaft könne aus einem unintelligenten, blind antreibenden Nicht-Bewußtsein kommen, in dem keine Form oder Substanz von diesen vorher existiert. Das Bewußtsein des Menschen kann nichts anderes sein als eine Erscheinungsform des Bewußtseins der Natur. Es ist in anderen Formen unterhalb des Mentals involviert. Es tritt im Mental hervor. Es wird sich in noch höhere Formen jenseits des Mentals erheben. Denn die Kraft, die die Welten baut, ist eine Bewußte Kraft. Das Sein, das sich in ihnen manifestiert, ist ein Bewußtes Wesen. Ein vollkommenes Hervortreten all ihrer Potentialitäten in Gestaltung ist das einzige Ziel, das wir vernunftgemäß für die Manifestation der Bewußten Kraft in dieser Welt der Formen begreifen können.
Kapitel XI. Seins-Seligkeit: Das Problem
Wer könnte denn leben
oder atmen, gäbe es nicht diese Seins-Seligkeit als den Äther, in dem wir
wohnen? Aus der Seligkeit sind alle diese Wesen geboren, durch Seligkeit
existieren und wachsen sie, in die Seligkeit kehren sie zurück.
Taittiriya Upanishad, II.7., III.6.
Selbst wenn wir dieses Reine Sein, dieses brahman,
dieses sat als absoluten Anfang, Ende und Gefäß der Dinge und ein in brahman
eingeborenes Selbstbewußtsein annehmen, das untrennbar ist von seinem Wesen, das
sich als eine Kraft der Bewegung des Bewußtseins ausbreitet und schöpferisch
wirkt in Kräften, Formen und Welten, haben wir immer noch die Frage zu
beantworten: “Warum sollte brahman, das doch vollkommen, absolut und
unendlich ist, nichts nötig hat und nichts begehrt, überhaupt Bewußtseins-Kraft
aus sich hervorbringen, um in sich selbst diese Welten der Formen zu
erschaffen?” Wir haben die Lösung abgelehnt, brahman werde durch seine
eigene Kraft-Natur gedrängt zu erschaffen, es sei durch seine eigene Potenz an
Bewegung und Gestaltung dazu gezwungen, in Formen einzugehen. Zwar trägt
brahman diese Potenz in sich, aber es ist dadurch nicht begrenzt, gebunden
oder gezwungen; es ist frei. Wenn es also frei ist, sich zu bewegen oder ewig in
Ruhe zu verbleiben, sich selbst in Formen zu verausgaben oder die Potenz zur
Form in sich selbst zurückzubehalten, und trotzdem seine Macht zu Bewegung und
Gestaltung genießt und einsetzt, kann das nur aus einem Grunde geschehen: zu
seiner Freude. Dieses ursprüngliche, höchste und ewige Sein ist, wie die
Vedantins erkannt haben, nicht nur leeres Sein, auch kein bewußtes Sein, dessen
Bewußtsein rohe Kraft oder Macht wäre. Vielmehr ist es ein bewußtes Sein, dessen
Wesens-Inbegriff und Inbegriff seines Bewußtseins Seligkeit ist. So wie es im
absoluten Sein kein Nichts, keine Nacht von Unbewußtheit und keinen Mangel, also
kein Versagen der Kraft geben kann – denn gäbe es etwas davon, wäre es nicht
absolut –, so kann es hier auch kein Leiden, keine Verneinung der Seligkeit
geben. Absolutheit bewußten Seins ist unbegrenzbare Wonne bewußten Seins; beides sind nur verschiedene Ausdrücke für dieselbe Sache. Alle
Unbegrenzbarkeit, alle Unendlichkeit, alle Absolutheit ist reine Seligkeit.
Selbst in unserem relativen Menschsein machen wir die Erfahrung, daß alles
Unbefriedigtsein Begrenzung, Widerstand bedeutet. Befriedigung tritt ein bei
Verwirklichung von Versagtem, bei Überschreiten der Begrenzung, bei Überwindung
des Hindernisses. Das kommt daher, weil unser ursprüngliches Wesen das Absolute
ist, im vollen Besitz unendlichen und unbegrenzbaren Selbst-Bewußtseins und
seiner Selbst-Macht, einem Selbst-Besitz, dessen anderer Name Selbst-Seligkeit
ist. Je mehr das Relative mit diesem Selbst-Besitz in Berührung kommt, desto
mehr nähert es sich der Zufriedenheit, berührt es die Freude.
Diese Selbst-Seligkeit des brahman ist aber nicht durch den stillen, bewegungslosen Besitz seines absoluten Selbst-Seins eingeschränkt. Ebenso wie seine Bewußtseins-Kraft fähig ist, sich unendlich und mit endloser Variation in Formen zu verausgaben, so ist auch seine Selbst-Seligkeit fähig zu Bewegung und Variation. Sie kann in jenem unendlichen Strömen und in der Verwandlungsfähigkeit des eigenen Wesens schwelgen, das sich im Wirbel zahlloser Systeme des Universums darstellt. Diese unendliche Bewegung und Variation seiner Selbst-Seligkeit auszulösen und sich daran zu erfreuen, ist der Zweck seines weit ausgebreiteten oder schöpferischen Spiels von Kraft.
Mit anderen Worten: Was sich da in Formen ausgegossen hat, ist ein dreieiniges Sein-Bewußtsein-Seligkeit, saccidananda, dessen Bewußtsein seiner Natur nach eine schöpferische, oder vielmehr eine sich selbst zum Ausdruck bringende Kraft ist, fähig, ihr selbstbewußtes Wesen in Phänomen und Form endlos zu variieren und sich an der Wonne dieser Variation unendlich zu erfreuen. Daraus folgt, daß alle existierenden Dinge sind, was sie sind, als Begriffe jenes Seins, als Begriffe jener bewußten Kraft, als Begriffe jener Seligkeit des Seienden. Genauso wie wir finden, daß alle Dinge veränderliche Formen des einen unveränderlichen Seins sind, endliche Resultate der einen unendlichen Kraft, so werden wir alle Dinge als den veränderlichen Selbst-Ausdruck der einen unveränderlichen, alles umfassenden Seligkeit des Selbst-Seins erkennen. In allem, was ist, wohnt die bewußte Kraft, und es existiert und ist, was es ist, durch diese bewußte Kraft. So ist auch in allem, was ist, die Freude des Seins, und es existiert und ist, was es ist, dank dieser Seligkeit.
Gegen diese alte vedantische Theorie vom Ursprung des
Kosmos machen im Mental des Menschen sofort zwei
mächtige Einwände Front: das Bewußtsein von Schmerz in Gefühl und Sinnen und das
ethische Problem des Bösen. Wie können wir uns das allgemeine Vorhandensein von
Kummer, Leid und Schmerz erklären, wenn die Welt ein Ausdruck von saccidananda
sein soll, nicht nur von einem Sein, das bewußte Kraft ist – denn das kann man
leicht zugeben –, sondern von einem Sein, das auch unendliche Selbst-Seligkeit
ist? Diese Welt erscheint viel eher als eine Welt des Leidens, denn als eine
Welt der Seins-Seligkeit. Gewiß ist diese Anschauung von der Welt übertrieben,
ein Irrtum der Perspektive. Wenn wir die Welt leidenschaftslos und mit der
einzigen Absicht betrachten, sie genau und ohne Emotionen einzuschätzen, finden
wir, daß die Summe der Daseins-Lust bei weitem die Summe des Daseins-Schmerzes
überwiegt, unbeschadet des gegenteiligen Anscheins und des Widerspruchs
individueller Fälle, und daß, aktiv oder passiv, an die Oberfläche hervortretend
oder darunter liegend, Daseins-Lust der Normalzustand der Natur ist. Der Schmerz
ist ein Ereignis des Gegenteils, das diesen Normalzustand zeitweilig aufhebt
oder überlagert. Gerade aus diesem Grund empfinden wir die geringere Summe von
Schmerz intensiver, wirft sie oft einen bedrohlicheren Schatten auf unser Dasein
als die größere Summe von Lust. Gerade weil letztere das Normale ist, schätzen
wir sie nicht so sehr, nehmen wir sie eigentlich kaum wahr, es sei denn, sie
steigert sich zu einer intensiveren Form ihrer selbst, zu einer Woge von
Glücksempfinden und zum Überschwang von Freude oder Begeisterung. Dies ist es,
was wir dann Seligkeit nennen und suchen, aber die normale Zufriedenheit im
Dasein, die immer da ist, unabhängig von irgendeinem Ereignis, einem besonderen
Grund oder Gegenstand empfinden wir als etwas Neutrales, das weder Lust noch
Schmerz bringt. Sie ist eben da, eine wunderbare praktische Tatsache, denn ohne
sie hätten wir nicht den allgemeinen, uns beherrschenden Selbsterhaltungstrieb.
Aber das ist es nicht, was wir suchen. Darum tragen wir es in unserer Gewinn-
und Verlustrechnung nicht auf dem Konto unserer Gefühle und Empfindungen ein. In
dieser Abrechnung zählen wir auf der einen Seite nur positive Freuden, auf der
anderen die Unannehmlichkeiten und Schmerzen auf. Schmerz berührt uns
intensiver, weil er unserem Wesen abnorm erscheint, unserer natürlichen Tendenz
entgegengesetzt ist und wir ihn als bösartige Einwirkung auf unser Dasein, als
Beleidigung und Angriff von außen gegen das empfinden, was wir sind und zu sein
suchen.
Indessen wird davon
nicht die philosophische Streitfrage berührt, ob der Schmerz etwas Unnormales,
ob seine Summe größer oder kleiner ist. Einerlei, ob größer oder kleiner, sein
Dasein als solches verursacht das ganze Problem. Wenn alles saccidananda ist,
wie können Schmerz und Leid überhaupt existieren? Dieses wirkliche Problem wird
oft noch weiter kompliziert durch eine falsche Einstellung, die von der Idee
eines persönlichen außerkosmischen Gottes ausgeht, und durch eine Teilfrage, die
ethische Schwierigkeit.
Das Argument lautet dann etwa so: saccidananda ist
Gott, ein bewußtes Wesen, der Urheber des Daseins. Wie kann dann Gott eine Welt
erschaffen haben, in der Er Seinen Geschöpfen Leiden auferlegt, den Schmerz
billigt und das Böse zuläßt? Wenn Gott der All-Gute ist, wer hat dann den
Schmerz und das Böse erschaffen? Wenn wir sagen, Schmerz sei eine Prüfung und
Heimsuchung, lösen wir das moralische Problem nicht, sondern haben dann einen
Gott, der amoralisch oder nicht-moralisch ist – vielleicht ein ausgezeichneter
Welt-Techniker, ein sehr kluger Psychologe, aber nicht ein Gott des Guten und
der Liebe, den wir verehren können, sondern nur ein Gott der Macht, dessen
Gesetzen wir uns zu unterwerfen haben oder von denen wir hoffen dürfen, seine
Launen zu besänftigen. Wer die Quälerei als Mittel zur Prüfung oder Heimsuchung
erfindet, steht gerichtet da, entweder wegen absichtlicher Grausamkeit oder
wegen sittlicher Empfindungslosigkeit. Wenn er überhaupt ein moralisches Wesen
ist, steht er niedriger als der höchste Instinkt seiner Geschöpfe. Wenn wir
aber, um aus dieser moralischen Schwierigkeit herauszukommen, den Schmerz ein
unvermeidliches Ergebnis und eine natürliche Strafe für das sittlich Böse
nennen, – eine Erklärung, die nicht einmal mit den Fakten des Lebens
übereinstimmt, oder wir müßten jene Theorie von Karma und Wiedergeburt
anerkennen, wonach die Seele jetzt für Sünden leiden muß, die sie vor dieser
Geburt in anderen Körpern begangen hat –, entgehen wir doch nicht dem wirklichen
ethischen Grundproblem: Wer hat dann dieses moralisch Böse erschaffen? Warum und
woraus wurde es erschaffen, das die Strafe von Schmerz und Leiden nach sich
zieht? Wenn wir aber einsehen, daß das sittliche Böse in Wirklichkeit eine Form
mentaler Krankheit oder Unwissenheit ist, erhebt sich wieder die Frage: Wer oder
was hat dieses Gesetz oder diese unerbittliche Verbindung erschaffen, die eine
mentale Krankheit oder einen Akt der Unwissenheit mit einer so schrecklichen
Zurückweisung und durch Qualen bestraft, die oft so übertrieben
und entsetzlich sind? Ein solches unerbittliches Karmagesetz ist unvereinbar mit
einem höchsten sittlichen und persönlichen Gottwesen. Darum hat die klare Logik
des Buddha die Existenz eines freien, alles regierenden, persönlichen Gottes
abgelehnt und erklärt: Alle Personalität ist eine Schöpfung von Unwissenheit und
dem Karma unterworfen.
In Wahrheit entsteht diese hier so kraß hervorgehobene Schwierigkeit nur, wenn wir die Existenz eines außer-kosmischen persönlichen Gottes annehmen, der nicht Selbst auch das Universum ist, eines Gottes, der das Gute und Böse, Schmerz und Leiden, für Seine Kreaturen geschaffen hat, Selbst darüber steht und davon nicht betroffen wird, der über einer leidenden, ringenden Welt wacht, sie regiert und Seinen Willen an ihr vollzieht oder, wenn Er dabei nicht Seinen Willen durchführt, erlaubt, daß die Welt durch ein unerbittliches Gesetz gehetzt wird, ohne daß sie bei Ihm Hilfe, höchstens ungenügende Hilfe finden kann,- eines Gottes, der eben nicht Gott, nicht all-mächtig, nicht all-gut und nicht all-liebend ist. Es gibt keine Theorie von einem außer-kosmischen moralischen Gott, mit der das Böse und das Leiden – die Erschaffung des Bösen und des Leidens – erklärt werden kann, man müßte denn zu einer unbefriedigenden Ausflucht greifen, die der aufgeworfenen Frage ausweicht, statt sie zu beantworten, oder einen direkten oder indirekten Manichäismus vertreten, der praktisch die Gottheit dadurch annulliert, daß er ihre Wege zu rechtfertigen oder ihre Werke zu entschuldigen sucht. Ein solcher Gott ist aber nicht das vedantische saccidananda. Das saccidananda des Vedanta ist ein Sein ohne ein Zweites. Alles was ist, ist Er. Wenn also das Böse und das Leiden existieren, ist Er es, der das Böse und das Leiden in der Kreatur trägt, in der Er Sich Selbst verkörpert hat. So ändert sich das Problem vollständig. Die Frage ist nicht mehr, wie Gott dazu kam, für Seine Geschöpfe Leiden und Böses zu erschaffen, das Er Selbst nicht auf Sich zu nehmen fähig, wogegen Er also immun ist, die Frage ist vielmehr: wie die einzige und unendliche Sein-Bewußtsein-Seligkeit dazu kam, in sich eindringen zu lassen, was nicht Seligkeit ist, sondern dessen unmittelbare Verneinung zu sein scheint.
So verschwindet die eine Hälfte der ethischen Schwierigkeiten – jene in ihrer einen unbeantwortbaren Form. Sie erhebt sich nun nicht mehr und kann auch nicht mehr vorgebracht werden. Grausamkeit anderen gegenüber, wobei Ich immun bleibe oder sogar an ihrem Leiden teilhabe und es danach bereue oder verspätetes Mitleid bezeige, ist die eine Sache.
Wenn Ich mir aber
selbst Leid zufüge, Ich, der Ich das einzige Sein bin, ist das eine ganz andere
Sache. Dennoch kann die ethische Schwierigkeit noch in einer abgewandelten Form
neu vorgebracht werden: Da All-Seligkeit notwendigerweise auch All-Güte und
All-Liebe sein muß, wie kann das Böse und das Leiden in saccidananda existieren,
da dieses doch kein mechanisches Dasein, sondern ein freies und bewußtes Wesen
ist, also frei, das Böse und das Leiden zu verurteilen und zurückzuweisen? Wir
müssen jedoch erkennen, daß das so formulierte Problem die Frage falsch stellt.
Denn man wendet dabei die Begriffe einer partiellen Behauptung an, als ob diese
auf das Ganze angewandt werden dürften. Die Ideen von Güte und Liebe, die wir so
in den Begriff der All-Seligkeit hineinbringen, entstammen einer dualistischen
und zerteilenden Auffassung der Dinge. Sie gründen sich allein auf die
Beziehungen zwischen den Kreaturen. Dennoch bestehen wir darauf, sie auf ein
Problem anzuwenden, das im Gegensatz dazu von der Annahme des Einen ausgeht, der
alles ist. Wir haben also zuerst zu untersuchen, wie das Problem in seiner
ursprünglichen Reinheit auf der Basis der Einheit in Verschiedenheit aussieht
und wie es gelöst werden kann. Nur dann können wir mit Sicherheit die
Teilprobleme und ihre Abwandlungen behandeln, also die Beziehungen von Kreatur
zu Kreatur auf der Grundlage der Zertrennung und Dualität.
Wenn wir so das Ganze überschauen und uns nicht nur auf
die menschliche Schwierigkeit und den menschlichen Standpunkt beschränken,
müssen wir erkennen, daß wir nicht in einer ethischen Welt leben. Der Versuch
menschlichen Denkens, dem Ganzen der Natur einen ethischen Sinn aufzuzwingen,
ist eine jener Handlungen willkürlicher, hartnäckiger Selbst-Verwirrung, einer
von jenen bedauerlichen Versuchen des Menschen, sich selbst und sein
beschränktes gewohnheitsmäßiges menschliches Ich in alle Dinge hineinzulesen und
sie von dem Standpunkt aus zu beurteilen, den er persönlich entwickelt hat.
Gerade das verhindert aber am wirkungsvollsten, zu wirklicher Erkenntnis und
umfassender Schau zu kommen. Die materielle Natur ist nicht ethisch. Das Gesetz,
das sie regiert, ist eine Koordinierung fester Gewohnheiten, die Gut und Böse
nicht beachten, nur Kraft, die erschafft, Kraft, die ordnet und erhält, Kraft,
die unparteiisch und unethisch stört und zerstört aufgrund eines geheimen
Willens in ihr, im Einklang mit der stummen Befriedigung dieses Willens in
seinen Selbst-Gestaltungen und Selbst-Zerstörungen. Auch die animalische und
vitale Natur ist unethisch, obwohl sie in ihrer
fortschreitenden Entwicklung das Rohmaterial hervorbringt, aus dem das höhere
Tierwesen den ethischen Impuls entwickelt. Wir machen dem Tiger so wenig
Vorwürfe, weil er seine Beute zerreißt und verschlingt, wie wir den Sturm
tadeln, weil er zerstört, oder das Feuer, weil es quält und tötet. Die
Bewußtheits-Kraft im Sturm, im Feuer oder im Tiger macht sich auch selbst keine
Vorwürfe und verurteilt sich nicht. Vorwurf und Verurteilung oder vielmehr
Selbst-Vorwurf und Selbst-Verurteilung sind der Anfang wahrer Ethik. Wenn wir
anderen Vorwürfe machen, ohne dasselbe Gesetz auch uns gegenüber anzuwenden,
sprechen wir nicht mit einem wahren ethischen Urteil, sondern verwenden wir nur
die Sprache, die die Ethik entwickelt hat, zu unseren Gunsten für einen
Gefühls-Impuls, für Abscheu oder Mißfallen gegenüber dem, was uns ärgert oder
verletzt.
Dieses Verabscheuen oder Mißfallen ist der primäre Ursprung der Ethik, aber selbst nichts Ethisches. Die Furcht des Rehs vor dem Tiger, die Wut des starken Geschöpfs gegen seinen Angreifer sind ein vitales Zurückschrecken der Daseins-Seligkeit des Individuums vor dem, was es bedroht. Bei weiterem Fortschritt der Mentalität verfeinert sich das zu Widerwillen, Mißfallen, Mißbilligung. Diese Mißbilligung dessen, was uns bedroht und verletzt, und die Billigung dessen, was uns schmeichelt und befriedigt, verfeinern sich nun in den Begriff dessen, was gut und böse ist für uns selbst, für unsere Gemeinschaft, für andere als uns, für andere Gemeinschaften als die unsrige und zuletzt zu allgemeiner Billigung des Guten und Mißbilligung des Bösen. Aber die grundlegende Natur der Sache bleibt durchweg dieselbe. Der Mensch verlangt danach, sich selbst auszudrücken, sich selbst zu entwickeln, mit anderen Worten, er bejaht in sich das progressive Spiel der Bewußten Kraft des Seins. Darin findet er seine fundamentale Seligkeit. Was diesen Selbst-Ausdruck, diese Selbst-Entfaltung und Befriedigung seines progressiven Selbsts verletzt, ist für ihn böse. Was ihm hilft, es bestätigt, erhöht, ausweitet und adelt, ist für ihn gut. Nur verändert sich sein Verständnis für seine Selbst-Entfaltung, es wird umfassender und höher. Er beginnt, über seine begrenzte Persönlichkeit hinauszuwachsen, andere mit einzubeziehen und schließlich alles in seinem Gesichtskreis zu umfassen.
Mit anderen Worten: Ethik ist eine Stufe in der
Evolution. Allen Stufen gemeinsam ist das Drängen von saccidananda, das Selbst
auszudrücken. Dieses Drängen ist zunächst nicht-ethisch. Danach ist es im Tier
unter-ethisch. Im intelligenten Tierwesen wird es sogar anti-ethisch, denn es läßt zu, daß wir eine Verletzung, die anderen zugefügt wird,
billigen, während wir sie mißbilligen, wenn sie uns angetan wird. In dieser
Beziehung ist der Mensch heute erst halb-ethisch. So, wie alles unter uns
unter-ethisch ist, mag oberhalb von uns, wohin wir schließlich gelangen werden,
etwas Über-ethisches sein, das auf die Ethik verzichten kann. Ethischer Impuls
und ethische Haltung sind zwar für die Menschheit hochwichtig, jedoch nur ein
Mittel, mit dem sie sich aus der niedrigeren Harmonie und Universalität in eine
höhere emporringt. Die niedere gründet sich auf die Unbewußtheit und wird durch
das Leben in individuelle Gegensätzlichkeiten zerbrochen. Die höhere ruht auf
einem bewußten Einssein mit allen Wesen des Daseins. Wenn wir zu diesem Ziel
gelangen, wird das Mittel der Ethik nicht mehr notwendig, sogar nicht mehr
möglich sein, da die Eigenschaften und Gegensätze, von denen sie abhängt, sich
natürlicherweise in endgültiger Versöhnung auflösen und verschwinden.
Besitzt also der ethische Standpunkt seine Gültigkeit nur für einen zeitweiligen, wenn auch höchst wichtigen Übergang aus der einen Universalität in eine andere, können wir ihn nicht auf die Gesamtlösung des Problems des Universums anwenden, sondern nur als ein Element neben anderen für diese Lösung anerkennen. Andernfalls laufen wir Gefahr, alle Tatsachen des Universums und den ganzen Sinn der Evolution unterhalb und oberhalb von uns zu verfälschen, um ihn einer temporären Betrachtung und einer nur halb-entwickelten Anschauung von der Nützlichkeit der Dinge anzupassen. Diese Welt ist dreischichtig: unterethisch, ethisch und überethisch. Wir müssen herausfinden, was ihnen gemeinsam ist. Nur so können wir das Problem lösen.
Als das allen Gemeinsame haben wir erkannt: die Befriedigung der bewußten Kraft des Seins, die sich in den Gestaltungen entfaltet und in dieser Entfaltung ihre selige Erfüllung sucht. In dieser Befriedigung oder Seligkeit des Selbst-Seins hat sie offenbar ihren Ursprung. Das ist das für sie Normale, hieran klammert sie sich, das macht sie zu ihrer Grundlage. Aber sie sucht nach immer neuen Formen von sich. Beim Übergang zu höheren Formen tritt das Phänomen von Schmerz und Leiden auf, das der fundamentalen Natur ihres Wesens zu widersprechen scheint. Das und dies allein, ist das grundlegende Problem.
Wie sollen wir es aber lösen? Sollen wir sagen:
saccidananda ist nicht Anfang und Ende der Dinge? Sollte Anfang und Ende etwa
das Nihil, ein neutrales Leeres, sein, das an sich nichts ist, aber doch alle
Potenzen des Seins und des Nicht-Seins, des
Bewußtseins und des Nicht-Bewußtseins, der Seligkeit und der Un-Seligkeit in
sich enthält? Wir mögen, wenn wir wollen, diese Antwort vielleicht akzeptieren.
Obwohl wir aber durch sie alles zu erklären suchen, haben wir in Wirklichkeit
gar nichts erklärt. Wir haben nur in dieses Nichts alles hineingepackt. Ein
Nichts, mit allen Potenzen angefüllt, ist der vollständigste Gegensatz gegen
mögliche Begriffe und Dinge. Wir haben also nur einen geringeren Widerspruch
durch einen größeren erklärt, indem wir den Selbst-Widerspruch der Dinge bis auf
die höchste Spitze getrieben haben. Ein Nichts ist das Leere, in dem es keine
Potentialitäten geben kann. Ein neutrales Unbestimmtes aller Potentialitäten ist
Chaos. Und wir haben nur das Chaos in das Leere getan, ohne zu erklären, wie es
dorthin gekommen ist. Wir wollen also wieder zu unserem ursprünglichen Begriff
von saccidananda zurückkehren und sehen, ob nicht auf jener Grundlage eine
vollständigere Lösung möglich ist.
Zunächst müssen wir uns klarmachen: Wenn wir von
universalem Bewußtsein sprechen, meinen wir etwas, das andersartig, wesenhafter
und umfassender ist als das wache mentale Bewußtsein des menschlichen Wesens.
Ebenso meinen wir, wenn wir von universaler Seins-Seligkeit sprechen, etwas, das
andersartig, wesenhafter und umfassender ist als das gewöhnliche emotionale und
sinnenhafte Vergnügen des individuellen menschlichen Geschöpfes. Die Worte Lust,
Freude und Wonne bedeuten so, wie sie der Mensch verwendet, begrenzte,
gelegentliche Regungen, die von gewissen gewohnten Ursachen abhängen, in
gleicher Weise wie ihr Gegenteil, Schmerz und Kummer, die auch begrenzte und
gelegentliche Regungen sind. Beide treten aus einem Hintergrund hervor, der
etwas anderes ist als sie. Seligkeit des Wesens ist universal, unbegrenzbar,
selbst-seiend. Sie hängt nicht von bestimmten Ursachen ab. Sie ist der
Hintergrund aller Hintergründe, aus dem Lust, Schmerz und die anderen, mehr
neutralen Erfahrungen auftauchen. Sobald sich die Seins-Seligkeit als Seligkeit
des Werdens zu realisieren sucht, tritt sie hervor in die Bewegung von Kraft und
nimmt selbst dabei verschiedene Formen von Bewegung an, deren positive und
negative Strömungen Lust und Schmerz sind. Unterbewußt in der Materie,
überbewußt jenseits der Mentals, sucht sich diese Seligkeit in Mental und Leben
dadurch zu verwirklichen, daß sie im Werden, im wachsenden Selbst-Bewußtsein der
Bewegung in Erscheinung tritt. Ihre ersten Phänomene sind zwiespältig und
unrein. Sie bewegen sich zwischen den Polen von
Lust und Schmerz. Die Seligkeit strebt aber danach, sich in der Reinheit einer
höchsten Seligkeit des Wesens zu offenbaren, die selbst-seiend und unabhängig
ist von Objekten und Ursachen. So wie saccidananda hinstrebt zur Realisation des
universalen Seins im Individuum und zu dem die Form überwindenden Bewußtsein in
der Form von Körper und Mental, so bewegt es sich auch hin zur Realisation einer
universalen, selbst-seienden und objektlosen Seligkeit im Strom besonderer
Erfahrungen und Objekte. Diese Anlässe und Inhalte suchen wir jetzt als
anregende Ursachen für eine vorübergehende Lust und Befriedigung. Sind wir aber
frei und im Besitz unseres Selbsts, werden wir sie nicht mehr suchen, vielmehr
als Reflektoren – statt als Ursachen – einer Seligkeit besitzen, die ewig ist.
In dem vom Ich bestimmten menschlichen Wesen, in der mentalen Person, die aus der dunkeln Schale der Materie hervortritt, ist die Seins-Seligkeit neutral, halb-verborgen, noch im Schatten des Unterbewußten, kaum mehr als ein noch unsichtbarer Pflanzboden, der einmal reiche Frucht bringen kann, jetzt aber durch das Verlangen mit dem üppigen Wuchs giftigen Unkrauts und kaum weniger giftiger Blumen bedeckt ist: mit den Schmerzen und Lüsten unseres egoistischen Daseins. Wenn die Göttliche bewußte Kraft, die insgeheim in uns wirkt, diese Gewächse des Verlangens verzehrt hat, wenn (nach dem Bild des Rig Veda) das Feuer Gottes den Wildwuchs der Erde abgebrannt hat, wird das, was an den Wurzeln dieser Schmerzen und Lüste verborgen ist, ihre Ursache und ihr geheimes Wesen, der Saft der Seligkeit in ihnen, in neuen Formen hervortreten: in Formen einer aus dem Selbst seienden frohen Befriedigung, nicht mehr in jenen des Verlangens. Die Lust des sterblichen Wesens wird durch die Wonne der Unsterblichkeit ersetzt werden. Diese Transformation ist deshalb möglich, weil die Gewächse der Sinne und Gefühle in ihrem wesenhaften Sein, die Schmerzen nicht weniger als die Lust, jene Seins-Seligkeit sind, die sie zwar suchen, aber noch nicht offenbaren können. Sie versagen wegen der Zertrennung, der Unkenntnis des Selbsts und der Ichhaftigkeit.
Kapitel XII. Seins-Seligkeit: Die Lösung
Seligkeit ist der Name
von Jenem. Als die Seligkeit müssen wir Es verehren und nach Ihm suchen.
Kena Upanishad, IV.6.
In diesem Begriff einer unveränderlichen zugrunde
liegenden Seins-Seligkeit, in der alle unsere äußeren oder vordergründigen
Empfindungen ein positives, negatives oder neutrales Spiel sind, Wellen und
Schaumkronen jener unendlichen Tiefe, finden wir die wahre Lösung des Problems,
das wir untersuchen. Das Selbst der Dinge ist ein unendliches, unteilbares Sein.
Die wesenhafte Natur oder Macht dieses Seins ist eine unendliche, unzerstörbare
Kraft von selbst-bewußtem Wesen. Und die wesenhafte Natur oder das Wissen von
sich selbst dieses Selbst-Bewußteins ist wiederum eine unendliche,
unveränderliche Seligkeit des Seienden. In der Formlosigkeit und in allen
Formen, in seinem ewigen Innesein des unendlichen, unteilbaren Seins und in den
vielförmigen Erscheinungen der endlichen Zerteilung bewahrt sich dieses
Selbst-Sein ständig seine Selbst-Seligkeit. Wie unsere Seele in der scheinbaren
Unbewußtheit der Materie, sobald sie aus ihrer Gebundenheit an ihre eigene
oberflächliche Gewohnheit und die besondere Art von selbstbewußtem Dasein
hinauswächst, jene unendliche Bewußte Kraft entdeckt, die beständig, unbeweglich
brütet, so entdeckt sie immer mehr in der scheinbaren Nicht-Empfindsamkeit der
Materie eine unendliche, bewußte Seligkeit, unerschütterlich, ekstatisch,
allumfassend, und kann sich auf sie einstimmen. Diese Seligkeit ist ihre eigene
Seligkeit, und dieses Selbst ist ihr eigenes Selbst in allen Wesen. Aber für
unsere gewöhnliche Anschauung vom Selbst und von den Dingen, die nur auf den
Oberflächen wach ist und sich dort bewegt, bleibt sie verborgen, tief,
unterbewußt. Wie diese Seligkeit allen Formen innewohnt, ist sie in allen
Erfahrungen, ob erfreulich, schmerzlich oder neutral. Verborgen, tief,
unterbewußt ist sie dort auch das, was es den Dingen möglich macht und sie
zwingt, im Dasein zu verbleiben. Sie ist der Grund für jenes
Sich-ans-Dasein-Klammern, für jenen alles beherrschenden Willen-zum-Sein, der,
ins Vitale übersetzt, zum Selbst-Erhaltungstrieb wird, im
Physischen zur Unzerstörbarkeit der Materie, im Mental zum Empfinden der
Unsterblichkeit. Sie begleitet das geformte Dasein durch alle Phasen seiner
Selbst-Entwicklung. Selbst der gelegentliche Impuls zur Selbst-Zerstörung ist
nur eine umgekehrte Ausdrucksform von ihr, ein Hingezogenwerden zu einem anderen
Seins-Zustand und die daraus folgende Flucht aus dem jetzigen Seins-Zustand.
Seligkeit ist Sein, Seligkeit ist das Geheimnis der Schöpfung, Seligkeit ist der
Ursprung der Geburt, Seligkeit ist der Grund, im Dasein zu verbleiben, Seligkeit
ist das Ende der Geburt und jenes, in das sich die Schöpfung wieder auflöst. Die
Upanishad sagt: “Aus ananda sind alle Wesen geboren, durch ananda
bleiben sie im Sein und wachsen, zu ananda gehen sie fort.”
Wenn wir diese drei Aspekte wesenhaften Seins betrachten, die in Wirklichkeit eins, in unserem mentalen Schauen drei-einig und nur in der Erscheinung als die Phänomene des zerteilten Bewußtseins voneinander trennbar sind, können wir die auseinandergehenden Formeln der alten Philosophie an ihren richtigen Platz stellen, so daß sie sich vereinigen, eins werden und ihren uralten Streit beenden. Wenn wir das Welt-Dasein nur in seinen äußeren Erscheinungsformen betrachten, nur in seiner Beziehung zum reinen, unendlichen, unteilbaren, unveränderlichen Sein, sind wir berechtigt, es als maya anzusehen, zu beschreiben und zu realisieren. Im ursprünglichen Sinn bedeutet maya ein allumfassendes und aufnehmendes Bewußtsein, das die Dinge umgreifen, messen und begrenzen und darum Gestaltungen bilden kann. Maya legt die Umrisse fest und mißt aus, prägt Formen im Formlosen, versieht sie mit psychischen Fähigkeiten, scheint das Unerkennbare erkennbar zu machen, erkennt geometrische Gesetze, mit denen es das Unbegrenzte meßbar zu machen scheint. Später verlor dies Wort seine ursprüngliche Bedeutung von Erkenntnis, Geschicklichkeit und Intelligenz und bekam die abwertende Bedeutung von List, Trug, Illusion. In der Gestalt von Verführung oder Illusion wird maya dann von den philosophischen Systemen verwendet.
Welt ist maya. Weit ist nicht unwirklich in dem
Sinne, daß sie nicht ein gewisses Sein hätte. Denn wenn sie auch nur ein Traum
des Selbsts wäre, würde sie noch sein, in Ihm als ein Traum, wirklich für Es in
der Gegenwart, wenn auch letztlich unwirklich. Wir sollten von der Welt nicht
sagen, sie sei unwirklich in dem Sinn, daß sie nicht eine gewisse ewige Existenz
besitzt. Obwohl sich bestimmte Welten und bestimmte Formen
vielleicht (oder wirklich) physisch auflösen und mental aus dem Bewußtsein der
Manifestation in die Nicht-Manifestation zurückkehren, sind doch die Form als
solche und die Welt als solche ewig. Unvermeidlich kehren sie aus der
Nicht-Manifestation wieder in die Manifestation zurück. Wenn sie auch keine
ewige Dauer besitzen, so haben sie doch eine ewige Wiederkehr, eine ewige
Unveränderlichkeit in ihrer Summe und in ihrer Grundlage, neben einer ewigen
Veränderlichkeit in Aspekt und Erscheinung. Auch haben wir keinerlei Sicherheit
für die Annahme, daß es je in der Zeit eine Periode gab oder geben wird, da sich
keine Form von Universum und kein Spiel des Seienden vor sich selbst im ewigen
Bewußten Wesen abspielt. Wir haben nur eine intuitive Auffassung dessen, daß die
Welt, die wir kennen, aus Jenem in die Erscheinung treten kann und tritt und
ständig in Es zurückkehrt.
Dennoch ist die Welt maya, weil sie nicht die wesenhafte Wahrheit des unendlichen Seins ist, sondern nur eine Schöpfung des seines Selbsts bewußten Wesens, – keine Schöpfung im Leeren, keine Schöpfung im Nichts und aus dem Nichts, vielmehr in der ewigen Wahrheit und aus der ewigen Wahrheit jenes Selbst-Wesens. Ihr Gefäß, Ursprung und Stoff sind das wesenhafte wirkliche Sein; ihre Formen sind veränderliche Gestaltungen von Jenem, zu Seiner eigenen bewußten Wahrnehmung, durch Seine eigene schöpferische bewußte Kraft determiniert. Sie sind befähigt zur Manifestation, zur Nicht-Manifestation und auch zur Anders-Manifestation. Wenn wir wollen, können wir sie deshalb Illusionen des unendlichen Bewußtseins nennen und damit kühn einen Schatten unseres eigenen mentalen Empfindens, dem Irrtum und der Unfähigkeit unterworfen zu sein, auf jenes zurückwerfen, das größer ist als das Mental und erhaben ist über unser Unterworfensein unter Irrtum und Illusion. Da wir aber sehen, daß das Essentielle und die Substanz des Seins keine Lüge sind und daß alle Irrtümer und Entstellungen unseres zerteilten Bewußtseins doch irgendeine Wahrheit des unteilbaren, seines Selbsts bewußten Seins darstellen, können wir nur sagen: Die Welt ist nicht wesenhafte Wahrheit von Jenem, doch phänomenale Wahrheit aus Seiner freien Vielfalt und unendlichen Veränderlichkeit an Seiner Außenseite, sie ist nicht Wahrheit Seiner fundamentalen, unveränderlichen Einheit.
Wenn wir andererseits Welt-Dasein nur in seiner
Beziehung zum Bewußtsein und zur Kraft des Bewußtseins betrachten, können wir es
ansehen, beschreiben und realisieren als eine Bewegung von Kraft, die einem geheimen Willen oder sonstigem Zwang gehorcht, der ihm gerade
durch die Existenz des Bewußtseins auferlegt wird, das es besitzt und
betrachtet. Dann ist Welt-Dasein ein Spiel von prakriti, der exekutiven
Kraft, um purusha Genüge zu tun, dem Bewußten Wesen, das ihr zuschaut und
sich an ihr freut. Oder Welt-Dasein ist das Spiel von purusha, der sich
in den Bewegungen der Kraft widerspiegelt und sich mit ihnen identifiziert. Welt
ist dann das Spiel der Mutter der Dinge, die dazu gedrängt ist, Sich Selbst ewig
in die unendlichen Formen auszuprägen, und ewig danach strebt, Erfahrungen zu
verströmen.
Betrachten wir dann wieder das Welt-Dasein in seiner Beziehung zur Selbst-Seligkeit des ewig seienden Wesens, können wir es ansehen, beschreiben und erkennen als lila. Die Seele der Dinge, ewig jung, dauernd unerschöpflich, Sich Selbst in Sich Selbst erschaffend und immer neu erschaffend aus reiner Wonne an dieser Selbst-Schöpfung, an dieser Selbst-Darstellung: das ist lila, das Spiel, die Freude des Kindes, die Freude des Dichters, die Freude des Schauspielers, die Freude des Technikers, – Er Selbst ist das Spiel, Er Selbst der Spieler, Er Selbst das Spielfeld. Diese drei allgemeinen Begriffe des Spiels des Seins in seiner Beziehung zum ewigen und beständigen, unveränderlichen saccidananda, die von den drei Auffassungen von maya, prakriti und lila ausgehen und sich in unseren philosophischen Systemen als einander widersprechende Philosophien darstellen, sind in Wirklichkeit voll miteinander vereinbar, einander ergänzend und in ihrer Totalität notwendig für integrale Anschauung des Lebens und der Welt. Die Welt, von der wir ein Teil sind, ist in ihrer offensichtlichsten Erscheinung eine Bewegung von Kraft. Wenn wir aber durch die Erscheinungen dieser Kraft hindurchdringen, erweist sie sich als ein ständiger und doch ewig veränderlicher Rhythmus von schöpferischem Bewußtsein, das in sich phänomenale Wahrheiten seines eigenen unendlichen, ewigen Wesens emporsteigen läßt und nach außen projiziert. Dieser Rhythmus ist seinem Wesen, seiner Ursache und seinem Zweck nach ein Spiel unendlicher Seligkeit des Seins, die sich in ihren eigenen unzählbaren Selbst-Darstellungen stets betätigt. Diese dreifache oder dreieinige Schau muß der Ausgangspunkt für unser ganzes Verstehen des Universums sein.
Da nun also die Wurzel der ganzen Sache ewige und
unveränderliche Seligkeit des Seins ist, die in unendliche, veränderliche
Seligkeit des Werdens ausströmt, müssen wir ein einziges, unteilbares, bewußtes
Wesen hinter all unseren Erfahrungen begreifen, das sie durch seine unveränderliche Seligkeit trägt und erhält und das durch
seine Bewegung die Variationen von Lust, Schmerz und neutraler Indifferenz in
unserem empfindenden Dasein bewirkt. Jenes ist unser wirkliches Selbst. Da das
mentale Wesen der dreifachen Vibration unterworfen ist, kann es nur eine
Repräsentation unseres wahren Selbsts sein, das für die Zwecke dieser sinnlichen
Erfahrung der Dinge herausgestellt wurde, die der erste Rhythmus unseres
zerteilten Bewußtseins in seiner Antwort und Reaktion auf die vielfältigen
Kontakte des Universums ist, eine unvollkommene Reaktion, ein verworrener und
unharmonischer Rhythmus. Er soll nur das volle einheitliche Spiel des bewußten
Wesens in uns vorbereiten und präludieren (vorspielen), ist noch nicht die wahre
und vollkommene Symphonie, die uns einmal geschenkt werden soll, sobald wir uns
in den Einklang des Gefühls mit dem Einen in allen Variationen eingefügt haben
und in die gesamte absolute universale Harmoniefülle einstimmen können.
Wenn diese Betrachtung richtig ist, drängen sich uns
unvermeidlich Folgerungen auf. Zunächst kann, da wir in unseren Tiefen selbst
jener Eine, in der Wirklichkeit unseres Wesens das unteilbare All-Bewußtsein und
darum auch die unveränderliche All-Seligkeit sind, die Anordnung unserer
sinnlichen Erfahrung in den drei Vibrationen von Schmerz, Lust und Indifferenz
nur eine vordergründige Anlage sein, die durch jenen begrenzten Teil von uns
erschaffen wurde, der ganz oben in unserem Wachbewußtsein zutage tritt. Dahinter
muß in uns etwas sein – viel weiter, tiefer und wahrer als das oberflächliche
Bewußtsein –, das unparteiisch in all unseren Erlebnissen seine Seligkeit
findet. Diese Seligkeit fördert und erhält insgeheim das vordergründige mentale
Wesen und gibt ihm die Kraft, in allen Mühen, Leiden und Heimsuchungen der
turbulenten Bewegung des Werdens durchzuhalten. Was wir unser Ich nennen, ist
nur ein zitternder Strahl an der Oberfläche. Dahinter liegt das ganze
unermeßliche Unterbewußte, das unermeßliche Überbewußte, das sich all diese
Erfahrungen des äußeren Menschen zunutze macht und sie seinem äußeren Selbst
auferlegt, das es wie einen lichtempfindlichen Film den Kontakten der Welt
aussetzt. Das wahre Selbst bleibt verhüllt. Es empfängt diese Kontakte und
assimiliert sie in die Werte einer wahreren, tieferen, beherrschenden und
schöpferischen Erfahrung. Aus seinen Tiefen sendet es sie an die Oberfläche
zurück in Formen von Stärke, Charakter, Wissen, Impuls zum Handeln, deren
Wurzeln für uns deshalb geheimnisvoll sind, weil unser Mental sich nur unsicher zitternd an der Oberfläche bewegt und noch nicht gelernt hat, sich zu
konzentrieren und in den Tiefen zu leben.
In unserem gewöhnlichen Leben ist diese Wahrheit vor uns verborgen, oder sie taucht nur gelegentlich flüchtig vor unserem Blick auf oder wird unvollkommen erfaßt und begriffen. Wenn wir es aber lernen, in unserem Innern zu leben, erwachen wir unfehlbar zur Erkenntnis dieser Gegenwart in uns, die unser wirklicheres Selbst ist: eine tiefe, stille, frohe und machtvolle Gegenwart, deren Meister nicht die Welt ist, eine Gegenwart, die, wenn sie nicht der Herr Selbst, dann doch die Strahlung des Herrn in unserem Innern ist. Wir werden ihrer inne, da sie unser äußerlich erscheinendes und vordergründiges Selbst fördert und ihm hilft, seiner Lust und seinen Schmerzen zulächelt, als sei es der Irrtum und die Leidenschaft eines kleinen Kindes. Und wenn wir zurücktreten können in uns selbst und uns identifizieren, nicht mit unserer oberflächlichen Erfahrung, sondern mit dem strahlenden Lichtkreis des Göttlichen Wesens, vermögen wir den Kontakten der Welt gegenüber in dieser Haltung zu leben. Indem wir in unserem ganzen Bewußtsein hinter den Erfahrungen von Lust und Schmerz des Körpers, des vitalen Wesens und des Mentals zurückstehen können, besitzen wir sie zwar als Erfahrungen, ihre Natur kann aber, oberflächlich wie sie ist, unsern Kern und wahres Wesen nicht berühren oder beeindrucken. Nach den höchst ausdrucksvollen Begriffen des Sanskrit gibt es ein anandamaya hinter dem manomaya, ein unermeßliches Seligkeits-Selbst hinter dem begrenzten mentalen Selbst. Letzteres ist nur ein Schattenbild und ein entstellter Reflex des ersteren. Die Wahrheit unserer selbst liegt in unserem Inneren und nicht an der Oberfläche.
Wiederum kann diese dreifache Vibration von Lust, Schmerz und Indifferenz deshalb in sich keine Absolutheit, keine Notwendigkeit besitzen, weil sie vordergründig, Anordnung und Ergebnis unserer unvollkommenen Evolution ist. Es gibt für uns keinen wirklichen Zwang, einen besonderen Kontakt mit einer besonderen Reaktion von Lust, Schmerz oder neutralem Empfinden zu beantworten. Es gibt nur einen Zwang der Gewohnheit. Bei einem besonderen Kontakt fühlen wir Lust oder Schmerz, weil unsere Natur diese Gewohnheit gebildet und weil der Empfänger diese ständige Beziehung zwischen sich und diesem Kontakt festgelegt hat. Es liegt durchaus innerhalb unserer Macht, mit der entgegengesetzten Reaktion zu antworten, mit Lust, wo wir uns an Schmerz gewöhnt hatten, mit Schmerz, wo wir gewöhnlich mit Lust reagierten.
Ebenso liegt es aber
auch innerhalb unserer Kompetenz, unser äußeres Wesen daran zu gewöhnen, daß es,
statt der mechanischen Reaktionen von Lust, Schmerz oder Indifferenz, jene freie
Antwort unveränderlicher Seligkeit erteilt, die die ständige Erfahrung des
wahren, weiten Seligkeits-Selbsts in unserem Innern ist. Das ist ein noch
größerer Sieg und ein noch tieferer, vollständigerer Besitz unseres Selbsts, als
wenn wir die gewohnten Reaktionen unserer Außenseite nur froh und unbeteiligt in
den Tiefen aufnehmen. Diese Haltung ist nicht mehr nur reines Akzeptieren, ohne
unterworfen zu sein, freie Zustimmung zu unvollkommenen Werten der Erfahrung,
sondern sie gibt uns die Kraft, Unvollkommenes in Vollkommenes, falsche in wahre
Werte umzuwandeln; die ständige aber wahrhaftige Seligkeit des Geistes in den
Dingen übernimmt den Platz jener Dualitäten, die vom mentalen Wesen erfahren
werden.
In den Dingen des Mentals kann man unschwer diese rein
gewohnheitsmäßige Relativität der Reaktionen von Lust und Schmerz wahrnehmen.
Dagegen ist das nervliche Wesen in uns an eine gewisse feste Geltung in diesen
Beziehungen und an einen falschen Eindruck ihrer Absolutheit gewöhnt. Für es
sind Sieg, Erfolg, Ehre, Glück aller Art an sich selbst absolut erfreuliche
Dinge, die genauso Freude hervorrufen müssen, wie Zucker süß schmecken muß.
Dagegen sind für es Niederlage, Versagen, Enttäuschung, Schande, Unglück aller
Art an sich absolut unerfreuliche Dinge, die ebenso sicher Kummer hervorrufen
müssen, wie die Wermutwurzel bitter schmecken muß. Diese Reaktionen zu
verändern, bedeutet für unser Nervensystem ein Abweichen von der faktischen
Wirklichkeit, ist unnormal und krankhaft. Das nervliche Wesen ist an die
Gewohnheit versklavt. Es ist an sich ein von der Natur dazu bestimmtes Mittel,
in Beziehungen des Menschen zum Leben Konstanz der Reaktion, Gleichheit der
Erfahrung und ein feststehendes Schema zu bringen. Das mentale Wesen dagegen ist
frei. Es ist das von der Natur zu Elastizität und Variation, Wechsel und
Fortschritt bestimmte Mittel. Der Mensch als mentales Wesen ist nur solange
unterworfen, als er sich dafür entscheidet, unterworfen zu bleiben, lieber in
der einen mentalen Gewohnheit als einer anderen zu verharren. Er ist unfrei,
solange er sich von seinem nervlichen Instrument beherrschen läßt. Das mentale
Wesen ist absolut nicht gezwungen, über Niederlage, Schande und Verlust Kummer
zu empfinden. Diesen wie allen Dingen kann es mit vollkommener Gleichgültigkeit
gegenübertreten. Es kann ihnen sogar mit vollkommener
Freude begegnen. Darum erkennt der Mensch, daß seine Freiheit um so größer wird,
je mehr er sich weigert, sich von Nerven und Körper beherrschen zu lassen, je
mehr er sich aus seiner Verstrickung in seine physischen und vitalen Schichten
zurückzieht. Er wird zum Meister seiner eigenen Reaktionen auf die Berührungen
der Welt, bleibt nicht länger Sklave äußerer Einwirkungen.
Bei Lust und Schmerz des physischen Wesens ist es
schwieriger, diese universale Wahrheit anzuwenden. Denn hier ist der eigentliche
Bereich der Nerven und des Körpers, Zentrum und Sitz dessen in uns, was seiner
Natur nach von äußerem Kontakt und Druck beherrscht wird. Aber selbst hier haben
wir einen flüchtigen Anblick der Wahrheit. Wir sehen sie in der Tatsache, daß,
je nach Gewohnheit, dieselbe physische Berührung erfreulich oder schmerzlich
sein kann, nicht nur für verschiedene Individuen, sondern auch für denselben
Menschen unter verschiedenen Umständen oder auf verschiedenen Stufen seiner
Entwicklung. Wir sehen diese Wahrheit in der Tatsache, daß Menschen in Zeiten
großer Erregung oder eines hohen Enthusiasmus physisch gegen Schmerz
gleichgültig oder seiner unbewußt bleiben, während dieselben Einwirkungen ihnen
unter gewöhnlichen Umständen harte Qualen oder Leiden verursachen würden. In
vielen Fällen kehrt erst dann das Empfinden von Leiden zurück, wenn es den
Nerven gelungen ist, sich wieder zu behaupten und das Mental an seine
gewohnheitsmäßige Verpflichtung zum Leiden zu erinnern. Aber diese Rückkehr zum
üblichen Zwang ist nicht unvermeidlich, sie ist nur gewohnheitsmäßig. Wir sehen,
daß man bei Hypnose der hypnotisierten Person nicht nur erfolgreich verbieten
kann, den Schmerz einer Wunde oder eines Stiches zu fühlen, solange sie im
abnormen Zustand ist, sondern sie auch mit gleichem Erfolg daran hindern kann,
nach dem Erwachen wieder zu ihrer gewohnten Reaktion des Leidens zurückzukehren.
Der Grund für dieses Phänomen ist ganz einfach: Der Hypnotiseur schaltet das
gewöhnliche wache Bewußtsein aus, das der Sklave der nervlichen Gewohnheiten
ist, und kann nun an das subliminale mentale Wesen in den Tiefen appellieren, an
das innere mentale Wesen, das – sofern der Mensch es will – der eigentliche Herr
über Nerven und Körper ist. Diese Freiheit, die durch Hypnose rasch in abnormer
Weise, ohne daß man im Besitz seiner selbst ist, durch fremden Willen, bewirkt
wird, kann man ebenso gut auf normale Weise gewinnen: allmählich, durch
wirkliche Bemeisterung seiner selbst, durch eigenen Willen, so daß man teilweise
oder vollständig einen Sieg des mentalen Wesens
über die gewohnheitsmäßigen nervlichen Reaktionen des Körpers erringen kann.
Schmerz des Mentals und Körpers ist ein Kunstgriff der Natur, das heißt der Kraft in ihren Werken, der einem bestimmten vorübergehenden Zweck in ihrer Evolution nach oben dienen soll. Vom Standpunkt des Individuums aus ist die Welt ein Spiel, ein komplexes Aufeinanderprallen vielfältiger Kräfte. Inmitten dieses komplexen Spiels steht der einzelne Mensch als ein beschränkt konstruiertes Wesen mit einer begrenzten Menge an Kraft. Er ist zahllosen Schocks ausgesetzt, die ihn verwunden, verkrüppeln, zerbrechen oder sogar die Struktur dessen, was er sein Ich nennt, völlig zersetzen oder auflösen können. Seiner Natur nach ist Schmerz ein nervliches und physisches Zurückschrecken vor einer gefährlichen und schädlichen Berührung. Er ist ein Teil dessen, was die Upanishad jugupsa nennt, das Zurückscheuen des begrenzten Wesens vor dem, was nicht es selbst ist, was nicht in Sympathie und Harmonie mit ihm steht. Er ist sein Impuls der Selbstverteidigung gegen “andere”. Von diesem Gesichtspunkt aus ist er ein Hinweis der Natur auf das, was vermieden werden oder, wenn es nicht erfolgreich vermieden werden kann, wieder in Ordnung gebracht werden soll. In der rein physischen Welt kommt der Schmerz nicht vor, solange das Leben nicht in sie eintritt. Bis dahin reichen die mechanischen Methoden aus. Die Aufgabe des Schmerzes beginnt, wenn das Leben mit seiner Gebrechlichkeit und unvollkommenen Herrschaft über die Materie auftritt. Er wächst mit dem Wachsen des Mentals im Leben. Seine Funktion dauert solange, wie das Mental in Leben und Körper, die es verwendet, gefesselt ist, von ihnen abhängt, um Erkenntnis zu gewinnen und sie zum Handeln zu verwenden, und ihren Beschränkungen, ichhaften Impulsen und Zielen unterworfen ist, die aus diesen Beschränkungen entstehen. Wenn und sobald das Mental im Menschen fähig wird, frei, ich frei zu werden und in Harmonie zu kommen mit allen anderen Wesen und mit dem Spiel der universalen Kräfte, vermindern sich Nutzen und Dienst des Leidens. Seine Daseinsberechtigung muß schließlich aufhören, und es kann nur noch als Atavismus der Natur fortdauern, als eine Gewohnheit, die ihre Nützlichkeit überlebt hat – ein Weiterbestehen des Niederen in der noch unvollkommenen Organisation des Höheren. Das Leiden zuletzt völlig auszuschalten, muß wesentliches Ziel sein bei dem vom Schicksal bestimmten Sieg der Seele über ihre Unterwerfung unter die Materie und über die egoistische Einschränkung im Mental.
Diese Ausschaltung ist
möglich, weil Schmerz und Lust an sich Strömungen der Seins-Seligkeit sind, die
eine unvollkommen, die andere übertrieben. Der Grund für diese Unvollkommenheit
und Übertriebenheit liegt in der Selbst-Zerteilung des menschlichen Wesens in
seinem Bewußtsein durch das Abgrenzen und Einschränken von maya. Die
Folge davon ist, daß das Individuum die Kontakte nicht universal aufnimmt,
sondern ichhaft und stückweise. Für die universale Seele enthalten alle Dinge
und alle Kontakte der Dinge in sich eine Essenz von Seligkeit, die am besten
durch den Sanskrit-Begriff der Ästhetik als rasa beschrieben wird; das bedeutet
zugleich den Saft oder die Essenz einer Sache und ihren Geschmack. Weil wir
nicht das Wesenhafte einer Sache bei ihrem Kontakt mit uns suchen, sondern nur
auf die Art ihrer Einwirkung schauen, auf unsere Begierden und Befürchtungen,
unser vielfaches Verlangen und angstvolles Zurückschrecken, nimmt rasa
die Formen von Kummer und Schmerz, einer unvollkommenen, vorübergehenden Lust
oder der Gleichgültigkeit an, rein wegen unserer Unfähigkeit, die Essenz der
Dinge zu erfassen. Wenn wir in Mental und Herz vollkommen ohne ichhafte
Interessen sein und dieses Losgelöstsein unserem nervlichen Wesen auferlegen
könnten, wäre die immer stärkere Ausschaltung dieser unvollkommenen und
übertriebenen Formen von rasa möglich und der wahre wesenhafte Geschmack
der unveränderlichen Seins-Seligkeit mit all ihren Variationen für uns
erreichbar. Wir gewinnen etwas von dieser Befähigung zur variablen aber
universalen Freude bei der ästhetischen Aufnahme von Dingen, die uns durch die
Bildenden Künste und die Poesie dargestellt werden. Dort können wir rasa,
den Geschmack, auch des Leidvollen, Schrecklichen, selbst des Furchtbaren und
Abstoßenden genießen. (In der Sanskrit-Rhetorik heißen die Begriffe dieses
rasa: karuna, bhayanaka und bibhatsa.) Der Grund dafür ist,
daß wir losgelöst, ohne ichhaftes Interesse sind, nicht an uns selbst oder
unsere Selbst-Verteidigung, jugupsa, denken, sondern nur an die Sache und
an ihr Wesen. Sicher ist ein solches ästhetisches Empfangen der Kontakte kein
genaues Bild und auch keine Widerspiegelung der Reinen Seligkeit, die
supra-mental und supra-ästhetisch ist. Letztere würde Kummer, Angst, Schrecken
und Abscheu zusammen mit ihren Ursachen beseitigen, während erstere sie noch
bestehen läßt; aber sie stellt partiell und unvollkommen eine der Stufen der
progressiven Seligkeit der Universalen Seele in ihrer Manifestation in den
Dingen dar und führt uns in dieser einen Schicht unserer Natur hin zu jener
Losgelöstheit vom
ichhaften Empfinden und zu
jener universalen Haltung, durch die die Eine Seele dort Harmonie und Schönheit
schaut, wo wir zerteilten Wesen eher Chaos und Zwietracht erfahren. Unsere
vollständige Befreiung kann aber erst durch eine ähnliche Befreiung in allen
unseren Schichten kommen, ist die universale Empfindung des Schönen, der
universale Stand in der Erkenntnis, die universale Losgelöstheit von allen
Dingen und dennoch eine Sympathie mit allen in unserem nervlichen und
emotionalen Wesen.
Die Natur des Leidens besteht darin, daß die Bewußte Kraft in uns versagt, die Schocks des Daseins auszuhalten, deshalb zurückschreckt und sich zusammenzieht; darum liegt an seiner Wurzel eine Unausgeglichenheit zwischen der Kraft, die aufnimmt, und der Kraft, die das Aufgenommene im Besitz hält. Die Ursache ist unser Selbst-Eingeschränktsein durch Ichhaftigkeit als Folge der Unkenntnis unseres Selbsts, des saccidananda. Darum muß zur Ausschaltung des Leidens zuerst titiksa das jugupsa ersetzen: daß wir allen Schocks des Daseins standhalten, sie ertragen und überwinden, statt vor ihnen zurückzuschrecken und uns in uns zusammenzuziehen. Durch dieses Ertragen und Überwinden kommen wir weiter zur Gelassenheit, die entweder gelassene Indifferenz allen Kontakten gegenüber sein mag oder gelassene Freude in allen Kontakten. Diese Gelassenheit muß eine feste Grundlage dadurch bekommen, daß das saccidananda-Bewußtsein, das die All-Seligkeit ist, das Ich-Bewußtsein ersetzt, das Freude und Leid empfindet. Das saccidananda-Bewußtsein kann dabei dem Universum gegenüber transzendent und erhaben sein. Zu diesem Zustand einer entrückten Seligkeit führt der Pfad gleichmütiger Indifferenz, der Pfad des Asketen. Oder das saccidananda-Bewußtsein mag gleichzeitig transzendent und universal sein. Zu diesem Zustand gegenwärtiger und all-umfassender Seligkeit führt der Pfad der Unterwerfung und Hingabe des Ichs an das Universale und der Besitz einer alles durchdringenden gelassenen Freude. Das ist der Pfad der Weisen der alten Zeit, der Kenner des Veda. Aber das erste unmittelbare und natürliche Ergebnis der Selbst-Disziplin der Seele ist Neutralität gegenüber den unvollkommenen Einwirkungen von Lust und den übertriebenen Einwirkungen von Schmerz. Wandlung zur gelassenen Freude kann gewöhnlich erst danach kommen. Die unmittelbare Transformation der dreifachen Vibration in ananda ist möglich, aber für das menschliche Wesen weniger leicht.
Eine solche Betrachtung
des Universums ergibt sich also aus der integralen bejahenden Erkenntnis des
Vedanta. Ein unendliches, unteilbares Sein, all-wonnevoll in seiner reinen
Selbst-Bewußtheit, tritt aus seiner fundamentalen Reinheit in das vielartige
Spiel der Kraft, die Bewußtsein ist, in die Bewegung von prakriti, die
das Spiel von maya ist. Die Seligkeit seines Seins ist zuerst im Selbst
gesammelt, ganz absorbiert und unterbewußt in der Basis des physischen
Universums. Dann tritt sie in einer großen Masse neutraler Bewegung hervor, die
aber noch nicht das ist, was wir mit Empfindung bezeichnen. Sie kommt weiter
heraus mit dem Wachsen des Mentals und des Ichs in der dreifachen Vibration von
Schmerz, Lust und Indifferenz, die der Eingrenzung der Bewußtseins-Kraft in die
Form entspringt und der Tatsache, daß sie den Schocks der universalen Kraft
ausgesetzt ist, die sie als fremdes Element und Disharmonie empfindet gegenüber
ihrem eigenen Maß und Standard. Zuletzt tritt saccidananda voll und
bewußt in seinen Schöpfungen hervor durch Universalität, Gelassenheit, den
Besitz des Selbsts und den Sieg über die Natur. Dieses ist der Lauf und die
Bewegung der Welt.
Wenn man also fragt, warum das Eine Sein in einer
solchen Bewegung Freude finden sollte, liegt die Antwort in der Tatsache, daß
Seiner Unendlichkeit alle Möglichkeiten eingeboren sind und daß die
Seins-Seligkeit – und zwar in ihrem veränderlichen Werden, nicht nur in ihrem
unveränderlichen Sein – genau im Bereich der verschiedengestaltigen
Verwirklichungen seiner Möglichkeiten liegt. Die Möglichkeit, die hier im
Universum, von dem wir ein Teil sind, herausgearbeitet wird, fängt damit an, daß
sich saccidananda in dem verbirgt, was als sein eigenes Gegenteil
erscheint, und daß es sich selbst gerade inmitten der Begriffe des ihm
Entgegengesetzten finden muß. Unendliches Sein verliert sich an die Erscheinung
des Nicht-Seienden und tritt daraus hervor in der Erscheinung einer endlichen
Seele. Unendliches Bewußtsein verliert sich selbst an die Erscheinung einer
unermeßlichen indeterminierten Unbewußtheit und tritt in der Erscheinung eines
oberflächlichen begrenzten Bewußtseins wieder hervor. Unendliche sich selbst
erhaltende Kraft verliert sich in die Erscheinung eines Chaos von Atomen und
tritt in der Erscheinung einer unsicheren Gleichgewichtslage einer Welt wieder
hervor. Unendliche Seligkeit verliert sich selbst an die Erscheinung einer
empfindungslosen Materie und tritt wieder hervor in der Erscheinung eines
disharmonischen Rhythmus von abwechselndem Schmerz, Lust und neutralem Fühlen, von Liebe, Haß und Indifferenz. Unendliche
Einheit verliert sich selbst in die Erscheinung eines vielfältigen Chaos und
taucht in einer Disharmonie von Kräften und Wesen wieder auf, die eine Einheit
dadurch wiederzugewinnen suchen, daß sie einander in Besitz nehmen, zerstören
und verschlingen wollen. In einer solchen Schöpfung muß das wirkliche
saccidananda hervortreten. Der Mensch, das individuelle Wesen, muß zu einem
universalen Wesen werden und als solches leben. Sein beschränktes mentales
Bewußtsein muß sich zu der überbewußten Einheit ausweiten, in der jeder einzelne
alle umschließt. Sein enges Herz muß die unendliche Umarmung lernen. Es muß
seine Gelüste und Zwiespältigkeiten durch universale Liebe ersetzen. Sein
eingeengtes mentales Wesen soll dem ganzen Schock des Universums gewachsen sein
und darin die universale Seligkeit empfinden können. Sogar sein physisches Wesen
soll von sich wissen, daß es keine abgesonderte Gestaltung, sondern eins ist mit
dem ganzen Strom jener unteilbaren Kraft, die in allen Dingen ist, und daß es
diese in sich trägt und nährt. Seine ganze Natur soll im Individuum die Einheit,
Harmonie und das Eins-in-allen-Sein der Höchsten Seins-Bewußtseins-Seligkeit
immer neu darstellen.
Mitten in diesem ganzen Spiel ist die geheime Wirklichkeit immer die eine und selbe Seins-Seligkeit. Sie ist dieselbe in der Seligkeit des unterbewußten Schlafs, bevor das Individuum hervortritt, in der Seligkeit des Widerstreits und all der Spielarten, Schicksalsschläge, Übertreibungen, Wandlungen, Umkehrungen des Bemühens, sich im Gewirr des halb-bewußten Traums zurechtzufinden, dessen Mittelpunkt das Individuum ist. Sie ist dieselbe in der Seligkeit des ewigen überbewußten Selbst-Besitzes, zu der der Mensch erwachen und dort eins werden soll mit dem unteilbaren saccidananda. Das ist das Spiel des Einen, des Herrn, des Alls, wie es sich unserer befreiten und erleuchteten Erkenntnis von dem es empfangenden Standpunkt dieses materiellen Universums her offenbart.
Kapitel XIII. Die Göttliche Maya
Im Namen des Herrn und
in ihrem Namen gestalteten und maßen sie die Kraft der Mutter des Lichts. Macht
um Macht dieser Kraft trugen die Herren der maya als ein Gewand und arbeiteten
so die Form aus in diesem Seienden. Die Meister von maya gestalteten alles durch
Seine maya. Die Väter, die die göttliche Schau haben, setzten Ihn ins Innere wie
ein Kind, das geboren werden soll.
Rig Veda, III,38.7.; IX,83.3.
Sein, das durch die Macht und aus reiner Freude seines
bewußten Wesens wirkt und erschafft, ist die Wirklichkeit, die wir sind, das
Selbst all unserer Seinsweisen und Stimmungen, Ursache, Zweck und Ziel all
unseres Handelns, Werdens und Erschaffens. Wie der Dichter, Künstler oder
Musiker, wenn er etwas erschafft, in Wirklichkeit nichts anderes tut, als eine
in seinem nichtmanifestierten Selbst enthaltene Potenz in eine Form der
Manifestation zu entfalten, wie Denker, Staatsmann, Techniker nur das in
dingliche Gestaltung herausbringen, was in ihnen selbst verborgen lag, was sie
selbst waren und auch dann noch sind, wenn es in Form geprägt ist, so ist es mit
der Welt und mit dem Ewigen. Alle Schöpfung oder alles Werden ist nichts als
diese Selbst-Manifestation. Aus dem Keim entwickelt sich, was schon im Keim
enthalten ist, präexistent war, im Wesen prädestiniert ist in seinem Willen zum
Werden, im voraus angelegt ist auf die Seligkeit des Werdens. Das ursprüngliche
Plasma enthielt schon in sich, in der Kraft des Wesens, den aus ihm entstehenden
Organismus. Denn immer ist es jene geheime, die Last der Schöpfung tragende,
selbst-bewußte Kraft, die sich unter ihrem eigenen unwiderstehlichen Impuls
abmüht, die Form ihrer selbst zu manifestieren, mit der sie belastet ist. Allein
der individuelle Mensch, der aus sich heraus etwas erschafft oder entwickelt,
macht einen Unterschied zwischen sich, der in ihm wirkenden Kraft und dem von
ihm bearbeiteten Material. In Wirklichkeit ist er die Kraft selbst. Das
individualisierte Bewußtsein, das der Kraft als Werkzeug dient, ist er selbst.
Das Material, das sie verwendet, ist er selbst. Und auch die sich ergebende Form ist er selbst. Mit anderen Worten: es gibt nur ein einziges Sein,
eine einzige Kraft, eine einzige Seligkeit des Wesens, die sich an verschiedenen
Punkten konzentriert und an jedem Punkt sagt: “Dieses bin ich” und dort durch
ein vielfältiges Spiel der Selbst-Kraft für ein vielfältiges Spiel der
Selbst-Gestaltung wirkt.
Was diese Selbst-Kraft hervorbringt, ist sie selbst. Es kann nichts anderes als sie selbst sein. Sie arbeitet ein Spiel aus, einen Rhythmus, eine Entfaltung ihres eigenen Seins, ihrer eigenen Bewußtseins-Kraft und ihrer Seins-Seligkeit. Darum sucht alles, was in die Welt eintritt, nichts anderes als dies: zu sein, zu der beabsichtigten Gestaltung zu gelangen, sein Selbst-Sein in dieser Gestalt auszuweiten, das Bewußtsein und die ihm innewohnende Macht zu entwickeln, zu manifestieren, zu vermehren, bis ins Unendliche zu realisieren. Es will die Freude seines Eintritts in die Manifestation besitzen: die Seligkeit der Form des Seienden, die Seligkeit des Rhythmus des Bewußtseins, die Seligkeit des Spiels der Kraft. Diese Freude will es mit allen verfügbaren Mitteln vergrößern und vervollkommnen, in jeder Richtung, durch jede Idee seiner selbst, die ihm nahe gelegt wird durch das Sein, die Bewußtseins-Kraft und die Seligkeit, die in seinem tiefsten Wesen wirksam wird.
Wenn es ein Ziel, eine Vollkommenheit gibt, nach der alles strebt, kann es – beim Individuum ebenso wie bei dem Ganzen, das die Einzelnen konstituieren – nur die Vervollkommnung seines Selbst-Seins sein, seiner Macht, seines Bewußtseins und seiner Freude als Seiendes. Solange aber das individuelle Bewußtsein innerhalb der Grenzen der individuellen Gestaltung konzentriert ist, kann es keine solche Vollkommenheit haben. Eine absolute Vollkommenheit ist im Endlichen nicht erreichbar, weil sie dem Selbst-Begriff des Endlichen fremd ist. Darum ist einzig mögliches Endziel das Hervortreten des unendlichen Bewußtseins im individuellen Menschen. So entdeckt er wieder die Wahrheit von sich selbst durch Selbst-Erkenntnis und Selbst-Verwirklichung, die Wahrheit des Unendlichen im Seienden, des Unendlichen im Bewußtsein, des Unendlichen in der Freude, die er wieder in Besitz nimmt als sein eigenes Selbst und als Wirklichkeit, von der das Endliche nur Maske und Instrument ist, um es in verschiedenartiger Weise auszudrücken.
So müssen wir uns, gerade durch die Natur des
Welt-Spiels, wie es von saccidananda in der ungeheuren Weite Seines als Raum und
Zeit ausgebreiteten Seins verwirklicht wurde, zuerst eine Involution und
Selbst-Absorption des bewußten Wesens in die
Dichtigkeit und unendliche Teilbarkeit des Stoffs vorstellen. Anders kann es
keine endliche Variation geben. Ferner müssen wir erkennen, wie die Kraft, die
sich selbst in das geformte, in das lebendige und in das denkende Wesen
einsperrte, daraus hervortritt. Schließlich sehen wir, wie das gestaltete
denkende Wesen in die freie Verwirklichung seiner selbst als das Eine und
Unendliche freigesetzt wird, das in der Welt sein Spiel aufführt. Durch die
Befreiung erlangt es wieder die grenzenlose Seins-Bewußtseins-Seligkeit, die es
jetzt schon insgeheim wirklich und ewig ist. Diese dreifache Bewegung ist der
ganze Schlüssel des Welt-Rätsels.
Auf diese Weise nimmt die alte ewige Wahrheit des Vedanta die moderne, an den äußeren Erscheinungen orientierte Wahrheit der Evolution im Universum in sich auf, erleuchtet und rechtfertigt sie und zeigt uns ihre volle Bedeutung. Nur so kann diese moderne Wahrheit der Evolution, die die alte Wahrheit des Universals ist, das sich in der Aufeinanderfolge der Zeit entfaltet, ihre volle Bedeutung und Rechtfertigung finden. Durch das Studium von Kraft und Materie allein wird sie nur dunkel geschaut, sie erleuchtet sich selbst durch das Licht der alten ewigen Wahrheit, die für uns noch in den vedantischen Schriften aufbewahrt ist. Dieser gegenseitigen Selbst-Entdeckung und Selbst-Erleuchtung durch die Verschmelzung alter östlicher und neuer westlicher Erkenntnis wendet sich heute das Denken der Welt zu.
Dennoch ist noch nicht alles erklärt, wenn wir gefunden haben, alle Dinge sind saccidananda. Wir erkennen zwar die Wirklichkeit des Universums, kennen aber nicht den Prozeß, durch den sich diese Wirklichkeit in diese Welt der Erscheinung verwandelt hat. Wir besitzen zwar den Schlüssel des Rätsels, müssen aber noch das Schloß finden, in das er paßt. Denn dieses Sein, diese Bewußte Kraft, diese Freude handelt nicht unmittelbar oder mit souveräner Unverantwortlichkeit wie ein Zauberer, der Welten und Systeme des Universums durch das reine Gebot seines Wortes aufbaut. Wir nehmen einen Prozeß wahr und erkennen ein Gesetz.
Es ist wahr, daß sich bei unserer Analyse dieses Gesetz
in ein Gleichgewicht des Spiels von Kräften und in eine Bestimmung dieses Spiels
durch bestimmte Grundregeln aufzulösen scheint, die durch das Zusammentreffen
von Entwicklung und gewohntem Ablauf früher verwirklichter Energie wirken. Diese
scheinbare und sekundäre Wahrheit ist aber für uns nur so lange gültig, als wir
allein Kraft wahrnehmen. Wenn wir erkennen, daß
Kraft ein Selbstausdruck des Seins ist, müssen wir auch einsehen, daß die von
der Kraft eingeschlagene Richtung einer Selbst-Wahrheit jenes Seins entspricht,
das die konstante Kurve und Bestimmung der Kraft regiert und determiniert. Da
Bewußtsein die Natur des ursprünglichen Seins und das Wesen seiner Kraft ist,
muß diese Wahrheit eine Selbst-Wahrnehmung im Bewußten Seienden sein und diese
Bestimmung der von der Kraft eingeschlagenen Richtung von der Macht eines
selbst-dirigierenden Wissens herrühren, das dem Bewußtsein eingeboren ist und es
dazu befähigt, seine Kraft unwiderstehlich auf die logische Bahn ursprünglicher
Selbst-Wahrnehmung zu lenken. Also gibt es im universalen Bewußtsein eine
selbst-bestimmende Macht, eine Fähigkeit im Selbst-Innesein des unendlichen
Seins, eine gewisse Wahrheit in sich selbst zu erkennen und ihre Kraft zur
Schöpfung auf der Linie dieser Wahrheit, die ständig über der kosmischen
Manifestation waltet, zu leiten.
Warum sollten wir aber zwischen das unendliche Bewußtsein selbst und das Resultat seines Wirkens eine besondere Macht oder Befähigung einschieben? Könnte sich dieses Selbst-Innesein des Unendlichen nicht frei entfalten und Gestaltungen schaffen, die nachher solange im Spiel bleiben, als über sie kein Gebot ausgesprochen wird, das verlangt, sie sollten aufhören, – etwa so, wie uns die alte Offenbarung der Semiten berichtet: “Gott sprach, es werde Licht, und es ward Licht”? Wenn wir nun sagen: “Gott sprach, es werde Licht”, nehmen wir den Akt einer Bewußtseins-Macht an, die entscheidet, daß Licht aus allem anderen entstehen soll, das nicht Licht ist. Wenn wir weiter sagen: “und es ward Licht”, setzen wir eine lenkende Kraft voraus, eine aktive Macht, die der ursprünglichen, wahrnehmenden Macht entspricht und das Phänomen hervortreten läßt. Da sie Licht gemäß der ursprünglichen Wahrnehmung herausarbeitet, verhindert sie, daß es von all den unendlichen Möglichkeiten überwältigt wird, die anders sind als es. Ein unendliches Bewußtsein kann in seiner unendlichen Aktion nur unendliche Resultate zustande bringen. Um auf der Grundlage einer feststehenden Wahrheit oder einer Ordnung von Wahrheiten eine Welt in Übereinstimmung mit dem zu errichten, was festgelegt ist, ist eine auswählende Kraft des Wissens erforderlich, die den Auftrag hat, eine endliche Erscheinung aus der unendlichen Wirklichkeit zu gestalten.
Diese Macht war den vedischen Sehern unter dem Namen
maya bekannt. Für sie bedeutet maya die Macht unendlichen Bewußtseins, aus der unermeßlichen, unbegrenzten Wahrheit unendlichen Seins Namen und
Gestalt zu begreifen, in sich zu enthalten und abzugrenzen, d. h. zu formen – denn Form ist Abgrenzung. So wird durch maya jene statische Wahrheit des
wesenhaft Seienden zur geordneten Wahrheit des aktiv Seienden, oder – in einer
mehr metaphysischen Sprache – aus dem Höchsten Wesen, in dem alles ohne die
Schranke eines trennenden Bewußtseins alles ist, tritt das phänomenale Dasein
hervor, in dem alles in jedem einzelnen und jeder einzelne in allem ist, für das
Spiel des Seins mit dem Sein, des Bewußtseins mit dem Bewußtsein, der Kraft mit
der Kraft und der Seligkeit mit der Seligkeit. Dieses Spiel aller im einzelnen
und jedes einzelnen in allem wird anfangs vor uns verborgen durch das mentale
Spiel oder die Illusion von maya, das den einzelnen zwar davon überzeugt,
daß er in allem ist, daß aber nicht alle in ihm seien, daß er unter allen als
ein abgesondertes Wesen lebe, nicht aber als ein Wesen, das immer untrennbar
eins ist mit dem übrigen Dasein. Später müssen wir aus diesem Irrtum in das
supramentale Spiel oder in die Wahrheit von maya kommen, wo “jeder
einzelne” und “alle” in der untrennbaren Einheit der einen Wahrheit und des
vielfältigen Symbols zusammen existieren. Zuerst müssen wir diese niedere,
gegenwärtige und täuschende mentale maya akzeptieren, um sie dann zu
überwinden. Es ist Gottes Spiel mit Zerteilung, Finsternis und Begrenzung, mit
Begehren, Widerstreit und Leiden, in dem Er Sich Selbst der Kraft unterstellt,
die aus Ihm Selbst hervorging und Ihm ihre unerleuchtete Art als Leiden der
Verfinsterung auferlegt. An jener anderen maya, die durch diese mentale
maya verborgen ist, müssen wir zuerst vorübergehen. Später müssen wir sie
völlig annehmen, denn sie ist Gottes Spiel der Unendlichkeiten des Seins, der
Herrlichkeiten des Wissens, der Wunder der bemeisterten Kraft und der
Entzückungen unbegrenzter Liebe, bei dem Er aus der Umschlingung durch die Kraft
frei hervortritt, statt dessen nun sie umarmt und in ihr, der erleuchteten, das
zur Erfüllung bringt, wofür sie am Anfang aus Ihm hervorgegangen war.
Diese Unterscheidung zwischen niederer und höherer
maya ist in Denken und kosmischer Tatsache das Band, das die pessimistischen
und illusionistischen Philosophien übersehen oder mißachten. Für sie ist die
mentale maya – oder vielleicht ein Übermental – die Schöpferin der Welt.
Eine von mentaler maya erschaffene Welt wäre tatsächlich ein
unerklärliches Paradoxon und ein zwar formulierter aber ungreifbar fließender
Albdruck bewußten Seins, das man weder als Illusion noch als Wirklichkeit bezeichnen kann. Wir müssen einsehen, daß das Mental nur
der Begriff einer Stufe zwischen dem schöpferischen lenkenden Wissen und der in
ihre Werke eingesperrten Seele ist. Saccidananda, durch eine Seiner niederen
Bewegungen in selbst-vergessene Inanspruchnahme jener Kraft verwickelt, die sich
in die Gestalt ihrer eigenen Wirkensweisen verloren hat, kehrt aus dieser
Selbst-Vergessenheit zu Sich Selbst zurück. Das Mental ist nur eines Seiner
Instrumente beim Herniederkommen und Emporsteigen. Es ist ein Instrument der
niederkommenden Schöpfung, aber nicht die verborgene Schöpferin – eine
Übergangsstufe beim Emporsteigen, nicht die hohe Quelle unseres Ursprungs und
der höchste Zielbegriff kosmischen Seins.
Jene Philosophien, die allein das Mental als Schöpfer
der Welten anerkennen oder ein ursprüngliches Prinzip annehmen, wobei das Mental
der einzige Vermittler zwischen ihm und den Gestaltungen des Universums ist,
können in die rein nominalistischen und die idealistischen Philosophien
eingeteilt werden. Die rein nominalistischen erkennen im Kosmos nur das Werk des
Mentals, des Denkens, der Idee an. Idee kann aber rein willkürlich sein und
braucht keine wesenhafte Beziehung zu einer wirklichen Wahrheit des Seins zu
haben. Oder eine solche Wahrheit kann, wenn sie überhaupt existiert, als reines
Absolutes angesehen werden, das erhaben über allen Beziehungen schwebt und
unvereinbar ist mit einer Welt von Beziehungen. Die idealistische Deutung setzt
eine Beziehung zwischen der Wahrheit im Hintergrund und der von ihr konzipierten
Welt der Erscheinung im Vordergrund voraus, die Beziehung nicht nur einer
Antinomie und Opposition. Die von mir hier dargestellte Anschauung geht in der
Richtung des Idealismus weiter. Sie erkennt die schöpferische Idee als Real-Idee
an, als eine Macht Bewußter Kraft, die das wirkliche Wesen zum Ausdruck bringt,
aus dem wirklichen Wesen geboren ist und an seiner Natur teilnimmt, die also
weder ein Kind der Leere ist noch ein Webmeister von Fiktionen. Sie ist bewußte
Wirklichkeit, die sich in veränderliche Formen ihrer eigenen unvergänglichen und
unveränderlichen Substanz ausprägt. Darum ist die Welt keine Begriffs-Fiktion im
universalen Mental, sondern eine bewußte Geburt aus Jenem, das jenseits des
Mentals existiert, in Gestaltungen aus Jenem selbst. Eine Wahrheit von bewußtem
Wesen stützt und erhält diese Gestaltungen und bringt sich in ihnen zum
Ausdruck, und das so ausgedrückte, dieser Wahrheit entsprechende Wissen regiert
als supramentales Wahrheits-Bewußtsein,6
indem es reale Ideen in einer vollkommenen Harmonie organisiert, bevor sie in
die mental-vital-materielle Prägeform gegossen werden. Mental, Leben und Körper
sind ein untergeordnetes Bewußtsein und partieller Ausdruck. Sie streben danach,
in der Art einer wandelbaren Evolution zu jenem übergeordneten Ausdruck ihres
Selbst zu gelangen, der schon im Jenseits-des-Mentals vorhanden ist. Was in
jenem Jenseits-des-Mentals existiert, ist das Ideal, das zu realisieren das
Mental sich unter seinen eigenen Bedingungen abmüht.
Unter dem Gesichtspunkt unseres Emporsteigens können wir sagen: Das Wirkliche steht hinter allem, was existiert. Es bringt sich selbst mittelbar in einem Ideal zum Ausdruck, das eine harmonisierte Wahrheit seiner selbst ist. Das Ideal projiziert eine phänomenale Wirklichkeit von veränderlichem Bewußt-Seiendem nach außen, die unwiderstehlich zu ihrer eigenen wesenhaften Wirklichkeit hingezogen wird und versucht, diese zuletzt wieder vollständig zu erlangen, entweder durch einen gewaltigen Sprung oder, normalerweise, durch das Ideal, das sie hervorbrachte. Diese Tatsache erklärt die unvollkommene Wirklichkeit des menschlichen Daseins, wie sie vom Mental geschaut wird, und das instinktive Streben im mentalen Wesen zu einer Vervollkommnung immer jenseits seiner selbst, zu der verborgenen Harmonie des Ideals und zu dem höchsten Aufschwung des Geistes über das Ideal hinaus zum Transzendenten. Die wirklichen Tatsachen unseres Bewußtseins, seine Konstitution und sein Bedürfnis setzen eine solche dreifache Ordnung voraus. Sie verneinen die zweite, unversöhnliche Antithese eines bloßen Absoluten gegenüber einer bloßen Relativität.
Das Mental reicht nicht hin, das Sein im Universum zu
erklären. Unendliches Bewußtsein muß sich zuerst in unendliche Kraft zum Wissen
übertragen oder, wie wir es von unserem Gesichtspunkt aus nennen, Allwissenheit.
Das Mental ist aber keine Befähigung zum Wissen und auch kein Instrument der
Allwissenheit. Es besitzt die Fähigkeit, nach Wissen zu suchen, in gewissen
Formen relativen Denkens so viel davon auszudrücken, wie es erlangen kann, und
es zu gewissen Leistungen des Handelns zu
verwenden. Selbst wenn das Mental etwas findet, besitzt es dieses doch nicht. Es
kann sich immer nur ein gewisses Kapital an gängiger Münze der Wahrheit, jedoch
nie die Wahrheit selbst, in der Bank des Gedächtnisses halten, um je nach seinen
Bedürfnissen davon abzuheben. Denn das Mental ist etwas, das nicht weiß, sondern
zu wissen trachtet, und das niemals direkt, sondern nur indirekt weiß “wie in
einem dunklen Spiegel”. Es ist die Macht, die die Wahrheit des universalen Seins
für die praktischen Verwendungen in einer gewissen Ordnung der Dinge
interpretiert. Es ist nicht die Macht, die jenes Sein kennt oder lenkt. Darum
kann es auch nicht die Macht sein, die es erschaffen und manifestiert hat.
Setzen wir aber ein unendliches Mental voraus, frei von unseren Einschränkungen, könnte das nicht vielleicht der Schöpfer des Universums sein? Ein solches Mental wäre aber etwas von der Definition des Mentals, wie wir es kennen, völlig Verschiedenes. Es wäre etwas jenseits der Mentalität. Es wäre die supramentale Wahrheit. Ein unendliches Mental, konstruiert nach den Begriffen der Mentalität, wie wir sie kennen, könnte nur ein unendliches Chaos erschaffen, einen ungeheuren Zusammenprall von Zufällen, Unfällen, Wechselfällen. Es würde sich immer auf ein unbestimmtes Ziel hin bewegen, nach dem es mit unsicherem Suchen tastet und strebt. Ein unendliches, allwissendes und allmächtiges Mental wäre überhaupt kein Mental. Es wäre supramentales Wissen.
Mental, wie wir es kennen, ist ein reflektierender
Spiegel, der Darstellungen oder Bilder einer prä-existenten Wahrheit oder
Tatsache empfängt, die für es etwas außerhalb von ihm Befindliches, zumindest
etwas viel Umfassenderes ist als es selbst. Es vergegenwärtigt sich von
Augenblick zu Augenblick das Phänomen, das ist oder gewesen ist. Es besitzt auch
die Fähigkeit, in sich selbst mögliche Bilder zu konstruieren, die anders sind
als die ihm dargebotene aktuelle Tatsache. Das bedeutet, es kann sich nicht nur
das Phänomen vergegenwärtigen, das gewesen ist, sondern auch ein Phänomen, das
sein könnte. Dabei ist zu beachten, daß es sich kein Phänomen vergegenwärtigen
kann, das mit aller Sicherheit eintreten muß, außer wenn es eine sichere
Wiederholung dessen ist, was jetzt ist oder schon gewesen ist. Schließlich hat
es noch die Fähigkeit, neue Abwandlungen vorauszusagen, die es aus dem
Zusammentreffen von dem, was gewesen ist, und dem, was kommen mag, zu
konstruieren sucht: aus der erfüllten und der noch unerfüllten Möglichkeit. Solche Konstruktionen gelingen ihm manchmal mehr oder
weniger genau. Manchmal verwirklichen sie sich aber gar nicht. Gewöhnlich findet
es sie dann in anderen Formen ausgeprägt, als es sie vorausgesehen hatte, und
daß sie zu anderen Zwecken dienen müssen, als es wünschte oder beabsichtigte.
Ein unendliches Mental dieses Charakters könnte vielleicht einen verhängnisvollen Kosmos aus einander widerstreitenden Möglichkeiten konstruieren; es könnte ihn in etwas Veränderliches, immer Vorübergehendes, in seinem Dahintreiben immer Ungewisses gestalten, das weder wirklich noch unwirklich ist und kein definitives Ziel und keinen endgültigen Zweck besitzt, nur eine endlose Aufeinanderfolge von zeitbedingten Zielen wäre, die schließlich nirgendwohin führt, – da es keine übergeordnete lenkende Macht des Wissens gibt. Der einzige logische Schluß aus einer solchen reinen Ideen-Lehre ist Nihilismus oder Illusionismus oder eine verwandte Weltanschauung. Ein so konstruierter Kosmos wäre eine Darstellung oder Widerspiegelung von etwas, das nicht selbst ein Kosmos ist, sondern immer und bis zum Ende eine falsche Darstellung, eine verzerrte Spiegelung. Die gesamte kosmische Existenz wäre ein Mental, das danach ringt, seine eigenen Phantasien vollständig auszuarbeiten, damit aber versagt, weil diese keine zwingende Grundlage in einer Wahrheit des Selbsts besitzen. Überwältigt und vorwärtsgerissen vom Strom seiner eigenen vergangenen Energien, würde es unbestimmt für immer ohne Zweck und Ziel weiter dahingetragen werden, wenn es nicht oder bis es sich entweder selbst vernichtet oder in ewige Stille versinken kann. Das ist, bis an die Wurzeln zurückverfolgt, Nihilismus und Illusionismus, und es ist die einzige Weisheit, wenn wir von der Voraussetzung ausgehen, unsere menschliche Mentalität oder überhaupt etwas wie sie stelle die höchste kosmische Kraft und die ursprüngliche Konzeption dar, die im Universum am Werk ist.
Jedoch wird von dem Augenblick an, wo wir in der
ursprünglichen Macht des Wissens eine höhere Kraft entdecken als die durch
unsere menschliche Mentalität dargestellte, diese Auffassung des Universums
unzureichend und darum ungültig. In ihr liegt zwar eine Wahrheit, doch nicht die
ganze Wahrheit. Sie ist ein Gesetz der unmittelbaren Erscheinung des Universums,
aber nicht das seiner ursprünglichen Wahrheit und letzten Tatsächlichkeit. Denn
wir nehmen hinter dem Wirken von Mental, Leben und Körper etwas wahr, das nicht
vom Strom der Kraft umfaßt wird, sondern diesen
in sich einbezieht und kontrolliert. Dieses Umfassende wurde nicht in eine Welt
hineingeboren, die es zu interpretieren sucht, sondern es hat in seinem Wesen
eine Welt erschaffen, deren Allwissenheit es besitzt. Es müht sich nicht ständig
ab, etwas aus sich zu gestalten, um dabei selbst auf den es überwältigenden
Wogen vergangener Energien, die es nicht mehr kontrollieren kann, dahingetrieben
zu werden. Vielmehr trägt es in seinem Bewußtsein bereits eine vollkommene Form
seiner selbst, die es hier stufenweise entfaltet. Die Welt ist der Ausdruck
einer vorausgeschauten Wahrheit, gehorcht einem vorausbestimmenden Willen,
verwirklicht eine ursprüngliche gestaltende Selbst-Schau – sie ist das immer
deutlicher hervortretende Ebenbild einer göttlichen Schöpfung.
Solange wir nur durch unsere von den Erscheinungen
beherrschte Mentalität wirken, kann das, was jenseits von uns, hinter uns und
doch uns immanent wirkt, nur eine indirekte Schlußfolgerung sein oder vage als
eine Gegenwart gefühlt werden. Wir nehmen ein Gesetz zyklischen Fortschritts
wahr und schließen daraus indirekt auf eine zunehmende Vervollkommnung von
etwas, das irgendwo vorausgewußt wird. Denn wir sehen überall ein Gesetz, das im
Selbst-Seienden gegründet ist, und finden, wenn wir in den rationalen Grund
seines Verfahrens eindringen, daß dieses Gesetz der Ausdruck eines eingeborenen
Wissens ist, das ursprünglich dem Sein innewohnt, das aus dem Sein selbst
hervortritt und in der Kraft enthalten ist, die es ausdrückt. Ein Gesetz, das
durch Wissen so entfaltet wird, daß es Fortschritt zuläßt, setzt ein göttlich
geschautes Ziel voraus, zu dem die Bewegung hingelenkt wird. Außerdem sehen wir,
daß unsere Vernunft aus dem hilflosen Getriebensein durch unsere Mentalität
herauszukommen und Herr über sie zu werden versucht. Dabei kommen wir zu der
Erkenntnis, daß Vernunft nur Bote, Stellvertreter oder Schatten eines höheren
Bewußtseins ist, das jenseits von ihr existiert und für sich den
Vernunftgebrauch gar nicht nötig hat, da es alles ist und alles weiß, was es
ist. Von da aus können wir weiter schließen, diese Quelle der Vernunft sei mit
dem Wissen identisch, das als Gesetz in der Welt wirkt. Dieses Wissen bestimmt
souverän sein eigenes Gesetz, weil es weiß, was gewesen ist, was ist und was
sein wird. Es weiß das, weil es ewig ist und sich selbst ohne Grenzen kennt. So
wird Seiendes, das unendliches Bewußtsein ist, und unendliches Bewußtsein, das
allmächtige Kraft ist, wenn es eine Welt – das heißt eine Harmonie seiner selbst
– zum Gegenstand von Bewußtsein macht, für unser
Denken als ein kosmisches Sein erkennbar, das seine eigene Wahrheit weiß und in
Gestaltungen verwirklicht, was es weiß.
Dieses andere Bewußtsein wird aber für uns erst dann wirklich offenbar, wenn wir aufhören, uns allein auf die Vernunft zu verlassen, und tief in unser Inneres eindringen, in jenen geheimen Bereich, wo die Aktivität des Mentals stillgelegt ist – auch wenn diese Manifestation noch unvollkommen ist, weil wir so lange an die mentale Reaktion und Beschränktheit gewöhnt sind. Wir können nun in wachsender Erleuchtung und Gewißheit das erkennen, was wir nur unsicher im blassen, flackernden Licht der Vernunft wahrgenommen hatten. Wissen wartet auf uns; sein Sitz ist jenseits von Mental und intellektuellem Vernunft-Denken, sein Thron steht in den leuchtenden Weiten unbegrenzbarer Selbst-Schau.
Kapitel XIV. Das Supramental als Schöpfer
Alle Dinge sind
Selbst-Entfaltungen des Göttlichen Wissens.
Vishnu Purana, II.12.39.
Ein Prinzip aktiven Willens und Wissens, dem Mental übergeordnet und Schöpferin der Welten, ist die vermittelnde Macht und der Zustand des Seienden zwischen jenem Selbst-Besitz des Einen und dem Fluten der Vielen. Dieses Prinzip ist uns nicht völlig fremd. Es gehört nicht ausschließlich und unmittelbar einem Wesen an, das völlig anders wäre als wir selbst, oder einem Seins-Zustand, von dem wir auf geheimnisvolle Weise in die Geburt geworfen, aber auch zurückgestoßen werden, unfähig zurückzukehren. Wenn dieses Prinzip auch auf Höhen weit oberhalb von uns zu liegen scheint, so sind das doch Höhen unseres eigenen Wesens, unserem Schritt erreichbar. Wir können jene Wahrheit uns nicht nur logisch erschließen und flüchtig sehen, wir sind auch befähigt, sie zu realisieren. Wir können durch immer stärkere Ausweitung unseres Selbsts oder durch eine plötzliche erleuchtete Selbst-Transzendierung in unvergeßlichen Augenblicken uns zu diesen Höhen emporschwingen oder für die Dauer von Stunden oder Tagen höchster übermenschlicher Erfahrung auf ihnen verweilen. Wenn wir wieder herabsteigen, verbleiben uns Tore der Kommunikation dorthin, die wir immer offen halten oder wieder auftun können, wenn sie sich auch ständig schließen sollten. Dort, auf diesem letzten höchsten Gipfel des erschaffenen und schöpferischen Seienden dauernd zu verweilen, ist schließlich das erhabene Ideal unseres sich entwickelnden menschlichen Bewußtseins, wenn es seine Selbst-Vervollkommnung, nicht seine Selbst-Vernichtung sucht. Denn das ist, wie wir gesehen haben, die ursprüngliche Idee und die endgültige Harmonie und Wahrheit, zu der unser Selbst, das sich stufenweise in der Welt zum Ausdruck bringt, zurückkehrt und die zu erlangen seine Bestimmung ist.
Dennoch mögen wir zweifeln, ob es jetzt oder überhaupt
möglich ist, dem menschlichen Intellekt einen Bericht von diesem Zustand zu
geben oder seine göttlichen Wirkensweisen für
die Erhöhung unseres menschlichen Wissens und Handelns in einer mittelbaren und
organisierbaren Weise zu verwenden. Der Zweifel erhebt sich nicht nur aus der
Seltenheit und fragwürdigen Art bekannter Phänomene, die eine menschliche
Betätigung dieser göttlichen Kraft verraten, oder aus der großen Distanz, die
dieses Wirken von der Erfahrung und beweisbaren Erkenntnis gewöhnlichen
Menschseins trennt. Zweifel wird auch durch den offensichtlichen Widerspruch,
sowohl im Wesen wie im Funktionieren, zwischen der menschlichen Mentalität und
dem göttlichen Supramental höchst nahe gelegt.
Gewiß wäre es ganz unmöglich, unseren menschlichen
Vorstellungen von diesem Bewußtsein Bericht zu geben, wenn es überhaupt keine
Beziehung zum Mental noch irgendeine Identität mit dem mentalen Wesen hätte.
Wäre andererseits in seiner Natur nur Schau in Erkenntnis und überhaupt keine
dynamische Macht der Erkenntnis, könnten wir vielleicht hoffen, durch den
Kontakt mit ihm in einen seligen Zustand mentaler Erleuchtung zu gelangen, nicht
aber zu mehr Licht und stärkerer Macht für unser Wirken in der Welt. Da dieses
Bewußtsein aber die Schöpferin der Welt ist, muß es nicht nur ein Zustand von
Wissen sein, sondern eine Macht des Wissens, nicht nur ein Wille zu Licht und
Schau, sondern ein Wille zu Macht und Wirken. Weil auch das Mental aus ihm
erschaffen wurde, muß das Mental eine Entfaltung durch Begrenzung aus dieser
ursprünglichen Kraft und diesem vermittelnden Akt höchsten Bewußtseins und
deshalb fähig sein, sich durch umgekehrte Entwicklung und Ausweitung wieder in
es zurückzuverwandeln. Im Wesenhaften muß das Mental mit dem Supramental stets
identisch sein und verborgen die Potenz des Supramentals enthalten, so
andersartig, ja entgegengesetzt es in seinen aktuellen Formen und festgelegten
Verfahrensweisen geworden sein mag. Darum ist es vielleicht kein irrationaler
und nutzloser Versuch, durch die Methode von Vergleich und Kontrast danach zu
streben, sich das Supramental vom Standpunkt und den Begriffen unserer
intellektuellen Erkenntnis her vorzustellen. Gewiß mögen deren Idee und Begriffe
unangemessen sein. Sie dienen uns aber doch als Scheinwerfer, der uns einen Weg
vorausleuchtet, wie wir ihn, mindestens bis zu einer gewissen Entfernung,
beschreiten können. Überdies hat das Mental die Fähigkeit, sich über sich selbst
zu erheben bis In bestimmte Höhen oder Ebenen des Bewußtseins, die in ihrem
Bereich ein abgewandeltes Licht oder eine Macht des supramentalen Bewußtseins empfangen, und dieses durch Erleuchtung, Intuition, direkten Kontakt
oder Erfahrung zu erkennen, wenn auch dem Menschen noch nicht ermöglicht wurde,
in jenen Bereichen des Bewußtseins zu leben, von dorther zu schauen und zu
handeln.
Zuerst wollen wir einen Augenblick innehalten und uns fragen, ob wir nicht in der Vergangenheit ein Licht finden können, das uns zu diesen noch wenig erforschten Bereichen führen kann. Wir brauchen einen Namen und einen Ausgangspunkt. Wir haben diesen Bewußtseins-Zustand das Supramental genannt. Das Wort ist aber doppelsinnig. Man könnte darunter ein Mental verstehen, das “super-eminent” ist, zwar über die gewöhnliche Mentalität emporgehoben, aber nicht radikal umgewandelt. Oder das Wort könnte im Gegensatz dazu auch die Bedeutung von alldem haben, was jenseits vom Mental liegt. Dann würde es einen viel zu weiten Begriffsumfang annehmen, der letztlich sogar das Unnennbare mit einbeziehen würde. Eine Hilfs-Beschreibung ist notwendig, die seine Bedeutung genauer eingrenzen soll.
Hier helfen uns die geheimnisvollen Verse des Veda,
denn sie enthalten, wenn auch verborgen, die Botschaft vom göttlichen und
unsterblichen Supramental, und durch die Verhüllung kommen einige erleuchtende
Strahlen zu uns. Durch diese Äußerungen hindurch können wir den Begriff dieses
Supramentals erkennen als unermeßliche Weite jenseits der gewöhnlichen Horizonte
unseres Bewußtseins, in denen die Wahrheit des Wesens in lichtvoller Weise eins
ist mit allem, das sie zum Ausdruck bringt, und unausweichlich sicherstellt die
Wahrheit von Schau, Formulierung, Anordnung, Wort, Akt und Bewegung und darum
auch die Wahrheit des Ergebnisses der Bewegung, des Ergebnisses von Aktion und
Ausdruck, unfehlbarer Anordnung oder Gesetz. Unbegrenztes Allumgreifendsein,
lichtvolle Wahrheit und Harmonie des Seienden in dieser Unendlichkeit, nicht
vages Chaos oder selbst-verlorene Finsternis, Wahrheit von Gesetz, Wirken und
Erkenntnis, die diese harmonische Wahrheit des Seienden zum Ausdruck bringen:
das scheinen die wesentlichen Begriffe der Beschreibung im Veda zu sein. Die
Götter sind in ihrer höchsten geheimen Wesensart Mächte dieses Supramentals, aus
ihm geboren, in ihm thronend als in ihrem eigentlichen Heim, in ihrem Wissen
“Wahrheits-bewußt” und bei ihrem Handeln im Besitz des “Seher-Willens”. Ihre
bewußte Kraft, dem Wirken und Erschaffen zugewandt, ist im Besitz und wird
gelenkt von einem vollkommenen und unmittelbaren Wissen dessen, das getan werden
muß, von dessen Wesen und Gesetz,
– einem
Wissen, das eine vollwirksame Willens-Macht bestimmt, die in ihrem Verfahren
oder in ihrem Ergebnis nicht abirrt oder schwankt, sondern spontan und
unumgänglich das im Wirken zum Ausdruck und zur Erfüllung bringt, was in der
Vision geschaut wurde. Hier ist Licht geeint mit Kraft, die Vibrationen des
Erkennens mit dem Rhythmus des Wollens, und beide sind vollkommen ohne Suchen,
Tasten oder Bemühen eins mit dem gesicherten Ergebnis. Diese göttliche Natur hat
eine doppelte Macht, eine spontane Selbst-Formulierung und Selbst-Anordnung, die
in natürlichster Weise aus der Wesenhaftigkeit der geoffenbarten Sache strömt
und ihre ursprüngliche Wahrheit ausdrückt, sowie eine Selbst-Kraft von Licht,
die der Sache selbst eingeboren und die Quelle ihrer spontanen, unbeirrbaren
Selbst-Anordnung ist.
Hier gibt es untergeordnete aber wichtige Einzelheiten. Die vedischen Seher scheinen von zwei ursprünglichen Fähigkeiten der “wahrheitsbewußten” Seele zu sprechen. Das sind Sehen und Hören, womit unmittelbare Betätigungen eines eingeborenen Wissens gemeint sind, die als Wahrheits-Schau und Wahrheits-Hören beschrieben werden und von weit her in unserer Mentalität durch die Fähigkeiten der Offenbarung und Eingebung reflektiert werden. Außerdem scheint in den Wirkensweisen des Supramentals unterschieden zu werden zwischen einem Wissen durch ein verstehendes und durchdringendes Bewußtsein, das der subjektiven Erkenntnis durch Identität sehr nahe kommt, und einem Wissen durch projizierendes, gegenüberstellendes und wahrnehmendes Bewußtsein, das der Anfang objektiver Kenntnisnahme ist. Das sind die vedischen Andeutungen. Aus dieser alten Erfahrung können wir den Hilfsbegriff “Wahrheits-Bewußtsein” übernehmen, um den Begriffsinhalt des elastischen Ausdrucks Supramental abzugrenzen.
Wir sehen sofort, daß ein so charakterisiertes
Bewußtsein eine vermittelnde Formulierung sein muß, die einerseits zurückweist
auf einen Begriff oberhalb von ihm und andererseits nach vorn weist auf einen
anderen Begriff, der unterhalb von ihm liegt. Zugleich sehen wir, daß dieses
Bewußtsein offensichtlich das Verbindungsglied und Mittel ist, durch das sich
das Niedere aus dem Höheren entfaltet, und in gleicher Weise auch das
Verbindungsglied und Mittel sein soll, durch das es sich wieder zurück zu seinen
Ursprung entwickeln kann. Der Begriff oberhalb ist das unitarische oder
unteilbare Bewußtsein des reinen saccidananda, in dem es keine trennenden
Unterscheidungen gibt. Der Begriff unterhalb ist
das analytische oder zerteilende Bewußtsein des Mentals, das nur durch Trennung
und Unterscheidung erkennen kann und darum höchstens eine vage und abgeleitete
äußerliche Wahrnehmung von Einheit und Unendlichkeit besitzt, – denn, obwohl es
durch eine Synthese seine Trennungen wieder zusammenzufügen vermag, kann es doch
nicht zu wahrer Totalität gelangen. Zwischen beiden liegt das begreifende,
schöpferische Bewußtsein. Durch seine Macht zu eindringender und verstehender
Erkenntnis ist es das Kind jenes Selbst-Inneseins durch Identität, das die
Gelassenheit von brahman ist. Durch seine Macht zu projizierender,
gegenüberstellender, wahrnehmender Erkenntnis ist es der Vater jenes
Gewahrwerdens durch Unterscheidung, das der Denkprozeß des Mentals ist.
Darüber steht die ewig feststehende und unveränderliche Formel von dem Einen, darunter die Formel von den Vielen, die, ewig veränderlich, im Fluß der Dinge einen festen unveränderlichen Standpunkt sucht, aber kaum findet. Dazwischen ist der Ort aller Dreieinigkeiten, von allem was zwei-einig ist, von allem, was zu den Vielen-im-Einen wird und doch Eins-in-Vielen bleibt, weil es ursprünglich Eines war, das potentiell stets Viele ist. Dieser Vermittlungsbegriff ist deshalb Anfang und Ende, Alpha und Omega jeglicher Schöpfung und Anordnung, der Ausgangspunkt aller Unterschiedlichkeit, das Instrument für alle Vereinigung, Urheber aller realisierten oder realisierbaren Harmonien, ihr bevollmächtigter Bewirker und ihr Vollender. Er hat das Wissen des Einen, ist aber fähig, aus dem Einen seine verborgenen Vielheiten herauszuziehen. Er manifestiert die Vielen, verliert sich aber nicht an ihre Unterschiedlichkeiten. Sollten wir also nicht sagen, gerade seine Existenz weist zurück auf Etwas, das jenseits unserer höchsten Wahrnehmungen der unaussprechlichen Einheit liegt, ein Etwas, das unnennbar und mental unbegreiflich ist, nicht wegen seines Einsseins und seiner Unteilbarkeit, sondern weil es selbst von diesen Formulierungen unseres Mentals frei ist, – ein Etwas jenseits von beidem, von Einheit und Vielfalt? Das wäre das äußerste Absolute und Wirkliche, das uns gerade deshalb unser Wissen von Gott und unsere Erkenntnis der Welt rechtfertigt.
Diese Begriffe sind jedoch umfassend und schwer zu begreifen. Wir wollen sie darum präzisieren. Wir sprechen von dem Einen als von saccidananda. In der Beschreibung stellen wir aber drei Weisheiten nebeneinander und vereinigen sie, um zu einer Dreieinigkeit zu kommen. Wir sagen: “Sein, Bewußtsein, Seligkeit” und sagen dann: “sie sind eins”.
Das ist ein Denkvorgang
des Mentals. Für das unitarische Bewußtsein ist ein solches Denken unzulässig.
Sein ist Bewußtsein, es kann keinen Unterschied zwischen ihnen geben. Bewußtsein
ist Seligkeit, auch hier kann zwischen beiden kein Unterschied bestehen. Da aber
selbst dieser Unterschied nicht existieren kann, wie kann es da eine Welt geben?
Wenn Jenes die einzige Wirklichkeit ist, existiert die Welt nicht und hat nie
existiert, sie kann auch niemals konzipiert worden sein. Denn ein unteilbares
Bewußtsein ist nicht zum Zerteilen fähig und kann darum auch nicht der Ursprung
von Trennung und Unterschiedlichkeit sein. Das ist aber eine reductio ad
absurdum. Wir könnten sie nur dann zulassen, wenn wir uns damit begnügen würden,
alles auf das Fundament eines unmöglichen Paradoxon und der Unvereinbarkeit
einer Antithese aufzubauen.
Andererseits kann das Mental nur getrennte Dinge mit Genauigkeit als wirklich begreifen. Es kann zwar eine synthetische Totalität oder das Endliche begreifen, das sich unendlich ausdehnt. Es kann Zusammensetzungen geteilter Dinge und die ihnen zugrunde liegende Gleichartigkeit begreifen. Aber letzte Einheit und absolute Unendlichkeit sind für sein bewußtes Verstehen der Dinge abstrakte Begriffe und ungreifbare Quantitäten, nichts, was für sein Erfassen wirklich wäre, viel weniger etwas, das allein wirklich ist. Hier steht also der dem unitarischen Bewußtsein völlig entgegengesetzte Begriff vor uns. Wir haben der wesenhaften und unteilbaren Einheit eine wesenhafte Vielfalt konfrontiert, die nicht zur Einheit gelangen kann, ohne sich selbst aufzuheben, und gerade durch diesen Akt bekennt, daß sie eigentlich nie wirklich existiert haben konnte. Dennoch hat sie existiert; denn sie ist das, was Einheit gefunden und sich damit aufgehoben hat. Wieder haben wir eine reductio ad absurdum, die das scharfe Paradoxon wiederholt, das das Denken durch Lähmung und die unvereinte und unvereinbare Antithese zu überzeugen sucht.
Die Schwierigkeit verschwindet in ihrem niederen
Begriff, wenn wir uns klarmachen, daß das Mental nur eine vorbereitende Form
unseres Bewußtseins ist. Das Mental ist ein Instrument für Analyse und Synthese,
aber nicht für wesenhafte Erkenntnis. Seine Funktion besteht darin, vage aus dem
unbekannten Ding-an-sich etwas herauszuschneiden, diese Maßeinheit und
Abgrenzung aus dem Unbekannten das Ganze zu nennen, um dann wieder dieses Ganze
in seinen Teilen zu analysieren, die es als gesonderte mentale Gegenstände
betrachtet. Das Mental kann nur die Teile und
ihr Zubehör definitiv sehen und auf seine Art erkennen. Seine einzige definitive
Idee vom Ganzen ist eine Zusammenstellung von Teilen oder eine Totalität von
Eigenschaften und Zubehör. Wenn das Ganze nicht als Teil von etwas anderem oder
in seinen eigenen Teilen, Eigenschaften und Nebenerscheinungen betrachtet werden
kann, ist es für das Mental nichts anderes als eine vage Vorstellung. Erst wenn
es analysiert und als besonders konstituierter Gegenstand für sich dargestellt
worden ist, als Totalität innerhalb einer größeren Totalität, kann das Mental zu
sich sagen: “Das kenne ich nun.” In Wirklichkeit kennt es das aber nicht. Es
kennt nur seine eigene Analyse des Gegenstandes und die Vorstellung, die es sich
von ihm durch eine Synthese gesonderter Teile und Eigenschaften gebildet hat,
wie es sie sah. Hier hören seine charakteristische Macht und sein sicheres
Funktionieren auf. Wenn wir zu einem höheren, tieferen und wirklichen Wissen
gelangen wollen – zu wahrem Wissen, nicht nur einem ungeformten Empfinden, wie
es manchmal in bestimmten tiefen, aber nicht ausdrucksfähigen Schichten unserer
Mentalität aufsteigt –, muß das Mental einem anderen Bewußtsein weichen. Dieses
wird das Mental dadurch zur Erfüllung bringen, daß es jenes transzendiert oder
seine Verfahrensweisen umkehrt und auf diese Weise richtig stellt, nachdem es
sie übersprungen hat: Die höchste Höhe mentaler Erkenntnis ist nur ein
Sprungbrett, von dem aus dieser Sprung gemacht werden kann. Die äußerste Sendung
des Mentals besteht darin, unser unerleuchtetes Bewußtsein, das aus dem
finsteren Gefängnis der Materie heraustrat, zu trainieren, seine blinden
Instinkte, Zufalls-Intuitionen und vagen Auffassungen zu erleuchten, bis es für
dieses höhere Licht und diesen höheren Aufstieg fähig wird. Das Mental ist ein
Übergang, nicht ein Höhepunkt.
Andererseits kann das unitarische Bewußtsein oder die
unteilbare Einheit nicht jenes unmögliche Gebilde sein, ein Ding ohne Inhalte,
aus dem alle Inhalte hervorgegangen sind, in das sie wieder verschwinden und in
dem sie zunichte werden. Es muß eine ursprüngliche Selbst-Konzentration sein, in
der alles, jedoch auf eine andere Art als in dieser zeitlichen und räumlichen
Manifestation, enthalten ist. Jenes, das sich so selbst konzentriert hat, ist
das äußerste, unnennbare und unbegreifliche Sein, das sich der Nihilist seinem
Mental gegenüber als das negative Leere von allem vorstellt, was wir wissen und
sind, das der Transzendentalist aber aus dem gleichen Grund seinem Mental
gegenüber auffassen kann als die positive, wenn auch nicht unterscheidbare
Wirklichkeit alles dessen, was wir wissen und
sind. Der Vedanta sagt: “Im Anfang war das eine Sein ohne ein zweites.” Aber vor
und nach dem Anfang, jetzt, ewig, jenseits der Zeit, existiert das, was wir
nicht einmal als das Eine beschreiben können, selbst wenn wir sagen, daß nichts
existiert außer Jenem. Wessen wir innewerden können, ist erstens seine
ursprüngliche Selbst-Konzentration, die wir als das unteilbare Eine zu
realisieren bemüht sind; zweitens die Ausbreitung und scheinbare
Selbst-Auflösung alles dessen, was in dieser Einheit konzentriert gewesen ist,
was der Auffassung des Mentals vom Universum entspricht; drittens seine starke
Selbst-Ausweitung im Wahrheits-Bewußtsein. Sie enthält die Ausbreitung, hält sie
in Bestand und hindert sie daran, zu wirklicher Selbstauflösung zu werden, sie
wahrt Einheit auch in äußerster Verschiedenartigkeit, sichert Stabilität auch in
der äußersten Veränderlichkeit, drängt auf Harmonie selbst in der Erscheinung
alles zersetzenden Streites und Zusammenpralls, erhält einen ewigen Kosmos, wo
das Mental es nur zu einem Chaos bringen würde, das dauernd den Versuch macht,
sich zu gestalten. Das alles ist das Supramental, das Wahrheits-Bewußtsein, die
Real-Idee, die sich selbst erkennt; zu alledem wird sie.
Das Supramental ist die unendliche Selbst-Ausbreitung
des brahman, das enthält und entwickelt. Durch die Idee entfaltet es das
trinitarische Prinzip von Sein, Bewußtsein und Seligkeit aus ihrer unteilbaren
Einheit. Es differenziert, aber zerteilt sie nicht. Es errichtet eine
Dreieinigkeit, die aber nicht, wie beim Mental, von den dreien ausgeht, um zum
Einen zu gelangen, sondern die drei aus der Einheit offenbart – denn es
manifestiert und entfaltet und bewahrt sie trotzdem in der Einheit –, denn es
kennt und enthält sie in sich. Durch die Differenzierung ist es fähig, die eine
oder andere von ihnen als die bewirkende Gottheit hervortreten zu lassen, die
die anderen involviert oder nach außen entfaltet in sich enthält. Diesen Vorgang
macht es zur Grundlage aller anderen Differenzierungen. Durch dasselbe Verfahren
wirkt das Supramental auf alle Prinzipien und Möglichkeiten ein, die es aus
dieser alles konstituierenden Dreieinigkeit entwickelt. Es besitzt die Macht zur
Entfaltung, zur Evolution, um nach außen hervortreten zu lassen. Diese Macht
enthält in sich jene andere Macht zur Involution, zur Verhüllung, zum
Einbehalten der Entfaltung. In einem gewissen Sinn kann man sagen, die ganze
Schöpfung ist eine Bewegung zwischen zwei Involutionen: Sie ist Geist, in den
alles involviert ist und aus dem alles nach unten zum
anderen Pol, zur Materie, evolviert. Und sie ist Materie, in der ebenfalls alles
involviert ist und aus der alles nach oben zum anderen Pol, zum Geist,
evolviert.
So besteht der ganze Vorgang der Differenzierung durch die Real-Idee, die das Universum erschafft, darin, daß Prinzipien, Kräfte und Gestaltungen herausgestellt werden, die für das verstehende Bewußtsein alles übrige Dasein in sich enthalten und das äußerlich auffassende Bewußtsein dem ganzen übrigen Sein, das hinter ihnen verhüllt ist, konfrontieren. Darum existiert alles in jedem einzelnen, wie jedes einzelne in allem. So birgt jeder Keim der Dinge in sich die ganze Unendlichkeit der verschiedenartigen Möglichkeiten, ist aber an ein einziges Gesetz von Verfahren und Resultat durch den Willen, d. h. durch die Wissens-Kraft des Bewußten Wesens gebunden, der sich offenbart und, der Idee in sich gewiß, durch sie seine eigenen Formen und Abläufe im voraus bestimmt. Der Keim ist die Wahrheit seines eigenen Wesens, die dieses Selbst-Sein in sich selbst schaut. Das Ergebnis aus diesem Keim der Selbst-Schau ist die Wahrheit der Selbst-Aktion, das natürliche Gesetz von Entfaltung, Gestaltung und Funktionieren, das unverbrüchlich auf die Selbst-Schau folgt und sich an die Verfahrensweisen hält, die in der ursprünglichen Wahrheit involviert sind. So ist die gesamte Natur einfach der Seher-Wille und die Wissens-Kraft des Bewußten Wesens, das am Werk ist, um in Kraft und Form die gesamte unverbrüchlich gültige Wahrheit der Idee zu entfalten, in die es sich ursprünglich entäußert hat.
Diese Auffassung der Idee zeigt uns den wesentlichen
Gegensatz zwischen unserem mentalen Bewußtsein und dem Wahrheits-Bewußtsein. Wir
sehen im Denken etwas vom Sein Getrenntes, Abstraktes, Nicht-Substantielles, von
der Wirklichkeit Verschiedenes, das, man weiß nicht woher, in Erscheinung tritt
und sich von der objektiven Wirklichkeit loslöst, um sie zu beobachten, zu
verstehen und zu beurteilen. So erscheint und ist deshalb das Denken unserer
alles zerteilenden und analysierenden Mentalität. Die erste Aufgabe des Mentals
besteht darin, “diskret”, d. h. abstrakt und unterscheidbar zu machen, wodurch
es aber eher Zertrennungen hervorruft als unterscheidet. Auf diese Weise hat das
Mental die lähmende Spaltung zwischen Denken und Wirklichkeit geschaffen. Im
Supramental ist dagegen alles Wesen auch Bewußtsein, und alles Bewußtsein kommt
aus dem Wesen. Die Idee, eine mit Gestaltung trächtige Vibration des
Bewußtseins, ist ebenso auch eine Vibration des
Wesens, das trächtig ist von sich selbst. In einem schöpferischen Selbst-Wissen
tritt aus seinem Ursprung das hervor, was dort in einem unschöpferischen
Selbst-Innesein konzentriert lag. Es kommt hervor als Idee, die eine
Wirklichkeit ist. Diese Wirklichkeit der Idee entwickelt sich selbst, immer
durch ihre eigene Macht und ihr Bewußtsein von sich selbst, immer des Selbsts
bewußt, immer das Selbst durch den der Idee eingeborenen Willen entfaltend,
immer das Selbst durch das im Kern jedes Impulses enthaltene Wissen
verwirklichend. Das ist die Wahrheit aller Schöpfung, aller Evolution.
Im Supramental sind Wesen, Bewußtsein des Wissens und Bewußtsein des Willens nicht so voneinander getrennt, wie sie in unseren mentalen Prozessen erscheinen. Dort sind sie eine Dreieinigkeit, eine einzige Bewegung mit drei wirksamen Aspekten. Jeder von ihnen hat seine eigene Wirkung: Wesen wirkt sich als Substanz aus. Bewußtsein hat den Effekt von Wissen, der selbstlenkenden und gestaltenden Idee, von innerem und äußerem Wahrnehmen. Wille bringt die sich selbst erfüllende Kraft hervor. Die Idee ist aber nur das Licht der Wirklichkeit, die sich selbst erleuchtet; sie ist weder mentales Denken noch Phantasie, sondern wirksames Selbst-Innesein. Sie ist Real-Idee.
Im Supramental ist Wissen in der Idee nicht abgetrennt
vom Willen in der Idee, sondern eins mit ihm – genauso wie es nicht verschieden
ist vom Wesen und von der Substanz, sondern eins mit dem Wesen und eine
leuchtende Macht der Substanz. Wie die Kraft eines brennenden Lichts nicht von
der Substanz des Feuers verschieden ist, so ist auch die Macht der Idee nicht
verschieden von der Substanz des Wesens, das sich in der Idee und ihrer
Entfaltung auswirkt. In unserer Mentalität sind alle voneinander verschieden.
Wir haben eine Idee und einen Willen im Einklang mit der Idee. Oder wir haben
einen Willensimpuls und eine Idee, die sich davon loslöst. So unterscheiden wir
effektiv die Idee vom Willen und beide von uns selbst: Ich bin. Die Idee ist
eine geheimnisvolle Abstraktion, die in mir erscheint. Der Wille ist ein anderes
Geheimnis, eine Kraft, die der Konkretheit näher, doch nicht eigentlich konkret,
sondern immer etwas ist, was ich nicht bin, sondern habe, bekomme oder wovon ich
ergriffen bin, was ich selbst aber nicht bin. So mache ich auch eine Kluft
zwischen meinem Willen, seinen Mitteln und der Auswirkung; denn letztere
betrachte ich als konkrete Wirklichkeiten außerhalb von mir und als anders als
ich bin. Darum sind weder ich selbst noch die Idee noch der Wille in mir
selbst-wirksam Die Idee kann mir entfallen, der
Wille versagen, die Mittel können mir fehlen, und ich selbst mag, wenn einer
oder alle dieser Mängel mich befallen, unerfüllt bleiben.
Im Supramental gibt es keine solch lähmende Trennung, da Wissen hier nicht, wie im Mental, in sich selbst-zertrennt, Kraft nicht selbst-zertrennt und Wesen nicht selbst-zertrennt sind. Sie sind weder in sich selbst zerspalten, noch haben sie sich voneinander geschieden. Denn das Supramental ist das unermeßliche Weite. Es geht von der Einheit aus, nicht von der Zertrennung. Es ist in seinem Ursprung all-umgreifend, Differenzierung ist erst ein sekundärer Akt. Was auch immer die zum Ausdruck gebrachte Wahrheit des Wesens sein mag, immer entspricht ihm genau die Idee. Die Willens-Kraft entspricht der Idee – die Kraft ist nur eine Macht des Bewußtseins –, und das Ergebnis entspricht dem Willen. Die Idee prallt auch nicht mit anderen Ideen, der Wille oder die Kraft nicht mit einem anderen Willen oder einer anderen Kraft zusammen wie im Menschen und seiner Welt. Denn es gibt nur ein einziges unermeßlich weites Bewußtsein, das alle Ideen als seine eigenen in sich enthält und miteinander in Beziehung setzt. Es gibt nur den einen ungeheuer starken Willen, der alle Energien als seine eigenen in sich enthält und zueinander in Beziehung setzt. Er hemmt diese Energien und treibt jene vorwärts, jedoch im Einklang mit seinem eigenen im voraus konzipierenden Ideen-Willen.
Das ist die Rechtfertigung für die bestehenden
religiösen Anschauungen von der All-Gegenwart, All-Wissenheit und All-Macht des
Göttlichen Wesens. Weit davon entfernt, irrationale Phantasie zu sein, sind sie
im Gegenteil vollkommen rational und widersprechen in keiner Weise der Logik
einer allumfassenden Philosophie oder den Hinweisen von Beobachtung oder
Erfahrung. Ihr Irrtum besteht darin, daß sie eine unüberbrückbare Kluft zwischen
Gott und Mensch, zwischen brahman und Welt errichten. Dieser Irrtum übertreibt
eine tatsächliche und praktische Unterschiedlichkeit in Wesen, Bewußtsein und
Kraft bis zu einer wesenhaften Zertrennung. Auf diesen Aspekt der Frage müssen
wir später noch zurückkommen. Im Augenblick sind wir bei einer Bejahung und
einer gewissen Auffassung vom göttlichen und schöpferischen Supramental
angekommen, in dem alles eins ist in Wesen, Bewußtsein, Willen und Seligkeit,
jedoch mit einer unendlichen Fähigkeit zur Differenzierung, die die Einheit
entfaltet, aber nicht zerstört: Im Supramental ist die Substanz Wahrheit.
Wahrheit erhebt sich in die Idee, und Wahrheit tritt
hervor in der Gestaltung. So gibt es nur eine einzige Wahrheit von Wissen und
Willen, eine einzige Wahrheit von Selbst-Erfüllung und darum von Seligkeit. Denn
alle Selbst-Erfüllung ist vollbefriedigende Erfüllung des Wesens. Darum entsteht
auch in allen Mutationen und Kombinationen stets eine selbst-seiende und
unveräußerliche Harmonie.
Kapitel XV. Das Höchste Wahrheits-Bewußtsein
Einer, thronend im
Schlaf der Über-Bewußtheit, eine ungeheure Intelligenz, voller Seligkeit und
Genießer der Seligkeit... Das ist der Allmächtige, das ist der Allwissende, das
ist die innere Herrschaft, das ist der Ursprung von allem.
Mandukya Upanishad, Verse 5, 6.
Dieses Supramental, das alles in sich enthält, alles verursacht und alles aufs Höchste erfüllt, müssen wir als die Natur des Göttlichen Wesens erkennen, und zwar nicht in seinem absoluten Selbst-Sein, sondern in seinem Wirken als Herr und Schöpfer seiner eigenen Welten. Das ist die Wahrheit dessen, was wir Gott nennen. Offensichtlich ist er nicht die allzu personhafte und begrenzte Gottheit, der vergrößerte und übernatürliche Mensch der üblichen westlichen Auffassung. Diese Auffassung errichtet ein allzu menschliches Idol einer gewissen Beziehung zwischen dem schöpferischen Supramental und dem Ich. Wir dürfen gewiß nicht den persönlichen Aspekt der Gottheit ausschließen, denn der apersonale ist nur der eine Aspekt des Seins. Das Göttliche Wesen ist All-Sein, aber es ist auch der Eine Seiende, es ist das einzige Bewußt-Seiende, aber doch ein Seiendes. Wir befassen uns jedoch im Augenblick nicht mit diesem Aspekt. Wir suchen die apersonale psychologische Wahrheit des Göttlichen Bewußtseins zu ergründen: Wir müssen es jetzt in einem umfassenden geklärten Begriff festlegen.
Das Wahrheits-Bewußtsein ist als ein ordnendes Wissen aus dem Selbst überall im Universum gegenwärtig, durch das das Eine die Harmonien seiner unendlichen potentiellen Vielfalt offenbart. Ohne dieses ordnende Selbst-Wissen wäre die Manifestation nur ein dahintreibendes Chaos, gerade weil die Potentialität unendlich ist und, sich selbst überlassen, nur zu einem Spiel unkontrollierten schrankenlosen Zufalls führen würde. Gäbe es nur eine unendliche Entwicklungsmöglichkeit ohne ein Gesetz lenkender Wahrheit und harmonischer Selbst-Schau, ohne eine vorausbestimmende Idee, die schon im Keim der Dinge enthalten ist, wenn er zur Evolution ausgestreut wird, könnte die Welt nichts anderes sein als ein Durcheinander massenhafter, gestaltloser, verworrener Ungewißheit.
Das Wissen aber, das
erschafft – denn was es erschafft, sind Gestaltungen und Mächte aus ihm selbst,
also nichts, was etwas anderes wäre als es selbst –, besitzt in seinem eigenen
Wesen die Schau der Wahrheit und des Gesetzes, das jede Potentialität
beherrscht, zugleich damit ein ins einzelne gehendes Gewahrsein seiner Beziehung
zu anderen Potentialitäten, ferner der Harmonien, die zwischen ihnen möglich
sind. Es enthält in einer allgemein bestimmenden Harmonie vorgeformt, was die
gesamte rhythmische Idee eines Universums schon bei ihrem Entstehen und bei
ihrer Konzeption im Selbst enthalten und sich deshalb unvermeidlich durch das
Zusammenspiel dessen, was sie konstituiert, auswirken muß. Es ist Ursprung und
Hüter des Gesetzes in der Welt, denn dieses Gesetz ist nichts Willkürliches – es
ist Ausdruck einer Eigenart des Selbsts, bestimmt durch die zwingende Wahrheit
der Realidee, die jedes Ding ursprünglich ist. Darum ist von Anfang an die
gesamte Entfaltung im Selbst-Wissen dieser Wahrheit und in jedem Augenblick in
ihrem Selbst-Wirken vorbestimmt: Sie ist das, was sie in jedem Augenblick durch
ihre ursprüngliche, eingeborene Wahrheit sein muß. Sie bewegt sich auf das hin,
was sie im nächsten Augenblick sein soll, eben infolge ihrer ursprünglichen,
eingeborenen Wahrheit. Sie wird am Ende das sein, was in ihrem Keim enthalten
und wozu sie bestimmt ist.
Diese Entwicklung der Welt und ihr Fortschritt im
Einklang mit einer ursprünglichen Wahrheit ihres eigenen Wesens setzt voraus:
eine Aufeinanderfolge der Zeit, eine Beziehung im Raum, eine geregelte
Wechselwirkung der aufeinander bezogenen Dinge im Raum, der die Aufeinanderfolge
der Zeit den Aspekt der Kausalität verleiht. Zeit und Raum besitzen nach
Auffassung des Metaphysikers nur eine begriffliche, keine wirkliche Existenz. Da
aber alle Dinge – und nicht nur diese – Formen sind, die vom Bewußt-Seienden in
seinem eigenen Bewußtsein angenommen werden, ist diese Unterscheidung nicht von
großer Bedeutung. Zeit und Raum sind jenes eine Bewußt-Seiende, das sich selbst
in seiner Ausdehnung betrachtet, subjektiv als Zeit und objektiv als Raum.
Unsere mentale Betrachtung dieser beiden Kategorien wird durch die Vorstellung
vom Messen bestimmt, die der Betätigung des analytischen teilenden Verfahrens
des Mentals eingeboren ist. Zeit ist für das Mental eine mobile Ausdehnung,
gemessen durch die Aufeinanderfolge von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft,
wobei das Mental einen gewissen Standort einnimmt, von dem aus es nach vorwärts
und rückwärts schaut. Raum ist eine stabile
Ausdehnung, die durch die Teilbarkeit der Substanz gemessen wird. Das Mental
stellt sich auch hier an einen gewissen Punkt der teilbaren Ausdehnung und
betrachtet von da aus die Anordnung der Substanz um sich herum.
Tatsächlich bemißt das Mental Zeit durch Ereignis und Raum durch Materie. In der reinen Mentalität ist es aber möglich, die Bewegung von Ereignis und die Anordnung von Substanz unbeachtet zu lassen und die reine Bewegung der Bewußten Kraft zu betrachten, die Raum und Zeit konstituiert. Dann sind Raum und Zeit nur zwei Aspekte jener universalen Bewußtseinskraft, die, ineinander verflochten, in ihrer Wechselwirkung Kette und Schuß des Gewebes ihrer Einwirkung auf sich selbst umfaßt. Für ein Bewußtsein, das höher ist als das Mental, unsere Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft mit einem einzigen Blick überschauen und die drei in sich enthalten würde, statt in ihnen enthalten zu sein, und das auch nicht auf einen besonderen Augenblick der Zeit als den Ort seines Schauens festgelegt wäre, könnte sich die Zeit wohl als eine ewige Gegenwart darstellen. Für dasselbe Bewußtsein, das nicht auf einen bestimmten Punkt des Raumes fixiert wäre, sondern alle Punkte und Bereiche in sich enthielte, könnte sich der Raum als eine subjektive und unteilbare Ausdehnung darbieten, – nicht weniger subjektiv als die Zeit. In gewissen Augenblicken nehmen wir eine solche unteilbare Schau wahr, die durch ihre unveränderliche selbst-bewußte Einheit die Verschiedenartigkeiten des Universums trägt und zusammenhält. Wir dürfen aber jetzt nicht fragen, wie sich die Inhalte von Zeit und Raum dort in ihrer transzendenten Wahrheit darstellen würden. Denn das kann unser Mental nicht begreifen. Es ist sogar dazu bereit, diesem Unteilbaren jede Möglichkeit zu bestreiten, die Welt auf eine andere Weise zu erkennen als auf die unseres Mentals und unserer Sinne.
Was wir einzusehen haben und auch bis zu einem gewissen
Grad begreifen können, ist die einheitliche Schau und die allumfassende
Betrachtung, durch die das Supramental die Aufeinanderfolgen der Zeit und die
Einteilungen des Raumes umgreift und miteinander vereint. Bestünde nicht dieser
Faktor der Aufeinanderfolge von Zeit, gäbe es zunächst weder Veränderung noch
Fortschritt. Unablässig würde sich eine vollkommene Harmonie offenbaren,
gleichzeitig mit anderen Harmonien in einer Art ewigen Augenblicks, ohne ihnen
zeitlich zu folgen in der Bewegung von der Vergangenheit zur Zukunft. Statt
dessen haben wir die ständige Aufeinanderfolge
einer sich entfaltenden Harmonie, in der die Melodie aus einer anderen, ihr
vorausgegangenen, aufsteigt und in sich das birgt, was sie ersetzt hat. Würde
die Selbst-Manifestation ohne den Faktor des teilbaren Raums existieren, gäbe es
keine veränderliche Beziehung der Formen und kein Aufeinanderprallen der Kräfte.
Alles würde wohl existieren, aber nicht zum Wirken entfaltet sein, – ein
raumloses, rein subjektives Selbst-Bewußtsein würde alle Dinge in einem
unendlichen subjektiven Verständnis in sich enthalten, etwa wie in der Phantasie
eines kosmischen Poeten oder Träumers, es würde sich aber nicht in einer
unbegrenzten objektiven Selbst-Ausbreitung über sie alle verteilen. Wäre allein
die Zeit wirklich, würden ihre Aufeinanderfolgen die reine Entfaltung sein. In
subjektiver freier Spontaneität würde eine Melodie aus der anderen aufsteigen
wie in einer Komposition in der Musik oder in einer Reihe poetischer Bilder.
Statt dessen haben wir eine von der Zeit ausgearbeitete Harmonie in Begriffen
von Formen und Kräften, die in einer alles enthaltenden räumlichen Ausdehnung
zueinander in Beziehung stehen, eine unaufhörliche Aufeinanderfolge von Mächten
und Figuren der Dinge und Ereignisse in unserer Schau des Daseins.
In diesem Feld von Zeit und Raum sind verschiedenartige
Potentialitäten verkörpert, räumlich angeordnet und zueinander in Beziehung
gesetzt. Jede besitzt ihre Mächte und Möglichkeiten, tritt anderen Mächten und
Möglichkeiten entgegen, so daß, im Ergebnis, die Aufeinanderfolgen der Zeit dem
Mental als Zusammenprall und Kampf der Dinge erscheinen, nicht als durch
spontane Aufeinanderfolge bewirkt. In Wirklichkeit gibt es ein spontanes
Ausgestalten der Dinge von innen her. Der äußere Zusammenprall und Kampf ist nur
der vordergründige Aspekt dieses schöpferischen Prozesses. Das innere,
eingeborene Gesetz des Einen und Ganzen, das notwendigerweise Harmonie ist,
regiert die äußeren, das Verfahren bestimmenden Gesetze der Teile oder Formen,
die zu kollidieren scheinen. Für die supramentale Schau ist diese höhere und
tiefere Wahrheit der Harmonie immer gegenwärtig. Was dem Mental als Disharmonie
erscheint, weil es jede Sache gesondert betrachtet, ist für das Supramental ein
Element der allgemeinen, immer gegenwärtigen und sich entfaltenden Harmonie, da
es alle Dinge in vielfältiger Einheit schaut. Außerdem sieht das Mental nur eine
gegebene Zeit und einen gegebenen Raum und schaut viele Möglichkeiten
durcheinander als alle mehr oder minder in dieser Zeit und diesem Raum verwirklichbar. Das göttliche Supramental hingegen sieht die ganze
Ausdehnung von Zeit und Raum und kann alle Möglichkeiten des Mentals
zusammenfassend überblicken und noch viele dazu, die für das Mental nicht
sichtbar sind. Es tut das ohne Irrtum, ohne Herumtasten oder Konfusion. Denn es
gewahrt jede Potentialität in ihrer eigenen Kraft, ihrer wesenhaften
Notwendigkeit und ihrer richtigen Beziehung zu den anderen. Es weiß Zeit, Ort
und Umstand ihrer stufenweisen ebenso wie ihrer endgültigen Verwirklichung. Die
Dinge stetig zu sehen und als Ganzes zu überschauen, ist für das Mental nicht
möglich. Gerade das ist aber die eigentliche Natur des transzendenten
Supramentals.
Dieses Supramental hält in seiner bewußten Schau nicht nur alle seine Formen zusammen, die seine bewußte Kraft erschafft, sondern es durchdringt sie auch als eine ihnen innewohnende Gegenwart und als ein sich selbst offenbarendes Licht. Wenn auch verborgen, so ist es doch in jeder Form und Kraft des Universums gegenwärtig. Es bestimmt souverän und spontan ihre Gestalt, Kraft und Funktion. Es begrenzt die Variationen, die seine Macht hervorruft. Es sammelt, zerstreut und modifiziert die Energie, die es verwendet. Das alles geschieht in Einklang mit den “ersten Gesetzen”,7 die sein Selbst-Wissen schon beim Entstehen der Form und am Ausgangspunkt der Kraft festgelegt hat. Es hat seinen Sitz in jeglichem Seienden als der Herr, der im Herzen aller existierenden Wesen thront, “Er, der sie im Kreis herumwirbeln läßt wie auf einer Maschine durch die Macht seiner maya” (Gita XVIII, 61). Er “ist in ihnen und hält sie in seinen Armen als der Göttliche Seher, der in verschiedener Weise die Gegenstände verteilte und ordnete, doch jeden richtig im Einklang mit dem, was seit ewigen Jahren ist” (Isha Upanishad, Vers 8).
So wird alles in der Natur, ob belebt oder unbelebt,
mental seiner selbst bewußt oder nicht bewußt, in seinem Wesen und in seinen
Wirkensweisen von einer innewohnenden Vision und Macht gelenkt, die für uns
unter- oder unbewußt ist, weil wir ihrer nicht bewußt sind, die aber sich selbst
gegenüber nicht unbewußt, vielmehr tief und universal ihrer selbst bewußt ist.
Darum scheint jedes Ding die Werke einer Intelligenz zu tun, auch wenn es selbst keine Intelligenz besitzt, denn es gehorcht in
seinem Inneren der Real-Idee des göttlichen Supramentals, ob unterbewußt wie in
Pflanze und Tier, ob halbbewußt wie im Menschen. Das ist aber keine mentale
Intelligenz, die alle Dinge und Wesen von innen her formt und lenkt, vielmehr
eine Wahrheit des Seienden, die sich selbst wahrnimmt, in der Selbst-Wissen
untrennbar ist von Selbst-Sein: Es ist dieses Wahrheits-Bewußtsein, das die
Dinge nicht ausdenken muß, sondern sie mit Wissen bewerkstelligt entsprechend
der unfehlbaren Selbst-Schau und der unwiderstehlichen Kraft eines einzigen,
sich selbst erfüllenden Seins. Mentale Intelligenz denkt aus. Sie ist
reflektierende Bewußtseins-Kraft, die nicht erkennt, sondern zu erkennen strebt.
Sie folgt in der Zeit Schritt um Schritt dem Wirken eines Wissens, das höher ist
als sie selbst, das immer existiert, das ein einziges und ganzes ist, das die
Zeit fest in seinem Griff hält, das Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft mit
einem einzigen Blick überschaut.
Dies ist also das erste Verfahrens-Prinzip des göttlichen Supramentals. Es ist eine kosmische Schau, die all-umfassend, all-durchdringend und allem innewohnend ist. Da es alle Dinge im Wesen und in statischem Selbst-Innesein subjektiv, zeitlos und raumlos umgreift, begreift es sie alle auch in dynamischer Erkenntnis und regiert ihre objektive Selbst-Verkörperung in Raum und Zeit.
In diesem Bewußtsein sind der Wissende, das Wissen und
das Gewußte keine verschiedenen Begriffe, sondern fundamental eins. Unsere
Mentalität unterscheidet zwischen diesen dreien, denn sie kann nicht ohne
Unterscheiden funktionieren. Verliert sie dieses ihr eigene Mittel und
fundamentale Gesetz des Wirkens, wird sie bewegungslos und inaktiv. Darum muß
ich, wenn ich mich selbst mental betrachte, auch diese Unterscheidung treffen:
Ich bin als der Erkennende. Was ich in mir selbst beobachte, betrachte ich als
Objekt meiner Erkenntnis. Ich bin es zwar, doch ist es nicht ich selbst. Die
Erkenntnis ist das Verfahren, durch das ich den Erkennenden mit dem Erkannten
verknüpfe. Die Künstlichkeit dieses Verfahrens, sein rein praktischer,
nützlicher Charakter ist offensichtlich. Es ist klar, daß das nicht die
fundamentale Wahrheit der Dinge darstellt. In Wirklichkeit bin ich, der
Erkennende, auch das Bewußtsein, das erkennt. Und die Erkenntnis ist ebenfalls
jenes Bewußtsein, nämlich ich selbst als Bewirkender der Erkenntnis. Das
Erkannte ist ebenfalls ich selbst, eine Form oder Bewegung desselben
Bewußtseins. Die drei sind deutlich ein einziges Sein, eine einzige Bewegung,
unteilbar, obwohl sie getrennt zu sein scheinen.
Das Sein ist nicht an seine Formen verteilt, obwohl es aussieht, als verteile es
sich selbst an sie und stehe in jeder Form gesondert da. Das ist aber
Erkenntnis, zu der das Mental gelangen, die es mit der Vernunft ausdenken und
fühlen, aber nicht leicht zur praktischen Grundlage seiner intelligenten
Verfahrensweisen machen kann. Im Blick auf Gegenstände, die außerhalb jener Form
von Bewußtsein sind, die ich “ich selbst” nenne, wird die Schwierigkeit fast
unüberwindlich. Hier die Einheit auch nur zu fühlen, erfordert ein abnormes
Bemühen. Sie festzuhalten und auf ihrer Grundlage ständig zu handeln, würde ein
neues, fremdartiges Tun bedeuten, das nicht eigentlich zum Mental gehört. Das
Mental kann die Einheit höchstens als eine Wahrheit des Verstandes festhalten,
durch die seine eigenen normalen Betätigungen korrigiert und modifiziert werden,
die immer weiter auf Trennung beruhen, etwa so, wie wir intellektuell wissen,
daß sich die Erde um die Sonne dreht, und dadurch die künstliche, jedoch für uns
physisch so praktische Einstellung korrigieren, derzufolge die Sinne ständig
weiter die Sonne als die Erde umkreisend betrachten, ohne die Einstellung
abzuschaffen.
Das Supramental besitzt fundamental diese Wahrheit der Einheit und wirkt stets auf dieser Grundlage, die für das Mental nur ein sekundärer oder erworbener Besitz und nicht Kern seines Schauens ist. Das Supramental schaut das Universum und seine Inhalte als es selbst in einem einzigen unteilbaren Akt des Erkennens, einem Akt, der sein Leben und die eigentliche Bewegung seines Selbst-Seins ist. Wenn darum dieses allumfassende göttliche Bewußtsein in seinem Aspekt des Willens wirkt, führt oder regiert es nicht so sehr die Entfaltung des kosmischen Lebens, als daß es dieses in sich selbst durch einen Akt von Macht vollkommen erschafft, der von dem Akt des Wissens und der Bewegung des Selbst-Seins unabtrennbar ist, weil in Wirklichkeit ein und derselbe Akt. Wir haben gesehen, die universale Kraft und das universale Bewußtsein sind eins, – kosmische Kraft ist die Auswirkung kosmischen Bewußtseins. So sind auch göttliches Wissen und göttlicher Wille eins; dieselbe fundamentale Bewegung oder dasselbe Wirken des Seins.
Diese Unteilbarkeit des allumfassenden Supramentals,
das die gesamte Vielfalt in sich enthält, ohne dadurch seine eigene Einheit
aufzuheben, ist eine Wahrheit, auf die wir stets Nachdruck legen müssen, wenn
wir den Kosmos verstehen und von dem Grundirrtum unserer analytischen Mentalität frei werden wollen. Ein Baum entwickelt sich aus dem Samen,
in dem er bereits enthalten ist. Der Same entwickelt sich aus dem Baum. Ein
festes Gesetz, ein unveränderlicher Prozeß regiert mit der Fortdauer der Form
der Manifestation, die wir einen Baum nennen. Das Mental betrachtet dieses
Phänomen, dieses Entstehen, Leben und Neu-Entstehen eines Baumes als ein Ding
für sich und studiert, klassifiziert und erklärt es auf dieser Grundlage. Es
erklärt den Baum durch den Samen und den Samen durch den Baum und behauptet, das
sei ein Naturgesetz. Es hat aber gar nichts erklärt. Es hat nur den Vorgang
eines Geheimnisses analysiert und dargestellt. Angenommen, es kommt so weit, daß
es jene geheime bewußte Kraft als die Seele, als das wahre Wesen dieser Form
wahrnimmt und alles übrige nur als festgelegtes Verfahren und Manifestation
jener Kraft, auch dann will es die Form als ein davon getrenntes Sein mit dessen
besonderem Naturgesetz und Entwicklungsprozeß ansehen. Im Tier und im Menschen
mit seiner bewußten Mentalität verleitet diese sondernde Tendenz das Mental
dazu, sich als abgesondertes Dasein zu betrachten, als das bewußte Subjekt, und
andere Formen als davon getrennte Objekte seiner betrachtenden Mentalität.
Dieses brauchbare Schema, das für das Leben und als erste Grundlage aller
Betätigung des Mentals notwendig ist, wird von ihm als aktuelle Tatsache
angenommen, und hieraus entsteht dann der ganze Irrtum des Ichs.
Das Supramental wirkt auf andere Weise. Der Baum und
sein Wachstumsprozeß wären nicht das, was sie sind, ja könnten überhaupt nicht
existieren, wenn sie gesonderte Existenzen wären. Formgestaltungen sind das, was
sie sind, durch die Kraft des kosmischen Seins. Sie entfalten sich so, wie sie
es tun, als Ergebnis ihrer Beziehung zu ihm und zu all seinen anderen
Manifestationen. Das gesonderte Gesetz ihrer Natur ist nur eine Anwendung des
universalen Gesetzes und der Wahrheit der gesamten Natur. Ihre besondere
Entwicklung wird durch ihren Platz in der allgemeinen Entwicklung bestimmt. Der
Baum erklärt nicht die Saat und die Saat nicht den Baum. Der Kosmos erklärt
beide, und Gott erklärt den Kosmos. Das Supramental, das zugleich Baum, Saat und
alle Wesen und Gegenstände durchdringt und bewohnt, lebt in diesem höheren
Wissen, das unteilbar und eines ist, wenn auch mit einer modifizierten, nicht
absoluten Unteilbarkeit und Einheit. In diesem allumfassenden Wissen gibt es
kein unabhängiges Seins-Zentrum, kein individuelles abgesondertes Ich, wie wir
es in uns erfahren. Für seine Selbst-Wahrnehmung ist
das Ganze des Seins eine gleichmäßige Ausdehnung, eins im Einssein, eins in der
Vielfalt, eins in allen Umständen und überall. Hier sind das All und das Eine
dasselbe Sein. Der individuelle Mensch verliert nicht – und kann nicht verlieren
– das Bewußtsein seiner Identität mit allen Wesen und mit dem Einen Wesen. Denn
diese Identität gehört ursprünglich zur supramentalen Erkenntnis als Teil der
supramentalen Selbst-Evidenz.
In dieser weiträumigen Ausgeglichenheit des Einsseins ist das Sein nicht zerteilt und nicht verteilt. Gleichmäßig selbst-ausgedehnt, als das Eine seine Ausdehnung durchdringend, als das Eine die Vielfalt der Formen bewohnend, ist es überall und gleichzeitig das einzige und gleichmäßige brahman. Denn diese Ausdehnung des Seins in Zeit und Raum und dieses Durchdringen und Innewohnen steht in inniger Beziehung zur absoluten Einheit, aus der es hervorgetreten ist, zu jenem absoluten Unteilbaren, in dem es keinen Mittelpunkt und keine Peripherie gibt, sondern nur das zeitlose und raumlose Eine. Diese hohe Konzentration von Einheit im unausgebreiteten brahman muß sich notwendigerweise in die Ausbreitung übertragen: durch diese in gleicher Weise alles durchdringende Konzentration, diese unteilbare Zusammenfassung aller Dinge, diese universale unverteilte Immanenz, diese Einheit, die kein Spiel der Vielfalt aufheben oder vermindern kann. “Brahman ist in allen Dingen, alle Dinge sind in brahman, alle Dinge sind brahman.” Das ist die dreifache Formel für das allumfassende Supramental, eine einzige Wahrheit der Selbst-Manifestation in drei Aspekten, die es in seiner Selbst-Schau zusammenhält, untrennbar, als das fundamentale Wissen, aus dem es in das Spiel des Kosmos hervortritt.
Was ist nun aber der Ursprung der Mentalität und der
Organisation dieses niederen Bewußtseins in den dreifachen Begriffen von Mental,
Leben und Materie, so wie wir das Universum betrachten? Da alles, was ist, aus
dem Wirken des allwirksamen Supramentals hervorgehen muß, aus seinen Aktivitäten
in den drei ursprünglichen Begriffen von Sein, Bewußter Kraft und Seligkeit, muß
es ein Vermögen des schöpferischen Wahrheits-Bewußtseins geben, das so wirkt,
daß es sie in die neuen Begriffe umprägt, in dieses niedere Trio von Mentalität,
Vitalität und physischer Substanz. Wir finden diese Befähigung in einer
sekundären Macht des schöpferischen Wissens, in seiner Macht eines
projizierenden, konfrontierenden und wahrnehmenden Bewußtseins, in dem sich das
Wissen konzentriert und von seinem Wirken zurücktritt, um es zu beobachten. Wenn wir hier von Zentralisation sprechen, meinen wir
– im
Unterschied zu der gelassenen Konzentration des Bewußtseins, von der wir bisher
sprachen – eine unausgeglichene Konzentration, worin der Anfang der
Selbst-Zerteilung oder dessen, was phänomenal so aussieht, einsetzt.
Der Erkennende hält sich in erster Linie als Subjekt auf das Erkennen konzentriert und betrachtet die Kraft seines Bewußtseins so, als ob sie ständig aus ihm in die Gestalt seiner selbst hervortrete, in ihr immer wirke, sich dauernd wieder in ihn zurückziehe und ständig wieder aus ihm hervorgehe. Aus diesem einzelnen Akt, durch den sich der Erkennende immer wieder selbst modifiziert, gehen alle praktischen Unterscheidungen hervor, auf die sich die relative Betrachtung des Universums und das relative Handeln in ihm gründen. So wurde die praktische Unterscheidung getroffen: zwischen dem Erkennenden, der Erkenntnis und dem Erkannten, zwischen dem Herrn, Seiner Kraft und den Kindern und Werken der Kraft, zwischen Ihm, der genießt, dem Genießen und dem Gegenstand des Genusses, zwischen dem Selbst, der maya und den Werdeformen des Selbsts.
Zweitens vervielfältigt sich diese Bewußte Seele, die im Erkennen konzentriert ist, dieser purusha, der die Kraft, seine shakti oder prakriti, die aus ihm hervorgegangen ist, beobachtet und lenkt, in jeder Gestaltung seiner selbst. Er begleitet sozusagen seine Bewußtseins-Kraft in ihre Werke hinein Und erzeugt dort immer wieder den Akt der Selbst-Zerteilung, aus dem das äußerlich wahrnehmende Bewußtsein geboren wird. Diese Seele, dieser purusha, wohnt in jeder Gestalt zusammen mit seiner Natur und beobachtet sich an anderen Gestaltungen von dem künstlichen, praktischen Mittelpunkt des Bewußtseins her. In allen ist dieselbe Seele, dasselbe Göttliche Wesen. Die Vervielfältigungen von Zentren ist nur ein praktischer Bewußtseins-Akt mit der Absicht, ein Spiel von Unterscheidung, Gegenseitigkeit, wechselseitigem Erkennen, Zusammenprallen von Kraft und gegenseitiger Freude zustande zu bringen, eine Unterschiedlichkeit, die in wesenhafter Einheit gegründet, eine Einheit, die auf der praktischen Grundlage von Verschiedenheit verwirklicht ist.
Diesen neuen Status des das All durchdringenden
Supramentals können wir ein weiteres Heraustreten aus der unitarischen Wahrheit
der Dinge und aus dem unteilbaren Bewußtsein nennen, das unveräußerlich die
Einheit konstituiert, die für das Dasein des Kosmos wesentlich ist. Wenn diese Linie noch ein wenig weiter verfolgt wird, können wir
sehen, wie die Wahrheit zu avidya, zur großen Unwissenheit werden kann,
die von der Vielfalt als der fundamentalen Wirklichkeit ausgeht und mit der
falschen Einheit des Ichs beginnen muß, um zur wahren Einheit zurückkehren zu
können. Wir sehen auch, daß unfehlbar mentales Empfinden, mentale Intelligenz,
mentale Aktion des Willens und all ihre Folgeerscheinungen auftreten müssen,
sobald das individuelle Zentrum als der determinierende Standpunkt, als der
Erkennende, akzeptiert wird. Wir können aber auch sehen, daß Unwissenheit noch
nicht eingesetzt hat, solange die Seele im Supramental handelt. Das Feld des
Wissens und Handelns ist immer noch das Wahrheits-Bewußtsein, Grundlage ist
immer noch die Einheit.
Das Selbst betrachtet sich immer noch als eines in allen und alle Dinge als Werde-Erscheinungen in sich und aus ihm selbst. Der Herr erkennt immer noch seine Kraft an als Er selbst im Akt des Wirkens und jedes Wesen als Er selbst in Seele und Gestalt. Es ist immer noch sein eigenes Wesen, das der Genießende genießt, wenn auch in Vielfalt. Die einzig wirkliche Veränderung liegt in einer ungleichmäßigen Konzentration von Bewußtsein und in einer vielfältigen Verteilung von Kraft. Es gibt im Bewußtsein eine praktische Unterscheidung, aber es gibt keine wesenhafte Verschiedenheit von Bewußtsein oder eine wirkliche Zerteilung in der Schau seiner selbst. Das Wahrheits-Bewußtsein ist an einem Übergangs-Punkt angelangt, wo sich unsere Mental-Struktur vorbereitet, aber noch nicht die unserer Mentalität ist. Gerade diese Übergangsposition müssen wir studieren, um das Mental an seinem Ursprung erfassen zu können, an dem Punkt, wo es den großen Sprung aus der Höhe und unendlichen Weite des Wahrheits-Bewußtseins in die Zerteilung und Unwissenheit macht. Glücklicherweise liegt dieses nach außen gerichtete wahrnehmende Wahrheits-Bewußtsein, prajnana, uns viel näher und ist darum auch für unser Begreifen zugänglicher, denn es wirft die Schatten des Funktionierens unserer Mentalkräfte viel mehr voraus als die entlegenere Realisation, die wir bisher in unserer unzureichenden Sprache des Intellekts auszudrücken uns bemühten. Die Schranke, über die wir hinwegkommen müssen, ist nicht mehr so schrecklich hoch.
Kapitel XVI. Der dreifache Status des Supramentals
Mein Selbst ist das,
was alle Wesen fördert und ihr Dasein begründet... Ich bin das Selbst, das in
allen Wesen wohnt.
Gita, IX. 5., X.20.
Drei Mächte von Licht stützen drei leuchtende göttliche Welten.
Rig Veda, V. 29.1.
Bevor wir zu dieser leichter verständlichen Deutung der Welt, die wir bewohnen, vom Standpunkt eines wahrnehmenden Wahrheits-Bewußtseins übergehen, das die Dinge so sieht, wie eine individuelle Seele sie schauen würde, die von den mentalen Begrenzungen befreit und zugelassen ist zur Teilnahme am Wirken des Göttlichen Supramentals, müssen wir innehalten und kurz zusammenfassen, was wir vom Bewußtsein des Herrn, des ishvara, erkannt haben und noch erkennen können, wie Er die Welt durch Seine maya aus der ursprünglichen konzentrierten Einheit Seines Wesens zur Entfaltung bringt.
Wir sind von der Feststellung ausgegangen, daß alles,
was ist, ein einziges Sein ist, dessen wesenhafte Natur Bewußtsein ist. Die
aktive Natur dieses einen Bewußtseins ist Kraft oder Wille. Dieses Sein ist
tiefe Freude, dieses Bewußtsein ist tiefe Freude, diese Kraft oder dieser Wille
ist tiefe Freude. Ewige, unveränderliche Seligkeit von Sein, Seligkeit von
Bewußtsein, Seligkeit von Kraft oder Wille, – ob diese in sich selbst
konzentriert und in Ruhe oder ob sie aktiv und schöpferisch ist, – das ist Gott
und das sind wir selbst in unserem wesenhaften, nicht-phänomenalen Sein. Wenn es
in sich selbst konzentriert ist, besitzt oder besser ist es die wesenhafte,
ewige, unveränderliche Seligkeit. Ist es aktiv und schöpferisch, besitzt es oder
besser wird es zur seligen Freude des Spiels von Sein, des Spiels von
Bewußtsein, des Spiels von Kraft und Willen. Das Spiel ist das Universum, und
die Seligkeit ist einzig und allein Ursache, Motiv und Zweck kosmischen Daseins.
Das Göttliche Bewußtsein besitzt in sich dieses Spiel und diese Seligkeit ewig
und unveränderlich. Unser wesenhaftes Sein, unser wirkliches Selbst, das vor uns
durch das falsche Selbst, das mentale Ich, verborgen ist, erfreut sich ebenso
ewig und unveränderlich dieses Spiels und dieser Seligkeit.
Es kann gar nicht anders, da es im Wesen eins ist mit dem Göttlichen Bewußtsein.
Wenn wir also ein göttliches Leben erstreben, können wir es auf keinem anderen
Weg erlangen, als daß wir dieses verhüllte Selbst in uns enthüllen, daß wir uns
aus unserem gegenwärtigen Status im falschen Selbst oder mentalen Ich in einen
höheren Status, in das wahre Selbst, das atman, erheben, indem wir in die
Einheit mit jenem Göttlichen Bewußtsein eingehen, an dem sich etwas Überbewußtes
in uns immer erfreut – sonst könnten wir gar nicht existieren –, das aber unsere
bewußte Mentalität verwirkt hat.
Wenn wir aber dergestalt einerseits die Einheit von saccidananda und die zerteilte Mentalität andererseits feststellen, richten wir zwei entgegengesetzte Bereiche auf, von denen der eine falsch sein muß, wenn man den anderen für wahr halten, der eine beseitigt werden muß, wenn man sich am anderen erfreuen will. Nun existieren wir aber auf Erden im Mental und in seiner Form von Leben und Körper, und göttliches Leben wäre hier unmöglich, wenn wir das Bewußtsein von Mental, Leben und Körper abschaffen müßten, um das eine Sein, Bewußtsein und seine Seligkeit zu erlangen. Wir müßten dann die kosmische Existenz als Illusion aufgeben, um das Transzendente zu genießen oder es wieder zu werden. Hier gibt es ein Entrinnen nur, wenn es ein Vermittlungsglied zwischen beiden gibt, das sie einander erklären und zwischen ihnen eine solche Beziehung herstellen kann, die es uns ermöglicht, das eine Sein, Bewußtsein und seine Seligkeit in der Gestalt von Mental, Leben und Körper zu verwirklichen.
Dieses Verbindungsglied existiert. Wir nennen es das
Supramental oder das Wahrheits-Bewußtsein, weil es ein der Mentalität
übergeordnetes Prinzip ist und in der fundamentalen Wahrheit und in der Einheit
der Dinge und nicht, wie das Mental, in deren Erscheinungsformen und
phänomenalen Zerteilungen existiert, handelt und vorwärtsgeht. Die Existenz des
Supramentals ist eine logische Notwendigkeit, die sich unmittelbar aus unserer
Ausgangsposition ergibt. Denn saccidananda muß an sich ein raumloses und
zeitloses Absolutes bewußten Seins sein, das Seligkeit ist. Die Welt ist jedoch
im Gegensatz dazu eine Ausdehnung in Zeit und Raum und eine Bewegung,
Ausarbeitung und Entfaltung von Beziehungen und Möglichkeiten durch Kausalität – oder durch das, was uns als solche erscheint
– in Zeit und Raum. Der wahre Name
für diese Kausalität ist Göttliches Gesetz. Das Wesentliche dieses Gesetzes ist
eine unbeirrbare Selbst-Entfaltung der Wahrheit der Sache, die, als Idee, im wahren Wesen dessen enthalten ist, was entwickelt
wird. Es ist eine im voraus festgelegte Bestimmung relativer Bewegungen aus dem
Stoff unendlicher Möglichkeit. Was alle Dinge so zur Entfaltung bringt, muß ein
Wissens-Wille oder eine bewußte Kraft sein; denn die gesamte Manifestation des
Universums ist ein Spiel der Bewußten Kraft, die die wesenhafte Natur des Seins
ist. Aber der entfaltende Wissens-Wille kann nicht mental sein; denn das Mental
kennt, besitzt und lenkt dieses Gesetz nicht, vielmehr wird es selbst durch es
regiert, ist eines seiner Resultate, bewegt sich innerhalb der Erscheinungen der
Selbst-Entfaltung und nicht an ihrer Wurzel, beobachtet die Ergebnisse der
Entfaltung als getrennte Dinge und ringt vergebens darum, zu ihrem Ursprung und
ihrer Wirklichkeit zu gelangen. Außerdem muß dieser Wissens-Wille, der alles zur
Entwicklung bringt, im Besitz der Einheit der Dinge sein und aus ihr deren
Vielfalt manifestieren. Das Mental ist aber nicht im Besitz jener Einheit. Es
verfügt nur über einen unvollkommenen Besitz eines Teils der Vielfalt.
Darum muß ein dem Mental übergeordnetes Prinzip vorhanden sein, das die Bedingungen erfüllt, vor denen das Mental versagt. Zweifellos ist saccidananda selbst dieses Prinzip, aber nicht jenes, das in seinem reinen unendlichen unveränderlichen Bewußtsein ruht, sondern jenes, das aus diesem ursprünglichen Status der Ruhe heraustritt oder sich auf ihn als seine Grundlage stellt, in ihm wie in einem Behältnis verbleibt und in eine Bewegung eingeht, die seine Form von Energie und sein Instrument für kosmische Schöpfung ist. Bewußtsein und Kraft sind die wesenhaften Zwillingsaspekte der reinen Macht des Seins. Wissen und Wille müssen darum die Form sein, die jene Macht in der Ausdehnung von Zeit und Raum annimmt, um eine Welt gegenseitiger Beziehungen zu erschaffen. Dieses Wissen und dieser Wille müssen eins sein, unendlich, allumfassend, allbesitzend, allgestaltend, sie müssen ewig in sich festhalten, was saccidananda in Bewegung und Gestalt ausprägt. So ist also das Supramental ein Wesen, das nach außen in ein bestimmendes Selbst-Wissen hinaustritt, das gewisse Wahrheiten seiner selbst wahrnimmt und sie in einer zeitlichen und räumlichen Ausdehnung seines eigenen zeitlosen und raumlosen Seins realisieren will. Was in seinem eigenen Wesen enthalten ist, nimmt Form an als Selbst-Wissen, als Wahrheits-Bewußtsein, als Real-Idee; da dieses Selbst-Wissen auch Selbst-Kraft ist, erfüllt und verwirklicht es sich unvermeidlich in Zeit und Raum.
Das ist also die Natur
des Göttlichen Bewußtseins, das in sich selbst alle Dinge durch eine Bewegung
seiner bewußten Kraft erschafft und ihre Entwicklung durch Selbst-Evolution
mittels eines eingeborenen Wissens-Willens der Wahrheit des Seins oder der
Real-Idee regiert, die jene gebildet hat. Das Wesen, das auf diese Weise um sich
selbst weiß, nennen wir Gott. Offensichtlich muß Er allgegenwärtig, allwissend
und allmächtig sein. Allgegenwärtig, denn alle Formen sind Gestaltungen Seines
bewußten Wesens, durch dessen Kraft der Bewegung in seiner eigenen Ausdehnung
als Raum und Zeit erschaffen; allwissend, denn alle Dinge existieren in Seinem
bewußten Wesen, sind durch es geformt und werden in seinem Besitz behalten;
allmächtig, denn dies alles besitzende Bewußtsein ist auch eine alles besitzende
Kraft und ein alles gestaltender Wille. Dieser Wille und dieses Wissen liegen
nicht miteinander im Kampf, wie unser Wille und unser Wissen einander
widerstreiten können, denn sie sind nicht verschieden, sondern eine einzige
Bewegung desselben Wesens. Gegen sie kann kein anderer Wille, keine andere Kraft
und kein anderes Bewußtsein von außen oder innen her Widerspruch erheben, denn
es gibt kein Bewußtsein und keine Kraft, die außerhalb von dem Einen wäre, und
alle Energien und Gestaltungen von Wissen in ihm sind nichts anderes als das
Eine. Sie sind nur ein Spiel des einen alles bestimmenden Willens und des einen
alles harmonisierenden Wissens. Was wir als Zusammenprall verschiedener
Willenstendenzen und Kräfte sehen – da wir ja im Gesonderten und Zertrennten
leben und das Ganze nicht schauen können –, betrachtet das Supramental als die
konspirierenden Elemente einer im voraus bestimmten Harmonie, die ihm immer
gegenwärtig ist, denn das Ganze der Dinge wird ewig von seinem Blick umfaßt.
Welche Balance der Kräfte oder Form sein Wirken auch
annimmt, es wird immer von der Art des göttlichen Bewußtseins sein. Da aber sein
Sein in sich selbst absolut ist, ist auch seine Seins-Macht in ihrer Ausdehnung
absolut und darum nicht auf eine einzige Kräfte-Balance oder Form von Wirken
begrenzt. Wir menschlichen Wesen sind nach unserer äußeren Erscheinung eine
besondere Gestaltung von Bewußtsein. Wir sind Zeit und Raum unterworfen. Wir
können darum in unserem vordergründigen Bewußtsein – das alles ist, was wir von
uns selbst kennen – zur gleichen Zeit nur ein einziges Ding, eine Formation, ein
Kräfte-Gleichgewicht des Wesens, ein Aggregat von Erfahrung sein. Dies eine ist für uns die Wahrheit unserer selbst, die wir anerkennen. Alles
übrige ist entweder nicht wahr, oder es ist nicht mehr wahr, denn es ist aus
unserem Gesichtskreis in die Vergangenheit entschwunden; oder es ist noch nicht
wahr, weil es noch in der Zukunft wartet und nicht im Horizont unseres Erkennens
liegt. Das göttliche Bewußtsein ist aber nicht so spezialisiert und nicht so
begrenzt. Es kann zur selben Zeit viele Dinge zugleich sein und mehr gestalten
als nur ein Kräfte-Gleichgewicht auf Dauer oder sogar für alle Zeiten. Wir
finden im Prinzip des Supramentals selbst drei solcher allgemeinen
Kräfte-Gleichgewichte oder Grundformen für sein die Welt begründendes
Bewußtsein. Die erste begründet die unveränderliche Einheit der Dinge. Die
zweite modifiziert diese Einheit, um die Manifestation der Vielen im Einen und
des Einen in Vielen zu fördern und zu erhalten. Die dritte modifiziert es noch
weiter, um die Evolution einer unterschiedlichen Individualität zu unterstützen,
die in uns, durch das Wirken der Unwissenheit, auf einer niederen Ebene zur
Illusion des gesonderten Ichs wird.
Wir haben gesehen, welches die Natur dieses ersten und
primären Kräfte-Gleichgewichts des Supramentals ist, das die unveränderliche
Einheit der Dinge begründet. Es ist nicht das reine unitarische Bewußtsein. Denn
das ist eine zeit- und raumlose Konzentration von saccidananda in sich
selbst, in der sich die Bewußte Kraft nicht in irgendeine Art von Ausbreitung
verausgabt: Wenn sie überhaupt das Universum in sich enthält, besitzt sie es in
ewiger Potenz, nicht in zeitlicher Aktualität. Im Gegensatz dazu ist es eine
gleichmäßige Selbst-Ausdehnung von saccidananda, die alles zusammenfaßt,
alles besitzt und alles konstituiert. Dies alles ist aber Eines, nicht eine
Vielzahl. Es gibt keine Individualisierung. Wenn der Widerschein des
Supramentals auf unser stillgelegtes und geläutertes Selbst fällt, verlieren wir
jedes Empfinden von Individualität. Denn hier gibt es keine Konzentration von
Bewußtheit, die eine individuelle Entfaltung unterstützen könnte. Alles ist in
der Einheit und als eines entfaltet. Alles wird durch dieses göttliche
Bewußtsein als Gestaltung seines Seins, nicht als gesonderte Existenzen
zusammengehalten. Das ist etwa so, wie uns die in unserem Mental auftauchenden
Gedanken und Bilder nicht als gesonderte Wesenheiten vorkommen, sondern als
Gestaltungen, die von unserem Bewußtsein gebildet wurden. So ist es auch mit
allen Namen und Formen in bezug auf dieses primäre Supramental. Das ist reine
göttliche Ideen-Bildung und Gestaltung im Unendlichen, aber eine Ideation und Gestaltung, die nicht wie ein unwirkliches Spiel mentalen
Denkens organisiert ist, sondern als wirkliches Spiel bewußten Wesens. Im diesem
Kräfte-Ausgleich würde die göttliche Seele keinen Unterschied zwischen Bewußter
Seele und Kraft-Seele machen, denn alle Kraft wäre ein Wirken von Bewußtsein.
Auch würde sie nicht zwischen Materie und Geist unterscheiden, denn jede
materielle Prägeform wäre einfach Form von Geist.
Bei dem sekundären Kräfte-Gleichgewicht des
Supramentals tritt das göttliche Bewußtsein in der Idee hinter die Bewegung
zurück, die es enthält. Es verwirklicht sie durch eine Art verstehenden
Bewußtseins, es folgt ihr, nimmt sie in Besitz und bewohnt ihre Werke, es
scheint sich selbst in ihre Gestaltungen zu verteilen. In jedem Namen und jeder
Form würde es sich als das stabile Bewußte Selbst, als dasselbe in allem
verwirklichen. Aber es würde sich auch als eine Konzentration von Bewußtem
Selbst realisieren, das dem individuellen Spiel von Bewegung folgt, es fördert
und dessen Differenzierung von anderem Bewegungs-Spiel stützt, – dabei in der
Seelen-Wesenheit überall dasselbe sein, doch verschieden in der Seelen-Form.
Diese Konzentration, die die Seelen-Form fördert, wäre das individuelle
Göttliche Wesen, jivatman, im Unterschied zum universalen Göttlichen
Wesen oder dem einen alles konstituierenden Selbst. Da würde es keinen
wesenhaften Unterschied geben, nur einen praktischen für das Spiel, der die
wahre Einheit nicht aufheben würde. Das universale Göttliche Wesen würde alle
Seelen-Gestaltungen als sich selbst anerkennen und trotzdem eine
unterschiedliche Beziehung zu jeder getrennt und ebenso auch in jeder zu allen
anderen unterhalten. Das individuelle Göttliche Wesen würde sein Sein als eine
Seelen-Form und Seelen-Bewegung des Einen ansehen und einerseits durch das
umfassend verstehende Wirken von Bewußtsein seine Einheit mit dem Einen und mit
allen Seelen-Gestaltungen genießen, andererseits auch durch ein nach vorwärts
und nach außen gerichtetes wahrnehmendes Wirken seine individuelle Bewegung
unterstützen und sich in ihr seiner Beziehungen einer freien Unterschiedlichkeit
in Einheit sowohl zu dem Einen wie auch zu allen seinen Gestaltungen erfreuen.
Würde unser geläutertes Mental dieses sekundäre Kräfte-Gleichgewicht des
Supramentals widerspiegeln, unsere Seele könnte ihr individuelles Dasein fördern
und besitzen und sich gerade darin als das Eine realisieren, das zu allen
geworden ist, alle bewohnt und alle in sich enthält. Sie könnte gerade in ihrer
besonderen Gestaltung ihre Einheit mit Gott und
ihren Mitmenschen pflegen. In keinem anderen Zustand supramentalen Seins würde
eine charakteristische Veränderung eintreten. Die einzige Veränderung wäre
dieses Spiel des Einen, das seine Vielfalt manifestiert, und der Vielen, die
immer noch eines sind, mit allem, das nötig ist, um dieses Spiel in Gang zu
halten und durchzuführen.
Ein tertiärer Kräfte-Ausgleich des Supramentals würde eintreten, wenn die zugrunde liegende Konzentration sozusagen nicht länger im Hintergrund der Bewegung stehen, sie mit einer gewissen Überlegenheit bewohnen, ihr in dieser Weise nachfolgen und sich an ihr freuen würde, sondern es sich selbst in die Bewegung hinausprojizieren und in gewisser Weise ihr involvieren würde. Hier würde sich der Charakter des Spiels zwar verändern, doch nur insofern, als nun das individuelle Göttliche Wesen das Spiel der Beziehungen zum Universalen und zu den anderen Gestaltungen auf so vordringliche Weise zum praktischen Feld seiner bewußten Erfahrung machen würde, daß die Realisation seiner äußersten Einheit mit ihnen nur noch eine überragende Begleiterscheinung, ständiger Höhepunkt aller Erfahrung sein würde. Im höheren Kräfte-Ausgleich wäre jedoch die Einheit noch die vorherrschende und fundamentale Erfahrung, die Variation wäre nur ein Spiel der Einheit. Das tertiäre Kräfte-Gleichgewicht wäre also eine Art fundamentalen seligen Dualismus innerhalb der Einheit – nicht mehr Einheit, die durch untergeordneten Dualismus qualifiziert wird – von individuellem Göttlichen Wesen und seinem universalen Ursprung mit allen Konsequenzen, die aus der Aufrechterhaltung und Durchführung eines solchen Dualismus entstünden.
Man kann sagen, die erste Konsequenz wäre ein
Hinabsinken in die Unwissenheit von avidya, das die Vielen als die
wirkliche Tatsache des Daseins ansieht und den Einen nur als kosmische Summe der
Vielen betrachtet. Ein solcher Absturz müßte aber nicht notwendigerweise
erfolgen. Denn das individuelle Göttliche Wesen wäre immer noch seiner selbst
bewußt als hervorgegangen aus dem Einen und seiner Macht zu bewußter
Selbst-Schöpfung, das heißt, seiner vielfältigen Selbst-Zentrierung, die so
konzipiert ist, daß das Eine sein vielfältiges Sein in der Ausdehung von Zeit
und Raum mannigfach lenken und genießen kann. Dieses wahre spirituelle
Individuum würde sich kein unabhängiges oder abgesondertes Dasein anmaßen. Es
würde nur die Wahrheit der differenzierenden Bewegung zugleich mit der Wahrheit
der feststehenden Einheit betonen und sie als
oberen und unteren Pol derselben Wahrheit und als Fundament und höchste Höhe
desselben göttlichen Spiels ansehen. Es würde Nachdruck legen auf die Freude an
der Differenzierung als notwendig für die Fülle der Freude an der Einheit.
Offenbar würden die drei Kräfte-Gleichgewichte verschiedene Wege sein, mit derselben Wahrheit umzugehen. Die dabei erlebte Freude an der Wahrheit des Seins wäre dieselbe, doch wäre die Art, sie zu genießen, oder vielmehr die Kräfte-Balance der Seele beim Genießen verschieden. Die Seligkeit, ananda, wäre verschiedenartig, sie würde aber immer innerhalb des Status des Wahrheits-Bewußtseins bleiben und nicht zum Absturz in Unwahrheit und Unwissenheit führen. Denn das sekundäre und tertiäre Supramental würde nur in den Begriffen der göttlichen Vielfalt das entwickeln und anwenden, was das primäre Supramental in den Begriffen der göttlichen Einheit enthalten hatte. Wir dürfen also keines dieser drei Kräfte-Gleichgewichte mit dem Stigma von Unwahrheit und Illusion belasten. Wenn die Upanishaden, die höchste Autorität des Altertums in bezug auf die Wahrheiten höherer Erfahrung, vom Göttlichen Sein sprechen, das sich manifestiert, setzen sie die Gleichwertigkeit all dieser Erfahrungen voraus. Wir können nur die Priorität des Einsseins gegenüber der Vielfalt betonen; das ist aber keine zeitliche, sondern bewußtseinsmäßige Priorität. Keine Aussage einer höchsten spirituellen Erfahrung, keine vedantische Philosophie bestreitet diese Priorität oder die ewige Abhängigkeit der Vielen von dem Einen. Weil die Vielen nicht in der Zeit ewig zu sein scheinen, sondern sich aus dem Einen manifestieren und wieder dorthin als in ihre Seins-Grundlage zurückkehren, wird ihnen ihre Realität bestritten. Man könnte aber mit demselben Recht folgern, die ewige Dauer oder, wenn man so will, die ewige Wiederkehr sei ein Beweis dafür, daß die göttliche Vielfalt nicht weniger eine ewige Tatsache des Höchsten jenseits der Zeit ist als die göttliche Einheit. Andernfalls könnte sie nicht die Eigenschaft unvermeidlicher ewiger Wiederkehr in der Zeit haben.
Tatsächlich ergibt sich die Notwendigkeit für diese
einander bekämpfenden Schulen der Philosophie nur aus der Tatsache, daß die
menschliche Mentalität ausschließlich auf die eine Seite der spirituellen
Erfahrung Nachdruck legt und behauptet, diese sei die einzige ewige Wahrheit,
und daß sie dies in den Begriffen unserer alles zerteilenden mentalen Logik
darstellt. Wenn wir also die alleinige Wahrheit des unitarischen
Bewußtseins betonen, beobachten wir das Spiel der göttlichen Einheit, das von
unserem Mental irrtümlich in die Begriffe einer wirklichen Differenz übersetzt
wird. Wir begnügen uns aber nicht damit, diesen Irrtum des Mentals durch die
Wahrheit eines höheren Prinzips zu korrigieren, sondern behaupten, das Spiel
selbst sei eine Illusion. Oder wir legen den Nachdruck auf das Spiel des Einen
in den Vielen und heben eine qualifizierte Einheit hervor, betrachten die
individuelle Seele als eine Seelen-Form des Höchsten, wollen so die Ewigkeit
dieses qualifizierten Daseins betonen und bestreiten dabei die Erfahrung reinen
Bewußtseins in einer unqualifizierten Einheit. Oder wir betonen allein das Spiel
der Unterschiedlichkeit, behaupten, der Höchste und die menschliche Seele seien
auf ewig verschieden, und bestreiten so die Gültigkeit einer Erfahrung, die über
diese Unterschiedlichkeit hinausgeht und sie offenbar aufhebt. Die Position, die
wir hier eingenommen haben, befreit uns von der Notwendigkeit solcher
Verneinungen und Ausschließungen: Wir sehen, daß es hinter all diesen
Behauptungen eine Wahrheit gibt. Wir erkennen zugleich die Übertreibung, die zu
einer schlecht begründeten Verneinung führt. Wir bejahen, wie wir es getan
haben, die unbedingte Absolutheit von Jenem, das durch unsere Vorstellung von
Einheit ebensowenig eingeschränkt wird wie durch unsere Ideen von Vielheit. Wir
bejahen die Einheit als Grundlage der Manifestation der Vielheit und die
Vielheit als Grundlage der Rückkehr zur Einheit und zum Erleben der Einheit in
der göttlichen Manifestation. Wir brauchen also nicht unsere jetzige Darstellung
mit diesen Diskussionen zu belasten oder die vergebliche Arbeit auf uns zu
nehmen und die absolute Freiheit des Göttlichen Unendlichen zum Sklaven unserer
mentalen Unterscheidungen und Definitionen zu machen.
Kapitel XVII. Die Göttliche Seele
Wie sollte er, dessen
Selbst zu allen Wesen im Dasein geworden ist, da er das Wissen besitzt,
getäuscht werden, und worüber soll er Kummer haben, er, der überall das Einssein
schaut?
Isha Upanishad, Vers
Durch die Auffassung, die wir uns vom Supramental
gebildet haben, indem wir es dem Mentalwesen gegenüberstellten, auf das sich
unser menschliches Dasein gründet, können wir uns eine genaue, nicht bloß vage
Vorstellung von Göttlichkeit und dem göttlichen Leben bilden. Wir wären sonst
dazu verurteilt, diese Ausdrücke verschwommen und als ungenaue Bezeichnung für
ein weites, fast unausdrückbares Streben zu gebrauchen. Darüber hinaus können
wir nun diesen Ideen eine feste Grundlage philosophischen Vernunft-Denkens
geben. Wir können sie in klare Beziehung zum menschlichen Wesen und Leben setzen
– das alles ist, woran wir uns gegenwärtig erfreuen – und können unsere Hoffnung
und unser Streben gerade durch die Eigenart der Welt, unserer eigenen kosmischen
Vorfahren und die unausweichliche Zukunft unserer Evolution rechtfertigen. Wir
fangen an, intellektuell zu begreifen, was das Göttliche Wesen, die Ewige
Wirklichkeit, ist, und zu verstehen, wie die Welt aus ihm entstand. Wir
verstehen auch immer besser, wie das, was aus dem Göttlichen Wesen kam,
unvermeidlich zu ihm zurückkehren muß. Nun können wir uns mit Aussicht auf
Gewinn für uns und eine klarere Antwort fragen, wie wir uns selbst umwandeln und
was wir werden müssen, um dorthin zu gelangen, in unserer Natur, in unserem
Leben und in unseren Beziehungen zu anderen und nicht nur durch einsame
ekstatische Realisation in den Tiefen unseres Wesens. Gewiß gibt es in unseren
Voraussetzungen noch einen Mangel. Denn wir haben uns bisher bemüht, für uns
selbst zu definieren, was das Göttliche Wesen in seinem Herniederkommen in die
begrenzte Natur ist, während das, was wir tatsächlich sind, das Göttliche Wesen
im individuellen Menschen ist, das aus der begrenzten Natur
zurück zu seiner eigenen wahren Göttlichkeit emporsteigt. Dieser Unterschied der
Bewegung muß auch ein Unterschied zwischen dem Leben der Götter, die niemals den
Absturz gekannt haben, und dem Leben des erlösten Menschen sein, der die
verlorene Göttlichkeit gewonnen hat und die Erfahrung und vielleicht auch die
neuen Reichtümer in sich trägt, die er sammeln konnte, indem er das
Herniederkommen bis in die äußersten Tiefen annahm. Trotzdem kann es keinen
Unterschied in den wesentlichen Eigenschaften geben, sondern nur in der äußeren
Prägung und Färbung. Auf der Grundlage unserer Schlußfolgerungen können wir
schon jetzt mit Gewißheit die wesentlichen Züge des göttlichen Lebens
darstellen, nach dem wir streben.
Wie würde nun das Dasein einer göttlichen Seele sein, die nicht durch den Absturz des Geistes in die Materie und durch die Verfinsterung der Seele durch die materielle Natur in die Unwissenheit herabgesunken ist? Wie würde ihr Bewußtsein sein, würde sie so, wie das Göttliche Sein selbst, in der ursprünglichen Wahrheit der Dinge, in der unveränderlichen Einheit, in der Welt ihres eigenen unendlichen Wesens leben, dabei aber fähig sein, durch das Spiel der Göttlichen maya und durch die Unterscheidung des (intuitiv) begreifenden und (logisch) erfassenden Wahrheits-Bewußtseins, ihre Verschiedenheit von Gott zugleich als Einheit mit Ihm zu genießen und im unendlichen Spiel des selbst-vervielfachten Identischen Verschiedenheit und dennoch Einheit mit anderen göttlichen Seelen zugleich zu umfassen?
Offensichtlich wäre das Sein einer solchen Seele durch
ihr Selbst stets im bewußten Spiel von saccidananda enthalten. Es wäre in
seinem Wesen reines und unendliches Selbst-Sein, in seinem Werden ein freies
Spiel unsterblichen Lebens, in das Tod, Geburt und Wechsel des Körpers nicht
eindringen, da die Seele nicht durch Unwissenheit verdunkelt und nicht in die
Finsternis unseres materiellen Wesens involviert ist. Ihr Sein wäre in seiner
Kraft reines, unbegrenztes Bewußtsein, gelassen in ewiger leuchtender Ruhe als
ihrem Fundament und doch fähig, frei mit Gestaltungen von Erkenntnis und Formen
von bewußter Macht zu spielen: ruhig, unbeirrt durch das Straucheln mentalen
Irrtums und die Mißgriffe unseres ringenden Willens, da sie nie von Wahrheit und
Einssein abweicht, nie aus dem ihr eingeborenen Licht und der natürlichen
Harmonie ihres göttlichen Seins herausfällt. Schließlich wäre sie in ihrer
ewigen Selbst-Erfahrung reine unveränderliche Seligkeit und in der Zeit eine
freie Variation von Entzücken, nicht beeinträchtigt, da in ihrem Wesen unzerteilt, durch unsere Verkehrtheiten wie Abneigung,
Haß, Unzufriedenheit und Leiden, nicht gehemmt durch Eigenwillen und nicht
entstellt durch den ignoranten Antrieb von Verlangen.
Das Bewußtsein der göttlichen Seele wäre aus keinem
Teil der unendlichen Wahrheit ausgeschlossen. Es wäre durch kein
Kräfte-Gleichgewicht und keinen Status, den sie in ihren Beziehungen zu anderen
annehmen könnte, begrenzt und zu keinem Verlust an Selbst-Wissen deshalb
verurteilt, weil sie rein phänomenale Individualität und das Spiel praktischer
Differenzierung angenommen hat. In ihrer Selbst-Erfahrung würde sie ewig in der
Gegenwart des Absoluten leben. Für uns ist das Absolute nur ein intellektueller
Begriff undefinierbaren Seins. Der Intellekt sagt uns einfach: Es gibt ein
brahman, das höher ist als das Höchste, paratpara, ein Unerkennbares,
das sich selbst erkennt auf eine andere Art als die unseres Erkennens. Aber der
Intellekt kann uns nicht in seine Nähe bringen. Da die göttliche Seele in der
Wahrheit der Dinge lebt, würde sie, im Gegensatz dazu, immer sich selbst bewußt
als Manifestation des Absoluten empfinden. Sie würde ihres unveränderlichen
Seins als der ursprünglichen “Selbst-Form”, svarupa, jenes
Transzendenten, des saccidananda, innesein. Sie würde ihr Spiel bewußten
Wesens gewahren als eine Manifestation von Jenem in Formen von saccidananda.
In jeder Art des Zustands oder Wirkens der Erkenntnis wäre ihr durch eine Form
veränderlichen Selbst-Erkennens das Unerkennbare gegenwärtig, das um sich selbst
weiß. In jedem Zustand und Wirken von Macht, Willen oder Kraft würde sie durch
eine Form bewußter Macht des Wesens und Wissens der Transzendenz bewußt sein,
die sich selbst besitzt. In jedem Zustand und Wirken von Seligkeit, Freude und
Liebe würde sie durch eine Form bewußten Erlebens ihres Selbsts der Transzendenz
innesein, die sich selbst umarmt. Diese Gegenwart des Absoluten würde für die
göttliche Seele nicht ein gelegentlicher flüchtiger Anblick sein oder einer, zu
dem sie schließlich nur mit Schwierigkeit gelangt und den sie als zusätzlichen
Gewinn oder als höchste Erfahrung festhält, die ihr über ihren gewöhnlichen
Seins-Zustand hinaus beschert wird. Sie wäre vielmehr die eigentliche Grundlage
ihres Wesens sowohl in der Einheit wie in der Verschiedenheit. Sie wäre ihr
gegenwärtig bei allem Erkennen, Wollen, Tun und Genießen, nie von ihr abwesend:
weder von ihrem zeitlosen Selbst noch von irgendeinem Augenblick in der Zeit,
weder von ihrem raumlosen Wesen noch von irgendwelcher Bestimmung ihres
ausgedehnten Daseins, weder von ihrer durch
keine Bedingungen beeinträchtigten Reinheit jenseits von Ursache und Umstand,
noch von irgendeiner Beziehung des Umstands, der Bedingung und Kausalität. Diese
ständige Gegenwart des Absoluten wäre also die Basis ihrer unendlichen Freiheit
und Seligkeit. Sie würde ihre Sicherheit im Spiel gewiß machen und ihr Wurzel,
Saft und Essenz ihres göttlichen Wesens gewähren.
Eine solche göttliche Seele würde ferner zugleich in den beiden Begriffen des ewigen Seins von saccidananda, in der untrennbaren Bi-Polarität der Selbst-Entfaltung des Absoluten leben, die wir das Eine und die Vielen nennen. Alles Seiende lebt in Wirklichkeit so. Für unsere geteilte Selbst-Bewußtheit gibt es etwas Unvereinbares, eine Kluft zwischen den beiden, die uns zu einer Entscheidung treibt, entweder in der Vielfalt zu leben, die verbannt ist aus dem unmittelbaren und vollständigen Bewußtsein des Einen, oder in der Einheit, die das Bewußtsein der Vielen zurückweist. Die göttliche Seele würde nicht unter diese Trennung und Dualität versklavt sein. Sie wäre in sich selbst sofort der unendlichen Selbst-Konzentration sowie der unendlichen Selbst-Ausdehnung und Ausbreitung bewußt. Sie würde zugleich das Eine gewahren, das in seinem unitarischen Bewußtsein die zahllose Vielfalt in sich enthält – als sei sie potentiell, unausgedrückt und darum für unsere mentale Erfahrung dieses Zustands nicht-existent – und das Eine, das in seinem ausgebreiteten Bewußtsein die Vielfalt enthält, nach außen geworfen und aktiv als das Spiel seines eigenen bewußten Wesens, Wollens und Seligseins. Die göttliche Seele wäre so in gleicher Weise der Vielen inne, die das Eine, das der ewige Ursprung und die Wirklichkeit ihres Daseins ist, immer zu sich herniederziehen, und jener Vielen, die, angezogen von dem Einen, immer zu ihm emporsteigen, weil es höchste Höhe und wonnevolle Rechtfertigung all ihres Spiels der Verschiedenheit ist. Diese weite Betrachtung der Dinge ist die Prägeform des Wahrheits-Bewußtseins, die Grundlage der großen Wahrheit und des Richtigen, die von den vedischen Sehern in ihren Hymnen gepriesen werden. Diese Einheit aller einander gegenüberstehenden Begriffe ist das wahre advaita, das höchste umfassende Wort der Erkenntnis des Unerkennbaren.
Die göttliche Seele wird jeder Variation von Wesen,
Bewußtsein, Willen und Seligkeit innesein als des Ausströmens, der Ausbreitung
und Ausgießung jener in sich selbst konzentrierten Einheit, die sich entfaltet –
nicht in Verschiedenheit und Zertrennung, sondern in eine andere, weit ausgebreitete Form unendlicher Einheit. Sie selbst wird in der
Wesenhaftigkeit ihres Seins immer im Einssein konzentriert und manifestiert sein
bei unterschiedlicher Ausdehnung ihres Wesens. Alles was in ihr selbst Form
annimmt, werden die offenbarten Potentialitäten des Einen sein: das Wort oder
der Name, die aus dem namenlosen Schweigen hervorschwingen; die Form, die die
formlose Wesenhaftigkeit verwirklicht; der aktive Wille oder die Macht, die aus
der ruhigen Kraft hervorgehen; der Strahl der Selbst-Kenntnis, der aus der Sonne
zeitlosen Selbst-Inneseins hervorbricht; die Woge des Werdens, die aus dem ewig
seiner selbst bewußten Sein in die Gestaltung eines selbst-bewußten Daseins
emporsteigt; die Freude und Liebe, die immer aus der ewigen stillen Seligkeit
hervorquellen. Das wird das in seiner Selbst-Entfaltung zwei-einige Absolute
sein, und jede Relativität in ihm wird sich selbst gegenüber absolut sein, da
sie ihrer gewahr wird als das manifestierte Absolute, jedoch ohne jene
Unwissenheit, die andere Relativitäten als ihrem eigenen Wesen fremd oder
weniger vollständig als sie selbst ausschließt.
in der Ausdehnung wird die göttliche Seele drei Grade
des supramentalen Seins wahrnehmen, jedoch nicht so, wie wir sie durch unser
Mental betrachten müssen, als verschiedene Grade, sondern als ein dreieiniges
Faktum der Selbst-Offenbarung von saccidananda. Sie wird sie in ein und
derselben intuitiv begreifenden Selbst-Realisation umfassen können, denn die
Fähigkeit zu solch einem umfassenden Begreifen ist die Grundlage des der
Wahrheit bewußten Supramentals. Sie wird in göttlicher Weise alle Dinge als das
Selbst begreifen, verstehen und erfühlen, als ihr eigenes Selbst, als das eine
Selbst aller, als das eine Selbst-Seiende und Selbst-Werden, jedoch nicht
aufgeteilt in seinen Werdeformen, da sie, losgetrennt von seinem eigenen
Selbst-Bewußtsein, kein Dasein besitzen. Sie wird in göttlicher Weise alle Wesen
im Dasein begreifen, verstehen und erfühlen als Seelen-Gestaltungen des Einen,
von denen jedes sein eigenes Wesen im Einen hat, seinen eigenen festen Stand im
Einen, seine eigenen Beziehungen zu allen anderen existierenden Wesen, die die
unendliche Einheit bevölkern, aber alle von dem Einen abhängen, eine bewußte
Form von Ihm in Seiner eigenen Unendlichkeit. Die Seele wird in göttlicher Weise
all diese Seienden begreifen, verstehen und erfühlen können in ihrer
Individualität, an ihrem besonderen Ort lebend als das individuelle Göttliche
Wesen, jedes den innewohnenden Einen und Höchsten besitzend. Darum ist keines nur eine Form oder Truggestalt, illusorischer Teil eines
wirklichen Ganzen, bloß schäumende Woge auf der Oberfläche eines unbeweglichen
Ozeans – das alles sind schließlich nur unangemessene mentale Bilder, sondern
ein Ganzes im Ganzen, eine Wahrheit, die die unendliche Wahrheit wiederholt,
eine Welle, die das ganze Meer ist, ein Relatives, das sich als das Absolute
selbst erweist, wenn wir hinter die Form schauen und es in seiner
Vollständigkeit sehen.
Denn diese drei sind Aspekte des Einen Seins. Der erste gründet sich auf jene Selbst-Erkenntnis, die, in unserer menschlichen Realisation des Göttlichen Wesens, von der Upanishad als das Selbst beschrieben wird, das in uns zu allen existierenden Wesen wird. Der zweite Aspekt ist das, was als das Schauen aller existierenden Wesen im Selbst beschrieben wird. Der dritte Aspekt des Einen Seins wird beschrieben als das Sehen des Selbsts in allen existierenden Wesen. Das Selbst, das zu allen existierenden Wesen wird, ist die Grundlage unseres Einsseins mit allen. Das Selbst, das alle Existenzen in sich enthält, ist die Basis für unser Einssein mit ihnen in der Verschiedenheit. Das Selbst, das alle bewohnt, ist die Grundlage für unsere Individualität im Universalen. Wenn der Mangel unseres Mentals, wenn sein Bedürfnis nach exklusiver Konzentration es zwingt, sich auf einen dieser Aspekte der Erkenntnis des Selbsts unter Ausschluß der anderen festzulegen, und wenn eine unvollkommene ebenso wie exklusive Realisation uns ständig dazu veranlaßt, in die eigentliche Wahrheit ein menschliches Element von Irrtum und in die umfassende Einheit ein Element von Konflikt und gegenseitiger Verneinung zu tragen, müssen sich diese Aspekte einem göttlichen supramentalen Wesen durch den wesenhaften Charakter des Supramentals, das umfassendes Einssein und unendliche Totalität ist, dennoch als dreifache, besser dreieinige Realisation darstellen.
Setzen wir voraus, diese Seele nimmt ihr Gleichgewicht,
ihren Mittelpunkt im Bewußtsein des individuellen Göttlichen Wesens ein, lebt
und handelt in einer fest umrissenen Beziehung zu den “anderen”, so wird sie
dennoch im Fundament ihres Bewußtseins die völlige Einheit besitzen, aus der
alles hervorgeht. Im Hintergrund dieses Bewußtseins wird sie die ausgebreitete
und modifizierte Einheit haben. Sie wird stets zu jeder von diesen zurückkehren
und von ihnen aus ihre Individualität betrachten können. Im Veda wird von den
Göttern behauptet, daß sie alle diese Positionen einnehmen können. Ihrem Wesen
nach sind die Götter ein einziges Sein, das die Weisen mit verschiedenen Namen bezeichnen. Ihrem Wirken nach, das auf das erhabene Wahre und
Rechte gegründet ist und von da ausgeht, sagt man jedoch: Agni oder ein anderer
seien zugleich alle übrigen Götter. Er ist der Eine, der zu allen wird. Zugleich
sagt man von ihm, er enthalte alle Götter so in sich, wie die Nabe eines Rads
alle Speichen in sich enthalte: Er ist der Eine, der alle in sich enthält.
Dennoch wird er als Agni, als eine gesonderte Gottheit, beschrieben, als einer,
der allen anderen hilft, sie an Kraft und Wissen übertrifft, dennoch in
kosmischer Stellung ihnen untergeordnet ist und von ihnen als Bote, Priester,
Arbeiter angestellt wird, – er, der Weltenschöpfer und Vater, der doch der Sohn
ist, der aus unseren Werken geboren wird, er heißt das ursprüngliche und das
manifestierte innewohnende Selbst oder Göttliche Wesen, der Eine, der in allen
wohnt.
Die Beziehungen der göttlichen Seele zu Gott oder ihrem
höchsten Selbst und zu ihren anderen Selbsten in anderen Gestalten werden durch
diese umfassende Erkenntnis des Selbsts festgelegt. Diese Relationen werden
Beziehungen von Seiendem, Bewußtsein und Erkenntnis, von Willen und Kraft, von
Liebe und Seligkeit sein. Da sie in ihrer Variationspotenz unendlich sind,
brauchen sie keine mögliche Beziehung von Seele zu Seele auszuschließen, die mit
der Bewahrung des unveräußerlichen Empfindens der Einheit vereinbar ist, auch
wenn dem jedes Phänomen von Verschiedenheit entgegensteht. So wird die göttliche
Seele in ihren Beziehungen freudiger Art die Seligkeit ihrer ganzen eigenen
Erfahrung in sich selbst haben. Sie wird die Seligkeit all ihrer Erfahrung von
Beziehung zu anderen als Kommunion mit anderen Selbsten in anderen Gestalten
erleben, die für ein unterschiedliches Spiel im Universum erschaffen sind. Sie
wird auch die Seligkeit der Erfahrungen ihrer anderen Selbste so haben, als
wären sie ihre eigenen -was sie auch wirklich sind. Sie wird die Befähigung zu
alledem haben, weil sie ihre eigenen Erfahrungen, ihre Beziehungen zu anderen
und die Erfahrungen anderer und deren Beziehungen zu ihr als die ganze Freude
oder das ananda des Einen erlebt, des höchsten Selbsts, ihres eigenen Selbsts,
dadurch differenziert, daß es alle diese Gestalten von seinem eigenen Wesen
umfaßt, bewohnt und doch in der Verschiedenheit nur eines ist. Da diese Einheit
die Basis all ihrer Erfahrung ist, ist sie frei von den Disharmonien unseres
zerteilten Bewußtseins, das durch Unwissenheit und separatistischen Egoismus
zertrennt ist. Alle diese Selbste und ihre Beziehungen werden einander bewußt in
die Hände spielen. Sie werden sich trennen und
wieder miteinander verschmelzen wie die zahllosen Töne einer ewigen Harmonie.
Dasselbe Gesetz wird für die Beziehungen ihres Wesens, Erkennens und Wollens zum Wesen, Erkennen und Wollen anderer gelten. Denn all ihre Erfahrung und Seligkeit wird das Spiel einer in ihrem Selbst freudvollen bewußten Kraft des Wesens sein, in dem, durch Gehorsam gegenüber dieser Wahrheit der Einheit, Wille nicht der Erkenntnis und beide nicht der Seligkeit widerstreiten können. Auch werden Erkenntnis, Wille und Seligkeit der einen Seele nicht mit Erkenntnis, Willen und Seligkeit einer anderen Seele zusammenstoßen, da dort, infolge des Inneseins ihrer Einheit, aller Zusammenstoß, Kampf und alle Disharmonie in unserem zertrennten Wesen zu einem Sichbegegnen, Sichumschließen und Wechselspiel der verschiedenen Noten einer einzigen unendlichen Harmonie wird.
In den Beziehungen zu ihrem höchsten Selbst, zu Gott,
wird die göttliche Seele dieses Gefühl des Einsseins des transzendenten und
universalen Göttlichen Wesens mit ihrem eigenen Wesen haben. Sie wird sich an
diesem Einssein Gottes mit ihr in der eigenen Individualität und mit ihren
anderen Selbsten in der Universalität erfreuen. Ihre Beziehungen der Erkenntnis
werden das Spiel der göttlichen Allwissenheit sein, denn Gott ist Wissen. Was
bei uns Unwissenheit ist, ist dort nur das Einbehalten von Wissen in der Ruhe
eines bewußten Selbst-Inneseins, so daß gewisse Formen dieses Selbst-Gewahrseins
in die Aktivität von Licht hervorgebracht werden können. Ihre Beziehungen des
Willens werden dort das Spiel der göttlichen Allmacht sein, denn Gott ist Kraft,
Wille und Macht. Was bei uns Schwäche und Unfähigkeit ist, wird dort das
Zurückhalten von Willen in ruhiger konzentrierter Kraft sein, so daß sich
gewisse Formen göttlicher bewußter Kraft verwirklichen können, indem sie in
einer Form von Macht hervorgebracht werden. Ihre Beziehungen der Liebe und
Seligkeit werden das Spiel göttlicher Ekstase sein, denn Gott ist Liebe und
Seligkeit. Was bei uns ein Verneinen von Liebe und Seligkeit wäre, wird dort ein
Zurückhalten von Freude im stillen Meer von Wonne sein, so daß gewisse Formen
göttlicher Einung und Freude in aktivem Aufwallen von Wonne nach außen verströmt
werden mögen. So wird für die göttliche Seele auch all ihr Werden eine
Gestaltung des göttlichen Wesens in Antwort auf dieses Wirken sein. Was bei uns
Aufhören, Tod, Vernichtung ist, wird nur Ruhe, Übergang oder das Zurückhalten
der freudvollen schöpferischen maya im ewigen Wesen von saccidananda sein. Zugleich wird dieses Einssein Beziehungen
der göttlichen Seele zu Gott, zum höchsten Selbst, nicht ausschließen, die sich
auf die Freude der Verschiedenheit gründen, so daß sich die Seele deshalb aus
der Einheit trennt, um sich dieser Einheit auf eine andere Weise zu erfreuen.
Sie wird die Möglichkeit solcher erlesenen Formen der Freude in Gott nicht
vernichten, die das höchste Entzücken des Gott-Liebenden in seiner Umarmung des
Göttlichen Wesens sind.
Welches werden aber die Bedingungen sein, unter denen und durch die sich diese Lebensart der göttlichen Seele verwirklichen wird? Alle Erfahrung in einer Beziehung verläuft durch gewisse Kräfte des Wesens, die durch eine Instrumentation Gestalt annehmen, der wir die Namen von Eigenschaften, Qualitäten, Aktivitäten, Fähigkeiten geben. So wie sich etwa das Mental in verschiedenen Formen von Mental-Macht ausprägt, wie Urteil, Beobachtung, Erinnerung, Sympathie, die seinem Wesen entsprechen, so muß auch das Wahrheits-Bewußtsein oder Supramental die Beziehungen von Seele zu Seele durch Kräfte, Befähigungen, Funktionsweisen bewirken, die dem supramentalen Wesen eigentümlich sind. Andernfalls gäbe es kein Spiel der Differenzierung. Was diese Funktionsweisen sind, werden wir sehen, wenn wir später die psychologischen Bedingungen des Göttlichen Lebens betrachten. Gegenwärtig erforschen wir nur seine metaphysischen Grundlagen, seine wesenhafte Natur und Prinzipien. Hier möge die Bemerkung genügen, daß die eine wesentliche Bedingung für das Göttliche Leben Abwesenheit oder Beseitigung des separatistischen Egoismus und der wirksamen Zerteilung des Bewußtseins ist. Ihr Vorhandensein in uns konstituiert unsere Sterblichkeit und unseren Fall aus dem Göttlichen Wesen. Das ist unsere “Ur-Sünde” oder, in einer mehr philosophischen Sprache ausgedrückt, das Abirren aus der Wahrheit und aus dem Rechten des Geistes, aus seiner Einheit, Ganzheit und Harmonie, was die notwendige Voraussetzung schuf für jenen großen Absturz in die Unwissenheit, der das Abenteuer der Seele in der Welt ist und aus der unsere leidende und strebende Menschheit geboren ward.
Kapitel XVIII. Mental und Supramental
Er entdeckte, daß das
Mental das brahman war.
Taittiriya Upanishad, III, 4.
Unzerteilbar, aber so als ob zerteilt in Wesen.
Gita, XVIII, 17.
Die Auffassung, die wir uns bisher zu bilden bemüht haben, begreift nur das Essentielle supramentalen Lebens, das die göttliche Seele im Wesen von saccidananda gesichert besitzt, das nun aber die menschliche Seele in diesem hier in der Prägeform eines mentalen und physischen Lebens geformten Körper von saccidananda zu manifestieren hat. Doch soweit wir dieses supramentale Sein bisher erkennen konnten, scheint es überhaupt keine Verbindung oder Entsprechung zu dem uns bekannten Leben zu haben, zum aktiven Leben zwischen den beiden Begriffen unserer normalen Existenz, den Firmamenten von Mental und Körper. Vielmehr scheint es ein Status von Wesen, Bewußtsein, aktiver Beziehung und gegenseitiger Freude zu sein, wie ihn nur körperlose Seelen besitzen und erfahren mögen in einer Welt ohne körperliche Gestaltungen, einer Welt, in der zwar die Differenzierung von Seelen vollendet ist, aber nicht die Differenzierung von Körpern, einer Welt aktiver, freudvoller Unendlichkeiten, nicht formgefangener Geister. Darum könnte man vernünftigerweise zweifeln, ob solch ein göttliches Leben in dem Dasein, wie wir es kennen, möglich sei, bei dieser Beschränkung durch Körpergestalt und dieser Einengung durch formgefangene Mentalität und formbehinderte Kraft.
Wir haben uns in der Tat darum bemüht, einen gewissen
Begriff von diesem höchsten unendlichen Wesen, der bewußten Kraft und der
Selbst-Seligkeit zu bekommen, wovon unsere Welt eine Schöpfung und unsere
Mentalität eine verzerrte Gestaltung ist. Wir versuchten, uns vorzustellen, was
diese göttliche maya, dieses Wahrheits-Bewußtsein, diese Real-Idee sein
mögen, durch die bewußte Kraft des transzendenten und universalen Seins das
Universum, die Ordnung, den Kosmos seiner manifestierten Seins-Seligkeit
entwirft, formt und lenkt. Wir haben aber nicht die Verbindungen dieser vier
großen göttlichen Begriffe mit jenen drei anderen studiert, mit denen allein
unsere menschliche Erfahrung vertraut ist:
Mental, Leben und Körper. Wir haben diese andere, scheinbar ungöttliche maya,
die die Wurze! all unseres Ringens und Leidens ist, noch nicht erforscht und
nicht gesehen, wie sie sich gerade aus der göttlichen Wirklichkeit oder der
göttlichen maya entfaltet. Solange wir das nicht getan und das fehlende
Band gewoben haben, bleibt unsere Welt noch für uns unerklärt und hat der
Zweifel, ob jenes höhere Sein mit diesem niederen Leben vereint werden kann,
immer noch eine Basis. Wir wissen, daß unsere Welt aus saccidananda
hervorgegangen ist und in Seinem Wesen ruht. Wir begreifen, daß Er in ihr als
der sie Genießende und Erkennende, als Herr und Selbst wohnt. Wir haben
gesehen, daß unsere dualen Begriffe von Empfindung, Mental, Kraft und Wesen nur
Darstellungen Seiner Seligkeit, Seiner bewußten Kraft und Seines göttlichen
Seins sein können. Doch sieht es so aus, als ob sie so sehr das Entgegengesetzte
sind zu dem, was Er wirklich und erhaben ist, daß wir die göttliche Lebensweise
nicht erlangen können, solange wir noch in der Ursache dieser Gegensätze
beheimatet und in dem niederen dreifachen Begriff des Daseins festgehalten sind.
Entweder müßten wir dieses niedere Wesen in jenen höheren Status emporheben oder
den Körper vertauschen gegen jenes reine Sein, dieses Leben gegen jenen reinen
Zustand von bewußter Kraft, diese Empfindung und Mentalität gegen jenes reine
Entzücken und Erkennen, die in der Wahrheit der spirituellen Wirklichkeit leben.
Muß das aber nicht bedeuten, daß wir alle irdische oder begrenzte mentale
Existenz für etwas aufgeben, das ihr Gegenteil ist, entweder für den reinen
Status des Geistes oder auch für eine Welt der Wahrheit der Dinge – falls sie
existiert – oder für andere Welten göttlicher Wonne, göttlicher Kraft,
göttlichen Wesens – falls sie existieren? In diesem Fall gibt es die
Vollkommenheit des Menschen nicht in der Menschheit selbst. Dann kann der
Höhepunkt der Evolution nur der herrliche Gipfel einer sich auflösenden
Mentalität sein, von dem aus sie den großen Sprung wagt: in ein formloses Wesen
oder zu Welten jenseits der Reichweite des verkörperten Mentals.
In Wirklichkeit kann aber alles, was wir ungöttlich nennen, nur ein Wirken der vier göttlichen Prinzipien selbst sein, ihres Wirkens, wie es notwendig war, um dieses Universum von Formen zu erschaffen. Diese Gestaltungen wurden nicht außerhalb sondern innerhalb des Seins der bewußten Kraft und Wonne des Göttlichen erschaffen, nicht außerhalb sondern im Wirken der göttlichen Real-Idee und als ein Teil von ihr.
Darum ist die Vermutung
grundlos, in einer Welt der Formen könne es kein wirkliches Spiel des höheren
göttlichen Bewußtseins geben, oder jene Formen und ihre unmittelbaren Stützen – mentales Bewußtsein, Vitalkraft und geformter Stoff
– müßten notwendigerweise
entstellen, was sie darstellen. Es ist möglich, ja wahrscheinlich, daß Mental,
Körper und Leben in reiner Form in der Göttlichen Wahrheit selbst zu finden
sind, faktisch als untergeordnete Wirkensweisen ihres Bewußtseins und als Teil
der vollständigen Instrumentation, durch die die höchste Kraft stets wirkt.
Mental, Leben und Körper müssen also zur Göttlichkeit befähigt sein. Jedoch
brauchen ihre Gestaltung und ihr Wirken in der kurzen Periode von vielleicht nur
einem einzigen Zyklus der Erden-Evolution, den uns die Wissenschaft enthüllt,
nicht alle potentiellen Wirkensweisen dieser drei Prinzipien im lebenden Körper
darzustellen. Ihre jetzige Art zu wirken kommt daher, daß sie durch irgendetwas
im Bewußtsein getrennt sind von der göttlichen Wahrheit, der sie entstammen.
Würde diese Trennung einmal durch die sich in der Menschheit ausbreitende Kraft
des Göttlichen Wesens aufgehoben, könnte, ja würde ihr gegenwärtiges
Funktionieren sehr wohl durch höchste Evolution und Progression in jenes reinere
Wirken verwandelt, das sie im Wahrheits-Bewußtsein haben.
In diesem Fall wäre es nicht nur möglich, das göttliche
Bewußtsein in Mental und Körper zu offenbaren und dauernd zu bewahren. Das
göttliche Bewußtsein könnte am Ende noch mehr erringen und sogar Mental, Leben
und Körper in ein vollkommeneres Ebenbild seiner ewigen Wahrheit umgestalten. Es
könnte nicht nur in der Seele, sondern auch im Stoff sein Himmelreich auf Erden
verwirklichen. Der erste dieser Siege, der innere, ist auf Erden gewiß in mehr
oder weniger hohem Grade von einigen, vielleicht von vielen, errungen worden.
Der andere, der äußere, auch wenn er in vergangenen Äonen nie als erster Typus
für künftige Zyklen mehr oder weniger verwirklicht und noch in der unterbewußten
Erinnerung der Erden-Natur bewahrt worden ist, kann doch als künftig zu
erringender Sieg Gottes in der Menschheit beabsichtigt sein. Dieses irdische
Leben muß nicht unbedingt und für immer ein Rad halb-frohen und halb-leidvollen
Mühens bleiben. Es kann durchaus beabsichtigt sein, daß ein großer Fortschritt
erzielt und die Herrlichkeit und Freude Gottes auf Erden geoffenbart werden
soll. Als nächstes Problem müssen wir betrachten, was Mental, Leben und Körper
in ihren höchsten Ursprüngen sind und was sie in der integralen Vervollkommnung der göttlichen Manifestation sein müssen, wenn sie von
der Wahrheit geformt und nicht von ihr abgeschnitten sind durch Trennung und
Unwissenheit, in denen wir gegenwärtig leben. Denn dort müssen sie schon ihre
Vollkommenheit haben, zu der wir hier emporwachsen, wir, die wir nur die erste,
noch gefesselte Bewegung des Mentals sind, das sich in der Materie entwickelt,
die wir noch nicht befreit sind von den Bedingungen und Auswirkungen jener
Involution des Geistes in die Form, jenes Absturzes des Lichts in seinen eigenen
Schatten, durch den das verdunkelte materielle Bewußtsein der physischen Natur
geschaffen wurde. Der Typus aller Vollkommenheit, zu dem wir emporwachsen, und
die Begriffe unserer höchsten Evolution müssen schon in der göttlichen Real-Idee
enthalten sein. Dort müssen sie für uns geformt und bewußt sein, damit wir zu
ihnen empor- und in sie hineinwachsen können: Denn diese Präexistenz im
göttlichen Wissen ist es, was unsere Mentalität als Ideal bezeichnet und sucht.
Das Ideal ist ewige Wirklichkeit, die wir in den Bedingungen unseres eigenen
Wesens noch nicht verwirklicht haben. Es ist nicht etwas Nicht-Seiendes, das das
Ewige, Göttliche Wesen noch nicht ersonnen hat und das wir unvollkommene Wesen
erahnt haben und zu erschaffen meinen. Das Mental ist in erster Linie der
gefesselte, behinderte Souverän unserer menschlichen Lebensweise. Mental ist in
seinem Wesen ein Bewußtsein, das ausmißt, abgrenzt, aus dem unteilbaren Ganzen
Formen der Dinge herausschneidet und sie so in sich behält, als ob jede ein
getrenntes Vollständiges sei. Selbst bei dem, was offensichtlich nur als Teil
und Fragment existiert, stellt das Mental diese Fiktion seines gewöhnlichen
Umgangs her, als ob sie Dinge seien, mit denen es gesondert umgehen könne, nicht
nur Aspekte eines Ganzen. Selbst wenn es weiß, daß sie nicht Dinge an und für
sich sind, sieht es sich gezwungen, so mit ihnen umzugehen, als seien sie Dinge
an und für sich. Sonst könnte es sie nicht seinem charakteristischen Wirken
unterwerfen. Diese sein Wesen bezeichnende Methode bedingt das Wirken aller
Mächte seines Verfahrens, des Begreifens, Wahrnehmens, Empfindens und des
Umgangs mit schöpferischem Denken. Es begreift, nimmt wahr und empfindet Dinge,
als seien sie aus einem Hintergrund oder einer Masse starr herausgeschnitten,
und verwendet sie als festgelegte Einheiten des ihm zur schöpferischen
Gestaltung oder zum Besitzen gegebenen Materials. So hat all sein Wirken und
Genießen es mit Ganzheiten zu tun, die Teil eines größeren Ganzen sind; und
diese untergeordneten
Ganzheiten werden wieder
in Teile aufgeteilt, die auch als Ganzheiten für die besonderen Zwecke behandelt
werden, denen sie dienen. Das Mental mag teilen, multiplizieren, addieren,
subtrahieren, aber es kann nicht über die Grenzen dieser Mathematik hinausgehen.
Wenn es sie überschreitet, wenn es ein wirkliches Ganzes zu begreifen sucht,
verliert es sich in ein fremdes Element. Es stürzt dann von seinem eigenen
festen Grund hinab in den Ozean des Ungreifbaren, in die Abgründe des
Unendlichen, wo es seinen Gegenstand weder wahrnehmen, begreifen und empfinden,
noch mit ihm zum Erschaffen oder Genießen umgehen kann. Denn wenn das Mental das
Unendliche manchmal zu begreifen, wahrzunehmen, zu empfinden oder als Besitz zu
genießen vermag, so nur scheinbar und stets in einem Sinnbild des Unendlichen.
Was es so vage besitzt, ist nur ein formloses außerordentlich Weites und nicht
das wirkliche raumlose Unendliche. Im Augenblick, wo es damit umzugehen und es
zu besitzen versucht, stellt sich sofort die unabänderliche Tendenz zur
Abgrenzung ein; das Mental findet sich wieder dabei, Bilder, Formen oder Wörter
zu behandeln. Das Mental kann das Unendliche nicht besitzen, es kann es nur
erleiden oder von ihm in Besitz genommen werden. Es kann nur selig-hilflos unter
dem lichtvollen Schatten des Wirklichen daliegen, der aus Seinsebenen jenseits
seiner Reichweite auf es geworfen wird. Erst dann können wir in den Besitz des
Unendlichen kommen, wenn wir in jene supramentalen Ebenen emporsteigen. Die
Erkenntnis des Unendlichen ist erst möglich, wenn wir das Mental passiv den zu
uns herabkommenden Botschaften der wahrheitsbewußten Wirklichkeit unterwerfen.
Diese im Wesen des Mentals liegende und sein Wirken
begleitende Fähigkeit und Begrenzung sind seine Wahrheit und legen seine
wirkliche Natur und Betätigung, svabhava und svadharma, fest. Hier
ist das Siegel des göttlichen Gebots, das ihm seine Aufgabe in der vollständigen
Instrumentation der Erhabenen maya anweist, eine Aufgabe, durch das
bestimmt, was es schon bei seiner Geburt aus der ewigen Selbst-Empfängnis des
Selbst-Seienden ist. Sein Amt besteht darin, Unendlichkeit laufend in die
Begriffe des Endlichen zu übersetzen, dieses abzumessen, zu begrenzen,
einzuteilen. Das leistet das Mental tatsächlich in unserem Bewußtsein unter
Ausschluß jedes wahren Empfindens für das Unendliche. Darum ist das Mental der
Knoten der großen Unwissenheit, denn es ist es, das ursprünglich trennt und
verteilt. Man hat es sogar mißverstanden als die Ursache des Universums und für
das Ganze der göttlichen maya gehalten.
Die göttliche maya umfaßt aber sowohl vidya wie avidya, das
Wissen ebenso wie die Unwissenheit. Offensichtlich ist das Endliche nur eine
Erscheinungsform des Unendlichen, ein Ergebnis seines Wirkens, ein Spiel seines
Begriffsvermögens. Das Endliche kann nur durch das Unendliche, in ihm und mit
ihm als seinem Hintergrund existieren, da es selbst Form aus jenem Stoff und das
Wirken jener Kraft ist. Darum muß es ein ursprüngliches Bewußtsein geben, das
beide zugleich in sich enthält und beide gleichzeitig betrachtet, das zuinnerst
aller Beziehungen des einen mit dem anderen bewußt ist. In diesem Bewußtsein
gibt es keine Unwissenheit, da das Unendliche gewußt und das Endliche nicht als
unabhängige Wirklichkeit von ihm getrennt ist. Aber es gibt dort noch einen
untergeordneten Vorgang von Abgrenzung – sonst könnte keine Welt existieren –,
einen Prozeß, durch den das laufend trennende und wieder vereinende Bewußtsein
des Mentals, die stets in entgegengesetzter und gleichlaufender Richtung
wirkende Aktion des Lebens und die unendlich zerteilte und sich wieder selbst
zusammensetzende Substanz der Materie, allesamt durch ein einziges Prinzip und
einen ursprünglichen Akt in das phänomenale Wesen eintreten. Dies untergeordnete
Wirken des ewigen Sehers und Denkers, der vollkommen erleuchtet, vollkommen
Seiner Selbst und des Alls inne ist, der, wohl wissend, was Er tut, des
Unendlichen im Endlichen, das Er erschafft, bewußt ist, mag das göttliche Mental
genannt werden. Es ist offensichtlich, daß es ein untergeordnetes, aber kein
wirklich abgetrenntes Wirken der Real-Idee, des Supramentals, ist und durch die
Bewegung des Wahrheits-Bewußtseins wirken muß, die wir als das nach außen
gerichtete Verstehen beschrieben haben.
Dieses die Wahrheit verstehende Bewußtsein, prajnana,
stellt, wie wir gesehen haben, das Wirken des unteilbaren Alls, das aktiv und
formativ ist, als Prozeß und Objekt schöpferischen Erkennens vor das Bewußtsein
desselben Alls. Es ist verursachend und erkennend, der Besitzer und beobachtende
Zeuge seines eigenen Wirkens, – etwa so, wie wenn ein Dichter die Schöpfungen
seines eigenen Bewußtseins, die in ihm vor ihn hingestellt sind, betrachtet, als
ob sie etwas anderes wären als der Schöpfer und seine schöpferische Kraft,
während sie doch in Wirklichkeit dauernd nur das Spiel der Selbst-Gestaltung
seines eigenen Wesens in ihm selbst und darum unabtrennbar sind von ihm, ihrem
Schöpfer. So vollzieht prajnana jene fundamentale Trennung, die zu allem
übrigen führt: die Trennung des purusha, der bewußten Seele, die weiß, schaut, durch ihre Schau erschafft und anordnet, von
prakriti, der Kraft-Seele oder Natur-Seele, die ihr Wissen und Schauen, ihre
Schöpfung und alles anordnende Macht ist. Beide sind ein einziges Wesen, ein
Sein. Die geschauten und geschaffenen Gestaltungen sind vielfältige Formen
dieses Wesens, die von Ihm selbst als ein Wissen vor Ihn als Wissenden und von
Ihm selbst als Kraft vor Ihn als Schöpfer gestellt werden. Die letzte Aktion
dieses verstehenden Bewußtseins findet statt, wenn der purusha die
bewußte Ausbreitung seines Wesens durchwaltet, wenn er gegenwärtig ist an jedem
Punkt seiner selbst wie auch in der Totalität, jede Gestaltung bewohnt und das
Ganze von jedem der von ihm eingenommenen Standpunkte her betrachtet, als ob er
das separat tun würde. Er betrachtet und regiert die Beziehungen jeder
Seelenform seiner selbst mit anderen Seelenformen von dem Standpunkt des Wollens
und Erkennens her, der jeder einzelnen Form angemessen ist.
So sind die Elemente der Trennung entstanden. Erstens
hat sich die Unendlichkeit des Einen übertragen in die Ausdehnung der Begriffe
von Zeit und Raum. Zweitens übersetzt sich die Allgegenwärtigkeit des Einen in
jener Selbst-bewußten Ausbreitung in die Vielfalt der bewußten Seele, die vielen
purusha der Sankhya-Philosophie. Drittens hat sich die Vielfalt der
Seelenformen übersetzt in ein geteiltes Einwohnen in der ausgedehnten Einheit.
Dieses geteilt Einwohnen ist in dem Augenblick unvermeidlich, da nicht jeder
dieser vielfältigen purusha eine eigene gesonderte Welt bewohnt und eine
gesonderte prakriti besitzt, die ein gesondertes Universum baut, wo sich
vielmehr alle purusha derselben prakriti erfreuen – wie sie es tun
müssen, da sie nur Seelenformen des Einen sind, der die vielfältigen Schöpfungen
Seiner Macht lenkt – und doch Beziehungen zueinander in der reinen Welt des
Seienden haben, die von der einen prakriti erschaffen ist. Purusha
identifiziert sich in jeder Form aktiv mit jedem einzelnen. Er grenzt sich in
dieser ab und stellt ihr in seinem Bewußtsein seine anderen Formen gegenüber, da
sie seine anderen Selbste enthalten, die mit ihm im Wesen identisch, aber in der
gegenseitigen Beziehung unterschiedlich sind, verschieden in Ausdehnung,
Reichweite von Bewegung, Betrachtung der einzigen Substanz, Kraft, Bewußtheit,
Seligkeit, die jede einzelne Seelenform tatsächlich in jedem gegebenen
Augenblick von Zeit oder jedem gegebenen Feld von Raum entfaltet. Zugegeben, es
gibt im göttlichen Sein, das seiner selbst vollkommen inne ist, keine bindende
Begrenzung und keine Identifikation, unter die
die Seele versklavt wird und von der sie nicht freiwerden kann, so wie wir unter
unsere Selbst-Identifikation mit dem Körper versklavt sind und über die
Begrenztheit durch unser bewußtes Ich nicht hinauskommen können, unfähig, einer
bestimmten Bewegung unseres Bewußtseins in der Zeit, die unser besonderes Feld
im Raum bestimmt, zu entfliehen. Dennoch gibt es eine freie Identifikation von
Augenblick zu Augenblick, die allein das unveränderliche Selbst-Wissen der
göttlichen Seele daran hindert, sich in einer scheinbar starren Reihe von
Trennung und Zeitfolge zu fixieren wie derjenigen, in der unser Bewußtsein
fixiert und gefesselt zu sein scheint.
So gibt es bereits die Stückelung: Die Beziehung von Form zu Form, als ob sie gesonderte Wesen wären, von Willen-zum-Sein zu Willen-zum-Sein, als wären sie gesonderte Kräfte, von Erkenntnis-des-Wesens zu Erkenntnis-des-Wesens, als wäre ihr Bewußtsein getrennt, – ist schon grundgelegt. Sie ist jedoch nur “als ob”, denn die göttliche Seele unterliegt nicht der Täuschung; sie gewahrt dieses alles als Phänomen des Seienden und hält fest an ihrem Sein in der Wirklichkeit des Seienden. So geht sie ihrer Einheit nicht verlustig: Sie verwendet das Mental als untergeordnete Wirkensweise des unendlichen Wissens, als Begrenzung der Dinge, ihrem Innesein der Unendlichkeit untergeordnet, als Einschränkung, die abhängig ist von ihrem Wissen um die wesenhafte Totalität, – und zwar nicht jene scheinbare, pluralistische Totalität von Summe und kollektivem Zusammenschluß, die nur ein anderes Phänomen des Mentals ist. Hier gibt es also noch keine wirkliche Begrenzung. Die Seele verwendet ihre abgrenzende Macht für das Spiel wohl-unterschiedener Formen und Kräfte, wird aber nicht selbst von dieser Macht verwendet.
Darum ist ein neuer Faktor, eine neue Aktion bewußter
Kraft notwendig, um die Wirksamkeit eines hilflos eingeschränkten Mentals (im
Unterschied zu einem sich frei begrenzenden Mental) zu erschaffen, das heißt
eines Mentals, das seinem eigenen Spiel unterworfen ist und von ihm getäuscht
wird (im Unterschied zu einem Mental, das Herr seines eigenen Spiels ist und in
ihm seine Wahrheit schaut): das kreatürliche Mental im Unterschied zum
göttlichen. Dieser neue Faktor ist avidya, die Unwissenheit, die das
Selbst ignorierende Fähigkeit, die die Aktion des Mentals abtrennt von der
Aktion des Supramentals, das sein Ursprung war und es immer noch aus dem
Hintergrund lenkt. So gesondert, nimmt das Mental nur das Besondere wahr und
nicht das Universale, oder es begreift nur das
Besondere, aber es besitzt dieses nicht in einem Universalen; es wird nicht mehr
beider, des Besonderen wie des Universalen, bewußt als der Erscheinungsformen
des Unendlichen. So haben wir das begrenzte Mental, das jedes Ding der
Erscheinung als ein Ding-an-sich betrachtet, als einen aus dem Ganzen
abgetrennten Teil, der wieder getrennt in einem größeren Ganzen existiert und so
weiter, wobei es zu immer größeren Zusammensetzungen weitergeht, ohne
zurückzukehren zum Empfinden wahrer Unendlichkeit.
Da das Mental ein Wirken des Unendlichen (infinitum) ist, zerteilt und vereinigt es ad infinitum. Es zerschneidet das Wesen in Ganzheiten, in immer kleinere Ganzheiten, in Atome und diese Atome in “Uratome”, bis es, wenn es könnte, auch dieses “Uratom” in Nichts auflösen würde. Das kann es aber nicht, denn hinter der teilenden Tätigkeit steht das rettende Wissen des Supramentals, das weiß, daß jede Ganzheit, jedes Atom nur eine Konzentration von All-Kraft, von All-Bewußtsein, von All-Wesen in phänomenalen Formen seiner selbst ist. Für das Supramental ist die Auflösung des Aggregats in das unendliche Nichts, wohin das Mental zu gelangen scheint, nur die Rückkehr des sich selbst konzentrierenden bewußten Wesens aus seiner Erscheinungsform in sein unendliches Sein. Das Bewußtsein kommt, welchen Weg es auch beschreitet, ob den der unendlichen Teilung oder den der unendlichen Ausweitung, immer nur zu sich selbst zurück, zu seiner eigenen unendlichen Einheit, seinem ewigen Wesen. Sobald die Aktion des Mentals bewußt diesem Wissen des Supramentals untergeordnet ist, ist ihm die Wahrheit dieses Vorgangs ebenso bekannt und wird ganz und gar nicht ignoriert. Es gibt keine wirkliche Teilung, sondern nur eine unendliche vielfältige Konzentration in Formen des Wesens und in Anordnungen der Beziehung dieser Formen des Wesens zueinander, in denen Teilung eine untergeordnete Erscheinung des ganzen Prozesses ist, nötig für ihr räumliches und zeitliches Kräftespiel. Wir mögen teilen, soviel wir wollen, hinabgehen bis zum unendlich kleinsten Atom, oder die monströseste mögliche Verbindung von Welten und Systemen bilden, durch keinen der beiden Prozesse können wir zum Ding-an-sich gelangen. Sie alle sind Formen einer Kraft, die allein in sich selbst wirklich ist, während das übrige nur wirklich ist als Selbst-Abbildungen oder sich manifestierende Selbst-Formen des ewigen Kraft-Bewußtseins.
Woher kommt dann ursprünglich die begrenzende
Unwissenheit, avidya, dieser Absturz des Mentals aus dem Supramental und
die sich daraus ergebende Vorstellung, wirklich
getrennt zu sein? Genauer: aus welcher Entstellung supramentaler Tätigkeit
entsteht sie? Sie entsteht aus der individuellen Seele, die jedes Ding von ihrem
eigenen Standpunkt aus betrachtet und alle anderen ausschließt. Die Unwissenheit
kommt sozusagen daher, daß die Seele das Bewußtsein in einer ausschließenden
Weise konzentriert, daß sie sich selbst ausschließlich mit einer besonderen
zeitlichen und räumlichen Aktion identifiziert, während diese nur ein Teil des
Spiels ihres eigenen Wesens ist. Die Unwissenheit beginnt damit, daß die Seele
die Tatsache ignoriert, daß alle anderen Seelen auch sie selbst sind, daß jede
andere Aktion ihre eigene Aktion ist und alle übrigen Zustände von Wesen und
Bewußtsein in gleicher Weise ihre eigenen sind wie die Aktion des einen
besonderen Augenblicks in der Zeit, des einen besonderen Standpunkts im Raum und
der einen besonderen Gestalt, die sie gegenwärtig einnimmt. Sie konzentriert
sich auf den Augenblick, das Feld, die Form und die Bewegung und verliert dabei
das übrige. Sie muß dann dieses übrige wieder dadurch zurückgewinnen, daß sie
die Aufeinanderfolge der Augenblicke, die Aufeinanderfolge der Raumpunkte, die
Aufeinanderfolge der Formen in Zeit und Raum und die Aufeinanderfolge der
Bewegungen in Zeit und Raum miteinander verknüpft. Auf diese Weise hat sie die
Wahrheit der Unteilbarkeit von Zeit und der Unteilbarkeit von Kraft und Stoff
verloren. Sie hat sogar den Blick für die offenkundige Tatsache verloren, daß
alle Mentale nur ein einziges Mental sind, das viele Standpunkte einnimmt; daß
alle Leben nur ein einziges Leben sind, das viele Ströme von Aktivität
entwickelt; daß alle Körper und Gestalten eine einzige Substanz von Kraft und
Bewußtsein sind, die sich in vielen scheinbar festen Formen von Kraft und
Bewußtsein konzentrieren. In Wahrheit sind aber alle diese Stabilitäten nur ein
beständiger Wirbel von Bewegung, die eine Form wiederholt, indem sie sie
modifiziert; darüber hinaus sind sie nichts. Denn das Mental versucht, alles in
starr festgelegte Formen und scheinbar unabänderliche oder unbewegliche äußere
Faktoren zu pressen, weil es sonst nicht wirken kann. Dann denkt es, es habe
bekommen, was es wünscht. In Wirklichkeit ist alles ein Fließen von Wechsel und
Erneuerung, und es gibt hier keine festgelegten Formen-an-sich und keinen
unwandelbaren äußeren Faktor. Nur die ewige Real-Idee ist beständig und erhält
eine gewisse geordnete Konstanz von Figuren und Beziehungen im Fließen der Dinge
aufrecht, eine Beständigkeit, die das Mental vergebens dadurch nachzuahmen
versucht,
daß es feste Beständigkeit jenem
beilegt, das immer unbeständig ist. Diese Wahrheiten muß das Mental
wiederentdecken. Es weiß sie die ganze Zeit jedoch nur im verborgenen hinteren
Bereich seines Bewußtseins, im geheimen Licht seines Selbst-Seins. Aber dieses
Licht ist für das Mental Finsternis, weil es die Unwissenheit erschaffen hat,
weil der Absturz erfolgte aus der teilenden hinab in die zerteilte Mentalität,
weil es in seine eigenen Wirkensweisen und Schöpfungen verwickelt wurde. Diese
Unwissenheit wird für den Menschen weiter vertieft durch seine
Selbst-Identifikation mit dem Körper. Das Mental scheint uns durch den Körper
bestimmt zu sein, da es sich vornehmlich mit ihm beschäftigt und sich den
körperlichen Funktionen widmet, die es für sein bewußtes Wirken nach außen in
der grob-materiellen Welt verwendet. Da es ständig die Arbeit von Gehirn und
Nerven gebraucht, die es im Lauf seines eigenen Werdegangs im Körper entwickelt
hat, ist es zu sehr von der Beobachtung dessen beansprucht, was ihm dieser
körperliche Mechanismus einträgt, als daß es aus ihm in seine eigenen reinen
Wirkensweisen zurücktreten könnte; und diese sind für es zumeist unterbewußt.
Doch können wir uns ein Lebens-Mental oder ein Lebens-Wesen vorstellen, das über
den durch die Evolution begründeten Zwang, so absorbiert zu sein, hinausgegangen
und fähig ist, sich selbst zu schauen oder zu erfahren, wie es einen Körper nach
dem anderen annimmt und nicht in jedem Körper gesondert neu erschaffen wird und
mit ihm endet. Denn derartig ist nur die körperliche Einwirkung des Mentals auf
die Materie, nur das körperliche Mentalwesen beschaffen, nicht aber das ganze
mentale Wesen. Die körperliche Mentalität ist das Mental unserer Außenseite, nur
die äußere Front, die es der körperlichen Erfahrung darbietet. Dahinter gibt es,
selbst in unserem irdischen Wesen, jenes andere Mental, das für uns unterbewußt
oder subliminal ist, das aber von sich weiß, daß es mehr ist als der Körper und
fähig zu einem weniger materialisierten Wirken. Diesem Mentalwesen verdanken wir
unmittelbar das meiste der umfassenderen, tieferen und kraftvolleren dynamischen
Aktion unseres vordergründigen Mentals. Wenn wir dessen oder seiner Einwirkung
auf uns bewußt werden, haben wir die erste Idee oder Realisation einer Seele
oder eines inneren Wesens, purusha, das als das Lebens-Wesen, das vitale
Wesen wahrgenommen wird, pranamaya purusha.
Auch wenn dieses Lebens-Mental vom Irrtum der
Körpergebundenheit frei werden kann, befreit es uns dennoch nicht vom ganzen
Irrtum des Mentals. Es bleibt immer noch dem
ursprünglichen Akt der Unwissenheit unterworfen, durch den die individualisierte
Seele alles von ihrem eigenen Standpunkt aus betrachtet und die Wahrheit der
Dinge nur so sehen kann, wie sie sich ihr von außen her präsentieren oder auch
wie sie aus ihrem gesonderten zeitlichen und räumlichen Bewußtsein in ihr
Blickfeld treten als Formen und Ergebnisse vergangener und gegenwärtiger
Erfahrung. Die Seele ist sich ihrer anderen Selbste nur durch die äußeren
Hinweise bewußt, die sie von ihrem Dasein geben, Hinweise durch mitgeteiltes
Denken, Reden, Handeln, Ergebnisse von Tätigkeiten oder feinere Hinweise vitaler
Einwirkung und Beziehung, die nicht unmittelbar vom körperlichen Wesen gefühlt
werden. In gleicher Weise ist die Seele ihres eigenen Selbsts ungewiß. Sie kennt
ihr Selbst nur durch eine Bewegung in der Zeit und eine Aufeinanderfolge von
Lebensabläufen, in denen sie ihre unterschiedlich verkörperten Energien
verwendete. So wie unser physisches instrumentales Mental die Illusion des
Körpers hat, so hat dieses unterbewußte dynamische Mental die Illusion des
Lebens. Von diesem ist es absorbiert, in dieses ist es konzentriert, durch
dieses ist es begrenzt, mit diesem identifiziert es sein Wesen. Von hier aus
gelangen wir noch nicht zurück zu dem gemeinsamen Bereich von Mental und
Supramental, zu dem Punkt, an dem sie sich ursprünglich voneinander trennten.
Es gibt aber noch ein anderes, klareres,
reflektierendes Mentalwesen hinter dem dynamischen und vitalen, das solchem
Aufgezehrtwerden durch das Leben entgehen kann. Es kann sich selbst betrachten,
wie es Leben und Körper annimmt, um in aktiven Beziehungen von Kräften das
abzubilden, was es in Willen und Denken wahrnimmt. Das ist der Ursprung des
reinen Denkers in uns. Es erkennt das Mental an und für sich; es sieht die Welt
nicht in Begriffen von Leben und Körper, sondern mental. Es ist das eigentliche
mentale Wesen, manomaya purusha, das wir, wenn wir in es zurücktreten,
manchmal irrtümlich ebenso für den reinen Geist halten, wie wir das dynamische
Mental mit der Seele verwechseln. Dieses höhere Mental kann andere Seelen
wahrnehmen und mit ihnen umgehen, als ob sie andere Gestaltungen seines eigenen
reinen Selbsts sind. Es kann sie durch reine Mental-Einwirkung und reine
Kommunikation empfinden, nicht mehr nur durch vitale und nervliche Einwirkung
und körperlichen Hinweis. Außerdem begreift es ein mentales Bild von Einheit und
kann in seiner Aktivität und in seinem Willen unmittelbar – nicht nur indirekt
wie im gewöhnlichen physischen Leben
– erschaffen und besitzen, und zwar wie in seinem eigenen so auch im Mental und
Leben anderer Menschen. Aber selbst dieses reine Mentalwesen entgeht nicht dem
Ur-Irrtum des Mentals. Denn es macht immer noch sein gesondertes mentales Selbst
zum Richter, Zeugen und Zentrum des Universums und bemüht sich, durch dieses
allein zu seinem höheren Selbst und seiner Wirklichkeit zu gelangen. Alle
anderen sind “die anderen”, die sich für es um sein Selbst gruppieren: Wenn es
wirklich frei werden will, muß es sich aus Leben und Mental zurückziehen, um in
der wahren Einheit aufzugehen. Immer noch existiert der von der Unwissenheit,
avidya, geschaffene Vorhang zwischen mentalem und supramentalem Wirken; zwar
dringt ein Abbild der Wahrheit hindurch, jedoch nicht die Wahrheit selbst.
Erst wenn der Vorhang zerrissen und das zerteilte
Mental überwältigt, schweigend und einem supramentalen Wirken gegenüber passiv
geworden ist, kehrt das Mental selbst wieder zurück zur Wahrheit der Dinge. Dort
finden wir ein erleuchtetes Mentalwesen, das die Göttliche Real-Idee
reflektiert, ihr gehorcht und zu ihrem Instrument wird. Dort nehmen wir wahr,
was die Welt wirklich ist. Dort erkennen wir in jeder Weise uns selbst in
anderen und als andere, die anderen als uns selbst und alles als das universale
und selbst-vervielfältigte Eine. Wir geben den streng gesonderten individuellen
Standpunkt auf, der die Ursache allen Begrenztseins und Irrtums ist. Ferner
erkennen wir, daß alles, was die Unwissenheit des Mentals für die Wahrheit
hielt, tatsächlich die Wahrheit war, nur verzerrt, mißverstanden, falsch
aufgefaßt. Wir beobachten noch die Zerteilung, die individualisierende,
atomisierende Schöpfung, aber erkennen sie und uns selbst nun als das, was sie
und wir wirklich sind. So durchschauen wir, daß das Mental in Wirklichkeit eine
untergeordnete Wirkensweise und Instrumentation des Wahrheits-Bewußtseins war.
Solange sich das Mental in seiner Selbst-Erfahrung nicht vom umgreifenden
Meister-Bewußtsein gelöst hat und nicht versucht, sich hier ein selbständiges
Heim einzurichten, solange es passiv als Instrumentation dient und nicht darauf
aus ist, die Dinge zu seinen eigenen Gunsten zu besitzen, erfüllt es in
erleuchteter Weise seine Funktion: innerhalb der Wahrheit durch phänomenale,
rein formale Abgrenzung ihrer Aktivität Gestaltungen voneinander getrennt zu
halten, hinter denen die lenkende Universalität des Seins bewußt und unberührt
bleibt. Das Mental soll die Wahrheit der Dinge empfangen und sie im Einklang mit
der von Irrtum freien Wahrnehmung eines höchsten, universalen
Auges und Willens verteilen. Es soll eine Individualisierung von aktivem
Bewußtsein, Seligkeit, Kraft und Substanz aufrecht erhalten, die all ihre Macht,
Wirklichkeit und Freude aus einer dahinter stehenden unveränderlichen
Universalität beziehen. Es soll die Vielfalt des Einen in eine scheinbare
Aufteilung umwandeln, durch die die Beziehungen abgegrenzt und gegenseitig so
auseinander gehalten werden, daß sie einander begegnen und sich wieder
vereinigen können. Es soll die Seligkeit von Trennung und Kontakt inmitten
ewiger Einheit und Vermischung fest und sicher begründen. Das Mental soll es dem
Einen möglich machen, sich so zu erweisen, als ob Er ein Individuum wäre, das
mit anderen Individuen umgeht, jedoch immer in Seiner eigenen Einheit verbleibt;
das ist es, was die Welt wirklich ist. Das Mental ist die endgültige
Wirkensweise des aktiv verstehenden Wahrheits-Bewußtseins, das dies alles
möglich macht. Was wir die Unwissenheit nennen, erschafft nichts Neues und keine
absolute Falschheit, sondern stellt die Wahrheit nur falsch dar. Die
Unwissenheit ist das im Wissen von seiner Wissensquelle getrennte Mental. Es
gibt dem harmonischen Spiel der höchsten Wahrheit in ihrer universalen
Manifestation eine falsche Starrheit und den irrigen Anschein von Opposition und
Konflikt.
Der fundamentale Irrtum des Mentals ist also dieser
Absturz aus dem Selbst-Wissen, durch den die individuelle Seele ihre
Individualität als Faktum statt als Form des Einsseins begreift, sich zum
Mittelpunkt des eigenen Universums macht, statt sich als einen solchen der
Konzentrationen des Allumfassenden zu erkennen. Aus diesem ursprünglichen Irrtum
ergeben sich alle besonderen Unwissenheiten und Beschränkungen zwangsläufig von
selbst. Denn wenn das Mental den Fluß der Dinge nur so betrachtet, wie sie auf
es zukommen und durch es hindurchfließen, schafft es eine Beschränkung des
Wesens, aus der eine Beschränkung von Bewußtsein und deshalb von Erkenntnis
herrührt; eine Begrenzung von bewußter Kraft und bewußtem Willen, darum von
Macht; eine Einschränkung von Selbst-Genießen und darum von Seligkeit. Das
Mental ist der Dinge bewußt und erkennt sie nur so, wie sie sich seiner
Individualität darstellen. Darum verfällt es in Unwissenheit alles übrigen und
so in eine irrige Auffassung selbst dessen, was es zu wissen scheint: Denn wenn
alles Seiende untereinander abhängig ist, müssen wir entweder die Erkenntnis des
Ganzen oder die des Wesenhaften besitzen, um den Teil richtig erkennen zu
können. Daher liegt allem menschlichen Erkennen ein Element von Irrtum zugrunde.
In ähnlicher Weise muß auch unser Wille wegen
seiner Unkenntnis des übrigen All-Willens in irrtümliches Handeln und in einen
höheren oder geringeren Grad von Unfähigkeit und Machtlosigkeit fallen. Die
Selbst-Seligkeit der Seele und ihr Entzücken an den Dingen muß, da sie die
All-Wonne ignoriert und durch fehlerhaftes Wollen und Erkennen unfähig ist,
Meister ihrer Welt zu sein, in ein Unvermögen zu bleibender Seligkeit und darum
in Leiden versinken. Unkenntnis des eigenen Selbsts ist also die Wurzel aller
Verkehrtheit unseres Daseins. Diese Verkehrtheit wird in der
Selbst-Beschränkung, im Egoismus, verstärkt, der die von dieser
Selbst-Unkenntnis angenommene Form ist.
Dennoch ist alle Unwissenheit und Verkehrtheit nur die Entstellung des Wahren und Richtigen der Dinge und nicht das Spiel einer absoluten Falschheit. Sie ist das Ergebnis eines Mentals, das die Dinge in der Zerteilung schaut, die es selbst vornimmt, avidyayam antare, statt sich und seine Teilungen als Instrumentation und Phänomen des Spiels der Wahrheit von saccidananda zu verstehen. Wenn das Mental in die Wahrheit zurückkehrt, aus der es gefallen ist, wird es wieder zur endgültigen Aktion des Wahrheits-Bewußtseins in seiner umsichtigen Wirkensweise. Und die Beziehungen, die es in jenem Licht und jener Macht erschaffen hilft, werden Beziehungen der Wahrheit und nicht der Verkehrtheit sein. Es werden die geraden und nicht die krummen Dinge sein, um die ausdrucksvolle Unterscheidung der vedischen Rishis zu gebrauchen, das heißt Wahrheiten des göttlichen Wesens mit seinem das Selbst besitzenden Bewußtsein, Willen und Entzücken, die sich harmonisch in ihm bewegen. Jetzt haben wir die verzerrte Zickzackbewegung von Mental und Leben, Entstellungen, geschaffen durch das Ringen der Seele: Sie sucht aus der Vergessenheit ihres wahren Wesens sich selbst wiederzufinden, um allen Irrtum wieder in jene Wahrheit aufzulösen, die von unserer Wahrheit wie von unserem Irrtum, von unserem Rechten wie von unserem Unrechten beschränkt und entstellt wird. Sie will alle Unfähigkeit in jene Stärke verwandeln, die zu erlangen wir durch unsere Macht wie durch unsere Schwäche mit aller Kraft ringen. Sie will alles Leiden in jene Seligkeit aufheben, die zu realisieren wir uns durch unsere Freuden wie unsere Leiden krampfhaft bemühen. Sie will allen Tod in jene Unsterblichkeit verwandeln, zu der heimzukehren sich unser Wesen durch unser Leben und unser Sterben hindurch ständig bemüht.
Prana
– Kraft
ist das Leben der Geschöpfe; denn von ihr sagt man, sie ist das universale
Prinzip des Lebens.
Taittiriya Upanishad, II.3.
Wir erkennen also, was das Mental in seinem göttlichen Ursprung ist und in welcher Beziehung es zum Wahrheits-Bewußtsein steht, Mental, das höchste der drei niederen Prinzipien, die unser menschliches Dasein konstituieren. Es ist eine besondere Wirkensweise göttlichen Bewußtseins oder besser: die letzte Strähne dessen gesamter schöpferischen Aktion. Purusha kann durch das Mental die Beziehungen seiner eigenen verschiedenen Formen und Kräfte getrennt halten. Es erschafft die Unterschiede der äußeren Erscheinung, die für die aus dem Wahrheits-Bewußtsein gefallene Seele den Anschein radikaler Trennungen annehmen. Das Mental wird infolge dieser ursprünglichen Entstellung zum Erzeuger aller sich daraus ergebenden Verkehrtheiten, die auf uns einwirken als die dem Leben der Seele in der Unwissenheit eigentümlichen Dualitäten und Gegensätzlichkeiten. Solange das Mental aber nicht vom Supramental abgetrennt ist, unterstützt es nicht die Entstellungen und Falschheiten, sondern die vielschichtige Wirkensweise der universalen Wahrheit.
So erscheint das Mental als eine schöpferische
kosmische Wirkkraft. Diesen Eindruck haben wir normalerweise nicht von unserer
Mentalität. Wir sehen in ihr vielmehr in erster Linie ein wahrnehmendes Organ,
das Dinge erkennt, die schon durch eine in der Materie wirkende Kraft erschaffen
sind. Die einzige Urheberschaft, die wir ihr zugestehen, ist sekundäre
Erschaffung von Formen, die aus den bisher durch die Kraft in der Materie
entwickelten neu zusammengestellt werden. Die Erkenntnis, die wir jetzt dank der
jüngsten Entdeckungen der Naturwissenschaft gewinnen, zeigt uns immer mehr, daß
in dieser Kraft und in dieser Materie ein unterbewußtes Mental am Werk ist, das
gewiß für sein eigenes Hervortreten verantwortlich ist: zunächst in den Formen
von Leben und dann in den Formen von Mentalität selbst, anfangs im nervlichen
Bewußtsein des Lebens in Pflanze und primitivem Tier, danach in den sich immer
höher entfaltenden mentalen Funktionen des entwickelten Tiers und des Menschen. Wie wir schon entdeckt haben, daß Materie nur
stoffliche Form von Kraft ist, so werden wir entdecken, daß materielle Kraft nur
Energie-Form von Mentalität ist. Materielle Kraft ist in der Tat eine
unterbewußte Tätigkeit von Willen. Wille, der in uns als das wirkt, was Licht zu
sein scheint – obwohl es in Wirklichkeit lediglich ein Halb-Licht ist – und
materielle Kraft, die in uns die Finsternis mangelnder Intelligenz zu sein
scheint, sind eigentlich und im Wesen dasselbe. Das hat materialistisches Denken
stets instinktiv, wenn auch vom falschen oder unteren Ende der Dinge her,
gefühlt. Spirituelle Erkenntnis, die von der höchsten Höhe her wirkt, hat das
schon lange entdeckt. Wir können also sagen: Diese materielle Welt ist
erschaffen von einem unterbewußten Mental oder einer Intelligenz, die Kraft als
ihre Antriebsmacht, ihre ausführende Natur, ihre prakriti offenbart.
Wenn das Mental aber, wie wir jetzt erkannt haben,
keine unabhängige und ursprünglich wesenhafte Größe, sondern letztlich nur eine
Wirkensweise des Wahrheits-Bewußtseins oder Supramentals ist, muß überall, wo
Mentalität ist, auch Supramentalität sein. Das Supramental oder
Wahrheits-Bewußtsein ist die wirkliche Schöpfermacht des universalen Seins.
Selbst wenn das Mental in seinem eigenen verfinsterten Bewußtsein von seinem
Ursprung getrennt ist, gibt es doch stets jene umfassendere Bewegung in seinem
Wirken. Sie zwingt es, seine rechte Beziehung zu bewahren. Sie entwickelt aus
ihm die unvermeidlichen Ergebnisse, die es in sich trägt. Sie bringt den
richtigen Baum aus dem richtigen Kern hervor. Sie zwingt selbst das aktive
Wirken von etwas so Rohem, Trägem und Verfinstertem wie der materiellen Kraft,
schließlich auf eine Welt von Gesetz, Ordnung und rechter Beziehung
hinzuarbeiten und nicht, wie sonst ihr Ergebnis wäre, auf ein Durcheinander von
Zufall und Chaos. Offensichtlich können diese Ordnung und rechte Beziehung nur
relativ sein, nicht jene höchste Ordnung und jenes erhabene Rechte, das
herrschen würde, wäre das Mental nicht in seinem Bewußtsein vom Supramental
gesondert. Sie ist eine Anordnung, ein System von Ergebnissen, die für das
Wirken des trennenden Mentals und sein Erschaffen separativer
Gegenüberstellungen, also für seine dual-konträren Seiten der einen Wahrheit,
richtig und angemessen sind. Nachdem das Göttliche Bewußtsein die Idee dieser
dualen oder zerteilten Darstellung seines Selbsts ersonnen und in Tätigkeit
gesetzt hat, leitet es in der Real-Idee seine eigene niedere Wahrheit oder das
unvermeidliche Ergebnis verschiedenartiger Beziehung von ihr ab und entwickelt sie praktisch daraus in Lebens-Substanz durch das lenkende
Wirken des ganzen hinter ihr stehenden Wahrheits-Bewußtseins. Denn das ist das
Eigentümliche von Gesetz und Wahrheit in der Welt, daß in rechtem Wirken das
hervorgebracht wird, was im Seienden enthalten, in Wesen und Natur der Sache
selbst vorausgesetzt und im Selbst-Sein und Selbst-Gesetz latent ist,
svabhava und svadharma, so wie es vom göttlichen Wissen geschaut
wird. Um eine jener wundervollen Formulierungen der Upanishad zu gebrauchen, die
in wenigen offenbarenden Worten eine Welt von Erkenntnissen enthalten: “Der
Selbst-Seiende, der als der Seher und Denker überall im Werden hervortritt, hat
alle Dinge in Sich Selbst seit ewigen Zeiten in Einklang mit der Wahrheit
dessen, was sie sind, richtig angeordnet” (Isha Upanishad, Vers 8).
Die dreifache Welt von Mental, Vital und Körper, in der wir leben, ist folglich nur in ihrer bisher aktuell vollendeten Evolution dreifach. Das in der Materie involvierte Leben ist in der Form von denkendem und mental bewußtem Leben hervorgetreten. Aber mit dem Mental, das in es, also auch in Leben und Materie involviert ist, ist das Supramental involviert, das Ursprung und Lenker der anderen drei ist und ebenfalls hervortreten muß. Wir suchen am Ursprung der Welt nach einer Intelligenz, denn Intelligenz ist das höchste uns bewußte Prinzip, das uns und unser ganzes Wirken und Erschaffen zu lenken und zu erklären scheint. Darum nehmen wir an: Wenn es überhaupt ein Bewußtsein im Universum gibt, muß es eine Intelligenz, ein mentales Bewußtsein sein. Aber Intelligenz beobachtet, reflektiert und verwendet nur nach dem Maß ihrer Fähigkeit das Wirken einer ihr übergeordneten Wahrheit des Seienden. Die dahinterstehende wirkende Macht muß also eine andere und überlegenere Form von Bewußtsein sein, die zu jener Wahrheit gehört. Darum müssen wir unsere Auffassung entsprechend korrigieren und feststellen: Nicht ein unterbewußtes Mental oder eine unterbewußte Intelligenz, sondern ein involviertes Supramental hat dieses materielle Universum erschaffen. Es hat das Mental aus sich herausgestellt als die unmittelbar aktive besondere Form seines in der Kraft unterbewußten Wissens-Willens und verwendet die materielle Kraft oder den im Stoff des Seienden unterbewußten Willen als seine exekutive Natur, seine prakriti.
Nun ist aber hier, wie wir sehen, Mentalität in einer
speziellen Form von Kraft manifestiert, der wir den Namen Leben geben. Was ist
dann Leben? Welche Beziehung hat es zum Supramental, zu dieser höchsten Trinität von saccidananda, das mittels der Real-Idee oder des
Wahrheits-Bewußtseins in der Schöpfung aktiv ist? Aus welchem Prinzip in der
Trinität wird Leben geboren? Durch welche göttliche oder ungöttliche
Notwendigkeit der Wahrheit oder der Illusion tritt es ins Dasein? Durch die
Jahrhunderte erschallt der alte Aufschrei: Leben ist ein Übel, eine Täuschung,
ein Delirium, eine Verrücktheit, aus der wir in die Ruhe des ewigen Seins
entfliehen müssen. Ist das so? Und wenn ja, weshalb? Warum hat der Ewige
willkürlich dieses Böse auferlegt, warum hat Er Sich Selbst oder den Geschöpfen,
die durch Seine furchtbare, alles täuschende maya ins Dasein gebracht
wurden, dieses Delirium oder diese Verrücktheit auferlegt? Oder ist Leben
vielleicht ein göttliches Prinzip, das sich auf diese Weise zum Ausdruck bringt,
eine Macht der Seligkeit ewigen Seins, die sich so ausdrücken mußte und auf
diese Weise in Zeit und Raum verausgabt in der ständigen Explosion der Millionen
und Abermillionen Formen von Leben, die die unzählbaren Welten des Universums
bevölkern?
Erforschen wir dieses Leben, wie es sich auf Erden mit
Materie als seiner Basis manifestiert, so beobachten wir, daß es im Wesentlichen
eine Form der einen kosmischen Energie ist, eine positive und negative
dynamische Bewegung oder Strömung von ihr, ein ständiger Akt oder ein Spiel
jener Kraft, die Formen aufbaut, sie durch einen kontinuierlichen Strom von
Reizwirkung mit Energie auflädt und durch einen unaufhörlichen Prozeß von
Auflösung und Erneuerung ihrer Substanz fördert und erhält. Dieser Vorgang zeigt
uns eigentlich, daß der natürliche Gegensatz, den wir zwischen Tod und Leben
sehen, ein Irrtum unserer Mentalität, eine dieser falschen Gegenüberstellungen
ist, falsch vor der inneren Wahrheit, wenn auch gültig an der Außenseite
praktischer Erfahrung, die unser Mental, durch äußeren Schein getäuscht, ständig
in die universale Einheit hineinträgt. Tod hat nur als ein Prozeß von Leben
Realität. Zersetzung und Erneuerung von Stoff, Bewahrung und Verwandlung von
Form sind der dauernde Ablauf des Lebens. Tod ist bloß rasche Auflösung im
Dienst der Notwendigkeiten des Lebens zur Verwandlung und Veränderung formeller
Erfahrung. Selbst beim Tod des Körpers gibt es kein Aufhören des Lebens; das
Material der einen Form von Leben wird nur zerbrochen, um als Material für
andere Lebensformen zu dienen. In ähnlicher Weise dürfen wir sicher sein, wenn
es in der körperlichen Gestalt eine mentale oder psychische Energie gibt, daß
auch diese im einheitlichen Gesetz der Natur nicht zerstört wird, sondern nur aus der einen Gestalt auszieht, um durch einen
Vorgang von Metempsychose, durch eine neue Körper-Beseelung, andere Gestalten
anzunehmen. Alles erneuert sich selbst, nichts geht zugrunde. Infolgedessen
könnte man behaupten, es gibt nur ein einziges, alles durchdringendes Leben oder
eine dynamische Kraft – wobei der materielle Aspekt nur deren äußerste Bewegung
ist die alle diese Formen des physischen Universums erschafft, ein
unvergängliches und ewiges Leben, das auch dann, wenn die ganze Gestaltung des
Universums verginge, selbst weiterexistieren und an seiner Stelle ein neues
Universum hervorbringen könnte, ja in seinem Erschaffen immer weiter fortfahren
müßte, wenn es nicht durch eine höhere Macht in Ruhezustand zurückgehalten oder
sich selbst zurückhalten würde. In diesem Fall ist Leben nichts anderes als die
Kraft, die die Formen der Welt aufbaut, erhält und zerstört. Es ist Leben, das
sich in der Form der Erde ebenso manifestiert wie in der Pflanze, die auf Erden
wächst, und in den Tieren, die ihr Dasein fristen durch das Verzehren der
Lebens-Kraft der Pflanze oder indem sie einander auffressen. Alles Dasein ist
hier ein universales Leben, das die Form von Materie annimmt. Zu diesem Zweck
mag sich der Lebens-Prozeß im physischen Prozeß verbergen, bevor er als
submentale Empfindungsfähigkeit und mentalisierte Vitalität hervortritt, was
aber durchweg noch dasselbe schöpferische Lebens-Prinzip wäre.
Man kann einwenden: Unter Leben verstehen wir etwas anderes. Wir meinen ein besonderes Resultat der universalen Kraft, mit dem wir vertraut sind, das sich nur in Tier und Pflanze offenbart, nicht aber in Metall, Stein, Gas. Es wirkt in der Tierzelle, aber nicht im bloßen physikalischen Atom. Um auf sicherem Boden zu stehen, müssen wir also untersuchen, worin genau dieses besondere Ergebnis des Spiels der Kraft liegt, das wir Leben nennen, und wie es sich von jenem anderen Resultat des Spiels der Kraft in unbelebten Dingen unterscheidet, von dem wir sagen, es ist nicht Leben. Wir erkennen sofort, daß es hier auf Erden drei Bereiche des Spiels der Kraft gibt: das Tierreich der alten Klassifizierung, zu dem wir gehören, das Pflanzenreich und zuletzt das nur materielle Reich, von dem wir behaupten, es sei ganz ohne Leben. Wie unterscheidet sich das Leben in uns vom Leben der Pflanze und das Leben der Pflanze vom Nicht-Leben etwa des Metalls des Mineralreichs der alten Bezeichnung oder jenes neuen Reiches der Chemie, das die Naturwissenschaft entdeckt hat?
Wenn wir von Leben
sprechen, meinen wir gewöhnlich das Tierleben, das sich bewegt, atmet, ißt,
fühlt, begehrt. Wenn wir von Pflanzenleben sprechen, werden diese Begriffe meist
als Metapher verwendet, nicht als Wirklichkeit, denn man betrachtete
Pflanzenleben eher als rein materiellen Vorgang denn als biologisches Phänomen.
Insbesondere ist für uns Leben mit Atmen eng verbunden. In jeder Sprache spricht
man vom Lebensatem, und diese Formulierung trifft zu, wenn wir unsere Auffassung
von dem ändern, was wir unter Atem des Lebens verstehen. Es ist aber
offensichtlich, daß spontane Bewegung oder Fortbewegungsfähigkeit, Atmen und
Essen nur Lebensvorgänge und nicht Leben an sich sind. Sie sind Mittel für das
Erzeugen oder Abgeben jener ständigen Reize aussendenden Energie, die unsere
Vitalität ist, und für jenen Vorgang von Auflösung und Erneuerung, durch den sie
unser stoffliches Dasein unterstützt. Diese Abläufe unserer Vitalität können
aber auch auf andere Weise als durch unser Atmen oder unsere Nahrung
aufrechterhalten werden. Es ist bewiesene Tatsache, daß selbst menschliches
Leben im Körper bestehen bleiben und bei vollem Bewußtsein fortdauern kann, wenn
Atmung, Herzschlag und andere, früher für wesentlich gehaltene Bedingungen
zeitweilig ausgesetzt werden. An neuen beweiskräftigen Erscheinungen der Pflanze
hat man festgestellt, daß sie, wenn wir ihr auch eine bewußte Reaktion
absprechen, zumindest physisches Leben hat, das mit unserem eigenen identisch
und sogar im Wesen wie unser eigenes organisiert, wenn auch in seiner sichtbaren
Organisation verschieden ist. Erweist sich das als richtig, müssen wir mit
unseren alten, unhaltbaren und unrichtigen Vorstellungen gründlich aufräumen
und, hinter Symptomen und Äußerlichkeiten, der Sache auf den Grund gehen.
Ein bedeutender indischer Physiker hat in neuerlichen
Untersuchungen8 – die helles Licht auf die
Probleme des Lebens in der Materie werfen müssen,
wenn man seine Schlußfolgerungen anerkennt, – auf die Reaktion auf Reize als
untrügliches Zeichen für die Existenz von Leben hingewiesen. Durch seine
Ergebnisse ist besonders das Phänomen des Pflanzenlebens aufgehellt und in all
seinen subtilen Funktionsweisen illustriert worden. Wir dürfen aber nicht
übersehen, daß von ihm hinsichtlich der Metalle wie der Pflanze am
entscheidenden Punkt der gleiche Beweis für Vitalität erbracht wurde: die
Reaktion auf einen Reiz als positiver Zustand von Leben und der negative
Zustand, den wir Tod nennen – wenn auch nicht im selben Umfang und gewiß nicht
so, daß sich eine wesentlich identische Organisation des Lebens beweisen läßt.
Könnten aber die richtigen Instrumente von ausreichender Feinheit erfunden
werden, wäre es möglich, mehr Ähnlichkeiten zwischen Metall und Pflanze zu
entdecken. Selbst wenn sich das als unrichtig erweisen würde, könnte es
bedeuten, daß zwar diese oder jede Lebensorganisation fehlt, dennoch könnten
Anfänge von Vitalität vorhanden sein. Wenn aber im Metall Leben existiert, und
sei es noch so rudimentär, muß man zugeben: es ist dort vorhanden, vielleicht
involviert oder elementar und primitiv, und ebenso in Erde oder in anderen, dem
Metall entsprechenden materiellen Daseinsformen. Wenn wir unsere Untersuchungen
noch weitertreiben können, ohne gezwungen zu sein, dort Halt zu machen, wo
unsere unmittelbaren Forschungsmittel versagen, dürfen wir aufgrund unserer
gleichartigen Erfahrung der Natur sicher sein, daß so durchgeführte Forschungen
uns letztlich beweisen, es gibt keinen Bruch, keine starre Grenzlinie zwischen
Erde und dem in ihr geformten Metall oder zwischen Metall und Pflanze. Verfolgen
wir die Synthese noch weiter, existiert diese Abgrenzung auch nicht zwischen den
Elementen und Atomen, die Erde oder Metall konstituieren, also auch nicht
zwischen den von ihnen konstituierten Erden und Metall. Jede Ebene dieses
stufenweise aufsteigenden Daseins bereitet die nächste vor und
enthält das in sich, was in der folgenden in Erscheinung tritt. Leben
ist überall, verborgen oder offenbar, organisiert oder elementar, involviert
oder evolviert, jedoch universal, alles durchdringend, unzerstörbar. Nur seine
Erscheinungs- und Organisationsformen sind unterschiedlich. Wir müssen bedenken,
daß physische Reaktion auf Reiz nur ein äußerliches Zeichen von Leben ist,
ebenso wie es Atmen und Ortsveränderung bei uns sind. Vom Experimentierenden
wird ein außergewöhnlicher Reiz angewandt, und es erfolgen lebhafte Reaktionen,
die wir sofort im Objekt des Experiments als Anzeichen von Vitalität erkennen
können. Während ihres ganzen Daseins antwortet die Pflanze ständig auf eine
konstante Masse von Reizen aus ihrer Umgebung. Das heißt: in ihr ist eine
konstant bereitgehaltene Kraft, die fähig ist, auf die Einwirkung von Kraft aus
ihrer Umgebung zu reagieren. Es wird behauptet, die Idee einer vitalen Kraft in
der Pflanze und anderen lebenden Organismen sei durch diese Experimente zerstört
worden. Wenn wir aber sagen, ein stimulierender Reiz ist auf die Pflanze
angewandt worden, meinen wir: eine erregte Kraft, eine Kraft in dynamischer
Bewegung, sei auf dieses Objekt gerichtet worden. Und wenn wir sagen, es werde
eine Reaktion gezeigt, meinen wir: Eine erregte Kraft, die zu dynamischer
Bewegung und sensitiver Vibration fähig ist, antwortet auf den Schock. Es gibt
vibrierende Aufnahme und Antwort wie den Willen zu wachsen und zu sein, Hinweise
auf eine untermentale, eine vital-physische Organisation bewußter Kraft, die in
der Form des Seienden verborgen ist. Es scheint also Tatsache zu sein: Wie im
Universum eine konstante dynamische Energie in Bewegung ist, die verschiedene
mehr oder minder subtile oder grobe materielle Formen annimmt, so ist auch in
jedem physischen Körper oder Objekt, in Pflanze, Tier oder Metall, dieselbe
konstante dynamische Kraft gespeichert und aktiv. Ein gewisser Austausch
zwischen beiden liefert uns die Phänomene, die wir mit der Idee von Leben
verbinden. Dieses Wirken erkennen wir als die Aktion von Lebens-Energie. Was
sich so in Energien umsetzt, ist die Lebens-Kraft. Mental-Energie,
Lebens-Energie, materielle Energie sind verschiedenartige Energieformen der
einen Welt-Kraft.
Selbst wenn eine Gestaltung uns als tot erscheint, existiert diese Kraft in ihr noch als Potenz, wenn auch ihre vertrauten vitalen Wirkensweisen suspendiert und dabei sind, völlig aufzuhören. In gewissen Grenzen kann das, was tot ist, wieder belebt werden. Man kann die gewöhnlichen Abläufe, Reaktion und Zirkulation aktiver Energie wiederherstellen.
Das beweist, daß das,
was wir Leben nennen, noch latent im Körper war, wenn auch nicht aktiv in seinen
üblichen Gewohnheiten, den allgemeinen Formen physischer Tätigkeit, nervlichen
Spiels und Reagierens, in seinen Gewohnheiten als Lebewesen von bewußt mentaler
Reaktion. Man kann nur schwer annehmen, daß es eine andersartige Einheit, Leben
genannt, ist, die einen Körper völlig verlassen hat und wieder in ihn eingeht,
wenn sie fühlt, daß jemand den Körper stimuliert – wie sollte sie das aber
fühlen, wenn es nichts gibt, das sie mit dem Körper verbindet? In gewissen
Fällen, so bei kataleptischer Erstarrung, sehen wir, daß die äußeren physischen
Anzeichen und Aktivitäten des Lebens suspendiert sind, daß aber die
Mentalfunktionen noch da sind, im Besitz des Selbsts und bewußt, wenn auch
unfähig, die üblichen physischen Reaktionen durchzusetzen. Gewiß trifft es nicht
zu, daß der Mensch physisch tot, mental jedoch am Leben ist oder daß Leben den
Körper verließ, während Mentalität ihn noch bewohnt. Hier ist vielmehr die
gewöhnliche physische Tätigkeit suspendiert, während das Mental noch aktiv ist.
Ebenso werden in gewissen Formen der Trance das
physische Funktionieren und das vordergründige Mental suspendiert. Sie nehmen
später ihre Tätigkeit wieder auf, in manchen Fällen durch äußeren Reiz,
normalerweise durch spontane Rückkehr zur inneren Aktivität. In Wirklichkeit hat
sich die vordergründige Mental-Kraft in das unterbewußte Mental und die
vordergründige Vital-Kraft in das subaktive Leben zurückgezogen, und entweder
ist der ganze Mensch in unterbewußtes Dasein versunken, oder er zog sein äußeres
Leben ins Unterbewußte zurück, während sein inneres Wesen ins Überbewußte
emporgehoben wurde. Hauptsache ist jetzt für uns, daß jene Kraft, was immer sie
ist, die die dynamische Lebensenergie im Körper bewahrt, ihr vordergründiges
Wirken tatsächlich suspendiert hat, doch noch in der Form der organisierten
Stofflichkeit wirkt. Es kommt aber ein Punkt, von dem an es nicht mehr möglich
ist, die unterbrochenen Aktivitäten wiederherzustellen. Das tritt ein, wenn der
Körper eine Verletzung erlitten hat, die ihn für seine gewöhnlichen Funktionen
unbrauchbar oder unfähig macht, oder wenn, ohne eine solche Verletzung, der
Prozeß der Auflösung einsetzt, d. h. wenn die Kraft, die die Lebensaktion
erneuern sollte, völlig erlahmt gegenüber dem Druck der Kräfte aus der Umgebung,
mit deren Masse von Reizen sie einen ständigen Austausch zu unterhalten pflegte.
Selbst dann ist noch Leben im Körper, aber ein Leben, das nur mit dem Auflösungsprozeß der geformten Stofflichkeit beschäftigt ist, damit es
in deren Elemente entweichen und mit ihnen neue Formen bilden kann. Nun zieht
sich der Wille in der universalen Kraft, der die Form zusammenhielt, aus ihrer
Konstitution zurück und unterstützt dafür einen Zerstreuungsvorgang. Erst dann
tritt der wirkliche Tod des Körpers ein. Leben ist also das dynamische Spiel
einer universalen Kraft, zu der stets mentales Bewußtsein und nervliche
Vitalität in irgendeiner Form oder zumindest prinzipiell gehören und die deshalb
in unserer Welt in Erscheinung tritt und sich in den Formen von Materie
organisiert. Das Lebens-Spiel dieser Kraft manifestiert sich als Austausch von
Reiz und Reaktion auf den Reiz zwischen den verschiedenen Formen, die die Kraft
aufgebaut hat und in denen sie ständig dynamisch pulsiert. Jede Gestaltung nimmt
konstant den Atem und die Energien der gemeinsamen Kraft in sich ein und gibt
sie wieder aus. Jede Gestaltung lebt hiervon und ernährt sich von ihr auf
verschiedene Art: entweder mittelbar, indem sie andere Formen, in denen die
Energie gespeichert ist, in sich aufnimmt, oder unmittelbar, indem sie die
dynamischen Entladungen absorbiert, die sie von außen empfängt. All das ist das
Spiel des Lebens. Für uns ist es aber hauptsächlich dort erkennbar, wo seine
Organisation so ausgebildet ist, daß wir ihre mehr äußerlichen und komplexen
Bewegungen wahrnehmen können, und besonders dort, wo es an jenem nervlichen
Typus vitaler Energie Anteil hat, der zu unserer eigenen Organisation gehört.
Aus diesem Grund erkennen wir es gern in der Pflanze an, dort gibt es
offenkundige Erscheinungsformen von Leben, – und das wird uns noch viel
leichter, wenn man dort auf Symptome von Nerventätigkeit hinweisen kann und auf
ein von dem unsrigen nicht sehr verschiedenes vitales System. Wir wollen aber
Leben nicht anerkennen im Metall, in Erde und im chemischen Atom, wo man diese
phänomenalen Entwicklungen nur schwer entdecken kann oder wo sie anscheinend
überhaupt nicht existieren.
Ist es wirklich gerechtfertigt, diesen Unterschied als
wesenhaft zu erklären? Was ist z. B. der Unterschied zwischen Leben in uns und
Leben in der Pflanze? Wir sehen uns erstens darin von ihr unterschieden, daß wir
die Macht zur Fortbewegung besitzen; das hat aber offenbar nichts mit dem Wesen
der Vitalität zu tun. Zweitens besitzen wir bewußtes Empfinden, das, soweit wir
wissen, noch nicht in der Pflanze entwickelt ist. Weithin werden unsere
nervlichen Reaktionen – wenn auch keineswegs immer oder in vollem Umfang – von
der mentalen Reaktion bewußter Empfindung
begleitet. Sie hat ihren Wert ebenso für das Mental wie für das Nervensystem und
für den durch die Nerventätigkeit erregten Körper. In der Pflanze scheint es
aber auch Symptome nervlicher Empfindung einschließlich derer zu geben, die sich
in uns als Lust und Schmerz, Wachsein und Schlafen, Heiterkeit, Stumpfheit und
Ermüdung äußern, und auch der Körper ist innerlich durch diese Nerventätigkeit
erregt. Doch ist kein Anzeichen vorhanden für die tatsächliche Gegenwart einer
mental bewußten Empfindung. Empfindung bleibt aber Empfindung, ob sie mental
bewußt oder vital empfindbar ist, und Empfindung ist eine Form von Bewußtsein.
Wenn die empfindende Pflanze bei einer Berührung zurückschreckt, dürfte ein
nervlicher Affekt vorliegen. Etwas in ihr hat diese Berührung nicht gern und
sucht sich deshalb von ihr zurückzuziehen. Mit einem Wort, es gibt in der
Pflanze ebenso eine unterbewußte Empfindung, wie es nach unseren Erkenntnissen
unterbewußte Vorgänge derselben Art in uns gibt. Im menschlichen System kann man
sehr wohl diese unterbewußten Wahrnehmungen und Empfindungen an die Oberfläche
des Bewußtseins bringen, noch lange, nachdem sie sich ereigneten und aufhörten,
das Nervensystem zu beeindrucken. Eine immer umfangreicher werdende Evidenz hat
unwiderleglich in uns das Dasein einer unterbewußten Mentalität festgestellt,
die viel umfangreicher ist als die bewußte. Die bloße Tatsache, daß die Pflanze
kein vordergründig aufmerksames Mental besitzt, das zur Auswertung ihrer
unterbewußten Empfindungen erweckt werden kann, bedeutet für die wesenhafte
Identität der Phänomene keinen Unterschied. Da diese Phänomene dieselben sind,
muß auch das, was sie manifestieren, dasselbe sein, und dieses ist ein
unterbewußtes Mental. Es ist auch leicht möglich, daß es eine mehr rudimentäre
Lebensbetätigung des unterbewußten Sinnen-Mentals im Metall gibt, obwohl es dort
keine körperliche, der Nervenreaktion entsprechende Erregung gibt. Aber das
Fehlen körperlicher Erregung macht für die Anwesenheit von Vitalität im Metall
ebensowenig einen Unterschied, wie das Fehlen körperlicher Fortbewegung einen
wesenhaften Unterschied für die Anwesenheit von Vitalität in der Pflanze macht.
Was geschieht, wenn im Körper das Bewußte unterbewußt
oder das Unterbewußte bewußt wird? Der wirkliche Unterschied liegt darin, daß
die bewußte Energie in einen Teil ihres Wirkens absorbiert und dort mehr oder
weniger exklusiv konzentriert ist. In gewissen Formen von Konzentration hört das, was wir die Mentalität, prajnana, das
vordergründig wahrnehmende Bewußtsein nennen, völlig oder fast auf, bewußt zu
wirken. Dennoch geht die Tätigkeit des Körpers, der Nerven und des
Sinnen-Mentals unbemerkt, doch konstant und vollkommen weiter. Sie ist ganz
unterbewußt geworden. Das Mental ist nur in einer einzigen Aktivität oder in
einer Kette von Aktivitäten hell aktiv. Zum Beispiel wird, während ich schreibe,
der physische Akt des Schreibens weithin, manchmal völlig, vom unterbewußten
Mental geleistet. Der Körper macht, wie wir sagen, unbewußt gewisse nervliche
Bewegungen. Das Mental ist nur für das Denken wach, mit dem es beschäftigt ist.
Der ganze Mensch kann sogar ins Unterbewußte hinabsinken. Dennoch können
gewohnheitsmäßige Bewegungen, die mentales Wirken voraussetzen, weitergehen wie
in vielen Erscheinungen des Schlafs. Oder der Mensch mag sich in das Überbewußte
erheben und dennoch mit dem subliminalen Mental im Körper aktiv sein, wie bei
gewissen Phänomenen von samadhi, der Trance im Yoga. Der Unterschied
zwischen dem Empfinden der Pflanze und dem unsrigen ist also offensichtlich
einfach der: In der Pflanze ist die sich im Universum manifestierende bewußte
Kraft noch nicht völlig aus dem Schlaf der Materie, aus der Absorption
hervorgetreten, die die wirksame Kraft vom Ursprung ihres Wirkens im
überbewußten Wissen völlig trennt. Darum tut sie unterbewußt das, was sie bewußt
tun wird, wenn sie im Menschen aus ihrer Absorption hervortritt und, wenn auch
noch mittelbar, zu ihrem Erkenntnis-Selbst zu erwachen beginnt. Sie tut genau
dieselben Dinge, nur auf andere Art und von anderem Wert in Begriffen von
Bewußtsein.
Jetzt können wir begreifen: Sogar im Atom gibt es etwas, das in uns zu Willen und Begehren, dort zu Anziehung und Abstoßung wird. In ihrer Erscheinung sind sie verschieden, doch im wesentlichen ist es dasselbe wie bei uns Zuneigung und Abneigung. Wir sagen: dort ist es unbewußt oder unterbewußt. Diese Essenz von Wille und Begehren ist überall in der Natur evident. Sie sind, obwohl das noch nicht genügend beachtet wird, mit dem Ausdruck eines Unterbewußten verbunden und eigentlich dessen Ausdruck oder sozusagen ein nicht-bewußtes oder ganz involviertes Empfinden und eine Intelligenz, die alles in gleicher Weise durchdringen. Da all das in jedem Atom der Materie gegenwärtig ist, ist es notwendigerweise auch in allem gegenwärtig, was durch ein Aggregat von Atomen geformt ist. Sie sind im Atom gegenwärtig, weil sie in der Kraft gegenwärtig sind, die das Atom aufbaut und konstituiert.
Diese Kraft ist
fundamental das chit-tapas oder die chit-shakti des Vedanta,
Bewußtseins-Kraft, eine dem Bewußt-Seienden ursprünglich innewohnende bewußte
Kraft, die sich manifestiert: in der Pflanze als nervliche Energie, erfüllt von
untermentaler Empfindung, in der primitiven Tierform als Begehrens-Empfinden und
Begehrens-Wille, in dem sich entwickelnden Tier als selbstbewußtes Empfinden und
Kraft, im Menschen als mentaler Wille und ein Erkennen, das alles andere
übertrifft. Leben ist eine Skala der universalen Energie, in der der Übergang
vom Unbewußten zum Bewußtsein hergestellt wird. Eine vermittelnde Macht dessen
ist in der Materie latent vorhanden oder versunken. Sie wird durch eigene Kraft
ins submentale Wesen entbunden und zuletzt durch das Hervortreten des Mentals
völlig befreit in die volle Entfaltungsmöglichkeit ihrer Kraftfülle.
Unerachtet aller anderen Erwägungen drängt sich dieser
Schluß als logische Notwendigkeit auf, wenn wir eben diesen Vorgang, wie das
Mental nach außen hervortritt, im Licht des Themas Evolution betrachten. Es ist
von selbst einleuchtend, daß Leben in der Pflanze, wenn auch andersartig als im
Tier organisiert, dennoch dieselbe Macht ist, gekennzeichnet durch Geburt,
Wachsen und Tod, Fortpflanzung durch Samen, Tod durch Verfall, Krankheit oder
Gewalt, Aufrechterhaltung durch Einnahme nährender Elemente von außen,
Abhängigkeit von Licht und Wärme, Fruchtbarkeit und Unfruchtbarkeit. Es gibt
auch Zustände von Schlaf und Wachsein, Energie und Depression der Lebenskräfte,
den Übergang von Kindheit zu Reife und Altern. Überdies enthält die Pflanze die
Essenzen der Lebenskraft und ist darum natürliche Nahrung für Tier-Existenzen.
Wenn anerkannt ist, daß sie ein Nervensystem und Reaktionen auf Reize besitzt,
einen Anfang oder Unterstrom submentaler oder rein vitaler Empfindungen, wird
diese Identität noch deutlicher. Doch verbleibt die Pflanze offensichtlich auf
einer Zwischenstufe der Lebens-Evolution zwischen der Tier-Existenz und der
“unbelebten” Materie. Gerade das muß man erwarten, wenn Leben eine Kraft ist,
die sich aus der Materie entwickelt und im Mental ihren Höhepunkt erreicht. Ist
dem so, müssen wir auch annehmen, daß es bereits in der Materie selbst
existiert, versunken oder latent im materiellen Unterbewußtsein oder in der
Nicht-Bewußtheit. Von woher könnte es sonst emportauchen? Evolution von Leben in
Materie setzt seine vorhergehende Involution in dieser voraus. Sonst müßten wir
annehmen, es sei eine Neuschöpfung, die auf magische und unerklärliche Weise in
die Natur eingeführt wurde. Wäre sie das, müßte
sie entweder eine Schöpfung aus dem Nichts oder das Ergebnis materieller
Vorgänge sein, die durch nichts in den Abläufen selbst und durch kein Element
verwandter Natur in ihnen begründet sind. Oder das Leben mag in unfaßbarer Weise
von oben herniedergekommen sein, aus einem supraphysischen Bereich oberhalb des
materiellen Universums. Die beiden ersten Annahmen können als willkürliche
Auffassungen verworfen werden. Die letzte Erklärung ist möglich, sie ist auch
begreiflich. In der okkulten Betrachtung der Dinge ist wahr, daß Druck aus einer
Lebens-Ebene oberhalb des materiellen Universums das Hervortreten des Lebens
hier unterstützt hat. Das schließt aber nicht den Ursprung von Leben aus Materie
selbst als die ursprüngliche, notwendige Bewegung aus. Denn die Existenz einer
Lebens-Welt oder Lebens-Ebene oberhalb der materiellen führt nicht von selbst
zum Hervortreten von Leben in der Materie, wenn jene Lebens-Ebene nicht als
formative Stufe im Herniederkommen von Sein durch verschiedene Grade oder Mächte
des Seins selbst existiert bis hinab in die Nicht-Bewußtheit, mit dem Ergebnis,
daß das Sein sich mit allen diesen Mächten seiner selbst in die Materie
involviert, damit sie in einer späteren Evolution aus ihr hervortreten. Es ist
keine Frage von entscheidender Bedeutung, ob Anzeichen dieses versunkenen Lebens
in materiellen Dingen, noch unorganisiert oder rudimentär, zu entdecken sind,
oder ob es keine solchen Hinweise gibt, da dieses involvierte Leben in tiefem
Schlaf liegt. Die materielle Energie, die die Aggregate bildet, gestaltet und
wieder auflöst,9 ist dieselbe Macht in einem anderen Grad ihrer selbst wie die
Lebens-Energie, die sich im Geborenwerden, Wachsen und Sterben ausdrückt, wie
sie sich auch, wenn sie ihre Werke von Intelligenz in schlafwandlerischer
Unterbewußtheit tut, als
dieselbe Macht erweist,
die in einem noch anderen Grad den Status des Mentals erlangt. Ihr wahrer
Charakter zeigt, daß sie die noch ungeborenen Mächte von Mental und Leben in
sich enthält, wenn auch noch nicht in deren charakteristischer Organisation oder
Wirkensweise.
Leben offenbart sich als überall wesenhaft dasselbe vom
Atom bis zum Menschen. Das Atom enthält den unterbewußten Stoff und die Bewegung
von Seiendem, die im Tier in Bewußtsein freigesetzt werden, wobei Pflanzenleben
eine Mittelstufe des Weges der Evolution ist. Leben ist in Wirklichkeit ein
universales Wirken von Bewußter Kraft, die unterbewußt auf die Materie und in
ihr wirkt. Es wirkt, indem es Formen oder Körper erschafft, erhält, zerstört und
wiedererschafft und durch das Spiel von Nervenkraft, d. h. durch Ströme von
Austausch stimulierender Energie in diesen Körpern bewußtes Empfinden zu
erwecken sucht. Bei diesem Vorgang gibt es drei Stufen: Die unterste ist die, in
der die Vibration noch im Schlaf der Materie liegt, so völlig unterbewußt, daß
sie ganz mechanisch zu sein scheint. Die mittlere Stufe ist die, in der das
Leben fähig wird zu reagieren, zwar noch untermental, aber doch im Obergang zu
dem, was wir als Bewußtsein kennen. Die höchste Stufe ist die, in der das Leben
bewußte Mentalität in der Form mental wahrnehmbarer Empfindung entwickelt, die
bei diesem Übergang zur Grundlage wird, auf der sich Sinnen-Mental und
Intelligenz entfalten. Auf dieser Mittelstufe erfassen wir die Idee des Lebens
als unterschieden von Materie und Mental. In Wirklichkeit ist es dasselbe auf
allen Stufen und stets ein Mittelbegriff zwischen Mental und Materie. Es
konstituiert letztere und ist erfüllt von der ersteren. Leben ist das Wirken
Bewußter Kraft, weder eine reine Gestaltung von Stofflichkeit noch eine
Wirkensweise des Mentals, das Stoff und Form zum Objekt seines gestaltenden
Erfassens macht. Leben erfüllt vielmehr bewußtes Seiendes mit Energien und wird
so zur Ursache und Unterstützung der Formung von Stofflichkeit und zur
Vermittlung, Quelle und Stütze bewußten mentalerfassenden Begreifens. Leben
befreit durch dieses vermittelnde Erfüllen des bewußten Seienden mit Energie
eine Form schöpferischer Kraft des Seins zu empfindender Aktion und Reaktion,
die unterbewußt oder unbewußt, absorbiert in ihren eigenen Stoff, schon am
Wirken war. Es unterstützt und befreit zum Handeln das auffassende
Seins-Bewußtsein, Mental genannt, und gibt ihm eine dynamische Instrumentation,
so daß es nicht nur auf seine eigenen Formen einwirken kann, sondern auch auf
Formen von Leben und Materie. Außerdem verbindet und unterstützt es, als Mittelbegriff zwischen Mental und Materie, den wechselseitigen
Umgang beider. Das leben liefert dieses Mittel der Beziehung zueinander in den
ständigen Strömungen ihrer pulsierenden Nervenenergie. Sie enthalten die Kraft
der Form als ein Empfinden, um das Mental zu modifizieren, und bringen wieder
Mental-Kraft als den Willen zurück, die Materie umzugestalten. Diese
Nerven-Energie ist es, die wir gewöhnlich meinen, wenn wir von Leben sprechen.
Es ist prana, die Lebenskraft des indischen Systems. Nerven-Energie ist
aber nur die Form, die sie im Tierwesen annimmt. Diesselbe Energie von prana
ist in allen Formen gegenwärtig bis hinab zum Atom, da es dem Wesen nach überall
dasselbe und überall dasselbe Wirken der Bewußten Kraft ist, jener Kraft, die
das stoffliche Dasein ihrer eigenen Formen unterstützt und modifiziert, Kraft
mit Empfinden und Mentalität, die im Geheimen aktiv, aber zuerst in die Form
involviert ist und sich auf das Hervortreten vorbereitet, um schließlich aus
ihrer Involution hervorzutreten. Das ist die ganze Bedeutung jenes
allgegenwärtigen Lebens, das das materielle Universum manifestiert hat und
bewohnt.
Kapitel XX. Tod, Begehren und Untauglichkeit
Im Anfang war alles von
Hunger, das ist Tod, bedeckt; dieser bildete für sich Mentalität, so daß er zum
Besitz des Selbsts gelangen könnte.
Brihadaranyaka Upanishad, I.2.1.
Dies ist die Macht, die das Sterbliche entdeckt, das die Menge seiner Begehren hat, so daß es alle Dinge tragen könnte. Sie nimmt den Geschmack aller Speisen an und erbaut dem Seienden ein Haus.
Rig Veda, V.7.6.
Im vorigen Kapitel haben wir Leben unter dem
Gesichtspunkt des materiellen Daseins und des Erscheinens und Wirkens des
vitalen Prinzips in der Materie betrachtet und Schlüsse gezogen aus den Daten,
die uns das evolutionäre irdische Dasein bietet. Es ist aber evident, daß das
allgemeine Prinzip, wo immer es erscheint und wie es auch unter gleich welchen
Bedingungen wirken mag, überall dasselbe sein muß. Leben ist universale Kraft,
die aufgrund ihres fundamentalen Charakters wirkt, um zu erschaffen, mit Energie
zu erfüllen, zu erhalten und umzugestalten, und dabei so weit geht, daß sie
Formen von Substanz im gegenseitigen Kräftespiel und Austausch einer offen oder
insgeheim bewußten Energie auflöst und neu konstruiert. In der von uns bewohnten
materiellen Welt ist das Mental ebenso im Leben involviert und unterbewußt, wie
das Supramental im Mental involviert und unterbewußt ist. Und das Leben, das ein
involviertes unterbewußtes Mental in sich enthält, ist selbst wieder in Materie
involviert. Darum ist hier Materie die Basis und der sichtbare Anfang. In der
Sprache der Upanishaden ist prthvi, das Erd-Prinzip, unsere Grundlage.
Das materielle Universum beginnt vom formalen Atom her, das mit Energie
aufgeladen und angefüllt ist mit dem ungeformten Stoff von unterbewußtem
Begehren, Willen und unterbewußter Intelligenz. Aus dieser Materie offenbart
sich das sichtbar werdende Leben und entbindet aus sich mittels des lebendigen
Körpers das Mental, das es in sich gefangen hält. Ebenso muß das Mental das in
seinem Wirken verborgene Supramental aus sich entbinden. Wir können uns aber
auch eine Welt von anderer Konstitution vorstellen,
in der das Mental am Anfang nicht involviert ist, sondern bewußt seine ihm
eingeborene Energie verwendet, um ursprüngliche Gestaltungen aus Stoff zu
erschaffen, also nicht, wie hier, am Anfang nur unterbewußt ist. Wenn
sich auch der Ablauf einer solchen Welt von dem der unsrigen ganz verschieden
auswirken würde, wäre doch der vermittelnde Träger des Wirkens jener Energie
immer Leben. Die Sache würde dieselbe sein, selbst wenn der Prozeß völlig
umgekehrt wäre.
Dann wird aber unmittelbar klar, Leben ist nur eine
zweckbestimmte Auswirkung der Bewußtseins-Kraft, deren bestimmende Form und
schöpferischer Bewirker die Real-Idee ist, ebenso wie das Mental nur eine
zweckbestimmte Wirkensart des Supramentals ist. Bewußtsein als Kraft ist die
Eigentümlichkeit des Seins, und dieses bewußte Sein, als schöpferischer
Wissens-Wille manifestiert, ist die Real-Idee oder das Supramental. Der
supramentale Wissens-Wille ist Bewußtseins-Kraft, die wirksam gemacht wurde für
die Erschaffung von Formen eines geeinten Wesens in einer geordneten Harmonie,
der wir den Namen Welt oder Universum geben. Ebenso sind Mental und Leben
dieselbe Bewußtseins-Kraft, derselbe Wissens-Wille, die aber für die Gestaltung
und Erhaltung unterschiedlicher individueller Formen wirken: in einer Art
Abgrenzung, Gegenüberstellung und gegenseitigem Austausch, wobei die Seele in
jeder Form des Wesens ihr eigenes Mental und Leben ausarbeitet, als wären sie
von den anderen getrennt, während sie tatsächlich niemals voneinander getrennt
sind sondern das Spiel der einen Seele, des einen Mentals und Lebens in
unterschiedlichen Gestaltungen ihrer einzigen Wirklichkeit. Mit anderen Worten:
so wie das Mental das zweckbestimmte individualisierende Wirken des alles in
sich begreifenden und alles nach außen verstehenden Supramentals ist, der
Vorgang, durch den sein Bewußtsein, individualisiert in jeder Gestalt, von dem
ihr eigentümlichen Standpunkt aus und mit den kosmischen Beziehungen wirkt, die
von diesem Standpunkt ausgehen, so ist Leben das zweckbestimmte Wirken, durch
das die Kraft des Bewußten Wesens durch den alles besitzenden und
allschöpferischen Willen des universalen Supramentals individuelle Gestaltungen
fördert, mit Energie erfüllt, konstituiert, rekonstituiert und in ihnen als in
der Basis aller Aktivität der so verkörperten Seele handelt. Leben ist die
Energie des Göttlichen Wesens, das sich selbst konstant in. Formen wie in einer
Kraftmaschine auflädt und nicht nur mit der nach außen wirkenden Batterie ihrer
Kraftstöße auf umgebende Formen der Dinge einwirkt, sondern selbst auch die eindringenden Kraftstöße alles umgebenden Lebens
empfängt, wenn sie von außen, vom umgebenden Universum her, auf die Form
einströmen und sie durchdringen.
Bei dieser Betrachtung erscheint Leben als eine vermittelnde und für die Einwirkung von Mental auf Materie geeignete Form von Bewußtseins-Energie. In gewissem Sinn kann man sagen, es ist ein Energie-Aspekt des Mentals, wenn dieses schöpferisch wirkt und sich nicht nur auf Ideen bezieht, sondern auf Bewegungen von Kraft und auf Formen von Stoff. Man muß aber sofort hinzufügen: ebenso, wie das Mental keine gesonderte Einheit ist, sondern das ganze Supramental hinter sich hat, und das Supramental es ist, das erschafft, mit dem Mental nur als seiner zweckbestimmten individualisierenden Wirkensweise, so ist auch Leben keine gesonderte Einheit oder Bewegung, sondern hat es die ganze Bewußte Kraft bei jeder einzelnen seiner Aktivitäten hinter sich. Und es ist allein jene Bewußte Kraft, die in den erschaffenen Dingen existiert und wirkt. Leben ist nur ihr zweckbestimmtes, zwischen Körper und Mental vermittelndes Wirken. Alles, was wir vom Leben aussagen, muß also durch das qualifiziert sein, was sich aus dieser Abhängigkeit ergibt. Erst dann kennen wir Leben in seiner Eigentümlichkeit und seinem Verfahren, wenn wir jener in ihm wirkenden Bewußten Kraft, deren äußerer Aspekt und Instrumentation es nur ist, inne sind und bewußt werden. Nur dann können wir als individuelle Seelen-Gestaltungen und als mentale und körperliche Instrumente des Göttlichen Wesens mit Erkenntnis den Willen Gottes im Leben wahrnehmen und ausführen. Nur dann können Leben und Mental in immer geraderen Wegen und Bewegungen zur Wahrheit in uns und in den Dingen vorwärtsgehen und die Entstellungen und Krümmungen der Unwissenheit ständig vermindern. Wie das Mental sich bewußt mit dem Supramental einen muß, von dem es sich durch die Einwirkung der Unwissenheit, avidya, absonderte, so muß auch Leben der Bewußten Kraft innewerden, die in ihm auf Ziele hinwirkt und einen Sinn erfüllt, deren das Leben in uns deshalb unbewußt ist, weil es vom bloßen Prozeß zu leben so völlig in Anspruch genommen ist, wie unser Mental von dem bloßen Vorgang absorbiert ist, Leben und Materie zu vergeistigen. Darum ist Leben in seinem verfinsterten Wirken so unbewußt, daß es diesen Prozessen blind und ignorant dient und nicht erleuchtet oder mit einer das Selbst erfüllenden Erkenntnis, Macht und Freude, wie es das in seiner Befreiung und Erfüllung tun muß und will.
Da unser Leben dem
verfinsterten und trennenden Wirken des Mentals dient, ist es faktisch selbst
verdunkelt, zertrennt und muß die Unterwerfung unter Tod, Beschränkung,
Schwäche, Leiden und unwissendes Tätigsein auf sich nehmen, das vom gebundenen,
beschränkten geschöpflichen Mental erzeugt und verursacht wird. Die
ursprüngliche Quelle der Entstellung war, wie wir gesehen haben, die
Selbst-Beschränkung der individuellen Seele. Sie ist an die Unkenntnis ihres
Selbsts gebunden, da sie sich infolge einer exklusiven Konzentration für eine
besondere, selbst-seiende Individualität hält und jedes kosmische Wirken nur so
betrachtet, wie und als was es sich ihrem individuellen Bewußtsein, Erkennen,
Wollen, Genießen, ihrer Kraft und begrenzten Wesenheit darbietet, statt sich
selbst als bewußte Form des Einen zu erkennen und alles Bewußtsein und Erkennen,
alles Wollen, alle Kraft, alles Genießen und alles Wesen als eines mit ihrem
eigenen zu umfassen. So wird das universale Leben in uns, das dieser Lenkung
durch die im Mental gefangene Seele gehorcht, selbst in eine individuelle Aktion
eingesperrt. Es existiert und handelt als gesondertes Leben, begrenzt und
unzureichend begabt, Schock und Druck des ganzen es umgebenden kosmischen Lebens
unterworfen, das es nicht frei umfassen kann. Als ein armes, begrenztes,
individuelles Dasein wird es in den ständigen kosmischen Kraft-Austausch im
Universum geworfen. Darum leidet das Leben anfänglich hilflos und muß dem
ungeheuren Spiel der aufeinander prallenden Kräfte mit einer nur mechanischen
Reaktion auf all das antworten, was es angreift, verschlingt, genießt, verwendet
und antreibt. Wenn sich aber Bewußtsein entwickelt, sobald das Licht seines
eigenen Wesens aus der dumpfen Finsternis des Involutions-Schlafes hervortritt,
wird das individuelle Dasein undeutlich seiner eigenen Macht inne und versucht,
zuerst nervlich, dann mental dieses Kräftespiel zu bemeistern, zu verwenden und
sich daran zu erfreuen. Dieses Erwachen zur Erfahrung der eigenen inneren Macht
ist das stufenweise Wachwerden des Menschen zum Selbst. Leben ist Kraft, Kraft
ist Macht, Macht ist Wille, Wille ist das Wirken des Meister-Bewußtseins. Im
einzelnen Menschen wird das Leben in seinen Tiefen immer mehr dessen inne, daß
auch es der Kraft-Wille von saccidananda, des Meisters des Universums,
ist. Nun strebt er selbst danach, individuell Meister seiner eigenen Welt zu
werden. Darum ist es der wachsende Impuls alles individuellen Lebens, seine
eigene Macht zu realisieren, Meister über die eigene Welt zu werden und diese
immer besser zu erkennen.
Dieser Impuls ist
wesentliches Kennzeichen der wachsenden Selbst-Manifestation des Göttlichen
Wesens im kosmischen Dasein.
Leben ist zwar Macht, und das Wachsen individuellen Lebens bedeutet Zunahme individueller Macht. Doch die bloße Tatsache, daß Leben und Kraft geteilt und individualisiert sind, hindert es daran, in Wirklichkeit Meister seiner Welt zu werden. Denn das würde bedeuten, daß es Meister der All-Kraft wäre. Für ein abgetrenntes, individualisiertes Bewußtsein mit einer zerteilten, individualisierten Macht und deshalb begrenztem Willen ist es aber unmöglich, Meister der All-Kraft zu sein. Nur der All-Wille kann das sein; der individuelle Wille nur dann – falls überhaupt –, wenn er wieder eins wird mit dem All-Willen und dadurch mit der All-Kraft. Wenn nicht, muß das individuelle Leben in individueller Gestalt stets den drei Merkmalen seiner Begrenzung unterworfen bleiben: Tod, Begehren, Unfähigkeit.
Dem individuellen Leben wird Tod sowohl von den Bedingungen seiner eigenen Existenz wie von seinen Beziehungen zur All-Kraft aufgenötigt, die sich im Universum manifestiert. Das individuelle Leben ist ein besonderes Energie-Spiel, darauf spezialisiert, eine der Myriaden Gestaltungen, die dem Gesamtspiel des Universums, jede an ihrem Ort, zu ihrer Zeit und in ihrer Reichweite dienen, zu konstituieren, zu erhalten, mit Kraft zu versorgen und schließlich aufzulösen, wenn es zu nichts mehr nütze ist. Die Lebensenergie im Körper ist dem Angriff der von außen auf ihn einwirkenden Energien im Universum dienstbar. Sie soll diese Kräfte in ihn hineinziehen, sich davon nähren und wird selbst ständig von ihnen verzehrt. Nach der Upanishad ist alle Materie Nahrung. Die Formel für die materielle Welt heißt: “Der Esser, der ißt, wird selbst aufgegessen.” Das im Körper organisierte Leben ist ständig der Möglichkeit ausgesetzt, durch den Angriff des von außerhalb andringenden Lebens zerstört zu werden, wenn seine Fähigkeit, selbst zu verzehren, nicht ausreicht, nicht richtig bedient wird oder wenn kein rechtes Gleichgewicht besteht zwischen der Fähigkeit, selbst zu verzehren, und der Fähigkeit oder Notwendigkeit, Nahrung für das Leben außerhalb zu liefern. Dann kann es sich nicht schützen und wird verzehrt, oder es ist unfähig, sich selbst zu erneuern, und wird vernichtet oder zerbrochen. So muß es durch den Prozeß des Todes hindurch, um neu erbaut oder erneuert zu werden.
Darüber hinaus ist aber – wieder in der Sprache der
Upanishad – die Lebenskraft die Nahrung des Körpers und der Körper die Nahrung
der Lebenskraft. Mit anderen Worten: die
Lebensenergie in uns liefert einerseits das Material, durch das unsere Gestalt
aufgebaut, ständig erhalten und erneuert wird, andererseits verbraucht sie
dauernd ihre eigene stoffliche Form, die sie so erschafft und am Dasein erhält.
Wenn das Gleichgewicht zwischen beiden Wirkensweisen unvollkommen oder gestört
wird oder das geordnete Zusammenspiel der verschiedenen Ströme der Lebenskraft
aus seinem Gang geraten ist, treten Krankheit und Verfall ein, und der Prozeß
der Auflösung beginnt. Gerade das Ringen um bewußte Herrschaft des Mentals,
selbst um sein Wachsen, erschwert die Erhaltung des Lebens noch mehr. Denn die
Lebenskraft stellt dann höhere Anforderungen an die Gestalt, eine Beanspruchung,
die über das ursprüngliche System der Belieferung hinausgeht und das frühere
Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage stört. Bevor ein neues Gleichgewicht
hergestellt werden kann, kommt es zu vielen Störungen, die der Harmonie und der
Dauer der Erhaltung des Lebens abträglich sind. Außerdem ruft der Versuch zur
Beherrschung stets eine entsprechende Reaktion von Kräften in der Umwelt hervor,
die ihre eigene Befriedigung erstreben und darum gegenüber einer Existenz, die
sie zu bemeistern sucht, intolerant sind, gegen sie revoltieren und sie
angreifen. Auch hier wird das Gleichgewicht gestört und intensiverer Kampf
hervorgerufen. Wie stark auch das beherrschende Leben ist, es kann nicht immer
Widerstand leisten und siegen, sondern muß eines Tages unterliegen und sich
auflösen, wenn es nicht unbegrenzt ist oder sonst wie mit Erfolg eine neue
Harmonie mit seiner Umgebung herstellt.
Aber abgesehen von all diesen Notwendigkeiten gibt es
das fundamentale Erfordernis der Natur und Ziel des verkörperten Lebens als
solches: auf einer endlichen Grundlage unendliche Erfahrung zu suchen. Da aber
gerade die Form, diese Basis, durch ihre Organisation die Möglichkeit von
Erfahrung einschränkt, kann das nur geschehen, indem diese Gestaltungen
aufgelöst und neue gesucht werden. Nachdem die Seele sich einmal dadurch
einschränkte, daß sie sich auf den Augenblick und auf das irdische Feld
konzentrierte, wird sie weiter getrieben, ihre Unendlichkeit wieder durch das
Prinzip der Aufeinanderfolge zu gewinnen, indem sie Augenblick zu Augenblick
fügt und so eine Zeit-Erfahrung speichert, die sie ihre Vergangenheit nennt. In
dieser Zeit bewegt sie sich durch aufeinanderfolgende Bereiche,
aufeinanderfolgende Erfahrungen oder Lebensabläufe, aufeinanderfolgende
Anhäufung von Erkenntnis, Fähigkeit und Genuß. All das behält sie in
unterbewußter oder überbewußter Erinnerung als
ihr in vergangener Zeit erworbenes Kapital. Für diesen Prozeß ist die
Verwandlung der Form wesentlich. Für die im individuellen Körper involvierte
Seele bedeutet Verwandlung der Form Auflösung des Körpers im Gehorsam gegen das
Gesetz und den Zwang des All-Lebens im materiellen Universum, gegen sein Gesetz,
das Material für die Gestaltung zu liefern und von ihr Material zurückzufordern,
gegen sein Prinzip ständigen Zusammenstoßes und Kampfes des verkörperten Lebens
um sein Dasein in einer Welt gegenseitigen Sichverzehrens. Das ist das Gesetz
des Todes.
Hierin besteht also die Notwendigkeit und Rechtfertigung des Todes: Er ist nicht eine Infragestellung des Lebens sondern ein Prozeß des Lebens. Tod ist notwendig, weil ewiger Wechsel der Form die einzige Unsterblichkeit ist, nach der die endliche, lebende Substanz streben kann. Ewiger Wechsel der Erfahrung ist die einzige Unendlichkeit, die das endliche, im lebenden Körper involvierte Mental erlangen kann. Diese Wandlung der Form darf nicht nur eine ständige Erneuerung desselben Form-Typus bleiben, wie er unser körperliches Leben zwischen Geburt und Tod konstituiert. Denn die notwendige Variation von Erfahrung, die die eigentliche Natur eines Daseins in Zeit und Raum erfordert, kann nur dadurch bewirkt werden, daß der Form-Typus verändert und das erfahrende Mental in neue Formen unter neuen Umständen von Zeit, Ort und Umgebung eingepflanzt wird. Diese notwendige und heilsame Wandlung läßt den Prozeß des Todes unserer sterblichen Mentalität nur deshalb als so schrecklich und unerwünscht erscheinen, weil alles aufgelöst und das Leben vom Leben verschlungen wird, weil Freiheit fehlt, weil Zwang, Kampf, Schmerz uns anscheinend dem Wicht-Selbst unterwerfen. Das Empfinden, aufgezehrt, zerbrochen, zerstört, durch Zwang fortgerissen zu werden, ist der Stachel des Todes, den auch die Überzeugung eines persönlichen Überlebens nicht ganz beseitigen kann.
Dieser Prozeß ist eine Notwendigkeit des gegenseitigen
Sich-verzehrens, das, wie wir gesehen haben, das ursprüngliche Gesetz des Lebens
in der Materie ist. Die Upanishad sagt: “Leben ist Hunger, und das ist Tod, und
durch diesen Hunger, der Tod ist, asanaya mrtyuh, ist die materielle Welt
erschaffen worden.” Leben gestaltet sich hier in materieller Substanz.
Materielle Substanz ist Wesen, das unendlich zerteilt ist und sich immer wieder
zusammenzuschließen sucht. Zwischen diesen beiden Impulsen unendlicher
Zerteilung und unendlichen Zusammenschlusses ist
das materielle Dasein des Universums konstituiert. Der Versuch des Individuums,
des lebenden Atoms, sich zu behaupten und zu vergrößern, ist der Sinn des
Verlangens: Es wächst physisch, vital, moralisch, mental, indem es mehr und mehr
Erfahrung in sich aufnimmt, immer mehr in seinen Besitz bringt, absorbiert,
assimiliert, genießt. Das ist der unvermeidliche, fundamentale, unausrottbare
Impuls des Daseins, sobald es einmal zerteilt und individualisiert ist. Jedoch
bleibt es insgeheim seiner alles umfassenden, alles besitzenden Unendlichkeit
stets bewußt. Der Impuls, dieses geheime Bewußtsein zu realisieren, ist der
Sporn des kosmischen Göttlichen Wesens, die Lust des verkörperten Selbsts in
jedem individuellen Geschöpf. Es ist unvermeidlich, richtig und heilsam, daß es
dies zuerst in den Begriffen von Leben durch stets zunehmendes Wachsen und
Sich-ausweiten verwirklichen soll. In der physischen Welt kann das nur dadurch
getan werden, daß es sich von seiner Umgebung nährt, sich durch Absorption
anderer oder vom Besitz anderer vergrößert. Diese Notwendigkeit ist die
universale Rechtfertigung von Hunger in allen seinen Formen. Das, was
verschlingt, muß auch selbst wieder verschlungen werden. Denn das Gesetz
gegenseitigen Austauschs, von Aktion und Reaktion, von beschränkter Begabung und
darum zuletzt von Erschöpfung und Erliegen, regiert alles Leben in der
physischen Welt.
Was im unterbewußten Leben nur erst vitaler Hunger ist,
überträgt sich im bewußten Mental in höhere Formen. Hunger in den vitalen
Schichten wird im mentalisierten Leben zur Sehnsucht des Begehrens, zur
Anspannung von Willen im intellektuellen oder denkenden Leben. Diese Bewegung
von Begehren muß und sollte weitergehen, bis der Einzelne so herangewachsen ist,
daß er zuletzt Herr über sich selbst und, durch zunehmendes Einswerden mit dem
Unendlichen, Besitzer dieses Universums werden kann. Begehren ist der Hebel,
durch den das göttliche Lebens-Prinzip sein Ziel durchsetzt, sich selbst im
Universum zu behaupten. Der Versuch, es zugunsten dumpfer Trägheit zu
vernichten, ist Verleugnung des göttlichen Lebens-Prinzips, ist
Wille-zum-Nichtsein, und das ist zwangsläufig Unwissenheit. Denn man kann erst
aufhören, individuell zu existieren, wenn man unendlich ist. Auch Begehren kann
rechtmäßig nur dadurch aufhören, daß es zum Begehren des Unendlichen wird und
seinen vollen Frieden in erhabener Erfüllung und unendlichem Genügen in der
alles besitzenden Seligkeit des Unendlichen findet. Inzwischen muß es vom Typus
sich gegenseitig verzehrenden Hungers zum Typus
gegenseitigen Schenkens fortschreiten, zu einem froheren Opfer des Austauschs:
Der Einzelne schenkt sich anderen Einzelnen und empfängt sie wieder im
Austausch. Der Niedere gibt sich an den Höheren hin und der Höhere an den
Niederen, so daß sie ineinander erfüllt werden können. Das Menschliche
überantwortet sich dem Göttlichen und das Göttliche dem Menschlichen. Das All im
Individuum ergibt sich dem All im Universum und empfängt als göttlichen Lohn
seine verwirklichte Universalität. So muß das Gesetz des Hungers fortschreitend
dem Gesetz der Liebe weichen, das Gesetz der Trennung dem Gesetz der Einheit,
das Gesetz des Todes dem Gesetz der Unsterblichkeit. Von dieser Art ist die
Notwendigkeit, die Rechtfertigung und die erhabene Höhe und Selbst-Erfüllung des
Begehrens, das im Universum am Werk ist.
Wie die vom Leben angelegte Maske des Todes ihren Grund
in der Bewegung seines endlichen Suchens hat, sich seiner Unsterblichkeit zu
versichern, so ist Begehren der Impuls der Kraft des im Leben individualisierten
Wesens, sich fortschreitend in den Begriffen der Aufeinanderfolge in der Zeit
und der Selbst-Ausdehnung im Raum im Rahmenwerk des Endlichen seine unendliche
Seligkeit, das ananda von saccidananda, zu sichern. Die von diesem
Impuls getragene Maske des Begehrens rührt unmittelbar vom dritten Phänomen des
Lebens her, von seinem Gesetz der Unfähigkeit. Leben ist unendliche Kraft, die
in den Begriffen des Endlichen wirkt. Während ihres vordergründigen,
individualisierten Wirkens im Endlichen muß die Allmacht dieser Kraft als
begrenzte Begabung und partielle Machtlosigkeit erscheinen und wirken, obwohl
hinter jedem, wenn auch noch so schwachen, versagenden und strauchelnden Handeln
des Individuums die ganze überbewußte und unterbewußte Gegenwart unendlicher,
allmächtiger Kraft stehen muß. Ohne sie kann sich im Kosmos nicht die geringste
Bewegung ereignen. In ihre Summe universaler Aktion versinkt jeder einzelne Akt
und jede Bewegung durch das Gebot der allmächtigen Allwissenheit, die als das
den Dingen innewohnende Supramental wirkt. Die individualisierte Lebenskraft ist
aber ihrem eigenen Bewußtsein gegenüber begrenzt und unfähig. Sie muß nicht nur
gegen eine Masse anderer individualisierter Lebenskräfte aus ihrer Umgebung
handeln, sondern ist auch der Kontrolle und Infragestellung durch das unendliche
Leben selbst unterworfen, mit dessen totaler Willens-Tendenz ihr eigener Wille
und ihre eigene Neigung nicht ohne weiteres übereinstimmen mögen. Darum ist
Beschränkung von Kraft, das Phänomen
Unfähigkeit, die dritte der drei bezeichnenden Eigenschaften individualisierten
und zerteilten Lebens. Andererseits bleibt der Impuls, sich selbst auszuweiten
und alles zu besitzen, bestehen und nimmt nicht die Begrenztheit seiner jetzigen
Kraft oder Fähigkeit zum Maßstab oder beschränkt sich darauf (was er auch gar
nicht tun soll). Aus dem Mißverhältnis zwischen dem Impuls, zu besitzen, und der
Kraft, in Besitz zu nehmen, entsteht das Begehren. Wenn es diese Diskrepanz
nicht gäbe, wenn die Kraft den begehrten Gegenstand stets in Besitz nehmen und
ihr Ziel stets sicher erreichen könnte, würde Begehren gar nicht entstehen;
vielmehr gäbe es einen ruhigen, das Selbst besitzenden Willen ohne sehnendes
Verlangen, so wie es der Wille des Göttlichen Wesens ist.
Wäre die individualisierte Kraft die Energie eines von
Unwissenheit freien Mentals, würde eine solche Beschränkung, eine Notwendigkeit
des Begehrens nicht eintreten. Ein vom Supramental nicht getrenntes Mental, ein
Mental göttlichen Wissens, würde die Absicht, Reichweite und das unvermeidliche
Ergebnis jeder seiner Handlungen kennen. Es brauchte sie nicht zu begehren und
nicht darum zu ringen. Vielmehr würde es eine in sich sichere,
selbst-beschränkte Kraft für den unmittelbar beabsichtigten Zweck einsetzen.
Auch wenn es über das Gegenwärtige hinausstrebt und Bewegungen unternimmt, für
die kein unmittelbarer Erfolg beabsichtigt ist, wäre es doch nicht dem Begehren
oder der Beschränkung unterworfen. Denn auch die Mißerfolge des Göttlichen
Wesens sind Akte seiner allwissenden Allmacht, die die rechte Zeit und die
Umstände für den Anfang, die Wechselfälle, vorläufigen und endgültigen
Ergebnisse all seiner kosmischen Unternehmungen kennt. Das Wissens-Mental würde
in seinem Einklang mit dem göttlichen Supramental an diesem Wissen und an dieser
alles entscheidenden Macht teilhaben. Wie wir aber gesehen haben, ist die
individualisierte Lebenskraft Energie eines individualisierenden und unwissenden
Mentals, eines Mentals, das aus der Erkenntnis seines eigenen Supramentals
herausgefallen ist. Darum ist für seine Beziehungen im Leben das Unvermögen
notwendig und in der Natur der Dinge unvermeidlich. Denn die praktische Allmacht
unwissender Kraft selbst in einer begrenzten Sphäre ist undenkbar, da sich solch
eine Kraft hier dem Wirken der göttlichen, allwissenden Allmacht entgegenstellen
und die feststehende Absicht der Dinge auflösen würde –, eine unmögliche
kosmische Situation. Darum ist das erste Gesetz des Lebens der Kampf begrenzter Kräfte, die durch Ringen unter dem vorwärtsdrängenden Antrieb
instinktiven oder bewußten Begehrens ihre Begabung erweitern. Wie beim Begehren,
so ist es auch bei diesem Ringen: es muß sich in ein gegenseitig hilfreiches
Erproben von Stärke, in ein bewußtes Ringen von Bruder-Kräften emporheben, bei
denen der Sieger und der Besiegte, oder vielmehr das, was durch Wirken von oben
her, und das, was durch den Gegenschlag eines Wirkens von unten her, aufeinander
Einfluß ausübt, in gleicher Weise gewinnen und wachsen muß. Das muß zuletzt
wieder zum frohen Zusammenstoß eines göttlichen Austauschs der Kräfte, zur
starken Umarmung der Liebe führen, die die krampfhafte Umklammerung des Kampfes
ersetzt. Immerhin ist Kampf der notwendige, heilsame Anfang. Tod, Begehren und
Kampf sind die Trinität zerteilten Lebens, die dreifache Maske des göttlichen
Lebens-Prinzips bei seinem ersten Versuch, sich im Kosmos durchzusetzen.
Kapitel XXI. Der Aufstieg des Lebens
Laßt den Pfad des
Wortes zu den Gottheiten führen, hin zu den Wassern, durch das Wirken des
Mentals.
Rig Veda, X.30.1.
O Flamme, du gehst zum Himmels-Ozean, zu den Göttern. Du läßt die Gottheiten der Ebenen sich treffen, die Wasser, die Im Bereich des Lichtes über der Sonne sind, und die Wasser, die darunter bleiben.
Rig Veda, III.22.3.
Der Herr der Seligkeit erobert den dritten Zustand. Er erhält und regiert im Einklang mit der Seele des Allumfassenden. Wie ein Falke, wie eine Weihe läßt er sich auf dem Gefäß nieder und hebt es empor, als Finder des Lichts offenbart er den vierten Zustand und bleibt dem Ozean treu, der das Wogen dieser Wasser ist.
Rig Veda, IX.96.18,19.
Dreimal schritt Vishnu, setzte er seinen Schritt, aufgerichtet aus dem ursprünglichen Staub. Drei Schritte ist er geschritten, der Wächter, der Unbesiegbare, und vom Jenseits her hält er ihre Gesetze aufrecht. Erforsche die Wirkungen Vishnus und schaue, von wo er ihre Gesetze geoffenbart hat! Das Ist sein höchster Schritt, der je von Sehern geschaut wird, wie ein Auge, das sich im Himmel weitete; jenes entzünden die Erleuchteten, die Erwachten, zu lodernder Flamme: eben Vishnus höchsten Schritt.
Rig Veda, I.22.17-21.
Wir haben gesehen: Wie das zerteilte sterbliche Mental,
Urheber der Begrenzung, Unwissenheit und Dualitäten, nur eine unerleuchtete
Gestalt des Supramentals ist, des aus dem Selbst leuchtenden Göttlichen
Bewußtseins bei seinem ersten Umgang mit der scheinbaren Verneinung seines
Selbsts, aus der unser Kosmos entsteht, so ist auch Leben nur eine dunkle
Gestaltung der göttlichen überbewußten Kraft, deren höchste Begriffe
Unsterblichkeit, zufriedene Seligkeit und Allmacht sind,
wenn es in unserem materiellen Universum als Energie des zerteilenden Mentals,
unterbewußt, in Materie versunken und gefangen, als Urheber von Tod, Hunger und
Unfähigkeit hervortritt. Diese Beziehung stellt die Eigentümlichkeit jenes
großen kosmischen Vorgangs fest, dessen Teil wir sind. Sie bestimmt die ersten,
die mittleren und die letzten Begriffe unserer Evolution. Die ersten Begriffe
von Leben sind Zerteilung, ein Kraft-getriebener unterbewußter Wille, der nicht
als Wille, sondern als dumpfer Drang physischer Energie erscheint und die
Ohnmacht eines trägen Unterworfenseins unter jene mechanischen Kräfte ist, die
den Austausch zwischen der Form und ihrer Umgebung regieren. Dieses
Nicht-Bewußtsein und dieses blinde, aber machtvolle Wirken von Energie sind der
Typus des materiellen Universums, wie es der Physiker sieht, der diese seine
Betrachtung der Dinge verallgemeinert und zum Ganzen des fundamentalen Daseins
verkehrt. Es ist das Bewußtsein von Materie und der vollendete Typus materiellen
Lebens. Hier kommt es aber zu einem neuen Kräfte-Gleichgewicht. Eine neue Reihe
von Begriffen tritt auf, die in dem Maße wachsen, in dem sich das Leben aus
dieser Form befreit und zum bewußten Mental zu entwickeln beginnt. Denn die
mittleren Begriffe von Leben sind Tod und gegenseitiges Sichverzehren, Hunger
und bewußtes Verlangen, das Empfinden von begrenztem Raum und beschränkter
Begabung, sowie das Bemühen, zu wachsen, sich auszudehnen, zu erobern und zu
besitzen. Diese drei Begriffe bilden die Grundlage für diese Stufe der
Evolution, die zuerst die Theorie Darwins der menschlichen Erkenntnis
erschlossen hat. Denn das Phänomen des Todes schließt in sich den Kampf um
Überleben ein, da Tod nur der negative Begriff ist, in dem sich Leben vor sich
selbst verbirgt, um sein positives Wesen anzureizen, nach der Unsterblichkeit zu
suchen. Denn das Phänomen von Hunger und Begehren involviert das Ringen nach
einem Zustand von Befriedigung und Sicherheit, da Begehren nur der Anreiz ist,
durch den Leben das eigene positive Wesen verlockt, aus der Negation unerfüllten
Hungers zum vollen Besitz der Daseins-Seligkeit zu gelangen. Das Phänomen
begrenzter Begabung involviert das Ringen um Ausdehnung, Meisterschaft, den
Besitz des eigenen Selbsts und die Eroberung der Umwelt. Denn Einschränkung und
Mangel sind nur die Negation, durch die Leben sein eigenes positives Wesen
ermutigen will, nach Vollkommenheit zu suchen, zu der es stets fähig ist. Der
Kampf um Leben ist nicht nur ein Kampf um Überleben, er ist auch ein Kampf um
Besitz und Vervollkommnung, da
Überleben nur
gesichert werden kann, wenn wir unsere Umwelt mehr oder weniger in unsere Macht
bekommen: durch Selbst-Anpassung an sie oder indem wir sie uns anpassen, sie
akzeptieren und uns mit ihr aussöhnen oder sie erobern und umwandeln. Ebenso ist
es wahr, daß wir uns nur durch immer mehr Vervollkommnung Dauerhaftigkeit,
bleibendes Überleben sichern können. Diese Wahrheit sucht der Darwinismus durch
die Formel vom Überleben des Tüchtigsten auszudrücken.
Wie das naturwissenschaftliche Mental auf das Leben
jenes mechanische Prinzip auszuweiten versuchte, das dem Dasein und verborgenen
mechanischen Bewußtsein in der Materie eigentümlich ist, ohne zu erkennen, daß
ein neues Prinzip auftrat, dessen eigentlicher Daseinsgrund es war, über das
Mechanische Herr zu werden, so wurde auch die Formel Darwins verwendet, um das
aggressive Prinzip des Lebens zu weit über seine Geltung hinaus auszudehnen: die
vitale Ichsucht des Individuums, den Instinkt und Prozeß der Selbsterhaltung,
Selbstbehauptung und aggressive Lebensweise. Denn diese beiden ersten
Zustandsformen von Leben enthalten in sich die Keime eines neuen Prinzips und
eines anderen Zustands, der in dem Maße weiterwachsen muß, wie sich das Mental
aus der Materie mittels der vitalen Formel in sein eigenes Gesetz entfaltet.
Mehr noch müssen sich alle Dinge verändern, wenn ebenso, wie sich Leben zum
Mental emporentwickelt, dieses Mental sich weiterentwickelt zum Supramental und
zum Geist. Gerade weil der Kampf um Überleben, der Impuls zur Dauer auf den
Widerspruch des Gesetzes des Todes stößt, wird das individuelle Leben gezwungen
und dazu verwendet, Dauer eher für die Gattung zu suchen als für sich selbst.
Das kann es aber ohne die Mitwirkung anderer nicht leisten. So werden das
Prinzip des Zusammenwirkens und gegenseitiger Hilfe, das Verlangen nach den
anderen, nach Weib und Kind, Freund und Helfer, nach der vereinten Gruppe, nach
der Praxis des Zusammenschlusses, nach bewußter Gemeinschaft und nach Austausch
zu Keimen, aus denen das Prinzip der Liebe erblüht. Zugegeben, Liebe ist zuerst
eine ausgeweitete Ichsucht, und dieser Aspekt eines umfassenderen Egoismus mag
weiter andauern und vorherrschen, wie er ja auch noch auf höheren Stufen der
Evolution fortwirkt und vorherrscht. Wenn sich das Mental aber weiterentwickelt
und immer mehr sich selbst findet, erkennt es dank der Erfahrung von Leben,
Liebe und gegenseitiger Hilfe immer mehr, daß das naturhafte Individuum nur ein
untergeordneter Begriff des Wesens ist und durch das Weltumfassende existiert. Hat der Mensch, das mentale Wesen, dies einmal entdeckt
– wie er es unausbleiblich entdecken muß ist sein Schicksal bestimmt. Denn er hat
den Punkt erreicht, da das Mental sich immer mehr der Wahrheit öffnen kann, daß
es etwas jenseits von ihm gibt. Von diesem Augenblick an ist seine Entwicklung,
wie dunkel und langsam sie auch sein mag, zu etwas Höherem vorbestimmt: zum
Geist, zum Supramental, zum übermenschlichen Wesen.
Darum ist Leben durch seine eigene Natur für einen dritten Zustand prädestiniert, zu einer dritten Reihe von Begriffen, in denen es sich ausdrückt. Untersuchen wir diesen Aufstieg des Lebens, so werden wir sehen, daß die letzten Begriffe seiner aktuellen Evolution, die Begriffe dessen, was wir den dritten Zustand nennen, in ihrer Erscheinung notwendigerweise seinen ersten Zustandsformen völlig widersprechen und in Gegensatz zu ihnen stehen müssen, während sie in Wirklichkeit deren wahre Erfüllung und Umgestaltung sind. Leben beginnt mit äußersten Zerteilungen und starren Formen von Materie. Der eigentliche Typus dieser strengen Zerteilung ist das Atom, das die Grundlage aller materiellen Form ist. Das Atom steht von allen anderen Atomen selbst dann gesondert da, wenn es mit ihnen eine Einheit bildet. Es weist Tod und Auflösung durch jede gewöhnliche Kraft zurück. Es ist der physikalische Typus des abgesonderten Ichs, das sein Dasein gegen das Prinzip der Verschmelzung in der Natur abgrenzt. Aber in der Natur ist Einheit ein ebenso starkes Prinzip wie Trennung. Eigentlich ist es das Hauptprinzip, zu dem die Zertrennung nur ein untergeordneter Begriff ist. Darum muß sich jede zerteilte Form dem Prinzip der Einheit auf die eine oder andere Weise unterwerfen: durch mechanische Notwendigkeit, Zwang, Zustimmung oder freundlichen Druck. Wenn also die Natur wegen ihrer eigenen Ziele und um prinzipiell eine gesicherte Basis für ihre Kombinationen und einen festen Kern für ihre Formen zu besitzen, dem Atom gewöhnlich erlaubt, dem Prozeß der Fusion durch Auflösung zu widerstehen, zwingt sie es doch, dem Prozeß der Verschmelzung durch Zusammenschluß zu dienen. Wie das Atom der erste Zusammenschluß ist, so ist es auch die erste Grundlage für einheitliche Zusammenschlüsse.
Wenn Leben seinen zweiten Zustand erreicht, den wir als
Vitalität kennen, übernimmt das entgegengesetzte Phänomen die Führung. Dann muß
die physische Basis des vitalen Ichs der Auflösung zustimmen. Seine Bestandteile
werden zerbrochen, so daß die Elemente des einen Lebens verwendet werden können, in die elementare Formation anderer Leben
einzugehen. Wir haben noch nicht völlig erkannt, bis zu welchem Ausmaß dieses
Gesetz in der Natur herrscht, und wir können das auch erst, wenn wir eine
Wissenschaft vom mentalen Leben und spirituellen Dasein haben, die so gut
fundiert ist wie unsere jetzige Wissenschaft des physischen Lebens und des
Daseins der Materie. Immerhin können wir im allgemeinen sehen, daß nicht nur die
Elemente unseres physischen Körpers, sondern auch die unseres subtileren vitalen
Wesens, unsere Lebens-Energie, die Energie unseres Begehrens, unsere Mächte,
Kämpfe und Leidenschaften sowohl während unseres Lebens wie auch nach unserem
Tod in die Existenz anderer eingehen. Ein altes geheimes Wissen sagt uns: Wir
haben ebenso eine vitale wie eine physische Struktur; auch sie wird nach dem Tod
aufgelöst und gibt sich für die Konstituierung anderer vitaler Körper her.
Solange wir leben, vermischen sich unsere Lebens-Energien ständig mit den
Energien anderer Wesen. Ein ähnliches Gesetz lenkt die Beziehungen zwischen
unserem mentalen Leben und dem mentalen Leben anderer denkender Geschöpfe. Es
ist da eine ständige Auflösung, Ausstreuung und eine Rekonstruktion, die durch
die Schockwirkung von Mental auf Mental mit konstantem Austausch und der Fusion
von Elementen ausgeübt wird. Gegenseitiger Austausch, Vermischung und Fusion von
Wesen mit Wesen ist der eigentliche Lebensprozeß, ein Daseins-Gesetz des Lebens.
So haben wir im Leben zwei Prinzipien: einerseits die
Notwendigkeit oder den Willen des gesonderten Ichs, in seiner Besonderheit zu
überleben und seine Identität zu bewahren; andererseits den ihm von der Natur
auferlegten Zwang, mit anderen zu verschmelzen. In der physikalischen Welt legt
die Natur auf ersteren Impuls starken Nachdruck. Denn sie muß stabile besondere
Formen erschaffen, da es ihr erstes und in der Tat schwierigstes Problem ist, so
etwas wie ein gesondertes Überleben von Individualität und für diese eine
stabile Form zu erschaffen inmitten der ständigen Strömung und Bewegung von
Energie und innerhalb der Einheit des Unendlichen. Darum bleibt im Atomleben die
individuelle Form als Basis bestehen und sichert durch ihren Zusammenschluß mit
anderen das mehr oder minder lang ausgedehnte Dasein aggregater Formen, die zur
Basis vitaler und mentaler Individualisierungen werden. Sobald die Natur aber in
dieser Beziehung genügend Festigkeit für eine ausreichend gesicherte
Durchführung ihrer späteren Maßnahmen gewonnen hat, kehrt sie das Verfahren um.
Die individuelle Form geht zugrunde, und das zu
Gruppen zusammengeschlossene Leben gewinnt durch die Elemente der so aufgelösten
Form. Das kann aber nicht die letzte Stufe sein. Diese kann nur erreicht werden,
wenn die beiden Prinzipien harmonisiert sind, wenn das Individuum im Bewußtsein
seiner Individualität beharren und dennoch mit anderen verschmelzen kann, ohne
das bewahrende Gleichgewicht zu stören und ohne das Überleben zu unterbrechen.
Die Begriffe des Problems setzen voraus, daß das Mental
völlig hervortritt. In einer Vitalität ohne bewußtes Mental kann es keine
Ausgeglichenheit geben, nur ein zeitweiliges instabiles Gleichgewicht, das im
Tod des Körpers, in der Auflösung des Individuums und in der Ausstreuung seiner
Elemente in das Allumfassende endet. Die Eigenart physischen Lebens verbietet
die Idee einer individuellen Form, die dieselbe innewohnende Macht zur
Dauerhaftigkeit und darum auch zum fortgesetzten individuellen Dasein hat wie
das Atom, aus dem sie zusammengesetzt ist. Nur ein mentales Wesen, das sich auf
die verbindende psychische Mitte im Inneren stützen kann, die die geheime Seele
ausdrückt oder auszudrücken beginnt, kann hoffen, dadurch zu überdauern, daß es
in einem Strom von Kontinuität Vergangenheit mit Zukunft verknüpft. Wenn die
Form zerbricht, mag auch die Kontinuität in der physischen Erinnerung abbrechen.
Das braucht aber die Kontinuität im mentalen Wesen nicht zu zerstören, da durch
mögliche Entwicklung die Lücke in der physischen Erinnerung überbrückt werden
kann, die durch Tod und Geburt des Körpers geschaffen wurde. Selbst im jetzigen
Zustand und bei der gegenwärtigen unvollkommenen Entwicklung des verkörperten
Mentals wird das mentale Wesen der Masse einer Vergangenheit und einer Zukunft
inne, deren Ausdehnung größer ist als die Lebens-Dauer dieses Körpers. Der
Mensch nimmt in sich eine individuelle Vergangenheit individueller Lebensabläufe
wahr, die sein jetziges Leben geschaffen haben und deren Entwicklung und
abgewandelte Reproduktion er selbst ist. Er ahnt künftige individuelle
Lebensabläufe, die er aus sich selbst erschafft. Er ist auch eines
gemeinschaftlichen vergangenen und künftigen Lebens bewußt, in das seine eigene
Kontinuität als einer von dessen Fäden eingewoben ist. Was der physischen
Wissenschaft in den Begriffen von Vererbung einleuchtet, wird in anderer Weise
der sich hinter dem mentalen Wesen entfaltenden Seele in den Begriffen
fortdauernder Personalität deutlich. So ist das mentale Wesen, das dieses
Seelen-Bewußtsein ausdrücken kann, die
Verknüpfung des fortdauernden individuellen Lebens mit dem fortdauernden
Gemeinschaftsleben. In ihm werden ihre Einheit und Harmonie möglich.
Ein Zusammenschluß mit Liebe als dem geheimen Prinzip und der hervorragend höchsten Erfüllung ist Typus und Macht dieser neuen Beziehung, darum auch das bestimmende Prinzip der Entwicklung zum dritten Zustand des Lebens. Notwendig für das Wirken des Prinzips der Liebe ist die bewußte Erhaltung der Individualität zusammen mit dem bewußt als notwendig anerkannten Verlangen nach Austausch, Selbst-Hingabe und Verschmelzung mit anderen Individuen. Wenn eine dieser beiden Voraussetzungen unerfüllt bleibt, hört das Wirken der Liebe auf, einerlei, was dann ihren Platz einnehmen mag. Erfüllung der Liebe durch völliges Sich-aufopfern, ja mit einer Illusion der Selbst-Vernichtung, ist gewiß auch eine Idee und ein Impuls im mentalen Wesen. Das weist aber auf eine Entwicklung hin, die jenseits des dritten Status des Lebens liegt. Der dritte Status ist ein Zustand, in dem wir immer mehr über den Kampf ums Leben durch gegenseitiges Sichaufzehren und das Überleben des Tüchtigen durch diesen Kampf hinauskommen. Hier kommt es immer mehr zu einem Überleben durch gegenseitige Hilfe und zur Selbst-Vervollkommnung durch gegenseitige Anpassung, durch Austausch und Verschmelzung. Leben ist zwar eine Selbst-Behauptung des Wesens, sogar Entwicklung und Überleben des Ichs, aber eines Wesens das die anderen Wesen braucht, und eines Ichs, das sich mit dem Ich anderer Menschen zu vereinigen und sie ebenso in sich einzuschließen sucht, wie es in ihr Leben einbezogen werden will. In diesem dritten Status der Evolution werden am tüchtigsten zum Überleben jene Individuen und Vereinigungen sein, die am meisten das Gesetz der Gemeinschaft und das Gesetz der Liebe verwirklichen: allgemeine Hilfe, Freundlichkeit, Herzlichkeit, Kameradschaftlichkeit und Einheit; die am erfolgreichsten das eigene Überleben mit gegenseitiger Selbst-Hingabe in Einklang bringen; deren Gesellschaft das Individuum ebenso wachsen läßt wie das Individuum die Gesellschaft; wo der Einzelne den Einzelnen und die Gemeinschaft die Gemeinschaft stärken durch gegenseitigen Austausch.
Diese Entwicklung ist für die zunehmende Vorherrschaft
des Mentals10 bedeutsam, das sein Gesetz dem
materiellen Dasein in stetigem Fortschritt auferlegt. Da das Mental eine größere
Feinheit besitzt, braucht es nicht etwas zu verzehren, um es sich einzugliedern,
es zu besitzen und dadurch zu wachsen. Vielmehr empfängt und wächst es um so
mehr, je mehr es hingibt. Je mehr es mit anderen verschmilzt, desto mehr nimmt
es diese in sich hinein und vermehrt so die umfassende Weite seines Wesens.
Physisches Wesen erschöpft sich, wenn es sich zu sehr verausgabt. Es ruiniert
sich, wenn es zu viel verzehrt. Wenn das Mental sich auf das Gesetz der Materie
stützt, erleidet es im gleichen Maß dieselbe Beschränkung. In dem Maß aber, in
dem es in das eigene Gesetz hineinwächst, neigt es dazu, diese Beschränkung zu
überwinden. Je mehr es die materielle Beschränkung überwindet, desto mehr werden
Geben und Empfangen eines. In seinem Emporsteigen wächst das Mental in das
Gesetz der bewußten Einheit in Unterschiedlichkeit, in das göttliche Gesetz des
geoffenbarten saccidananda.
Der zweite Begriff des ursprünglichen Lebens-Status ist
unterbewußter Wille, der im sekundären Status zu Hunger und bewußtem Begehren
wird, dem ersten Keim bewußter Mentalität. Die Entwicklung in den dritten
Lebens-Zustand durch das Prinzip des Zusammenschlusses, das Wachstum der Liebe,
hebt das Gesetz des Begehrens nicht auf, vielmehr wird es dadurch verwandelt und
erfüllt. Ihrer Natur gemäß ist Liebe der Wunsch, sich an andere hinzugeben und
andere im Tausch dafür zu empfangen. Es ist ein Handel zwischen dem einen und
dem anderen Wesen. Physisches Leben begehrt nicht, sich hinzugeben; es begehrt
nur zu empfangen. Es ist wahr, daß es gezwungen wird, sich hinzugeben; denn das
Leben, das nur empfängt und nicht selbst gibt, muß unfruchtbar werden, verdorren
und zugrunde gehen, – falls ein solches Leben in vollem Umfang überhaupt hier
oder in irgendeiner Welt möglich ist. Es wird aber dazu gezwungen und ist selbst
nicht willens. Es gehorcht eher dem unterbewußten Impuls der Natur, als daß es
bewußt daran Anteil hat. Selbst wenn Liebe dazukommt, bewahrt die Selbst-Hingabe
anfangs noch weithin den mechanischen Charakter des
unterbewußten Willens im Atom. Liebe selbst gehorcht anfangs dem Gesetz des
Hungers und genießt eher das Empfangen und die Ausnutzung anderer, als daß sie
sich anderen schenkt und sich ihnen unterordnet; letzteres akzeptiert sie
höchstens als notwendigen Preis für das, was sie begehrt. Hier hat sie eben noch
nicht ihre wahre Natur erlangt. Ihr wahres Gesetz ist, einen gleichen Handel zu
schaffen, in dem die Freude am Schenken ebenso groß ist wie die Freude über das
Empfangen und am Ende sogar dazu neigt, die größere zu werden. Das geschieht
aber dann, wenn sie unter dem Druck der psychischen Flamme über sich
hinausschießt, um in der äußersten Einheit ihre Erfüllung zu erlangen. Deshalb
kann sie nun, statt ihrer eigenen Individualität, das, was ihr zuerst als das
Nicht-Selbst erschien, als ein größeres und lieberes Selbst verwirklichen. In
seinem Lebens-Ursprung ist das Gesetz der Liebe der Impuls, sich selbst in
anderen und durch andere zu verwirklichen und zu erfüllen; reich zu werden,
indem man andere bereichert; andere zu besitzen und selbst ein Besitz der
anderen zu sein, weil man, wenn man nicht auch von den anderen in Besitz
genommen wird, sich selbst nicht bis zum letzten besitzen kann.
Zum ersten Lebens-Status gehört, daß das dumpfe
Atom-Dasein unfähig ist, sich selbst zu besitzen, und das materielle Individuum
dem Nicht-Selbst unterworfen ist. Der Typus des zweiten Status ist das
Bewußtsein, eingeschränkt zu sein, und der Kampf, beides, das Selbst und das
Nicht-Selbst, zu besitzen und zu beherrschen. Auch hier bringt die Entwicklung
zum dritten Status eine Umwandlung der ursprünglichen Begriffe zu Erfüllung und
Harmonie: Sie wiederholen die Begriffe, während sie ihnen zu widersprechen
scheinen. Durch Gemeinschaftsbildung und Liebe kommt es zur Anerkennung des
Nicht-Selbsts als eines größeren Selbsts und darum zur bewußt akzeptierten
Unterwerfung unter sein Gesetz und seine Forderung, die den wachsenden Impuls
gemeinschaftlichen Lebens erfüllt, das Individuum zu absorbieren. Hier kommt es
wieder dazu, daß das Individuum das Leben anderer und alles dessen, was es ihm
zu geben hat, als sein Eigen in seinen Besitz nimmt und so wieder den
entgegengesetzten Impuls zu individuellem Besitz erfüllt. Diese Beziehung auf
Gegenseitigkeit zwischen dem Individuum und der Welt, in der es lebt, kann so
lange nicht richtig ausgedrückt werden oder vollständig und gesichert sein, als
nicht die gleiche Beziehung zwischen Individuum und Individuum und zwischen den Gemeinschaften hergestellt ist. Das ganze schwierige Bemühen des
Menschen, Selbstbehauptung und Freiheit, durch die er sich selbst besitzt, in
Einklang zu bringen mit Gemeinschaft und Liebe, Brüderlichkeit und
Kameradschaft, in denen er sich an andere hingibt, sowie seine Ideale des
harmonischen Gleichgewichts, der Gerechtigkeit, Gegenseitigkeit, Gleichheit,
durch die er einen Ausgleich der beiden Gegensätze schaffen will, sind in
Wirklichkeit ein in seinen Grundlinien unvermeidlich vorausbestimmter Versuch,
das ursprüngliche Problem der Natur zu lösen, das Problem des Lebens selbst
durch Auflösung des Konflikts zwischen den beiden Gegensätzen, die sich schon in
den Grundlagen des Lebens in der Materie vorfinden. Diese Lösung wird durch das
höhere Prinzip des Mentals versucht, das allein den Weg zu der beabsichtigten
Harmonie finden kann, auch wenn man diese Harmonie selbst in einer Macht
entdecken kann, die noch jenseits von uns liegt.
Wenn die Daten, von denen wir ausgingen, richtig sind, kann das Ende des Wegs, das Ziel selbst, nur von einem Mental erreicht werden, das über sich selbst empordringt in das, was jenseits des Mentals liegt. Mental ist von Jenem nur ein untergeordneter Begriff und dessen Werkzeug: zunächst für das Herabkommen in die Gestaltung und Individualität und sodann für den Wiederaufstieg in jene Wirklichkeit, die sich in der Form verkörpert und durch die Individualität repräsentiert wird. Darum ist es unwahrscheinlich, daß die vollkommene Lösung des Lebens-Problems allein verwirklicht werden kann durch Zusammenschluß, gegenseitigen Austausch und Hilfsbereitschaft der Liebe oder allein durch das Gesetz des Mentals und des Herzens. Sie muß durch einen vierten Lebens-Status kommen. In ihm wird die ewige Einheit der Vielen durch den Geist realisiert. Dann werden die Lebensfunktionen bewußt nicht mehr auf die Zerteilungen des körperlichen Daseins gegründet, auch nicht auf die Leidenschaften und den Hunger der Vitalität oder auf die Gruppierungen und unvollkommenen Harmonien des Mentals oder auf eine Kombination all dieser, sondern auf die Einheit und Freiheit des Geistes.
Kapitel XXII. Das Problem des Lebens
Das ist es, was das
Universale Leben genannt wird.
Taittiriya Upanishad, II.3.
Der Herr hat seinen Sitz im Herzen aller Wesen und dreht alle Wesen durch seine maya, als seien sie auf einer Maschine montiert.
Gita, XVIII.61.
Wer die Wahrheit kennt, das Wissen, die Unendlichkeit, die brahman ist, wird mit dem all-weisen brahman alle begehrenswerten Dinge genießen.
Taittiriya Upanishad, II.1.
Leben ist, wie wir gesehen haben, das Hervortreten einer Bewußten Kraft – unter gewissen kosmischen Bedingungen –, die ihrer Veranlagung nach unendlich, absolut, unbehindert und unveränderlich im Besitz ihrer eigenen Einheit und Seligkeit ist: der Bewußten Kraft von saccidananda. Die zentrale Eigentümlichkeit dieses kosmischen Prozesses besteht in der Fähigkeit des durch die Unwissenheit verfinsterten Mentals zum Zerteilen. Dadurch unterscheidet es sich in seinen Erscheinungsformen von der Reinheit des unendlichen Seins und vom Selbst-Besitz der unzerteilten Energie. Folge dieses zerteilten Wirkens einer ungeteilten Energie ist das Auftreten von Dualitäten, von Gegensätzlichkeiten, die scheinbar das Wesen von saccidananda verleugnen. Für das Mental existieren sie zwar als bleibende Wirklichkeit. Für das göttliche kosmische Bewußtsein aber, das hinter dem Schleier des Mentals verborgen ist, sind sie nur ein Phänomen, das eine vielfältige Wirklichkeit falsch darstellt. Darum erscheint die Welt als Zusammenprall entgegengesetzter Wahrheiten, von denen jede sich voll durchzusetzen sucht und auch das Recht auf Erfüllung hat. Sie erscheint als Masse von Problemen und Mysterien, die gelöst werden müssen, da hinter dieser Verwirrung die verborgene Wahrheit und Einheit steht, die auf Lösung und durch die Lösung auf ihre unverhüllte Manifestation in der Welt drängt.
Die Lösung muß vom Mental gesucht werden, aber nicht
von ihm allein. Es muß eine Lösung im Leben sein, im Handeln des Menschen ebenso wie im Bewußtsein des Menschen. Bewußtsein hat als Kraft die
Welt-Bewegung und ihre Probleme geschaffen. Bewußtsein als Kraft muß die von ihr
geschaffenen Probleme lösen und die Welt-Bewegung zur unvermeidlichen Erfüllung
ihres geheimen Sinnes und der in der Evolution hervortretenden Wahrheit bringen.
Das Leben hat aber nacheinander drei Erscheinungsformen angenommen. Die erste
ist materiell: Ein versunkenes Bewußtsein ist in seiner nur an der Oberfläche
ausdrucksfähigen Aktivität und in seinen repräsentativen Formen von Kraft
verborgen; denn das Bewußtsein selbst verschwindet im Akt aus der Sicht und geht
in der Form verloren. Die zweite Erscheinung ist vital: Ein hervortretendes
Bewußtsein ist als Lebens-Macht, als Wachstums-Prozeß, als Aktivität und als
Verfall der Form halb-sichtbar; es ist aus seinem ursprünglichen Gefangensein
halb-befreit; es vibriert in Macht als vitale Begierde, als Befriedigung oder
Ablehnung, aber es vibriert anfänglich noch gar nicht und dann nur unvollkommen
im Licht der Erkenntnis seines eigenen Selbst-Seins und seiner Umgebung. Die
dritte Erscheinung ist mental: Ein hervorgetretenes Bewußtsein reflektiert das
Lebens-Faktum als mentaler Sinn, reagierende Wahrnehmung und Idee. Zugleich
versucht es als neue Idee, zum Lebens-Faktum zu werden, das innere Dasein des
Menschen und entsprechend auch die äußere Existenz umzugestalten. Hier, im
Mental, wird das Bewußtsein im Wirken und in der Form seiner Kraft aus seiner
Gefangenschaft befreit. Es ist aber noch nicht Herr über Wirken und Form, da es
als individuelles Bewußtsein hervortrat und darum nur eine fragmentarische
Bewegung seiner Gesamtaktivität wahrnimmt.
Hier liegt alle Schwierigkeit des menschlichen Lebens.
Der Mensch ist das mentale Wesen, das mentale Bewußtsein, das als mentale Kraft
wirkt. In etwa ist er auch der allumfassenden Kraft und des allumfassenden
Lebens bewußt, deren Teil er ist. Er ist aber doch unfähig, mit dem Leben im
allgemeinen oder mit seinem eigenen Leben in einer wahrhaft wirksamen und
überlegenen meisterschaftlichen Art umzugehen, weil er keine Erkenntnis seiner
Universalität und nicht einmal seines gesamten Wesens hat. Er versucht, die
Materie zu erkennen, um die materielle Umgebung zu meistern. Er will das Leben
erkennen, um Herr über das vitale Dasein zu sein. Er strebt nach der Erkenntnis
des Mentals, um die große dunkle Bewegung von Mentalität zu beherrschen, in der
er nicht nur ein Licht-Strahl an Selbst-Bewußtsein ist wie das Tier, sondern
mehr und mehr Flamme wachsender Erkenntnis. So sucht er,
sich selbst zu erkennen, um Herr über sich selbst zu werden. So sucht er die
Welt zu erkennen, um zum Herrn der Welt zu werden. Das ist das Drängen des Seins
in ihm, der Zwang des Bewußtseins, das er selbst ist. Das ist der Impuls der
Kraft, die sein Leben ist, und der geheime Wille von saccidananda, der
als das Individuum in einer Welt erscheint, in dem Er Sich zum Ausdruck bringt
und doch zu verleugnen scheint. Die Bedingungen zu entdecken, unter denen dieses
innere Drängen zufriedengestellt werden kann, ist das Problem, um dessen Lösung
der Mensch stets ringen muß. Dazu ist er durch die wahre Natur seines eigenen
Seins und durch die Gottheit gezwungen, die in ihm ihren Sitz hat. Bevor das
Problem gelöst und jenes Drängen befriedigt ist, kann die Menschheit nicht von
ihrem Mühen ausruhen. Entweder muß der Mensch sich selbst zur Erfüllung bringen,
indem er dem Göttlichen Wesen in seinem Inneren voll Genüge tut, oder er muß aus
sich ein neues, größeres Wesen erschaffen, das fähiger ist, dem Göttlichen zu
entsprechen. Er muß entweder selbst göttlicher Mensch werden, oder er muß dem
Übermenschen weichen.
Das ergibt sich aus der eigentlichen Logik der Dinge.
Da das mentale Bewußtsein des Menschen nicht das vollständig erleuchtete
Bewußtsein ist, das aus der Verfinsterung der Materie gänzlich hervortrat,
sondern nur ein Begriff fortschreitender Entwicklung im großen Prozeß seines
Hervortretens, kann die Linie evolutionärer Schöpfung, auf der der Mensch
erschien, nicht dort aufhören, wo er jetzt steht. Sie muß entweder über ihren
jetzigen Begriff in ihm oder über ihn selbst hinausgehen, wenn er nicht die
Kraft hat, vorwärtszugehen. Eine mentale Idee, die eine Lebens-Tatsache zu
werden versucht, muß sich so lange weiterentfalten, bis sie zur ganzen Wahrheit
des Daseins wird, bis sie sich aus ihren aufeinanderfolgenden Verhüllungen
befreit, offenbart und fortschreitend im Licht und ebenso auch voller Freude in
der Macht des Bewußtseins zur Erfüllung gebracht hat. Denn in diesen beiden
Begriffen von Macht und Licht und durch sie offenbart das Sein sich selbst, da
es seiner Natur nach Bewußtsein und Kraft ist. Der dritte Begriff aber, in dem
sich diese beiden als die ihn konstituierenden treffen, einen und endgültig zur
vollen Erfüllung bringen, ist eine erfüllte Seligkeit des Selbst-Seins. Für ein
sich entwickelndes Leben wie das unsrige muß dieser unvermeidliche Höhepunkt
notwendig bedeuten, daß wir das Selbst finden, das schon im Keim vorhanden war,
als es in die Geburt eintrat. Wenn wir dieses Selbst finden, können wir
vollständig ausarbeiten, was in der Bewegung der
Bewußten Kraft, aus der dieses Leben entsprungen ist, potentiell enthalten war.
Die so in unserem menschlichen Dasein enthaltene Fülle von Möglichkeiten ist
saccidananda, Er, der Sich in einer gewissen Harmonie und Einung von
individuellem und universalem Leben erkennt, so daß die Menschheit im
gemeinsamen Bewußtsein, in gemeinsamer Bewegung von Macht und gemeinsamer
Seligkeit Jenes Transzendente zur Erscheinung bringen kann, das sich in diese
Form der Dinge ausgeprägt hat.
Der Charakter alles Lebens hängt vom fundamentalen
Gleichgewicht der Kräfte seines konstitutiven Bewußtseins ab. So wie das
Bewußtsein ist, so wird die Kraft sein. Wo das Bewußtsein unendlich ist, eines
seinen Wirkensweisen und Formen gegenüber auch dann transzendent, wenn es sie
umfaßt und gestaltet, organisiert und durchführt, wie das im Bewußtsein von
saccidananda der Fall ist, wird die Kraft ebenso sein: unendlich in ihrer
Wirkens-Weite, einig in ihren Werken, transzendent in ihrer Macht und ihrem
Selbst-Wissen. Wo das Bewußtsein dem der materiellen Natur gleicht, in die Tiefe
eingesunken, seiner selbst vergessend, dahintreibend in der Strömung seiner
eigenen Kraft, scheinbar ohne diese zu kennen, obwohl es doch durch die Eigenart
der ewigen Beziehung zwischen den beiden Begriffen in Wirklichkeit die Strömung,
die die Natur treibt, bestimmt, da wird die Kraft ebenso sein: eine ungeheure
Bewegung des Trägen und Unbewußten, die nicht dessen gewahr ist, was sie in sich
enthält, die sich selbst mechanisch durch eine Art unergründlichen Zufalls oder
durch eine unvermeidlich gut auslaufende Unberechenbarkeit zur Erfüllung bringt,
während sie in Wirklichkeit ohne Irrtum dem Gesetz von Recht und Wahrheit
gehorcht, das für sie durch den Willen des in ihren Abläufen verborgenen
erhabenen Bewußten Wesens festgelegt ist. Wo das Bewußtsein, wie im Mental, in
sich zerteilt ist, sich in verschiedene Zentren begrenzt und jedes von ihnen
dafür einsetzt, sich selbst zu verwirklichen, ohne zu wissen, was in anderen
Zentren ist, ohne seine Beziehung zu anderen zu erkennen, gewahr der Dinge und
Kräfte nur in ihrer scheinbaren Zerteilung und Gegensätzlichkeit, nicht aber in
ihrer wirklichen Einheit – da wird die Kraft Leben sein, wie wir es sind und um
uns sehen: ein Zusammenprall und eine Verflochtenheit individueller Leben, von
denen jedes die eigene Erfüllung sucht, ohne seine Beziehung zu anderen zu
kennen, ein Konflikt und eine schwierige Anpassung zerteilter, gegensätzlicher
oder unterschiedlicher Kräfte, und in den Mentalfunktionen eine Mischung, ein Zusammenstoß, ein Ringen, eine unsichere Kombination getrennter,
opponierender und auseinanderstrebender Ideen, die nicht zur Erkenntnis ihrer
gegenseitigen Notwendigkeit kommen, die nicht ihren Platz als Elemente jener
dahinterstehenden Einheit begreifen können, die sich in ihnen ausdrückt und in
der ihre Disharmonien aufhören müssen. Wo aber das Bewußtsein beides, die
Unterschiedlichkeit und die Einheit, in seinem Besitz hält und wo letztere die
erste in sich enthält und regiert, wo es Gesetz, Wahrheit und Recht der Allheit
zusammen mit Gesetz, Wahrheit und Recht des Einzelnen gewahrt, wo die beiden
bewußt in gegenseitiger Einheit harmonisiert werden, wo also die ganze Art des
Bewußtseins das Eine ist, das sich als die Vielen erkennt, und die Vielen, die
sich als das Eine wissen, – da ist die Kraft auch von der gleichen Art: ein
Leben, das bewußt dem Gesetz der Einheit gehorcht und doch jedes Ding in seiner
Unterschiedlichkeit, im Einklang mit seinem eigenen Gesetz und seiner Funktion
voll entfaltet. In einem solchen Leben werden alle Individuen zugleich in sich
selbst und ineinander leben als ein einziges bewußtes Wesen in vielen Seelen,
die eine Macht von Bewußtsein im Mental vieler Menschen, die eine Freude von
Kraft in vielen Leben wirkend, die eine Wirklichkeit vollkommener Freude, die
sich in vielen Herzen und Körpern vollendet.
Die erste dieser vier Positionen, Ursprung aller
fortschreitenden Beziehung zwischen Bewußtsein und Kraft, ist ihr
Kräfteausgleich im Wesen von saccidananda. Dort sind sie eins. Dort ist
die Kraft Bewußtsein des Wesens, das sich aktiv auswirkt, ohne je aufzuhören,
Bewußtsein zu sein. Dort ist das Bewußtsein in ähnlicher Weise erleuchtete Kraft
des Wesens, die stets ihrer selbst und ihrer Seligkeit gewahr ist, ohne je
aufzuhören, diese Macht strahlenden Lichts und Selbst-Besitzes zu sein. Die
zweite Beziehung ist die der materiellen Natur. Das ist der Kräfteausgleich des
Wesens im materiellen Universum, das die große Verneinung von saccidananda
durch Ihn Selbst ist: Hier ist scheinbar die äußerste Absonderung der Kraft vom
Bewußtsein, das erstaunliche Wunder des allherrschenden unfehlbaren Unbewußten,
das nur die Maske der kosmischen Gottheit ist, die aber von der modernen
Wissenschaft als ihr wirkliches Antlitz mißdeutet wurde. Die dritte Beziehung
ist der Kräfteausgleich des Wesens in Mental und Leben, die wir, völlig
verwirrt, aus dieser Verneinung emporkommen sehen. Sie ist Kampf – ohne jede
Möglichkeit seiner Beendigung durch Unterwerfung und ohne jede klare Erkenntnis
oder den deutlichen Instinkt für eine siegreiche Lösung
– gegen die abertausend Probleme, die verknüpft sind in dieser verblüffenden
Erscheinung des Menschen, der nur halb-mächtig als bewußtes Wesen aus dem
allmächtigen Unbewußten des materiellen Universums hervortritt. Die vierte
Beziehung ist der Kräfteausgleich des Wesens im Supramental: es ist das zur
Vollendung gebrachte Sein, das schließlich dieses ganze komplexe Problem lösen
wird, das durch die aus der totalen Verneinung hervortretende partielle Bejahung
geschaffen wurde. Das Supramental löst es notwendigerweise auf die einzig
mögliche Art durch vollständige Bejahung. Es muß all das zur Erfüllung bringen,
was dort insgeheim als Potenz enthalten und in der Tatsache der Evolution hinter
der Maske der großen Verneinung beabsichtigt war. Das ist das wirkliche Leben
des wirklichen Menschen. Um es ringt dieses partielle Leben, zu ihm strebt
dieses partielle unerfüllte Menschsein empor. Es besitzt in unserem sogenannten
Unbewußten ein vollkommenes Wissen und eine Führung, doch gibt es in unseren
bewußten Schichten nur ein undeutliches und mühevolles Vorausahnen, Fragmente
einer Realisation, flüchtige Einblicke in das ideal, ein Aufblitzen von
Offenbarung und Inspiration im Dichter und Propheten, im Seher und in dem vom
Transzendenten Erleuchteten, im Mystiker und Denker, in den großen Intelligenzen
und Seelen der Menschheit.
Aus den Tatsachen, die wir jetzt vor Augen haben,
können wir entnehmen, daß aus dem unvollkommenen Ausgleich zwischen Bewußtsein
und Kraft im Menschen in dessen gegenwärtigem Zustand von Mental und Leben
hauptsächlich drei Schwierigkeiten entstehen. Erstens nimmt er nur einen kleinen
Teil seines eigenen Wesens wahr. Alles, was er kennt, ist die Oberfläche seiner
Mentalität, seines Lebens und seines physischen Wesens, und selbst davon kennt
er nicht alles. Unter ihr ist das geheimnisvolle Aufwallen seines unterbewußten
und subliminalen Mentals, seines unterbewußten und subliminalen Lebens-Impulses
und seiner unterbewußten Körperlichkeit, jener große Teil von ihm, den er nicht
kennt und nicht beherrschen kann, der vielmehr ihn erkennt und beherrscht. Da
Sein, Bewußtsein und Kraft eine Einheit sind, können wir wirkliche Macht nur
über jenen Teil unseres Daseins ausüben, mit dem wir durch Selbst-Innesein
identisch sind. Das übrige muß von seinem eigenen Bewußtsein regiert werden, das
für Mental, Leben und Körper unserer Außenseite subliminal ist. Da aber die
beiden eine einzige und nicht zwei getrennte Bewegungen sind, muß in der Masse
der unbedeutenderen und weniger machtvollen Abläufe unser größerer und machtvollerer Teil regieren und bestimmen. Deshalb werden wir, auch in
unserem bewußten Dasein, vom Unterbewußten und Subliminalen regiert und sind
auch bei unserer eigentlichen Selbst-Bemeisterung und Selbst-Lenkung nur
Instrumente dessen, was uns das Unbewußte in unserem Innern zu sein scheint.
Das meinte die alte Weisheit, wenn sie sagt, der Mensch bilde sich ein, er selbst tue sein Werk durch seinen freien Willen. In Wirklichkeit bestimmt aber die Natur all sein Wirken, und selbst die Weisen sind gezwungen, ihrer Natur zu folgen. Da aber Natur die schöpferische Bewußtseinskraft des Wesens in uns ist, das die Maske Seiner eigenen umgekehrten Bewegungen und der scheinbaren Verneinung Seiner Selbst angenommen hat, nannten sie diese umgekehrte schöpferische Bewegung Seines Bewußtseins maya oder IIlusions-Macht des Herrn und sagten: Alle Wesen im Dasein werden durch Seine maya wie auf einer Maschine herumgedreht von dem Herrn, der im Herzen alles Seienden Seinen Sitz hat. So ist evident, daß der Mensch nur insoweit er über sein Mental hinauskommt, bis er im Selbst-Innesein mit dem Herrn eins wird, Meister seines eigenen Wesens werden kann. Da das in der Unbewußtheit und in der Unterbewußtheit selbst nicht möglich ist, weil kein Nutzen daraus entstehen kann, daß wir uns in unsere Tiefen zurück bis zum Unbewußten versenken, kann diese Einheit nur dadurch völlig hergestellt werden, daß wir nach innen gehen, wo der Herr wohnt, und emporsteigen in den für uns noch überbewußten Bereich, das Supramental. Dort in der höheren und göttlichen maya ist, seinem Gesetz und seiner Wahrheit nach, das bewußte Wissen dessen, was im Unterbewußten durch die niedere maya unter den Bedingungen jener Verneinung wirkt, die zur Bejahung zu werden versucht. Denn diese niedere Natur führt das Werk aus, das in jener höheren Natur gewollt und gewußt wird. Die IIlusions-Macht des göttlichen Wissens in der Welt, die Erscheinungen erschafft, wird von der Wahrheits-Macht desselben Wissens regiert, das die Wahrheit hinter den Erscheinungen kennt und für uns die Bejahung bereithält, auf die sie hinwirken. Der partielle Mensch äußeren Scheins wird dort den vollkommenen wirklichen Menschen finden, der in der völligen Einung mit jenem Selbst-Seienden, der der allwissende Herr Seiner kosmischen Evolution und seines Vorgehens ist, das völlig seines Selbsts bewußte Wesen werden kann.
Die zweite
Schwierigkeit liegt darin, daß der Mensch in Mental, Leben und Körper vom
Allumfassenden gesondert ist und deshalb ebensowenig oder noch viel weniger als
er sich kennt, seine Mitgeschöpfe zu erkennen vermag. Durch indirekte Schlüsse,
Theorien, Beobachtungen und eine gewisse unvollkommene Fähigkeit zum Mitgefühl
bildet er sich über sie eine ungenaue mentale Konstruktion. Das ist aber keine
Erkenntnis. Nur durch bewußte Identität kann Erkenntnis entstehen, denn nur das
ist das wahre Wissen, – ein seiner selbst innegewordenes Sein. Was wir sind,
erkennen wir nur insofern, als wir bewußt unseres Selbsts innewerden; das übrige
bleibt verborgen. Ebenso können wir nur das wirklich erkennen, mit dem wir in
unserem Bewußtsein eins werden, doch auch nur insofern, als wir mit ihm eins
werden. Wenn die Mittel der Erkenntnis mittelbar und unvollkommen sind, wird
auch das so erlangte Wissen mittelbar und unvollkommen sein. Es wird uns
instandsetzen, in einem bestimmten Grad von Ungenauigkeit – die aber von unserem
mentalen Standpunkt aus noch genau genug ist – gewisse begrenzte praktische
Ziele, notwendige und brauchbare Maßnahmen, eine unvollkommene, instabile
Harmonie in unserer Beziehung zu dem, was wir erkennen, herauszuarbeiten. Wir
können aber nur durch bewußte Einung mit ihm zu einer vollkommenen Beziehung
kommen. Wir müssen also bewußt zum Einssein mit unseren Mitmenschen gelangen,
nicht nur zur Sympathie, die durch Liebe oder das von mentaler Erkenntnis
geschaffene Verstehen erweckt wird; denn das bliebe lediglich Erkenntnis ihres
vordergründigen Daseins und deshalb in sich unvollkommen, bestritten und
enttäuscht durch das Aufwallen des Unbekannten und Unbewältigten aus dem
Unterbewußten oder dem Subliminalen in ihnen und in uns. Bewußtes Einssein kann
nur dadurch Zustandekommen, daß wir in Jenes eingehen, in dem wir mit ihnen eins
sind, in das Allumfassende. Die Fülle des Allumfassenden existiert bewußt aber
nur in dem, was für uns überbewußt ist, im Supramental: In unserem üblichen
Wesen ist dessen größerer Teil unterbewußt. Wir können in diesem normalen
Kräfte-Ausgleich von Mental, Leben und Körper nicht über es verfügen. Die
niedere bewußte Natur wird in all ihren Aktivitäten vom Ich nach unten
gefesselt, dreifach angekettet an den Pfahl der differenzierten Individualität.
Allein das Supramental verfügt über Einheit in Verschiedenheit.
Die dritte Schwierigkeit liegt darin, daß in unserem
evolutionären Dasein Kraft und Bewußtsein voneinander getrennt sind. Da ist
zuerst die Trennung, die durch die Evolution
selbst in ihren drei aufeinanderfolgenden Formationen von Materie, Leben und
Mental geschaffen wurde, von denen jede ihr eigenes Gesetz des Wirkens hat. Das
Leben kämpft gegen den Körper. Es versucht, ihm die Befriedigung der
Lebens-Begehren, der Impulse und Wünsche aufzuzwingen, und verlangt von seiner
begrenzten Fähigkeit, was nur einem unsterblichen, göttlichen Leib möglich wäre.
Der tyrannisierte, versklavte Körper leidet darunter und befindet sich in
ständiger dumpfer Revolte gegen die vom Leben an ihn gestellten Forderungen. Das
Mental ist im Kampf gegen beide: Manchmal hilft es dem Leben gegen den Körper,
manchmal zügelt es den vitalen Drang und sucht die Körperstruktur vor den
Begierden des Lebens, seinen Leidenschaften und übertreibenden Energien zu
schützen. Es versucht auch, sich des Lebens zu bemächtigen und seine Energie für
seine eigenen Zwecke zu verwenden, für ein Höchstmaß an Freude an der mentalen
Aktivität, für die Befriedigung mentaler, ästhetischer und emotionaler Ziele und
ihre Erfüllung im menschlichen Dasein. Auch das Leben hält sich für geknechtet
und mißbraucht. Es rebelliert häufig gegen den ihm vorgesetzten unwissenden,
halbweisen Tyrannen. Das ist der gegenseitige Kampf unserer Bestandteile
gegeneinander, den das Mental nicht wirklich befrieden kann, weil es vor einem
für es unlösbaren Problem steht: vor der Sehnsucht seines unsterblichen Wesens
in einem sterblichen Leben und Leib. Es kann nur zu einer langen
Aufeinanderfolge von Kompromissen oder schließlich dahin gelangen, daß es das
Problem ungelöst läßt: Entweder unterwirft es sich mit dem Materialisten der
Sterblichkeit unseres äußerlich-sichtbaren Wesens, oder es verwirft und
verurteilt mit dem Asketen und religiösen Menschen das irdische Leben und zieht
sich in frohere und leichtere Bereiche des Daseins zurück. Die wahre Lösung
liegt jedoch darin, daß wir das Prinzip jenseits des Mentals finden, dessen
Gesetz Unsterblichkeit ist, und daß wir durch es die Sterblichkeit unseres
Daseins überwinden.
Es gibt aber auch jene fundamentale Spaltung zwischen
der Kraft der Natur und dem bewußten Wesen. Die ist Grundursache dieser
Leistungsunfähigkeit. Es gibt nicht nur eine Trennung zwischen dem mentalen,
vitalen und physischen Wesen, jedes von ihnen ist vielmehr ebenso sich selbst
gegenüber gespalten. Die Leistungsfähigkeit des Körpers ist geringer als die der
instinktiven Seele oder des bewußten Wesens, des physischen purusha in
ihm. Die Leistungsstärke der vitalen Kraft ist
geringer als die der impulsiven Seele, des vitalen bewußten Wesens, des
purusha in ihr. Die Leistungskraft der Energie des Mentals ist geringer als
die der intellektuellen und emotionalen Seele, des mentalen purusha in
ihm. Ist doch die Seele das innere Bewußtsein, das nach seiner eigenen völligen
Selbst-Verwirklichung strebt und deshalb stets umfassender ist als die
individuelle Gestaltung des Augenblicks. Die Kraft, die ihr Gleichgewicht in der
Formation gefunden hat, wird von ihrer Seele stets zu dem gedrängt, was für sie
abnorm und transzendent ist. Ständig vorwärtsgestoßen, ist es für sie sehr
schwierig, dem zu entsprechen und sich von der jetzigen zu höherer
Leistungsfähigkeit zu entwickeln. Wenn die Kraft versucht, die Forderungen der
dreifachen Seele zu erfüllen, wird sie äußerst beunruhigt und dazu getrieben,
Instinkt gegen Instinkt, Impuls gegen Impuls, Emotion gegen Emotion, Idee gegen
Idee zu setzen, diese zu befriedigen und jene zu verwerfen; dann ändert sie
aber, was sie getan hat, voller Reue wieder, um ad infinitum
auszugleichen, zu kompensieren und wieder neu anzupassen, ohne doch zu einem
Prinzip von Einheit zu gelangen. Im Mental wiederum ist die bewußte Macht, die
harmonisieren und vereinigen sollte, nicht nur in ihrer Erkenntnis und ihrem
Willen begrenzt, vielmehr streben Erkenntnis und Wille auseinander und sind oft
miteinander in Disharmonie. Das Prinzip der Einheit steht über allem im
Supramental. Dort allein ist die bewußte Einheit aller Unterschiedlichkeiten.
Dort allein sind Erkenntnis und Wille einander gleich und in vollkommener
Harmonie. Dort allein gelangen Bewußtsein und Kraft zu ihrem göttlichen
Ausgleich. In dem Maße, in dem sich der Mensch in ein des Selbsts bewußtes und
wirklich denkendes Wesen entwickelt, wird er sich deutlich all dieser
Disharmonie und des Zwiespalts in den Schichten seines Wesens bewußt. Er sucht
die Harmonie seines Mentals, Lebens und Körpers, die Harmonie seiner Erkenntnis,
seines Willens und Gefühls aller Glieder seines Wesens. Manchmal hört dieses
Verlangen zu früh auf, wenn er zu einem praktischen Kompromiß gekommen ist, der
ihm relativen Frieden einbringt. Ein Kompromiß kann aber nur ein vorübergehendes
Anhalten auf dem Weg sein, da die Gottheit im Innern schließlich mit nichts
Geringerem zufrieden sein wird als mit vollkommener Harmonie, die in sich die
integrale Entfaltung unserer vielseitigen Potenzen kombiniert. Weniger als das
wäre ein Zurückweichen vor dem Problem, nicht seine Lösung. Oder es wäre nur
eine zeitweilige Lösung, die für die Seele nur eine Rast auf dem Weg ihrer
ständigen Selbst-Ausweitung
und ihres Aufstiegs
bietet. Als wesentliche Begriffe würde eine solche völlige Harmonie die
Vollkommenheit der mentalen Funktionen, des Spiels der vitalen Kraft und der
physischen Existenz erfordern. Wo sollen wir aber im radikal Unvollkommenen das
Prinzip und die Macht der Vollkommenheit finden? Das in der Zerteilung und
Begrenzung verwurzelte Mental kann es uns ebensowenig liefern wie das Leben und
der Körper, die eine Energie und Struktur des zerteilenden und begrenzenden
Mentals sind. Dort sind zwar im Unterbewußten Prinzip und Macht der
Vollkommenheit vorhanden, aber in die Decke oder den Schleier der niederen
maya eingehüllt, und treten nur als stumme Ahnung oder unverwirklichtes
Ideal hervor. Im Überbewußten warten sie offen, ewig verwirklicht, auf uns, sind
aber noch immer durch den Schleier unserer Unkenntnis des Selbsts von uns
getrennt. Wir müssen also oberhalb unseres jetzigen Kräfteausgleichs, weder in
noch unter diesem, nach Macht und Wissen des harmonischen Ausgleichs suchen.
Ebenso wird sich der Mensch bei seiner weiteren
Entwicklung sehr deutlich der Disharmonien und Unwissenheit bewußt, die seine
Beziehungen zur Welt bestimmen. Er kann das nicht länger ertragen und bemüht
sich immer mehr darum, ein Prinzip der Harmonie, des Friedens, der Freude und
Einheit zu finden. Auch das kann nur von oben zu ihm kommen. Nur wenn er ein
Mental entwickelt, das ebenso die Erkenntnis vom Mental anderer besitzt wie die
von sich selbst, kann das Leben des Menschen spirituell und praktisch eins
werden mit dem seiner Mitmenschen, kann das Individuum sein eigenes universales
Selbst wiederentdecken. Voraussetzung dazu ist: ein Mental, das frei ist von
unserer Unkenntnis voneinander und unserem Mißverstehen; ein Wille der sich eins
fühlt und eint mit dem Willen anderer; ein emotionales Herz, das die Emotionen
anderer in sich empfindet wie seine eigenen; eine Lebens-Kraft, die die Energien
anderer wahrnimmt, sie als die ihren annimmt und zu erfüllen sucht; ein Körper,
der nicht Gefängnismauer und Verteidigungswall gegen die Welt ist. All das wird
uns zuteil unter dem Gesetz von Licht und Wahrheit, das stärker ist als die
Abweichungen und Irrtümer, die vielen Sünden und Falschheiten bei uns und
anderen in Mental, Willen, Emotionen und Lebens-Energien. Das Unterbewußte
besitzt dieses Leben des Alls; auch das Überbewußte hat es. Deren Bedingungen
zwingen uns aber, daß wir nach oben durchdringen. Denn der ursprüngliche Drang,
der die Seele in ihrer Evolution bis zur Art unseres Menschseins emporgetragen
hat, ist nicht auf die Gottheit gerichtet, die verborgen ist “im unbewußten Ozean, wo Finsternis in Finsternis gehüllt ist” (Rig
Veda, X. 129. 3.), sondern empor zur Gottheit, die in einem Meer ewigen
Lichts thront, im höchsten Äther unseres Wesens, in den “Wassern, die im Reich
von Licht oberhalb der Sonne sind, und in jenen, die sich unterhalb von ihr
befinden” (Rig Veda, III. 22. 3.).
Wenn also die Menschheit nicht am Wegrand liegen bleiben und den Sieg anderen, neuen Schöpfungen der in heftigen Geburtswehen liegenden Mutter überlassen soll, muß sie diesen Aufstieg erstreben. Er wird zwar durch Liebe, mentale Erleuchtung und den vitalen Drang nach Besitzen und Selbst-Hingabe gelenkt. Er führt aber darüber hinaus zur supramentalen Einung, die über dieses Streben hinausweist und es erfüllt. Ihr endgültiges Gut, ihre Erlösung, muß die Menschheit darin suchen, daß sie das menschliche Leben auf die supramentale Realisation einer bewußten Einung mit dem Einen, mit allem in unserem Wesen und mit allen Gliedern der Menschheit gründet. Das ist es, was wir als den vierten Status von Leben in seinem Aufstieg empor zur Gottheit beschrieben haben.
Kapitel XXIII. Die doppelte Seele im Menschen
Der purusha, das
innere Selbst, nicht größer als die Länge des menschlichen Daumens.
Katha Upanishad, IV.12.
Svetasvatara
Upanishad, VI.17.
Wer dieses Selbst kennt, das den Honig des Daseins genießt und der Herr dessen ist, das ist und sein wird, schreckt von da an vor nichts mehr zurück.
Katha Upanishad, IV.5.
Wovor soll jener Mensch sich ängstigen, wie soll er getäuscht werden, der überall das Einssein schaut?
Isha Upanishad, Vers 7.
Wer die Seligkeit des Ewigen gefunden hat, fürchtet sich vor keiner Bedrohung, von welcher Seite sie auch kommt.
Taittiriya Upanishad, II.9.
Wir fanden, daß der erste Status des Lebens durch einen
dumpfen, unbewußten Trieb oder Drang charakterisiert wird, durch die Kraft eines
ins materielle oder atomare Dasein involvierten Willens, der nicht frei und
Besitzer seiner selbst, seiner Werke und ihrer Ergebnisse ist, sondern ganz und
gar von der universalen Bewegung in Besitz gehalten wird, in der er als der
unerleuchtete, ungeformte Keim von Individualität entsteht. Die Wurzel des
zweiten Status ist Begehren, das ganz darauf aus ist, zu besitzen, aber in
seiner Fähigkeit begrenzt bleibt. Die Knospe des dritten Status ist Liebe, die
sich sowohl andere aneignen wie ihnen zu eigen werden will, die empfangen und
auch sich selbst geben möchte. Wir begreifen als die herrliche Blüte des vierten
Status, als sein Zeichen der Vollkommenheit und als das reine, vollständige
Hervortreten des ursprünglichen Willens die erleuchtete Erfüllung des Begehrens
der Mittelstufe, die hohe und tiefe Befriedigung im bewußten Austausch von Liebe
durch die Vereinigung des Zustands, Eigner und Eigentum zu sein, in der
göttlichen Einheit der Seelen: das ist die Grundlage des supramentalen Daseins.
Wenn wir diese Begriffe sorgfältig erforschen, erkennen wir sie als Gestaltungen
und Stufen im Suchen der Seele nach der individuellen und universalen Freude an
den Dingen. Der Aufstieg des Lebens ist seiner
Art nach der Aufstieg der göttlichen Freude in den Dingen aus ihrer dumpfen
Konzeption in Materie durch die Fährnisse und Gegensätzlichkeiten bis zu ihrer
lichtvollen Vollendung im Geist.
So wie die Welt ist, könnte das nicht anders sein. Denn die Welt ist die durch eine Maske entstellte Form von saccidananda; die Natur des Bewußtseins von saccidananda und deshalb auch das, worin sich Seine Kraft immer selbst finden und zum Ziel bringen muß, ist Göttliche Wonne, eine allgegenwärtige tiefe Freude aus dem Selbst. Da Leben eine Energie Seiner bewußten Kraft ist, muß das Geheimnis all seiner Bewegungen eine verborgene, allen Dingen innewohnende Seligkeit sein, zugleich Ursache, Beweggrund und Ziel seiner Wirkensweisen. Wenn nun aufgrund der Zerteilung durch das Ich diese Seligkeit verfehlt und hinter einem Schleier zurückgehalten wird, wenn sie sich als ihr eigener Gegensatz darstellt, sich sogar als Tod verkleidet, wenn Bewußtsein die Gestalt des Unbewußten annimmt und Kraft sich in der Vermummung von Unfähigkeit lächerlich macht, kann sich das Lebendige nicht damit zufrieden geben. Erst dann kann es von der Bewegung des Lebens ausruhen oder diese zur Erfüllung bringen, wenn es jene universale Seligkeit sicher erlangt, die zugleich die geheime volle Seligkeit seines eigenen Wesens und die ursprüngliche, alles-umfassende, alles-gestaltende, alles-erhaltende vollkommene Freude des transzendenten und immanenten saccidananda ist. Vollkommene Freude zu erstreben, ist darum der fundamentale Impuls und Sinn des Lebens. Sie zu finden, zu besitzen und zur Vollendung zu bringen, ist sein ganzes Motiv.
Wo in uns ist aber dieses Prinzip der Seligkeit? Durch
was für einen Begriff unseres Wesens offenbart und erfüllt es sich In der Aktion
des Kosmos so, wie sich das Prinzip der Bewußten Kraft im Leben offenbart und
dieses als seinen kosmischen Begriff verwendet und wie sich das Prinzip des
Supramentals im Mental offenbart und dieses verwendet? Wir haben ein vierfaches
Prinzip des göttlichen Wesens unterschieden, das das Universum erschafft: Sein,
Bewußte Kraft, Seligkeit und Supramental. Supramental ist, wie wir gesehen
haben, im materiellen Kosmos allgegenwärtig, wenn auch verhüllt. Es existiert
hinter dem aktuellen Erscheinungsbild der Dinge und drückt sich dort insgeheim
aus. Um sich wirksam zu machen, verwendet es den eigenen Unterbegriff Mental.
Die göttliche Bewußte Kraft ist im materiellen Kosmos überall, wenn auch verhüllt, vorhanden. Sie wirkt aber geheim hinter der aktuellen
Erscheinungsform der Dinge und drückt sich dort charakteristischerweise durch
ihren Unterbegriff Leben aus. Obwohl wir noch nicht gesondert das Prinzip von
Materie untersucht haben, können wir jetzt schon sehen, daß das göttliche
All-Sein auch im materiellen Kosmos, wenngleich verhüllt, allgegenwärtig ist:
verborgen hinter der aktuellen Erscheinungsform der Dinge. Sie manifestiert sich
dort anfangs durch den ihr untergeordneten Begriff Substanz, Form des Wesens
oder Materie. In gleicher Weise muß auch das Prinzip der göttlichen Seligkeit im
Kosmos allgegenwärtig sein, zwar verhüllt und im Besitz ihres Selbsts nur hinter
dem aktuellen Erscheinungsbild der Dinge, dennoch in uns manifest durch eines
seiner untergeordneten Prinzipien, in dem es verborgen ist, durch das es
entdeckt und in der Aktion des Universums erlangt werden muß.
Dieser Begriff ist etwas in uns, das wir manchmal in
besonderem Sinn die Seele nennen, also das psychische Prinzip, das nicht Leben
oder Mental, noch weniger Körper ist, das vielmehr in sich die Wesenheit von
ihnen allen enthält, die sich öffnet und zu ihrem eigenen besonderen Entzücken
am Selbst, zu Licht, Liebe, Freude, Schönheit und einer verfeinerten Reinheit
des Wesens aufblüht. Tatsächlich gibt es aber in uns eine doppelte Seele, einen
zweifachen psychischen Begriff, wie ja auch jedes andere kosmische Prinzip in
uns doppelt ist. Wir haben ein zweifaches Mental: das Mental der Außenseite
unseres in der Evolution zum Ausdruck gekommenen Ichs, die vordergründige, durch
uns bei unserem Hervortreten aus der Materie geschaffene Mentalität, und ein
anderes, subliminales Mental, das nicht behindert ist durch unser aktuelles
mentales Leben und seine starren Einschränkungen, etwas Umfassendes, Mächtiges,
Lichtvolles, das wahre mentale Wesen hinter jener vordergründigen Form mentaler
Persönlichkeit, die wir irrig für uns selbst halten. Ebenso haben wir zwei
Leben: ein äußeres, im physischen Körper involviertes, gebunden durch seine
vergangene Evolution in der Materie, das lebt, geboren wurde und sterben wird,
und das andere, jene subliminale Lebenskraft, die nicht eingezwängt ist in
unsere engen Grenzen von physischer Geburt und Tod, sondern die unser wahres
vitales Wesen hinter der Lebensform ist, die wir unwissend für unser wirkliches
Dasein halten. Selbst in der Materie unseres Wesens ist diese Dualität: hinter
unserem Körper haben wir ein subtileres Dasein, das die Substanz liefert nicht
nur für unsere physischen, sondern auch für
unsere vitalen und mentalen Umhüllungen und darum unsere wirkliche Substanz ist,
die die physische Form erhält, die wir irrig für den ganzen Leib unseres Geistes
halten. Ebenso haben wir in uns eine doppelte psychische Wesenheit: die
Begehren-Seele im Vordergrund, die sich in unseren vitalen Sehnsüchten, unseren
Gefühlen, in der ästhetischen Begabung und im mentalen Suchen nach Macht, Wissen
und Glück auswirkt, und eine subliminale psychische Wesenheit, eine reine Macht
von Licht, Liebe, Freude und verfeinerter Essenz des Wesens, die unsere wahre
Seele hinter der äußeren Form psychischen Daseins ist, die wir oft mit diesem
Namen ehren. Erst wenn ein Widerschein dieser umfassenderen, reineren
psychischen Wesenheit an der Außenseite hervortritt, sagen wir von einem
Menschen, er hat eine Seele. Wenn das in seinem äußeren psychischen Wesen fehlt,
sagen wir von ihm, er habe keine Seele.
Die äußeren Formen unseres Wesens sind die unseres kleinen ichhaften Daseins. Die subliminalen sind die Gestaltungen unserer umfassenderen wahren Individualität. Sie sind darum jener verborgene Teil unseres Wesens, mit dem unsere Individualität unserer Universalität nahe ist, in Berührung, ständiger Beziehung und Austausch steht. Das subliminale Mental in uns ist offen für die allumfassende Erkenntnis des kosmischen Mentals, das subliminale Leben in uns für die allumfassende Kraft des kosmischen Lebens, die subliminale Körperlichkeit in uns für die allumfassende Kraft-Gestaltung kosmischer Materie. Die dicken Wände, die unser Mental, Leben und Körper von diesen Dingen trennen und die die Natur mit so großer Mühe, so unvollkommen und mit so vielen geschickt-plumpen physischen Maßnahmen zu durchbrechen hat, sind dort, im Subliminalen, nur ein dünnes Medium zugleich der Trennung und der Kommunikation. So ist auch die subliminale Seele in uns offen für die allumfassende Freude, die die kosmische Seele in ihrem eigenen und im Dasein von Myriaden sie repräsentierender Seelen sowie in den Betätigungen von Mental, Leben und Materie genießt, an die sich die Natur zu deren Spiel und Entwicklung hingibt. Vor dieser kosmischen Freude ist aber die Vordergrund-Seele durch die starken Ich-Wände ausgeschlossen. Sie haben gewiß Durchlässe für die Einwirkungen der göttlichen kosmischen Seligkeit, aber wenn diese durch sie zu uns kommen, verkümmern sie, werden sie entstellt oder müssen uns in der Maske ihrer Gegensätze erreichen.
Daraus ergibt sich, daß
in dieser Vordergrund- oder Begehren-Seele kein wahres Seelen-Leben, sondern nur
psychische Entstellung und falscher Empfang der Berührung durch die Dinge
entsteht. Die Krankheit der Welt besteht darin, daß der Einzelne seine wahre
Seele nicht finden kann, und die Ursache an der Wurzel dieser Krankheit ist
wieder, daß er, wenn er die äußeren Dinge ganz umfassen will, mit der wirklichen
Seele der Welt, in der er lebt, nicht in Verbindung kommen kann. Er sucht dort
das Wesentliche des Wesens, die wahre Essenz der Macht, des bewußten Seins, der
Seligkeit. Er empfängt statt dessen eine Masse widersprüchlicher Kontakte und
Eindrücke. Wenn er die Essenz finden könnte, würde er auch das eine
allumfassende Wesen, die eine universale Macht, das eine bewußte Sein und die
eine Seligkeit selbst in diesem Getümmel der Einwirkungen und Eindrücke finden.
Die Widersprüche in dem, was äußere Erscheinungen sind, würden in der Einheit
und Harmonie der Wahrheit, die in diesen Kontakten auf uns einwirkt, ausgesöhnt.
Zugleich würde er seine wahre Seele und durch diese sein Selbst entdecken, denn
die wahre Seele ist der Delegierte seines Selbsts, und sein Selbst und das
Selbst der Welt sind eines. Das bringt der Mensch aber nicht fertig wegen der
ichhaften Unwissenheit im Mental des Denkens, im Herz der Gefühle und in den
Sinnen. Diese reagieren auf die Einwirkung der Dinge nicht mit mutiger,
warmherziger Umarmung der Welt, sondern mit dem ständigen Hin und Her von
Zufassen und Zurückschrecken, vorsichtigen Annäherungen oder eifrigem
Vorwärtsstürmen, verdrossenem, unzufriedenem, panischem oder ärgerlichem
Zurückweichen, je nachdem der Kontakt in ihm Freude oder Mißfallen, Wohlbefinden
oder Warnungen, Zufriedenheit oder Unzufriedenheit hervorruft. Es ist die
Begehren-Seele, die durch ihren falschen Empfang des Lebens die Ursache für eine
dreifache Mißdeutung von rasa, der den Dingen innewohnenden Seligkeit,
gelangt, so daß diese, statt die reine wesenhafte Freude des Seienden
darzustellen, unausgeglichen in den drei Begriffen von Lust, Schmerz und
Gleichgültigkeit zu uns kommt.
Als wir die Seins-Seligkeit in ihren Beziehungen zur
Welt betrachteten, sahen wir, daß es in unseren Maßstäben von Lust, Schmerz und
Gleichgültigkeit keine Unbedingtheit oder wesenhafte Geltung gibt, daß sie
völlig durch die Subjektivität des empfangenden Bewußtseins bestimmt sind und
daß der Grad beider, Lust und Schmerz, bis zu einem Maximum erhöht, bis zu einem
Minimum herabgedrückt oder sogar in seiner
Sichtbarkeit völlig ausgelöscht werden kann. Lust kann zu Schmerz, Schmerz zu
Lust werden, weil sie ihrer geheimen Wirklichkeit nach dasselbe sind, nur
unterschiedlich wiedergegeben in Empfindungen und Gefühlen. Gleichgültigkeit ist
entweder die Unaufmerksamkeit der vordergründigen Begehren-Seele in ihrem
Mental, ihren Empfindungen, Gefühlen und Sehnsüchten gegenüber dem rasa
der Dinge, oder die Unfähigkeit, es zu empfangen und darauf zu antworten, oder
die Ablehnung, überhaupt eine äußere Reaktion zu zeigen, oder auch ihre Tendenz,
Lust oder Schmerz durch den Willen in die neutrale Färbung von Unerwünschtheit
zu verdrängen oder herabzudrücken. In all diesen Fällen kommt es dazu, daß man
das, was stets subliminal aktiv ist, entweder positiv zurückweist oder in
negativer Weise unwillig oder unfähig ist, es wiederzugeben oder irgendwie
positiv an der Oberfläche zu repräsentieren.
Genauso wie wir durch psychologische Beobachtung und
Experimente wissen, daß das subliminale Mental all diese Berührungen der Dinge,
die das Oberflächen-Mental ignoriert, aufnimmt und im Gedächtnis behält, so
finden wir, daß die subliminale Seele auch auf das rasa antwortet, auf
die Essenz in einer Erfahrung dieser Dinge, die die Begehren-Seele der
Außenseite entweder mit Abscheu oder Verweigerung zurückweist oder durch
neutrales Nicht-Annehmen ignoriert. Eine Erkenntnis des Selbsts ist unmöglich,
wenn wir nicht hinter unser vordergründiges Dasein zurücktreten, da es nur das
Ergebnis ausgewählter äußerer Erfahrungen ist, ein unvollkommenes Brett zur
Schalldämpfung oder die abstoßende, inkompetente und fragmentarische Übertragung
eines geringfügigen Teils aus dem Vielen, das wir sind, – es sei denn, wir gehen
dahinter zurück, senken unser Lot hinab in das Unterbewußte und öffnen uns für
das Überbewußte, damit wir ihre Beziehung zu unserem vordergründigen Wesen
erkennen. Denn zwischen diesen drei Dingen bewegt sich unser Dasein, es findet
in ihnen seine Totalität. Das Überbewußte in uns ist eins mit dem Selbst und der
Seele der Welt. Es wird von keiner Unterschiedlichkeit äußerer Erscheinungen
beherrscht. Darum besitzt es die Wahrheit der Dinge und ihre Seligkeit in ganzer
Fülle. Das Unterbewußte,11 das man im lichtvollen Höhepunkt seiner selbst das Subliminale nennt, ist im Gegensatz dazu nicht
wahrer Besitzer der Erfahrung, sondern ihr Instrument. Es ist praktisch nicht
eins mit der Seele und dem Selbst der Welt, aber es ist für sie durch seine
Welt-Erfahrung offen. Die subliminale Seele ist sich im Innern des rasa
der Dinge bewußt und findet gleichmäßig Entzücken an allen Kontakten. Sie ist
auch der Werte und Maßstäbe der vordergründigen Begehren-Seele inne und empfängt
an ihrer Außenseite entsprechende Einwirkungen von Lust, Schmerz und
Gleichgültigkeit, hat jedoch gleichmäßig Freude an allen. Mit anderen Worten:
unsere wahre Seele im Innern findet Freude an all ihren Erfahrungen, gewinnt aus
ihnen Stärke, Lust und Erkenntnis, wächst durch sie in ihrem Bestand an Leben
und in ihrer Fülle. Diese wahre Seele in uns zwingt das zurückschreckende Mental
des Begehrens, das zu ertragen, was für es schmerzvoll ist, es sogar zu suchen
und Lust daran zu finden, sowie das zurückzuweisen, was für es lustvoll ist,
oder dessen Werte zu ändern oder sogar umzukehren, Dinge in Indifferenz zum
Ausgleich zu bringen oder sie in Freude gleichmütig hinzunehmen, in der Lust an
der Unterschiedlichkeit des Daseins. Das tut sie, weil sie durch das
Allumfassende gezwungen ist, durch alle Arten von Erfahrung sich zu entwickeln,
um an Natur zu wachsen. Würden wir andererseits nur aus der vordergründigen
Begehren-Seele leben, könnten wir uns nicht verändern und ebensowenig
fortentwickeln wie Pflanze und Stein, in deren Unbeweglichkeit oder
Routine-Dasein – weil Leben dort noch nicht an der Oberfläche bewußt geworden
ist – die geheime Seele der Dinge noch kein Instrument besitzt, durch das sie
das Leben aus seiner festgelegten engen Skala retten kann, in die es geboren
ist. Würde man die Begehren-Seele sich selbst überlassen, sie würde immer und
ewig in denselben Bahnen kreisen.
Nach Ansicht alter Philosophien sind Lust und Schmerz
ebenso untrennbar wie intellektuelle Wahrheit und Unwahrheit, Macht und
Ohnmacht, Geburt und Tod. Darum sei der einzig mögliche Ausweg ihnen gegenüber
die totale Indifferenz, eine leere Reaktion auf die Aufregungen durch das
Welt-Selbst. Eine verfeinerte psychologische Erkenntnis zeigt uns aber, daß
diese nur auf oberflächliche Tatsachen des Daseins gegründete
Anschauung die Möglichkeiten des Problems nicht wirklich erschöpft. Wenn man die
wahre Seele in den Vordergrund bringt, kann man die vom Ich bedingten Maßstäbe
von Lust und Schmerz durch eine ausgeglichene allumfassende personal-apersonale
Seligkeit ersetzen. Das tut der Liebhaber der Natur, wenn er an allen Dingen der
Natur allgemein Freude empfindet, ohne in sich Abscheu, Furcht oder nur das
bloße Gefallen und Mißfallen zuzulassen, weil er in allem, was anderen als
gewöhnlich und bedeutungslos, als roh und wild, schrecklich und abstoßend
erscheint, Schönheit wahrnimmt. Das tut auch der Künstler und der Dichter, wenn
sie das rasa des Allumfassenden aus dem ästhetischen Gefühl, der
körperlichen Linie oder mentalen Form von Schönheit erfahren oder es aus dem
inneren Sinn und der Macht sowohl dessen erleben, von dem sich der gewöhnliche
Mensch abwendet, wie von dem, woran er mit einem Empfinden von Lust hängt. Auf
ihre Art tun das alle: der nach Erkenntnis Suchende, der Gott-Liebende, der den
Gegenstand seiner Liebe überall findet, der Spirituelle, der Intellektuelle, der
Empfindsame, der Ästhet; alle tun das und müssen das tun, wenn sie allumfassend
die Erkenntnis, Schönheit, Freude oder die Gottheit finden wollen, die sie
suchen. Nur in jenen Schichten, in denen das kleine Ich meist zu stark für uns
ist, nur in unserem emotionalen oder physischen Frohsein und Leiden, in Lust und
Schmerz des Lebens, vor denen die Begehren-Seele in uns so äußerst schwächlich
und feige ist, wird die Anwendung des göttlichen Prinzips besonders schwierig,
erscheint sie vielen unmöglich oder gar als ungeheuerlich und abstoßend. Hier
schreckt die Unwissenheit des Ichs vor dem Prinzip der Apersonalität zurück, das
sie doch ohne zu große Schwierigkeit in Wissenschaft und Kunst und sogar bei
einer gewissen Art unvollkommenen spirituellen Lebens anwendet, weil dort das
Gesetz der Apersonalität nicht das von der vordergründigen Seele bevorzugte
Begehren und auch nicht die vom vordergründigen Mental festgelegten Werte des
Begehrens angreift, an denen unser äußeres Leben vital interessiert ist. In den
freieren und höheren Bewegungen werden von uns ein festgelegter höher
entwickelter Gleichmut und Apersonalität gefordert, die einem bestimmten Bereich
des Bewußtseins und seiner Aktivität eigentümlich sind, während die egoistische
Basis unseres praktischen Lebens uns überlassen bleibt. In den niedrigeren
Bewegungen muß die Grundlage unseres Lebens umgewandelt werden, um für die
Apersonalität Raum zu schaffen; das findet aber die Begehren-Seele unmöglich.
Die in uns verborgene
wahre Seele – wir nannten sie subliminal, aber dieses Wort ist irreführend, denn
diese psychische Erscheinung findet sich nicht unterhalb der Schwelle des wachen
Mentals, sie strahlt vielmehr im Tempel tief innen im Herzen hinter dem dichten
Vorhang eines unwissenden Mentals, Lebens und Körpers, also nicht subliminal,
sondern hinter dem Vorhang –, diese verschleierte psychische Wesenheit ist die
stets in uns brennende Flamme der Gottheit, die auch nicht durch jene dichte
Unbewußtheit, die nichts von einem inneren spirituellen Selbst weiß, ausgelöscht
werden kann, durch die unsere äußere Natur verdunkelt wird. Sie ist eine aus dem
Göttlichen Wesen geborene Flamme, die als lichtvoller Bewohner der Unwissenheit
in dieser so lange wächst, bis er sie in Wissen verwandeln kann. Sie ist der
verborgene Zeuge, die Aufsicht, der geheime Lenker, der Dämon des Sokrates, das
Innere Licht oder die Innere Stimme des Mystikers. Dieses psychische Wesen
überdauert uns unzerstörbar von Geburt zu Geburt, unberührt durch Tod, Verfall
oder Verderben, ein unauslöschlicher Funke Göttlichen Wesens. Es ist zwar nicht
das ungeborene Selbst, atman. Denn das Selbst, wenn es auch über dem
Dasein des Einzelnen waltet, ist immer seiner Universalität und Transzendenz
bewußt. Es ist jedoch sein Stellvertreter in den Gestaltungen der Natur, die
individuelle Seele, caitya purusha, die Mental, Leben und Körper trägt
und erhält, die hinter dem mentalen, vitalen, subtil-physischen Wesen in uns
steht, ihre Entwicklung und Erfahrung beobachtet und daraus Nutzen zieht. Die
anderen Person-Mächte im Menschen, diese Wesen aus seinem Wesen, sind in ihrer
wahren Seinsgestalt auch verschleiert, stellen aber zeitweilige Personalitäten
heraus, die zusammen unsere äußere Individualität bilden, von deren kombinierter
vordergründiger Aktivität und Status-Erscheinung wir sagen: das sind wir selbst.
Auch diese innerste Wesenheit, die als die psychische Person in uns Gestalt
annimmt, stellt eine psychische Personalität heraus, die sich wandelt, die
wächst und sich von Leben zu Leben fortentwickelt. Das ist der Wanderer zwischen
Geburt und Tod und zwischen Tod und Geburt. Unsere äußeren Schichten sind nur
sein vielfältiges, wechselhaftes Gewand. Anfangs kann das psychische Wesen nur
im Verborgenen, partiell, mittelbar durch Mental, Vital und Körper wirken, da
gerade diese Teile der Natur als Instrumente zum Ausdruck seines Selbsts erst
entwickelt werden müssen, und es ist lange Zeit durch ihre Evolution
eingeschränkt. Da es seine Mission ist, den Menschen in der Unwissenheit zum
Licht Göttlichen
Bewußtseins zu führen,
verwendet es die Essenz aller Erfahrung in der Unwissenheit, um einen Grundstock
für das Seelen-Wachstum in der Natur zu bilden. Das übrige verwandelt es in
Material für die künftige Entwicklung der Werkzeuge, die es verwenden muß, bis
sie als lichtvolle Instrumentation dem Göttlichen Wesen dienen können. Diese
verborgene psychische Wesenheit ist das wahre ursprüngliche Gewissen in uns,
tiefer als das konstruierte konventionelle Gewissen des Moralisten, denn dieses
allein weist stets hin auf Wahrheit, Recht und Schönheit, auf Liebe und
Harmonie, auf alles, was göttliche Möglichkeit in uns ist. Es wirkt fort, bis
uns diese Dinge zum natürlichen Hauptbedürfnis werden. Die psychische
Personalität blüht in uns auf als der Heilige, der Weise, der Seher. Wenn sie
ihre stärkste Entfaltung erreicht, wendet sie das Wesen der Erkenntnis des
Selbsts und des Göttlichen Wesens zu, der höchsten Wahrheit, dem erhabenen
Guten, der äußersten Schönheit, Liebe und Wonne, den göttlichen Höhen und
Weiten. Sie öffnet uns für die unmittelbare Erfahrung spiritueller Sympathie,
Universalität, Einheit. Wo aber umgekehrt die psychische Personalität schwach,
primitiv oder fehlentwickelt ist, fehlen die feineren Wesensseiten und Regungen
in uns oder sind dürftig an Charakter und Macht, selbst wenn das Mental
kraftvoll und brillant, das Herz vitaler Emotionen fest, stark und meisterhaft,
die Lebenskraft dominierend und erfolgreich, die körperliche Existenz reich, von
Glück begünstigt und scheinbar Herr und Sieger ist. Dann regiert die äußere
Begehren-Seele, die pseudo-psychische Wesenheit, und wir halten ihre
Fehlinterpretationen einer psychischen Anregung und Strebung, ihre Ideen und
Ideale, ihr Begehren und Sehnen fälschlich für wahren Seelen-Stoff und Reichtum
spiritueller Erfahrung.12 Wenn die verborgene psychische
Person ganz hervortreten und, indem sie die Begehren-Seele ersetzt,
offen und vollständig, nicht nur partiell und aus dem Bereich hinter dem
Vorhang, die äußere Seite von Mental, Vital und Körper regieren kann, können
diese in Seelen-Ebenbilder dessen umgeprägt werden, was wahr, recht und schön
ist. Schließlich kann die gesamte Natur des Menschen dem wahren Ziel des Lebens,
dem erhabenen Sieg, dem Aufstieg in ein spirituelles Dasein zugewendet werden.
Indem wir diese psychische Wesenheit, diese wahre Seele
in uns, in den Vordergrund bringen und ihr hier die Führung und Herrschaft
übertragen, könnte es so aussehen, als ob wir dadurch die Erfüllung unseres
natürlichen Wesens, nach der wir suchen, gewinnen und auch die Pforten vom Reich
des Geistes öffnen können. Man könnte daraus schließen, daß dann kein höheres
Wahrheits-Bewußtsein oder Supramental-Prinzip zu unserer Hilfe eingreifen müßte,
damit wir den göttlichen Status oder die göttliche Vollkommenheit erlangen. Ist
auch die psychische Transformation eine der notwendigen Voraussetzungen für eine
vollständige Umwandlung unseres Daseins, so ist sie doch nicht alles, was für
die umfassendste spirituelle Wandlung notwendig ist. Die individuelle Seele kann
sich zwar anfänglich in der Natur für die verborgenen göttlichen Bereiche
unseres Wesens öffnen und deren Licht, Macht und Erfahrung empfangen und
reflektieren. Dann ist aber für uns spirituelle Transformation von oben nötig,
damit wir unser Selbst in seiner Universalität und Transzendenz besitzen können.
Das psychische Wesen könnte auf einer gewissen Stufe damit zufrieden sein, daß
es aus eigener Kraft eine Gestaltung des Wahren, Guten und Schönen erschafft und
dort zunächst stehen bleibt. Auf einer weiteren Stufe könnte es sich passiv dem
Welt-Selbst als ein Spiegel des universalen Seins, Bewußtseins, seiner Macht und
Seligkeit unterordnen, würde aber nicht voll an ihnen teilnehmen und sie
besitzen. Wenn es auch in Erkenntnis, Gefühl und sogar unter Billigung der Sinne
enger und begeisternder mit dem kosmischen Bewußtsein vereinigt wäre, würde es
nur empfangend und passiv weit entfernt bleiben von Meisterschaft und Wirken in
der Welt. Oder es könnte eins werden mit dem statischen
Selbst hinter dem Kosmos, wäre aber innerlich getrennt von der Welt-Bewegung,
würde seine Individualität an seinen Ursprung verlieren, könnte zu diesem
Ursprung zurückkehren und hätte weder den Willen noch die Macht für das, was
hier seine endgültige Mission ist: auch die Natur zur göttlichen Verwirklichung
hinzuführen. Denn das psychische Wesen kam aus dem Selbst, dem Göttlichen Wesen,
in die Natur und kann aus der Natur zum schweigenden Göttlichen Wesen durch das
Schweigen des Selbsts und eine erhabene spirituelle Bewegungslosigkeit
zurückkehren. Ferner ist, als ewiger Anteil am Göttlichen Wesen (Gita,
XV. 7.) dieser Teil durch das Gesetz des Unendlichen unabtrennbar von seinem
Göttlichen Ganzen; dieser Teil ist tatsächlich selbst das Ganze, abgesehen von
seiner vordergründigen Erscheinung und seiner vordergründigen absondernden
Selbst-Erfahrung. Er könnte also zu dieser Wirklichkeit erwachen und sich bis
zur scheinbaren Vernichtung in sie hineinstürzen, zumindest das individuelle
Dasein mit ihr verschmelzen. Als kleiner Kern hier in der Masse unserer
unwissenden Natur – nach der Beschreibung der Upanishad nicht größer als eines
Menschen Daumen – kann es sich durch das Einströmen des Geistes ausweiten und
die ganze Welt mit Herz und Mental in intimer Gemeinschaft oder Einung umfassen.
Es mag auch seines ewigen Gefährten und Freundes innewerden und vorziehen, für
immer in Seiner Gegenwart, als der ewig Liebende mit dem ewig Geliebten, in
unvergänglicher Eintracht und im Einssein zu leben. An Schönheit und Entzücken
ist das die intensivste aller spirituellen Erfahrungen. All das sind große
herrliche Gewinne unseres spirituellen Selbst-Findens. Sie sind aber nicht
notwendig das letzte Ziel und die erhabene Höhe: mehr ist möglich.
Denn das sind alles nur Errungenschaften des
spirituellen Mentals im Menschen. Es sind Bewegungen des Mentals, wenn es, immer
noch auf eigener Ebene, in die Herrlichkeiten des Geistes über sich hinausgeht.
Selbst auf seinen höchsten Stufen weit jenseits unserer gegenwärtigen Mentalität
handelt das Mental immer noch seiner Art nach durch Zerteilung, nimmt es die
Aspekte des Ewigen und behandelt jeden Aspekt, als ob er die ganze Wahrheit des
Ewigen Wesens wäre, und kann in jedem seine vollkommene Erfüllung finden. Es
hebt sie sogar zu Gegensätzen empor und erschafft eine ganze Reihe solcher
Gegensätze: das Schweigen des Göttlichen Wesens und die Entfaltung der
göttlichen Kraft; das unbewegliche brahman, unerreichbar fern allem Dasein, ohne Eigenschaften, und den aktiven brahman im
Besitz aller Eigenschaften, Herr des Seins, Wesens und Werdens; die Göttliche
Person und das apersonale reine Sein. Es kann sich dann von dem einen lostrennen
und sich in das andere stürzen als in die einzig bleibende Wahrheit des Seins.
So kann es die Person als die einzige Wirklichkeit ansehen oder das Apersonale
als allein wahr. Es kann den Liebenden als die einzige Art verstehen, wie ewig
Liebe sich ausdrückt, oder Liebe als einzigen Selbst-Ausdruck des Liebenden. Es
kann Wesen als rein persönliche Mächte apersonalen Seins sehen oder ein
apersonales Sein als nur einen Zustand des einen Wesens, als die Unendliche
Person. Diesen trennenden Linien wird sein spiritueller Gewinn, sein Zugangsweg
zum höchsten Ziel entsprechen. Aber jenseits dieser Bewegung des spirituellen
Mentals liegt die höhere Erfahrung des supramentalen Wahrheits-Bewußtseins. Dort
verschwinden diese Gegensätze. Die parteiischen Auffassungen werden in der
reichen Totalität höchster, integraler Realisation ewigen Wesens aufgehoben. Das
ist das Ziel, das wir ins Auge gefaßt haben, die Gipfelhöhe unseres Daseins
hier, erreicht durch einen Aufstieg zum supramentalen Wahrheits-Bewußtsein und
durch dessen Abstieg in unsere Natur. Wenn sich also die psychische
Transformation zur spirituellen Wandlung erhoben hat, muß sie vollendet,
integriert, übertroffen und emporgehoben werden durch eine supramentale
Transformation, die sie bis zum Gipfel des mühevollen Aufstiegs emporträgt.
Allein supramentale Bewußtseins-Energie könnte, ebenso
wie zwischen den anderen zerteilten und entgegengesetzten Begriffen des
manifestierten Seins, auch zwischen diesen beiden Begriffen von Geist-Status und
Welt-Dynamik in unserem verkörperten Dasein, die offensichtlich nur wegen der
Unwissenheit gegensätzlich sind, vollkommene Harmonie schaffen. In der
Unwissenheit zentriert Natur die Ordnung ihrer psychischen Bewegungen nicht um
das verborgene spirituelle Selbst, sondern um seinen Ersatz, um das Ich-Prinzip:
Eine gewisse Zentrierung im Ich ist die Grundlage, auf der wir unsere
Erfahrungen und Beziehungen zusammenfügen inmitten der komplexen Kontakte,
Widersprüche, Dualitäten, Zusammenhanglosigkeiten der Welt, in der wir leben.
Diese Zentrierung im Ich ist unser sicherer Fels gegen das Anbranden des
Kosmischen und des Unendlichen, unsere Verteidigung. Bei der spirituellen
Umwandlung müssen wir aber diese Verteidigung aufgeben. Das Ich muß
verschwinden. Die Person findet sich aufgelöst in
unendliche Apersonalität. In dieser Apersonalität gibt es zunächst keinen
Schlüssel, keinen Hinweis auf eine geordnete Dynamik des Handelns. Ein sehr
gewöhnliches Ergebnis ist, daß wir in zwei Teile unseres Wesens zerfallen: den
spirituellen innen und den natürlichen außen. In dem einen gibt es die göttliche
Realisation, auf eine vollkommene innere Freiheit gegründet, aber der natürliche
Teil fährt noch mit dem alten Wirken der Natur fort und setzt ihren schon
übertragenen Impuls durch mechanische Bewegung vergangener Energien fort. Gerade
wenn es zu völliger Auflösung der begrenzten Person und der alten egozentrischen
Ordnung kommt, kann die äußere Natur zum Feld scheinbar nicht-koordinierter
Vorgänge werden, obwohl im Innern alles vom Selbst erleuchtet ist. Nach außen
werden wir dadurch träge und inaktiv, nur Umstände oder Kräfte bewegen uns,
nicht wir uns selbst, jadavat, auch wenn das Bewußtsein im Innern
erleuchtet ist. Oder wir sind wie ein Kind, obwohl wir im Innern reiche
Selbst-Erkenntnis haben, balavat. Oder wir sind wie jemand, der in Denken
und Impuls inkonsequent ist, wenn auch im Innern äußerste Stille und frohe
Gelassenheit herrschen, unmattavat. Oder die Seele äußert sich wild und
ungeordnet, obwohl in ihrem Innern die Reinheit und Ausgeglichenheit des Geistes
waltet, pisacavat. Gibt es in der vordergründigen Natur eine geordnete
Dynamik, mag es eine Fortsetzung der oberflächlichen Ich-Aktion sein, die vom
inneren Wesen nur beobachtet, nicht akzeptiert wird, oder eine mentale Dynamik,
die nicht in der Lage ist, die innere spirituelle Realisation vollkommen
auszudrücken, denn es gibt keine Gleichwertigkeit zwischen der Aktivität des
Mentals und dem Status des Geistes. Selbst dort, wo uns im besten Fall ein
intuitives inneres Licht führt, ist das, was es in der Dynamik des Handelns
ausdrückt, durch die Unvollkommenheiten von Mental, Leben und Körper
gekennzeichnet wie ein König mit unfähigen Ministern oder wie ein Wissen, das
sich in den Werten der Unwissenheit ausdrückt. Nur die Herabkunft des
Supramentals mit seiner vollkommenen Einheit von Wahrheits-Wissen und
Wahrheits-Willen kann in unserer äußeren wie inneren Existenz die Harmonie des
Geistes herstellen. Es allein kann die Werte der Unwissenheit völlig in Werte
des Wissens verwandeln. Zur Erfüllung unseres psychischen Wesens ist es wie bei
der Vollendung unserer mentalen und vitalen Schichten unentbehrlich, es mit
seinem göttlichen Ursprung, mit der ihm entsprechenden Wahrheit in der Höchsten
Wirklichkeit in Beziehung zu bringen. Hier wie dort kann
das nur durch die Macht des Supramentals mit integraler
Vollständigkeit und einer Innigkeit getan werden, die zur authentischen
Identität wird. Das Supramental ist es, das die höhere Hemisphäre mit der
niederen des Einen Seins verbindet. Im Supramental ist das integrierende Licht,
die überhöhende Kraft, der weite Eingang in das erhabene ananda. Das von
diesem Licht und dieser Kraft emporgehobene psychische Wesen kann sich mit der
ursprünglichen Seins-Seligkeit einen, aus der es kam. Es kann die Dualitäten von
Schmerz und Lust überwinden, Mental, Vital und Körper von Furcht und Schaudern
ganz befreien und die Seinsbeziehungen in der Welt in Begriffe des Göttlichen
ananda umprägen.
Er kam zu der
Erkenntnis: Materie ist brahman.
Taittiriya Upanishad, III. 2.
Wir haben nun die rationale Gewißheit gewonnen: Leben
ist weder ein unerklärlicher Traum noch ein unmögliches Übel, das dennoch zur
schmerzvollen Tatsache geworden ist, sondern ein mächtiger Pulsschlag göttlichen
All-Seins. Wir erkennen etwas von seiner Grundlage und seinem Prinzip. Wir
schauen aufwärts zu seinen hohen Möglichkeiten und seinem erhabenen göttlichen
Aufblühen. Nun gibt es aber das eine Prinzip unterhalb all der anderen, das wir
noch nicht genügend betrachtet haben: das Prinzip der Materie, auf dem das Leben
wie auf einem Sockel steht oder aus dem es sich wie die Gestalt eines
vielästigen Baumes aus der Schale des Kerns entwickelt hat. Des Menschen Mental,
Leben und Körper hängen von diesem physischen Prinzip ab. Wenn das Aufblühen des
Lebens dadurch entsteht, daß das Bewußtsein als Mental aus ihm hervortritt, sich
ausdehnt und im Suchen nach seiner eigenen Wahrheit in die Weite des
supramentalen Seins erhebt, so scheint es doch auch durch diese Schale von
Körper und durch dieses Fundament von Materie bedingt zu sein. Die Bedeutung des
Körpers ist offensichtlich. Der Mensch ist nur deshalb über das Tier
emporgekommen, weil er einen Körper und ein Gehirn entwickelt oder empfangen
hat, die fortschreitende mentale Erleuchtung aufnehmen und sich ihrer bedienen
können. So wird er auch nur dadurch über sich selbst hinauswachsen und nicht nur
im Denken und im inneren Wesen, sondern im Leben ein vollkommenes göttliches
Menschentum verwirklichen, wenn er einen Körper oder zumindest ein tätiges
physisches Instrument entwickelt, das fähig ist, eine noch höhere Erleuchtung zu
empfangen und ihr zu dienen. Sonst wird entweder das Versprechen des Lebens
aufgehoben, seine Bedeutung annulliert, so daß das irdische Wesen
saccidananda nur realisieren kann, indem es sich selbst vernichtet, indem es
Mental, Vital und Körper von sich abschüttelt und in das reine Unendliche
zurückkehrt. Oder der Mensch ist nicht das göttliche Instrument, es gibt eine
vorausbestimmte unüberschreitbare Grenze zu
jener bewußt progressiven Macht, die ihn von allen anderen Erdenwesen
unterscheidet. Und wie er jene entthront hat, so muß schließlich er durch ein
anderes ersetzt werden, das sein Erbe antritt.
Es sieht wirklich so aus, als sei der Körper von Anfang an die große Schwierigkeit für die Seele, ihr ständiger Hemmschuh und Stein des Anstoßes. Darum hat der eifrige Sucher nach spiritueller Erfüllung seinen Bannstrahl gegen den Körper geschleudert. Seine Abscheu vor der Welt wählt vor allen anderen dieses Welt-Prinzip als besonderen Gegenstand der Verachtung. Der Körper ist ihm die düstere Last, die er nicht tragen kann. Seine widerspenstige materielle Grobheit wird für ihn zur Besessenheit, die ihn zum Leben des Asketen treibt, damit er von ihm befreit wird. Um ganz davon loszukommen, ist er soweit gegangen, die Wirklichkeit des materiellen Universums zu leugnen. Die meisten Religionen haben die Materie mit ihrem Fluch belegt und aus der Zurückweisung des physischen Lebens oder dem resignierten zeitlichen Ertragen des Lebens den Beweis für religiöse Wahrheit und Spiritualität gemacht. Die älteren Glaubensrichtungen zerteilten jedoch nicht so rigoros, sie waren geduldiger, grübelten tiefer und waren noch nicht berührt von der Qual der Seele und ihrer fiebernden Ungeduld unter der Last des Eisernen Zeitalters. Sie erkannten Erde als die Mutter und Himmel als den Vater an und erwiesen beiden in gleicher Weise ihre Liebe und Verehrung. Aber ihre alten Mysterien sind für unseren Blick dunkel und unergründlich, da wir, ob unsere Weltanschauung materialistisch oder spirituell ist, uns damit zufriedengeben, den Gordischen Knoten des Seins-Problems mit einem einzigen Hieb zu durchschneiden und die Flucht in ewige Seligkeit oder ein Ende in ewiger Vernichtung oder ewiger Stille zu akzeptieren.
In Wirklichkeit fängt dieser Streit nicht erst dann an,
wenn wir zur Erkenntnis unserer spirituellen Möglichkeiten erwachen. Er beginnt
schon dann, wenn das Leben selbst erscheint und darum kämpft, seine Aktivitäten
und seine dauernden Zusammenschlüsse lebendiger Form gegen die Kraft der
Trägheit, gegen die Kraft der Unbewußtheit, gegen die Kraft der atomaren
Auflösung dieser Aggregate zu führen, die im materiellen Prinzip der Kern der
großen Verneinung ist. Leben liegt in ständigem Krieg mit Materie. Die Schlacht
scheint stets in der sichtbaren Niederlage des Lebens zu enden und in jenem
Zusammenbruch bis hinab zu dem materiellen Prinzip, das wir Tod nennen. Mit dem
Erscheinen des Mentals vertieft sich die Gegensätzlichkeit, denn das Mental hat seinen eigenen Streit mit Leben und Materie. Es ist in
ständigem Kampf gegen ihre Beschränkungen, in ständiger Unterwerfung unter die
Trägheit und Grobheit des einen und die Leidenschaften und Leiden des anderen,
in dauernder Revolte gegen beide. Schließlich scheint – obwohl nicht ganz sicher
– der Kampf für das Mental in einem teilweisen, teuer erkauften Sieg zu enden,
bei dem es die vitalen Sehnsüchte besiegt, unterdrückt oder sogar ausrottet, die
physische Kraft verkrüppelt, und das Gleichgewicht des Körpers im Interesse
einer größeren mentalen Aktivität und eines höheren moralischen Wesens stört. In
diesem Widerstreit entsteht seine Ungeduld gegenüber dem Leben, die Abscheu vor
dem Körper und das Zurückweichen aus beiden in ein rein mentales und moralisches
Dasein. Wenn der Mensch zu einem Dasein jenseits des Mentals erwacht, weitet er
dieses Prinzip der Zwietracht noch mehr aus. Mental, Körper und Leben werden von
ihm als die Trinität der Welt, als das Fleisch, als der Teufel verdammt. Aber
auch das Mental wird als Ursprung all unserer Krankheit mit Bann belegt. Es wird
Krieg erklärt zwischen dem Geist und seinen Werkzeugen. Den Sieg des
spirituellen Bewohners sucht man darin, daß dieser aus seinem engen Haus
entflieht, Mental, Leben und Körper zurückweist und sich in die eigenen
Unendlichkeiten zurückzieht. Die Welt sei Zwietracht, wir würden ihre
Verworrenheit am besten dadurch lösen, daß wir das Prinzip der Zwietracht selbst
bis zu seiner äußersten Möglichkeit austragen, indem wir es wegschneiden und uns
endgültig von ihm trennen.
Diese Niederlagen und Siege sind aber nur scheinbar,
diese Lösung ist keine wirkliche Lösung des Problems, sondern Flucht vor ihm.
Leben wird von Materie nicht wirklich besiegt, es schließt einen Kompromiß,
indem es den Tod zur Fortsetzung des Lebens verwendet. Das Mental ist nicht
wirklich siegreich gegenüber Leben und Materie, sondern hat bisher nur eine
unvollkommene Entwicklung einiger seiner Potentialitäten auf Kosten anderer
erreicht, die eng verbunden sind mit den unverwirklichten oder verworfenen
Möglichkeiten seiner besseren Verwendung von Leben und Körper. Die individuelle
Seele hat die niedere Dreifaltigkeit nicht besiegt, sondern nur deren Anspruch
zurückgewiesen und ist dann aus dem Werk geflohen, das der Geist unternahm, als
er sich am Anfang in der Form des Universums ausprägte. Das Problem dauert fort,
weil die Arbeit des Göttlichen Wesens im Universum weitergeht, wenn sie auch
bisher keine befriedigende Lösung des Problems
oder eine irgendwie siegreiche Vollendung der Arbeit erreichte. Nun haben wir
aber den Standpunkt eingenommen, daß saccidananda Anfang, Mitte und Ende
ist. Kampf und Zwietracht können keine ewigen und fundamentalen Prinzipien in
Seinem Wesen sein. Vielmehr erfordert gerade ihre Existenz unser Mühen um
vollkommene Lösung und vollständigen Sieg. Deshalb sollen wir diese Lösung als
wirklichen Sieg des Lebens über die Materie dadurch suchen, daß das Leben frei
und vollkommen über den Körper verfügt; den wirklichen Sieg des Mentals über
Leben und Materie dadurch, daß das Mental die Lebens-Kraft und Lebens-Form frei
und vollkommen gebraucht; einen wirklichen Sieg des Geistes über die
Dreifaltigkeit dadurch, daß der bewußte Geist Mental, Leben und Körper frei und
vollkommen in Besitz nimmt. In der von uns erarbeiteten Anschauung kann allein
diese letzte Eroberung die anderen möglich machen. Um zu erkennen, wie diese
Siege überhaupt und vollauf möglich sein können, müssen wir in gleicher Weise
die Wirklichkeit von Materie herausfinden, wie wir die Wirklichkeit von Mental,
Seele und Leben entdeckt haben, als wir nach der grundlegenden Erkenntnis
suchten.
In gewissem Sinn ist Materie unwirklich und
nicht-seiend. Das heißt, unsere gegenwärtige Erkenntnis, Vorstellung und
Erfahrung von Materie ist nicht ihre Wahrheit, sondern nur ein Phänomen
besonderer Beziehung zwischen unseren Sinnen und dem All-Sein, in dem wir uns
bewegen. Wenn die Naturwissenschaft entdeckt, daß Materie sich in Formen von
Energie auflöst, hat sie eine universale und fundamentale Wahrheit gefunden. Und
wenn die Philosophie feststellt, daß Materie dem Bewußtsein gegenüber nur als
stoffliche Erscheinung existiert, während die einzige Wirklichkeit Geist oder
reines bewußtes Wesen ist, hat sie eine noch größere, vollständigere und
fundamentalere Wahrheit erfaßt. Doch bleibt noch die Frage, warum Energie diese
Form von Materie und nicht die von bloßen Kraft-Strömungen annimmt oder warum
das, was wirklich Geist ist, das Phänomen von Materie überhaupt zuläßt und nicht
in Zuständen, Willensformen und Freuden des Geistes verbleibt. Darauf antwortet
man: das sei das Wirken des Mentals, oder es sei das Werk der Sinne, da offenbar
Denken nicht unmittelbar erschafft oder auch die materielle Form der Dinge nicht
direkt wahrnimmt. Das Sinnen-Mental erschaffe die Formen, die es wahrzunehmen
scheint, und das Denk-Mental arbeite an den Formen, die ihm das Sinnen-Mental
darreicht. Offensichtlich ist aber das individuell verkörperte Mental nicht der Schöpfer des Phänomens der Materie. Das Erd-Dasein
kann nicht das Ergebnis des menschlichen Mentals sein, das selbst das Resultat
des Erd-Daseins ist. Wenn wir sagen, die Welt existiert nur in unserem Mental,
sprechen wir eine Nicht-Tatsache, eine Verwechslung aus. Die materielle Welt
existierte, bevor ein Mensch auf der Erde war, und sie wird weiter existieren,
falls der Mensch von der Erde verschwindet oder sogar unser individuelles Mental
sich im Unendlichen auflösen sollte. Wir müssen also zu dem Schluß kommen: es
gibt ein allumfassendes Mental.13 Dieses universale Mental, das für uns in der
Form des Universums unterbewußt, in seinem Geist überbewußt ist, hat diese Form
zu seiner Wohnung erschaffen. Da der Schöpfer seiner Schöpfung vorausgegangen
und größer sein muß als diese, setzt dies tatsächlich ein überbewußtes Mental
voraus, das durch die Mitwirkung eines universalen Sinnes in sich selbst die
Beziehung von Form zu Form erschafft und den Rhythmus des materiellen Universums
konstituiert. Aber auch das ist noch keine vollständige Lösung. Sie sagt uns,
Materie sei eine Schöpfung des Bewußtseins. Sie erklärt aber nicht, wie
Bewußtsein dazu kam, Materie als Basis für sein kosmisches Wirken zu erschaffen.
Das werden wir besser verstehen, wenn wir sofort zum
ursprünglichen Prinzip der Dinge zurückgehen. Sein ist in seiner Aktivität eine
Bewußte Kraft, die das Wirken ihrer Kraft ihrem Bewußtsein als Formen seines
eigenen Wesens darbietet. Da Kraft nur die Aktion eines einzigen
allein-existierenden Bewußten Wesens ist, können ihre Ergebnisse nicht anderes
als Formen dieses Bewußten Wesens sein. Stofflichkeit oder Materie ist dann nur
eine Form von Geist. Die Erscheinung, die diese Geist-Form unseren Sinnen
gegenüber annimmt, rührt von jener zerteilenden
Wirkensweise des Mentals her, aus der wir folgerichtig die gesamte
Erscheinungsform des Universums ableiten konnten. Wir wissen jetzt, daß Leben
ein Wirken von Bewußter Kraft ist, dessen Resultat materielle Formen sind. Das
in diese Formen involvierte Leben, das in ihnen zuerst als eine ihrer nicht
bewußte Kraft erscheint, tritt bei seiner Evolution daraus hervor und bringt als
Mental wieder jenes Bewußtsein zur Manifestation, das das wirkliche Selbst der
Kraft ist und nie in ihr zu existieren aufhörte, auch wenn es nicht manifest
gewesen ist. Ebenso wissen wir, daß das Mental eine untergeordnete Macht des
ursprünglichen bewußten Wissens oder des Supramentals ist, eine Macht, für die
Leben als hilfreiche Energie wirkt. Durch das Supramental herabkommend, stellt
sich nämlich Bewußtsein, chit, als Mental dar, die Kraft des Bewußtseins,
tapas, als Leben. Durch Absonderung von seiner eigenen höheren Wirklichkeit
im Supramental erweckt Leben den Anschein von Zerteilung und wird schließlich
durch Involution in seine eigene Lebens-Kraft im Leben unterbewußt und nimmt so
die äußere Erscheinung einer ihren materiellen Aktivitäten gegenüber
nicht-bewußten Kraft an. Darum muß die Nicht-Bewußtheit, die Trägheit, die
atomare Auflösung der Verbindungen der Materie ihren Grund in diesem
all-zerteilenden und sich-selbst-involvierenden Wirken von Mental haben, durch
das unser Universum ins Dasein gekommen ist. So wie das Mental nur eine letzte
Aktion des Supramentals bei seiner Herabkunft in die Schöpfung ist und Leben
eine Aktion der Bewußten Kraft, die in den durch die Herabkunft des Mentals
geschaffenen Bedingungen der Unwissenheit wirkt, so ist auch Materie, wie wir
sie kennen, nur die letzte Form, die vom Bewußt-Seienden als das Ergebnis dieses
Wirkens angenommen wurde. Materie ist Stoff des einen Bewußten Wesens, das
erscheinungsmäßig durch das Wirken eines universalen Mentals14 in sich
selbst zerteilt ist. Diese Zerteilung wiederholt das individuelle Mental und
verharrt darin. Das hebt aber die Einheit des Geistes oder die Einheit der
Energie oder die wirkliche Einheit der Materie nicht auf und verringert sie in
keiner Weise.
Warum gibt es aber
diese Zerteilung eines unzerteilbaren Seins in der äußeren Erscheinung und
Praxis? Weil das Mental das Prinzip der Vielfalt bis zur äußersten Möglichkeit
durchzuführen hat, was nur durch Absonderung und Trennung geleistet werden kann.
Dazu muß das Mental sich aus sich heraus in das Leben hinauswerfen, um Formen
für das Vielfältige zu erschaffen. Es muß dem universalen Prinzip des Wesens
statt einer reinen oder subtilen Substanz die Erscheinung einer groben,
materiellen geben. Es muß ihm sozusagen die äußere Erscheinung von Stofflichem
geben, das sich in der Berührung mit dem Mental als etwas Stabiles,
Gegenständliches in dauerhafter Vielfalt von Objekten darbietet, nicht als eine
Substanz, die sich dem Kontakt des reinen Bewußtseins als etwas aus seinem
ewigen Sein und seiner Wirklichkeit darstellt, oder den subtilen Sinnen als ein
Prinzip plastischer Form, das in freier Weise das bewußte Wesen ausdrücken kann.
Der Kontakt des Mentals mit seinen Gegenständen erschafft das, was wir Sinne
nennen; hier aber unerleuchtete, nach außen gewendete Sinne, die von der
Wirklichkeit dessen, womit sie in Kontakt kommen, überzeugt werden müssen. So
folgt der Abstieg reiner Substanz in materielle Substanz unvermeidlich dem
Abstieg von saccidananda durch das Supramental in Mental und Leben. Das
ist das notwendige Ergebnis des Willens, eine Vielfalt des Seienden und das
Wahrnehmen der Dinge von getrennten Zentren des Bewußtseins her zur ersten
Methode dieser niederen Erfahrung des Seins zu machen. Wenn wir zur spirituellen
Basis der Dinge zurückkehren, löst sich Stoffliches in seiner äußersten Reinheit
in reines bewußtes Wesen auf, das aus dem Selbst existiert und seinem
ursprünglichen Wesen gemäß durch Identität seines Selbsts inne ist, das aber
noch nicht sein Bewußtsein auf sich selbst als auf sein Objekt richtet. Dieses
Selbst-Innesein durch Identität bewahrt sich das Supramental als den Stoff
seiner Selbst-Erkenntnis und als das Licht seiner Selbst-Schöpfung. Für diese
Schöpfung stellt es aber das Sein sich selbst in der Subjekt-Objekt-Beziehung
gegenüber, als das Eine und das Vielfältige seines aktiven Bewußtseins. Hier
wird das Sein als Objekt einer höchsten Erkenntnis festgehalten, die es durch
inneres Verstehen sowohl als Objekt der Erkenntnis in sich selbst, als auch
subjektiv als sich selbst sehen kann. Die Erkenntnis kann aber auch, und zwar
gleichzeitig, durch äußeres Verstehen das Sein als ein Objekt (oder als Objekte)
der Erkenntnis in den Umkreis ihres Bewußtseins projizieren, der nichts anderes
ist als das Sein selbst, ein
Teil seines Wesens,
aber ein Teil (oder Teile), den es von sich wegstellte, das heißt: weg vom
Zentrum des Schauens, worin sich das Sein als der Wissende, als der beobachtende
Zeuge oder purusha konzentriert. Wir haben gesehen, wie aus diesem
verstehenden Bewußtsein die Bewegung des Mentals entsteht: jene Bewegung, durch
die der individuell Erkennende eine Gestaltung seines eigenen universalen Wesens
so betrachtet, als ob es ein anderes sei als er selbst. Im Göttlichen Mental
gibt es aber unmittelbar, oder vielmehr gleichzeitig, eine andere Bewegung, oder
besser die Kehrseite derselben Bewegung, einen Akt von Einung im Wesen, der
diese Zerteilung der äußeren Erscheinung aufhebt und sie daran hindert, auch nur
einen Augenblick lang für den Erkennenden zu etwas allein Wirklichem zu werden.
Dieser Akt bewußter Einung ist das, was andererseits im zerteilenden Mental
dumpf, unwissend, ganz äußerlich als Kontakt im Bewußtsein zwischen getrennten
lebendigen Wesen und gesonderten Gegenständen dargestellt wird. Bei uns wird
dieser Kontakt im geteilten Bewußtsein in erster Linie durch das Prinzip der
Sinne dargestellt. Auf diese Sinnen-Basis, auf diesen der Zerteilung
unterworfenen Kontakt der Einheit gründet sich das Wirken des Denk-Mentals, hier
bereitet es sich vor auf die Rückkehr zu einem höheren Prinzip der Einung, in
dem Zerteilung zum Anlaß der Einheit gemacht und ihr untergeordnet wird.
Substanz, wie wir sie als materielle Stofflichkeit kennen, ist also die Form, in
der das Mental, durch die Sinne handelnd, Kontakt mit dem Bewußten Wesen hält,
von dem es selbst eine Bewegung des Wissens ist.
Das Mental neigt aber, seiner Natur gemäß, dazu, den Stoff des bewußten Wesens nicht in seiner Totalität zu erkennen und zu empfinden, sondern durch das Prinzip der Zerteilung. Es sieht ihn sozusagen in unendlich kleinen Punkten, die es zusammensetzt, um zur Ganzheit zu gelangen. Das kosmische Mental versenkt sich in diese Blickpunkte und Zusammensetzungen und verbleibt in ihnen. So verwandelt es durch sein Innewohnen – durch seine eingeborene Kraft als aktiver Repräsentant der Real-Idee schöpferisch wirkend und durch seine Art gehalten, alle seine äußeren Wahrnehmungen in Lebens-Energie umzuformen – als der All-Seiende alles, was Er als Seine Selbst-Aspekte zum Ausdruck bringt, in unterschiedliche Energie Seiner schöpferischen Kraft des Bewußtseins und macht aus diesen vielfältigen Punkten Seiner Schau universalen Seins die Standpunkte allumfassenden Lebens.
Das kosmische Mental
verwandelt sie in der Materie in Formen atomaren Wesens, die von dem Leben
durchdrungen sind, das sie formt, und von dem Mental und Willen regiert werden,
die die Zerteilung bewirken. Zugleich müssen die atomaren Existenzformen, die es
so gestaltet, durch das eigene Gesetz ihres Wesens danach streben, sich
zusammenzuschließen und zu verbinden. Durchdrungen von dem verborgenen Leben,
das sie formt, und von dem verborgenen Mental und Willen, die sie antreiben,
enthalten alle diese Verbindungen in sich die Fiktion eines getrennten
individuellen Daseins. Je nachdem das Mental in solchen individuellen Objekten
oder individuellen Existenzen innerlich inaktiv oder nach außen aktiv, je
nachdem es unmanifestiert oder manifestiert ist, wird es gefördert und erhalten
entweder durch sein mechanisches Kraft-Ich, in dem der Wille-zum-Sein dumpf und
gefangen, trotzdem machtvoll ist, oder durch sein selbstbewußtes mentales Ich,
in dem der Wille-zum-Sein befreit, bewußt und gesondert aktiv ist.
So ist also nicht ein ewiges und ursprüngliches Gesetz
ewiger und ursprünglicher Materie die Ursache atomarer Existenz, sondern die Art
des Wirkens des kosmischen Mentals. Materie ist eine Schöpfung, für sie wurde
die unendlich kleine, äußerste Fragmentierung des Unendlichen als Ausgangspunkt
oder Basis benötigt. Äther mag existieren -und existiert wirklich – als
ungreifbare, fast spirituelle Unterstützung der Materie. Als äußeres Phänomen
scheint er aber, wenigstens nach unserer jetzigen Erkenntnis, materiell nicht
auffindbar zu sein. Wir mögen das sichtbare Aggregat oder das geformte Atom in
die Grundbestandteile des Atoms zerlegen, sie in den unendlich feinsten Staub
des Seienden spalten, soviel wir wollen; wir werden wegen der Eigenart von
Mental und Leben, die sie bildeten, doch nur bis zu einer äußersten atomaren
Existenz gelangen, die vielleicht instabil ist, sich aber im ewigen Strom der
Kraft immer wieder als etwas Phänomenales rekonstituiert, also keine
nicht-atomare, zu keinen Inhalten fähige Ausdehnung ist. Nicht-atomare
Ausdehnung von Substanz, eine Ausdehnung, die kein Zusammenschluß wäre, oder
Koexistenz in anderer Weise als durch Verteilung im Raum, das sind
Wirklichkeiten reinen Seins, reiner Substanz. Sie sind eine Erkenntnis des
Supramentals und ein Prinzip seiner Dynamik, aber kein schöpferisches Konzept
des zerteilenden Mentals, wenn auch das Mental hinter den eigenen Wirkensweisen
ihrer gewahr werden kann. Sie sind die der Materie zugrunde liegende
Wirklichkeit, aber nicht das Phänomen, das wir Materie nennen. Mental, Leben, Materie an sich können mit jenem reinen Sein und mit seiner
bewußten Ausdehnung in ihrer statischen Wirklichkeit geeint sein. Sie können
aber nicht in ihrer dynamischen Aktion, in ihrer Selbst-Wahrnehmung und
Selbst-Gestaltung durch dieses Einssein wirken.
Wir kommen also zu folgender Wahrheit über die Materie: Es gibt eine nach Gestaltung drängende Selbst-Ausdehnung des Wesens, die sich im Universum als Stofflichkeit oder als Objekt von Bewußtsein auswirkt. Kosmisches Mental und Leben stellen sie in ihrer schöpferischen Aktion durch atomare Teilung und Zusammensetzung als das dar, was wir Materie nennen. Aber auch diese Materie bleibt ebenso wie Mental und Leben immer Wesen oder brahman in seiner selbst-schöpferischen Aktion. Sie ist eine Form der Kraft von Bewußtem Wesen, eine Form, die ihr vom Mental gegeben und vom Leben verwirklicht wird. Sie hält in ihrem Innern, als eigene Wirklichkeit, Bewußtsein vor sich verborgen, in das Ergebnis ihrer Selbst-Gestaltung involviert und von ihr absorbiert, darum selbst-vergessen. Wie grob und sinnentleert Materie uns auch erscheinen mag, für die geheime Erfahrung des Bewußtseins, das in ihr verborgen ist, bleibt sie dennoch Seligkeit des Wesens, die sich diesem geheimen Bewußtsein als Objekt der Empfindung darbietet, um jene verborgene Gottheit aus ihrer Verborgenheit herauszulocken. Sein, geoffenbart als Stoffliches, Kraft des Wesens geprägt in Form, in eine gestaltete Selbst-Repräsentation des geheimen Selbst-Bewußtseins, und Seligkeit, die sich ihrem eigenen Bewußtsein als Objekt darbietet: was ist das anderes als saccidananda? Materie ist saccidananda, das sich Seiner eigenen mentalen Erfahrung als geformte Basis zu objektiver Erkenntnis, zum Handeln und zur Daseins-Freude darbietet.
Kapitel XXV. Der Knoten der Materie
Ich kann mich nicht
mittels der Gewalt oder der Dualität zur Wahrheit des lichten Herrn
hinbewegen... Wer sind die, die das Fundament der Falschheit schützen? Wer sind
die Wächter des unwirklichen Wortes?
Damals gab es kein Sein und kein Nicht-Sein, die Mittelwelt war nicht, noch der Äther, noch was jenseits ist. Was bedeckte alles? Wo war es? In wessen Zuflucht? Was war jener dichte und tiefe Ozean? Es gab weder Tod noch Unsterblichkeit, noch das Wissen von Tag und Nacht. Jenes Eine lebte ohne Atem durch sein Selbst-Gesetz, es gab weiter nichts und auch nichts jenseits davon. Am Anfang war Finsternis verborgen durch Finsternis, all dies war ein Ozean von Nicht-Bewußtheit. Als das universale Wesen durch Zersplitterung verhüllt wurde, da wurde durch die Macht seiner Energie Jenes Eine geboren. Dieses regte sich zuerst als Begehren im Innern; das war die Anfangs-Saat des Mentalen. Die Seher der Wahrheit entdeckten den Aufbau des Seienden im Nicht-Seienden durch einen Willen im Herzen und durch die Gedanken; deren Strahl dehnte sich horizontal aus. Aber was gab es unterhalb davon, und was gab es darüber? Es gab die, die säen, es gab Hoheiten, es gab unten das Selbst-Gesetz, es gab den Willen darüber.
Rig Veda, V.12.2,4; X.129.1-5.
Ist also der Schluß, zu dem wir gekommen sind, korrekt
– und es ist bei den Gegebenheiten, aufgrund deren wir arbeiten, nichts anderes
möglich–, dann hat die scharfe Trennung, geschaffen zwischen Geist einerseits
und Materie andererseits durch praktische Erfahrung und lange Gewohnheit des
Mentals, keine grundlegende Realität mehr. Die Welt ist eine Einheit in
Verschiedenheit, ein mannigfaltiges Einssein. Sie ist kein ständiger Versuch zu
einem Kompromiß zwischen ewigen Disharmonien, kein fortdauernder Kampf zwischen
unversöhnlichen Gegensätzen. Ein unabänderliches Einssein, das unendliche
Verschiedenheit erzeugt, ist ihr Fundament und Anfang. In der Mitte scheint ihr
wirklicher Charakter hinter offensichtlicher Zertrennung und Kampf ständige Aussöhnung zu sein, die alle möglichen grundverschiedenen
Dinge zu gewaltigen Zwecken in einem geheimen Bewußtsein und Willen kombiniert,
der stets ein einziger Wille und Herr seiner gesamten eigenen komplexen Aktion
ist. Wir müssen also vermuten, daß eine Erfüllung des hervortretenden Willens
und Bewußtseins und eine triumphierende Harmonie der Zielgedanke der Welt ist.
Substanz ist die Form dieses Bewußtseins, auf die es einwirkt. Von dieser
Substanz ist Materie das eine Ende, Geist das andere. Beide sind eins: Geist ist
die Seele und Wirklichkeit dessen, was wir mit den Sinnen als Materie erfahren,
Materie ist Form und Körper dessen, was wir als Geist realisieren.
Gewiß gibt es einen großen praktischen Unterschied. Auf ihn sind die ununterbrochene Reihe und ständig emporsteigenden Grade des Welt-Daseins gegründet. Wir sagten: Substanz ist bewußtes Sein, das sich den Sinnen als Objekt darbietet, so daß das Werk der Welt-Gestaltung und der kosmischen Progression auf der Grundlage der jeweils vollzogenen Sinnen-Beziehung voranschreiten kann. Es braucht aber nicht nur eine einzige Basis zu geben, nicht nur ein fundamentales Prinzip der Beziehung, die zwischen Sinnen und Substanz unveränderlich geschaffen wäre. Im Gegenteil, es gibt eine aufsteigende und sich entwickelnde Reihe. Wir gewahren eine andere Substanz, in der reines Mental als in seinem natürlichen Medium wirkt, die weit subtiler, flexibler, plastischer ist als alles, was unsere physischen Sinne als Materie erfassen können. Wir können von einer Mental-Substanz sprechen, weil wir eines subtileren Mediums gewahr werden, in dem Formen entstehen und Wirken stattfindet. Wir können auch von einer Substanz reiner dynamischer Lebens-Energie sprechen, die anders ist als die subtilsten Formen materieller Substanz und deren physisch empfindbare Kraftströmungen. Geist selbst ist reine Substanz des Seienden, die sich nicht mehr physischen, vitalen oder mentalen Sinnen als Objekt darbietet, sondern dem Licht einer rein spirituell wahrnehmenden Erkenntnis, in der das Subjekt zu seinem eigenen Objekt wird, d. h. in der das Zeitlose und flaumlose seiner selbst innewird in einer rein spirituell sich selbst begreifenden Selbst-Ausdehnung als der Basis und des Ur-Materials allen Daseins. Jenseits dieser Grundlage verschwindet alle bewußte Unterscheidung zwischen Subjekt und Objekt in absoluter Identität; dort können wir nicht mehr von Substanz sprechen.
Darum ist es ein rein
begrifflicher – ein spirituell, jedoch nicht mental begrifflicher – Unterschied,
der zu jener praktischen Unterscheidung führt, die den Stufengang erschafft, der
vom Geist durch das Mental hinab zur Materie führt und wieder empor von der
Materie durch das Mental zum Geist. Das wirkliche Einssein wird aber niemals
aufgehoben. Wenn wir zur ursprünglichen und integralen Betrachtung der Dinge
kommen, sehen wir, daß die Einheit niemals wirklich vermindert oder
eingeschränkt war, selbst nicht in den gröbsten Verdichtungen der Materie.
Brahman ist nicht nur die Ursache, fördernde Macht sowie das innewohnende
Prinzip des Universums, es ist auch sein Material, sein einziges Material. Auch
Materie ist brahman, sie ist nichts anderes und nicht verschieden von
ihm. Wäre Materie tatsächlich vom Geist abgeschnitten, so wäre das nicht so. Sie
ist aber, wie wir gesehen haben, nur eine abschließende Form und ein objektiver
Aspekt des Göttlichen Seins, wobei die Allheit Gottes stets in ihr und hinter
ihr gegenwärtig ist. So wie diese scheinbar grobe und träge Materie überall und
immer durchdrungen wird von einer mächtigen, dynamischen Kraft des Lebens, so
wie dieses dynamische, aber scheinbar unbewußte Leben in sich ein immer
wirkendes, nicht sichtbares Mental verborgen trägt, von dessen geheimen
Vorgängen es die sichtbare Energie ist, so wie dieses unwissende, unerleuchtete
und tastende Mental im lebenden Körper von seinem eigenen wirklichen Selbst, vom
Supramental, gefördert und souverän gelenkt wird, das in gleicher Weise auch in
der nicht-mentalisierten Materie vorhanden ist so sind die gesamte Materie
ebenso wie alles Leben, Mental und Supramental nur Erscheinungsweisen des
brahman, des Ewigen, des Geistes, des saccidananda, der nicht nur in
ihnen allen wohnt, sondern der alle diese Dinge ist, wenn auch kein einziges von
ihnen Sein absolutes Sein ausmacht.
Aber es gibt eben diese begriffliche Verschiedenheit,
diese praktische Unterscheidung. In ihr scheint die Materie, auch wenn sie nicht
wirklich vom Geist abgeschnitten ist, doch praktisch so eindeutig abgetrennt, so
verschieden, in ihrem Gesetz so entgegengesetzt, und das materielle Leben
scheint so sehr die Negation alles spirituellen Seins zu sein, daß die Ablehnung
dieses materiellen Lebens als der einzige Abkürzungsweg aus der Schwierigkeit
erscheint – wie er es zweifellos auch ist. Aber ein Abkürzungsweg oder ein
Kurzschluß ist keine Lösung. Immerhin liegt in der Materie zweifellos die
Hauptschwierigkeit. Sie verursacht das Hindernis: Wegen der Materie ist Leben
grob, begrenzt und von Tod und Leid befallen.
Wegen der Materie ist das Mental mehr als halb-blind, seine Flügel sind
beschnitten, seine Füße an das Gestänge des engen Käfigs gekettet. So wird es
zurückgehalten von der Weite und Freiheit droben, deren es bewußt ist. Darum ist
der ausschließlich nach dem Geist Suchende von seinem Gesichtspunkt aus
gerechtfertigt, wenn er, angewidert vom Schlamm der Materie, abgestoßen durch
die tierhafte Grobheit des Lebens oder ungeduldig wegen der Enge der
Selbst-Gefangenschaft und dem nach unten gerichteten Blick des Mentals,
entschlossen ist, aus all dem auszubrechen und durch Inaktivität und Schweigen
in die bewegungslose Freiheit des Geistes zurückzukehren. Das ist jedoch nicht
der einzige Gesichtspunkt. Wir brauchen ihn auch nicht deshalb als die integrale
und höchste Weisheit zu betrachten, weil er durch leuchtende, goldene Vorbilder
in hohen Ehren gehalten und verherrlicht worden ist. Vielmehr wollen wir uns von
aller Leidenschaft und Auflehnung befreien, den Sinn dieser göttlichen Ordnung
des Universums erforschen und gerade wegen dieser schwierigen Verknotung und
Verwirrung im Gewebe einer Materie, die den Geist verleugnet, die einzelnen
Fäden untersuchen, sie voneinander trennen und durch eine andere Lösung
entwirren als dadurch, daß wir den Knoten mit Gewalt durchschneiden. Wir müssen
zuerst die Schwierigkeit dieses Gegensatzes völlig, haargenau, notfalls eher
übertrieben als abgemildert, feststellen und uns dann nach einem Ausweg
umschauen.
Der fundamentale Widerspruch, den die Materie dem Geist
entgegensetzt, liegt zunächst darin, daß sie der höchste Grad des Prinzips der
Unwissenheit ist. Hier hat Bewußtsein sich in eine Form seiner Werke verloren
und seines Selbsts so vergessen, wie etwa ein Mensch, der in eine Sache äußerst
vertieft ist, nicht nur vergessen könnte, wer er ist, sondern daß er überhaupt
existiert, so daß er zeitweilig ganz zu dem Werk werden kann, das gerade
ausgeführt wird, und zu der Kraft, die es bewirkt. Es scheint, als ob der
selbst-erleuchtete Geist, der seiner selbst hinter allem Wirken der Kraft
unendlich bewußt und ihr Meister ist, verschwunden sei und überhaupt nicht
existiere. Vielleicht ist Er irgendwo, hat scheinbar aber nur eine rohe,
unbewußte, materielle Kraft zurückgelassen, die immerzu erschafft und zerstört,
ohne sich selbst zu erkennen, noch um das zu wissen, was sie schafft oder warum
sie es überhaupt erschafft oder weshalb sie es sofort wieder zerstört, wenn sie
es erschaffen hat: Sie weiß das nicht, denn sie hat kein Mental. Sie kümmert sich nicht darum, denn sie hat kein Herz. Das ist
zwar nicht die wirkliche Wahrheit, gerade nicht des materiellen Universums, da
hinter dieser täuschenden Erscheinungswelt ein Mental, ein Wille, ja noch etwas
Größeres steht als das Mental oder mentaler Wille. Doch stellt das materielle
Universum dem Bewußtsein, das in ihm aus seiner Nacht emportaucht, zunächst
gerade dieses finstere Scheinbild als Wahrheit hin. Sollte es aber nicht
Wahrheit sondern Lüge sein, ist es doch eine höchst effektive Lüge, denn sie
bestimmt entscheidend die Bedingungen unseres phänomenalen Daseins und bedrängt
all unser Sehnen und Bemühen.
Es ist das schauerliche, schreckliche, erbarmungslose Mirakel des materiellen Universums, daß aus diesem Nicht-Mental ein Mental, zumindest Mentalfunktionen hervortreten, die inmitten jener weitverbreiteten Unwissenheit existieren, welche das Gesetz des Universums ist, die nun schwächlich nach Licht ringen, individuell hilflos und nur dann weniger hilflos sind, wenn sie zur Selbstverteidigung ihre individuelle Schwäche zu Gemeinschaften organisieren. Aus dieser herzlosen Nicht-Bewußtheit und innerhalb ihrer unerbittlichen Jurisdiktion wurden Herzen geboren, voller Sehnsucht, gequält und unter der Last der blinden, gefühllosen Grausamkeit dieses eisernen Daseins blutend, einer Grausamkeit, die ihnen ihr Gesetz auferlegt und in ihrem Empfindungsvermögen fühlbar wird als brutal, wild, schauerlich. Was aber ist im Grunde hinter den Erscheinungen dieses scheinbaren Geheimnisses? Wir können erkennen, daß es das Bewußtsein ist, das sich selbst verloren hatte, das nun wieder zu sich selbst zurückkehrt, das langsam und schmerzvoll aus dieser riesenhaften Selbst-Vergessenheit als Leben auftaucht, das empfindend sein möchte, das halb-empfindend, dumpf empfindend ist, ganz empfindet und schließlich danach ringt, mehr als nur empfindend zu sein, das wieder in göttlicher Art seiner selbst bewußt, frei, unendlich, unsterblich werden will. Bis dahin muß es aber weiter unter einem Gesetz wirken, das das Gegenteil von alledem ist, unter den Bedingungen der Materie, d. h. also gegen die Gewalt der Unwissenheit. Die Bewegungen, denen es folgen, die Werkzeuge, die es verwenden muß, sind für es von dieser groben und zerteilten Materie verfertigt und legen ihm bei jedem Schritt Unwissenheit und Beschränkung auf.
Der zweite fundamentale Widerspruch der Materie gegen
den Geist ist ihre äußerste Gebundenheit an ein mechanisches Gesetz und ihr Widerstand gegen alles, was sich zu befreien sucht, in Gestalt
kolossaler Trägheit. Nicht, daß Materie an sich träge wäre. Sie ist vielmehr
unendliche Bewegung, unfaßbare Kraft und schrankenlose Aktion, deren grandiose
Bewegungen unsere ständige Bewunderung verdienen. Während aber Geist frei ist,
Herr seiner selbst und seiner Werke, nicht durch sie gebunden, Schöpfer des
Gesetzes und nicht sein Untertan, ist diese riesenhafte Materie durch ein festes
mechanisches Gesetz streng an Ketten gelegt. Das Gesetz ist ihr aufgezwungen,
sie versteht es nicht, noch hat sie es je begriffen. Vielmehr arbeitet sie ohne
Bewußtheit, wie eine Maschine schafft, die nicht weiß, wer sie geschaffen hat,
durch welche Abläufe sie wirkt und zu welchem Ziel. Wenn dann Leben erwacht und
die physische Form und materielle Kraft zu beherrschen und alle Dinge nach
seinem Willen und für seine Bedürfnisse zu verwenden sucht und wenn später
Mental bewußt wird und das Wer, das Warum und das Wie seiner selbst und aller
Dinge zu erkennen sucht und vor allem sein Wissen dazu verwenden will, das
eigene, freiere Gesetz und sein vom Selbst gelenktes Wirken den Dingen
aufzuerlegen, scheint die materielle Natur zunächst nachzugeben, sogar
zuzustimmen und zu helfen, wenn auch erst nach Kampf, widerstrebend und nur bis
zu einem gewissen Punkt. Jenseits dessen aber widersetzt sich Materie mit
hartnäckiger Trägheit, Obstruktion und Negation und überzeugt sogar Leben und
Mental, daß sie nicht weitergehen und ihren Teilsieg nicht bis zum Ende
ausfechten können. Leben kämpft darum, sich auszuweiten, zu verlängern, und hat
einen gewissen Erfolg. Wenn es aber seine äußerste Weite und die Unsterblichkeit
sucht, stößt es auf die eiserne Obstruktion der Materie und findet sich an die
Enge und an den Tod gefesselt. Das Mental versucht, dem Leben zu helfen. Es will
dabei seinen eigenen Impuls erfüllen, alle Erkenntnis zu umfassen, alles Licht
zu werden, Wahrheit zu besitzen und Wahrheit zu sein, Liebe und Freude regieren
zu lassen und Liebe und Freude zu sein. Es gibt aber stets das Abgleiten vom
Weg, Irrtum und Grobheit der materiellen Lebensinstinkte und die Verneinung und
Behinderung der materiellen Sinne und physischen Werkzeuge. Immer verfolgt
Irrtum seine Erkenntnis. Finsternis ist der unzertrennliche Gefährte und
Hintergrund seines Lichts. Wahrheit wird mit Erfolg gesucht. Sie hört aber auf,
Wahrheit zu sein, wenn sie gerade ergriffen ist, und das Suchen muß weitergehen.
Es gibt Liebe, aber sie kann keine wahre Befriedigung finden. Freude ist da, sie
kann sich aber nicht rechtfertigen. Beide
schleppen
als Ketten hinter sich her oder werfen als ihren Schatten, was ihr eigener
Gegensatz ist: Zorn und Haß, Gleichgültigkeit, Überdruß, Kummer und Schmerz. Die
Trägheit, mit der die Materie auf die Forderungen von Mental und Leben
antwortet, verhindert den Sieg über die Unwissenheit und über die brutale Kraft,
die die Macht der Unwissenheit ist.
Wollen wir wissen, warum das so ist, erkennen wir, daß
der Erfolg dieser Trägheit und Behinderung von einer dritten Macht der Materie
herrührt. Der dritte fundamentale Widerspruch, den Materie gegen den Geist
erhebt, liegt darin, daß Materie in höchstem Grade das Prinzip von Zerteilung
und gegenseitigem Kampf ist. Obwohl in Wirklichkeit unteilbar, ist gerade die
Teilbarkeit ihre ganze Aktions-Basis, von der je abzuweichen ihr verboten zu
sein scheint. Denn ihre beiden einzigen Methoden zur Vereinigung sind entweder
der Zusammenschluß von Einheiten oder eine Angleichung, die die Zerstörung der
einen Einheit durch die andere voraussetzt. Diese beiden Methoden zur Einung
sind ein Bekenntnis zur ewigen Zerteilung, da auch die erstere eher äußerlich
zusammenfügt als wirklich vereinigt und durch ihr eigenes Prinzip die ständige
Möglichkeit und deshalb letztlich die Notwendigkeit von Trennung des Verbundenen
und seine Auflösung zugibt. Beide Methoden beruhen auf Tod. Die eine verwendet
ihn als Mittel zum Leben, die andere als dessen Bedingung. Beide setzen für die
Welt-Existenz ständigen gegenseitigen Kampf der zerteilten Einheiten voraus.
Jede ist bemüht, sich durchzusetzen, ihre Zusammenschlüsse aufrechtzuerhalten,
das zu zwingen oder zu zerstören, was sich ihr widersetzt, es in sich
hineinzunehmen, anderes Leben als Nahrung zu verzehren. Dabei sind aber die
zerteilten Einheiten zur Revolte gegen jeden Zwang, gegen Zerstörung und
Angleichung durch Verschlingen sowie zur Flucht vor alledem getrieben. Wenn das
vitale Prinzip mit seinen Aktivitäten in der Materie hervortritt, findet es dort
für sein gesamtes Wirken nur diese Basis vor und ist gezwungen, sich unter das
Joch zu beugen. Es muß das Gesetz von Tod, Begehren, Einschränkung und diesen
ständigen Kampf akzeptieren, zu verzehren, zu besitzen, zu herrschen, was wir
als den ersten Aspekt des Lebens kennen. Wenn das mentale Prinzip sich in der
Materie offenbart, muß es von Form und Material her, in denen es wirkt, dasselbe
Prinzip der Beschränkung akzeptieren. Es muß suchen ohne gesichertes Finden. Es
muß ständig verbinden und das Auseinanderfallen seiner Gewinne und der Bestandteile seiner Werke erfahren. So scheint es, daß die vom
Menschen, dem mentalen Wesen, gewonnene Erkenntnis niemals endgültig ist, frei
von Zweifeln und Verleugnung. Sein ganzes Mühen scheint dazu verurteilt, in
einem Rhythmus von Aktion und Reaktion, von Machen und Rückgängigmachen, in
Zyklen von Erschaffen, kurzem Erhalten und langer Zerstörung zu verlaufen ohne
einen bestimmten und gesicherten Fortschritt.
Besonders und höchst verhängnisvoll ist es, daß Unwissenheit, Trägheit und Zerteilung der Materie dem in ihr hervortretenden vitalen und mentalen Dasein das Gesetz von Schmerz und Leiden aufzwingen, die Unruhe und Unzufriedenheit mit ihrem Status von Zerteilung, Trägheit und Unwissenheit. Unwissenheit an sich würde zu keinem Leiden der Unzufriedenheit führen, wenn das mentale Bewußtsein völlig unwissend wäre, wenn es in einer Gewohnheits-Schale steckenbleiben könnte, ohne daß es seiner eigenen Unwissenheit bewußt wird, oder wenn es nichts ahnen würde von dem unendlichen Meer von Bewußtsein und Erkenntnis, das sein Leben umgibt. Aber gerade zu diesem Ahnen erwacht das in der Materie hervortretende Bewußtsein. Zuerst fühlt es seine Unkenntnis der Welt, in der es lebt und die es erkennen und beherrschen muß, um glücklich zu sein. Zweitens wacht in ihm die Erkenntnis auf, wie öde und beschränkt letztlich dieses Wissen ist, wie mager und unsicher die Macht und das Glück sind, die es einbringt. So tritt in ihm das unendliche Bewußtsein, ein Wissen und wahres Wesen hervor, in dem allein es überlegenes, unendliches Glück finden könnte. Auch die Behinderung durch Trägheit würde keine Unruhe und Unzufriedenheit mit sich bringen, wenn das vitale, in der Materie auftauchende Empfinden völlig träge wäre, wenn es zufrieden gehalten werden könnte mit seinem eigenen halb-bewußten, begrenzten Dasein, ohne dessen gewahr zu werden, daß es eine unendliche Macht und ein unsterbliches Sein gibt, worin es als dessen Teil und doch getrennt von ihm lebt; oder wenn es nichts in sich besäße, das es zu dem Bemühen antreibt, wirklich an dieser Unendlichkeit und Unsterblichkeit teilzunehmen. Aber gerade das zu suchen und zu fühlen, wird alles Leben von Anfang an getrieben. Es fühlt seine Unsicherheit sowie die Notwendigkeit zu überdauern und den Kampf um seine Erhaltung und Selbst-Bewahrung. So werden dem Leben schließlich die Grenzen seines Daseins bewußt, und es fühlt immer mehr den Antrieb, Weite und Dauer, das Unendliche und das Ewige zu gewinnen.
Wenn das Leben im
Menschen völlig selbst-bewußt wird, erreicht dieses unvermeidliche Ringen, Mühen
und Sehnen seinen Höhepunkt. Leid und Zwietracht der Welt werden zu brennend
empfunden, als daß sie noch geduldig ertragen werden könnten. Der Mensch mag
sich lange Zeit beruhigen, indem er sich mit seinen Beschränkungen abzufinden
sucht oder seinen Kampf auf so viel Herrschaft begrenzt, als er über die von ihm
bewohnte materielle Welt gewinnen kann, auf einen gewissen physischen oder
mentalen Sieg seiner progressiven Erkenntnis über das, was in seinem Unbewußten
fixiert ist, auf einen Sieg seines kleinen konzentrierten bewußten Willens und
dessen Macht über seine dumpf-getriebenen schauerlichen unbewußten Kräfte. Aber
auch hier stößt er auf Beschränkung, auf den armseligen Mangel an Beweiskraft
auch der besten Ergebnisse, die er erzielen kann. So ist er gezwungen, darüber
hinauszuschauen. Das Endliche in ihm kann sich nicht auf die Dauer
zufriedengeben, solange es einer Endlichkeit bewußt wird, die umfassender ist
als es, oder eines Unendlichen jenseits von ihm, nach dem es weiterstreben kann.
Und selbst wenn das Endliche so zufriedengestellt werden könnte, kann doch das
nur scheinbar endliche Wesen, das sich als ein in Wirklichkeit unendliches
fühlt, oder das einfach die Gegenwart, den Impuls oder das Drängen eines
Unendlichen in seinem Inneren empfindet, nie zufrieden werden, ehe nicht diese
beiden ausgesöhnt sind, ehe es nicht das Unendliche besitzt oder in gewissem
Grad und Maß dessen Eigentum ist. Der Mensch ist solch eine endlich scheinende
Unendlichkeit. Er kommt nicht um das Suchen nach der Unendlichkeit herum. Er ist
der erstgeborene Sohn der Erde, der unbestimmt des Gottes in seinem Inneren,
seiner Unsterblichkeit oder seines Bedürfnisses nach Unsterblichkeit bewußt
wird. Sein Suchen nach Erkenntnis ist eine Peitsche, die ihn vorwärtstreibt, ist
wie ein Kreuz, an das er geschlagen wird, bis er es in eine unerschöpfliche
Quelle von Licht, Freude und Macht umwandeln kann.
Diese fortschreitende Entwicklung, diese wachsende
Offenbarung göttlichen Bewußtseins, diese Manifestation von Kraft, Wissen und
Willen, die sich in die Unwissenheit und Trägheit von Materie verloren hatte,
könnte wohl ein glückliches Aufblühen sein, das von Freude zu größerer, zuletzt
unendlicher Freude weitergeht, wenn es nicht das Prinzip der strengen Zerteilung
gäbe, von dem Materie ausgegangen ist. Weil der Einzelne in seinem persönlichen
Bewußtsein eines abgesonderten und begrenzten Mentals, Lebens und Körpers
eingeschlossen ist, wird verhindert, was sonst
das natürliche Gesetz unserer Entwicklung wäre. Dadurch kommt in den Körper das
Gesetz von Anziehung und Abstoßung, von Verteidigung und Angriff, von Zwietracht
und Schmerz. Da jeder Körper eine begrenzte bewußte Kraft ist, fühlt er sich dem
Angriff, der Einwirkung, dem gewalttätigen Kontakt einer anderen ebenso
begrenzten bewußten Kraft oder universaler Kräfte ausgesetzt. Wo er den Einbruch
dieser Kräfte fühlt oder unfähig ist, das auf ihn einwirkende und sein
empfangendes Bewußtsein miteinander zu harmonisieren, erleidet er Unbehagen und
Schmerz, wird er angezogen oder zurückgestoßen, muß er sich verteidigen oder
angreifen. Immer steht er unter der Forderung, das auf sich zu nehmen, was er
nicht erleiden will oder kann. Im Mental der Gefühle und im Sinnen-Mental ruft
das Gesetz der Zerteilung dieselben Reaktionen hervor. Hier sind es die höheren
Werte von Kummer und Freude, Liebe und Haß, Unterdrückung und
Niedergeschlagenheit, die alle in Begriffen des Verlangens ausgeprägt werden.
Durch Verlangen werden sie in Anstrengung und Bemühen umgeformt, durch die
Anstrengung in ein Übermaß und einen Mangel an Kraft, in Unfähigkeit, in den
Rhythmus von Erfolg und Enttäuschung, Besitzen und Zurückweichen und in
ständiges Ringen, Unruhe und Verdrießlichkeiten. In das Mental als Ganzes bringt
dieses Prinzip der Zerteilung nicht ein göttliches Gesetz, demgemäß eine weniger
umfassende Wahrheit in eine umfassendere Wahrheit einströmt, schwächeres Licht
in helleres Licht emporgehoben, ein niederer Wille einem höheren, ihn
transformierenden Willen unterworfen wird und eine dürftige Befriedigung
fortschreitet zu edlerer und vollständigerer Zufriedenheit. Vielmehr bringt
dieses Gesetz ähnliche Dualitäten mit sich: Wahrheit wird verfolgt von Irrtum,
Licht von Finsternis, Macht von Unfähigkeit, Freude am Erstreben und Erlangen
vom Schmerz des Mißerfolgs und der Unzufriedenheit mit dem Erreichten. Zusammen
mit dem Kummer von Leben und Körper nimmt das Mental seine Anfechtungen auf sich
und wird des dreifachen Mangels und Ungenügens unseres natürlichen Wesens inne.
All das bedeutet die Verleugnung von ananda, die Verneinung der Trinität
von saccidananda und schließlich, wenn die Verneinung unüberwindlich sein
sollte, Sinnlosigkeit des Daseins. Wenn sich das Sein nach außen hin in das
Spiel von Bewußtsein und Kraft verausgabt, muß es diese Bewegung nicht nur für
sich selbst suchen, sondern in diesem Spiel auch Befriedigung finden. Wenn im
Welten-Spiel keine wahre Befriedigung gefunden werden kann, muß
es offensichtlich zuletzt aufgegeben werden als eitler Versuch,
gewaltiger Fehler, Fieberwahn des sich verkörpernden Geistes.
Das ist die ganze Grundlage der pessimistischen Weltanschauung -sie ist vielleicht optimistisch im Blick auf jenseitige Welten und Zustände, aber pessimistisch bezüglich des irdischen Lebens und des Schicksals des mentalen Menschen in seinen Beziehungen zum materiellen Universum. Denn sie versichert: Es sei eitel Selbsttäuschung, für das Welt-Spiel ein Ziel, eine göttliche Absicht und höchste Erfüllung zu suchen, da der wahre Charakter des materiellen Daseins Zerteilung ist. Der wirkliche Kern des verkörperten Mentals sei Selbst-Beschränkung, Unwissenheit und Egoismus. Nur in einem Himmel des Geistes, nicht in der Welt, oder höchstens in der wahren Stille des Geistes, nicht aber in dessen Aktivitäten in der Erscheinungswelt könnten wir wieder Sein und Bewußtsein mit der göttlichen Selbst-Seligkeit vereinigen. Das Unendliche könne sein Selbst nur dadurch wiedergewinnen, daß es den Versuch, sein Selbst im Endlichen zu finden, als Irrtum und falschen Schritt verwerfe. Auch könne das Hervortreten eines mentalen Bewußtseins im materiellen Universum keine Verheißung göttlicher Erfüllung mit sich bringen. Denn das Prinzip der Zerteilung gehöre nicht eigentlich der Materie an sondern dem Mental. Materie sei nur eine Illusion des Mentals. Das Mental führe sein Gesetz der Zerteilung und Unwissenheit in die Materie ein. Darum könne das Mental innerhalb dieser Illusion nur sich selbst finden. Es könne nur zwischen den drei Begriffen des von ihm geschaffenen zerteilten Daseins herumirren. Hier könne es weder die Einheit des Geistes noch die Wahrheit des spirituellen Seins finden.
Nun trifft zwar zu: das Prinzip der Zerteilung in der
Materie kann nur eine Schöpfung des zerteilten Mentals sein, das sich ins
materielle Dasein hinabgelassen hat. Denn dieses materielle Dasein hat kein
Selbst-Sein, es ist kein ursprüngliches Phänomen, sondern eine von einer alles
zerteilenden Lebens-Kraft erschaffene Form, die die Konzeptionen eines alles
zerteilenden Mentals ausarbeitet. Indem das zerteilende Mental das Wesen in
diesen Erscheinungen der Unwissenheit, Trägheit und Zerteilung von Materie
herausarbeitet, hat es sich selbst verloren und in ein von ihm geschaffenes
Verließ eingesperrt, wo es in selbst-geschmiedeten Ketten gebunden ist. Sollte
es wahr sein, daß das zerteilende Mental das erste Prinzip der Schöpfung ist,
müßte es ebenso auch die letzt-mögliche Errungenschaft in der Schöpfung sein:
Und dann wäre das mentale Wesen, das vergebens
mit Leben und Mental ringt, diese nur bewältigt, um selbst von ihnen überwältigt
zu werden, und das ewig einen ergebnislosen Rundlauf wiederholt, auch das letzte
und höchste Wort kosmischen Seins. Aber keine solche Konsequenz ergibt sich. Im
Gegenteil, es ist der unsterbliche, unendliche Geist, der sich selbst in das
dichte Gewand materieller Substanz eingehüllt hat und dort durch die höchste
schöpferische Macht des Supramentals wirkt. Es läßt die Zerteilung des Mentals
und die Herrschaft des niedersten oder materiellen Prinzips nur als anfängliche
Voraussetzungen für ein gewisses evolutionäres Spiel des Einen in den Vielen zu.
Wenn, mit anderen Worten, nicht nur ein mentales Wesen in den Formen des
Universums verborgen ist sondern das unendliche Wesen, Wissen und Wollen und
wenn dieses aus der Materie zuerst als Leben und dann als Mental hervortritt und
alles übrige von ihm noch gar nicht geoffenbart ist, muß das Emportauchen von
Bewußtsein aus dem scheinbaren Nicht-Bewußten auf andere und vollkommenere Art
begriffen werden. Das Erscheinen eines supramentalen spirituellen Wesens, das
seinem mentalen, vitalen und körperlichen Wirken ein höheres Gesetz als das des
zerteilenden Mentals auferlegt, ist nicht mehr unmöglich. Im Gegenteil, es ist
das natürliche, unvermeidliche Schlußergebnis der Eigenart kosmischen Seins.
Ein solches supramentales Wesen würde, wie wir gesehen haben, das Mental aus der Verknotung durch sein zerteiltes Dasein befreien und die Individualisierung des Mentals lediglich als mögliche untergeordnete Aktion des alles umfassenden Supramentals verwenden. Ebenso würde es das Leben aus der Verknotung seines zerteilten Daseins befreien und die Individualisierung des Lebens lediglich als nützliche untergeordnete Aktion der Einen Bewußten Kraft verwenden, die ihr Wesen und ihre Freude in einer unterschiedlichen Einheit zur Erfüllung bringt. Gibt es dann einen Grund, daß der Mensch nicht auch das körperliche Dasein von dem jetzigen Gesetz des Todes, der Zerteilung, des gegenseitigen Verzehrens befreien und die Individualisierung des Körpers lediglich als untergeordneten Begriff des einen göttlichen Bewußten Seins für die Freude des Unendlichen an der Endlichkeit dienstbar machen sollte? Warum sollte dieser Geist nicht in seiner souveränen Verfügung über die Form frei und auch im Wandel seines Gewandes aus Materie bewußt unsterblich, Besitzer seiner Selbst-Seligkeit in einer Welt sein, die dem Gesetz von Einheit, Liebe und Schönheit untertan ist?
Wenn durch den
Menschen, den Bewohner des irdischen Seins, letztlich diese Umwandlung des
Mentalen in das Supramentale bewirkt werden soll, ist es dann nicht möglich, daß
er einen göttlichen Körper ebenso wie ein göttliches Mental und göttliches Leben
entwickeln kann? Sollte diese Formulierung für unsere gegenwärtigen begrenzten
Auffassungen von menschlicher Entwicklungsmöglichkeit zu schockierend sein,
lautet die Frage: Könnte der Mensch nicht in der Entfaltung seines wahren
Wesens, von dessen Licht, Freude und Macht zu göttlicher Verwendung von Mental,
Leben und Körper kommen, wodurch die Herabkunft des Geistes in die Gestaltungen
zugleich menschlich und göttlich gerechtfertigt würde?
Dieser höchsten irdischen Möglichkeit könnte nur eines im Wege stehen, daß unsere gegenwärtige Anschauung von der Materie und ihren Gesetzen die einzig mögliche Beziehung zwischen Sinnen und Substanz, zwischen dem Göttlichen Wesen als dem Wissenden und dem Göttlichen Wesen als Objekt darstellt, oder daß andere Beziehungen zwar möglich, hier jedoch unmöglich sind, nur auf höheren Seinsebenen gesucht werden müßten. In diesem Fall hätten wir unsere göttliche Erfüllung in jenseitigen Himmeln zu suchen, wie das die Religionen versichern. Ihre anderen Verheißungen vom Reich Gottes oder dem Reich der Vollkommenheit auf Erden müßten dann als Illusion abgetan werden. Dann könnten wir hier nur eine Vorbereitung erstreben oder einen inneren Sieg erlangen. Wenn wir Mental, Leben und Seele im Inneren befreit haben, müßten wir uns zurückziehen aus dem unüberwundenen und unüberwindlichen materiellen Prinzip, aus einer nicht-regenerierten unwandelbaren Erde, um anderswo unsere göttliche Substanz zu finden. Es gibt jedoch keinen Grund, diese unsere Entwicklung begrenzende Schlußfolgerung anzunehmen. Ganz gewiß gibt es auch andere Zustandsformen, selbst der Materie. Es gibt zweifellos eine aufsteigende Reihe göttlicher Stufenfolgen von Substanz. Es gibt die Möglichkeit, daß sich das materielle Wesen durch die Annahme eines Gesetzes umgestaltet, das höher ist als das ihm jetzt eigene, das dennoch das seine ist, da es in seinen geheimen Bereichen stets latent und potentiell vorhanden war.
Kapitel XXVI. Die aufsteigende Reihe der Substanz
Es gibt ein Selbst, das
aus dem Wesen der Materie ist. Es gibt ein anderes inneres Selbst des Lebens,
das das erstere füllt. Es gibt ein anderes inneres Selbst das Mentals. Es gibt
ein anderes inneres Selbst des Wahrheits-Wissens. Es gibt ein anderes inneres
Selbst der Seligkeit.
Taittiriya Upanishad, II. 1–5.
Sie erklimmen Indra wie eine Leiter. Wie wenn jemand einen Berggipfel nach dem anderen ersteigt, so wird dort das viele klar, das noch zu tun ist. Indra bringt Bewußtsein von Jenem als dem Ziel. Wie ein Falke, wie eine Weihe, laßt Er Sich auf dem Gefäß nieder und trägt es empor. In Seinem Strom von Bewegung entdeckt Er die Strahlen, denn Er schreitet einher in der Rüstung Seiner Waffen: Er läßt sich von der Meeresbrandung der Gewässer emportragen. Als ein großer König erklärt Er den vierten Zustand. Wie ein Sterblicher, der seinen Körper läutert, wie ein Streitroß, das zur Eroberung von Schätzen galoppiert, schleudert Er Seinen Aufruf durch alle Hüllen hindurch und dringt in diese Gefäße ein.
Rig Veda, I.10., I.2; IX.96.19, 20.
Wenn wir überlegen, was uns am meisten den materiellen
Charakter der Materie darstellt, sehen wir, es sind ihre Aspekte von solider
Festigkeit, Greifbarkeit, zunehmendem Widerstand und starker Reaktion auf den
Kontakt durch die Sinne. Substanz scheint eher wahrhaft materiell und real zu
sein in dem Verhältnis, wie sie uns einen soliden Widerstand entgegensetzt und
sich kraft dieses Widerstands als Dauerhaftigkeit einer sinnlich wahrnehmbaren
Form erweist, an die sich unser Bewußtsein halten kann. Je subtiler sie ist, je
weniger dicht sie Widerstand leistet und von den Sinnen auf die Dauer erfaßt
wird, umso weniger materiell scheint sie uns zu sein. Diese Einstellung unseres
gewöhnlichen Bewußtseins zur Materie ist ein Symbol für den wesentlichen Zweck,
für den Materie erschaffen wurde. Substanz geht in den materiellen Zustand über,
damit sie dem mit ihr befaßten Bewußtsein dauerhafte, fest
greifbare Abbilder liefert, an die sich das Mental ruhig halten kann, um darauf
sein Wirken zu gründen, und damit das Leben sie zu handhaben vermag mit
wenigstens relativer Sicherheit von Dauer in der Form, auf die es einwirkt.
Darum wurde in der alten vedischen Formel Erde, als Typus der solideren Zustände
der Substanz, als symbolischer Name für das materielle Prinzip genommen. Darum
ist auch für uns Berührung oder Kontakt die wesentliche Grundlage der
Sinnesfunktionen. Alle übrigen physischen Sinne, Schmecken, Riechen, Hören,
Sehen, gründen sich auf eine Reihe immer subtiler und mittelbarer werdender
Kontakte zwischen dem Wahrnehmenden und dem Wahrgenommenen. In gleicher Weise
sehen wir in der Klassifikation der Sankhya-Philosophie bei den fünf elementaren
Zustandsformen der Substanz vom Äther bis zur Erde, daß für sie eine ständige
Progression vom Subtileren zum weniger Subtilen charakteristisch ist, so daß wir
am höchsten die subtilen Vibrationen des Ätherischen haben und an der unteren
Basis die gröbere Dichtigkeit der irdischen oder festen elementaren Bedingung.
Darum ist Materie die letzte uns bekannte Stufe in der Progression der Substanz
zur Basis kosmischer Beziehung, in der das erste Wort nicht Geist, sondern Form
sein soll, und zwar Form in ihrer äußerst möglichen Entwicklung von
Konzentration, Widerstandsfähigkeit, dauerhafter grober Anschaulichkeit,
gegenseitiger Undurchdringlichkeit, dem Höhepunkt von Unterscheidung, Sonderung
und Teilung. Das ist Absicht und Charakter des materiellen Universums, es ist
die Formel vollendeter Teilbarkeit.
Wenn es in der Stufenfolge der Substanz von Materie zum
Geist eine aufsteigende Reihe gibt, wie das der Natur der Dinge nach sein muß,
so ist sie notwendigerweise durch eine fortschreitende Verminderung dieser für
das physische Prinzip besonders charakteristischen Eigenschaften gekennzeichnet
und durch ein progressives Anwachsen der entgegengesetzten kennzeichnenden
Qualitäten, das uns zur Formel einer rein spirituellen Selbst-Ausdehnung führen
wird. Das bedeutet, daß die Eigenschaften durch immer geringere Bindung an die
Form charakterisiert sein müssen, durch immer feinere Subtilität und
Flexibilität von Substanz und Kraft, durch ein stärkeres gegenseitiges
Sichverschmelzen, Sichdurchdringen, durch die Macht zur Assimilation, zum
Austausch, zur Variation, zur Umwandlung und Vereinigung. Wenn wir uns von der
Dauerhaftigkeit der Form zurückziehen, nähern wir uns der Ewigkeit des
Wesenhaften. Treten wir aus unserem Kräfteverhältnis in der ständigen Absonderung und dem Widerstand der physischen Materie
zurück, so kommen wir hin zum höchsten göttlichen Kräfteverhältnis in der
Unendlichkeit, Einheit und Unteilbarkeit des Geistes. Zwischen grober
Stofflichkeit und reiner Geist-Substanz muß das die fundamentale Antinomie sein.
In der Materie ballt sich chit, die Bewußte Kraft, zur Masse zusammen, um
immer mehr gegen andere Massen der gleichen Bewußten Kraft Widerstand zu leisten
und sich gegen sie durchzusetzen. In der Substanz des Geistes schaut sich reines
Bewußtsein in seinem Empfinden seiner selbst als frei, mit einer wesenhaften
Unteilbarkeit und einem ständig einenden Austausch; das ist die grundlegende
Formel auch im abwechslungsreichsten Spiel seiner eigenen Kraft. Zwischen diesen
beiden Polen liegt die Möglichkeit für eine unendliche Folge von Stufen.
Diese Überlegungen erhalten große Bedeutung, wenn wir
die mögliche Beziehung zwischen göttlichem Leben und göttlichem Mental der
vervollkommneten menschlichen Seele einerseits und dem sehr groben, scheinbar
ungöttlichen Körper oder der Formel physischen Wesens betrachten, in dem wir
tatsächlich existieren. Diese Formel ergibt sich aus einer gewissen festgelegten
Beziehung zwischen Sinnen und Substanz, von der das materielle Universum
ausgegangen ist. Aber ebenso wie diese Beziehung nicht die einzig mögliche
Beziehung ist, so ist auch diese Formel nicht die einzig mögliche Formel. Leben
und Mental mögen sich in einer veränderten Beziehung zur Substanz manifestieren
und andersartige physische Gesetze, andere und umfassendere Gewohnheiten, ja
sogar eine andersartige Substanz des Körpers mit einer freieren Aktion der
Sinne, einer freieren Aktion des Lebens, einer freieren Aktion des Mentals
ausarbeiten. Tod, Zertrennung, gegenseitiger Widerstand und Ausschließlichkeit
zwischen verkörperten Massen derselben bewußten Lebens-Kraft sind die Formel
unseres jetzigen physischen Daseins. Das Joch, das diese Formel, die im
tierhaften Körper ausgedrückt ist, den höheren Prinzipien auferlegte, sind enge
Begrenzung des Spiels der Sinne, Festsetzung innerhalb eines kleinen Kreises im
Raum, Dauer und Macht der Lebensvorgänge, Verfinsterung, lahme Bewegung,
gebrochenes und gehemmtes Tätigsein des Mentals. Diese Dinge sind aber nicht der
einzige mögliche Rhythmus der kosmischen Natur. Es gibt höhere Zustandsformen,
höhere Welten. Wenn deren Gesetz durch irgendeinen Fortschritt des Menschen und
irgendeine Befreiung unserer Substanz von ihren jetzigen Unvollkommenheiten
dieser sensiblen Gestalt und dem Instrument
unseres Wesens auferlegt werden kann, mag es selbst hier zum physischen Wirken
eines göttlichen Mentals und göttlicher Sinne kommen, zum physischen Wirken
eines mehr göttlichen Lebens in der menschlichen Gestalt und sogar zu einer
Evolution auf der Erde von etwas, das wir einen menschlichen Körper von
göttlicher Art nennen könnten. Auch der Körper des Menschen mag eines Tages zu
seiner verklärten Gestalt gelangen. Auch die Erden-Mutter mag in uns ihre
Göttlichkeit offenbaren.
Selbst in der Formel des physischen Kosmos gibt es eine aufsteigende Reihe auf der Skala der Materie, die uns von der dichteren Materie zur weniger dichten, von der weniger subtilen zur subtileren führt. Was liegt aber jenseits des Punkts, mit dem wir den höchsten Begriff dieser Reihe, die höchste supraätherische Feinheit materieller Substanz oder Formulierung von Kraft erreicht haben? Nicht ein Nichts, nicht eine Leere; denn dort gibt es nicht so etwas wie absolute Leere oder wirkliche Nichtsheit. Was wir mit einem solchen Namen bezeichnen, liegt einfach jenseits von dem, was unsere Sinne, unser Mental oder unser subtilstes Bewußtsein erfassen können. Es ist auch nicht wahr, daß es nichts jenseits davon gäbe oder daß eine ätherische Substanz der ewige Uranfang der Materie sei. Wir wissen doch, daß Materie und materielle Kraft nur das letzte Ergebnis einer reinen Substanz und reinen Kraft sind, in denen das Bewußtsein in erleuchteter Weise seiner selbst inne ist und sich in seinem Selbst besitzt, also nicht, wie in der Materie, in unbewußtem Schlaf und träger Bewegung seinem Selbst verloren ging. Was ist also dort zwischen dieser materiellen Substanz und jener reinen Substanz? Wir machen keinen Sprung von der einen zur anderen, wir gehen nicht ohne Obergang aus dem Nicht-Bewußten in absolutes Bewußtsein über. Es muß Grade geben – und es gibt sie auch – zwischen unbewußter Substanz und äußerst selbstbewußter Selbst-Ausdehnung, wie es solche Grade zwischen dem Prinzip der Materie und dem Prinzip des Geistes gibt.
Alle Menschen, die überhaupt in diese Abgründe
eingedrungen sind, stimmen darin überein und bezeugen, daß es eine Reihe immer
subtilerer Formulierungen von Substanz gibt, die mit dem Schema des materiellen
Universums nicht greifbar sind und darüber hinausgehen. Ohne tief in Dinge
einzudringen, die für unsere jetzige Untersuchung zu okkult und schwierig sind,
können wir im Anschluß an das System, auf das wir uns gründen, sagen: man kann
diese Stufenfolgen von Substanz in einem wichtigen
Aspekt ihrer Formulierung in der Reihe sehen und zwar in ihrer Entsprechung zur
emporsteigenden Skala von Materie, Leben, Mental und Supramental und zu jener
anderen höheren göttlichen Dreifaltigkeit von saccidananda. Mit anderen
Worten: wir finden, daß sich Substanz in ihrem Aufstieg auf diese Prinzipien
gründet und sich nacheinander zu einem charakteristischen Träger des
herrschenden kosmischen Selbst-Ausdrucks von jedem in der aufsteigenden Reihe
dieser Prinzipien macht.
Hier in der materiellen Welt gründet sich alles auf die
Formel von materieller Substanz. Sinne, Leben, Denken haben ihre Basis in dem,
was man im Altertum die Erden-Macht nannte. Sie gehen von ihr aus, gehorchen
ihren Gesetzen, passen ihr Wirken diesem fundamentalen Prinzip an, begrenzen
sich durch seine Möglichkeiten und müssen, wenn sie andere Prinzipien entwickeln
wollen, gerade bei dieser Entwicklung die ursprüngliche Formel, ihr Ziel und
ihre Anforderung an die göttliche Evolution berücksichtigen. Die Sinne arbeiten
mittels physischer Instrumente, das Leben durch ein physisches Nervensystem und
vitale Organe. Das Mental muß seine Tätigkeit auf eine dingliche Basis gründen
und materielle Vermittlung verwenden. Selbst seine rein mentalen Betätigungen
müssen die so gewonnenen Daten als Feld und Stoff benutzen, auf die es einwirkt.
In der wesenhaften Natur von Mental, Sinnen und Leben gibt es keine
Notwendigkeit, so beschränkt zu bleiben. Denn die physischen Sinnes-Organe sind
nicht die Schöpfer der Sinnes-Wahrnehmungen, sondern selbst Schöpfung,
Instrumente und hier notwendiges Hilfsmittel des kosmischen Zentral-Sinnes. Das
Nervensystem und die vitalen Organe sind nicht die Schöpfer von Aktion und
Reaktion des Lebens, sondern selbst Schöpfung, Instrumente und hier notwendige
Hilfsmittel der kosmischen Lebens-Kraft. Das Gehirn ist nicht der Schöpfer des
Denkens, sondern selbst Schöpfung, Instrument und hier notwendiges Hilfsmittel
des kosmischen Mentals. Die Notwendigkeit ist also nicht absolut, sondern
zweckbestimmt. Sie ist das Ergebnis eines göttlichen kosmischen Willens im
materiellen Universum, der hier eine physische Beziehung zwischen den Sinnen und
ihrem Objekt herzustellen beabsichtigt, der hier eine materielle Formel und ein
Gesetz Bewußter Kraft festsetzt und dadurch physische Ebenbilder von Bewußtem
Wesen erschafft, die als anfängliche, beherrschende und bestimmende Tatsache der
Welt dienen, in der wir leben. Das ist kein fundamentales Gesetz des Seienden,
sondern ein konstruktives Prinzip, das
erforderlich ist durch die Absicht des Geistes, sich in einer Welt von Materie
zu entwickeln.
Im nächsten Grad von Substanz ist die anfängliche, vorherrschende und bestimmende Tatsache nicht weiter substantielle Form und Kraft, sondern Leben und bewußtes Begehren. Darum muß die Welt jenseits dieser materiellen Ebene eine auf bewußte kosmische vitale Energie, auf eine Kraft vitalen Suchens und eine Kraft von Begehren gegründete Welt und deren Selbst-Ausdruck sein. Ihre Basis ist nicht mehr ein unbewußter oder unterbewußter Wille, der die Form materieller Kraft und Energie annimmt. Von dieser Anfangs-Tatsache von Bewußtem Leben, dem Materie und Mental sich zu unterwerfen haben, müssen alle Formen, Körper, Kräfte, Lebensbewegungen, Sinnenbewegungen, Gedankenbewegungen, Entwicklungen, höchsten Errungenschaften und Selbst-Erfüllungen dieser Welt beherrscht und bestimmt sein. Sie müssen von hier ausgehen, sich darauf gründen, durch ihre Gesetze, Mächte, Fähigkeiten, Grenzen beschränkt oder ausgewertet sein. Wenn das Mental hier noch höhere Möglichkeiten zu entwickeln sucht, muß es dabei auch die ursprüngliche vitale Formel der Kraft des Begehrens, ihren Zweck und ihre Anforderung an die göttliche Manifestation berücksichtigen.
Ebenso ist es bei den höheren Stufen. Die nächste in
der Reihe muß von dem beherrschenden und bestimmenden Faktor des Mentals regiert
werden. Dort muß die Substanz subtil und flexibel genug sein, daß sie die ihr
unmittelbar vom Mental auferlegten Gestaltungen annehmen kann, seiner
Wirkensweise gehorcht, sich seiner Forderung nach Selbst-Ausdruck und
Selbst-Erfüllung unterordnet. Auch die Beziehungen zwischen Sinnen und Substanz
sollen eine entsprechende Feinheit und Biegsamkeit haben und dürfen bestimmt
sein nicht durch Beziehungen wie zwischen physischen Organen und physischem
Objekt, sondern wie zwischen Mental und subtilerer Substanz, auf die das Mental
einwirkt. Das Leben einer solchen Welt wäre dann in einer Weise der Diener des
Mentals, wie sich das unsere schwachen mentalen Funktionen und unsere
begrenzten, primitiven, rebellischen vitalen Fähigkeiten kaum angemessen
vorstellen können. Dort herrscht das Mental als die ursprüngliche Formel, seine
Absicht hat Übergewicht, seine Forderungen haben im Gesetz der göttlichen
Manifestation vor allen anderen Vorrang. In einem noch höheren Bereich ersetzen
das Supramental – oder, in der Zwischensphäre, die von ihm beeinflußten Prinzipien
– oder, noch höher, reine Seligkeit, reine Bewußte Macht
oder reines Wesen das Mental und sind dort das vorherrschende Prinzip. Hier
betreten wir die Bereiche des kosmischen Daseins, die für die Seher der alten
Veden die Welten erleuchteten göttlichen Seins und der Ursprung dessen waren,
was sie Unsterblichkeit nannten, was sich spätere indische Religionen dann in
Sinnbildern als Himmel, brahma-loka oder goloka, vorstellten, als
einen höchsten Selbst-Ausdruck des Wesens als Geist, in dem die in ihre höchste
Vollkommenheit befreite Seele die Unendlichkeit und Glückseligkeit der ewigen
Gottheit besitzt. Dieser stetig emporsteigenden Erfahrung und der über die
materielle Formulierung der Dinge hinaus erhobenen Schau liegt folgendes Prinzip
zugrunde: Alles kosmische Dasein ist eine komplexe Harmonie und findet sein Ende
nicht am begrenzten Bereich des Bewußtseins, in dem eingesperrt zu sein sich das
gewöhnliche menschliche Mental und Leben zufrieden geben. Wesen, Bewußtsein,
Kraft, Substanz kommen auf einer vielsprossigen Leiter herab und steigen auf ihr
empor. Auf jeder ihrer Sprossen hat das Wesen umfassendere Selbst-Ausdehnung,
das Bewußtsein ein ausgedehnteres Empfinden seines eigenen Bereiches, seiner
Größe und Freude; die Kraft größere Intensität und raschere, freudvollere
Befähigung; die Substanz gibt ihre Grund-Wirklichkeit subtiler, plastischer,
strahlender und biegsamer wieder. Denn das Subtilere ist auch das Machtvollere,
– man könnte sagen, es ist das wahrhaft Konkrete. Es ist weniger gefesselt an
das Grobe. Es hat in seinem Wesen längere Dauer, zusammen mit größerer
Wirkungsmöglichkeit, Plastizität und Reichweite in seinem Werden. Jedes Plateau
im Bergland des Wesens eröffnet unserer sich ausweitenden Erfahrung eine höhere
Bewußtseinsebene und unserem Dasein eine reichere Welt.
Wie beeinflußt aber diese aufsteigende Reihe die Möglichkeiten unseres materiellen Daseins? Sie würde gar nicht auf sie einwirken, wenn jede Bewußtseins-Ebene, jede Welt des Wesens, jede Art von Substanz, jeder Grad kosmischer Kraft vollständig abgetrennt wäre von dem, was ihm vorausgeht und nachfolgt. Aber das Gegenteil ist wahr. Die Manifestation des Geistes ist ein komplexes Gewebe. In den Entwurf und das Muster eines einzigen Prinzips dringen alle anderen als Elemente des spirituellen Ganzen ein. Unsere materielle Welt ist das Ergebnis aller anderen Welten. Denn die anderen Prinzipien sind alle in die Materie herabgekommen, um das physische Universum zu erschaffen.
Jedes Teilchen dessen,
was wir Materie nennen, enthält sie alle in sich eingeschlossen. Ihr geheimes
Wirken ist, wie wir gesehen haben, in jeden Augenblick ihres Seins und jeden
Augenblick ihrer Aktivität involviert. So wie Materie das letzte Wort der
Herabkunft ist, so ist sie auch das erste Wort des Aufstiegs. So wie die Mächte
all dieser Ebenen, Welten, Stufen, Grade in das materielle Dasein involviert
sind, so sind sie alle auch fähig zur Evolution aus ihm. Aus diesem Grund
beginnt und endet auch das materielle Wesen nicht mit Gasen, chemischen
Zusammensetzungen und physischen Kräften oder Bewegungen, mit Nebeln, Sonnen und
Erdkörpern, sondern es entwickelt Leben, entfaltet Mental und muß zuletzt zur
Evolution des Supramentals und der höheren Grade spirituellen Seins führen.
Evolution kommt zustande durch den unaufhörlichen Druck der supra-materiellen
Ebenen auf die materielle, der sie zwingt, deren Prinzipien und Mächte aus sich
zu entbinden, die andernfalls begreiflicherweise, eingesperrt in die Starrheit
der materiellen Formel, geschlafen hätten. Das ist jedoch so unwahrscheinlich,
da ihr Auftreten einen Zweck ihrer Entbindung voraussetzt. Diese Notwendigkeit
von unten wird aber tatsächlich noch sehr stark durch entsprechenden Druck von
oben unterstützt.
Die Evolution kann nicht mit den ersten dürftigen Formulierungen von Leben, Mental, Supramental und Geist enden, wie sie diesen höheren Mächten von der widerstrebenden Macht der Materie zugebilligt werden. Denn in dem Maß, wie sie sich entwickeln, wie sie erwachen, immer aktiver werden und danach drängen, ihre eigenen Potenzen zu entfalten, muß auch der Druck von den höheren Ebenen auf sie immer mehr an Dringlichkeit, Macht und Wirkungsstärke zunehmen, ein Druck, der in das Dasein, den engen Zusammenhang und die gegenseitige Abhängigkeit der Welten involviert ist. Diese Prinzipien müssen sich nicht nur von unten her in beschränktem und eingeengtem Auftauchen offenbaren, sondern müssen auch von oben in ihrer charakteristischen Macht und dem vollen, ihnen möglichen Aufblühen in das materielle Wesen herabkommen. Die materielle Schöpfung muß sich für ein immer umfassenderes Spiel ihrer Aktivitäten in der Materie öffnen. Nötig dazu ist ein geeignetes Empfangsorgan, ein Medium und Instrument. Dafür ist mit Körper, Leben und Bewußtsein des Menschen vorgesorgt.
Gewiß wäre dieser Körper, dieses Leben und dieses
Bewußtsein nur ein sehr unzureichender Begriff für die Evolution, wenn sie
begrenzt blieben auf die Möglichkeiten des groben Körpers, was alles ist, das unsere physischen Sinne und unsere physische Mentalität akzeptieren.
Der Mensch dürfte dann nicht hoffen, etwas wesentlich Größeres als das zu
vollenden, was er bis jetzt zustande brachte. Dieser Körper ist aber, wie die
alte okkulte Wissenschaft entdeckte, nicht einmal das Ganze unseres physischen
Wesens. Diese grobe Dichte ist nicht unsere ganze Substanz. Die älteste
vedantische Erkenntnis spricht zu uns von fünf Graden unseres Wesens: dem
Materiellen, dem Vitalen, dem Mentalen, dem Idealen und dem Spirituellen oder
dem Glückseligen. Jedem dieser Grade unserer Seele entspricht ein Grad unserer
Substanz, eine Hülle, wie das in der alten Bildsprache genannt wurde. Eine
spätere Psychologie fand, daß diese fünf Umhüllungen unserer Substanz das
Material von drei Körpern seien: des grob-physischen, des subtilen und des
kausalen, in denen allen die Seele gegenwärtig und gleichzeitig wohnt, obwohl
wir hier und jetzt nur oberflächlich des materiellen Trägers bewußt sind. Es ist
aber möglich, daß wir ebenso auch in unseren anderen Körpern unser Bewußtsein
entfalten können. Tatsächlich verursacht das Öffnen der trennenden Vorhänge
zwischen ihnen, das heißt also zwischen unseren physischen, psychischen und
ideellen Personalitäten, jene “psychischen” oder “okkulten” Phänomene, die man
jetzt in wachsendem Maß – jedoch noch zu wenig und zu plump -in ihrer wirklichen
Bedeutung zu erforschen beginnt, während man sie zugleich viel zu sensationell
ausbeutet. Indiens Yogins des alten Hatha-Yoga und des tantrischen Yoga hatten
schon lange aus diesem höheren menschlichen Leben und seinen Körperfunktionen
eine Wissenschaft entwickelt. Sie hatten sechs Nervenzentren des Lebens in dem
dicht-materiellen Körper entdeckt, denen sechs Zentren von Lebens- und
Mental-Fähigkeiten im subtilen Körper entsprechen. Sie hatten subtile physische
Übungen entwickelt, durch die diese jetzt geschlossenen Zentren geöffnet werden
können. Dadurch kann der Mensch in das höhere psychische Leben, das unserem
subtilen Wesen entspricht, eintreten. Es konnten sogar die physischen und
vitalen Widerstände gegen die Erfahrung des idealen und spirituellen Wesens
beseitigt werden. Es ist bedeutungsvoll, daß eines der hervorragendsten, von den
Hatha-Yogins als Erfolg ihrer Übungen ausgegebenen Ergebnisse in vieler Hinsicht
bestätigt wurde: eine Kontrolle der physischen Lebenskraft, die sie von manchem
durch Gewohnheit in uns Fixierten oder von den sogenannten Gesetzen befreit, die
von der physischen Wissenschaft für unabtrennbar vom Leben im Körper gehalten
werden.
Hinter all diesen
Begriffen psycho-physischer Wissenschaft des Altertums liegt das eine große
Faktum und Gesetz unseres Wesens: Hinter dem gegenwärtigen Ausgleich von Form,
Bewußtsein und Macht in dieser materiellen Evolution, was immer er sein mag, muß
ein größeres, wahreres Sein existieren, das auch wirklich existiert, von dem
dieses hier nur das äußere Ergebnis und der physisch greifbare Aspekt ist.
Unsere Substanz endet nicht mit dem physischen Körper. Er ist nur unser
irdischer Sockel, die Basis für unsere Erd-Existenz, der materielle
Ausgangspunkt. So wie es hinter unserer erwachten Mentalität noch unermeßliche
Bereiche von Bewußtsein gibt, die ihr unterbewußt oder überbewußt sind, deren
wir manchmal auf abnorme Art innewerden, so gibt es hinter unserem groben
physischen Wesen andere und subtilere Grade von Substanz mit einem feineren
Gesetz und einer größeren Macht, die den dichteren Körper tragen und fördern.
Wenn wir in die zu ihnen gehörigen Bereiche des Bewußtseins eintreten, können
sie dazu gebracht werden, jenes Gesetz und jene Macht unserer dichten Materie
aufzuerlegen, und wir können so die Grobheit und Begrenztheit unseres
gegenwärtigen physischen Lebens, unserer Impulse und Gewohnheiten durch ihre
reineren, höheren und intensiveren Wesens-Bedingungen ersetzen. Sollte das
wirklich so sein, erscheint die Evolution eines edleren physischen Daseins, das
nicht begrenzt ist durch die gewöhnlichen Bedingungen tierhafter Geburt, durch
Leben und Tod, durch schwierige Ernährung, die dauernde Bedrohung durch
Unordnung und Krankheit sowie das Unterworfensein unter armselige, unbefriedigte
vitale Sehnsüchte, nicht mehr als Traum und Chimäre. Sie wird zu einer auf
rationale und philosophische Wahrheit gegründeten Möglichkeit, die in Einklang
steht mit allem, was wir bisher erkannt und erfahren haben oder was wir uns von
einer offenbaren oder geheimen Wahrheit unseres Daseins denken können.
So sollte es auch vernunftgemäß sein; denn die
ununterbrochene Reihe der Prinzipien unseres Wesens und ihre enge Verbindung
untereinander ist zu offensichtlich, als daß es möglich wäre, ein einziges der
Prinzipien zu verdammen und auszuschalten, während die anderen zu göttlicher
Befreiung fähig sind. Der Aufstieg des Menschen vom Physischen empor bis zum
Supramentalen muß die Möglichkeit eröffnen, daß er auch entsprechend auf den
Stufen der Substanz bis zu jenem idealen und kausalen Körper emporsteigen kann,
der eigentlich zu unserem supramentalen Wesen gehört. Die Eroberung der niederen Prinzipien durch das Supramental und deren Befreiung zum göttlichen
Leben und zu göttlicher Mentalität muß auch den Sieg über unsere physischen
Beschränkungen durch die Macht und das Prinzip supramentaler Substanz möglich
machen. Das bedeutet aber nicht nur Evolution eines unbehinderten Bewußtseins,
unseres Mentals und unserer Sinne, die nicht mehr in die Wände des physischen
Ichs eingeschlossen oder auf die ärmliche Grundlage unserer von den physischen
Sinnesorganen gelieferten Erkenntnis eingeengt sind, sondern auch Evolution
einer Lebens-Macht, die immer mehr von ihren sterblichen Beschränkungen befreit
ist, und eines physischen Lebens, das einem göttlichen Bewohner entspricht in
dem Sinn, daß wir nicht mehr an unsere gegenwärtige körperliche Struktur
gebunden bleiben oder durch sie Restriktionen erleiden, sondern das Gesetz des
physischen Körpers völlig überwinden: das ist der Sieg über den Tod, die
Unsterblichkeit hier auf der Erde. Denn aus der göttlichen Seligkeit, der
ursprünglichen Seins-Wonne, kommt der Herr der Unsterblichkeit und gießt den
Wein jener Seligkeit, das mystische Soma, in diese Gefäße mentalisierter
lebendiger Materie. Ewig und herrlich geht er in diese Hüllen von Substanz ein,
um Wesen und Natur vollständig zu transformieren.
Kapitel XXVII. Das siebenfache Geflecht des Seienden
In der Unwissenheit
meines Gemüts frage Ich nach diesen Stufen der Götter, die im Inneren errichtet
sind. Die allwissenden Götter haben das einjährige Kind genommen und
sieben Garne um es gewoben, um dieses Gewebe zu machen.
Rig Veda, I.164.5
Bei unserer Erforschung der sieben großen Prinzipien des Seienden, die die Seher des Altertums als die Grundlage und siebenfältige Art alles kosmischen Daseins festlegten, haben wir jetzt die Stufenfolge von Evolution und Involution erkannt und sind bis zur Basis des Wissens gelangt, nach dem wir streben. Wir legten als Ursprung, Inhalt, anfängliche und letzte Wirklichkeit all dessen, was im Kosmos existiert, das dreieinige Prinzip von transzendentem und unendlichem Sein, Bewußtsein und Seligkeit dar, das die Art göttlichen Wesens ist. Bewußtsein hat zwei Aspekte: einen erleuchtenden und einen wirksamen, Zustand und Macht von Selbst-Erkenntnis und Zustand und Macht von Selbst-Kraft, wodurch sich das Seiende in seinem statischen Zustand wie in seiner dynamischen Bewegung selbst besitzt. Denn in seiner schöpferischen Aktion weiß es durch allmächtiges Selbst-Bewußtsein alles, was latent in seinem Inneren ist; es bringt das Universum seiner Macht-Möglichkeiten durch eine allwissende Selbst-Energie hervor und regiert es. Diese schöpferische Aktion des All-Seienden hat ihre Verknüpfung im vierten vermittelnden Zwischen-Prinzip des Supramentals oder der Real-Idee, worin ein mit Selbst-Sein und Selbst-Gewahren geeintes göttliches Wissen und ein in völligem Einklang mit diesem Wissen befindlicher substantieller Wille – denn er ist selbst in seiner Substanz und Natur jenes selbst-bewußte, in erleuchtetem Wirken dynamische Selbst-Sein – unfehlbar Bewegung, Form und Gesetz der Dinge in richtiger Übereinstimmung mit ihrer selbst-seienden Wahrheit und in Harmonie mit den Bedeutungen ihrer Manifestation entfalten.
Die Schöpfung hängt ab von dem zweieinigen Prinzip von
Einheit und Vielfalt, sie bewegt sich zwischen beiden. Sie ist eine Vielfalt von
Idee, Kraft und Form, die der Ausdruck ursprünglicher Einheit ist. Und sie ist
ewige Einheit, die Grundlage und Wirklichkeit der vielfältigen Welten ist und ihr Spiel möglich macht. Supramental verwirklicht sich darum
durch die doppelte Fähigkeit: durch verstehende und wahrnehmende Erkenntnis.
Fortschreitend von der wesenhaften Einheit zu der sich daraus ergebenden
Vielfalt versteht es alle Dinge in sich als sich selbst, das Eine in seinen
vielfältigen Aspekten. Und es nimmt alle Dinge gesondert wahr als Gegenstände
seines Willens und Wissens. Zwar sind für sein ursprüngliches Selbst-Bewußtsein
alle Dinge ein einziges Wesen, ein einziges Bewußtsein, ein einziger Wille, eine
einzige Seligkeit im Selbst und die ganze Bewegung der Dinge ein einziger und
unteilbarer Ablauf. In seiner Aktion schreitet aber das Supramental von der
Einheit fort zur Vielfalt und wieder von der Vielfalt zur Einheit und erschafft
so eine geordnete Beziehung zwischen ihnen sowie den äußeren Anschein, doch
keine bindende Wirklichkeit, einer Zerteilung: eine subtile, nicht-zertrennende
Teilung, eher eine Abgrenzung und Bestimmung innerhalb des Unteilbaren. Das
Supramental ist die göttliche Gnosis, die die Welten erschafft, regiert und in
ihrem Bestehen erhält: es ist die verborgene Weisheit, die sowohl unser Wissen
wie unsere Unwissenheit trägt.
Wir haben auch entdeckt, daß Mental, Leben und Materie ein dreifacher Aspekt dieser höheren Prinzipien sind, die, soweit das unser Universum betrifft, dem Prinzip der Unwissenheit untergeordnet wirken, jener vordergründigen und scheinbaren Selbstvergessenheit des Einen in seinem Spiel der Teilung und Vielfalt. In Wirklichkeit sind diese drei Prinzipien nur untergeordnete Mächte der göttlichen Vierfaltigkeit: Das Mental ist eine untergeordnete Macht des Supramentals, das sich auf die Basis der Zerteilung stellt und hier tatsächlich die dahinterstehende Einheit vergißt, obwohl es fähig ist, durch Wiedererleuchtung vom Supramental her zu ihr zurückzukehren. In ähnlicher Weise ist Leben eine untergeordnete Macht des Energie-Aspekts von saccidananda. Es ist Kraft, die die Form und das Spiel bewußter Energie vom Standpunkt der vom Mental geschaffenen Zertrennung her ausarbeitet. Materie ist die Form der Substanz des Wesens, die das Sein von saccidananda annimmt, wenn es sich dieser Aktion seines eigenen Bewußtseins und seiner Kraft in der äußeren Erscheinungswelt unterwirft.
Hinzu kommt noch ein viertes Prinzip, das an der
Verbindungsstelle von Mental, Leben und Körper in Erscheinung tritt. Wir nennen
es die Seele. Sie erscheint uns aber in doppelter Weise: vordergründig als die Begehren-Seele, die nach Besitz und Genuß der Dinge strebt, und
dahinter, weitgehend oder völlig durch die Begehren-Seele verborgen, die wahre
seelische Wesenheit, der wirkliche Speicher für die Erfahrungen des Geistes. Wir
sind zu dem Schluß gekommen, daß dieses vierte Prinzip im Menschen eine
Projektion und Aktion des dritten göttlichen Prinzips unendlicher Seligkeit ist.
Sein Wirken geschieht jedoch in den Begriffen unseres Bewußtseins und unter den
Bedingungen der Seelen-Evolution in dieser Welt. Wie das Sein des Göttlichen
Wesens seiner Natur nach unendliches Bewußtsein und die Selbst-Macht dieses
Bewußtseins ist, so ist die Natur seines unendlichen Bewußtseins lautere
unendliche Seligkeit. Besitz des Selbsts und Innesein des Selbsts sind das Wesen
seiner Selbst-Seligkeit. Auch der Kosmos ist ein Spiel dieser göttlichen
Selbst-Seligkeit, und die Seligkeit dieses Spiels gehört völlig dem
Allumfassenden. Aber wegen des Wirkens von Unwissenheit und Zerteilung wird sie
im einzelnen Menschen in dessen subliminalem und überbewußtem Wesen
zurückbehalten. Sie fehlt in unserem vordergründigen Dasein. Wir müssen sie
suchen, finden und in Besitz nehmen, indem wir das individuelle Bewußtsein zur
Universalität und Transzendenz hin entwickeln.
Wir können also, wenn wir wollen, acht statt sieben Prinzipien aufstellen. (Die Seher des Veda sprechen von sieben Strahlen, aber auch von acht, neun, zehn oder zwölf.) Dann erkennen wir, daß unser Dasein eine Art Widerschein des göttlichen Seins ist, eine umgekehrte Ordnung von Auf- und Abstieg in folgender Reihenfolge:
Sein Materie
Bewußtseins-Kraft Leben
Seligkeit Seele
Supramental Mental
Das Göttliche Wesen kommt aus dem reinen Sein herab in
das kosmische Wesen durch das Spiel von Bewußtseins-Kraft und Seligkeit sowie
durch das schöpferische Medium Supramental. Wir steigen zum göttlichen Wesen
empor von der Materie durch die Entwicklung von Leben, Seele und Mental sowie
durch das erleuchtende Medium Supramental. Die Verknüpfung zwischen diesen
beiden Hemisphären, der höheren und der niederen, parardha und
aparardha, ist dort, wo Mental und Supramental zusammentreffen, mit einem
Vorhang dazwischen. Bedingung für das göttliche Leben in der Menschheit ist, daß
der Vorhang zerrissen wird. Denn das Mental kann sein göttliches Licht im all-umgreifenden Supramental wiedergewinnen, die Seele ihr göttliches
Selbst im alles besitzenden, all-wonnevollen ananda verwirklichen, Leben
seine göttliche Macht im Spiel einer allmächtigen Bewußten Kraft neu erwerben,
Materie sich für ihre göttliche Freiheit als eine Form göttlichen Seins öffnen,
wenn der Schleier zerrissen wird, das höhere Wesen erleuchtend in die Natur des
niederen Wesens herabkommt und das niedere kraftvoll in die Art des höheren
emporsteigt. Sollte es für die Evolution, die gegenwärtig ihre Krone und ihr
Haupt hier im menschlichen Wesen findet, ein Ziel und nicht nur zweckloses
Herumirren im Kreis und individuelle Flucht aus diesem Kreislauf geben und
sollte die unendliche Machtmöglichkeit dieser menschlichen Kreatur, die allein
hier zwischen Geist und Materie dasteht in der Vollmacht, zwischen beiden zu
vermitteln, einen anderen Sinn haben, als zuletzt aus der Enttäuschung des
Lebens aufgeweckt zu werden durch Verzweiflung und Abscheu vor dem kosmischen
Bemühen und dann alles ganz abzulehnen, – muß gerade solch erleuchtende und
machtvolle Umwandlung und das Hervortreten des Göttlichen Wesens in der
menschlichen Kreatur jenes hoch-erhabene Ziel und jene höchste Sinnerfüllung
sein.
Bevor wir uns aber den psychologischen und praktischen
Bedingungen zuwenden können, unter denen eine solche verklärende Umgestaltung
aus nur wesenhafter Möglichkeit zur dynamischen Macht der Verwirklichung werden
kann, haben wir noch viel zu bedenken. Müssen wir doch nicht nur die
wesentlichen Prinzipien der Herabkunft von saccidananda in das kosmische
Dasein klar erkennen, was wir bereits getan haben, sondern auch den umfassenden
Plan seiner hiesigen Ordnung und die Art und Aktion der manifestierten Macht von
Bewußter Kraft, die über den Bedingungen regiert, unter denen wir jetzt
existieren. Zuerst müssen wir erkennen, daß die sieben oder acht von uns
untersuchten Prinzipien für die gesamte kosmische Schöpfung wesentlich sind. Sie
sind hier, manifestiert oder noch nicht manifestiert, in uns selbst, in diesem
“einjährigen Kind”, das wir noch sind, – denn wir sind noch weit davon entfernt,
die Erwachsenen der evolutionären Natur zu sein. Die höhere Dreieinigkeit ist
Ursprung und Basis allen Daseins und seines Spiels, und der gesamte Kosmos ist
Ausdruck und Wirken ihrer wesenhaften Wirklichkeit. Kein Universum kann nur eine
Form des Wesens sein, die absolutem Nicht-Sein entsprungen wäre, sich in einer
absoluten Leere gestaltet hätte und nun dasteht vor dem Hintergrund einer nicht-seienden Öde. Das Universum muß entweder selbst eine
Gestalt des Seins sein innerhalb des unendlichen Seins, das jenseits aller
Gestaltung ist, oder es ist notwendigerweise selbst das All-Sein. Wenn wir unser
Selbst mit dem kosmischen Wesen einen, sehen wir, daß es in Wahrheit beides
zugleich ist. Das heißt, es ist der All-Seiende, der Sich Selbst ausformt in
eine unendliche Reihe von Rhythmen innerhalb Seiner eigenen, alles umgreifenden
Ausdehnung Seiner Selbst als Zeit und Raum. Wir sehen darüber hinaus, daß diese
oder jede kosmische Aktion unmöglich ohne das Spiel einer unendlichen Kraft des
Seins geschehen kann, die alle diese Formen und Bewegungen hervorbringt und
lenkt. Und diese Kraft setzt genauso die Aktion eines unendlichen Bewußtseins
voraus oder ist selbst diese Aktion, denn sie ist ihrer Natur nach kosmischer
Wille, der alle Beziehungen bestimmt und sie durch seine Art des Erkennens
wahrnimmt. Er könnte sie aber nicht so bestimmen und wahrnehmen, wenn es nicht
hinter dieser Art kosmischen Erkennens ein umgreifendes Bewußtsein gäbe, damit
durch es die Beziehungen des Wesens in der sich entwickelnden Gestaltung oder im
Werden seiner selbst, was wir das Universum nennen, verursacht, festgehalten,
fixiert und reflektiert werden.
Schließlich muß eine unermeßliche Selbst-Seligkeit
Ursache, Wesen und Ziel des kosmischen Daseins sein, da Bewußtsein auf diese
Weise allwissend und allmächtig, in völlig erleuchtetem Besitz seiner selbst ist
und ein so erleuchteter Besitz mit Notwendigkeit und seiner wahren Natur nach
Seligkeit ist (es kann nichts anderes sein). Der Seher des Altertums sagt: “Gäbe
es nicht diesen allumfassenden Äther von Seins-Seligkeit, in dem wir wohnen, und
wäre diese Wonne nicht unser eigener Äther, könnte niemand atmen, niemand
leben.” Die Selbst-Seligkeit mag unterbewußt werden, scheinbar unserem äußeren
Menschen verloren gehen, muß aber nicht nur dort an den Wurzeln unseres Wesens
vorhanden, sondern alles Dasein muß dem Wesen nach das Suchen und Streben sein,
diese Seligkeit zu entdecken und zu besitzen. In dem Maße, in dem sich die
menschliche Kreatur im Kosmos selbst findet, muß sie zu einer Erfahrung dieser
geheimen Ekstase erwachen: in Willen und Macht oder in Licht und Erkenntnis oder
in Wesen und Weite oder in Liebe und Freude selbst. Freude des Wesens, Entzücken
in der Realisation durch Erkenntnis, Wonne am Besitzen durch Wille und Macht
oder durch schöpferische Kraft, Ekstase der Einung in Liebe und Freude, das sind
die höchsten Begriffe sich ausbreitenden Lebens,
denn sie sind das Wesen des Seins selbst in seinen verborgenen Wurzeln und auf
seinen noch unsichtbaren Höhen. Überall, wo kosmisches Dasein sich manifestiert,
müssen also diese drei hinter ihm und in ihm sein.
Aber unendliches Sein, Bewußtsein und Seligkeit
brauchten überhaupt nicht in sichtbares Wesen herauszutreten; und wenn sie es
tun, müßte es kein kosmisches Dasein, könnte es einfach eine Unendlichkeit von
Gestaltungen sein ohne festgelegte Ordnung oder Beziehung, wenn sie nicht den
vierten Begriff, das Supramental oder die göttliche Gnosis, in sich enthalten,
entfalten und aus sich hervorbringen würden. In jedem Kosmos muß es eine Macht
von Wissen und Willen geben, die aus einer unendlichen Potentialität
feststehende Beziehungen fixiert, die Früchte aus den Saaten entfaltet, den
mächtigen Rhythmus kosmischen Gesetzes ablaufen läßt und die Welten schaut und
regiert als ihr unsterblicher und unendlicher Seher und Herrscher. (“Der Seher,
der Denker, Er, der überall im Werden hervortritt, der Selbst-Seiende.” Isha
Upanishad, 8) Diese Macht ist in Wirklichkeit nichts anderes als Er Selbst,
saccidananda. Sie erschafft nichts, was nicht in ihrem Selbst-Sein enthalten
ist. Aus diesem Grund ist alles kosmische und wirkliche Gesetz nichts von außen
her Auferlegtes; es kommt vielmehr von innen. Alle Entwicklung ist
Selbst-Entwicklung, alle Saat und ihre Früchte sind Saat einer Wahrheit der
Dinge und Früchte aus dieser Saat, bestimmt durch ihre potentiellen Kräfte. Aus
demselben Grund ist kein Gesetz absolut, denn nur das Unendliche ist absolut,
und alles enthält in sich endlose, weit über seine determinierte Form und den
festgelegten Ablauf hinausgehende Entfaltungsmöglichkeiten, die nur durch eine
Selbst-Begrenzung von seiten der Idee bestimmt werden, die aus unendlicher
Freiheit im Inneren hervorgeht. Diese Macht der Selbst-Begrenzung wohnt
notwendigerweise in dem Grenzenlosen All-Seienden. Das Unendliche wäre nicht das
Unendliche, wenn es nicht eine vielfältige Endlichkeit annehmen könnte. Das
Absolute wäre nicht das Absolute, wenn ihm in Wissen, Macht, Willen und
Manifestation seines Wesens eine grenzenlose Fähigkeit zur Selbst-Bestimmung
versagt wäre. Dieses Supramental ist also die Wahrheit oder Real-Idee, die in
aller kosmischen Kraft und Existenz eingeboren ist. Sie ist notwendig, obwohl
sie selbst unendlich bleibt, um Beziehung, Ordnung und die großen Linien der
Manifestation festzulegen, zu kombinieren und aufrechtzuerhalten. In der Sprache
der vedischen Rishis ist dieses Supramental,
ebenso wie Unendliches Sein, Bewußtsein und Seligkeit die drei erhabensten und
geheimen Namen des Namenlosen sind, der vierte Name: der vierte für Jenes in
seinem Herabkommen, der vierte für uns in unserem Aufstieg (turiyam svid,
“ein gewisses Viertes”, auch turiyam dhama genannt, die vierte Station
oder Balance der Kräfte des Seins).
Aber die niedere Trilogie Mental, Leben und Materie ist
auch für alles kosmische Wesen unentbehrlich, zwar nicht unbedingt in der Form
oder mit der Wirkensweise und unter den Bedingungen, die wir auf Erden oder in
diesem materiellen Universum kennen, wohl aber in einer vielleicht erleuchteten,
machtvollen, subtilen Art von Wirken. Denn das Mental ist im wesentlichen jene
Fähigkeit des Supramentals, die mißt und begrenzt, ein besonderes Zentrum
fixiert und von da aus die kosmische Bewegung und die gegenseitigen Einwirkungen
darin beobachtet. Zugegeben, in einer bestimmten Welt, Ebene oder kosmischen
Anordnung braucht das Mental nicht begrenzt zu sein, oder vielmehr brauchte der
Mensch, der das Mental als untergeordnete Fähigkeit verwendet, nicht unfähig zu
sein, die Dinge von anderen Mittelpunkten oder Standpunkten, ja vom wirklichen
Zentrum des Alls her oder in der Unermeßlichkeit universaler Selbst-Ausstrahlung
zu schauen. Wenn er sich aber normalerweise nicht für gewisse Zwecke göttlicher
Aktivität fest auf seinen eigenen Standpunkt zu stellen vermag, wenn es nur die
universale Selbst-Ausstrahlung oder unendliche Zentren ohne festlegende oder
frei begrenzende Aktion für jeden einzelnen gäbe, käme kein Kosmos zustande,
sondern nur ein Wesen, das in Sich Selbst, in seine Gedanken und Träume tief
versunken ist, wie etwa ein schöpferischer Mensch oder ein Dichter in
unbestimmter, freier, ungeformter Weise nachsinnt, bevor er an die entscheidende
Arbeit der Schöpfung geht. Solch einen Zustand muß es auf der unendlichen
Stufenleiter des Seins irgendwo geben, ist aber nicht das, was wir unter Kosmos
verstehen. Welche Ordnung dort auch herrschen mag, es muß eine Art nicht
festgelegter, nicht bindender Ordnung sein, wie sie etwa das Supramental
entwickelt haben kann, bevor es sich zum Werk festgelegter Entwicklung,
Abmessung und des gegenseitigen Einwirkens von Beziehungen aufmachte. Für ein
solches Abmessen und gegenseitiges Einwirken ist das Mental notwendig, obwohl es
dabei seiner selbst nur als einer untergeordneten Wirkungsweise des Supramentals
bewußt werden mag und die gegenseitige Einwirkung von Beziehungen auf der Basis einer sich selbst einsperrenden Ichhaftigkeit entfaltet, wie
wir sie in der irdischen Natur am Werke sehen.
Nachdem nun das Mental existiert, folgen Leben und Form von Substanz nach; denn Leben ist einfach die nähere Bestimmung von Kraft und Tätigkeit, von Beziehung und gegenseitiger Einwirkung der Energie aus vielen festliegenden Zentren des Bewußtseins, – festliegend, aber nicht unbedingt örtlich oder zeitlich, sondern als ständige Koexistenz von Wesen oder Seelen-Formen des Ewigen, der die kosmische Harmonie trägt und erhält. Dieses Leben mag sehr verschieden von dem Leben sein, wie wir es kennen oder begreifen. Im wesentlichen wäre aber dort dasselbe Prinzip wirksam, das wir hier als Vitalität gestaltet sehen, – das Prinzip, dem die Denker des indischen Altertums den Namen vayu oder prana, Lebens-Stoff, gaben, der substantielle Wille und die Energie im Kosmos, die sich in bestimmter Form, Aktion und bewußter Dynamik des Wesens auswirken. Auch Substanz kann sehr verschieden sein von unserer Anschauung und Empfindung eines materiellen Körpers, viel subtiler, viel weniger starr gebunden an ihr Gesetz von Selbst-Zerteilung und gegenseitigem Widerstand. Körper und Gestalt könnten Instrumente sein, kein Gefängnis. Doch wäre für das gegenseitige Einwirken im Kosmos eine gewisse Bestimmung von Form und Substanz immer notwendig, selbst wenn es nur ein mentaler Leib oder etwas noch Strahlenderes, Subtileres, noch machtvoller und freier Reagierendes wäre als der freieste mentale Körper.
Daraus ergibt sich: Wo immer Kosmos ist, kann solch ein
Vordergrund, wie er vom Wesen herausgestellt wird, nur eine illusorische
Verkleidung oder äußere Erscheinung seiner wirklichen Wahrheit sein, auch wenn
anfangs nur eines der Prinzipien sichtbar hervortritt, und selbst wenn dieses
zuerst das einzige Prinzip der Dinge zu sein scheint und alle übrigen
Prinzipien, die später in der Welt hervortreten mögen, nichts anderes zu sein
scheinen als dessen Form und Ergebnisse und nicht an sich selbst unentbehrlich
für das kosmische Dasein. Wo auch nur ein Prinzip im Kosmos manifest ist, müssen
alle übrigen nicht nur vorhanden und passiv verborgen sein, sondern insgeheim
wirken. In einer gegebenen Welt mag die Stufenleiter und Harmonie des Seienden
alle sieben Prinzipien in mehr oder weniger hohem Grad von Aktivität offen
besitzen. In einer anderen Welt mögen sie alle in einem einzigen Prinzip
involviert sein, das in dieser Welt zum primären oder fundamentalen Prinzip der
Evolution wird, aber eine Evolution des Involvierten muß
es dort geben. Die Evolution der siebenfältigen Macht des Wesens, die
Realisation seines siebenfachen Namens, muß die Bestimmung jeglicher Welt sein,
die offenkundig mit der Involution aller Mächte in eine einzige
anfängt.15
Darum war das materielle Universum der Natur der Dinge nach daran gebunden, aus
seinem verborgenen Leben ein sichtbares Leben, aus seinem verborgenen Mental ein
sichtbares Mental zu entwickeln. Es muß derselben Art der Dinge nach in der
Evolution von seinem verborgenen Supramental zum sichtbaren Supramental und vom
im Inneren verborgenen Geist zur dreieinigen Herrlichkeit von saccidananda
fortschreiten. Die einzige Frage ist, ob die Erde der Schauplatz für dieses
Hervortreten und das menschliche Geschöpf sein Instrument und Träger auf diesem
oder einem anderen materiellen Schauplatz, in diesem oder einem anderen Zyklus
des unermeßlichen Kreislaufs der Zeit sein soll. Die Seher des Altertums
glaubten an diese Möglichkeit für den Menschen und hielten das für seine
göttliche Bestimmung. Der moderne Denker faßt nicht einmal diesen Gedanken, oder
er negiert oder bezweifelt ihn, wenn er auftaucht. Hat er die Vision des
Übermenschen, ist dieser nur Träger höherer Grade von Mentalität oder Vitalität.
Er gibt nicht zu, daß ein anderer Typus auftauchen kann, schaut nicht über die
jetzigen Prinzipien hinaus, denn diese haben uns bis jetzt Begrenzung und
Kreislauf auferlegt. Es wohnt aber in dieser fortschreitenden Welt mit diesem
menschlichen Geschöpf, in dem der göttliche Funke entzündet wurde, die wirkliche
Weisheit wahrscheinlich eher bei dem höheren Streben als bei der Verneinung
dieses Strebens und der Hoffnung, die sich selbst begrenzt und einschränkt
innerhalb jener engen Mauern sichtbarer Möglichkeiten, die uns doch nur
Zwischenstation, Heim für unsere Übung sind. In der spirituellen Ordnung der
Dinge ist die Wahrheit, die auf uns herabzukommen bereit ist, um so größer, je
höher wir unseren Blick und unser Streben richten, da diese Wahrheit schon hier
in uns existiert und nach ihrer Befreiung aus der Umhüllung verlangt, die sie in
der geoffenbarten Natur verborgen hält.
Kapitel XXVIII. Supramental, Mental und Übermental-Maya
Es gibt ein
Beständiges, eine Wahrheit, die von einer Wahrheit verborgen wird, wo der
Sonnen-Gott seine Pferde ausspannt. Die Zehnhunderte (seiner Strahlen) kamen
zusammen – Dieses Eine. Ich sah die herrlichsten Gestalten der Götter.
Rig Veda, V.62.1.
Das Antlitz der Wahrheit wird verborgen durch ein goldenes Augenlid. Entferne dieses, o Hilfreicher Sonnen-Gott, um des Gesetzes der Wahrheit willen, damit wir sehen. O Sonne, o einziger Seher, ordne deine Strahlen, falte sie zusammen, – zeige mir deine glücklichste Gestalt, überall jenes Bewußte Wesen. Er bin ich.
Isha Upanishad, Verse 15, 16.
Die Wahrheit, das flechte, das Unermeßliche.
Atharva Veda, XII.1.1.
Es wurde zu beidem, zu Wahrheit und Falschheit. Es wurde zur Wahrheit, eben zu all diesem, das ist.
Taittiriya Upanishad, II. 6.
Ein Punkt, den wir bis jetzt in Dunkelheit ließen, muß
noch geklärt werden: der Prozeß des Falls in die Unwissenheit. Denn wir haben
gesehen, daß nichts in der ursprünglichen Art von Mental, Leben und Materie ein
Herausfallen aus dem Wissen notwendig macht. Es wurde zwar gezeigt, daß Teilung
des Bewußtseins die Basis der Unwissenheit ist: die Absonderung des
individuellen Bewußtseins aus dem kosmischen und transzendenten Bewußtsein, von
dem es dennoch zuinnerst Teil und im Wesen unabtrennbar ist, Loslösung des
Mentals aus der supramentalen Wahrheit, von der es eine untergeordnete Aktion
sein sollte, Trennung des Lebens von der ursprünglichen Kraft, von deren
Energieauswirkungen es eine ist, Heraustreten der Materie aus dem ursprünglichen
Sein, von dessen stofflichen Formen es nur eine ist. Es muß aber noch geklärt
werden, wie diese Teilung im Unteilbaren zustande kam, durch welche besondere
Aktion der Bewußtseins-Kraft im Seienden, sich selbst zu vermindern oder
auszulöschen. Denn das dynamische und wirksame Phänomen der Unwissenheit kann
nur durch solch eine Aktion der Verdunklung der
Fülle ihres eigenen Lichtes und ihrer Macht entstanden sein, da alles Bewegung
dieser Kraft ist. Dieses Problem kann aber vorerst zurückgestellt werden, damit
wir später das duale Phänomen Wissen-Unwissenheit eingehender untersuchen, das
unser Bewußtsein zu einer Mischung von Licht und Finsternis macht, zu einem
Halb-Licht zwischen dem vollen Tag der supramentalen Wahrheit und der Nacht
materieller Nicht-Bewußtheit. Notwendig, uns zu merken, ist jetzt allein, daß es
in seinem wesenhaften Charakter ausschließliche Konzentration auf eine einzige
Bewegung und einen einzigen Status des Bewußten Wesens sein muß, die alles
übrige Bewußtsein und Wesen zurückdrängt und es vor der jetzt partiellen
Erkenntnis dieser einzigen Bewegung verschleiert.
Es gibt aber einen Aspekt dieses Problems, der sofort
betrachtet werden muß, das ist die Kluft, die geschaffen wurde zwischen dem
Mental, wie wir es kennen, und dem supramentalen Wahrheits-Bewußtsein, von dem,
wie wir fanden, Mental in seinem Ursprung ein untergeordneter Prozeß ist. Denn
diese Kluft ist recht groß. Ein Übergang von der einen in die andere
Bewußtseins-Ebene scheint im höchsten Grad unwahrscheinlich, wenn nicht
unmöglich zu sein, wenn es keine Stufenleiter zwischen beiden gibt: weder bei
der absteigenden Involution des Geistes in die Materie, noch bei der
entsprechenden Evolution der in der Materie verborgenen Grade, die zurück zum
Geist führen. Denn das Mental, wie wir es kennen, ist eine Macht der
Unwissenheit, die nach der Wahrheit sucht, mit Mühe danach tastet, sie zu
finden, aber dabei nur mentale Konstruktionen und Darstellungen von ihr in Wort
und Idee, in Mental-Gestaltungen, in Sinnen-Gebilden fertig bringt, wie wenn
klare oder verschwommene Photos oder Filme einer entfernten Wirklichkeit alles
wären, was das Mental erreichen kann. Im Gegensatz dazu ist das Supramental im
aktuellen und natürlichen Besitz der Wahrheit. Seine Gestaltungen sind Formen
der Wirklichkeit, keine Konstruktionen, Repräsentationen oder andeutende
Figuren. Zweifellos ist das sich in uns entwickelnde Mental dadurch behindert,
daß es in die Dunkelheit von Leben und Körper eingeschlossen ist. Das
ursprüngliche Mental-Prinzip besitzt in seinem involutionären Herabkommen eine
größere Macht, die wir noch nicht voll erlangt haben. Es kann in seiner eigenen
Sphäre oder Provinz in Freiheit wirken, um Konstruktionen von mehr
Offenbarungskraft, klarer inspirierte Gebilde und subtilere und
bedeutungsvollere Verkörperungen zu erschaffen,
in denen das Licht und die Wahrheit gegenwärtig und wahrnehmbar ist. Aber auch
das ist seinem charakteristischen Wirken nach kaum wesentlich anders, denn auch
es ist eine Bewegung zur Unwissenheit, kein noch nicht losgetrennter Teil des
Wahrheits-Bewußtseins. Irgendwie muß es in der absteigenden und aufsteigenden
Stufenleiter des Wesens eine vermittelnde Macht und eine Bewußtseins-Ebene
geben, vielleicht etwas mehr als das, etwas von ursprünglicher schöpferischer
Kraft, durch die der involutionäre Übergang von dem im Wissen verankerten Mental
zum in die Unwissenheit herabgesunkenen Mental bewirkt wurde und durch die der
evolutionäre umgekehrte Übergang wieder verständlich und möglich wird. Für den
involutionären Übergang ist dieses vermittelnde Zwischenglied logisch zwingend
und für den evolutionären ist es praktisch notwendig. Denn in der Evolution gibt
es in der Tat radikale Übergänge: von unbestimmter Energie zur organisierten
Materie, von der unbelebten Materie zum Leben, vom unterbewußten oder
untermentalen Leben zum wahrnehmenden, fühlenden und handelnden Leben, von der
primitiven Tier-Mentalität zum begrifflich denkenden, logisch urteilenden
Mental, das das Leben beobachten und lenken kann, das auch sich selbst
beobachtet und fähig ist, als unabhängige Wesenheit zu handeln, ja, bewußt
danach zu trachten, sich selbst zu transzendieren. Aber wenn diese Sprünge in
der Evolution auch beträchtlich sind, so sind sie doch bis zu einem gewissen
Grad durch langsame Stufenfolgen vorbereitet, die sie begreiflich und
durchführbar machen. Dort kann es keine so immense Kluft geben, wie sie zwischen
dem supramentalen Wahrheits-Bewußtsein und dem Mental in der Unwissenheit zu
bestehen scheint.
Wenn aber solche Zwischenstufen existieren, müssen sie
offensichtlich für das menschliche Mental überbewußt sein, das offenbar in
seinem normalen Zustand keinen Zugang zu diesen höheren Graden des Wesens hat.
Der Mensch ist in seinem Bewußtsein durch das Mental und eben durch dessen
festgelegte Reichweite oder Stufenfolge begrenzt: Was unterhalb seines Mentals
liegt, submental oder zwar mental, jedoch unter dessen Skala ist, erscheint ihm
sofort als unterbewußt oder als nicht unterscheidbar von völliger
Nicht-Bewußtheit. Was darüber liegt, ist für ihn überbewußt. Er neigt fast dazu,
es als leer von Wahrnehmung anzusehen, irgendwie als lichtvolle
Nicht-Bewußtheit. Genauso wie für ihn wegen seiner Begrenztheit auf eine gewisse Stufenleiter von Tönen oder Farben alles, was über oder unter dieser
Skala liegt, unhörbar, unsichtbar oder zumindest nicht unterscheidbar ist, so
ist auch seine Skala mentalen Bewußtseins an beiden äußersten Enden durch
Unfähigkeit begrenzt, die den oberen und unteren Abschluß seines Bereichs
kennzeichnet. Er hat keine ausreichenden Kommunikations-Mittel, selbst nicht zum
Tier, das sein mentaler Art-Verwandter, wenn auch nicht sein Art-Gleicher ist,
und er bestreitet sogar dem Tier ein Mental oder wirkliches Bewußtsein, weil
dessen Erscheinungsformen andere und begrenztere sind als jene, durch die er mit
sich selbst und seinen Art-Genossen vertraut ist. Der Mensch kann untermentales
Wesen von außen beobachten, er kann aber nicht mit ihm in Kommunikation treten
oder in seine Natur eindringen. Ebenso ist das Überbewußte für ihn ein
verschlossenes Buch, das sehr wohl nur aus leeren Seiten bestehen könnte. Auf
den ersten Blick könnte es also so aussehen, als besitze er keine Mittel, um mit
diesen höheren Stufen des Bewußtseins in Kontakt zu kommen: Trifft das zu, dann
können sie nicht als Verbindungen und Brücken dienen. Dann müßte die Evolution
des Menschen mit der jetzt von ihm erreichten mentalen Stufe aufhören, die er
nicht überschreiten könnte. Wenn die Natur diese endgültigen Grenzen zog, hat
sie vor sein weiteres Aufwärtsstreben ein “ finis” geschrieben.
Bei näherem Zusehen erkennen wir aber, daß diese
Normalität trügerisch ist, daß das menschliche Mental tatsächlich in
verschiedenen Richtungen über sich hinausreicht und die Tendenz hat, sich selbst
zu transzendieren. Das sind gerade die nötigen Kontakt-Linien oder die
verhüllten oder halb-verhüllten Übergänge, die es mit den höheren
Bewußtseins-Graden des sich selbst manifestierenden Geistes verbinden. An erster
Stelle haben wir hier die Stelle erwähnt, die die Intuition innerhalb der
menschlichen Erkenntnis-Mittel einnimmt. Intuition ist ihrer wahren Natur nach
eine Projektion des charakteristischen Wirkens dieser höheren Grade auf das
Mental der Unwissenheit. Es ist wahr, ihr Wirken ist im menschlichen Mental
großenteils durch die Interventionen unserer gewöhnlichen Intelligenz verborgen.
Reine Intuition ist eine seltene Begebenheit in unserer mentalen Betätigung. Was
wir mit diesem Namen benennen, ist gewöhnlich ein Moment unmittelbarer
Erkenntnis, der sofort erfaßt und mit mentalem Stoff überkleidet wird, so daß er
uns nur als unsichtbarer oder winziger Kern einer Kristallisation dienen kann,
die in ihrer Masse intellektuell oder sonstwie mental
in ihrem Charakter ist. Oder der Blitz einer Intuition wird schnell durch
nachahmende mentale Bewegung, durch Einsicht, rasche Wahrnehmung oder einen jäh
aufspringenden Denkvorgang ersetzt oder abgefangen, bevor er eine Chance hat,
sich zu manifestieren. Das alles verdankt sein Erscheinen der Anregung durch die
kommende Intuition, setzt aber ihrem Eindringen Widerstand entgegen oder
überdeckt sie mit einer mentalen Ersatz-Anregung, die wahr oder irrig, in keinem
Fall aber eine authentische intuitive Bewegung ist. Trotzdem genügt die Tatsache
dieser Intervention von oben als Beweis, daß faktisch hinter all unserem
ursprünglichen Denken oder authentischen Wahrnehmen der Dinge ein verhülltes,
halb-verhülltes oder rasch enthülltes intuitives Element vorhanden ist,
ausreichend, um eine Verbindung zwischen dem Mental und dem herzustellen, was
über ihm ist. Das öffnet einen Durchgang zu Kommunikation mit und Zugang zu den
höheren Geist-Bereichen. Auch gibt es ein Ausgreifen des Mentals selbst, um über
die persönliche Ich-Beschränkung hinauszukommen und die Dinge in einer gewissen
Apersonalität und Universalität zu schauen. Apersonalität ist der erste
bezeichnende Aspekt des kosmischen Selbsts. Universalität, Unbegrenztheit durch
den einzelnen oder beschränkenden Gesichtspunkt, ist bezeichnend für kosmische
Wahrnehmung und Erkenntnis. Diese Tendenz will also, wenn auch nur rudimentär,
die begrenzten Mental-Bereiche ausweiten zum kosmischen Wesen, zu einer
Eigenschaft, die der wahre Charakter der höheren mentalen Ebenen ist, – zu jenem
überbewußten kosmischen Mental, das, wie wir andeuteten, der Natur der Dinge
gemäß die ursprüngliche Mental-Aktion sein muß, von der die unsrige nur ein
abgeleiteter niederer Prozeß ist. Andererseits fehlt es nicht völlig am
Eindringen von oben in unsere mentalen Grenzen. Erscheinungen wie die des Genies
sind in Wirklichkeit durch ein solches Eindringen verursacht, – zweifellos noch
verhüllt, da sich das Licht des höheren Bewußtseins nicht nur innerhalb enger
Grenzen, gewöhnlich auf einem besonderen Gebiet, ohne gelenkte besondere
Organisation seiner charakteristischen Energien auswirkt, oft sogar ziemlich
launenhaft, exzentrisch und unter übernormaler oder abnormer unverantwortlicher
Leitung. Aber auch hier ist es so, daß sich diese höhere Einwirkung bei ihrem
Eintritt in das Mental der Mental-Substanz unterwirft und anpaßt, so daß uns nur
die modifizierte oder verminderte Dynamik erreicht, nicht alle ursprüngliche
göttliche Leuchtkraft dessen, was man das Bewußtsein oberhalb
des Hauptes, jenseits von unserem Ich, nennen könnte. Doch sind hier
Phänomene vorhanden, deren Ursprung unmißverständlich ist: Inspiration,
offenbarendes Schauen, intuitive Wahrnehmung, intuitive Urteilskraft, die über
unsere weniger erleuchtete oder weniger machtvolle übliche Mental-Tätigkeit
hinausgehen. Schließlich gibt es das unermeßliche und vielseitige Gebiet
mystischer und spiritueller Erfahrung. Hier stehen die Tore schon weit für die
Möglichkeit offen, unser Bewußtsein über seine gegenwärtigen Grenzen hinaus zu
erweitern, – falls wir nicht durch Obskurantismus, der weiteres Forschen
ablehnt, oder durch Bindung an die Grenzen unserer gewöhnlichen Mentalität diese
Erfahrungen ausschließen oder uns von den Ausblicken abwenden, die sich vor uns
auftun. In unserer gegenwärtigen Untersuchung können wir es uns aber nicht
leisten, die Möglichkeiten zu mißachten, die uns diese Bereiche menschlichen
Bemühens eröffnen, auf die zusätzliche Erkenntnis unseres Selbsts und der
verhüllten Wirklichkeit zu verzichten, mit der sie das menschliche Mental
beschenken: auf das hellere Licht, das die eingeborene Macht ihres Seins ist und
sie mit dem Recht wappnet, auf uns einzuwirken.
Es gibt zwei aufeinanderfolgende, zwar schwierige, aber
durchaus im Bereich unserer Fähigkeit liegende Bewußtseins-Bewegungen, durch die
wir Zugang zu den höheren Stufen unseres bewußten Daseins finden können. Da ist
zuerst eine Bewegung nach innen, durch die wir, statt in unserem vordergründigen
Mental zu leben, die Wand zwischen unserem äußeren Ich und unserem jetzt noch
subliminalen Selbst durchbrechen. Wir können das zustande bringen durch
stufenweises Bemühen, durch eine Disziplin oder einen heftigen Übergang,
manchmal durch einen kraftvollen unwillkürlichen Durchbruch, – letzteres ist für
das begrenzte menschliche Mental, das gewohnt ist, sich nur innerhalb seiner
normalen Grenzen sicher zu fühlen, keineswegs ungefährlich, – es kann aber, ob
sicher oder gefährlich, getan werden. Innerhalb dieses verborgenen Teils unseres
Selbsts entdecken wir ein inneres Wesen, eine Seele, ein inneres Mental, ein
inneres Leben, eine innere, subtil-physische Wesenheit, die in ihren
Wirkungsmöglichkeiten viel umfassender, formbarer, machtvoller und begabter zu
vielfältiger Erkenntnis und Kraftentfaltung ist als Mental, Leben und Körper
unserer vordergründigen Person. Dieses innere Wesen ist besonders fähig zu
direkter Kommunikation mit den universalen Kräften, Bewegungen und Objekten des
Kosmos, sie unmittelbar zu fühlen und für sie
offen zu sein, unmittelbar auf sie einzuwirken und sich selbst über die Grenzen
des personalen Mentals, Lebens und Körpers hinaus auszuweiten. Dadurch fühlen
wir uns immer mehr als ein universales Wesen, das nicht mehr durch die
vorhandenen Trennungswände unseres allzu engen mentalen, vitalen und physischen
Daseins eingeengt ist. Wir können uns dabei so sehr ausweiten, daß wir völlig in
das Bewußtsein des kosmischen Mentals eintreten und uns mit dem universalen
Leben einen, gar eins werden mit der universalen Materie. Das ist dennoch eine
Identifikation entweder mit einer herabgeminderten kosmischen Wahrheit oder mit
der kosmischen Unwissenheit.
Sobald dieses Eingehen in das innere Wesen vollendet
ist, finden wir, daß sich das innere Selbst öffnen und zu Dingen emporsteigen
kann, die jenseits unseres gegenwärtigen mentalen Niveaus liegen. Das ist die
zweite spirituelle Möglichkeit in uns. Als ihr erstes, gewöhnlichstes Ergebnis
entdecken wir ein unermeßlich weites statisches, schweigendes Selbst, das wir
als unser wirkliches oder fundamentales Sein empfinden, als die Grundlage all
dessen, was wir sind. Es mag dabei sogar zum Auslöschen, einem Nirvana, unseres
aktiven Wesens ebenso wie des Empfindens unseres Selbsts und zum Aufgehen in
eine Wirklichkeit kommen, die undefinierbar und unausdrückbar ist. Wir können
aber auch einsehen, daß dieses Selbst nicht nur das eigene spirituelle Wesen,
sondern auch das wahre Selbst aller anderen Wesen ist. Es stellt sich uns dann
dar als die dem kosmischen Dasein zugrundeliegende Wahrheit. Es ist möglich, in
einem Nirvana, dem Erlöschen aller Individualität, zu verbleiben, bei einer
statischen Realisation haltzumachen oder die kosmische Bewegung nur als Spiel an
der Oberfläche oder als Illusion anzusehen, die dem schweigenden Selbst
auferlegt ist. So können wir in einen erhabenen unbeweglichen und
unveränderlichen Zustand jenseits des Universums übergehen. Doch bietet sich uns
auch eine andere, weniger negative Linie übernormaler Erfahrung an. Hier
ereignet sich ein außerordentliches dynamisches Herabkommen von Licht,
Erkenntnis, Macht, Seligkeit oder anderer übernormaler Energien in unser Selbst
des Schweigens. Wir können auch in höhere Regionen des Geistes emporsteigen, wo
dessen unbeweglicher Zustand die Grundlage für diese mächtigen lichtvollen
Energien ist. In beiden Fällen sind wir offensichtlich über das Mental der
Unwissenheit in einen spirituellen Zustand emporgelangt. Bei der dynamischen
Bewegung kann sich die dadurch auftretende größere Aktion
von Bewußter Kraft entweder einfach als rein spirituelle Dynamik darstellen, die
in ihrem Charakter nicht sonstwie bestimmt ist, oder als eine spirituelle
Mental-Ebene offenbaren, auf der das Mental nicht mehr unwissend der
Wirklichkeit gegenübersteht. Das ist noch keine Ebene des Supramentals, wird
aber vom supramentalen Wahrheits-Bewußtsein beeinflußt und ist noch erfüllt mit
einem gewissen Licht seines Wissens.
In letzterer Alternative finden wir das von uns
gesuchte Geheimnis: das Mittel zum Übergang, den erforderlichen Schritt zu einer
supramentalen Transformation. Erkennen wir doch eine Stufenfolge des Aufstiegs,
eine Kommunikation mit immer hellerem Licht und unermeßlicher Macht von oben,
eine Stufenfolge intensiver Erfahrungen, die wir als ebensoviele Stufen im
Aufstieg vom Mental wie in der Herabkunft von Jenem, das jenseits von ihm ist,
in das Mental sehen können. Wir erkennen, wie, einem Ozean gleich, Massen eines
spontanen Wissens herabströmen, das den Charakter von Denken annimmt. Es ist
aber von anderer Art als der von uns gewohnte Denkprozeß: Hier gibt es kein
Suchen, keine Spur von mentaler Konstruktion, kein spekulatives Mühen oder
schwieriges Entdecken. Es ist ein automatisches und spontanes Erkennen aus einem
Höheren Mental, das im Besitz der Wahrheit zu sein scheint und nicht nach
verborgenen, uns vorenthaltenen Wirklichkeiten zu suchen braucht. Wir
beobachten, daß dieses Denken viel eher fähig ist als das Mental, gleichzeitig
eine Masse von Erkenntnis in einer einzigen Schau zusammenzufassen. Es hat
kosmischen Charakter, trägt nicht den Stempel individuellen Denkens. Jenseits
von diesem Wahrheits-Denken können wir eine größere Erleuchtung unterscheiden,
die erfüllt ist von vermehrter Macht, Intensität und Antriebskraft, eine
Lichtfülle von der Art eines Wahrheits-Schauens mit Denk-Formulierungen nur als
dessen minderer und abhängiger Wirkensweise. Wenn wir das vedische Bild von der
Sonne der Wahrheit annehmen, – ein Bild, das in dieser Erfahrung zu einer
Wirklichkeit wird, – können wir das Wirken des Höheren Mentals mit ruhigem,
klaren heiteren Sonnenschein vergleichen. Die Energie des Erleuchteten Mentals
über ihm entspricht einem Ausbruch massierter Blitze von flammender
Sonnensubstanz. Weiter oben können wir auf eine noch größere Ansammlung von
Wahrheits-Kraft treffen, auf unmittelbare exakte Wahrheits-Schau, ein
Wahrheits-Denken, Wahrheits-Empfinden, Wahrheits-Fühlen, Wahrheits-Handeln, dem
wir in besonderem Sinn den Namen Intuition geben
können. Wenn wir auch dieses Wort mangels eines besseren für jede
supra-intellektuelle unmittelbare Art des Erkennens verwendet haben, so ist doch
das, was wir tatsächlich als Intuition kennen, nur diese eine spezielle Bewegung
selbst-seienden Wissens. Dieser neue Bereich ist sein Ursprung. Er vermittelt
unseren Intuitionen etwas von seinem besonderen Charakter und ist ganz deutlich
Vermittler eines größeren Wahrheits-Lichtes, mit dem unser Mental nicht
unmittelbar in Verbindung treten kann. Am Ursprung dieser Intuition entdecken
wir ein überbewußtes kosmisches Mental, das in direktem Kontakt mit dem
Supramentalen Wahrheits-Bewußtsein steht, eine ursprüngliche Intensität, die
bestimmend wirkt auf alle Bewegungen unterhalb von ihr und auf alle mentalen
Energien, – nicht ein Mental, wie wir es kennen, sondern ein Obermental, das wie
mit den weiten Schwingen einer schöpferischen Überseele diese ganze niedere
Hemisphäre von Wissen-Unwissenheit bedeckt, sie mit jenem größeren
Wahrheits-Bewußtsein verbindet, wobei es jedoch zugleich mit seinem brillanten
goldenen Lid das Antlitz der noch höheren Wahrheit vor unserem Blick verbirgt.
Mit seiner Flut unendlicher Möglichkeiten wirkt es zwischen beiden Hemisphären
zugleich als Hindernis gegen und als Übergang für unser Suchen nach dem
spirituellen Gesetz unseres Daseins, seinem höchsten Ziel, seiner geheimen
Wirklichkeit. Das also ist die geheime Verbindung, nach der wir ausschauen. Das
ist die Macht, die das Höchste Wissen und die kosmische Unwissenheit zugleich
miteinander verbindet und voneinander trennt.
Seiner Art und seinem Gesetz nach ist das Übermental
ein Delegierter des Supramental-Bewußtseins, dessen Delegierter zur
Unwissenheit. Wir könnten von ihm auch als von einem schützenden Doppel
sprechen: es ist ein Vorhang von unähnlicher Ähnlichkeit, durch den das
Supramental mittelbar auf eine Unwissenheit einwirken kann, deren Dunkelheit die
unmittelbare Einwirkung eines höchsten Lichtes nicht ertragen oder empfangen
könnte. Gerade durch die Projektion dieser leuchtenden Übermental-Korona wurde
es überhaupt möglich, daß sich ein vermindertes Licht in der Unwissenheit
ausbreiten und jenen Gegenschatten, die Nichtbewußtheit, werfen konnte, der in
sich alles Licht verschlingt. Das Supramental sendet alle seine Wirklichkeiten
zum Übermental, überläßt es ihm aber, sie in einer Bewegung und im Einklang mit
einer Einsicht in die Dinge zu formulieren, die noch eine Schau der Wahrheit, zugleich aber auch erster Urheber der Unwissenheit
ist. Zwischen Supramental und Übermental ist eine Trennungslinie, die eine freie
Übertragung zuläßt, der niederen Macht erlaubt, alles aus der höheren Macht zu
entnehmen, was sie festhält oder sieht, ihm aber automatisch beim Durchgang eine
Übergangs-Verwandlung aufzwingt. Die Vollständigkeit des Supramentals hält immer
an der wesenhaften Wahrheit der Dinge fest, wobei die totale Wahrheit und die
Wahrheit ihrer individuellen Selbst-Bestimmung deutlich miteinander verknüpft
sind. Diese supramentale Vollständigkeit bewahrt in ihnen eine untrennbare
Einheit und läßt sie einander völlig durchdringen, wobei alle ein freies und
volles Bewußtsein voneinander haben. Im Übermental hingegen ist diese
Vollständigkeit nicht mehr vorhanden. Dennoch ist sich das Übermental der
wesenhaften Wahrheit der Dinge wohl bewußt. Es umfaßt die Totalität, es
verwendet die individuellen Selbstbestimmungen, ohne durch sie eingeengt zu
sein. Aber obwohl es ihre Einheit kennt und diese in spiritueller Erkenntnis
realisieren kann, wird es in seiner dynamischen Bewegung nicht unmittelbar von
ihr festgelegt, während es sich um seiner Sicherheit willen zugleich auf sie
verläßt. Die Übermental-Energie wirkt sich aus durch eine unbegrenzte Fähigkeit,
die Mächte und Aspekte der integralen, unteilbaren, alles umgreifenden Einheit
voneinander zu trennen und wieder miteinander zu verbinden. Sie nimmt jeden
Aspekt, jede Macht an und gibt ihnen ein unabhängiges Wirken, in dem sie volle
gesonderte Bedeutung zu erwerben und sozusagen ihre eigene Schöpfungswelt
herauszuarbeiten fähig sind. Purusha und prakriti, Bewußte Seele
und exekutive Kraft der Natur, sind in der supramentalen Harmonie der
Doppelaspekt einer einzigen Wahrheit eines Wesens und einer Dynamik der
Wirklichkeit. Dort kann es keine Störung des Gleichgewichts oder die
Vorherrschaft des einen Aspekts über den anderen geben. Im Übermental haben wir
den Ursprung der Spaltung, jene scharfe Unterscheidung, wie sie durch die
Sankhya-Philosophie getroffen wird, wo sie als zwei voneinander unabhängige
Wesenheiten erscheinen: als prakriti fähig, über purusha zu
herrschen und seine Freiheit und Macht zu verhüllen, ihn in die Rolle eines
beobachtenden Zeugen und Empfängers ihrer Formen und Aktionen zurückzudrängen,
während purusha zu seiner gesonderten Existenz zurückkehren und in freier
Selbst-Souveränität dadurch verharren kann, daß er ihr ursprünglich trübendes
materielles Prinzip zurückweist. So ist es auch
mit
den anderen Aspekten oder Mächten der Göttlichen Wirklichkeit, mit dem Einen und
den Vielen, der Göttlichen Personalität und der Göttlichen Apersonalität und
allem übrigen. Zwar ist jeder noch ein Aspekt und eine Macht der einen
Wirklichkeit, hat aber nun Vollmacht, als unabhängige Wesenheit innerhalb des
Ganzen zu handeln, zur Erfüllung der Möglichkeiten seines gesonderten Ausdrucks
zu kommen und die dynamischen Konsequenzen dieser Gesondertheit zu entwickeln.
Im Übermental ist diese Gesondertheit zugleich noch auf die Basis einer
inbegriffenen, zugrundeliegenden Einheit gestellt. Alle Möglichkeiten von
Verbindung und Beziehung zwischen den getrennten Mächten und Aspekten, jeder
Austausch und alle gegenseitigen Einwirkungen ihrer Energien sind frei
organisiert, und ihre Verwirklichung ist immer möglich.
Betrachten wir die Mächte der Wirklichkeit als ebensoviele Gottheiten, können wir sagen: das Übermental setzt eine Million Gottheiten in Aktion, von denen jede ermächtigt ist, ihre eigene Welt zu erschaffen. Jede Welt ist fähig zu Beziehungen zu den anderen, zur gegenseitigen Kommunikation und zum Kräftespiel mit den anderen. Im Veda gibt es verschiedene Formulierungen für die Natur der Götter. Man sagt, sie sind alle ein einziges Sein, dem die Weisen verschiedene Namen geben. Dennoch wird jeder Gott so verehrt, als sei er selbst jenes Sein, ein einziger, der alle anderen Götter zugleich ist oder alle in seinem Wesen enthält. Doch ist jeder wieder eine besondere Gottheit, die manchmal im Einklang mit verwandten Gottheiten, manchmal getrennt und manchmal sogar in scheinbarem Widerspruch zu anderen Gottheiten desselben Seins handelt. Im Supramental würde das alles als ein harmonisiertes Spiel des Einen Seins zusammengehalten werden. Im Übermental könnte aber jede dieser drei Beziehungen die getrennte Aktion oder Grundlage einer Aktion sein und ihr eigenes Entfaltungsprinzip mit seinen Konsequenzen besitzen und dennoch die Macht behalten, sich mit den anderen in gemeinsamer Harmonie zu verbinden. Wie mit dem Einen Sein, so ist es auch mit dem Bewußtsein und seiner Kraft. Das Eine Bewußtsein ist in viele unabhängige Formen von Bewußtsein und Wissen zertrennt. Jede verfolgt ihre eigene Wahrheits-Linie, die sie zu verwirklichen hat. Die einzige totale und vielseitige Real-Idee wird in ihre vielen Seiten aufgespalten. Jede wird zu einer unabhängigen Ideen-Kraft mit der Macht, sich selbst zu realisieren. So wird die eine Bewußtseins-Kraft freigesetzt in ihre Millionen Kräfte.
Jede dieser Kräfte hat
das Recht, sich zur Erfüllung zu bringen oder notfalls auch eine Führung zu
übernehmen und die anderen Kräfte für die eigenen Zwecke in sich aufzunehmen.
Ebenso steht es mit der Seins-Seligkeit: Aus ihr werden alle Arten von Wonnen
ausgelöst, und jede kann ihre unabhängige Fülle oder ihr souveränes Extrem in
sich tragen. Das Übermental verleiht so dem Einen Sein-Bewußtsein-Seligkeit den
Charakter einer brodelnden Masse unendlicher Möglichkeiten, die in eine Menge
von Welten entfaltet oder in eine einzige Welt zusammengeworfen werden können,
in der das endlos variable Ergebnis ihres Kräftespiels der bestimmende Faktor
der Schöpfung, ihres Prozesses, Ablaufs und dessen Konsequenz ist.
Da die Bewußtseins-Kraft des Ewigen Seins die
universale Schöpferin ist, wird der Charakter einer gegebenen Welt davon
abhängen, in welcher Selbst-Formulierung dieses Bewußtsein sich in dieser Welt
zum Ausdruck bringt. Ebenso wird für jeden individuellen Menschen die Art, wie
er die Welt, in der er lebt, sieht oder sich vorstellt, von dem Kräfteausgleich
und der Gestaltung abhängen, die dieses Bewußtsein in ihm angenommen hat. Unser
mentales Bewußtsein sieht die Welt in Teilen, die von der Vernunft und den
Sinnen zurechtgeschnitten und in ein Gebilde zusammengesetzt werden, das auch
wieder aus Sektionen besteht. Das von ihm erbaute Haus ist so geplant, daß es
die eine oder andere verallgemeinerte Formulierung der Wahrheit bequem
unterbringt, die übrigen aber ausschließt oder nur einige Gäste oder Bedienstete
im Haus zuläßt. Das Übermental-Bewußtsein ist in seiner Erkenntnis global und
kann jede Menge scheinbar fundamentaler Verschiedenheiten in vereinigender Schau
zusammenhalten. So sieht die mentale Vernunft die Person und das Apersonale als
Gegensätze. Das Übermental begreift ein apersonales Sein, in dem Person und
Personalität Fiktionen der Unwissenheit oder zeitweilige Konstruktionen sind.
Oder es kann, umgekehrt, die Person als die primäre Wirklichkeit sehen, das
Apersonale dagegen als mentale Abstraktion oder nur als Stoff oder Mittel der
Manifestation. Für die Übermental-Intelligenz sind das trennbare Mächte des
einen Seins, die ihre unabhängige Selbst-Behauptung verfolgen, aber auch ihre
verschiedenen Wirkensweisen miteinander vereinigen und sowohl in ihrer
Unabhängigkeit wie in ihrer Vereinigung verschiedene Zustände von Bewußtsein und
Wesen erschaffen können, von denen alle gültig sind und alle zur Koexistenz
fähig sein können. Ein rein apersonales Sein oder Bewußtsein ist wahr und möglich, ebenso aber ein völlig persönliches Bewußtsein
und Sein. Das Apersonale Göttliche Wesen, nirguna brahman, und das
Personale Göttliche Wesen, saguna brahman, sind hier einander
gleichgestellte und koexistente Aspekte des Ewigen. Apersonalität kann sich so
manifestieren, daß Person ihr als Ausdrucksform untergeordnet ist. In gleicher
Weise kann Person die Realität sein und Apersonalität ein Modus ihrer Art: Beide
Aspekte der Manifestation stehen sich von Angesicht zu Angesicht in der
unendlichen Verschiedenartigkeit Bewußten Seins gegenüber. Was für die mentale
Vernunft unvereinbare Unterschiede sind, stellt sich der Übermental-Intelligenz
dar als koexistente Korrelate. Was für die mentale Vernunft Gegensätze sind, ist
für die Übermental-Intelligenz Sich-Ergänzendes. Unser Mental betrachtet alle
Dinge als aus Materie oder aus materieller Energie entstanden, sie existieren
durch sie und kehren in sie zurück. So kommt es zu dem Schluß: Materie ist der
ewige Faktor, die primäre und höchste, letzte Wirklichkeit, brahman. Oder
es sieht alle Dinge als aus Lebens-Kraft oder aus Mental entstanden und nur
durch Leben oder Mental existieren. Es schließt daraus: Diese Welt ist eine
Schöpfung der kosmischen Lebens-Kraft oder eines kosmischen Mentals oder Logos.
Oder es schaut die Welt und alle Dinge an als aus der Real-Idee oder dem
Wissens-Willen des Geistes entstanden, durch ihn existierend und zu ihm oder zum
Geist selbst zurückkehrend. Daraus folgert es eine idealistische oder
spirituelle Betrachtung des Universums. So kann sich das Mental auf eine dieser
Betrachtungsweisen festlegen; für sein normales trennendes Schauen schließt aber
jeder dieser Wege die anderen aus. Das Übermental-Bewußtsein erkennt, daß jede
Anschauung getreu dem Wirken des Prinzips entspricht, das sie gestaltet. Es kann
erkennen, daß es eine materielle Welt-Formel, eine vitale Welt-Formel, eine
mentale Welt-Formel, eine spirituelle Welt-Formel gibt. Jede kann in ihrer
eigenen Welt vorherrschend sein. Gleichzeitig können sich alle zu einer einzigen
Welt als deren konstituierende Mächte vereinigen. Für die Übermental-Betrachtung
ist die Selbst-Formulierung der Bewußten Kraft, auf die unsere Welt aufgebaut
ist, eine normale und leicht vorstellbare Schöpfung: eine scheinbare
Nicht-Bewußtheit, die in sich ein höchstes Bewußtes Sein verbirgt und die in
ihrer nichtbewußten Verborgenheit alle Mächte des Wesens zusammenhält, eine Welt
universaler Materie, die in sich selbst Leben, Mental, Übermental, Supramental
und Geist verwirklicht, wobei jede von ihnen der
Reihe
nach die anderen als Mittel zu ihrem Selbst-Ausdruck empornimmt, so daß die
Materie in dieser spirituellen Schau beweist, sie selbst sei immer eine
Manifestation des Geistes gewesen. Das Übermental ist in seiner Macht als
Ur-Sache und im Prozeß seiner ausführenden Dynamik ein Organisator vieler
Entfaltungsmöglichkeiten des Seins. Jede setzt sich als besondere Wirklichkeit
durch, und doch sind alle fähig, sich auf viele verschiedene doch gleichzeitige
Weisen zusammenzuschließen. Das Übermental ist ein Zauberer, ein Künstler, mit
Vollmacht, den vielfarbigen Teppich mit Kette und Schuß der Manifestation einer
einzigen Wesenheit in einem komplexen Universum zu weben.
In dieser simultanen Entwicklung vielartiger
unabhängiger oder kombinierter Mächte oder Entfaltungsmöglichkeiten gibt es noch
– oder bis jetzt noch – kein Chaos, keinen Konflikt, kein Absinken aus der
Wahrheit oder dem Wissen. Das Übermental ist ein Schöpfer von Wahrheiten, nicht
von Illusionen oder falschen Dingen: Was in einer gegebenen übermentalen
Energieentfaltung oder Bewegung ausgearbeitet wird, ist die Wahrheit des
Aspekts, der Macht, Idee, Kraft und Seligkeit, die in eine unabhängige
Aktion freigesetzt wird; es ist die Wahrheit der Konsequenzen ihrer Wirklichkeit
in dieser Unabhängigkeit. Da gibt es kein Ausschließendes, das sich als die
einzige Wahrheit des Wesens durchsetzt oder die anderen als untergeordnete
Wahrheiten unterdrückt: Jeder Gott kennt alle Götter und ihren Platz im Dasein.
Jede Idee läßt alle anderen Ideen und ihr Existenzrecht zu. Jede Kraft gesteht
allen anderen Kräften, ihrer Wahrheit und ihren Konsequenzen den ihnen
entsprechenden Ort zu. Keine Seligkeit eines gesondert erfüllten Daseins oder
einer getrennten Erfahrung bestreitet oder verurteilt die Seligkeit eines
anderen Daseins, einer anderen Erfahrung. Das Übermental ist ein Prinzip
kosmischer Wahrheit. Unermeßliche und grenzenlose Katholizität ist sein
eigentlicher Geist. Seine Energie ist eine All-Dynamik und auch ein Prinzip
gesonderter Entfaltungen von Energien: es ist eine Art niederes Supramental,
obwohl es sich nicht vorwiegend mit Absolutheiten befaßt, sondern mit dem, was
man die dynamischen Potentiale oder pragmatischen Wahrheiten der Wirklichkeit
nennen könnte, oder mit Absolutheiten hauptsächlich wegen ihrer Macht,
pragmatische oder schöpferische Werte zu erschaffen. Sein umgreifendes Verstehen
der Dinge ist aber mehr global als integral, da sich seine Totalität auf globale
Ganzheiten gründet oder durch getrennte
unabhängige Wirklichkeiten konstituiert wird, die sich vereinigen oder
zusammenwachsen. Von ihm wird zwar die wesentliche Einheit als das Grundlegende
der Dinge und als das sich in ihrer Manifestation Durchsetzende begriffen und
gefühlt, doch ist das nicht mehr, wie im Supramental, ihr innigstes, immer
gegenwärtiges Geheimnis, ihr dominierender Inhalt, der ständig erkennbare
Erbauer des harmonischen Ganzen ihrer Aktivität und Natur.
Wenn wir den Unterschied zwischen diesem globalen
Übermental-Bewußtsein und unserem trennenden und nur unvollkommen
zusammenfügenden mentalen Bewußtsein verstehen wollen, erleichtern wir es uns,
wenn wir das strikt Mentale mit dem vergleichen, was eine übermentale
Betrachtung von Aktivitäten in unserem materiellen Universum ergäbe. Für das
Übermental wären z. B. alle Religionen wahr, da sie die Entfaltung der einzigen
ewigen Religion sind. Alle Philosophien wären gültig, eine jede im eigenen Feld
als Darstellung ihrer Auffassung des Universums von ihrem Blickwinkel her. Alle
politischen Theorien wären mit ihrer Praxis die legitime Ausarbeitung einer
Ideen-Kraft mit dem Recht, im Spiel der Energien der Natur angewandt und
praktisch entwickelt zu werden. In unserem trennenden Bewußtsein, in dem nur
unvollkommene Ahnungen von Katholizität und Universalität auftauchen, existieren
diese Dinge als Gegensätze. Jede Seite behauptet, die Wahrheit zu sein, und
wirft den anderen Irrtum und Falschheit vor. Jede fühlt sich gezwungen, die
anderen zu widerlegen oder zu vernichten, damit sie selbst die Wahrheit sei und
lebe: Bestenfalls muß jede behaupten, überlegen zu sein, und alle anderen nur
als einen minderwertigen Ausdruck der Wahrheit gelten lassen. Übermentale
Intelligenz würde es ablehnen, eine solche Auffassung oder diese Tendenz zur
Ausschließlichkeit auch nur für einen Augenblick zu hegen. Sie würde allen
erlauben, als notwendig für das Ganze zu leben, würde jeden an seinen richtigen
Platz im Ganzen stellen oder jedem seinen Bereich der Verwirklichung und des
Bemühens zuweisen. Bei unserem Mental ist das anders, weil das Bewußtsein hier
völlig in die Zerteilungen der Unwissenheit herabgesunken ist. Wahrheit ist
nicht mehr etwas Unendliches oder ein kosmisches Ganzes mit vielen möglichen
Formulierungen. Vielmehr ist sie starre Behauptung, die jede andere Behauptung
deswegen für falsch hält, weil sie verschieden von ihr und in anderen Grenzen
verfestigt ist. Unser mentales Bewußtsein kann tatsächlich in seiner Erkenntnis
sehr nahe zum alles umgreifenden Verstehen und
zur Katholizität gelangen. Es scheint aber jenseits seiner Macht zu liegen, das
auch im Handeln und im Leben zu organisieren. Das evolutionäre Mental wirft,
sobald es in Individuen und Kollektiven manifest ist, eine Vielfalt
auseinandergehender Gesichtspunkte und auseinanderlaufender Linien des Handelns
auf und läßt sie sich Seite an Seite oder im Zusammenprall miteinander oder in
gegenseitiger Vermischung ausarbeiten. Es kann ausgewählte Harmonien herstellen,
aber nicht zu harmonischer Beherrschung der wahren Totalität kommen. Wie alle
Ganzheiten muß das kosmische Mental, selbst in der evolutionären Unwissenheit,
solch eine Harmonie haben, wenn auch von vereinbarten Übereinstimmungen und
Uneinigkeiten. Es gibt in ihm auch eine zugrunde liegende Dynamik des Einsseins.
Es verbirgt aber die Vollkommenheit dieser Dinge in seinen Tiefen, vielleicht in
einer supramental-übermentalen Unterschicht. Es teilt sie nicht dem
individuellen Mental in der Evolution mit und bringt sie nicht aus den Tiefen an
die Oberfläche oder hat sie noch nicht hervorgebracht. Eine Übermental-Welt wäre
eine Welt von Harmonien. Die Welt der Unwissenheit, in der wir leben, ist eine
Welt von Disharmonien und von Kampf.
Im Übermental können wir nun die ursprüngliche
kosmische maya entdecken. Das ist aber nicht die maya der
Unwissenheit, sondern eine maya des Wissens. Doch ist sie eine Macht, die
die Unwissenheit ermöglichte, sogar unvermeidlich machte. Denn wenn jedes zum
Wirken erschaffene Prinzip seiner unabhängigen Linie folgen und seine
Konsequenzen vollständig durchführen muß, hat auch das Prinzip der Absonderung
seinen Lauf vollständig zu Ende zu führen. Es muß zu seiner absoluten Konsequenz
gelangen dürfen. Das ist die unvermeidliche Herabkunft, facilis descensus.
Ihr folgt das Bewußtsein, sobald es das trennende Prinzip zuläßt, bis es durch
die verfinsternde unendliche Fragmentierung, tucchyena (Rig Veda,
X., 129.3), in die materielle Nicht-Bewußtheit eingeht, – “in den Unbewußten
Ozean” des Rig Veda. Wenn das Eine aus diesem durch seine eigene Erhabenheit
geboren wird, bleibt es doch zuerst durch ein fragmentarisches trennendes Sein
und Bewußtsein verborgen. Das ist unser Bewußtsein. In ihm müssen wir die Dinge
wieder Stück für Stück zusammensetzen, um zu einem Ganzen zu kommen. In diesem
langsamen, schwierigen Hervortreten gewinnt der Ausspruch Heraklits in gewissem
Sinn seine Wahrheit, daß der Krieg der Vater aller Dinge sei. Jede Idee und
Kraft, jedes gesonderte Bewußtsein, jeder
lebende Mensch stößt mit anderen durch die zwingende Notwendigkeit seiner
Unwissenheit zusammen und versucht, durch Selbst-Behauptung seiner
Unabhängigkeit und nicht durch Harmonie mit allem übrigen Dasein, für sich
selbst zu leben, zu wachsen und sich zu erfüllen. Aber doch existiert das
unbekannte zugrunde liegende Einssein, das uns zwingt, langsam um eine Form von
Harmonie, von gegenseitiger Abhängigkeit, von einträchtigem statt zwieträchtigem
Zusammenleben, von schwer zu erlangender Einheit zu ringen. Harmonie und
Einheit, nach denen wir streben, können aber dynamisch bis in alle Fasern
unseres Wesens und bis zu ihrem umfassenden Selbst-Ausdruck – also nicht allein
in unvollkommenen Versuchen, unvollständigen Konstruktionen und immer
wechselnden Annäherungen – nur verwirklicht werden, indem durch unsere Evolution
die verborgenen überbewußten Mächte der kosmischen Wahrheit und der Wirklichkeit
entfaltet werden, in der sie eins sind. Die höheren Bereiche des spirituellen
Mentals über unserem Wesen und Bewußtsein müssen sich erschließen, auch das, was
noch jenseits des spirituellen Mentals ist, muß in uns zum Vorschein kommen,
wenn wir die göttliche Möglichkeit unserer Geburt in das kosmische Dasein hinein
erfüllen wollen.
Bei seiner Herabkunft erreicht das Übermental eine
Linie, die die kosmische Wahrheit von der kosmischen Unwissenheit trennt. An
dieser Trennungslinie wird es für die Bewußtseins-Kraft möglich, durch die
Hervorhebung der Besonderheit jeder vom Übermental erschaffenen unabhängigen
Bewegung und durch die Verdunkelung ihrer Einheit das Mental durch exklusive
Konzentration von seinem übermentalen Ursprung zu trennen. Eine ähnliche
Loslösung hat schon einmal stattgefunden, als das Übermental sich von seinem
supramentalen Ursprung löste, wobei aber der Vorhang zwischen beiden transparent
blieb, so daß eine bewußte Übertragung ermöglicht und eine gewisse erleuchtete
Verwandtschaft bewahrt wurde. Hier ist aber der Vorhang undurchsichtig und die
Übertragung der Übermental-Motive in das Mental unverständlich und dunkel. Das
gesonderte Mental handelt, als sei es ein unabhängiges Prinzip. Jeder mentale
Mensch, jede grundlegende mentale Idee, Macht und Kraft steht in ähnlicher Weise
auf ihrem gesonderten Ich. Wenn sie mit anderen Verbindung aufnehmen, sich
vereinigen oder Kontakte herstellen, geschieht das nicht mit der allumfassenden
Universalität der Übermental-Bewegung, auf der Basis zugrunde
liegenden Einsseins, vielmehr schließen sich unabhängige Einheiten zusammen, um
ein getrenntes konstruiertes Ganzes zu bilden. Durch diese Bewegung kommen wir
von der kosmischen Wahrheit hinüber zur kosmischen Unwissenheit. Auf dieser
Ebene umgreift das kosmische Mental zweifellos seine Einheit noch mit innerem
Verstehen. Es wird aber nicht seines eigenen Ursprungs und seiner Grundlage im
Geist inne, oder es kann diese nur durch die Intelligenz, aber nicht durch
fortdauernde Erfahrung verstehen. Es handelt in sich so, als ob es rechtmäßig
für sich allein sei, und verarbeitet das, was es empfängt, als Material, ohne
unmittelbare Kommunikation mit der Quelle, aus der es empfängt. Ebenso handeln
seine Einheiten in Unkenntnis voneinander und vom kosmischen Ganzen. Sie
erkennen nur durch äußere Kontakte und Kommunikation. Hier gibt es nicht mehr
das Grundempfinden von Identität, kein gegenseitiges Durchdringen und inneres
Verstehen, die von dort herrühren. Alle Wirkensweisen dieser Mental-Energie
gehen von der entgegengesetzten Basis der Unwissenheit und ihren Zerteilungen
aus. Obwohl sie die Resultate einer gewissen bewußten Erkenntnis sind, ist das
eine partielle Erkenntnis, kein wahres, vollständiges Wissen vom Selbst und
keine wahre vollständige Erkenntnis der Welt. Dieses Gepräge des Wissens dauert
im Leben und in der subtilen Materie weiter an und erscheint wieder im
grob-materiellen Universum, das vom endgültigen Absturz in die Nichtbewußtheit
herrührt.
Dennoch bleibt, wie in unserem subliminalen oder
inneren Mental, so auch in diesem Mental noch eine umfassendere Macht von
Kommunikation und Gegenseitigkeit bestehen, ein freieres Spiel von Mentalität
und Sinnen, als es unser menschliches Mental besitzt, und die Unwissenheit ist
noch nicht vollständig. Eine bewußte Harmonie, eine Organisation der rechten
Beziehungen in gegenseitiger Abhängigkeit ist eher möglich: Das Mental ist noch
nicht von blinden Lebens-Kräften verwirrt oder von unempfänglicher Materie
verdunkelt. Es ist eine Ebene der Unwissenheit, aber noch nicht der Falschheit
und des Irrtums, zumindest ist der Absturz in Falschheit und Irrtum noch nicht
unvermeidlich. Diese Unwissenheit legt zwar Grenzen auf, verfälscht aber noch
nicht notwendigerweise. Hier gibt es eine Begrenzung der Erkenntnis, eine
Organisation partieller Wahrheiten, aber noch kein Leugnen von Wahrheit und
Erkenntnis oder Widerspruch dagegen. Dieses Gepräge einer Organisation
partieller Wahrheiten auf der Grundlage trennender Erkenntnis dauert fort im
Leben und in der subtilen Materie, denn die ausschließliche
Konzentration der Bewußtseins-Kraft, die sie in das separative Wirken versetzt,
trennt noch nicht völlig das Mental vom Leben oder Mental und Leben von der
Materie und verschleiert sie nicht voreinander. Die vollständige Abtrennung kann
erst dann stattfinden, wenn die Stufe der Unbewußtkeit erreicht ist und unsere
Welt vielfältiger Unwissenheit aus jenem dämmrigen Mutterschoß hervorgeht. Diese
anderen noch bewußten Stufen der Involution sind sicherlich Organisationen von
Bewußter Kraft, in denen jede aus ihrer eigenen Mitte heraus lebt, ihre eigenen
Möglichkeiten bis zu Ende verfolgt und wo das vorherrschende Prinzip, sei es
Mental, Leben oder Materie, selbst die Dinge auf seiner eigenen unabhängigen
Grundlage ausarbeitet. Was so herausgebracht wird, sind aber Wahrheiten eben
dieses Prinzips, keine Illusionen und kein Wirrwarr aus Wahrheit und Falschheit,
aus Wissen und Unwissenheit. Wenn aber die Bewußtseins-Kraft durch
ausschließliche Konzentration auf Kraft und Form in den Erscheinungen das
Bewußtsein von der Form zu trennen versucht oder wenn sie das Bewußtsein in
einem blinden, in Form und Kraft versunkenen Schlaf absorbiert, muß sich das
Bewußtsein durch fragmentarische Evolution, die den Irrtum notwendig und die
Falschheit unvermeidlich macht, zu sich selbst zurückkämpfen. Trotzdem sind auch
diese Dinge keine Illusion, die aus einem ursprünglichen Nicht-Sein entsprungen
wären. Wir könnten sagen, sie sind unvermeidliche Wahrheiten einer Welt, die aus
der Unbewußtheit entstanden ist. Denn die Unwissenheit ist in Wirklichkeit noch
ein Wissen, das nach seinem hinter der ursprünglichen Maske der Nichtbewußtheit
verborgenen Selbst sucht. Es verfehlt es, und es findet es. Seine Ergebnisse
sind auf ihrer je eigenen Linie natürlich, ja unvermeidlich. Sie sind die wahre
Konsequenz des Absturzes, – gewissermaßen sogar ein richtiges Handeln, um vom
Sturz zu genesen. Das erste Ergebnis dieses Absturzes ist: Sein versinkt in
scheinbares Nicht-Sein, Bewußtsein in scheinbare Nicht-Bewußtheit,
Seins-Seligkeit in weite kosmische Empfindungslosigkeit. Bei der Rückkehr aus
diesem Fall durch mühevolle fragmentarische Erfahrung besteht der notwendige
Prozeß der Arbeit zur Entdeckung des Selbsts aus der Wiedergabe von Bewußtsein
in den dualen Begriffen von Wahrheit und Falschheit, Erkenntnis und Irrtum, des
Seins in den dualen Begriffen von Leben und Tod, der Seins-Seligkeit in den
dualen Begriffen von Schmerz und Lust. Eine reine Erfahrung von Wahrheit,
Wissen, Seligkeit, unvergänglichem Dasein wäre hier in sich selbst
ein Widerspruch gegen die Wahrheit der Dinge. Das könnte nur dann
anders sein, wenn alle Menschen in der Evolution stillschweigend empfänglich
wären für die seelischen Elemente in ihrem Inneren und für das Supramental, das
allem Wirken der Natur zugrunde liegt. Hier wirkt sich aber das
Übermental-Gesetz aus, daß jede Kraft ihre eigenen Möglichkeiten ausarbeiten
muß. Die natürlichen Möglichkeiten einer Welt, in der ursprüngliche
Nichtbewußtheit und Zerteilung von Bewußtsein die Hauptprinzipien sind, würden
das Hervortreten von Kräften der Finsternis bewirken, die gezwungen sind, an der
Unwissenheit, durch die sie leben, festzuhalten: Das wäre unwissendes Ringen um
Wissen, ein Bemühen, das der Ursprung des Falschen und des Irrtums ist, ein
ignorantes Bemühen, durch Hervorrufen von Unrecht und Bösem zu leben, ein
egoistischer Genuß daran, Urheber eines zerspaltenen Lebens in Freuden,
Schmerzen und Leiden zu sein. Unvermeidlich sind das wohl die zuerst
ausgeprägten Eigenschaften, aber nicht die einzigen Möglichkeiten unseres
evolutionären Daseins. Weil doch das Nicht-Sein ein verborgenes Sein, die
Nicht-Bewußtheit ein verborgenes Bewußtsein, die Unempfindlichkeit ein
vermummtes, schlafendes ananda ist, müssen diese verborgenen
Wirklichkeiten hervortreten. Am Ende müssen sich auch das verborgene Übermental
und das Supramental in dieser ihnen dem äußeren Anschein nach entgegengesetzten
Organisation aus einem dunkeln Unendlichen heraus zur Erfüllung bringen.
Zwei Dinge machen diese höchste Erfüllung leichter, als
es sonst möglich wäre. Bei seinem Abstieg in die materielle Schöpfung hat das
Obermental Abwandlungen seiner selbst hervorgebracht – besonders die Intuition
mit ihren durchdringenden Lichtblitzen von Wahrheit, die bestimmte Punkte und
Bereiche in unserem Bewußtsein erleuchten, die die verborgene Wahrheit der Dinge
unserem umgreifenden inneren Verstehen näherbringen können. Wenn wir uns immer
weiter, zuerst im inneren Wesen und dann, als Folge davon, in unserem äußeren
Menschsein auch für die Botschaften aus diesen höheren Bereichen des Bewußtseins
öffnen und in sie hineinwachsen, können wir selbst zu intuitiven und
übermentalen Menschen werden, die nicht durch den Intellekt und die Sinne
begrenzt, sondern fähig sind, in allumfassender Weise innerlich zu begreifen und
die Wahrheit in ihrem eigentlichen Selbst und Leib unmittelbar zu berühren.
Tatsächlich kommen schon Lichtblitze der Erleuchtung aus diesen höheren
Bereichen zu uns. Dieses Eingreifen ist aber zumeist fragmentarisch,
gelegentlich und partiell. Wir müssen in uns ein
höheres Wirken der Wahrheit organisieren, dessen wir potentiell fähig sind.
Zweitens müssen aber Übermental, Intuition und sogar Supramental nicht nur, wie
wir gesehen haben, die der Nicht-Bewußtheit innewohnenden, in sie involvierten
Prinzipien sein, aus denen wir in der Evolution emporsteigen und uns, unserer
Bestimmung gemäß, unausweichlich herausentwickeln müssen, sondern sie sind
verborgen schon in uns gegenwärtig und in geheimer Weise aktiv mit Lichtblitzen
intuitiven Emportauchens in der kosmischen Aktivität von Mental, Leben und
Materie. Es ist wahr, daß ihr Wirken verborgen ist. Selbst wenn sie
hervortreten, geschieht das so, daß sie durch das materielle, vitale und mentale
Medium, in dem sie wirken, eingeschränkt und nicht leicht erkennbar sind. Das
Supramental kann sich nicht von Anfang an als die Schöpfer-Macht im Universum
manifestieren. Würde es das tun, wären Unwissenheit und Nicht-Bewußtheit
unmöglich, oder die notwendige langsame Evolution würde sich in das Schauspiel
schneller Transformation verwandeln. Dennoch können wir auf jeder Stufe der
materiellen Energie den Stempel der unvermeidlichen Entwicklung erkennen, der
ihr vom supramentalen Schöpfer aufgeprägt wird. Und wir sehen in der ganzen
Entwicklung von Leben und Mental das Spiel der Linien von Möglichkeit und
Kombination, die das Eingreifen des Übermentals charakterisiert. So wie Leben
und Mental in der Materie freigesetzt wurden, müssen auch diese größeren Mächte
der verborgenen Gottheit zu ihrer Zeit aus der Involution hervortreten, und ihr
erhabenes Licht muß von oben auf uns herabkommen.
Ein Göttliches Leben ist also in der irdischen Manifestation nicht nur möglich als das hohe Ergebnis und Lösegeld für unser gegenwärtiges Leben in der Unwissenheit. Vielmehr ist es, wenn die Dinge so liegen, wie wir sie gesehen haben, das unvermeidliche Ergebnis und die höchste Erfüllung des evolutionären Bemühens der Natur.
E N D E
BUCH 1
Kapitel XV. Wirklichkeit und integrales Wissen
Dieses Selbst wird durch die Wahrheit und durch integrale Erkenntnis gewonnen.
Mundaka Upanishad, III. 1.5.
Höre, wie du Mich hier in Meiner Ganzheit erkennen wirst..., denn selbst von den Suchern, die Erfolg hatten, erkennt kaum einer Mich in all der Wahrheit Meines Wesens.
Gita, VII. 1.3.
Dies also ist der Ursprung, dies ist die Natur und dies
sind die Grenzen der Unwissenheit. Ihr Ursprung ist eine Begrenzung von Wissen.
Ihr besonderer Charakter ist eine Absonderung des Wesens von seiner eigenen
Vollständigkeit und ganzen Wirklichkeit. Ihre Grenzen werden durch diese
absondernde Entwicklung des Bewußtseins bestimmt, denn sie schließt uns aus von
unserem wahren Selbst und vom wahren Selbst und der umfassenden Natur der Dinge
und zwingt uns, in einem sichtbaren Dasein an der Oberfläche zu leben. Folgendes
müssen demnach Kennzeichen und entgegengesetzter Charakter der inneren
Hinwendung zum Wissen sein: Rückkehr oder Fortschritt zur Vollständigkeit, das
Aufheben der Begrenzung, das Niederbrechen der Absonderung, das Überschreiten
der Grenzlinien und das Wiedergewinnen unserer wesenhaften und ganzen
Wirklichkeit. Das begrenzte und gesonderte Bewußtsein soll durch ein wesenhaftes
und vollständiges Bewußtsein ersetzt werden, das mit der ursprünglichen Wahrheit
und mit der ganzen Wahrheit von Selbst und Sein identisch ist. Das integrale
Wissen ist etwas, das bereits in der integralen Wirklichkeit da ist. Es ist
nicht etwas Neues, das noch nicht existiert, das erst durch das Mental
erschaffen, erworben, erlernt, erfunden oder aufgebaut werden muß. Vielmehr muß
es entdeckt oder enthüllt werden. Es ist eine Wahrheit, die sich dem
spirituellen Bemühen vom Selbst her enthüllt. Denn dort, in unserem tieferen und
größeren Selbst, ist es verhüllt. Es ist der eigentliche Stoff unseres
spirituellen Bewußtseins. Da wir nun in unserem äußeren Selbst zu ihm erwachen,
sollen wir es in unseren Besitz bekommen. Es gibt eine integrale Erkenntnis des
Selbsts, die wir wiederzugewinnen haben. Es gibt
aber auch eine integrale Erkenntnis der Welt, da das Welt-Selbst auch unser
eigenes Selbst ist. Es gibt zwar ein Wissen, das von unserem Mental erlernt oder
konstruiert werden kann und das seinen Wert hat. Das ist aber nicht gemeint,
wenn wir vom Wissen und von der Unwissenheit sprechen.
Das integrale spirituelle Bewußtsein trägt in sich ein Wissen von allen Begriffen des Seienden. Es verknüpft die höchsten mit den niedersten durch alle vermittelnden Begriffe und erlangt so ein unteilbares Ganzes. Auf der höchsten Gipfelhöhe der Dinge öffnet es sich für die Wirklichkeit des Absoluten, die unaussprechlich ist, weil überbewußt allem gegenüber außer ihrem eigenen Selbst-Innesein. Am tiefsten Ende unseres Wesens nimmt es das Unbewußte wahr, mit dem unsere Evolution anfängt. Zugleich wird es aber auch des Einen und des Alls inne, das in jenen Tiefen selbst-involviert ist. Es enthüllt in der Unbewußtheit das verborgene Bewußtsein. Seine Schau ist ausdeutend und offenbarend und bewegt sich zwischen diesen beiden Extremen. So entdeckt das integrale spirituelle Bewußtsein die Manifestation des Einen in den Vielen, die Identität des Unendlichen in der Verschiedenheit der endlichen Dinge, die Gegenwart des zeitlosen Ewigen in der ewigen Zeit. Dieses Schauen erhellt ihm die Bedeutung des Universums. Dieses Bewußtsein hebt das Universum nicht auf. Es hebt es empor und verwandelt es, indem es ihm seine verborgene Bedeutung verleiht. Es hebt nicht das individuelle Dasein auf. Es verwandelt Wesen und Natur des Individuums, indem es diesen ihre wahre Bedeutung offenbart und sie befähigt, ihre Absonderung von der Göttlichen Wirklichkeit und der Göttlichen Natur zu überwinden.
Integrales Wissen setzt integrale Wirklichkeit voraus.
Denn die Macht des Wahrheits-Bewußtseins ist selbst das Bewußtsein der
Wirklichkeit. Aber unsere Vorstellung und unser Empfinden von Wirklichkeit
variiert mit dem Zustand und der Absicht unseres Bewußtseins, mit seiner Schau,
seiner Betonung und Auffassung der Dinge. Diese Schau und diese Betonung können
intensiv und exklusiv oder extensiv, inklusiv und allumfassend sein. Es ist sehr
wohl möglich – und das ist in seinem Bereich eine berechtigte Maßnahme unseres
Denkens und bezeichnend für ein hohes spirituelles Niveau –, das Sein des
unaussprechlichen Absoluten zu bejahen, es als einzige Wirklichkeit zu betonen
und für unser Selbst das individuelle Wesen und die kosmische Schöpfung zu
verneinen und auszumerzen, sie aus unserer Vorstellung und unserem Empfinden von Wirklichkeit auszulöschen. Die Wirklichkeit des
Universums ist brahman, das Absolute. Die Wirklichkeit des Kosmos ist
brahman, das Absolute. Das Individuum ist ein Phänomen, eine vergängliche
Erscheinung im Kosmos. Der Kosmos selbst ist ein Phänomen, eine größere,
komplexe vergängliche Erscheinung. Die beiden Begriffe Wissen und Unwissenheit
gehören nur dieser äußeren Erscheinung an. Um zum absoluten Überbewußtsein zu
gelangen, müssen wir beide transzendieren: Ich-Bewußtsein und kosmisches
Bewußtsein werden in jener höchsten Transzendenz zum Erlöschen gebracht, nur das
Absolute bleibt übrig. Denn das absolute brahman existiert nur in seiner
eigenen Identität und steht jenseits von allem Erkennen des anderen. Dort
verschwindet die Vorstellung von dem Wissenden und dem Gewußten und darum auch
von dem Wissen, in dem beide sich treffen und eins werden. Diese Idee wird
transzendiert und verliert ihre Berechtigung, so daß das absolute brahman
Mental und Rede immer unerreichbar bleiben muß. Im Gegensatz zu der Anschauung,
die wir vorgetragen haben, oder in Ergänzung zu ihr – daß nämlich die
Unwissenheit selbst entweder nur als ein begrenztes oder als ein involviertes
Wirken des Göttlichen Wissens anzusehen ist, als begrenzt im nur partiell
Bewußten und als involviert im Unbewußten – könnten wir von diesem anderen Ende
der Skala der Dinge her sagen, Wissen sei nur eine höhere Unwissenheit, da es
vor der absoluten Wirklichkeit haltmache, die Sich Selbst gegenüber evident, dem
Mental jedoch unerkennbar sei. Diese absolute Auffassung entspricht einer
Wahrheit des Denkens und einer Wahrheit höchster Erfahrung im spirituellen
Bewußtsein. Für sich genommen ist das aber nicht das Ganze des vollständigen und
umfassenden Denkens, und es erschöpft nicht die Möglichkeiten höchster
spiritueller Erfahrung.
Die absolutistische Betrachtung von Wirklichkeit,
Bewußtsein und Wissen gründet sich auf eine Richtung frühesten vedantischen
Denkens. Das ist aber nicht das Ganze jenes Denkens. In den Upanishaden, der
inspirierten Schrift des ältesten Vedanta, finden wir diese Bejahung des
Absoluten als den aus der Erfahrung gewonnenen Begriff der äußersten,
unaussprechlichen Transzendenz. Wir finden aber auch, und zwar nicht im
Widerspruch dazu sondern als Ergänzung, eine Bejahung der kosmischen Divinität,
einen durch Erfahrung gewonnenen Begriff vom kosmischen Selbst und vom Werden
des brahman im Universum. In gleicher Weise finden wir die Bejahung der
Göttlichen Wirklichkeit im Individuum. Auch das
ist eine aus Erfahrung gewonnene Auffassung. Das Individuum wird nicht nur als
äußerer Schein aufgefaßt sondern als ein aktuelles Werden. Anstelle der einzigen
höchsten exklusiven Behauptung, die außer dem transzendenten Absoluten alles
verneint, finden wir eine umfassende Annahme, die bis zu ihrer äußersten
Schlußfolgerung gebracht wird. Diese Auffassung von Wirklichkeit und Wissen, die
in einer einzigen Schau das Kosmische und das Absolute umschließt, stimmt
grundsätzlich mit unserer eigenen überein. Denn in ihr ist beides enthalten: Die
Unwissenheit ist ein halb-verhüllter Teil des Wissens, und die Welt-Erkenntnis
ist ein Teil der Selbst-Erkenntnis. Die Isha-Upanishad besteht auf der Einheit
und Wirklichkeit aller Manifestationen des Absoluten. Sie weist zurück, daß man
die Wahrheit nur auf einen einzigen Aspekt beschränkt. Brahman ist das
Unverrückbare und das Bewegliche, das Innere und das Äußere, alles, was nahe,
und alles, was fern ist, ob spirituell oder in der Ausdehnung von Zeit und Raum.
Es ist das Seiende und alle Werdeformen. Er ist der Reine und Schweigende, der
ohne Gestaltung und Aktion ist, der Seher und Denker, der die Welt und ihre
Objekte organisiert. Er ist der Eine, der zu allem wird, das wir mit unseren
Sinnen im Universum wahrnehmen; der Immanente und das, worin er seine Wohnstätte
aufschlägt. Die Upanishad versichert das als die vollkommene und befreiende
Erkenntnis, was weder das Selbst noch seine Schöpfungen ausschließt. Der
befreite Geist sieht alle diese Dinge als die Werdeformen des Selbst-Seienden in
einer inneren Schau und durch ein Bewußtsein, das das Universum im eigenen
Innern wahrnimmt und nicht nur äußerlich auf es schaut als auf etwas anderes als
es selbst, wie das begrenzte ichhafte Mental das tut. In der kosmischen
Unwissenheit zu leben, ist Blindheit. Sich aber auf einen exklusiven
Absolutismus von Wissen zu begrenzen, ist ebenfalls Blindheit. Integrales Wissen
heißt, brahman zu erkennen als das Wissen und die Unwissenheit zugleich
und zusammen; den höchsten Zustand zu erlangen zugleich durch Werden und
Nicht-Werden; die Erkenntnisse des transzendenten und des kosmischen Selbsts
aufeinander zu beziehen; eine feste Grundlage im Überweltlichen und eine des
Selbsts gewisse Manifestation im Weltlichen zu erreichen. Das ist der Besitz der
Unsterblichkeit. Dieses ganze Bewußtsein mit seinem vollständigen Wissen ist es,
das die Grundlage für das Göttliche Leben legt und dieses erreichen läßt. Daraus
folgt, daß die unbedingte Wirklichkeit des Absoluten kein starres, unbestimmtes
Einssein
und keine Unendlichkeit sein darf, die
leer ist von allem, was nicht reines Selbst-Sein ist, das man nur dadurch
erlangt, daß man die Vielen und das Endliche ausschließt. Vielmehr muß sie etwas
sein, das jenseits dieser Definitionen und sogar jenseits von allem liegt, das
man als positiv oder als negativ beschreiben kann. Alle Bejahungen und alle
Verneinungen drücken seine Aspekte aus. Durch beide zusammen, durch höchste
Bejahung und höchste Verneinung, können wir zum Absoluten gelangen.
Auf der einen Seite haben wir also, uns als die
Wirklichkeit dargestellt, ein absolutes Selbst-Sein, ein ewiges einziges
Selbst-Seiendes. Durch die Erfahrung des schweigenden und inaktiven Selbsts oder
des unabhängigen unbeweglichen purusha können wir uns diesem gestaltlosen
und beziehungslosen Absoluten nahen, das Wirken der schöpferischen Macht
negieren, ob es nun eine illusorische maya oder eine formbildende
prakriti ist, aus dem ganzen Kreislauf im kosmischen Irrtum heraustreten in
den ewigen Frieden und in das Schweigen, frei werden, von unserem personalen
Dasein und uns selbst in jenem einzigen wahren Sein finden oder verlieren. Auf
der anderen Seite haben wir ein Werden, das eine wahre Bewegung des Seienden
ist, und beide, das Seiende und das Werden, sind Wahrheiten der einen absoluten
Wirklichkeit. Die erste Anschauung gründet sich auf den metaphysischen Begriff,
der die extreme Wahrnehmung des Absoluten in unserem Denken, die exklusive
Erfahrung in unserem Bewußtsein als eine Wirklichkeit formuliert, die leer ist
von allen Beziehungen und Bestimmungen. Das erfordert als logische und
praktische Konsequenz, die Welt der Beziehungen als etwas Falsches, etwas von
unrealem Wesen, etwas Nicht-Seiendes, asat, zu verneinen oder zumindest
als niedere, dahinschwindende, vergängliche und pragmatische Selbst-Erfahrung
aus dem Bewußtsein auszumerzen, um zur Befreiung des Geistes von seinen falschen
Wahrnehmungen oder seinen niedrigen Schöpfungen zu gelangen. Die zweite
Anschauung gründet sich auf die Auffassung, das Absolute könne weder positiv
noch negativ eingegrenzt werden. Es steht jenseits aller Beziehungen in dem
Sinne, daß es durch keine Relativitäten gebunden oder in seiner Wesensmacht
begrenzbar ist: Es kann nicht durch unsere relativen Auffassungen festgelegt
oder umschrieben werden, weder durch die höchsten noch die niedersten, weder
durch positive noch durch negative. Es wird weder durch unser Wissen noch durch
unsere Unwissenheit gebunden, weder durch unsere Auffassung
vom Sein noch durch die vom Nicht-Sein. Es kann aber auch nicht durch irgendeine
Unfähigkeit begrenzt werden, Beziehungen zu enthalten, zu unterhalten, zu
erschaffen oder zu offenbaren. Im Gegenteil, man kann die Macht, sich in einer
Unendlichkeit von Einheit und in einer Unendlichkeit von Vielheit zu
manifestieren, als eine ihr ursprünglich innewohnende Kraft, als Zeichen und
Ergebnis gerade ihrer Unbedingtheit ansehen. Diese Möglichkeit ist an sich schon
eine ausreichende Erklärung für das kosmische Dasein. Das Absolute kann in
seiner Art, einen Kosmos von Beziehungen zu manifestieren, tatsächlich nicht
eingeschränkt werden; es kann aber auch nicht gezwungen werden, keinen Kosmos zu
manifestieren. Es selbst ist keine bloße Leere. Denn ein inhaltsloses Absolutes
ist kein Absolutes – unsere Auffassung von einem Leeren oder einem Null-Wert ist
nur ein begriffliches Zeichen dafür, daß wir mental unfähig sind, es zu erkennen
und zu begreifen. Es trägt in sich selbst eine gewisse unaussprechliche
Wesenhaftigkeit von allem, was ist, und allem, was sein kann. Und da es in sich
diese Wesenhaftigkeit und diese Möglichkeit enthält, muß es in sich auch auf
irgendeine Art seiner Absolutheit entweder die dauernde Wahrheit oder die
innewohnende, wenn auch verborgene, verwirklichbare Aktualität von allem
enthalten, was für unser oder der Welt Dasein grundlegend ist. Diese
verwirklichbare Aktualität verwirklicht, oder diese ständige Wahrheit ihre
Möglichkeiten entfaltend, bezeichnen wir als Manifestation und sehen wir als das
Universum.
Im Begriff oder in der Erkenntnis der Wahrheit des
Absoluten gibt es also keine innewohnende unvermeidliche Konsequenz, die
Wahrheit des Universums zu bestreiten oder aufzulösen. Die Vorstellung von einem
wesenhaft unwirklichen Universum, das irgendwie durch eine unerklärliche Macht
von Illusion manifestiert wird, das das Absolute brahman nicht anerkennt,
über dem es erhaben steht und auf das es so wenig Einfluß nimmt, wie es selbst
von ihm beeinflußt wird, ist im Grunde die Übertragung einer Unfähigkeit unseres
mentalen Bewußtseins auf Jenes, eine Aufbürdung oder Unterstellung, adhyaropa,
gleichsam um es zu begrenzen. Sobald unser mentales Bewußtsein über seine
Begrenzungen hinausgeht, verliert es seine eigene Weise der Erkenntnis und seine
Erkenntnismittel. Dann hat es die Neigung, inaktiv zu werden oder ganz
aufzuhören. Es verliert zugleich auch seinen Halt an seinen früheren Inhalten
oder neigt dazu, diese nicht weiter zu haben. Dann hat es keine kontinuierliche
Auffassung mehr von der Wirklichkeit dessen, was
einst für es alles gewesen ist, das wirklich war: Wir unterstellen dem absoluten
parabrahman, das wir für immer ungeoffenbart auffassen, eine entsprechende
Unfähigkeit oder ein Abgesondertsein von oder eine Erhabenheit über das, was so
für uns unwirklich geworden ist oder als unwirklich erscheint. Es muß dann durch
seine eigene Art reiner Absolutheit ebenso wie unser Mental, wenn es aufhört
oder sich auslöscht, leer sein von jedem Zusammenhang mit dieser Welt der
sichtbaren Manifestation, unfähig, sie anzuerkennen, um sie zu unterstützen,
oder das dynamisch aufrechtzuerhalten, was ihr die Wirklichkeit gibt, – oder,
falls es so etwas zur Kenntnis nehmen kann, müßte dieses seiner Art nach ein
“Ist” sein, das nicht ist, eine magische maya. Es gibt aber keinen
zwingenden Grund, anzunehmen, daß diese Kluft existiert. Wessen unser relatives
menschliches Bewußtsein fähig oder nicht fähig ist, das ist kein Prüfstein oder
Maßstab für absolute Fähigkeit. Seine Begriffe können nicht auf eine absolute
Selbst-Bewußtheit übertragen werden. Was für unsere mentale Unwissenheit nötig
ist, um sich selbst zu entkommen, kann keine Notwendigkeit sein für das
Absolute, das sich selbst nicht zu entkommen braucht und keinen Grund hat, dem
die Anerkennung zu verweigern, das für es unerkennbar ist.
Es gibt dieses ungeoffenbarte Unerkennbare. Es gibt dieses geoffenbarte Erkennbare, das unserer Unwissenheit teilweise manifest, das jedoch gänzlich manifest ist für das göttliche Wissen, das es in seiner eigenen Unendlichkeit in sich birgt. Wenn es wahr ist, daß weder unsere Unwissenheit noch unsere äußerste und allumfassende mentale Erkenntnis uns einen festen Besitz des Unerkennbaren vermitteln kann, so ist doch auch wahr, daß sich Jenes sowohl durch unser Wissen wie durch unsere Unwissenheit selbst auf verschiedene Weise manifestiert. Denn es kann nicht etwas anderes manifestieren als sich selbst, da nichts sonst existieren kann. In dieser Mannigfaltigkeit von Manifestation gibt es jenes Einssein. Durch die Verschiedenheit können wir mit dem Einssein in Kontakt kommen. Aber auch wenn wir diese Koexistenz akzeptieren, ist es immer noch möglich, ein endgültiges Urteil und einen Verdammungsspruch über das Werden zu fällen und uns für die Notwendigkeit zu entscheiden, ihm zu entsagen und in das absolute Sein zurückzukehren. Diese Entscheidung kann auf die Unterscheidung zwischen der realen Wirklichkeit des Absoluten und der partiellen und irreführenden Wirklichkeit des relativen Universums gegründet werden.
Denn wir haben in dieser
Entfaltung von Wissen die beiden Begriffe des Einen und der Vielen, wie wir auch
die beiden Begriffe des Endlichen und des Unendlichen haben: dessen, das wird,
und dessen, das nicht wird, weil es ewig ist; dessen, das Gestalt annimmt, und
dessen, das keine Gestalt annimmt; des Geistes und der Materie; des höchsten
Überbewußten und des niedersten Unbewußten. In diesem Dualismus und um ihm zu
entkommen, steht es uns offen, Wissen als den Besitz des einen Begriffes zu
definieren und den Besitz des anderen als Unwissenheit. Das Allerhöchste für
unser Leben wäre dann, daß wir uns aus der niederen Wirklichkeit des Werdens
zurückziehen in die höhere Wirklichkeit des Seienden: daß wir uns aus der
Unwissenheit in das Wissen emporschwingen, die Unwissenheit zurückweisen und aus
den Vielen übergehen in den Einen, aus dem Endlichen in das Unendliche, aus der
Form in das Formlose, aus dem Leben des materiellen Universums in den Geist, aus
der Gewalt des Unbewußten über uns in das überbewußte Sein. Man nimmt bei dieser
Lösung an, es bestehe eine festgelegte Gegensätzlichkeit, eine letzte
Unvereinbarkeit in jedem Fall zwischen den beiden Begriffen unseres Wesens. Oder
auch: wenn beide ein Mittel der Manifestation des brahman sind, sei das
Niedere ein falscher oder unvollkommener Hinweis auf ihn, ein Mittel, das
versagen muß, und ein System von Werten, die uns letztlich nicht
zufriedenstellen können. Unbefriedigt von den Verwirrungen der Vielfalt,
verächtlich selbst das Höchste an Licht, Macht und Freude ablehnend, das sie uns
offenbaren kann, müssen wir über sie hinaus zu dem einen absoluten Punkt, zu dem
einen absoluten Ort drängen, an dem diese ganze Selbst-Variation aufhört. Da wir
infolge des Anspruchs des Unendlichen an uns nicht für immer in den Banden des
Endlichen bleiben oder hier Genugtuung, Weite und Frieden finden könnten, müßten
wir alle Bande der individuellen und universalen Natur zerbrechen, alle Werte,
Symbole, Abbildungen, Selbst-Definitionen, Begrenzungen des Unbegrenzbaren
zerstören und alle Kleinlichkeit und Zerteiltheit in jenem Selbst verlieren, das
auf ewig mit der eigenen Unendlichkeit zufrieden ist. Angewidert von den
Gestaltungen, desillusioniert von ihren falschen und vergänglichen Verführungen,
ermüdet und entmutigt von ihrer flüchtigen Unbeständigkeit und ihrem eitlen
Kreislauf der Wiederkehr müßten wir aus den Zyklen der Natur in die
Formlosigkeit und unterschiedslose Leere des permanenten Seins entkommen. Voller
Abscheu vor der Materie und ihrer Grobheit, ungeduldig mit dem zwecklosen
Drängen
und der Verwirrung des Lebens, ermüdet
durch das ziellose Umherirren des Mentals und überzeugt von der Eitelkeit all
seiner Zwecke und Ziele müßten wir uns befreien in die ewige Ruhe und Reinheit
des Geistes. Das Unbewußte sei ein Schlaf oder ein Gefängnis. Das Bewußte sei
ein Kreislauf von Bestrebungen ohne ein letztes Ziel oder das Vagabundieren wie
in einem Traum. Wir müßten in das Überbewußte erwachen, wo alle Finsternis von
Nacht und Halblichtern aufhöre in der vom Selbst erleuchteten Seligkeit des
Ewigen. Der Ewige sei unsere alleinige Zuflucht. Alles übrige seien falsche
Werte, sei die Unwissenheit und ihre Irrgärten, eine Selbst-Verwirrung der Seele
in der phänomenalen Natur.
Unsere Auffassung vom Wissen und von der Unwissenheit
verwirft diese Verneinung und die Gegensätzlichkeiten, auf die sie sich gründet.
Sie weist hin auf eine umfassendere, wenn auch schwierigere Methode, sie
miteinander zu versöhnen. Denn wir sehen, daß diese scheinbar einander
entgegensetzten Begriffe vom Einen und den Vielen, von der Form und dem
Formlosen, vom Endlichen und vom Unendlichen nicht so sehr Gegensätze als
vielmehr komplementäre Begriffe sind. Sie sind nicht alternative Werte des
brahman, als ob dieses ständig in seiner Schöpfung sein Einssein verliere,
um sich in der Vielheit wiederzufinden, und, unfähig, sich in der Vielheit zu
entdecken, diese wieder aufgebe, um das Einssein zu erlangen. Vielmehr sind sie
doppelte und zusammengehörige Werte, die sich gegenseitig verdeutlichen. Sie
sind keine hoffnungslos unvereinbaren Alternativen, vielmehr zwei Gesichter der
einen Wirklichkeit, die uns dadurch zu dieser führen können, daß wir beide
realisieren und nicht nur jede getrennt erproben, – auch wenn solch ein
gesondertes Erproben ein legitimer, ja unvermeidlicher Schritt oder Teil des
Prozesses der Erkenntnis sein mag. Wissen ist zweifelos die Erkenntnis des
Einen, des Seienden. Unwissenheit heißt, daß unser Selbst das Seiende vergißt.
Sie ist die Erfahrung der Abgesondertheit in der Vielfalt und ein Verbleiben
oder Kreisen im falschverstandenen Irrgarten der Werde-Formen. Das wird aber
durch die Seele im Werden überwunden, die in die Erkenntnis, in die Bewußtheit
des Seienden emporwächst, das in der Vielheit zu all den vorhandenen Wesen wird
und deshalb dazu werden kann, weil ihre Wahrheit bereits in seinem zeitlosen
Sein da ist. Die integrale Erkenntnis von brahman ist ein Bewußtsein, das
beides miteinander besitzt. Wenn wir ausschließlich nach dem einen von beiden
jagen, wird unser Blick für die andere Seite der Wahrheit
der allgegenwärtigen Wirklichkeit verschlossen. Der Besitz des Seienden, das
jenseits aller Werdeformen ist, bringt uns die Freiheit von Verhaftung und
Unwissenheit im kosmischen Dasein und verschafft uns dadurch jene Freiheit eines
freien Besitzes des Werdenden und des kosmischen Daseins. Die Erkenntnis des
Werdenden ist ein Teil des Wissens. Sie wirkt nur deshalb wie Unwissenheit, weil
wir in sie eingesperrt bleiben, avidyayam antare, ohne daß wir das
Einssein des Seienden besitzen, das die Grundlage des Werdens ist, sein Stoff,
sein Geist, die Ursache seiner Manifestation, ohne die es nicht möglich sein
könnte.
Tatsächlich ist das brahman eines, nicht nur in
einem gestaltlosen Einssein jenseits jeder Beziehung, sondern gerade auch in der
Vielheit des kosmischen Daseins. Da Es des Wirkens des zerteilenden Mentals
bewußt, jedoch selbst nicht durch es begrenzt ist, findet es sein Einssein
ebenso leicht in den Vielen, in Beziehungen, im Werden, wie wenn es sich ganz
aus den Vielen, aus den Beziehungen, aus dem Werden zurückzieht. Auch wir selbst
müssen es, gerade um sein Einssein völlig zu besitzen, – zumal Es hier ist,
zumal alles Jenes ist – in der unendlichen Selbst-Variation des Kosmos besitzen.
Eine Erklärung und Rechtfertigung für die Unendlichkeit der Vielfalt läßt sich
nur finden, wenn sie in der Unendlichkeit des Einen enthalten und von ihm als
Besitz gewahrt wird. Aber die Unendlichkeit des Einen ergießt sich auch in die
Unendlichkeit der Vielen und behält sich auch dort zu eigen. Es ist die
göttliche Stärke des freien purusha, der bewußten Seele, die sich selbst
in ihrer unsterblichen Erkenntnis des Selbsts besitzt, fähig zu sein, ihre
Energien ebenso zu verströmen, wie sich dabei nicht zu verlieren, sich nicht aus
ihrer Grenzenlosigkeit und der Endlosigkeit von Wechselfällen und Differenzen
besiegt zurückziehen zu müssen und nicht selbst durch deren Variationen
aufgeteilt zu werden. Die Selbst-Variationen des Selbsts im Endlichen, in denen
das Mental, das sein Wissen um sein Selbst verliert, verfangen und zerstreut
ist, sind dennoch keine Verneinung des Unendlichen, sondern dessen endloser
Ausdruck. Nur so haben sie für ihr Dasein Bedeutung, sie haben keinen anderen
Grund: Das Unendliche findet, während es eine tiefe Freude über sein
grenzenloses Wesen hat, gerade auch an dieser grenzenlosen Selbst-Begrenzung im
Universum seine Wonne. Das Göttliche Wesen ist nicht unfähig, zahllose Gestalten
anzunehmen. In Seinem Wesen ist Er doch jenseits aller Form und verliert, auch
wenn Er die Form annimmt, nicht Seine
Göttlichkeit. Vielmehr ergießt Er in sie die ganze Seligkeit Seines Wesens und
das Herrliche Seiner Göttlichkeit. Dieses Gold hört nicht deshalb auf, Gold zu
sein, weil es sich in alle Arten von Schmuck und in Münzen vieler Währungen und
Werte ausprägt. Ebensowenig verliert die Erden-Macht, das Prinzip all dieses
gestalteten materiellen Daseins, ihre unveränderliche Göttlichkeit, weil sie
sich in bewohnbare Welten ausformt, in Berge und Täler verausgabt und in die
Werkzeuge von Herd und Haushalt oder als hartes Metall in Waffen und Maschinen
gestalten läßt. Die Materie – selbst Substanz, subtil oder dicht, mental oder
materiell – ist Gestalt und Körper des Geistes. Sie wäre nie erschaffen worden,
könnte sie nicht zur Grundlage für den Selbst-Ausdruck des Geistes gemacht
werden. Die scheinbare Unbewußtheit des materiellen Universums enthält dunkel in
sich alles, was in dem lichtvollen Überbewußten ewig selbst-enthüllt ist. Dieses
in der Zeit zu enthüllen, ist die allmähliche und beabsichtigte tiefe Freude der
Natur und das Ziel ihrer Zyklen.
Es gibt aber noch andere Auffassungen von Wirklichkeit,
andere Begriffe von der Natur des Wissens, die wir erwägen müssen. Da ist die
Ansicht, daß alles, was existiert, eine subjektive Schöpfung des Mentals, eine
Konstruktion des Bewußtseins ist. Die Vorstellung von einer objektiven,
selbst-seienden Wirklichkeit, unabhängig vom Bewußtsein, sei eine Illusion, da
wir keinen Beweis für solch ein unabhängiges Selbst-Sein der Dinge hätten und
haben könnten. Diese Art der Betrachtung mag zu der Behauptung führen, das
schöpferische Bewußtsein sei die einzige Wirklichkeit, oder zur Leugnung alles
Daseins und zur Behauptung, ein Nicht-Sein oder ein nicht-bewußter Nullpunkt
seien die einzige Wirklichkeit. Denn in solcher Auffassung haben die vom
Bewußtsein konstruierten Gegenstände keine ursprüngliche Wirklichkeit, sind sie
vielmehr reine Konstruktionen. Selbst das Bewußtsein, das sie konstruiert, sei
nur ein Strom von Wahrnehmungen, die den Anschein von Verbundenheit und Dauer
annehmen und das Empfinden einer kontinuierlichen Zeit erschaffen. In
Wirklichkeit hätten diese Dinge aber keine haltbare Grundlage, da sie nur ein
Schein von Wirklichkeit seien. Das würde bedeuten: die Wirklichkeit ist ein
ewiges Fehlen sowohl allen selbst-bewußten Seins als auch all dessen, das
Bewegung des Seins konstituiert. Wissen hieße dann, daß wir aus dem Schein des
konstruierten Universums dorthin zurücktreten. Das würde eine doppelte und
vollständige Selbst-Vernichtung bedeuten, das Verschwinden des purusha und das Ende oder die Vernichtung von prakriti.
Denn bewußte Seele und Natur sind die beiden Begriffe unseres Wesens. Sie
umfassen alles, was wir unter Sein verstehen. Die Verneinung beider ist das
absolute nirvana. Was wirklich ist, müßte also entweder ein Unbewußtes
sein, in dem dieser Strom und diese Strukturen erscheinen, oder ein Überbewußtes
jenseits aller Vorstellung von Selbst oder Dasein. Aber diese Anschauung des
Universums trifft für die Erscheinung der Dinge nur zu, wenn wir unser
vordergründiges Mental als das Ganze des Bewußtseins auffassen. Als Beschreibung
des Wirkens dieses Mentals ist sie zutreffend. Hier sieht zweifellos alles aus
wie der Strom und die Konstruktion eines unbeständigen Bewußtseins. Sie kann
aber nicht als Darstellung des Seins im Ganzen gelten, wenn es eine größere und
tiefere Selbst- und Welt-Erkenntnis gibt, ein Wissen durch Identität, ein
Bewußtsein, für das ein solches Wissen normal ist, und ein Wesen, für das dieses
Bewußtsein das ewige Selbst-Innesein ist. Denn dann können für dieses Bewußtsein
und dieses Wesen das Subjektive und das Objektive zugleich wirklich und
innerlich gewiß sein. Beide können etwas seiner selbst sein, Charakterzüge
seiner Identität, die seine Existenz verbürgen.
Wenn andererseits das konstruierende Mental oder Bewußtsein wirklich und die einzige Wirklichkeit ist, könnte das Universum materieller Wesen und Gegenstände zwar Existenz haben. Diese wäre aber dann rein subjektiv-strukturell, vom Bewußtsein aus sich selbst hergestellt, durch es aufrechterhalten, um sich bei ihrem Verschwinden wieder in dieses aufzulösen. Denn es gibt sonst nichts, kein wesenhaftes Sein oder Seiendes, das die schöpferische Macht unterstützt. Andererseits gibt es aber auch kein sie erhaltendes Leeres oder Nichts. Also muß dieses Bewußtsein, das alles erschafft, selbst ein Sein oder eine Substanz haben oder sein. Wenn es Strukturen herstellen kann, müssen sie Konstruktionen aus seiner eigenen Substanz, Formen aus seinem eigenen Sein sein. Ein Bewußtsein, das nicht dasjenige eines Seienden oder nicht selbst ein Seiendes ist, muß unwirklich sein, die wahrnehmende Kraft eines Leeren oder in einem Leeren, die dort unwirkliche Konstruktionen herstellt, die aus Nichts gefertigt sind, – eine Erklärung, die man nicht leicht akzeptieren kann, es müßten denn alle anderen als ungültig erwiesen werden. So wird klar, daß das, was wir als Bewußtsein sehen, ein Wesen oder ein Seiendes sein muß, aus dessen Bewußtseinsstoff alles erschaffen ist.
Wenn wir so zur
zweieinigen oder dualen Wirklichkeit von Wesen und Bewußtsein zurückgehen,
können wir entweder mit dem Vedanta ein einziges ursprüngliches Wesen annehmen
oder mit dem Sankhya eine Vielzahl von Wesen, denen ein Bewußtsein oder
irgendeine Energie, der wir Bewußtsein beilegen, seine Konstruktionen darbringt.
Wenn allein eine Vielzahl getrennter ursprünglicher Wesen wirklich ist, muß, da
jedes in seinem eigenen Bewußtsein seine eigene Welt sein oder erschaffen würde,
der Schwierigkeit Rechnung getragen werden, die hinsichtlich ihrer Beziehungen
in einem einzigen identischen Universum besteht. Es muß ein einziges Bewußtsein
oder eine einzige Energie geben, entsprechend der Sankhya-Vorstellung von einer
einzigen prakriti, die das Feld der Erfahrung für viele gleiche
purushas ist, worin sie einander treffen in einem identischen, vom Mental
konstruierten Universum. Diese Theorie von den Dingen hat den Vorteil, daß sie
der Menge der Seelen und der Menge der Dinge Rechnung trägt, und ebenso auch
ihrer Erfahrung vom Einssein in der Vielfalt, während sie zugleich das
gesonderte spirituelle Wachstum und Schicksal des individuellen Wesens in
Betracht zieht. Wenn wir aber das Eine Bewußtsein oder die Eine Energie
voraussetzen können, die eine Vielfalt von Formen ihrer selbst erschafft und in
ihrer Welt eine Vielzahl von Wesen unterbringt, besteht keine Schwierigkeit,
auch ein einziges ursprüngliches Wesen anzunehmen, das eine Vielheit von Wesen
trägt und erhält oder sich darin ausdrückt, Seelen oder spirituelle Mächte
seines Einsseins. Daraus würde auch folgen, daß alle Gegenstände und alle
Gestaltungen des Bewußtseins Formen des Wesens sind. Dann muß man fragen, ob
diese Pluralität und diese Gestaltungen Wirklichkeiten des einen Wirklichen
Seins sind oder nur stellvertretende Personen und Leitbilder oder Symbole oder
Werte, die vom Mental erschaffen wurden, um Es zu repräsentieren. Das würde
weithin davon abhängen, ob dabei nur das Mental, wie wir es kennen, tätig ist
oder ein tieferes und größeres Bewußtsein, dem das Mental nur Instrument im
Vordergrund, ausführende Instanz seiner Anregungen ist, Medium seiner
Manifestationen. Ist es das erstere, kann das vom Mental geschaute und
konstruierte Universum nur subjektive, symbolische oder repräsentative
Wirklichkeit besitzen. Ist es aber letzteres, können das Universum und seine
natürlichen Wesen und Gegenstände wahre Wirklichkeiten des Einen Seins, Formen
oder Mächte seines Wesens sein, die durch seine Wesens-Kraft manifestiert
werden. Dann wäre das Mental nur der Interpret zwischen
der
universalen Wirklichkeit und den Manifestationen seiner schöpferischen
Bewußtseins-Kraft, shakti, prakriti, maya.
Es ist klar, daß ein Mental von der Art unserer
vordergründigen Intelligenz nur eine sekundäre Macht des Seins sein kann. Trägt
sie doch den Stempel der Unfähigkeit und Unwissenheit als Zeichen dafür, daß sie
etwas Abgeleitetes und nicht die ursprüngliche Schöpferin ist. Wir sehen, daß
sie die Gegenstände, die sie beobachtet, weder erkennt noch versteht. Sie hat
nicht automatisch Herrschaft über sie. Das Mental muß erst mit vieler Mühe
konstruiertes Wissen und kontrollierende Macht erwerben. Diese ursprüngliche
Unfähigkeit des Mentals wäre nicht vorhanden, wenn die Gegenstände seine eigenen
Konstruktionen wären, Schöpfungen der Macht seines Selbsts. Vielleicht ist das
deshalb so, weil das individuelle Mental nur vordergründige Macht und
abgeleitetes Wissen besitzt, während es ein universales Mental gibt, das
vollständig, mit Allwissenheit und Allmacht ausgestattet ist. Der Charakter des
Mentals jedoch, das wir kennen, ist Unwissenheit, die nach Wissen sucht. Es
erkennt nur Bruchteile. Es arbeitet mit Teilungen, um durch sie zur Summe zu
gelangen und so ein Ganzes zusammenzusetzen. Es besitzt nicht das Wesen der
Dinge oder ihre Totalität. Ein universales Mental gleichen Charakters könnte die
Summe seiner Teilungen kraft seiner Universalität wissen, doch würde ihm noch
das essentielle Wissen fehlen, ohne das es kein wahrhaft integrales Wissen geben
kann. Würde ein Bewußtsein das wesenhafte und vollständige Wissen besitzen, das
von der Essenz zum Ganzen und vom Ganzen zu den Teilen schreitet, so wäre das
nicht mehr ein Mental, sondern ein vollkommenes Wahrheits-Bewußtsein, das
automatisch im Besitz der ursprünglichen Erkenntnis des Selbsts und der Welt
ist. Von dieser Basis aus müssen wir die subjektive Betrachtung der Wirklichkeit
sehen. Es ist wahr, es gibt nicht so etwas wie eine objektive Wirklichkeit, die
vom Bewußtsein unabhängig wäre. Zugleich liegt aber auch in der Objektivität
Wahrheit. Diese besteht darin, daß die Wirklichkeit der Dinge in etwas begründet
ist, das in ihrem Innern existiert und unabhängig ist von der Interpretation,
die unser Mental ihnen gibt, und von den Konstruktionen, die dieses auf seiner
Beobachtung errichtet. Diese Strukturen konstituieren das subjektive Bild oder
die subjektive Form des Universums im Mental. Doch sind das Universum und seine
Gegenstände nicht nur ein Bild oder eine Form. In ihrem Wesen sind sie
Schöpfungen des Bewußtseins, jedoch eines Bewußtseins, das eines ist mit dem
Seienden, dessen Substanz die Substanz des
Seienden ist und dessen Schöpfungen auch aus dieser Substanz bestehen und darum
wirklich sind. Von diesem Gesichtspunkt aus kann die Welt nicht nur eine rein
subjektive Schöpfung des Bewußtseins sein. Die subjektive und die objektive
Wahrheit der Dinge sind beide wirklich; sie sind zwei Seiten der gleichen
Wirklichkeit.
In gewissem Sinne sind, um die entsprechenden und suggestiven Ausdrücke unserer Sprache zu gebrauchen, alle Dinge die Symbole, durch die wir Zugang zu Jenem suchen und uns ihm nahen müssen, durch das wir und die Dinge existieren. Die Unendlichkeit der Einheit ist das eine Symbol, die Unendlichkeit der Vielheit das andere. Da nun wiederum jedes Ding in der Vielheit auf die Einheit zurückverweist und jedes Ding, das wir endlich nennen, eine repräsentative Gestalt, die Form-Vorderseite, Silhouette, das Schattenbild eines Unendlichen ist, sind auch alle Dinge, die sich im Universum in begrenzter Form zeigen -alle seine Objekte, Geschehnisse, Ideen-Gestaltungen und Lebens-Gebilde – jedes in seiner Art ein verschlüsselter Hinweis und ein Symbol. Für unser subjektives Mental ist die Unendlichkeit des Seins ein Symbol, die Unendlichkeit des Nicht-Seins ein anderes Symbol. Die Unendlichkeit des Unbewußten und die Unendlichkeit des Überbewußten sind die beiden Pole der Manifestation des absoluten parabrahman. Unser Dasein zwischen diesen beiden Polen und unser Übergang vom einen zum anderen sind ein fortschreitendes Erfassen, eine ständige Interpretation und ein subjektiver Vorgang, durch den wir in uns diese Manifestation des Nichtoffenbaren aufbauen. Durch solche Entfaltung unseres Selbst-Seins sollen wir zum Bewußtsein seiner unaussprechlichen Gegenwart und unseres Selbsts, der Welt und all dessen kommen, das ist, sowie all dessen, das nicht ist, als der Enthüllung von etwas, das sich selbst niemals irgendeinem anderen gegenüber enthüllt als seinem eigenen ewigen und absoluten Selbst-Licht.
Aber diese Art, die Dinge zu betrachten, gehört zur
Tätigkeit des Mentals, das die Beziehung zwischen dem Seienden und dem äußeren
Werden interpretiert. Sie ist gültig als kraftvolle mentale Darstellung, die
einer gewissen Wahrheit der Manifestation entspricht, aber dem Vorbehalt
unterliegt, daß die symbolischen Werte der Dinge diese Dinge selbst nicht zu
bloß bedeutungsvollen Rechnungseinheiten, zu abstrakten Symbolen wie
mathematischen Formeln und anderen Zeichen machen, die vom Mental zur Erkenntnis
verwendet werden. Denn Formen und Ereignisseim
Universum sind Wirklichkeiten, die bedeutungsvoll sind für die Wirklichkeit. Sie
sind Selbst-Ausdruck von Jenem, Bewegungen und Mächte des Seienden. Jede
Gestaltung ist deshalb da, weil sie Ausdruck einer Macht von Jenem ist, das sie
bewohnt. Jedes Ereignis ist eine Bewegung in dem Vorgang, durch den eine gewisse
Wahrheit des Wesens in seinem dynamischen Prozeß der Manifestation
herausgearbeitet wird. Diese Bedeutung ist es, die der interpretierenden
Erkenntnis des Mentals und seiner subjektiven Konstruktion des Universums
Gültigkeit verleiht. Unser Mental ist in erster Linie Beobachter, Interpret. In
zweiter Linie und in abgeleitetem Sinn ist es Schöpfer. Tatsächlich ist dies der
Wert aller mentalen Subjektivität, daß sie in sich eine gewisse Wahrheit des
Wesens reflektiert, das unabhängig von der Reflexion existiert, einerlei, ob
sich die Unabhängigkeit als physische Objektivität oder als supraphysische
Realität darbietet, die vom Mental wahrgenommen wird, aber für die physischen
Sinne nicht wahrnehmbar ist. Das Mental ist also nicht der ursprüngliche
Konstrukteur des Universums. Es ist eine vermittelnde Macht, die gültig ist für
gewisse Aktualitäten des Wesens. Als ein Agent, ein Vermittler, macht es
Möglichkeiten wirklich und hat so seinen Anteil an der Schöpfung. Der wirkliche
Schöpfer ist aber ein Bewußtsein, eine Energie, die ursprünglich dem
transzendenten und kosmischen Geist innewohnt.
Es gibt eine genau entgegengesetzte Betrachtung der
Wirklichkeit und des Wissens, die die objektive Wirklichkeit als die einzig
völlige Wahrheit und das objektive Wissen als die einzig verläßliche Erkenntnis
behauptet. Diese Betrachtung geht von der Idee aus, daß das physische Dasein das
einzige fundamentale Dasein ist. Bewußtsein, Mental, Seele oder Geist werden auf
die Position eines vorübergehenden Ergebnisses der physischen Energie in ihrem
kosmischen Wirken verwiesen – falls Seele oder Geist überhaupt irgendwie
existieren. Alles, was nicht physisch und objektiv ist, besitzt eine geringere
Wirklichkeit, die vom Physischen und Objektiven abhängt Es muß sich dem
physischen Mental gegenüber durch objektive Evidenz oder durch eine erkennbare
und beweisbare Beziehung zur Wahrheit der physischen und äußeren Dinge
rechtfertigen, bevor man ihm einen Paß auf Wirklichkeit ausstellen kann. Es ist
aber evident, daß diese Lösung in ihrer Starrheit nicht annehmbar ist, da sie in
sich keine Vollständigkeit besitzt, sondern nur auf eine Seite des Daseins
schaut, ja, nur auf eine einzige Provinz oder einen einzigen Bezirk des Daseins
und alles übrige unerklärt läßt, weil ihm keine
ursprüngliche Wirklichkeit und keine Bedeutung innewohne. Wenn man das bis zu
seinem Extrem verfolgt, würde diese Anschauung einem Stein oder einem
Plumpudding die größere Wirklichkeit zusprechen, dem Denken, der Liebe, dem Mut,
dem Genie, der Größe der Seele und dem Mental der Menschen, die einer dunklen
und gefährlichen Welt gegenüberstehen und ihr gegenüber Meisterschaft erlangen,
eine geringere oder abhängige Wirklichkeit oder sogar nur eine substanzlose oder
verschwindende Realität. Denn in dieser Anschauung sind die Dinge, die für
unsere subjektive Betrachtung so groß sind, nur gültig als Reaktionen eines
objektiven materiellen Wesens auf ein objektives materielles Sein. Sie sind nur
insofern gültig, als sie es mit objektiven Wirklichkeiten zu tun haben und auf
diese effektiv einwirken. Die Seele ist, wenn sie überhaupt existiert, nur die
Begleiterscheinung einer objektiv wirklichen Welt-Natur. Im Gegensatz dazu
könnte man aber auch behaupten, das Objektive erhalte seinen Wert überhaupt nur
insofern, als es eine Beziehung zur Seele hat. Es ist ein Feld, eine
Gelegenheit, ein Mittel für den Fortschritt der Seele in der Zeit. Das Objektive
ist als Grundlage des Subjektiven zu seiner Manifestation erschaffen. Die
objektive Welt ist nur eine äußere Form für das Werden des Geistes. Sie ist hier
eine erste Form, eine Basis, aber nicht das Wesenhafte, nicht die Haupt-Wahrheit
des Seienden. Das Subjektive und das Objektive sind zwei notwendige Seiten der
manifestierten Wirklichkeit und von gleichem Wert. Im Bereich des Objektiven an
sich hat das supraphysische Objekt des Bewußtseins ebensoviel Recht, anerkannt
zu werden, wie die physische Objektivität. Es darf nicht a priori als
subjektive Täuschung oder Halluzination beiseitegeschoben werden.
Tatsächlich sind Subjektivität und Objektivität keine
unabhängigen Wirklichkeiten; sie hängen voneinander ab. Sie sind das Seiende,
das als Subjekt durch das Bewußtsein auf sich als auf das Objekt schaut, und
dasselbe Seiende, das sich als Objekt seinem eigenen Bewußtsein als Subjekt
darbietet. Die mehr partielle Anschauung gesteht keiner Sache substantielle
Wirklichkeit zu, die nur im Bewußtsein existiert, oder, um es genauer
auszudrücken, keiner Sache, für die nur das innere Bewußtsein oder der innere
Sinn Zeugnis ablegen, für die aber die äußeren physischen Sinne keine Grundlage
liefern oder sie nicht als substantiell erweisen. Die äußeren Sinne können aber
nur dann ein verläßliches Zeugnis liefern, wenn sie ihre Darstellung des
Gegenstandes dem Bewußtsein vorlegen, wenn dieses
Bewußtsein ihrem Bericht eine Bedeutung beilegt, der äußerlichen Darstellung
seine innere intuitive Interpretation hinzufügt und diese durch begründete
Zustimmung rechtfertigt. Denn das Zeugnis der Sinne ist an sich unvollkommen,
keineswegs verläßlich und gewiß nicht endgültig, da es unvollständig und stets
dem Irrtum unterworfen ist. Tatsächlich haben wir kein anderes Mittel, das
objektive Universum zu erkennen, als unser subjektives Bewußtsein, für das die
physischen Sinne Werkzeuge sind. So wie die Welt aber nicht nur diesem
Bewußtsein, sondern in diesem erscheint, so ist es auch bei uns. Wenn wir der
Aussage dieses universalen Zeugen in Bezug auf subjektive oder supraphysische
Objektivitäten die Wirklichkeit bestreiten, gibt es auch keinen ausreichenden
Grund, seiner Aussage hinsichtlich physischer Objektivitäten Wirklichkeit
zuzugestehen. Wenn die inneren und die supraphysischen Objekte des Bewußtseins
unwirklich sind, hat auch das objektive physische Universum alle Aussicht,
unwirklich zu sein. In jedem Fall sind Verstehen, Unterscheiden, Nachprüfen
notwendig. Es müssen aber das Subjektive und das Supraphysische eine andere
Methode der Nachprüfung verwenden als jene, die wir mit Erfolg auf das Physische
und äußerlich Objektive anwenden. Subjektive Erfahrung kann nicht dem Zeugnis
der äußeren Sinne unterworfen werden. Sie hat eigene Maßstäbe für ihr Schauen
und besitzt ihre eigene Methode der Nachprüfung. Ebenso können die
supraphysischen Wirklichkeiten ihrem Charakter nach nicht dem Urteil des
physischen oder des Sinnen-Mentals unterworfen werden, es sei denn, sie
projizieren sich ins Physische. Aber selbst dann ist ihr Urteil oft nicht
kompetent oder darf nur mit Vorsicht angenommen werden. Sie können nur durch
andere Sinne und durch eine Methode der Untersuchung und Bestätigung verifiziert
werden, die auf ihre eigene Wirklichkeit, auf ihre eigene Natur anwendbar ist
Es gibt verschiedene Ordnungen der Wirklichkeit. Die
objektive und physische ist nur eine von ihnen. Sie wirkt überzeugend auf das
physische oder das nach außen gerichtete Mental, da sie für die Sinne
unmittelbar einleuchtend ist, während dieses Mental für das Subjektive und das
Supraphysische keine Erkenntnismittel außer fragmentarischen Zeichen, Daten und
indirekten Schlüssen besitzt, die aber bei jedem Schritt dem Irrtum ausgesetzt
sind. Unsere subjektiven Vorgänge und inneren Erfahrungen sind ein Bereich von
Geschehnissen, die ebenso wirklich sind wie irgendwelche äußeren physischen
Geschehnisse. Während aber das individuelle
Mental von seinen eigenen Phänomenen etwas durch unmittelbare Erfahrung wissen
kann, bleibt es unwissend hinsichtlich dessen, was im Bewußtsein anderer
Menschen vor sich geht, außer wenn es durch Analogie mit seiner eigenen
Erfahrung oder aufgrund solcher Zeichen, Daten oder indirekten Schlüsse urteilt,
die ihm seine äußere Beobachtung liefern kann. Darum bin ich in meinem Innern
mir selbst gegenüber wirklich. Aber das unsichtbare Leben anderer hat für mich
nur mittelbare Wirklichkeit abgesehen davon, inwieweit es auf mein eigenes
Mental, mein Leben und meine Sinne einwirkt. Das ist die Beschränkung des
physischen Mentals des Menschen. Es schafft in ihm die Gewohnheit, nur das
Physische für wirklich zu halten und altes anzuzweifeln oder infrage zu stellen,
was nicht im Einklang steht mit der eigenen Erfahrung und dem Horizont seines
Verstehens oder was nicht übereinstimmt mit seinem Standard oder der Summe
seines fest erworbenen Wissens.
Diese im Ich zentrierte Haltung ist in jüngster Zeit
zum gültigen Maßstab der Erkenntnis erhoben worden. Man hat implizite oder
ausdrücklich das Axiom aufgestellt, alle Wahrheit müsse dem Urteil des
personalen Mentals, der Vernunft und Erfahrung von jedermann unterworfen werden,
oder sie müsse vor einer allgemeinen oder universalen Erfahrung sonstwie
bewiesen oder zumindest beweisbar sein, um als solche gelten zu können.
Offensichtlich ist das aber ein falscher Maßstab für Wirklichkeit und
Erkenntnis, da das die Souveränität des normalen oder durchschnittlichen Mentals
und seiner begrenzten Begabung und Erfahrung sowie die Ausschließung all dessen
bedeutet, was übernormal ist oder jenseits der durchschnittlichen Intelligenz
liegt. Im Extrem ist dieser Anspruch des Individuums, Richter über alles zu
sein, eine ichhafte Illusion, ein Aberglaube des physischen Mentals. In der
Masse ist es ein grober, vulgärer Irrtum. Was dahinter steht, ist die Wahrheit,
daß jeder Mensch, entsprechend seiner Fähigkeit, für sich selbst denken und für
sich selbst erkennen muß. Sein Urteil kann aber nur unter der Bedingung gültig
sein, daß er bereit ist, zu lernen und sich für eine immer umfassendere
Erkenntnis zu öffnen. Man kann als Grund angeben, daß es zu groben Täuschungen
kommen werde und man unbestätigte Wahrheit und subjektive Phantasie in den
Bereich des Wissens eindringen lasse, wenn man vom physischen Maßstab und vom
Grundsatz einer persönlichen oder universalen Überprüfung abweiche. Aber Irrtum
und Illusion sind immer ebenso gegenwärtig wie das Eindringen des Persönlichen und der eigenen Subjektivität in das Suchen nach
Erkenntnis. Die physischen oder objektiven Maßstäbe und Methoden schließen diese
nicht aus. Die Wahrscheinlichkeit von Irrtum ist kein Grund dafür, den Versuch
zur Entdeckung abzulehnen. Subjektive Entdeckung muß aber durch eine subjektive
Methode des Forschens, der Beobachtung und Nachprüfung betrieben werden. Eine
Erforschung des Supraphysischen muß geeignete Mittel und Methoden entwickeln,
anwenden und erproben, die anders sind als jene, durch die man die Bestandteile
physischer Objekte und Prozesse von Energie in der materiellen Natur untersucht.
Forschung aufgrund einer allgemeinen vorgefaßten
Begründung abzulehnen, ist ein Obskurantismus, der für die Ausweitung der
Erkenntnis ebenso schädlich ist wie es der religiöse Obskurantismus war, der
sich in Europa der Ausweitung der wissenschaftlichen Entdeckung entgegenstellte.
Die bedeutendsten inneren Entdeckungen können nicht vor den Richterstuhl der
allgemeinen Mentalität gestellt werden, nämlich die Erfahrung des Selbst-Seins,
das kosmische Bewußtsein, die innere Stille des befreiten Geistes, die
unmittelbare Einwirkung von Mental auf Mental, die Erkenntnis der Dinge durch
das Bewußtsein in innerem Kontakt mit einem anderen Bewußtsein oder mit seinen
Gegenständen, ebenso wie die meisten irgendwie wertvollen spirituellen
Erfahrungen. Davon hat diese allgemeine Mentalität keine Erfahrung und nimmt
ihren eigenen Mangel an solcher Erfahrung oder ihre Unfähigkeit dazu als Beweis
dafür, daß diese keine Geltung habe oder nicht existiere. Physische Wahrheit
oder Formeln, Verallgemeinerungen und Entdeckungen, die auf physischer
Beobachtung gegründet sind, können wohl vorgebracht werden; aber auch hier ist
eine Ausbildung der Fähigkeit notwendig, bevor man wirklich verstehen und
urteilen kann. Es kann doch auch nicht jeder unausgebildete Verstand der
Relativitätstheorie oder anderen schwierigen wissenschaftlichen Wahrheiten
folgen oder die Gültigkeit ihres Ergebnisses oder ihres Verfahrens beurteilen.
Jede Wirklichkeit, jede Erfahrung muß, um als wahr gelten zu können, in der Tat
der Nachprüfung durch eine gleiche oder ähnliche Erfahrung zugänglich sein. So
können tatsächlich alle Menschen eine spirituelle Erfahrung machen, sie bis in
ihre Konsequenzen verfolgen und sie in sich selbst als wahr bestätigen. Das ist
jedoch nur möglich, wenn sie die Fähigkeit dazu erworben haben oder die inneren
Methoden befolgen können, durch die diese Erfahrung und Bestätigung möglich
gemacht werden. Wir müssen einen Augenblick bei
diesen offensichtlichen und elementaren Wahrheiten verweilen, weil in letzter
Zeit die entgegengesetzten Ideen uneingeschränkt geherrscht – sie weichen jetzt
nur zurück – und der möglichen Entwicklung eines großen Erkenntnisbereiches den
Weg versperrt haben. Für den menschlichen Geist ist es von größter Bedeutung,
frei zu sein, um die Tiefen der inneren oder subliminalen Wirklichkeit, des
Spirituellen und dessen, was noch überbewußte Wirklichkeit ist, zu erforschen
und sich nicht in das physische Mental und seinen engen Bezirk objektiver
äußerer, harter Fakten einzumauern. Denn nur auf diese Weise kann es zu einer
Befreiung von der Unwissenheit kommen, in der unsere Mentalität steckt. Nur so
können wir frei werden für ein vollständiges Bewußtsein, eine wahre und
vollständige Selbstverwirklichung und -erkenntnis.
Vollständige Erkenntnis verlangt, daß wir alle möglichen Bereiche von Bewußtsein und Erfahrung erforschen und enthüllen. Denn es gibt subjektive Bereiche unseres Wesens, die hinter der offenkundigen Vorderseite liegen. Diese müssen in ihrer Tiefe erforscht werden. Alles, was als gesichert erwiesen ist, müssen wir innerhalb des Horizonts der totalen Wirklichkeit zulassen. Ein innerer Bereich von spiritueller Erfahrung ist einer der großen Bezirke des menschlichen Bewußtseins. Wir sollen in ihn eindringen bis in die tiefsten Tiefen und weitesten Weiten. Das Supraphysische ist ebenso wirklich wie das Physische. Es zu erkennen, ist Teil vollständigen Wissens. Man hat die Erkenntnis des Supraphysischen mit Mystizismus und Okkultismus zusammengebracht und den Okkultismus als Aberglauben und phantastischen Irrtum verfehlt. Das Okkulte ist aber ein Teil des Seins. Wahrer Okkultismus bedeutet nichts weiter, als daß man die supraphysischen Wirklichkeiten erforscht und die verborgenen Gesetze des Seienden und der Natur und all dessen enthüllt, das nicht oberflächlich zutage liegt. Er bemüht sich um die Entdeckung der verborgenen Gesetze des Mentals und der mentalen Energie, der geheimen Gesetze des Lebens und der Lebens-Energie, der verborgenen Gesetze des Subtil-Physischen und seiner Energien, – all dessen, was die Natur nicht in ein sichtbares Verfahren an die Oberfläche herausgestellt hat. Er versucht auch, diese verborgenen Wahrheiten und Mächte der Natur anzuwenden, um dadurch die Herrschaft des menschlichen Geistes über die gewöhnlichen Funktionen des Mentals, die gewöhnlichen Prozesse des Lebens und die gewöhnlichen Abläufe unseres physischen Daseins hinaus auszudehnen.
Im spirituellen Bereich,
der für das vordergründige Mental insoweit verborgen ist, als er über das
Normale hinausgeht und in die übernormale Erfahrung hineinreicht, kann man nicht
nur das Selbst und den Geist entdecken, sondern auch das uns emporhebende,
informierende und lenkende Licht des spirituellen Bewußtseins und der Macht des
Geistes, die spirituelle Art des Erkennens und des Handelns. Diese Dinge zu
wissen und ihre Wahrheiten und Kräfte in das Leben der Menschheit einzubringen,
ist notwendiger Teil seiner Evolution. Wissenschaft ist auf ihre Art
Okkultismus, bringt sie doch die Formeln ans Licht, die die Natur verborgen hat,
und verwendet ihre Erkenntnis, um Kräfte freizusetzen, die sie nicht in ihre
gewöhnlichen Verfahren einbezogen hat, um sie zu organisieren und ihre geheimen
Mächte und Prozesse in den Dienst der Menschen zu stellen, ein immenses System
von physischer Magie, denn es gibt keine andere – und kann keine geben – als die
Verwendung geheimer Wahrheiten des Seienden, geheimer Mächte und Prozesse der
Natur. Man mag sogar finden, daß eine supraphysische Kenntnis notwendig ist, um
das physische Wissen zu vervollständigen, da die Abläufe der physischen Natur
einen supraphysischen Faktor, eine mentale, vitale oder spirituelle Macht und
Aktivität hinter sich haben, an die wir durch irgendwelche äußeren Mittel der
Erkenntnis nicht herankommen können.
Aller Nachdruck, der auf die alleinige oder die
fundamentale Gültigkeit des objektiv Wirklichen gelegt wird, geht von dem
Empfinden aus, Materie sei die grundlegende Wirklichkeit. Es ist aber jetzt
klar, daß Materie keineswegs fundamental wirklich ist. Sie ist ein Gefüge von
Energie. Es wird sogar ein wenig zweifelhaft, ob das Wirken und die Schöpfungen
dieser Energie an sich anders erklärlich sind denn als Bewegungen der Macht
eines verborgenen Mentals oder Bewußtseins, dessen Formeln ihre Prozesse und
Bau-Stufen sind. Es ist deshalb nicht länger möglich, Materie als die einzige
Wirklichkeit anzunehmen. Die materielle Erklärung des Daseins war das Ergebnis
einer exklusiven Konzentration, einer voreingenommenen Beschäftigung mit nur
einer Bewegung des Seins. Solch eine exklusive Konzentration hat ihren Nutzen
und ist deshalb auch zulässig. In jüngster Zeit wurde sie durch die vielen ins
Große und die zahllosen ins Kleinste gehenden Entdeckungen der Physik
gerechtfertigt. Aber eine Lösung des ganzen Problems des Daseins kann nicht auf
eine exklusive einseitige Erkenntnis gegründet werden. Wir müssen nicht nur
wissen, was Materie ist und was ihre Prozesse
sind, sondern auch was Mental und Leben und deren Prozesse sind. Und man muß
auch Geist und Seele und all das erkennen, was hinter der materiellen Oberfläche
liegt. Nur dann können wir ein Wissen besitzen, das für eine Lösung des Problems
vollständig genug ist. Aus demselben Grund bieten auch jene Ansichten vom
Dasein, die ausschließlich oder vorwiegend Mental und Leben betonen und als die
einzige fundamentale Wirklichkeit ansehen, keine genügende Voraussetzung für
ihre Anerkennung. Eine solche Bevorzugung durch ausschließende Konzentration mag
zu einer fruchtbaren Forschung führen, die viel Licht auf Mental und Leben
wirft, kann aber nicht im Ergebnis zu einer umfassenden Lösung des Problems
führen. Es kann wohl sein, daß ausschließliche oder vorwiegende Konzentration
auf das subliminale Wesen, die das vordergründige Dasein als ein bloßes System
von Symbolen ansieht, um die einzige Wirklichkeit des Subliminals auszudrücken,
helles Licht auf das Subliminal und seine Prozesse wirft und die Mächte des
menschlichen Wesens sehr weit ausdehnt. Aber das wäre an sich noch keine
vollständige Lösung; es würde uns nicht erfolgreich zum integralen Wissen von
der Wirklichkeit führen. In unserer Schau ist der Geist, das Selbst, die
fundamentale Wirklichkeit des Seins. Aber eine ausschließliche Konzentration auf
diese fundamentale Wirklichkeit, die die Wirklichkeit von Mental, Leben oder
Materie ausschließt, ausgenommen deren Betrachtung als etwas dem Selbst
Aufgezwungenes oder als substanzlose Schatten des Geistes, könnte zu einer
unabhängigen und radikalen spirituellen Realisation verhelfen, nicht aber zu
einer integralen und gültigen Erkenntnis der Wahrheit des kosmischen und
individuellen Seins.
Vollständiges Wissen muß also eine Erkenntnis der
Wahrheit aller Seiten des Seins sein, jedes getrennt für sich und in der
Beziehung zu den anderen und ebenso der Beziehung aller zur Wahrheit des
Geistes. Unser gegenwärtiger Zustand ist Unwissenheit und ein Suchen nach vielen
Seiten. Wir suchen nach der Wahrheit aller Dinge. Es muß aber -wie ersichtlich
ist, aus dem Drängen und der Vielartigkeit der Spekulationen des menschlichen
Mentals über die fundamentale Wahrheit, die alle übrigen Wahrheiten erklärt, und
über die Wirklichkeit, die allen Dingen zugrundeliegt – diese fundamentale
Wahrheit der Dinge und die ihnen zugrundeliegende Wirklichkeit in einem
Wirklichen gefunden werden, das zugleich fundamental und universal ist. Wenn
dies entdeckt ist, muß es alles umfassen und erklären, denn: “Wenn Jenes erkannt ist, wird alles erkannt sein.” Notwendigerweise ist das fundamental
Wirkliche und enthält es in sich die Wahrheit alles Seins, die Wahrheit des
Individuums, die Wahrheit des Universums und die Wahrheit von allem, was
jenseits des Universums ist. Wenn das Mental nach solch einer Wirklichkeit sucht
und jedes Ding von der Materie aufwärts prüft, um zu sehen, ob es nicht Dieses
sein könnte, ist es seinen Weg nicht dank falscher Intuition gegangen. Allein
notwendig ist nun, das Forschen bis zu seinem Ziel zu bringen und die höchsten
und äußersten Höhen der Erfahrung zu prüfen.
Da wir von der Unwissenheit zum Wissen voranschreiten,
mußten wir zuerst die verborgene Natur und die volle Ausdehnung der Unwissenheit
entdecken. Wenn wir auf diese Unwissenheit schauen, in der wir gewöhnlich gerade
aufgrund unserer gesonderten Existenz in einem materiellen, in einem räumlichen
und zeitlichen Universum leben, sehen wir, daß sich diese auf ihrer verborgenen
Seite, von welcher Richtung wir sie auch betrachten oder uns ihr nahen, auf die
Tatsache einer vielseitigen Unwissenheit über das Selbst zurückführen läßt: Wir
wissen nichts vom Absoluten, das der Ursprung alles Seins und alles Werdens ist.
Darum nehmen wir partielle Tatsachen des Seienden und vergängliche Beziehungen
des Werdens für die ganze Wahrheit des Seins: Das ist die erste, die
ursprüngliche Unwissenheit. Wir wissen nichts von dem raumlosen, zeitlosen,
unbeweglichen und unveränderlichen Selbst. Darum nehmen wir die beständige
Beweglichkeit und Veränderlichkeit des kosmischen Werdens in Zeit und Raum für
die ganze Wahrheit des Seins: Das ist die zweite, die kosmische Unwissenheit.
Wir wissen nichts von unserem universalen Selbst, vom kosmischen Sein, dem
kosmischen Bewußtsein, von unserer unendlichen Einheit mit allem Seienden und
Werden. Darum nehmen wir unsere begrenzte ichhafte Mentalität, Vitalität,
Körperlichkeit für unser wahres Selbst und betrachten alles andere als das
Nicht-Selbst: Das ist die dritte, die ichhafte Unwissenheit. Wir wissen nichts
von unserem ewigen Werden in der Zeit. Darum nehmen wir dieses kleine Leben in
einer kleinen Spanne von Zeit, in einem winzigen Feld von Raum, als unseren
Anfang, unsere Mitte und unser Ende: Das ist die vierte Unwissenheit, die der
Zeit. Gerade innerhalb dieses kurzen, vergänglichen Werdens wissen wir nichts
von unserem umfassenden und komplexen Wesen, von dem in uns, was im Verhältnis
zu unserem vordergründigen Werden überbewußt, unterbewußt, innenbewußt,
umweltbewußt ist. Darum nehmen wir das Werden an
der Oberfläche mit seiner kleinen Auswahl von äußeren mentalisierten Erfahrungen
für unser ganzes Dasein: Das ist die fünfte, die psychologische Unwissenheit.
Wir wissen nichts von der wahren Konstitution unseres Werdens. Darum nehmen wir
Mental oder Leben oder Körper oder zwei von diesen oder alle drei für unser
wahres Prinzip oder für die ganze Summe dessen, was wir sind: Dabei verlieren
wir aus dem Auge, was sie konstituiert, was sie durch seine verborgene Gegenwart
bestimmt und was durch sein Hervortreten ihre Wirkweisen uneingeschränkt
bestimmen soll: Das ist die sechste, die konstitutionelle Unwissenheit. Als
Ergebnis all dieser Unwissenheiten verfehlen wir die wahre Erkenntnis, Lenkung
und Freude unseres Lebens in der Welt. Darum wissen wir in unserem Denken und
Wollen, in unserem Empfinden und Handeln nichts von den Fragen, die die Welt an
uns stellt, und reagieren an jedem Punkt falsch oder unvollkommen auf sie; wir
irren umher in einem Labyrinth von Irrtümern und Begehren, von Ringen und
Versagen, von Schmerz und Lust, von Sünde und Straucheln, verfolgen einen
krummen Weg und tasten blind nach einem wechselnden Ziel: Das ist die siebte,
die praktische Unwissenheit.
Unser Begriff von der Unwissenheit wird notwendig
unseren Begriff vom Wissen bestimmen und damit auch das Ziel menschlichen
Strebens und den Zweck kosmischen Bemühens, da unser Leben die Unwissenheit ist,
die zugleich das Wissen leugnet und danach sucht. Integrales Wissen wird also
die Aufhebung der siebenfachen Unwissenheit durch die Entdeckung dessen
bedeuten, was in ihr verfehlt ist und was sie nicht weiß, nämlich eine
siebenfache Offenbarung des Selbsts in unserem Bewußtsein. Das bedeutet:
Erkenntnis des Absoluten als des Ursprungs aller Dinge; Wissen vom Selbst, vom
Geist, vom Seienden und vom Kosmos als dem Werden des Selbsts, dem Werden des
Seienden und einer Manifestation des Geistes; Erkenntnis der Welt als eins mit
uns im Bewußtsein unseres wahren Selbsts, wodurch wir unsere Trennung von ihm
durch die trennende Idee und das Leben des Ichs aufheben; Erkenntnis unserer
psychischen Wesenheit und ihrer unsterblichen Dauer in der Zeit über Tod und
Erden-Dasein hinaus; Erkenntnis unseres größeren und inneren Seins hinter
unserer Außenseite; Erkenntnis unseres Mentals, Lebens und Körpers in ihrer
wahren Beziehung zu dem Selbst im Innern und zum überbewußten spirituellen und
supramentalen Wesen über ihnen; schließlich Erkenntnis der
wahren Harmonie und des rechten Gebrauchs unseres Denkens, Wollens und Handelns
und eine Umwandlung unserer ganzen Natur in einen bewußten Ausdruck der Wahrheit
des Geistes, des Selbsts, des Göttlichen Wesens und der vollständigen
spirituellen Wirklichkeit.
Das ist aber kein intellektuelles Wissen, das gelernt und in unserer gegenwärtigen Bewußtseins-Form zur Vollendung gebracht werden kann. Es muß eine Erfahrung, ein Werden, eine Umwandlung des Bewußtseins, eine Verwandlung des Wesens sein. Das weist hin auf den evolutionären Charakter des Werdens und auf die Tatsache, daß unsere mentale Unwissenheit nur eine Stufe in unserer Evolution ist. Das integrale Wissen kann also durch eine Evolution unseres Wesens und unserer Natur Zustandekommen. Das bedeutet offenbar einen langsamen Prozeß in der Zeit, wie er die anderen evolutionären Transformationen begleitet hat. Gegen diese Schlußfolgerung steht aber die Tatsache, daß die Evolution jetzt bewußt geworden ist. Ihre Methode und ihre Stufen brauchen keineswegs denselben Charakter zu haben wie bisher, wo sie in ihrem Verlauf unterbewußt war. Da das integrale Wissen aus einer Umwandlung des Bewußtseins hervorgehen muß, kann es durch einen Prozeß gewonnen werden, in dem unser Wille und unsere Anstrengung eine Rolle spielen, in dem sie ihre eigenen Schritte entdecken und ihre Methode anwenden können. Sein Wachsen in uns kann durch bewußte Selbst-Transformation fortschreiten. Notwendig ist also, daß wir sehen, welches wahrscheinlich das Prinzip dieses neuen Prozesses der Evolution ist und welches die Bewegungen des integralen Wesens sind, die zwangsläufig daraus hervorgehen, mit anderen Worten: welches die Art des Bewußtseins ist, das die Basis des göttlichen Lebens bilden muß, und wie dieses Leben gestaltet werden oder sich selbst gestalten mag, wie es sich materialisieren oder, wie man auch sagen könnte, wie es sich “verwirklichen” mag.
Kapitel XVI. Das integrale Wissen und das Ziel des Lebens. Vier Theorien des Daseins
Wenn alles Begehren, das
sich ans Herz klammert, von ihm losgelöst ist, wird der Sterbliche unsterblich,
besitzt er hier schon das Ewige.
Brihadaranyaka Upanishad, IV, 4.7.
Er wird zum Ewigen und geht fort ins Ewige.
Brihadaranyaka Upanishad, IV, 4. 7.
Dieses körperlose und unsterbliche leben und Licht ist das brahman.
Brihadaranyaka Upanishad, IV, 4.8.
Lang und eng ist der uralte Pfad – ich habe ihn berührt, ich habe ihn gefunden – der Pfad, auf dem die Weisen, die vom Ewigen Wissenden, indem sie zur Erlösung gelangten, von hier fortgehen zur hohen Welt des Paradieses.
Brihadaranyaka Upanishad, IV. 4.8.
Ich bin ein Sohn der Erde, der Boden ist meine Mutter... Möge sie an mich ihren vielfältigen Schatz, ihre geheimen Reichtümer verschwenden... Über deine Schönheit wollen wir sprechen, o Erde, die In deinen Dörfern ist und Wäldern und Versammlungen, in Krieg und Kämpfen.
Atharva Veda, XII, 1.12, 44, 56.
Möge die Erde, souverän über das Vergangene und das Zukünftige, uns eine weite Welt schaffen... Erde, die das Wasser auf dem Ozean war und deren Lauf die Denker folgen durch die Magie ihres Wissens, sie, die ihr Herz von Unsterblichkeit bedeckt hat mit der Wahrheit im höchsten Äther, möge sie uns Licht und Macht in jenem höchsten Reich verschaffen.
Atharva Veda, XII, 1.1,8.
O Flamme, du gründest Tag für Tag den Sterblichen in einer höchsten Unsterblichkeit zur Vermehrung inspirierten Wissens. Für den Seher, den nach der zweifachen Geburt dürstet, erschaffst du göttliche Wonne und menschliche Freude.
Rig Veda, I,31.7.
O Gottheit, hüte für uns das Unendliche und überschütte uns mit dem Endlichen.
Rig Veda, IV, 2. 11
Bevor wir nun die
Grundsätze und den Ablauf des evolutionären Aufstiegs des Bewußtseins
untersuchen, ist es nötig, nochmals das festzustellen, was unsere Theorie des
vollständigen Wissens als fundamentale Wahrheiten der Wirklichkeit und ihrer
Manifestation behauptet und was sie als wirksame Charakterzüge und dynamische
Aspekte zugibt, aber nicht für eine vollständige Erklärung des Seins und des
Universums als ausreichend anerkennen kann. Denn Wahrheit des Wissens muß die
Grundlage sein für Wahrheit des Lebens, sie muß das Ziel des Lebens bestimmen.
Der evolutionäre Prozeß selbst ist die Entfaltung einer Wahrheit des Seins, die
hier in einer ursprünglichen Unbewußtheit verborgen ist, aus ihr herausgestellt
durch ein hervortretendes Bewußtsein, das von Stufe zu Stufe seiner
Selbst-Entfaltung emporsteigt, bis es in sich die volle Wirklichkeit der Dinge
und eine vollständige Selbst-Erkenntnis offenbaren kann. Von der Art jener
Wahrheit, von der es ausgeht und die es zu offenbaren hat, muß der Verlauf der
evolutionären Entwicklung abhängen, – die Stufen ihres Fortschritts und deren
Bedeutung.
Erstens bejahen wir ein Absolutes als den Ursprung, die
Stütze und die verborgene Wirklichkeit aller Dinge. Man kann die Absolute
Wirklichkeit nicht durch mentales Denken definieren und durch mentale Sprache
benennen. Sich gegenüber ist sie selbst-seiend und selbst-bezeugend, wie alle
absoluten Dinge selbst-bezeugend sind. Unsere mentalen Bejahungen oder
Verneinungen können sie weder begrenzen noch definieren, ob man sie gesondert
oder zusammen erklären will. Zugleich gibt es aber ein spirituelles Bewußtsein,
ein spirituelles Wissen, eine Erkenntnis durch Identität, durch die man die
Wirklichkeit in ihren fundamentalen Aspekten wie in ihren manifestierten Mächten
und Gestaltungen begreifen kann. Alles, was ist, gehört in eine solche
Beschreibung hinein. Wenn es durch dieses Wissen in seiner eigenen Wahrheit oder
in seiner verborgenen Bedeutung geschaut wird, kann es als Ausdruck der
Wirklichkeit und selbst als eine Wirklichkeit betrachtet werden. In diesen fundamentalen Aspekten ist diese geoffenbarte
Wirklichkeit selbst-seiend. Denn alle zugrundeliegenden Wirklichkeiten bringen
etwas heraus, das im Absoluten ewig und ursprünglich wahr ist. Alles jedoch, was
nicht fundamental ist, alles Vorübergehende, ist phänomenal, ist Form und Macht,
ist abhängig von der Wirklichkeit, die es ausdrückt. Es ist wirklich durch diese
und durch seine eigene Wahrheit und Bedeutung, durch die Wahrheit dessen, was es
in sich trägt. Ist es doch Jenes und nicht etwas Zufälliges, etwas ohne
Grundlage, etwas Illusorisches, kein zwecklos konstruiertes Gebilde. Selbst das,
was diese Wahrheit entstellt oder verbirgt – wie die Lüge die Wahrheit entstellt
und vermummt, wie der Böse das Gute entstellt und sich damit maskiert hat eine
vorübergehende Wirklichkeit als wahre Konsequenzen der Unbewußtheit. Aber diese
entgegengesetzten Gestaltungen sind, wenn auch etwas Wirkliches in ihrem eigenen
Feld, doch nichts Wesenhaftes. Sie sind nur Zusätze zur Manifestation und dienen
ihr als vorübergehende Form oder Macht ihrer Bewegung. Das Universale ist
demnach etwas Wirkliches dank des Absoluten, dessen Selbst-Offenbarung es ist.
Alles, was es enthält, ist wirklich dank des Universalen, das ihm Form und
Gestalt gibt
Das Absolute manifestiert sich in zwei Begriffen, im
Sein und im Werden. Das Sein ist die fundamentale Wirklichkeit. Das Werden ist
eine wirksame Wirklichkeit: Es ist dynamisch an Macht und Resultat, eine
schöpferische Energie, eine Ausarbeitung des Seins, eine beharrliche, jedoch
veränderliche Form, Prozeß und Ergebnis seiner unveränderlichen, formlosen
Wesenheit. Alle Theorien, die das Werden als etwas für sich selbst Ausreichendes
darstellen, sind deshalb nur Halb-Wahrheiten, gültig für eine bestimmte
Erkenntnis der Manifestation, die man durch ausschließliche Konzentration auf
das gewinnt, was diese Theorien behaupten und ins Auge fassen. Abgesehen davon
sind sie aber nur deshalb gültig, weil das Sein vom Werden nicht gesondert,
vielmehr in diesem gegenwärtig ist, es konstituiert, und ebenso in seinem
winzigsten Atom wie in seiner grenzenlosen Ausbreitung und Ausdehnung enthalten
ist. Das Werdende kann sich selbst nur dann völlig erkennen, wenn es sich als
ein Seiendes begreift. Im Werden gelangt die Seele zur Erkenntnis des Selbsts
und zur Unsterblichkeit, wenn sie den Höchsten und Absoluten erkennt und die
Natur des Unendlichen und Ewigen besitzt. Das zu tun, ist höchstes Ziel unseres
Daseins, denn es ist die Wahrheit unseres Wesens und muß deshalb auch das
ursprüngliche Ziel, das notwendige Ergebnis
unseres Werdens sein. Diese Wahrheit unseres Wesens muß notwendigerweise in der
Seele manifestiert werden. In der Materie ist sie eine geheime Kraft. Im Leben
wird sie zu einem Drang und einer Tendenz, zu Begehren und Suchen. Im Mental ist
sie Wille, Ziel, Bemühen und Zweck. Das zu manifestieren, was von Anfang an im
Innern verborgen ist, ist die ganze geheime Absicht der evolutionären Natur.
Wir erkennen also die Wahrheit an, die die Philosophien des suprakosmischen Absoluten zur Grundlage nehmen. Der Illusionismus selbst kann, auch wenn wir seine letzten Schlußfolgerungen bestreiten, doch als der Weg angenommen werden, durch den die Seele im Mental, das mentale Wesen, die Dinge in einer spirituell-pragmatischen Erfahrung sehen muß, wenn sie sich vom Werden lostrennt, um sich dem Absoluten zu nahen und darin einzugehen. Aber auch das ist keine vollständige Philosophie des Seins, da das Werden wirklich ist und unvermeidlich in der eigentlichen Selbst-Macht des Unendlichen und Ewigen enthalten sein muß. Für die Seele im Werden ist es möglich, sich selbst als das Seiende zu erkennen und das Werdende zu besitzen. Sie kann sich selbst als ein Unendliches in ihrer Wesenhaftigkeit erkennen aber auch als das Unendliche, das seinen Selbst-Ausdruck im Endlichen findet; und als das zeitlos Ewige, das sich selbst und seine Werke in dem sie begründenden Zustand und in der sich entwickelnden Bewegung von Zeit-Ewigkeit betrachtet. Diese Realisation ist die höchste Höhe des Werdenden. Sie ist die Erfüllung des Seienden in seiner dynamischen Wirklichkeit. Auch das muß also Teil der vollständigen Wahrheit der Dinge sein. Denn das allein verleiht dem Universum volle spirituelle Bedeutung und rechtfertigt die Seele in der Manifestation. Eine Erklärung der Dinge, die das kosmische und das individuelle Dasein jeder Bedeutung beraubt, kann nicht die ganze Erklärung oder jene Lösung sein, die sie als das einzig wahre Ergebnis anbietet.
Weiter behaupteten wir, daß die fundamentale
Wirklichkeit des Absoluten für unsere spirituelle Wahrnehmung ein Göttliches
Sein ist, ein Bewußtsein und eine Seligkeit des Wesens, die eine selbst-seiende
überkosmische Wirklichkeit, aber auch die geheime Wahrheit ist, die aller
Manifestation zugrundeliegt. Denn die fundamentale Wahrheit des Seins muß
notwendig auch die fundamentale Wahrheit des Werdens sein. Alles ist eine
Manifestation von Jenem. Denn Jenes wohnt eben in
allem, was seine Gegensätze zu sein scheint. Sein im Verborgenen auf sie
ausgeübter Zwang, es zu enthüllen, ist die Ursache der Evolution. Ebenso ein
Druck auf die Unbewußtheit, aus sich heraus ihr geheimes Bewußtsein zu
entfalten; auf das scheinbar Nicht-Seiende, in ihm selbst das geheime
spirituelle Sein zu offenbaren; auf die empfindungslose Neutralität der Materie,
eine andersartige Freude am Sein zu entfalten, die wachsen muß, indem sie sich
von den untergeordneten Begriffen, den entgegengesetzten Dualitäten von Schmerz
und Lust freimacht für die wesenhafte tiefe Daseinsfreude, das spirituelle
ananda.
Das Seiende ist eines. Diese Einheit ist aber unendlich und enthält in sich eine unendliche Vielheit oder Vielfalt ihrer selbst: Das Eine ist das All. Es ist nicht nur ein essentielles Sein, sondern ein All-Sein. Die unendliche Vielfalt des Einen und die ewige Einheit der Vielen sind die beiden Wirklichkeiten oder Aspekte einer einzigen Wirklichkeit, auf die sich die Manifestation gründet. Wegen dieser fundamentalen Wahrheit der Manifestation stellt sich das Seiende unserer kosmischen Erfahrung in drei Kräfte-Verhältnissen dar: als das suprakosmische Sein, als der kosmische Geist und als das individuelle Selbst in den Vielen. Die Vielfalt gestattet aber in der Erscheinung eine Zerteilung des Bewußtseins, effektive Unwissenheit, in der die Vielen, die Individuen, aufhören, des ewigen selbst-seienden Einseins inne zu sein. Sie vergessen auch die Einheit des kosmischen Selbsts, in der und durch die sie leben, sich bewegen und ihr Wesen haben. Durch die Kraft der verborgenen Einheit wird aber die Seele im Werden durch ihre eigene unsichtbare Wirklichkeit und durch den verborgenen Druck der evolutionären Natur gezwungen, aus diesem Zustand der Unwissenheit herauszukommen und schließlich das Wissen von dem Einen Göttlichen Wesen und von ihrem Einssein mit ihm wiederzugewinnen. Zugleich erlangt sie ihre spirituelle Einheit mit allen individuellen Wesen und mit dem ganzen Universum. Sie muß nicht nur ihrer selbst im Universum innewerden, sondern auch des Universums in ihr selbst und des Wesens des Kosmos als ihres größeren Selbsts. Das Individuum soll sich universal ausweiten und in derselben Bewegung seiner suprakosmischen Transzendenz gewahr werden. Dieser dreifache Aspekt der Wirklichkeit muß in die totale Wahrheit der Seele und der kosmischen Manifestation einbezogen werden. Diese Notwendigkeit muß die endgültige Richtung des Ablaufs der evolutionären Natur bestimmen.
Alle Betrachtungen des
Seins, die vor der Transzendenz haltmachen und sie nicht beachten, müssen
unvollständige Darstellungen der Wahrheit des Seienden bleiben. Die
pantheistische Anschauung von der Identität des Göttlichen Wesens mit dem
Universum ist eine Wahrheit, denn all das, was ist, ist brahman. Aber sie
macht halt vor der ganzen Wahrheit, wenn sie die suprakosmische Wirklichkeit
verfehlt und ausschließt. Auf der anderen Seite irrt jede Betrachtung, die nur
den Kosmos bejaht, die aber das Individuum als ein Nebenprodukt der kosmischen
Energie beiseite schiebt, da sie den einen ins Auge fallenden Tatsachen-Aspekt
der Welt-Aktion zu stark betont. Das trifft nur für das natürliche Individuum zu
und ist nicht einmal dessen ganze Wahrheit. Denn das natürliche Individuum, das
Natur-Wesen, ist zwar sicherlich ein Produkt der universalen Energie. Es ist
aber zugleich auch eine Natur-Persönlichkeit der Seele, eine Gestaltung, die das
innere Wesen und die innere Person zum Ausdruck bringt. Diese Seele ist keine
vergängliche Zelle, kein auflösbarer Bestandteil des kosmischen Geistes. Sie
besitzt vielmehr ihre ursprüngliche unsterbliche Wirklichkeit in der
Transzendenz. Es ist eine Tatsache, daß sich das kosmische Wesen durch das
individuelle Wesen zum Ausdruck bringt. Ebenso ist aber auch wahr, daß sich die
Transzendente Wirklichkeit durch beide, das individuelle Dasein und den Kosmos,
ausdrückt. Die Seele ist ein ewiger Bestandteil des Höchsten und nicht ein
Bruchteil der Natur. In gleicher Weise muß jede Anschauung, die das Universum so
betrachtet, als existiere es nur im individuellen Bewußtsein, offensichtlich
fragmentarisch sein. Sie wird durch die Wahrnehmung gerechtfertigt, derzufolge
das spirituelle Individuum allumfassend ist und die Macht hat, das ganze
Universum mit seinem Bewußtsein zu umfangen. Aber weder der Kosmos noch das
individuelle Bewußtsein sind die fundamentale Wahrheit des Seins. Denn beide
sind abhängig vom transzendenten Göttlichen Wesen und existieren durch dieses.
Dieses Göttliche Wesen, saccidananda, ist
zugleich apersonal und personal. Es ist ein Sein, der Ursprung und die Grundlage
aller Wahrheiten, Kräfte, Mächte und Seins-Gestaltungen. Es ist aber auch das
Eine Transzendente Bewußte Wesen und die All-Person, deren Selbste und
Personalitäten alle bewußten Wesen sind. Denn Er ist ihr höchstes Selbst und die
universale innewohnende Gegenwart. Für die Seele im Universum ist es eine
Notwendigkeit – und deshalb die innerste Tendenz
der evolutionären Energie und ihre höchste Absicht –, diese Wahrheit von sich
selbst zu wissen und in sie hineinzuwachsen, eins mit dem Göttlichen Wesen zu
werden, ihre Natur zur Göttlichen Natur, ihr Sein in das Göttliche Sein, ihr
Bewußtsein in das Göttliche Bewußtsein, ihre Wesens-Seligkeit in die Göttliche
Seins-Seligkeit emporzuheben. Sie soll all das in ihr Werden empfangen. Sie soll
dadurch das Werden zu einem Ausdruck jener höchsten Wahrheit machen, so daß ihr
Besitzer in ihrem Innern das Göttliche Selbst und der Meister ihrer Existenz
ist. Zugleich soll sie aber auch Ihn voll besitzen und von Seiner Göttlichen
Energie bewegt werden. Sie soll in völliger Selbst-Hingabe und
Selbst-Überantwortung leben und handeln. Hier drücken die dualistischen und
theistischen Anschauungen vom Dasein, die das ewige, wirkliche Sein Gottes und
der Seele sowie die ewige wirkliche Existenz und das kosmische Wirken der
Göttlichen Energie behaupten, auch eine Wahrheit des Integralen Seins aus. Ihre
Formulierung macht aber vor der völligen Wahrheit halt, wenn sie die wesenhafte
Einheit von Gott und Seele oder ihre Fähigkeit zum äußersten Einssein bestreitet
oder wenn sie das mißachtet, was der höchsten Erfahrung im Aufgehen der Seele in
der Göttlichen Einheit durch Liebe, Einung des Bewußtseins und Verschmelzen von
Sein in Sein zugrundeliegt.
Die Manifestation des Seienden nimmt in unserem
Universum die Form einer Involution an, die der Ausgangspunkt für die Evolution
ist – Materie ist die allerniedrigste Stufe, Geist die erhabene Höhe. Bei dem
Hinabgehen in die Involution kann man sieben Prinzipien des manifestierten
Wesens unterscheiden, sieben Stufen des manifestierten Bewußtseins, von denen
wir hier eine Wahrnehmung, eine konkrete Realisation ihrer Gegenwart und
Immanenz oder eine reflektierte Erfahrung bekommen können. Die ersten drei sind
die ursprünglichen und fundamentalen Prinzipien. Sie bilden universale
Bewußtseins-Zustände, zu denen wir emporkommen können. Tun wir das, so können
wir auch höchster Ebenen oder Stufen der grundlegenden Offenbarung oder
Selbst-Formulierung der spirituellen Wirklichkeit bewußt werden, in der die
Einheit des Göttlichen Seins, die Macht des Göttlichen Bewußtseins, die Wonne
der Göttlichen Seins-Seligkeit herausgestellt wird – das alles aber nicht so
verborgen und vermummt wie hier; vielmehr können wir sie in ihrer vollen
unabhängigen Wirklichkeit besitzen. Ein viertes Prinzip, das supramentale Wahrheits-Bewußtsein, ist mit ihnen verbunden. Da es die
Einheit in einer unendlichen Vielheit manifestiert, ist es die charakteristische
Macht des Unendlichen, sich selbst durch Begrenzung zu bestimmen. Diese
vierfache Macht von höchstem Sein, Bewußtsein und seliger Freude konstituiert
eine obere Hemisphäre der Manifestation, die sich auf das ewige Wissen des
Geistes vom Selbst gründet. Gehen wir in diese Prinzipien oder in eine Ebene des
Seienden ein, auf der es die reine Gegenwart des Wirklichen gibt, so finden wir
in ihnen vollständige Freiheit und Erkenntnis. Die anderen drei Mächte und
Ebenen des Seienden, deren wir hier und jetzt inne werden, bilden eine
niedrigere Hemisphäre der Manifestation, die Hemisphäre von Mental, Leben und
Materie. Diese sind an sich Mächte der höheren Prinzipien. Wo sie sich aber
getrennt von ihren spirituellen Ursprüngen manifestieren, erleiden sie im
Resultat einen Absturz in das Phänomenale, in eine zerteilte statt in die wahre
unzerteilte Welt des Seins. Dieser Absturz, diese Lostrennung, bewirkt einen
Zustand von begrenztem Wissen, das ausschließlich auf seine eigene begrenzte
Welt-Ordnung konzentriert ist und alles, was seinen Hintergrund bildet, sowie
die zugrundeliegende Einheit vergißt. Darum ist es ein Zustand von kosmischer
und individueller Unwissenheit.
Bei dem Herabkommen in die materielle Ebene, dessen
Ergebnis unser natürliches Leben ist, findet dieser Fall seine absolute Tiefe in
einer totalen Unbewußtheit, aus der sich ein involviertes Wesen und Bewußtsein
stufenweise herausentwickeln müssen. Diese unvermeidliche Evolution entfaltet
zuerst unumgänglich die Materie und ein materielles Universum. In der Materie
erscheint das Leben mit lebenden physischen Wesen. Im Leben manifestiert sich
das Mental, das verkörperte denkende lebende Wesen. Im Mental muß unvermeidlich
durch eine fortschreitende Vermehrung seiner Mächte und Aktivitäten in Formen
von Materie das Supramental, das Wahrheits-Bewußtsein, hervortreten, und zwar
durch die Kraft dessen, was in der Unbe-wußtheit und in der Notwendigkeit der
Natur enthalten ist, es zu manifestieren. Das erscheinende Supramental
manifestiert das Wissen des Geistes vom Selbst und sein Wissen vom Ganzen in
einem supramentalen lebenden Wesen. Durch dasselbe Gesetz, die innewohnende
Notwendigkeit und Unvermeidlichkeit, muß es die dynamische Manifestation des
göttlichen Seins, Bewußtseins und der Seins-Seligkeit
bewirken. Hierin liegt die Bedeutung des Plans und der Ordnung der Evolution auf
Erden. Diese Notwendigkeit muß alle ihre Stufen und Grade, ihr Prinzip und ihren
Ablauf bestimmen. Mental, Leben und Materie sind die verwirklichten Mächte der
Evolution und uns wohlbekannt. Das Supramental und der dreieinige Aspekt von
saccidananda sind die geheimen Prinzipien, die bislang nicht nach außen
hervorgebracht worden sind, sondern erst noch in den Formen der Manifestation
realisiert werden müssen. Wir kennen sie nur durch Andeutungen und ein
partielles, fragmentarisches Wirken, das sich noch nicht von der niederen
Bewegung losgelöst hat und deshalb nicht leicht erkennbar ist. Aber auch ihre
Evolution ist ein Teil der Bestimmung der Seele im Werden. Es muß innerhalb des
Erden-Lebens in der Materie eine Realisierung und Dynamisierung nicht nur des
Mentals, sondern alles dessen geben, was oberhalb von diesem zwar tatsächlich in
das Erden-Leben und in die Materie herniedergekommen, aber noch verborgen ist.
Unsere Theorie vom integralen Wissen erkennt das Mental
als ein schöpferisches Prinzip, als eine Macht des Seienden an und weist ihm
seinen Platz in der Manifestation zu. In ähnlicher Weise akzeptiert sie Leben
und Materie als Mächte des Geistes; auch in diesen ist eine schöpferische
Energie. Aber die Anschauung, die das Mental zum alleinigen oder zum höchsten
schöpferischen Prinzip macht, und die Philosophien, die dem Leben oder der
Materie dieselbe einzige Wirklichkeit oder Vorherrschaft beimessen, sind
Ausdruck einer Halb-Wahrheit und kein integrales Wissen. Es ist wahr, daß die
Materie, wenn sie als erstes hervortritt, zum beherrschenden Prinzip wird. In
ihrem eigenen Feld erscheint sie als die Grundlage aller Dinge – und ist es
auch. Sie konstituiert alle Dinge und ist das Ende aller Dinge. Wir erkennen
aber die Materie selbst als das Ergebnis von etwas, das nicht Materie ist,
nämlich von Energie. Diese Energie kann aber nicht etwas Selbst-Seiendes sein
und im Leeren wirken, sondern sie kann sich erweisen – und erweist sich auch,
wenn wir sie bis in ihre tiefsten Tiefen erforschen -gleichsam als das Wirken
eines geheimen Bewußtseins und Wesens. Wenn das spirituelle Wissen und die
spirituelle Erfahrung hervortreten, wird dies zu einer Gewißheit. Man sieht
dann, daß die schöpferische Energie in der Materie eine Bewegung der Macht des
Geistes ist. Materie selbst kann nicht die ursprüngliche und letzte Wirklichkeit
sein. Zugleich wird auch die Auffassung, die Materie und Geist voneinander trennt und sie als Gegensätze einander gegenüberstellt, unannehmbar.
Materie ist eine Form des Geistes, eine Wohnung des Geistes. Hier, in der
Materie selbst, kann es eine Realisierung des Geistes geben. Weiter trifft zu,
daß das Leben dann, wenn es hervortritt, vorherrschend wird und die Materie in
ein Werkzeug seiner Manifestation verwandelt. Dann sieht es anfänglich so aus,
als wäre das Leben selbst das geheime ursprüngliche Prinzip, das in die
Schöpfung hervorbricht und sich in den Formen der Materie verhüllt. In diesem
Anschein liegt Wahrheit. Man muß einräumen, daß diese Wahrheit ein Teil der
integralen Erkenntnis ist. Leben ist, wenn auch nicht die ursprüngliche
Wirklichkeit, so doch eine ihrer Formen, Mächte, deren Mission, als
schöpferisches Drängen in der Materie zu wirken, hier vollzogen werden muß.
Darum müssen wir das Leben als das Mittel für unser Wirken und als eine
dynamische Form annehmen, in die wir das Göttliche Sein hineingießen sollen. Es
kann aber nur deshalb als solches anerkannt werden, weil es eine Form der
Göttlichen Energie ist, die selbst größer ist als die Lebens-Kraft. Das
Lebens-Prinzip ist nicht die ganze Grundlage und der Ursprung der Dinge. Sein
schöpferisches Wirken kann erst dann vervollkommnet und souverän zur Erfüllung
gebracht werden, erst dann seinen wahren Ablauf finden, wenn es sich selbst als
eine Energie des Göttlichen Wesens erkennt und sein Wirken emporhebt und so
verfeinert, daß das Ausströmen der höheren Natur frei durch es hindurchgehen
kann.
Wenn das Mental seinerseits hervortritt, wird es
dominierend. Es verwendet Leben und Materie als Mittel, um sich auszudrücken,
als Feld für sein eigenes Wachsen und seine Souveränität. Es beginnt, so zu
wirken, als wäre es die wahre Wirklichkeit und ebenso der Schöpfer, wie es der
beobachtende Zeuge des Daseins ist. Aber auch das Mental ist eine begrenzte und
abgeleitete Macht. Es tritt aus dem Übermental hervor oder ist hier ein lichter
Schatten, der vom göttlichen Supramental geworfen wird. Es kann nur dadurch zu
seiner Vervollkommnung gelangen, daß es das Licht einer höheren Erkenntnis
einläßt. Es muß seine eigenen mehr unwissenden, unvollkommenen und einander
widersprechenden Mächte und Werte in die auf göttliche Art wirkungsstarken
Potenzen und harmonischen Werte des supramentalen Wahrheits-Bewußtseins
umwandeln. Alle die Mächte der niederen Hemisphäre mit ihren Strukturen der
Unwissenheit können ihr wahres Selbst nur dadurch finden, daß sie sich in jenes
Licht transformieren, das aus der höheren
Hemisphäre eines ewigen Selbst-Wissens zu uns herniederkommt.
Diese drei niederen Mächte des Seienden bauen sich auf der Unbewußtheit auf und scheinen von ihr verursacht und gefördert zu sein. Der schwarze Drache der Unbewußtheit trägt und erhält mit seinen gewaltigen Schwingen und auf seinem Rücken von Finsternis das ganze Gebäude des materiellen Universums. Seine Energien setzen den Strom der Dinge in Gang. Seine dunklen Einwirkungen scheinen der Ausgangspunkt des Bewußtseins selbst und die Quelle für jeden Lebens-Impuls zu sein. Darum wird jetzt, infolge dieser Verursachung und Vorherrschaft, das Unbewußte von einer gewissen Richtung der Forschung als der wirkliche Ursprung und Schöpfer angenommen. Tatsächlich darf man davon ausgehen, daß eine unbewußte Kraft, eine unbewußte Substanz der Ausgangspunkt der Evolution ist. In der Evolution tritt aber ein bewußter Geist, nicht ein unbewußtes Wesen, hervor. Das Unbewußte und sein anfängliches Wirken sind von einer Aufeinanderfolge immer höherer Mächte des Seienden durchdrungen und werden so dem Bewußtsein unterworfen, damit seine Obstruktionen gegen die Evolution, seine Kreisbewegungen zur Einschränkung allmählich zerbrochen werden. Die Python schlängelt sich aus ihrer Finsternis heraus, getroffen von den Pfeilen des Sonnen-Gottes. So werden die Begrenzungen durch unsere materielle Substanz so weit vermindert, bis sie transzendiert und bis Mental, Leben und Körper transformiert werden können, indem ein höheres Gesetz aus göttlichem Bewußtsein, göttlicher Energie und göttlichem Geist von ihnen Besitz ergreift. Das integrale Wissen erkennt die Wahrheiten aller Anschauungen des Daseins in ihrem eigenen Bereich als gültig an. Es sucht aber, sich von ihren Begrenzungen und Verneinungen zu befreien und die partiellen Wahrheiten zu harmonisieren und miteinander zu versöhnen in einer umfassenden Wahrheit, die die vielen Seiten unseres Wesens in einem allgegenwärtigen Sein zu Erfüllung bringt.
An diesem Punkt müssen wir einen Schritt weitergehen
und immer mehr die metaphysische Wahrheit, die wir festgestellt haben, als einen
bestimmenden Faktor nicht nur für unser Denken und die inneren Vorgänge, sondern
auch für die Lenkung unseres Lebens und zu einer dynamischen Lösung unserer
Selbst- und Welt-Erfahrung anerkennen. Natürlich sollten unser metaphysisches
Wissen und unsere Anschauung von der fundamentalen Wahrheit des Universums und
dem Sinn des Daseins der bestimmende Faktor
unserer ganzen Auffassung vom Leben und unserer Haltung ihm gegenüber sein. Das
Ziel des Lebens, wie wir es begreifen, muß auf dieser Basis gegründet sein. Eine
metaphysische Philosophie ist ein Versuch, die grundlegenden Wirklichkeiten und
Prinzipien des Seienden festzustellen im Unterschied zu seinen Prozessen und den
Phänomenen, die bei der Realisierung entstehen. Diese Prozesse hängen aber von
den fundamentalen Wirklichkeiten ab: Unser eigener Lebens-Verlauf, sein Ziel und
seine Methode sollten in Übereinstimmung stehen mit der Wahrheit des Seienden,
wie wir sie sehen. Andernfalls kann unsere metaphysische Wahrheit nur ein Spiel
des Intellekts ohne jede dynamische Bedeutung sein. Es trifft zu, daß der
Intellekt nach der Wahrheit um ihrer selbst willen suchen muß, ohne daß sich
eine vorgefaßte Idee von ihrer Nützlichkeit für das Leben einmischt. Dennoch muß
die Wahrheit, wenn sie einmal entdeckt ist, in unserem inneren Wesen und unseren
äußeren Betätigungen verwirklichbar sein. Ist sie das nicht, mag sie
intellektuelle, nicht aber integrale Bedeutung gewinnen. Eine Wahrheit für den
Intellekt wäre für unser Leben nicht mehr als die Lösung eines Denk-Rätsels,
eine abstrakte Unwirklichkeit oder ein toter Buchstabe. Die Wahrheit des
Seienden muß die Wahrheit des Lebens beherrschen. Es kann nicht sein, daß diese
beiden keine Beziehung zueinander hätten oder nicht voneinander abhängig wären.
Die höchste Bedeutung des Lebens für uns, die fundamentale Wahrheit des Seins,
muß auch der anerkannte Sinn unseres eigenen Lebens, unseres Ziels und unseres
Ideals sein.
Von diesem Gesichtspunkt aus gibt es etwa vier
Haupt-Theorien oder vier Theorie-Kategorien mit ihren entsprechenden mentalen
Haltungen und Idealen im Einklang mit vier verschiedenen Begriffen der Wahrheit
des Seins. Wir können sie nennen: die suprakosmische, die kosmische und
irdische, die überirdische oder außerweltliche und die integrale, synthetische
oder harmonisierte. Diese Theorien versuchen, jene drei Faktoren – oder etwa
zwei von ihnen – miteinander zu versöhnen, die die anderen Anschauungen
voneinander zu trennen bestrebt sind. In diese letzte Kategorie würde die
Anschauung gehören, daß unser Dasein hier ein Werden ist, dessen Ursprung das
Göttliche Wesen und dessen Ziel eine fortschreitende Manifestation, eine
spirituelle Evolution ist, deren Ursprung und Unterstützung das Suprakosmische
und deren sie bedingendes und verbindendes Glied das Außer-Weltliche ist. Das Kosmische und Irdische bilden ihr Feld, das menschliche Mental
und Leben sind ihr Knoten- und Wendepunkt der Befreiung zu höherer und höchster
Vervollkommnung. Unsere Betrachtung muß sich also mit den drei ersteren
befassen, um zu sehen, wo sie von der vervollständigenden Lebensanschauung
abweichen und inwiefern die Wahrheiten, auf denen sie fußen, in jene Struktur
hineinpassen.
Bei der suprakosmischen Betrachtung der Dinge ist
allein die Höchste Wirklichkeit völlig real. Ein gewisses Empfinden des
Illusorischen, ein Gefühl für die Eitelkeit des kosmischen Daseins und des
individuellen Wesens ist eine charakteristische Tendenz bei dieser Betrachtung
der Dinge. Sie ist aber nicht essentiell, kein unentbehrliches Zubehör zu ihrem
hauptsächlichen Denk-Prinzip. In den extremsten Formen dieser Weltanschauung hat
das menschliche Dasein keine wirkliche Bedeutung. Es ist ein Fehler der Seele
oder ein Delirium des Willens zum Leben, ein Irrtum oder eine Unwissenheit, die
irgendwie die absolute Wirklichkeit überdeckt. Die einzige wirkliche Wahrheit
ist das Überkosmische. Jedenfalls ist das Absolute, parabrahman, Ursprung
und Ziel alles Seins. Alles übrige ist ein Zwischenspiel, ohne bleibende
Bedeutung. Wäre das aber so, würde daraus folgen: Das einzige, was zu tun, der
einzige weise und notwendige Ausweg für unser Wesen ist, allem Lebendigen, ob
irdisch oder himmlisch, zu entkommen, sobald unsere innere Entwicklung oder ein
verborgenes Gesetz des Geistes das möglich macht. Es ist wahr, die Illusion ist
sich selbst gegenüber etwas Wirkliches. Die Eitelkeit gibt vor, voller
Zweckmäßigkeiten zu sein. Aber ihre Gesetze und Fakten – es sind nur Fakten,
nicht aber Wahrheiten, empirische, nicht aber wahre Wirklichkeiten – binden uns
nur so lange, wie wir im Irrtum verharren. Von jedem Standpunkt wirklichen
Wissens aus, in jeder Anschauung der wirklichen Wahrheit der Dinge, würde diese
ganze Selbst-Täuschung kaum besser aussehen als die Ordnung eines kosmischen
Irrenhauses: Solange wir verrückt sind und im Irrenhaus zu bleiben haben, sind
wir zwangsläufig seinen Gesetzen unterworfen und müssen, je nach unserem
Temperament, das Beste oder das Schlimmste aus ihnen machen. Immer bleibt es
aber das eigentliche Ziel, daß wir von dieser Krankheit geheilt werden und in
das Licht, die Wahrheit und Freiheit entkommen. Wie sehr man die Strenge dieser
Logik auch abschwächen und was für Konzessionen man für den jetzigen Augenblick
auch zur Aufwertung von Leben und Persönlichkeit
machen mag, so muß doch von diesem Gesichtspunkt aus das wahre Gesetz des Lebens
in alldem bestehen, was uns dazu helfen kann, so bald wie möglich zum Wissen vom
Selbst und auf den Weg zurückzukehren, der uns unmittelbar ins nirvana
führt. So muß das wahre Ideal ein Auslöschen des Individuums und des Universalen
sein, seine Selbst-Vernichtung ins Absolute. Dieses Ideal der
Selbst-Vernichtung, das kühn und klar von den Buddhisten verkündet wird, ist
aber im vedantischen Denken ein Finden des Selbsts. Für das Individuum könnte
das aber nur dann ein Selbst-Finden sein, wenn es in sein wahres Wesen im
Absoluten hineinwächst, wenn also beides miteinander verbundene Wirklichkeiten
sind. Das würde aber nicht zutreffen bei einer endgültigen, die Welt
vernichtenden Selbst-Bejahung des Absoluten in einem unwirklichen oder
vergänglichen Individuum dadurch, daß zugleich mit der Annullierung des falschen
personalen Wesens auch alles individuelle und kosmische Dasein für dieses
individuelle Bewußtsein zerstört würde, wie sehr auch diese Irrtümer, gestattet
vom Absoluten, in der Welt der Unwissenheit noch zwangsläufig und unvermeidlich
in einer universalen, ewigen und unzerstörbaren kosmischen Unwissenheit,
avidya, weitergehen.
Die Vorstellung von der völligen Sinnlosigkeit des
Lebens ist aber durchaus keine unvermeidliche Konsequenz der suprakosmischen
Seins-Theorie. Im Vedanta der Upanishaden wird das Werden des brahman als
Wirklichkeit angenommen. Deshalb gibt es hier auch Raum für die Wahrheit des
Werdens. In dieser Wahrheit gibt es ein richtiges Gesetz des Lebens, eine
erlaubte Befriedigung des hedonistischen Elements in unserem Wesen, seiner
Freude am vorübergehenden Dasein, eine effektive Verwendung seiner praktischen
Energie, der exekutiven Kraft des Bewußtseins in ihm. Wenn aber Wahrheit und
Gesetz seines zeitlich begrenzten Werdens erfüllt sind, muß die Seele zu ihrer
endgültigen Selbst-Verwirklichung zurückkehren, denn ihre natürliche höchste
Erfüllung ist eine Erlösung, eine Befreiung in ihr ursprüngliches Wesen, in ihr
ewiges Selbst, in ihre zeitlose Wirklichkeit. Es gibt einen Kreislauf des
Werdens, der vom Ewigen Seienden ausgeht und wieder in ihm endet. Vom
Gesichtspunkt des Höchsten als einer personalen oder überpersonalen Wirklichkeit
aus gesehen, gibt es ein zeitlich begrenztes Kräfte-Spiel, ein Schauspiel von
Werden und Leben im Universum. Hier bestimmt offensichtlich keine andere Bedeutung das Leben als der Wille des Seienden zum Werden,
der Wille des Bewußtseins und das Drängen seiner Kraft zum Werden, sowie seine
tiefe Freude am Werden. Für das Individuum hört, wenn es von ihm zurückgezogen
wird oder in ihm erfüllt und nicht länger aktiv ist, das Werden auf; unabhängig
davon dauert das Universum fort. Oder es kehrt immer wieder in die Manifestation
zurück, weil der Wille zum Werden etwas Ewiges ist und auch sein muß, da er der
innewohnende Wille eines ewigen Seins ist. Man könnte sagen, es sei einer der
Mängel dieser Betrachtung der Dinge, daß jegliche fundamentale Wirklichkeit dem
Individuum fehlt, ihm kein bleibender Wert und keine Bedeutung für seine
natürliche oder seine spirituelle Tätigkeit beigelegt werde. Darauf kann man
antworten, diese Forderung nach einer dauernden persönlichen Bedeutung, nach
einer ewigen Dauer der Person, sei ein Irrtum unseres unwissenden,
vordergründigen Bewußtseins. Das Individuum sei nur ein vorübergehendes Werden
des Seienden, und das sei völlig ausreichend als sein Wert und seine Bedeutung.
Hinzufügen könnte man, in einem reinen oder absoluten Sein könne es keine Werte
und Bedeutungen geben. Im Universum existierten Werte, und sie seien dort
unentbehrlich, jedoch nur als relative und vorübergehende Strukturen. In einer
Zeit-Struktur könne es keine absoluten Werte, keine ewigen und selbst-seienden
Bedeutungen geben. Das klingt zwar schlüssig, und scheinbar kann auch nichts
weiter über die Sache ausgesagt werden. Dennoch bleibt die Frage offen. Denn der
Nachdruck auf unser individuelles Wesen, die Forderung an es, der Wert, der auf
individuelle Vervollkommnung und Erlösung gelegt wird, ist zu groß, um als ein
nur für untergeordnetes Wirken Geschaffenes abgetan werden zu können, für das
Aufziehen und Ablaufenlassen einer bedeutungslosen Spiralfeder in den großen
Kreisläufen des Werdens des Ewigen im Universum.
Die kosmisch-irdische Betrachtungsweise, die wir jetzt
als den genauen Gegensatz zur suprakosmischen behandeln, erkennt das kosmische
Dasein als etwas Wirkliches. Sie geht darüber hinaus und nimmt es als die
einzige Wirklichkeit an. Ihre Anschauung beschränkt sich gewöhnlich auf das
Leben im materiellen Universum. Gott – wenn es ihn gibt – sei ein ewiges Werden.
Oder, falls Gott nicht existiert, sei die Natur ein immerwährendes Werden – was
wir auch unter Natur verstehen mögen, ob wir sie als ein Spiel der Kraft mit der
Materie oder als ein großes kosmisches Leben ansehen oder ob wir gar ein universales apersonales Mental im Leben und in der Materie anerkennen.
Erde sei das Feld oder eines der zeitweiligen Felder des Lebens. Der Mensch sei
seine höchstmögliche Gestaltung oder nur eine der vorübergehenden Formen des
Werdens. Der Mensch mag individuell durchaus sterblich sein. Auch die Menschheit
mag nur für eine kurze Periode während des Daseins der Erde existieren. Die Erde
mag das Leben nur für eine längere Periode ihres Daseins im Sonnensystem auf
sich tragen. Dieses System selbst mag eines Tages zu einem Ende kommen, oder es
mag zumindest aufhören, ein aktiver oder produktiver Faktor im Werden zu sein.
Das Universum, in dem wir leben, mag sich selbst auflösen, oder es mag sich
wieder in den Keimzustand seiner Energie zusammenziehen. Aber das Prinzip des
Werdens sei ewig – zumindest so ewig, wie etwas in der dunklen Zweideutigkeit
des Daseins ewig sein könne. Es ist in der Tat möglich, für den Menschen als
Individuum eine Dauer in der Zeit als psychische Wesenheit anzunehmen, als
kontinuierliche irdische oder kosmische Beseelung oder Wiederverkörperung ohne
ein Leben danach in einem Jenseits oder ein Leben irgendwo anders. In diesem
Fall kann man als Ziel dieses endlosen Werdens als Ideal anerkennen, daß der
Mensch entweder seine Vollkommenheit ständig vermehre oder daß er sich der
Vollkommenheit annähere oder daß er zu einer dauernden Glückseligkeit irgendwo
im Universum heranwachse. Bei einer extremen irdischen Anschauung kann man das
aber nur mit Mühe aufrechterhalten. Gewisse Spekulationen menschlichen Denkens
sind in dieser Richtung gegangen. Sie haben aber keine substantielle Gestalt
angenommen. Ein dauerndes Verharren im Werden wird gewöhnlich mit der Annahme
eines höheren überirdischen Daseins verbunden.
Bei der gewöhnlichen Auffassung von einem einzigen
irdischen Leben oder von einem begrenzten vorübergehenden Durchgang durch das
materielle Universum – denn es könnte möglicherweise denkende lebende Wesen auf
einem anderen Planeten geben – bleibt es die einzige annehmbare Wahl für den
Menschen, seine Sterblichkeit zu akzeptieren, sie passiv zu ertragen oder sich
aktiv mit einem begrenzten personalen oder kollektiven Leben und dessen
Lebens-Zielen auseinanderzusetzen. Dem individuellen menschlichen Wesen bleibt
dann aber als einziger hoher und vernünftiger Weg – wenn er sich nicht damit
zufrieden gibt, nur seine persönlichen Interessen zu verfolgen oder, bis sein Leben ihn verläßt, dieses sonstwie zu verbringen daß er
die Gesetze des Werdens studiert und sie möglichst vorteilhaft gebraucht, um,
rational oder intuitiv, innerlich oder in den dynamischen Bereichen des Lebens,
dessen potentielle Energien in sich oder für sich oder in der Rasse, der er
zugehört, oder für diese zu verwenden. Dann ist es sein Bemühen, aus den
aktuellen Dingen, wie sie sich ergeben, das Bestmögliche zu machen und die
höchsten Möglichkeiten, die hier entfaltet werden können oder die im Werden
sind, zu ergreifen oder zu diesen emporzukommen. Das könnte dann aber nur die
Menschheit als Ganzes wirkungsvoll unternehmen: durch die Massenhaftigkeit der
individuellen oder kollektiven Aktion, in dem Verlauf der Zeit und in der
Evolution der Rassen-Erfahrung. Zu diesem Ziel zu gelangen, kann der Einzelne
nur innerhalb seiner eigenen Grenzen verhelfen. Er kann das alles für sich
selbst bis zu einem gewissen Grad innerhalb der kurzen Lebensspanne, die ihm
zubemessen ist, tun. Dabei kann besonders sein Denken und Handeln einen Beitrag
zu dem gegenwärtigen intellektuellen, moralischen und vitalen Wohl der
Menschheit leisten und für ihren künftigen Fortschritt wirken. Er ist zu einem
gewissen Adel seines Wesens fähig. Da er seinen unvermeidlichen und baldigen Tod
akzeptiert, hindert ihn nichts daran, hohen Gebrauch von seinem Willen und
Denken, die sich in ihm entfaltet haben, zu machen, diese auf hohe Ziele zu
lenken, die von der Menschheit ausgearbeitet werden sollen. Selbst die Tatsache,
daß auch das kollektive Wesen der Menschen etwas Vorübergehendes ist, bedeutet
dabei nicht so sehr viel – außer bei der am meisten materialistischen Auffassung
vom Leben. Denn solange das universale Werden die Form eines menschlichen
Körpers und Mentals annimmt, werden das Denken und Wollen, die es in seinem
menschlichen Geschöpf entwickelt hat, sich selbst weiter auswirken. Dies klug zu
befolgen, ist das natürliche Gesetz und die beste Regel für das menschliche
Leben. In bezug auf das Ziel unseres Wesens bieten sich der Menschheit, solange
sie auf der Erde weiterlebt, ihre Wohlfahrt und ihr Fortschritt als das
umfassendste Betätigungsfeld und als natürliche Begrenzung an. Darum sollte ihre
übergeordnete Dauer und die Größe und Bedeutung des kollektiven Lebens die Art
und den Horizont unserer Ideale bestimmen. Wenn aber Fortschritt oder Wohlfahrt
der Menschheit entfallen oder nicht unsere Aufgabe, gar eine Täuschung sind,
bleibt doch das Individuum übrig. Dann wird es Sinn des Lebens
sein, daß der Mensch seine höchstmögliche Vollkommenheit erlangt oder
das Bestmögliche aus seinem Leben macht, wie das eben seine Natur von ihm
verlangt.
Die überirdische Anschauung erkennt die Wirklichkeit des materiellen Kosmos an und akzeptiert auch die zeitlich begrenzte Dauer von Erde und menschlichem Leben als die ersten Tatsachen, von denen wir ausgehen müssen. Sie fügt aber hinzu, daß es eine Wahrnehmung von anderen Welten oder Ebenen des Seins gibt, die eine ewige, zumindest längere Dauer besitzen. Hinter der Sterblichkeit des körperlichen Lebens des Menschen nimmt sie die Unsterblichkeit der Seele in seinem Innern wahr. Das Schlüsselwort für diese Auffassung vom Leben ist ein Glaube an die Unsterblichkeit, an die ewige Dauer des individuellen menschlichen Geistes getrennt vom Körper. Das erfordert von selbst seinen weiteren Glauben an Ebenen des Seins, die höher sind als die materiellen oder irdischen, da es für den vom Körper getrennten Geist keinen bleibenden Platz in einer Welt gäbe, bei der jeder Vorgang von einem Kräftespiel in oder mit den Gestaltungen der Materie abhängig ist, sei er spirituell, mental, vital oder materiell. Aus dieser Anschauung der Dinge entsteht die Vorstellung, die wahre Heimat des Menschen sei im Jenseits, das Erdenleben sei auf diese oder jene Art nur eine Episode innerhalb seiner Unsterblichkeit oder der Abweg aus einem himmlischen oder spirituellen in ein materielles Dasein.
Was ist dann aber der Charakter, der Ursprung und das
Ende dieses Herunterkommens? Wir haben hier zunächst die Vorstellungen gewisser
Religionen, die sich lange hielten, jetzt aber erschüttert oder in Mißkredit
geraten sind: Der Mensch sei ein Wesen, das zuerst als lebender materieller
Körper auf der Erde erschaffen, in den eine neugeborene Seele eingeatmet oder
mit dem sie durch das Machtwort eines allmächtigen Schöpfers verbunden wurde.
Dieses Leben sei nur eine Episode, jedoch die einzige Gelegenheit für den
Menschen, aus der er in eine Welt ewiger Seligkeit oder in eine Welt ewigen
Elends voranschreite, je nachdem die allgemeine oder überwiegende Bilanz seiner
Taten gut oder böse ist. Oder je nachdem er einen bestimmten Glauben, eine Art
der Gottesverehrung oder einen göttlichen Mittler annehme oder zurückweise. Oder
auch entsprechend der willkürlichen vorherbestimmenden Laune seines Schöpfers.
Das ist aber die überirdische Theorie des Lebens in ihrer am wenigsten
rationalen Form eines fragwürdigen Glaubens oder
Dogmas. Nehmen wir zum Ausgangspunkt jene Vorstellung, die Seele sei bei der
physischen Geburt erschaffen worden, so könnten wir dennoch annehmen, der Rest
ihres Daseins müsse nach einem natürlichen Gesetz, das allen gemeinsam wäre, in
einem Jenseits, auf einer überirdischen Ebene verbracht werden, sobald die Seele
ihre ursprüngliche Umhüllung abgeschüttelt hat. Das sei etwa so, wie wenn ein
Schmetterling aus seiner puppe ausschlüpft und sich auf seinen leichten farbigen
Flügeln in die Luft emporschwingt. Wir könnten es auch vorziehen, eine Existenz
der Seele vor ihrer irdischen Geburt anzunehmen, ihren Fall oder Abstieg in die
Materie und ihren Wiederaufstieg in ein himmlisches Wesen. Wenn wir aber von der
Präexistenz der Seele ausgehen, besteht kein Grund, letztere Möglichkeit als
gelegentliches spirituelles Ereignis derart auszuschließen, daß wir uns
vorstellen, ein Wesen, das zu einer anderen Ebene des Seins gehört, nehme für
irgendeinen besonderen Zweck den menschlichen Körper und seine Natur an. Das ist
wahrscheinlich nicht das universale Prinzip der Erd-Existenz, kein völlig
zureichender Grund für die Erschaffung eines materiellen Universums.
Manchmal hat man auch angenommen, dieses einzige Leben
auf der Erde sei nur eine Stufe, jedoch vollziehe sich die Entwicklung des
Wesens als Annäherung an seine ursprüngliche Herrlichkeit in einer
Aufeinanderfolge von Welten, die ebensoviele andere Stufen seines Wachstums,
Stadien seiner Reise darstellen. Das materielle Universum oder die Erde im
besonderen wären dann ein dem Menschen von einer göttlichen Macht, Weisheit oder
Laune zugeteiltes, mit aller Pracht ausgestattetes Wirkungsfeld, damit er hier
seine Rolle in diesem Zwischenspiel aufführe. Je nach dem Gesichtspunkt, den wir
für unsere Betrachtung wählen, werden wir in ihr den Ort der Qual, ein Feld für
unsere Entwicklung oder eine Szene unseres spirituellen Falls und unseres Exils
sehen. Es gibt auch eine indische Anschauung, die die Welt als einen Garten für
das göttliche lila ansieht, für das Spiel des göttlichen Wesens mit den
Bedingungen des kosmischen Daseins in dieser Welt einer niederen Natur. Die
Seele des Menschen nimmt an diesem lila eine lange Reihe von Geburten
hindurch teil, sie ist aber dazu bestimmt, zuletzt wieder auf ihre eigene Ebene
des Göttlichen Wesens emporzusteigen und sich dort der ewigen Nähe und
Gemeinschaft mit ihm zu erfreuen. Das verleiht dem schöpferischen Prozeß und dem
spirituellen Abenteuer einen gewissen rationalen
Grund, der in den anderen Darstellungen dieser Art der Seelen-Bewegung oder des
Seelen-Zyklus entweder fehlt oder nicht klar aufgezeigt wird. In all diesen
verschiedenartigen Darstellungen eines gemeinsamen Prinzips gibt es drei
charakteristische Dinge: erstens den Glauben an die individuelle Unsterblichkeit
des menschlichen Geistes; zweitens, als notwendige Folge davon, die Vorstellung
von dessen Reise auf der Erde als einem kurzfristigen Durchgang oder von einem
Abfall aus seiner höchsten ewigen Natur oder von einem jenseitigen Himmel als
seiner eigentlichen Heimat; drittens Betonung der Entwicklung des ethischen und
spirituellen Wesens als des Mittels zum Aufstieg der Seele und darum der einen
eigentlichen Aufgabe des Lebens in dieser Welt der Materie.
Das sind die drei fundamentalen Arten, das Leben zu betrachten, eine jede mit ihrer mentalen Haltung ihm gegenüber, wie man sie im Hinblick auf unser Dasein einnehmen kann. Die übrigen sind gewöhnlich Stationen auf diesem Weg oder Variationen oder Kombinationen, die sich freier der Kompliziertheit des Problems anzupassen versuchen. Ist es doch für den Menschen, als Rasse genommen, praktisch unmöglich, sein Leben, was auch immer einzelne Individuen mit Erfolg tun mögen, ständig oder einzig und allein nach einem Leitmotiv aus einer dieser drei Haltungen zu führen und dabei den Anspruch der anderen an seine Natur auszuschließen. Sein Weg, mit den verschiedenen Impulsen seines komplexen Wesens und mit den Intuitionen seines Mentals, die um Zustimmung an ihn appellieren, führt zu einer verworrenen Verbindung von zweien oder mehreren von ihnen, zum Konflikt oder einer Aufteilung seiner Lebens-Motive zwischen diesen oder aber zum Versuch einer Synthese. Normalerweise widmen fast alle Menschen den größeren Teil ihrer Energie dem Leben auf Erden, den irdischen Bedürfnissen, Interessen, Sehnsüchten, den Idealen des Individuums und der Menschheit. Das ist unausweichlich so. Denn die Sorge um den Leib, um ausreichende Entwicklung und Befriedigung des vitalen und mentalen Wesens des Menschen, das Verfolgen hoher individueller und kollektiver Ideale, die von der Vorstellung ausgehen, durch seine normale Entwicklung könne der Mensch die Vollkommenheit erlangen oder ihr näher kommen, sind uns allein schon durch den Charakter unseres irdischen Wesens auferlegt. Sie sind Teil seines Gesetzes, seines natürlichen Impulses, seiner Ordnung und seiner Wachstumsbedingungen. Ohne diese Dinge könnte der Mensch nicht sein volles Menschsein erreichen.
Jede Anschauung über
unser Wesen, die sie vernachlässigt, ungebührlich herabsetzt oder intolerant
verdammt, ist allein schon durch diese Tatsache ungeeignet, eine allgemeine oder
vollständige menschliche Lebensordnung zu sein, mag sie für einzelne Träger
eines bestimmten Temperaments oder einer gewissen Stufe spiritueller Entwicklung
auch eine Wahrheit, einen Wert oder einen Nutzen enthalten oder geeignet sein.
Die Natur ist sorgfältig darauf bedacht, daß die menschliche Rasse ihre
Absichten nicht vernachlässigt, die ein notwendiger Teil ihrer Entwicklung sind;
denn sie gehören zur Methode und den Stufen des göttlichen Plans mit uns, und
unser Wachsein für die ersten Stufen und die Erhaltung ihrer mentalen und
materiellen Grundlage ist ein dringendes Anliegen der Natur, das sie nicht in
den Hintergrund drängen läßt, weil diese Dinge zum Fundament und zur Struktur
ihres Aufbaus gehören.
Die Natur hat aber auch ein Empfinden dafür in uns
eingepflanzt, daß es in der Zusammensetzung unserer Anlagen etwas gibt, das über
diese erste irdische Natur des Menschseins hinausgeht. Aus diesem Grund kann
auch die Menschheit eine Anschauung vom Seienden nicht zulassen oder auf längere
Zeit hinaus befolgen, die dieses höhere und feinere Empfinden unbeachtet läßt
und sich müht, uns ausschließlich auf eine rein erdgebundene Lebensart zu
beschränken. Die Intuition von einem Jenseits, die Idee und das Gefühl für eine
Seele und einen Geist in uns, die etwas anderes sind als Mental, Leben und
Körper oder größer als diese und nicht beschränkt durch ihre Ausgestaltung,
kommt wieder zu uns und nimmt schließlich von uns Besitz. Der gewöhnliche Mensch
befriedigt dieses Empfinden leicht genug, indem er ihm seine außergewöhnlichen
Stunden widmet oder den späteren Teil seines Lebens, wenn das Alter schon das
Ungestüm seiner irdischen Natur abgestumpft hat oder er Jenes als etwas
anerkennt, das hinter oder über seinem normalen Wirken liegt, auf das er nun
mehr oder minder unvollkommen sein natürliches Wesen hinlenken kann. Der
außergewöhnliche Mensch wendet sich dem Überirdischen als dem einzigen Ziel und
Gesetz des Lebens zu und schwächt seine irdischen Seiten ab oder läßt sie soweit
wie möglich absterben in der Hoffnung, so seine himmlische Natur zu entfalten.
Es hat Epochen gegeben, in denen diese überirdische Anschauung die Menschheit
stark ergriff und es ein Schwanken zwischen einer unvollkommenen menschlichen
Lebensweise gab, die ihre umfassende natürliche Ausweitung nicht stark genug leisten kann, und einem kranken asketischen Sehnen nach dem
himmlischen Leben, das in nicht mehr als nur einigen wenigen Menschen seine
beste, reine und glückliche Entfaltung finden kann. Das ist ein Zeichen dafür,
daß im Wesen des Menschen ein falscher Konflikt ausgebrochen ist, indem man
einen Maßstab oder eine Norm aufgestellt hat, die das Gesetz der evolutionären
Begabung mißachtet, oder indem etwas überbetont wird, was den versöhnenden
Ausgleich verfehlt, der in der göttlichen Veranlagung unserer Natur stets
vorhanden sein muß. Schließlich sollen wir aber in dem Maß, wie sich unser
mentales Leben vertieft und ein feineres Erkennen entwickelt, offener werden für
die Wahrnehmung, daß das Irdische und das Überirdische nicht die einzigen
Grundbegriffe des Seienden sind. Es gibt etwas, das überkosmisch und der
höchste, ferne Ursprung unseres Daseins ist. Durch spirituellen Enthusiasmus,
durch die Höhe und Glut der Sehnsucht der Seele, durch den philosophischen
Höhenflug oder die strikt logische Intoleranz unseres Intellekts, durch das
ungestüme Drängen unseres Willens oder die krankhafte Abscheu in unserem vitalen
Wesen, das durch die Schwierigkeit des Lebens entmutigt oder durch dessen
Ergebnisse enttäuscht ist, – durch einige oder alle diese Motivkräfte wird diese
Wahrnehmung aber leicht mit dem Empfinden verbunden, daß alles andere als jenes
entfernte Höchste völlig eitel sei: Das menschliche Leben erscheint als eitel,
das kosmische Dasein ist unwirklich, die Erde ist voller bitterer Häßlichkeit
und Grausamkeit, auch der Himmel kann keinen Ausgleich bieten, die Wiederholung
der Geburten im Körper ist etwas Sinnloses. Mit solchen Vorstellungen kann der
gewöhnliche Mensch nicht wirklich leben. Sie können ihn höchstens mit
Unzufriedenheit dem grauen und ruhelosen Leben gegenüber erfüllen, in dem er
doch immer weiterleben muß. Der außergewöhnliche Mensch gibt dagegen alles hin,
um der Wahrheit zu folgen, die er geschaut hat. Für ihn können jene Dinge nur
die notwendige Nahrung für seinen spirituellen Impuls oder ein Antrieb sein,
allein das zu erreichen, was für ihn nun das einzige ist, auf das es ankommt. Es
hat Zeiten und Länder gegeben, in denen diese Betrachtung des Seienden sehr
mächtig war. Ein beträchtlicher Teil der Menschheit hat sich dem abseitigen
Leben des Asketen zugekehrt – nicht immer mit wirklicher Berufung dazu. Die
übrigen hingen weiter dem normalen Leben an, wenn auch mit der zugrundeliegenden
Überzeugung von dessen Unwirklichkeit. Wird aber eine solche Überzeugung zu oft
wiederholt und zu nachdrücklich eingeprägt, kann das zu einer
Entnervung des Lebens-Impulses und zu einer wachsenden Verminderung
seiner Antriebe führen. Oder es kann durch subtile Reaktion darauf und weil wir
im gewöhnlichen engen Leben aufgehen, dazu kommen, daß unsere natürliche
Reaktion auf die umfassendere Freude des Göttlichen Wesens am kosmischen Dasein
versagt und wir zu dem großen fortschrittlichen menschlichen Idealismus unfähig
werden, durch den wir zur kollektiven Selbst-Entwicklung und zur edlen
Begeisterung für Kampf und Arbeit angespornt werden. Auch hier zeigt sich
wieder, daß die Aussage über die Suprakosmische Wirklichkeit ungenügend ist.
Vielleicht ist ihre Darstellung zu überbetont, vielleicht handelt es sich auch
um eine irrige Gegenüberstellung. Oder es fehlt die göttliche Ausgeglichenheit,
das allumfassende Empfinden für die Schöpfung und den ganzen Willen des
Schöpfers.
Wir können diesen Ausgleich nur finden, wenn wir Sinn
und Tragweite unserer komplexen menschlichen Natur an ihrem rechten Platz in der
kosmischen Bewegung erkennen. Notwendig ist, jedem Teil unseres kombinierten
Wesens und unserem vielseitigen Streben seinen vollen legitimen Wert zu geben
und den Schlüssel für ihre Einung wie zum Verständnis ihrer Verschiedenheit zu
finden. Dieses Finden muß in Form einer Synthese oder Einbeziehung geschehen. Da
aber eindeutig Entwicklung das Gesetz der menschlichen Seele ist, wird es sehr
wahrscheinlich durch eine evolutionäre Synthese vollzogen. Eine Synthese dieser
Art wurde in der alten Kultur Indiens versucht. Sie erkannte vier legitime
Motive für das menschliche Leben an: die vitalen Interessen und Bedürfnisse des
Menschen, sein Begehren, sein ethisches und religiöses Streben, sein höchstes
spirituelles Ziel und seine Bestimmung. Mit anderen Worten, es wurden anerkannt
die Ansprüche seines vitalen, physischen und emotionalen Wesens; die Ansprüche
seines ethischen und religiösen Wesens, die von einer Erkenntnis des Gesetzes
Gottes, der Natur und des Menschen regiert wurden; und die Ansprüche seines
spirituellen Sehnens nach einem Jenseitigen, für dessen Befriedigung er eine
letzte Befreiung vom unwissenden weltlichen Dasein suchte. Diese Synthese sah
vor: eine Periode der Erziehung und Vorbereitung, die auf diese Auffassung vom
Leben gegründet ist; eine Periode normalen Lebens, um die menschlichen Wünsche
und Interessen unter der mäßigenden Lenkung durch die ethische und religiöse
Seite in uns zu befriedigen; eine Periode, in der sich der Mensch aus dem Leben
zurückzieht und spirituell vorbereitet; und eine letzte Periode des Verzichts auf das Leben, also eine Befreiung empor in den Geist. Offensichtlich
würde diese vorgeschriebene Norm, diese Festlegung der Kurve unseres Lebenswegs,
wenn sie als universales Gesetz angewandt wird, an der Tatsache vorbeiführen,
daß unmöglich alle Menschen in einer einzigen kurzen Lebenszeit den ganzen Kreis
einer solchen Entwicklung durchlaufen können. So wurde sie durch die Theorie
modifiziert, daß die vollständige Entwicklung erst durch eine lange
Aufeinanderfolge von Wiedergeburten vollzogen wird, bevor man für eine
spirituelle Befreiung reif sein kann. Diese Synthese hat durch ihre spirituelle
Einsicht, die umfassende Weite ihrer Anschauung, ihre Symmetrie und
Vollständigkeit viel dazu beigetragen, daß das menschliche Leben reicher getönt
wurde. Schließlich ist sie aber zusammengebrochen. Sie mußte einer Übertreibung
des Impulses zur Lebens-Verneinung weichen, was die Symmetrie des Systems
zerstörte und es in zwei Bewegungen des Lebens zerteilte, die in Gegensatz
zueinander standen: das normale Leben der Interessen und Wünsche, das ethisch
und religiös gefärbt war, und das abnorme oder übernormale innere Leben, das
sich auf die Entsagung gründet. Die alte Synthese trug in der Tat in sich selbst
den Keim zu dieser Übertreibung und mußte darum zerfallen. Denn wenn wir das
Entkommen aus dem Leben als unser begehrenswertes Ziel ansehen, wenn wir es
unterlassen, eine höhere Lebens-Erfüllung anzubieten, und wenn das Leben in sich
selbst keine göttliche Bedeutung enthält, muß schließlich die Ungeduld des
menschlichen Intellekts und Willens zu einem Kurzschluß hintreiben, damit man
von möglichst vielen der mühevolleren und verzögernden Prozesse des Lebens
befreit wird. Wenn das Leben das nicht tun kann oder unfähig ist, den
Abkürzungsweg zu gehen, wird es dem Ich und seinen Befriedigungen überlassen. Es
hat aber dann nichts Höheres, was hier erreicht werden kann. So wird es
gespalten in das spirituelle und in das weltliche Leben. Dabei kann es nur einen
abrupten Übergang aber keine Harmonie oder Versöhnung dieser Seiten unserer
Natur geben.
Die Verknüpfung, die wir für die Versöhnung zwischen
Leben und Geist benötigen, ist eine spirituelle Evolution, die Entfaltung des
Wesens hier in unserem Innern von einer Geburt zur anderen. Ihr zentrales
Instrument ist der Mensch. Das menschliche Leben stellt in seiner höchsten
Entwicklung den Wendepunkt dar. Denn sie erlaubt uns, daß wir die gesamte Natur
des Menschen berücksichtigen und den legitimen Platz dessen anerkennen, was in
dreifacher Weise seine Anziehung auf ihn ausübt:
die Erde, der Himmel und die Höchste Wirklichkeit. Zu einer vollständigen
Auflösung der Gegensätze des Lebens können wir aber nur auf der Grundlage
gelangen, daß das niedere Bewußtsein von Mental, Leben und Körper zu seiner
vollen Bedeutung erst dann kommen kann, wenn es zu einer höheren Frequenz
gebracht, neu formuliert und transformiert wird durch das Licht, die Macht und
Freude des höheren spirituellen Bewußtseins, während das höhere erst dann in
seiner vollen rechten Beziehung zu dem niederen steht, wenn es dieses nicht
zurückweist, sondern empornimmt, seine Macht auf es ausübt, seine unerfüllten
Werte zu sich aufhebt und das niedere Wesen neu statuiert und transformiert,
also dadurch, daß die mentale, vitale und physische Natur spiritualisiert und
supramentalisiert wird. Das irdische Ideal, das im modernen Bewußtsein so
mächtig ist, hat den Menschen, sein Leben auf Erden und die kollektive Hoffnung
der Menschheit zu einer hervorragenden Stellung emporgehoben und ein
nachdrückliches Verlangen nach einer Lösung geschaffen. Das ist das Gute, das es
vollbracht hat. Durch seine Übertreibung und seine Ausschließlichkeit schränkte
es aber den Gesichtskreis des Menschen ungebührlich ein. Es ließ unbeachtet, was
in ihm das Höchste und letzten Endes das Umfassende ist. Durch diese Begrenzung
vermochte es nicht, sein eigenes Ziel voll zu erreichen. Wäre das Mental das
Höchste im Menschen und in der Natur, würde es sicher nicht zu dieser
Enttäuschung gekommen sein. Zwar gäbe es dennoch diese Begrenzung des Horizonts,
nur eine enge Möglichkeit und einen fest umrissenen Ausblick. Ist aber das
Mental nur eine partielle Entfaltung des Bewußtseins und gibt es Mächte jenseits
davon, zu denen die Natur im Menschengeschlecht fähig ist, dann hängt nicht nur
unsere Hoffnung für die Erde, geschweige denn für das, was jenseits davon ist,
von dessen Entwicklung ab, sondern diese wird zum einzig richtigen Weg unserer
Evolution.
Mental und Leben selbst können erst dann zu ihrer Fülle
heranwachsen, wenn sich in ihnen das umfassendere und höhere Bewußtsein öffnet,
dem das Mental nur nahekommt. Solch ein umfassenderes und höheres Bewußtsein ist
das spirituelle. Denn das Spirituelle ist nicht nur höher als die übrigen
Bewußtseins-Frequenzen sondern auch umfassender. Da es sowohl universal wie
transzendent ist, kann es Mental und Leben in sein Licht emporheben und ihnen
die wahre und äußerste Realisation all dessen verleihen, nach dem sie suchen.
Denn es besitzt ein größeres Instrumental an
Wissen, eine Quelle größerer Macht und stärkeren Willens, eine unbegrenzte
Reichweite und Intensität von Liebe, Freude und Schönheit. Das sind die Dinge,
nach denen Mental, Leben und Körper suchen, nach Wissen, Macht und Freude. Das
zurückzuweisen, wodurch sie alle zu ihrer höchsten Erfüllung gelangen, heißt,
sie von ihrer eigenen höchsten Vollendung auszuschließen. Eine entgegengesetzte
Übertreibung, die nur die farblose Reinheit spirituellen Seins verlangt, macht
das schöpferische Wirken des Geistes zunichte und schließt von uns all das aus,
was die Gottheit in ihrem Wesen manifestiert. Es läßt nur Raum für eine
Evolution ohne Sinn und Erfüllung, denn ein Ausmerzen von allem, was entwickelt
worden ist, erscheint hier als die einzige und höchste Errungenschaft. Das
verwandelt den Prozeß unseres Wesens in die sinnlose Kurve eines Absturzes in
die Unwissenheit und Rückkehr aus dieser. Oder es erschafft ein Rad kosmischen
Werdens mit nur einem einzigen Ziel, der Flucht aus ihm. Die Vermittlungsstufe,
das überirdische Streben, schneidet die Erfüllung des Wesens nach oben hin
dadurch ab, daß das Wesen nicht bis zur höchsten Realisation des Einsseins
gelangen kann, und sie mindert es nach unten hin, indem sie ihm nicht die
eigentliche Fülle der Empfindung seines Daseins im materiellen Universum und die
Annahme seines Lebens in einem irdischen Leib gestattet. Eine weite Beziehung
von Einheit, Einbeziehung, stellt das Gleichgewicht wieder her, erleuchtet die
volle Wahrheit des Wesens und verbindet die Stufen der Natur miteinander.
In dieser Integration steht die kosmische Wirklichkeit
da als die höchste Wahrheit des Seienden. Sie zu realisieren, ist die äußerste
Höhe, die unser Bewußtsein erreichen kann. Aber diese höchste Wirklichkeit ist
ebenso das kosmische Wesen, das kosmische Bewußtsein, der kosmische Wille und
das kosmische Leben. Sie hat diese Dinge hervorgebracht, jedoch nicht außerhalb
ihrer selbst sondern innerhalb ihres eigenen Wesens, nicht als ein
entgegengesetztes Prinzip sondern als ihre eigene Selbst-Entfaltung und als
ihren Selbst-Ausdruck. Das kosmische Wesen ist keine sinnlose Laune, keine
Phantasie, kein Zufalls-Irrtum. In ihm gibt es eine göttliche Bedeutung und
Wahrheit: Der vielfältige Selbst-Ausdruck des Geistes ist das Ziel unseres
irdischen Daseins. Wir können es nur dann erreichen, wenn wir der höchsten
Wirklichkeit bewußt geworden sind. Denn nur, wenn das Absolute uns anrührt,
können wir zu unserem eigenen Absoluten gelangen. Das kann aber auch nicht dadurch getan werden, daß wir die kosmische
Wirklichkeit ausschließen: Wir müssen universal werden, denn das Individuum
bleibt unvollkommen, wenn es sich nicht in die Universalität hinein öffnet. Wenn
sich das Individuum vom AM trennt, um das Höchste zu erlangen, verliert es sich
selbst in den höchsten Höhen. Wenn der Mensch das kosmische Bewußtsein in sich
einbezieht, gewinnt er die volle Ganzheit seines Selbsts und hält doch an seinem
höchsten Gewinn von Transzendenz fest. Er erfüllt es und sich selbst in der
kosmischen Fülle. Eine realisierte Einheit des Transzendenten, des Universalen
und des Individuellen ist die unentbehrliche Vorbedingung für die Fülle des sich
selbst zum Ausdruck bringenden Geistes. Denn das Universum ist das Feld der
Totalität seines Selbst-Ausdrucks, während seine evolutionäre Selbst-Entfaltung
durch das Individuum hier ihren Höhepunkt erreicht. Das setzt aber nicht nur
voraus, daß das Individuum ein wirkliches Wesen ist, sondern auch die
Offenbarung unseres geheimen ewigen Einsseins mit dem Höchsten und mit dem
gesamten kosmischen Dasein. In der Selbst-Integration muß die Seele des
einzelnen Menschen zu Universalität und Transzendenz erwachen.
Das überirdische Sein ist ebenfalls eine Wahrheit des
Wesens, denn die materielle Ebene ist nicht die einzige unseres Daseins. Es gibt
andere Ebenen des Bewußtseins, zu denen wir gelangen können. Diese haben bereits
ihre verborgenen Verbindungen mit uns. Wenn wir nicht zu den höheren Bereichen
der Seele, die uns offenstehen, emporstreben, wenn wir nicht ihre Erfahrung
machen und nicht ihr Gesetz in uns erkennen und offenbaren, bedeutet es, daß wir
vor der Höhe und Fülle unseres Wesens zurückschrecken. Doch sind Welten eines
höheren Bewußtseins nicht die einzige Szene und Heimat für die vervollkommnete
Seele. Wir können auch nicht in einer unveränderlichen Typenwelt den endgültigen
oder vollkommenen Sinn des Selbst-Ausdrucks des Geistes im Kosmos finden. Die
materielle Welt, diese Erde, dieses menschliche Leben sind ein Teil des
Selbst-Ausdrucks des Geistes; sie besitzen ihre göttliche Möglichkeit. Diese
Möglichkeit ist evolutionär und enthält in sich die Möglichkeiten aller anderen
Welten, der unverwirklichten, jedoch verwirklichbaren. Das Erdenleben ist kein
Absturz in den Schlamm von etwas Ungöttlichem, etwas Eitlem und Elendem, das
irgendeine Macht sich selbst als Schauspiel darbietet oder das für die
verkörperte Seele etwas sein soll, das sie erleiden und dann wegwerfen muß. Es
ist die Bühne, auf der sich die Evolution des Seienden vollzieht, die bis zur Offenbarung eines höchsten spirituellen Lichtes und einer
Macht, einer Freude, eines Einsseins fortschreitet, die aber auch in sich die
Vielfalt und Verschiedenheit des sein Selbst verwirklichenden Geistes enthält.
Es gibt ein alles überragendes Ziel in der irdischen Schöpfung. Ein göttlicher
Plan wirkt sich aus durch alle seine Widersprüche und Verwirrungen hindurch, die
ein Zeichen sind für die vielseitigen Erfolge, zu denen das Wachstum der Seele
und das Mühen der Natur hingeführt werden sollen.
Es ist wahr, daß die Seele zu den Welten eines höheren Bewußtseins jenseits der Erde emporkommen kann. Es ist ebenso wahr, daß die Macht dieser Welten, die Macht eines höheren Bewußtseins, sich hier zu entfalten hat. Die Verkörperung der Seele hier ist das Mittel, damit sie auch jene Verkörperung erlangen kann. Alle die höheren Mächte des Bewußtseins existieren deshalb, weil sie Mächte der Höchsten Wirklichkeit sind. Dieselbe Wahrheit liegt auch unserem irdischen Wesen zugrunde: Es ist ein Werden der Einen Wirklichkeit, das in sich jene höheren Mächte zu verkörpern hat. Seine gegenwärtige Erscheinung ist eine verhüllte und partielle Gestaltung. Begrenzen wir uns auf diese erste Gestalt, auf die gegenwärtige Formel eines unvollkommenen Menschseins, dann schließen wir unsere göttlichen Verwirklichungsmöglichkeiten aus. Wir müssen einen umfassenderen Sinn in unser menschliches Leben hineinbringen und in ihm das viel Umfassendere manifestieren, das wir insgeheim sind. Unsere Sterblichkeit ist nur im Lichte unserer Unsterblichkeit gerechtfertigt. Unsere Erde kann sich nur dann völlig erkennen und selbst ganz das sein, wenn sie sich für die Himmel öffnet. Der einzelne Mensch kann sich selbst erst richtig sehen, kann seine Welt erst richtig verwenden, wenn er in höhere Ebenen des Seienden eingetreten ist, wenn er das Licht des Höchsten geschaut hat und im Wesen und in der Macht des Göttlichen und Ewigen lebt.
Eine Integration dieser Art wäre unmöglich, wäre nicht
eine spirituelle Evolution der Sinn unserer Geburt und irdischen Existenz. Die
Evolution von Mental, Leben und Geist in der Materie ist das Zeichen dafür, daß
diese Integration, diese vollständige Offenbarung eines in ihr enthaltenen
geheimen Selbsts ihr tieferer Sinn ist. Vollständige Involution all dessen, was
der Geist ist, und evolutionäre Selbst-Entfaltung bilden den Doppelbegriff
unseres materiellen Daseins. Es gibt eine Möglichkeit, daß sich der Geist durch
eine immer mehr enthüllte lichtvolle Enwicklung des
Wesens zum Ausdruck bringt. Es gibt aber auch die Möglichkeit, daß er sich
unterschiedlich in Typen ausdrückt, die in ihrer Art festgelegt und vollkommen
sind. Das ist das Prinzip des Werdens in den höheren Welten. Sie sind in ihrem
Lebens-Prinzip geprägt, nicht evolutionär. Jeder Typus existiert in seiner
eigenen Vollkommenheit, jedoch innerhalb der Grenzen einer feststehenden
Welt-Formel. Es gibt aber auch die Möglichkeit, sich dadurch zum Ausdruck zu
bringen, daß man das Selbst findet. Diese Entfaltung nimmt die Form der
Verhüllung des Selbsts an und schreitet durch das Abenteuer der Wiedergewinnung
des Selbsts vorwärts. Das ist das Prinzip des Werdens in diesem Universum,
dessen erste Erscheinung darin besteht, daß sich das Bewußtsein involviert und
der Geist in der Materie verbirgt.
Involution des Geistes in der Unbewußtheit ist der
Anfang. Evolution in der Unwissenheit mit ihrem Spiel der Möglichkeiten einer
partiell sich entfaltenden Erkenntnis ist die Mitte. Sie ist die Ursache der
Anomalien unserer gegenwärtigen Natur. Unsere Unvollkommenheit ist das Zeichen
für einen Übergangszustand, für ein noch nicht vollendetes Wachstum, für ein
Bemühen, das seinen Weg findet. Die Gipfelhöhe dieses Wegs liegt darin, daß wir
eine Vollendung in der Entfaltung des Selbst-Wissens des Geistes und der
Selbst-Macht seines göttlichen Wesens und Bewußtseins erlangen. Das sind die
drei Stufen dieses Zyklus, in dem sich der Geist fortschreitend im Leben selbst
zum Ausdruck bringt. Die beiden Stufen, die bereits ihr Kräftespiel entfalten,
scheinen auf den ersten Blick die Möglichkeit der letzten, alles überhöhenden
Stufe des Zyklus auszuschließen. Logischerweise setzen sie aber ihr Hervortreten
voraus. Denn wenn das Unbewußte die Bewußtheit entwickelt hat, muß sich das
bereits erreichte partielle Bewußtsein gewiß in das vollständige Bewußtsein
entwickeln. Die Erd-Natur sucht nach einem vervollkommneten und vergöttlichten
Leben. Dieses Suchen ist ein Zeichen für den göttlichen Willen in der Natur. Es
gibt auch andere Formen des Suchens; auch diese finden die Mittel zu ihrer
Selbst-Erfüllung. Innerhalb der Erd-Existenz steht es der Seele frei, sich in
den erhabenen Frieden oder in die Ekstase, die Seligkeit der Göttlichen
Gegenwart, zurückzuziehen. Denn das Unendliche besitzt in seiner Manifestation
viele Möglichkeiten und ist nicht durch seine Formulierungen beschränkt. Jedoch
kann keine dieser Arten, sich zurückzuziehen, hier die fundamentale Absicht im
Werden sein. Denn dann wäre ein evolutionärer Fortschritt nicht unternommen
worden. Ein solches Vorwärtsschreiten hier kann
nur als Ziel haben, sich selbst zur Erscheinung zu bringen. Eine fortschreitende
Manifestation dieser Art kann als tieferen Sinn nur die Offenbarung des Seins in
einem vollkommenen Werden haben.
Kapitel XVII. Der Fortschritt zum Wissen. Gott, Mensch und Natur
Du bist Jenes, o
Svetaketu.
Svetasvatara Upanishad, IV, 10.
Das lebende Wesen ist niemand anderes als das brahman, die ganze Welt ist brahman.
Vivekachudamani, Vers 479.
Meine höchste Natur ist zu einem lebendigen Wesen geworden, und diese Welt wird durch es erhalten... alle Wesen haben dies als den Ursprung ihrer Geburt.
Gita, VII, 5. 6.
Du bist Mann und Frau, Knabe und Mädchen; alt und gebrechlich gehst du, auf einen Stock gestützt; du bist der blaue Vogel und der grüne und der scharlachäugige ...
Svetasvatara Upanishad, IV, 3.4.
Diese ganze Welt ist voll von Wesen, die seine Gliedmaßen sind.
Svetasvatara Upanishad, IV, 10.
Eine Involution des Göttlichen Seins, der spirituellen
Wirklichkeit, in die in Erscheinung getretene Unbewußtheit der Materie ist der
Ausgangspunkt der Evolution. Aber diese Wirklichkeit ist ihrer Natur nach ewiges
Sein, Bewußtsein, Seins-Seligkeit. Die Evolution muß also ein Hervortreten
dieses Seins, dieses Bewußtseins, dieser Seins-Seligkeit sein. Zunächst ist sie
das nicht in ihrer Essenz oder Totalität, sondern in evolutionären Formen, die
sie ausdrücken oder verkleiden. Aus der Unbewußtheit erscheint das Sein in einer
ersten evolutionären Form als Stofflichkeit der Materie, die von einer
unbewußten Energie geschaffen ist. Bewußtsein, in die Materie involviert und
nicht in Erscheinung tretend, taucht zuerst auf in der Verkleidung von vitalen
Vibrationen, die lebhaft, aber unterbewußt sind. Danach ringt es in den
unvollkommenen Formulierungen bewußten Lebens danach, sich durch aufeinanderfolgende Formen dieser materiellen Substanz selbst zu
finden, durch Formen, die mehr und mehr angepaßt sind, es immer vollständiger
zum Ausdruck zu bringen. Bewußtsein müht sich im Leben, indem es die
ursprüngliche Unempfindlichkeit der materiellen Unbelebtheit und Nichtbewußtheit
abwirft, um sich selbst mehr oder minder vollständig in der Unwissenheit zu
finden, die ihre erste unvermeidliche Formulierung ist. Sie erlangt aber zuerst
nur eine primitive mentale Wahrnehmung und vitale Bewußtheit vom Selbst und von
den Dingen, eine Lebens-Wahrnehmung, die in ihren ersten Formen von einem
inneren Empfinden abhängt, das auf die Kontakte mit anderem Leben und mit der
Materie reagiert. Bewußtsein arbeitet daran, sich, so gut es kann, durch die
noch unangemessene Art der Empfindung seiner eigenen, ihm innewohnenden Freude
des Wesens zu offenbaren. Es kann aber nur zum Teil den Schmerz oder die Lust
formulieren. Im Menschen erscheint das seine Kraft entfaltende Bewußtsein als
Mental, das deutlicher seiner selbst und der Dinge bewußt ist, eine partielle
und begrenzte, noch nicht integrale Macht seines Selbsts, bei der aber eine
erste begriffliche Potenz und das Versprechen auf ein vollständiges Hervortreten
sichtbar ist. Dieses integrale Hervortreten ist das Ziel der sich entwickelnden
Natur.
Der Mensch ist hier, um sich im Universum zu behaupten.
Das ist seine erste Aufgabe. Er muß sich aber auch entwickeln und schließlich
über sich selbst hinauskommen. Sein partielles soll er in das vollständige Wesen
ausweiten. Sein partielles Bewußtsein soll er zum integralen Bewußtsein werden
lassen. Er soll die Herrschaft über seine Umgebung erlangen, aber auch die
Einung der Welt und die Welt-Harmonie. Er soll seine Individualität
verwirklichen. Er soll sie aber auch in das kosmische Selbst und in die
universale und spirituelle Daseins-Freude ausweiten. Offensichtlich ist es
Absicht seiner Natur, daß er sich umwandelt, daß er all das läutert und
verbessert, was in seiner Mentalität finster, irrig und unwissend ist.
Schließlich soll er zu einer freien und umfassenden Harmonie und Erleuchtung
seines Wissens, Wollens, Fühlens, Handelns und Charakters gelangen. Die
Schöpferische Energie hat seiner Intelligenz dieses Ideal auferlegt. Einen Drang
danach hat sie seiner mentalen und vitalen Substanz eingepflanzt. Das kann aber
nur dadurch zur Vollendung gebracht werden, daß er in ein umfassenderes Wesen
und in ein umfassenderes Bewußtsein hineinwächst. Der Zweck, um dessentwillen er
geschaffen wurde, ist, daß er sein Selbst
ausweitet, zur Erfüllung bringt und sich über das hinaus entwickelt, was er nur
zum Teil und vorübergehend in seiner aktuellen und sichtbaren Natur darstellt,
in das, was er in Vollkommenheit in seinem geheimen Selbst und Geist ist und
gerade deshalb in seinem manifestierten Dasein werden kann. Diese Hoffnung ist
die Rechtfertigung seines Lebens auf Erden inmitten der Erscheinungsformen des
Kosmos. Der Mensch, so wie er äußerlich erscheint, ist ein vergängliches Wesen,
den Beschränkungen durch seine materielle Verkörperung unterworfen und in eine
begrenzte Mentalität eingesperrt. Er soll zu jenem inneren wirklichen Menschen
werden, der Herr seiner selbst und seiner Umgebung, sowie in seinem Wesen
universal ist. In einer lebendigeren und weniger metaphysischen Sprache
ausgedrückt: Der natürliche Mensch soll sich zum göttlichen Menschen entwickeln.
Die Kinder des Todes sollen sich als die Kinder der Unsterblichkeit erkennen.
Aufgrund einer solchen Auffassung kann man die Geburt des Menschen als den
Wendepunkt in der Evolution beschreiben, als die kritische Stufe in der
Erd-Natur.
Daraus folgt sofort: Das Wissen, das wir erlangen sollen, ist nicht die Wahrheit des Intellekts. Es ist nicht die rechte Überzeugung, die richtige Meinung, die zutreffende Information über uns selbst und die Dinge – das ist nur die Vorstellung unseres Vordergrund-Mentals von Wissen. Zu einem mentalen Begriff über Gott, uns selbst und die Welt zu gelangen, ist ein Ziel, das für den Intellekt gut genug, jedoch nicht umfassend genug ist für den Geist. Es wird aus uns nicht die bewußten Kinder der Unsterblichkeit machen. Das indische Denken des Altertums verstand unter Wissen ein Bewußtsein, das die höchste Wahrheit durch unmittelbare Wahrnehmung und Selbst-Erfahrung besitzt. Das Höchste zu werden und zu sein, das wir erkennen können, ist ein Zeichen dafür, daß wir wirklich das Wissen besitzen. Aus demselben Grund ist es auch nicht – und kann es nicht sein – das höchste Ziel für uns, unser praktisches Leben und unsere Handlungen soviel wie möglich nur in Einklang zu bringen mit unseren intellektuellen Begriffen von Wahrheit und Recht oder sie aus einer erfolgversprechenden pragmatischen Erkenntnis – einer ethischen oder Walen Zielsetzung wegen – zu gestalten. Unser Ziel muß sein, hineinzuwachsen in unser wahres Wesen, in unser Wesen des Geistes, in das Wesen des höchsten und universalen Seins, Bewußtseins und der Seligen Freude, saccidananda.
Unser ganzes Dasein
hängt von jenem Sein ab; es entwickelt sich in uns. Wir sind ein Wesen jenes
Seins, ein Bewußtseins-Zustand jenes Bewußtseins, eine Energie jener bewußten
Energie, ein Wille zur Seins-Seligkeit, zur Freude des Bewußtseins, zur Wonne
der Kraft, die aus jener Seligkeit geboren ist. Das ist das Wurzel-Prinzip
unseres Daseins. Die Form, die wir an unserer Außenseite von diesen Dingen
gestalten, ist aber nicht Jenes. Sie ist eine falsche Übertragung in die
Begriffe der Unwissenheit. Unser Ich ist nicht das spirituelle Wesen, das im
Blick auf das Göttliche Sein von sich sagen kann: “Jenes bin ich.” Unsere
Mentalität ist nicht jenes spirituelle Bewußtsein. Unser Wille ist nicht jene
Kraft des Bewußtseins. Unser Schmerz und unsere Lust, auch unsere höchsten
Freuden und Ekstasen, sind nicht jene Seins-Seligkeit. In unserem
vordergründigen Wesen sind wir noch ein Ich, das sich als das Selbst aufführt,
eine Unwissenheit, die sich zum Wissen hinwendet, ein Wille, der sich um wahre
Kraft bemüht, eine Sehnsucht, die nach der Seins-Seligkeit sucht. Zu unserem
Selbst zu werden, indem wir über uns selbst hinauskommen – so können wir die
inspirierten Worte eines halb-blinden Sehers umkehren, der das Selbst nicht
kannte, von dem er sprach –, ist der schwierige und gefährliche Zwang, das uns
auferlegte Kreuz, über dem eine unsichtbare Krone schwebt, das Rätsel der wahren
Natur seines Wesens, das dem Menschen von der dunklen Sphinx der Unbewußtheit
unter ihm und von der lichten verhüllten Sphinx des unendlichen Bewußtseins und
der ewigen Weisheit von innen und oben her aufgegeben wird, die ihm als eine
unerforschliche göttliche maya entgegentritt. Deshalb ist der höchste
Zweck unseres Lebens hier, unser Ich zu überwinden und unser wahres Selbst zu
sein, unser wirkliches Wesen zu gewahren und zu besitzen, eine wirkliche Freude
am Sein zu haben. Das ist der verborgene Sinn unseres individuellen und
irdischen Daseins.
Intellektuelles Wissen und praktisches Handeln sind
Einrichtungen der Natur, durch die wir so viel von unserem Wesen und Bewußtsein,
von unserer Kraft und der Macht unserer Freude zum Ausdruck bringen können, wie
wir in unserer vordergründigen Natur zu verwirklichen fähig sind. Wir versuchen
dadurch, mehr zu wissen, mehr auszudrücken, mehr zu verwirklichen, immer weiter
in das Viele emporzuwachsen, das wir noch zu verwirklichen haben. Jedoch sind
unser Intellekt, unsere mentale Erkenntnis und unser Wille zum Handeln nicht
unsere einzigen Mittel, nicht alle Werkzeuge
unseres Bewußtseins und unserer Kraft. Unsere Natur – so benennen wird die Kraft
des Wesens in uns in ihrem aktuellen und potentiellen Spiel und in ihrer Macht – ist in ihrer Anordnung des Bewußtseins ebenso komplex wie in der Instrumentation
der Kraft. Wir müssen jeden schon entdeckten oder noch entdeckbaren Begriff und
Umstand dieser Komplexheit, die wir zum wirksamen System machen können, in den
für uns höchst-möglichen und feinsten Werten verwirklichen und in seiner
weitesten und reichsten Machtentfaltung für das eine Ziel verwenden. Dieser
Zweck liegt darin, ständig zu wachsen, bewußt zu sein, größer zu werden in
unserem erkannten Wesen, im Innesein des Selbsts und der Dinge, in unserer
verwirklichten Kraft und Freude des Seins und dieses Wachsen dynamisch in
solcher Einwirkung auf die Welt und uns selbst zum Ausdruck zu bringen, daß wir
und sie immer mehr zur größt-möglichen Höhe und Weite an Universalität und
Unendlichkeit heranwachsen. In dem gewaltigen Drama des Bemühens der Natur ist
all das durch die Epochen währende Ringen des Menschen nur eine Episode: seine
Aktivitäten, seine Gesellschaft, Kunst, Ethik, Wissenschaft und Religion, sowie
all die vielfältigen Tätigkeiten, durch die er sein mentales, vitales,
physisches und spirituelles Sein ausdrückt und vermehrt. Hinter ihren begrenzten
vordergründigen Zielen hat all das keinen anderen wahren Sinn oder Grund. Die
alten Seher der Veden verstanden unter Wissen, daß der einzelne zur göttlichen
Universalität und höchsten Unendlichkeit kommt, in ihr lebt, sie besitzt, sie
allein in all seinem Wesen, seinem Bewußtsein, seiner Kraft und Seins-Seligkeit
ist, weiß, fühlt und ausdrückt. Das war die Unsterblichkeit, die sie dem
Menschen als seine göttliche höchste Vollkommenheit vor Augen stellten.
Durch die Art seiner Mentalität, durch seinen Einblick
in sich selbst und seinen Ausblick auf die Welt, durch seine ursprüngliche
Begrenztheit in beiden durch Sinne und Körper, durch die Gebundenheit an das
Relative, das Augen- und Sinnenfällige, ist der Mensch gezwungen, schrittweise,
zuerst in Dunkel und Unwissenheit innerhalb dieser riesigen evolutionären
Bewegung vorwärtszugehen. Es ist für ihn nicht möglich, das Seiende von Anfang
an in der Vollständigkeit seiner Einheit ins Auge zu fassen. Es stellt sich ihm
in der Verschiedenheit dar. Sein Suchen nach Wissen wird beherrscht von drei
hauptsächlichen Kategorien, die für ihn diese Verschiedenheit zusammenfassen: er selbst
– der Mensch oder die individuelle Seele – Gott und die Natur. Das erste ist das, dessen allein er in seinem normalen
unwissenden Wesen unmittelbar bewußt ist. Er sieht sich, das Individuum,
scheinbar in einem Dasein von allem übrigen Wesen getrennt, bleibt jedoch immer
unabtrennbar mit diesem verbunden. Er ringt danach, sich selbst genug zu sein,
doch kann er niemals in sich selbst Genüge finden, da man noch nie von dieser
individuellen Seele die Erfahrung machte, daß sie getrennt von den übrigen Wesen
ins Dasein trat oder existierte oder in ihrem eigenen Sein den Höhepunkt
erreichte ohne die Hilfe der anderen und unabhängig vom universalen Wesen und
der universalen Natur. Zweitens gibt es jenes, das der Mensch nur mittelbar
durch sein Mental und die körperlichen Sinne und durch dessen Wirkungen auf
diese erkennt, wobei er aber darum ringen muß, jenes immer vollständiger zu
erkennen: weil er auch alles übrige Seiende sieht, mit dem er sich so sehr
identifiziert und von dem er doch so getrennt ist – den Kosmos, die Welt, die
Natur, die anderen individuellen Wesen, die er als ihm stets gleich und dennoch
ungleich erkennt. Denn sie sind ihrer Natur nach dasselbe, selbst bis zu Pflanze
und Tier, und doch in ihrem Charakter so ganz anders. Jedes Wesen scheint seinen
eigenen Weg zu gehen, ein gesondertes Wesen zu sein, und doch wird jedes durch
die gleiche Bewegung angetrieben und folgt, gemäß seinem eigenen Grad der
Entwicklung, der gleichen unermeßlichen Evolutionskurve wie er selbst.
Schließlich sieht oder vielmehr ahnt er etwas, das er überhaupt nicht kennt, es
sei denn ganz mittelbar. Denn er weiß davon nur etwas durch sich selbst und
durch das, wonach sich sein Wesen sehnt, oder durch die Welt und das, worauf sie
hinzuweisen scheint und das sie entweder im Verborgenen zu erlangen und durch
ihre unvollkommenen Gestaltungen auszudrücken sucht, das zumindest diese, ohne
daß sie es wissen, auf ihre geheime Beziehung zu jener unsichtbaren Wirklichkeit
und zu jenem geheimen Unendlichen gründet.
Dieses dritte und unbekannte Etwas, dieses tertium
quid, nennt er Gott. Mit diesem Wort meint er Etwas oder Jemand, der das
Höchste, das Göttliche, die Ursache, das All ist, eines von diesen Dingen oder
sie alle zugleich, die Vollkommenheit oder die Totalität von allem, das hier nur
bruchstückhaft oder unvollkommen ist, das Absolute all dieser Myriaden von
Relativitäten. Er ist der Unbekannte: wenn der Mensch Ihn ergründen könnte, kann
das wirkliche Geheimnis dessen, was man weiß, für
ihn immer verständlicher werden. Der Mensch hat versucht, all diese Kategorien
zu negieren: Er hat versucht, sein eigenes wirkliches Dasein zu bestreiten. Er
hat versucht, das wirkliche Dasein des Kosmos zu verneinen. Er hat versucht, das
wirkliche Sein Gottes zu leugnen. Hinter all diesen Verneinungen sehen wir aber
denselben ständigen Zwang seines Strebens nach Wissen. Denn er fühlt die
Notwendigkeit, zu der Einheit dieser drei Begriffe zu gelangen, selbst wenn das
nur dadurch geschehen könnte, daß er zwei von ihnen unterdrückt oder sie mit dem
anderen, übriggebliebenen verschmilzt. Um das fertig zu bringen, behauptet er,
nur er allein sei die Ursache von allem anderen, und dieses seien nur die
Schöpfungen seines Mentals. Oder er bejaht nur die Natur, alles übrige seien
bloß Phänomene der Natur-Energie. Oder er bejaht nur Gott, das Absolute, und der
Rest sei nichts als Illusionen, die Jenes durch eine unerklärliche maya
auf sich selbst und auf uns projiziere. Keine von diesen Verneinungen kann
völlig befriedigen. Keine löst das Problem vollständig oder kann unwiderleglich
und definitiv sein, am wenigsten jene, zu der sein von den Sinnen beherrschter
Intellekt am meisten neigt, in der er aber nie lange verharren kann. Wenn er
Gott leugnet, bestreitet er zugleich sein eigenes wahres Streben und sein
eigenes Allerhöchstes. Die Epochen eines naturalistischen Atheismus waren stets
kurzlebig, weil jener nie das geheime Wissen des Menschen befriedigen kann. Er
kann auch nicht dem endgültigen Veda entsprechen, da er nicht mit dem Veda in
unserem Innern übereinstimmt, den alle mentale Erkenntnis nach außen zu bringen
bemüht ist. Von dem Augenblick an, wo wir diesen Mangel an Entsprechung fühlen,
ist eine Lösung, mag sie noch so vernünftig, auch logisch noch so vollständig
sein, durch den Ewigen Zeugen im Menschen gerichtet und verurteilt. Sie kann
nicht das letzte Wort des Wissens bilden.
Der Mensch ist seiner Art nach sich selbst nicht genug.
Er existiert nicht gesondert für sich; er ist nicht der Ewige und ist nicht das
All. Darum kann er, für sich genommen, nicht die Erklärung für den Kosmos sein,
von dem sein Mental, Leben und Körper so offenkundig nur eine unendlich kleine
Einzelheit bilden. Ebenso erkennt er, daß der sichtbare Kosmos an und für sich
nicht genügt, da er sich nicht einmal durch seine unsichtbaren Kräfte erklärt.
So findet der Mensch sowohl in sich selbst wie in der Welt zu viel, was jenseits
von diesen beiden ist, etwas, von dem sie nur ein äußeres Gesicht, eine Haut
oder sogar nur eine Maske zu sein scheinen.
Ebensowenig können sein Intellekt oder seine Intuitionen oder sein Fühlen etwas
tun ohne den Einen oder ohne die Einheit, mit dem oder mit der diese Welt-Kräfte
und er selbst in einer Beziehung stehen können, die diese trägt und denen sie
ihre Bedeutung verleiht. Er fühlt, es muß ein Unendliches geben, das diese
Endlichkeiten trägt, das in, hinter und um diesen sichtbaren Kosmos ist, die
Harmonie, die gegenseitige Beziehung und die wesenhafte Einheit der vielfältigen
Dinge begründet. Sein Denken braucht ein Absolutes, von dem diese unzähligen,
endlichen Relativitäten in ihrem Dasein abhängen, eine höchste Wahrheit der
Dinge, eine schöpferische Macht oder Kraft oder ein Wesen, das alle diese
unzähligen Wesen im Universum verursacht und im Dasein erhält. Mag er es nennen,
wie er will: Er muß zu einem Höchsten, zu einem Göttlichen, zu einer Ursache, zu
einem Unendlichen und Ewigen, einem Dauernden und zu einer Vollkommenheit
gelangen, nach der alles strebt und sich sehnt, oder zu einem All, das ständig
und unsichtbar der Inbegriff aller Dinge und Wesen ist und ohne das sie nicht
sein könnten.
Doch gerade dieses Absolute kann er nicht an und für
sich unter Ausschluß der beiden anderen Kategorien wirklich bejahen. Denn dann
hätte er nur mit Gewalt einen Sprung von jenem Problem hinweg getan, zu dessen
Lösung er hier auf Erden ist. Dann wären der Kosmos und er selbst eine
unerklärliche Irreführung oder ein sinnloses Mysterium. Eine gewisse Seite
seines Intellekts und sein Verlangen nach Ruhe mögen durch eine solche Lösung
beschwichtigt werden, wie auch seine physische Intelligenz leicht
zufriedengestellt wird, wenn er ein Jenseits bestreitet und die materielle Natur
vergöttlicht. Sein Herz jedoch und sein Wille, die stärksten und intensivsten
Seiten seines Wesens, verbleiben ohne Sinndeutung, bar eines Zweckes und ohne
Rechtfertigung, oder sie werden zu einer zufälligen Torheit, die irrlichternd
wie ein sinn- und ruheloser Schatten der ewigen Stille des reinen Seins sich
entgegenstellt oder inmitten der ewigen Unbewußtheit des Universums
herumgeistert. Der Kosmos bliebe dann in dem singulären Charakter einer
sorgfältig aufgebauten Lüge des Unendlichen, eine schauerlich aggressive und
doch in Wirklichkeit gar nicht bestehende Anomalie, als ein leidvolles, elendes
Paradoxon mit falschen Schaustellungen von Wunderbarem, von Schönheit und
Wonnen. Oder er wäre das ungeheure Spiel einer blinden organisierten Kraft ohne
Bedeutung, sein eigenes Wesen eine flüchtige winzige Anomalie, die sich unverständlicherweise in dieser sinnlosen Unermeßlichkeit ereignet. In
dieser Richtung liegt keine befriedigende Erfüllung für das Bewußtsein, für die
Energie, die sich in der Welt und im Menschen manifestiert hat. Das Mental muß
etwas finden, das alles miteinander verknüpft, etwas, durch das die Natur im
Menschen und der Mensch in der Natur zu ihrer Erfüllung gelangen, etwas, durch
das sich beide in Gott finden, da sich im letzten Grund das Göttliche Wesen
selbst in beiden, im Menschen und in der Natur, offenbart.
Für das Wissen ist es wesentlich, daß wir die Einheit dieser drei Kategorien annehmen und erkennen. Das wachsende Selbst-Bewußtsein des einzelnen Menschen öffnet sich zu ihrer Einheit hin ebenso wie zu ihrer Vollständigkeit. Dorthin muß es kommen, wenn es von sich befriedigt und vollständig sein soll. Denn ohne die Realisation der Einheit dieser drei Kategorien kann das Wissen von keiner dieser drei etwas Ganzes sein. Ihre Einheit ist für jede die Voraussetzung ihrer eigenen Vollständigkeit. Andererseits treffen alle drei nur dadurch in unserem Bewußtsein zusammen und werden eins, daß sich jede in ihrer Vollständigkeit erkennt. In einem totalen Wissen wird alles Wissen eins und unteilbar. Sonst könnten wir nur durch Zertrennung und die Zurückweisung von zweien von ihnen aus der Position der dritten zu einer gewissen Einheit gelangen. Darum muß der Mensch sein Wissen von sich selbst, seine Erkenntnis der Welt und sein Wissen von Gott ausweiten, bis er in ihrer Totalität dessen bewußt wird, daß sie einander innewohnen und eine Einheit sind. Denn solange er sie nur zum Teil kennt, wird das zu Unvollständigkeit und Zertrennung führen. Solange er sie nicht in einer Einheit erkennt, die sie miteinander versöhnt, wird er nicht ihre ganze Wahrheit, nicht die grundlegenden Bedeutungen des Seins gefunden haben.
Damit soll nicht gesagt sein, der Höchste sei nicht
selbst-seiend und sich selbst genug. Gott existiert in Sich Selbst und nicht
kraft des Kosmos oder des Menschen. Dagegen existieren Kosmos und Mensch nur,
weil Gott existiert und durch Ihn. An sich selbst existieren sie nur insofern,
als ihr Wesen eins ist mit dem Wesen Gottes. Doch sind sie auch eine
Manifestation der Macht Gottes. Gerade in Seinem ewigen Sein muß ihre
spirituelle Wirklichkeit in einer gewissen Weise gegenwärtig oder inbegriffen
sein, da es sonst keine Möglichkeit für ihre Manifestation gäbe oder sie, falls
manifestiert, keine Bedeutung hätten. Was hier als Mensch erscheint, ist ein
individuelles Wesen aus dem Göttlichen Wesen. Das
Göttliche Wesen, in die Vielfalt ausgebreitet, ist das Selbst aller
individuellen Existenzen, eko vasi sarvabhutantaratma (Katha Upanishad,
V. 12.). Überdies kommt der Mensch durch die Erkenntnis des Selbsts und der Welt
zum Wissen von Gott, das er nicht auf andere Weise erlangen kann. Nicht dadurch,
daß er Gottes Manifestation zurückweist, sondern dadurch, daß er seine eigene
Unwissenheit in Bezug auf sie und die Ergebnisse dieser Unwissenheit ablegt,
kann er am besten das Ganze seines Wesens, seines Bewußtseins, seiner Energie
und Daseins-Freude in das Göttliche Sein emporheben und ihm darbieten. Er mag
das durch sich selbst als durch die eine oder durch das Universum als die andere
Manifestation tun. Wenn er durch sich selbst allein dorthin gelangt, kann er
sich versenken durch individuelles Untertauchen oder durch ein Verschmelzen mit
dem Unbegrenzbaren und so das Universum verlieren. Gelangt er dorthin allein
durch das Universum, kann er seine Individualität entweder in die Apersonalität
des universalen Wesens oder in ein dynamisches Selbst der universalen
Bewußtseins-Kraft versenken. Er verschmilzt mit dem universalen Selbst, oder er
wird zu einer apersonalen Leitung für die kosmische Energie. Gelangt er dorthin
durch die ausgeglichene Vollständigkeit beider und dadurch, daß er durch sie und
jenseits von ihnen alle Aspekte des Göttlichen Wesens erfaßt, kommt er über
beide hinaus und erfüllt sie dadurch, daß er sie hinter sich läßt: Nun besitzt
er das Göttliche Wesen in seinem eigenen Wesen, wie er ebenso auch umhüllt,
durchdrungen, ganz erfüllt und eingenommen ist vom Göttlichen Wesen, Bewußtsein
und Licht, von Seiner Macht und Seligkeit sowie von Seinem Wissen. Er besitzt
Gott in sich selbst und Gott im Universum. Das All-Wissen rechtfertigt ihm
gegenüber, daß es ihn selbst erschaffen hat. Und es rechtfertigt durch ihn, der
vollkommen geworden ist, die Erschaffung der Welt, die es gebildet hat. Das
alles wird dadurch vollauf wirklich und wirksam, daß der Mensch in eine
supramentale und höchste Übernatur emporkommt und daß deren Mächte in die
Manifestation herabkommen. Während aber diese höchste Vollendung noch schwierig
ist und weit in der Zukunft liegt, kann das wahre Wissen davon doch subjektiv
dadurch verwirklicht werden, daß der Mensch den Geist reflektiert oder ihn in
seine Natur von Mental, Leben und Körper aufnimmt.
Aber diese spirituelle Wahrheit und das wahre Ziel
seines Wesens kann dem Menschen erst in einer späteren Phase seines Lebensweges
sichtbar werden. Denn die frühe vorbereitende Arbeit des Menschen in den evolutionären Stufen der Natur besteht darin, daß er seine eigene
Individualität behaupten, sie ausgeprägt und reich machen, fest, machtvoll und
vollständig in Besitz haben muß. Als eine Folge davon muß er sich am Anfang
hauptsächlich mit seinem eigenen Ich beschäftigen. In dieser ichhaften Phase
seiner Entwicklung sind für ihn die Welt und die anderen weniger wichtig als er
sich selbst. Eigentlich sind sie für ihn nur wertvoll als Hilfen und als die
gegebenen Möglichkeiten dafür, daß er sich selbst durchsetzt. Auch Gott ist für
ihn auf dieser Stufe weniger wichtig, als er selbst es für sich ist. Darum
werden in den früheren Lebensgestaltungen, auf den niederen Ebenen der
religiösen Entwicklung, Gott oder die Götter so behandelt, als existierten sie
nur zugunsten des Menschen, als hervorragende Mittel zur Befriedigung seiner
Sehnsüchte, als seine Helfer bei der Aufgabe, die Welt, in der er lebt, zu
verwenden, um seine Bedürfnisse, seine Wünsche und seinen Ehrgeiz zu
befriedigen. Man darf diese anfängliche ichhafte Entwicklungsstufe mit all ihren
Sünden, Gewalttaten und Grausamkeiten keinesfalls, an ihrem eigentlichen Ort,
als etwas Böses oder als Irrtum der Natur ansehen. Das ist für das anfängliche
Wirken des Menschen notwendig, damit er sich völlig loslöst vom niederen
Unterbewußten, in dem er als der einzelne Mensch vom Massen-Bewußtsein der Welt
überwältigt und den mechanischen Wirkweisen der Natur unterworfen ist. Der
Mensch, das Individuum, muß seine Personalität der Natur gegenüber behaupten und
unterscheiden. Er muß in machtvoller Weise er selbst sein, alle seine Begabungen
an Kraft, Willen und Genuß so entwickeln, daß er sie gegen die Natur und die
Welt mit immer größerer Meisterschaft und Kraft einsetzen kann. Seine
Ichhaftigkeit, mit der er sich von den anderen unterscheidet, ist ihm als Mittel
zu diesem anfänglichen Zweck gegeben. Erst wenn er so seine Individualität,
seine Persönlichkeit, seine gesonderten Fähigkeiten entwickelt hat, kann er für
das größere, vor ihm liegende Werk geeignet sein oder seine Gaben erfolgreich
für höhere, umfassendere und eher göttliche Zwecke einsetzen. Zuerst muß er sich
innerhalb der Unwissenheit behaupten, bevor er sich im Wissen vervollkommnen
kann.
Der Ursprung des evolutionären Hervortretens aus dem
Unbewußten wird durch zwei Kräfte bewirkt: durch ein verborgenes kosmisches
Bewußtsein und durch ein individuelles Bewußtsein, das in der vordergründigen
Natur des Menschen manifestiert wird. Das geheime kosmische Bewußtsein bleibt
verborgen und für das Vordergründige des Individuums subliminal.
Es organisiert sich in der äußeren Natur dadurch, daß es gesonderte Objekte und
Wesen erschafft. Zugleich erschafft es aber so, wie es das gesonderte Objekt,
den Körper und das Mental des individuellen Wesens organisiert, auch kollektive
Bewußtseins-Mächte, umfassende subjektive Gestaltungen der kosmischen Natur.
Diese versorgt es nicht mit einem organisierten Mental und Körper. Es gibt ihnen
vielmehr eine Gruppe von Individuen als Basis, es entwickelt für sie ein
Gruppen-Mental und einen sich wandelnden, doch stetigen Gruppen-Körper. Daraus
folgt, daß das Gruppenwesen nur in dem Maß, in dem die individuellen Wesen immer
bewußter werden, auch selbst immer bewußter werden kann. Das Wachsen des
Individuums ist das unentbehrliche Mittel für das innere Wachstum des
kollektiven Wesens, im Unterschied zu seiner äußeren Kraft und Ausweitung.
Tatsächlich liegt darin die zweifache Bedeutung des Individuums: Der kosmische
Geist organisiert durch es seine kollektiven Einheiten, befähigt sie zum
Selbst-Ausdruck und läßt sie fortschreiten. Und er hebt durch es die Natur aus
der Unbewußtheit zur Überbewußtheit empor und macht sie so erhaben, daß sie dem
Transzendenten begegnen kann. In der Masse ist das kollektive Bewußtsein dem
Unbewußten nahe. Es hat nur unterbewußte dunkle und stumme Regungen, für die es
das Individuum benötigt, um sie auszudrücken, um sie ans Licht zu bringen, sie
zu organisieren und wirksam zu machen. Das Massen-Bewußtsein bewegt sich als
solches nur durch einen vagen, halb-gestalteten oder ungestalteten,
subliminalen, gewöhnlich unterbewußten Impuls, der an die Oberfläche
hervortritt. Es neigt zu blinder oder nur halbsehender Einmütigkeit, die in
ihrer allgemeinen Bewegung das Individuum unterdrückt: Wenn es denkt, geschieht
es durch die Parole, das Schlagwort, die Losung, die allgemeine unfertige oder
gemachte Vorstellung, die überkommene, angenommene, gewohnheitsmäßige
Denkungsart. Es handelt, wenn nicht aus Instinkt oder aufgrund eines Impulses,
so doch nach den Gebräuchen des Rudels, der Herden-Mentalität oder dem
Art-Gesetz. Dieses Bewußtsein, Leben und Handeln der Masse kann außerordentlich
wirksam sein, wenn es einen einzelnen oder einige machtvolle Menschen finden
kann, die es verkörpern, ausdrücken, anführen oder organisieren. Die plötzlichen
Bewegungen der Menge können im Augenblick ebenso unwiderstehlich sein wie die
Abstürze einer Lawine oder wie das Daherfegen eines Orkans. Die Unterdrückung
oder völlige Unterordnung des Individuums unter das Massen-Bewußtsein kann einer
Nation oder
einer Gemeinschaft große praktische
Wirkungskraft geben, wenn das subliminale kollektive Wesen eine bindende
Tradition aufbauen oder eine Gruppe, eine Klasse, ein Haupt finden kann, um
seinen Geist und seine Vormacht zu verkörpern. Die Stärke machtvoller
Militärstaaten, von Gemeinschaften mit straffer und strenger Weltanschauung, die
ihren einzelnen Gliedern aufgezwungen wird, der Erfolg der großen Welt-Eroberer
haben zu ihrem Hintergrund dieses Geheimnis der Natur. Aber das ist nur eine
Machtentfaltung äußeren Lebens, und dieses Leben ist nicht der höchste oder
letzte Inbegriff unseres Wesens. In uns gibt es ein Mental, in uns wirken eine
Seele und ein Geist. Unser Leben besitzt keinen wahren Wert, wenn es nicht ein
wachsendes Bewußtsein, ein sich entfaltendes Mental enthält und wenn Mental und
Leben nicht Instrument, Mittel zur Befreiung und zur Erfüllung für die Seele,
für den innewohnenden Geist sind.
Der Fortschritt des Mentals, das Wachsen der Seele, und
gerade des Mentals und der Seele im Kollektiv, hängen aber vom Einzelnen ab, von
seiner ausreichenden Freiheit und Unabhängigkeit, von seiner gesonderten Macht,
das auszudrücken und ins Wesen hervorzubringen, was in der Masse noch
unausgedrückt, noch nicht aus dem Unterbewußten entfaltet, noch nicht von innen
nach außen hervor- oder aus dem Überbewußten herniedergebracht worden ist. Das
Kollektiv ist eine Masse, ein Feld zur Gestaltung. Der einzelne Mensch ist es,
der die Wahrheit erahnt, die Form gestaltet; er ist der Schöpfer. In der Masse
verliert das Individuum seine innere Führung und wird zu einer Zelle im
Massen-Körper, der durch den Willen, die Idee des Kollektivs oder durch den
Massen-Impuls angetrieben wird. Er muß beiseite stehen, seine gesonderte
Wirklichkeit innerhalb des Ganzen behaupten, sein eigenes Mental, das aus der
allgemeinen Mentalität herausragt, bewahren, sein eigenes Leben erhalten, das
sich in der allgemeinen Lebens-Uniformität ebenso von den anderen unterscheidet,
wie sein Körper etwas Einzigartiges, in der allgemeinen Körperlichkeit
Unterscheidbares entwickelt hat. Er muß sich schließlich sogar in sich selbst
zurückziehen, um sich selbst zu finden. Erst wenn er sich gefunden hat, kann er
spirituell mit allen eins werden. Wenn er dieses Einssein nur im Mental, im
Vital, im Physischen zu erlangen sucht und noch keine genügend starke
Individualität besitzt, kann er durch das Massen-Bewußtsein überwältigt werden
und die Erfüllung seiner Seele, seines Mentals und seines Lebens verlieren. Er
kann dann nur zu einer Zelle im Massen-Körper werden.
Das kollektive Wesen mag dadurch stark und beherrschend werden. Wahrscheinlich
verliert es aber seine Formbarkeit, seine evolutionäre Bewegung. Die großen
evolutionären Perioden der menschlichen Geschichte haben in Gemeinschaften
stattgefunden, in denen sich das Individuum aktiv, mental, vital und spirituell
lebhaft entwickelt hat. Aus diesem Grund hat die Natur das Ich erfunden, damit
sich das Individuum aus der Unbewußtheit und Unterbewußtheit der Masse
herauslösen und zu einem unabhängigen, lebendigen Mental, einer Lebens-Macht,
einer Seele und einem Geist wird, dank deren es sich mit der Welt seiner
Umgebung koordinieren kann, aber nicht in ihr ertränkt wird, als Sonderwesen zu
existieren aufhört und dadurch seine Wirkungskraft verliert. Denn das Individuum
ist zwar gewiß ein Teil des kosmischen Wesens, aber auch mehr als das: Es ist
eine Seele, die aus der Transzendenz herabgekommen ist. Das kann jedoch der
Mensch nicht auf einmal manifestieren, da er der kosmischen Unbewußtheit noch zu
nahe steht, aber noch nicht weit genug zu der ursprünglichen Überbewußtheit
emporgekommen ist. Er muß sich erst als das mentale und vitale Ich finden, bevor
er sich als die Seele oder den Geist finden kann.
Doch bedeutet das Finden seiner ichhaften
Individualität noch nicht, daß er sein Selbst erkennt. Das wahre spirituelle
Individuum ist nicht das Mental-Ich, das Lebens-Ich, das Körper-Ich. Diese erste
Bewegung ist vorwiegend ein Werk von Wille, Macht, ichhafter
Selbst-Durchsetzung. Erst in zweiter Linie ist sie ein Werk von Erkenntnis.
Darum muß eine Zeit kommen, da der Mensch tiefer hinabschauen muß unter diese
dunkle Außenseite seines ichhaften Wesens und zu versuchen hat, sich selbst zu
erkennen. Er muß sich auf den Weg machen, den wirklichen Menschen zu finden.
Ohne das würde er bei der primären Erziehung der Natur halt machen und niemals
weitergehen zu ihren tieferen und umfassenderen Lehren. Wie groß auch sein
praktisches Wissen und seine Tüchtigkeit ist, er würde damit doch nur wenig
höher stehen als das Tier. Zuerst soll er seinen Blick auf seine eigene Psyche
richten und deren natürliche Elemente unterscheiden – das Ich, das Mental mit
seinen Instrumenten, das Leben und den Körper–, bis er entdeckt, daß sein ganzes
Dasein vor der Notwendigkeit steht, eine andere Erklärung zu finden als nur
diejenige durch die natürlichen Elemente. Der Mensch braucht ein Ziel für sein
Handeln, das etwas anderes ist als ichhafte Selbst-Behauptung und Befriedigung.
Er mag das in der Natur und in der Menschheit
suchen und so auf seinem Weg damit anfangen, seine Einheit mit der ganzen
übrigen Welt zu entdecken. Er mag das Ziel auch in der Übernatur, in Gott suchen
und so den Weg zur Entdeckung seiner Einheit mit dem Göttlichen Wesen betreten.
In der Praxis versucht er diese beiden Wege und bemüht sich unter dauernden
Schwankungen, sich in aufeinanderfolgenden Lösungen festzulegen, die am besten
zu den verschiedenen Teil-Entdeckungen passen mögen, die er auf seiner doppelten
Bahn von Suchen und Finden gemacht hat.
Durch alles aber, was der Mensch auf dieser Stufe noch beharrlich entdecken, erkennen und erfüllen will, sucht er immer nur sein Selbst. Seine Erkenntnis der Natur, seine Erkenntnis Gottes sind nur Hilfen zu dieser Erkenntnis seines Selbsts, zur Vervollkommnung seines Wesens und zum Erreichen des höchsten Zieles seines individuellen Selbst-Seins. Auf die Natur und den Kosmos gerichtet, mag es die Gestalt einer Selbst-Erkenntnis und Selbst-Beherrschung – im mentalen und vitalen Sinn – und einer Herrschaft über die Welt annehmen, in der wir uns befinden. Ist die Erkenntnis auf Gott gerichtet, mag es auch diese Form, jedoch in einem höheren, spirituellen Empfinden für Welt und Selbst annehmen oder sich in jener anderen, uns so bekannten und für das religiöse Mental so entscheidenden Gestalt äußern, im Suchen nach der individuellen Erlösung, entweder in einem jenseitigen Himmel oder indem das gesonderte Selbst sich in ein höchstes Selbst oder in ein höchstes Nicht-Selbst versenkt – in die Seligkeit oder das Nirvana. Bei alledem ist es aber das Individuum, das eine individuelle Selbst-Erkenntnis und das Ziel seines gesonderten Daseins sucht, wobei dann alles übrige, sogar Altruismus, Liebe zur Menschheit und Dienst an ihr, das Auslöschen oder die Vernichtung des eigenen Ichs – in was für subtilen Verkleidungen auch immer – als Hilfen und Mittel eingesetzt wird für das alles andere überragende Ziel, die Realisierung der Individualität. Es mag so aussehen, als sei das nur ein ausgeweiteter Egoismus. Dann wäre das gesonderte Ich die Wahrheit des Wesens des Menschen, das in ihm fortdauert bis zum Ende oder bis er schließlich von ihm durch seine Selbst-Auslöschung in der gestaltlosen Ewigkeit des Unendlichen befreit ist. Hier liegt aber ein tieferes Geheimnis verborgen, das seine Individualität und deren Verlangen rechtfertigt. Es ist das Geheimnis des spirituellen und ewigen Individuums, des purusha.
Vollkommenheit oder Befreiung – im Westen Erlösung
genannt – kann wegen der spirituellen Person, der Gottheit im Individuum, nur
etwas Individuelles, nicht Kollektives sein. Denn
welche Vervollkommnung man auch für das Kollektiv erstreben mag, sie ist nur
durch die Vollkommenheit der Individuen erreichbar, die sie konstituieren. Weil
der individuelle Mensch Jenes ist, besteht für ihn die dringende Notwendigkeit,
daß er sein Selbst findet. Indem er sich völlig an den Höchsten überantwortet
und hingibt, erreicht er im vollkommenen Selbstopfer sein vollkommenes
Selbst-Finden. Wenn der Mensch das mentale, vitale, physische, selbst das
spirituelle Ich ausschaltet, hat das formlose und grenzenlose Individuum den
Frieden und die Freude, daß es in seine eigene Unendlichkeit entkommt. In der
Erfahrung, daß es nun nichts und niemand, aber auch alles und jedermann, oder
daß es das Eine ist, jenseits von allen Dingen, absolut, bewirkt das brahman
im Individuum diese ungeheure Verschmelzung oder diese wunderbare Vereinigung,
Yoga, seiner ewigen Wesens-Einheit mit seiner unermeßlichen, allumfassenden oder
höchsten, alles transzendierenden Einheit des ewigen Seins. So ist es unbedingt
erforderlich, über das Ich hinauszukommen, doch kann man nie in ein Jenseits vom
Selbst gelangen, außer durch höchstes und allumfassendes Erkennen. Denn das
Selbst ist nicht das Ich. Es ist eins mit dem All und mit dem Einen. Wenn wir es
finden, entdecken wir das All und den Einen in unserem Selbst: Der Widerspruch,
die Sonderung, verschwindet. Das Selbst jedoch, die spirituelle Wirklichkeit,
verbleibt, vereint mit dem Einen und dem All durch jenes zur Befreiung führende
Verschwinden des Ichs.
Diese höhere Selbst-Erkenntnis beginnt also, sobald der
Mensch über seine Voreingenommenheit für die Beziehung von Natur und Gott zu
seinem vordergründigen Wesen, zu seinem äußerlich erscheinenden Ich hinauskommt.
Ein erster Schritt dazu ist, daß er weiß, dieses Leben ist nicht alles. Er soll
seine eigene Ewigkeit in der Zeit begreifen, diese subjektive Fortdauer, die man
die Unsterblichkeit der Seele nennt, erkennen und ihrer konkret bewußt werden.
Wenn er weiß, daß es Zustandsformen jenseits des Materiellen gibt, und wenn er
in dem lebt, was hinter ihm und vor ihm liegt, wenn er schließlich einer
Prä-Existenz und einer darauffolgenden Post-Existenz bewußt wird, ist er auf dem
Weg, seine vorübergehende Unwissenheit zu verlieren, indem er sich über die
unmittelbaren Augenblicke der Zeit hinaus in den Besitz seiner eigenen Ewigkeit
ausweitet. Ein anderer Schritt nach vorwärts liegt darin, daß er versteht, sein
vordergründiger Wach-Zustand ist nur ein kleiner Teil seines Wesens, und daß er
beginnt, den Abgrund des Unbewußten und die
Tiefen des Unterbewußten und des Subliminalen auszuloten und sich in die Höhen
des Überbewußten emporzuschwingen. Auf diese Weise beseitigt er immer mehr die
psychologische Unwissenheit über sein Selbst. Ein dritter Schritt geschieht,
wenn er herausfindet, daß in ihm noch etwas anderes vorhanden ist als sein
instrumentales Mental, Leben und Körperwesen. Er entdeckt hier nicht nur eine
unsterbliche, sich immer weiter entfaltende individuelle Seele, die seine Natur
stützt und fördert, sondern ein ewiges unveränderliches Selbst und den Geist.
Dann lernt er, was die Kategorien seines spirituellen Wesens sind, bis er
schließlich entdeckt, daß alles in ihm Ausdruck des Geistes ist, und die
Verbindung zwischen seinem niederen und seinem höheren Sein erkennt. So macht er
sich ans Werk, seine konstitutionelle Unwissenheit vom Selbst zu beseitigen.
Indem er Selbst und Geist entdeckt, findet er Gott. Er erkennt, daß es jenseits
des Vergänglichen ein Selbst gibt: Er erlangt die Schau von jenem Selbst im
kosmischen Bewußtsein als von der Göttlichen Wirklichkeit hinter der Natur und
hinter dieser Welt der Wesen. Sein Mental öffnet sich für den Gedanken oder für
das Empfinden des Absoluten, von dem das Selbst, das Individuum und der Kosmos
so viele Gesichter sind. So löst sich allmählich die starre Gewalt der
kosmischen, ichhaften, ursprünglichen Unwissenheit über sich selbst. Versucht er
nun, sein Dasein in die Prägeform dieser sich ausweitenden Selbst-Erkenntnis zu
gießen, werden seine ganze Lebens-Anschauung und Lebens-Motivierung, sein Denken
und Handeln fortschreitend umgestaltet und transformiert. Seine praktische
Unwissenheit über sich selbst, über seine Natur und über das Ziel seines Daseins
nimmt immer mehr ab. Nun hat er den Pfad beschritten, der aus der Lüge und dem
Leiden eines begrenzten und zerteilten Daseins in den vollkommenen Besitz und
Genuß des wahren und vollständigen Seins führt.
Im Verlauf dieses Fortschreitens entdeckt er Schritt
für Schritt die Einheit der drei Kategorien, von denen er ausgegangen ist. Denn
er findet erstens, daß er in seinem manifestierten Wesen eins ist mit dem Kosmos
und mit der Natur. Mental und Körper, die Seele in der Aufeinanderfolge der
Zeit, das Bewußte, das Unterbewußte und das Überbewußte, diese Elemente in ihren
verschiedenen Beziehungen zueinander und das Ergebnis dieser Beziehungen bilden
den Kosmos und die Natur. Er findet aber auch, daß in allem, was hinter ihnen
steht oder worauf sie sich gründen, er eins ist mit Gott. Denn das Absolute, der Geist, das raumlose und zeitlose Selbst sowie das Selbst, das sich im
Kosmos manifestiert und Herr der Natur ist – all das ist es, was wir unter Gott
verstehen. In alledem geht sein eigenes Wesen zurück auf Gott und leitet seinen
Ursprung von dorther ab. Er ist der Absolute, das Selbst, der Geist, der sich
selbst in einer Vervielfältigung seines Selbsts in den Kosmos hinausprojiziert
und in der Natur verhüllt hat. In diesen beiden Vergegenwärtigungen entdeckt der
Mensch seine Einheit mit allen anderen Seelen und Wesen – in relativer Weise in
der Natur, da er mit ihnen eins ist in Mental, Vitalität, Materie und in jedem
kosmischen Prinzip und Resultat, wie verschieden sie auch an Energie und im
Wirken der Energie, in der Anordnung des Prinzips und der Anlage des Ergebnisses
sein mögen, in absoluter Weise jedoch in Gott, da das Eine Absolute das Eine
Selbst, der Eine Geist immer das Selbst aller, ihr Ursprung und Besitzer ist,
der sich an ihrer Vielfalt erfreut. Die Einheit von Gott und Natur muß sich ihm
unfehlbar manifestieren. Denn er findet am Ende, daß der Absolute in all diesem
Relativen da ist. Er sieht, daß jedes andere Prinzip eine Manifestation des
Geistes ist. Er entdeckt, daß das Selbst zu allen diesen Werdeformen geworden
ist. Er fühlt, daß shakti, die Macht des Wesens und Bewußtseins des Herrn
aller Wesen, die Natur ist und im Kosmos wirkt. So gelangen wir in der
Weiterentwicklung unserer Selbst-Erkenntnis zu dem, durch dessen Entdeckung
alles als eins mit unserem Selbst erkannt wird und durch dessen Besitz wir alles
in unserem eigenen Selbst-Sein besitzen und genießen.
In gleicher Weise muß aufgrund dieser Einheit die
Erkenntnis des Universums das Mental des Menschen zu der gleichen umfassenden
Offenbarung führen. Denn er kann nicht die Natur als Materie, als Kraft und als
Leben erkennen, ohne daß er dazu getrieben wird, die Beziehung des mentalen
Bewußtseins zu diesen Prinzipien zu ergründen. Sobald er dann die wahre Art des
Mentals erkennt, muß er unvermeidlich über jede vordergründige Erscheinung
hinausgehen. Er muß den Willen und die Intelligenz enthüllen, die insgeheim im
Wirken der Kraft und in den materiellen und vitalen Phänomenen wirksam sind. Er
muß das als Einheit im wachen Bewußtsein, im Unterbewußtsein und im
Überbewußtsein erkennen. Er muß die Seele im Körper des materiellen Universums
entdecken. Wenn er so der Natur durch diese Kategorien hindurch nachgeht, in
denen er seine Einheit mit dem ganzen übrigen Kosmos erkennt, findet er eine
Über-Natur hinter allem, was in Erscheinung
tritt, eine höchste Macht des Geistes in der Zeit und jenseits der Zeit, im Raum
und jenseits des Raumes, eine bewußte Macht des Selbsts, das durch sie zu allen
Werde-Erscheinungen wird, eine bewußte Macht des Absoluten, der durch sie alle
Relativitäten offenbart. Mit anderen Worten, er erkennt sie nicht nur als
materielle Energie, als Lebens-Kraft, als Mental-Energie, als die vielen
Gesichter der Natur, sondern als die Macht des Wissens-Willens des Göttlichen
Herrn des Seienden, als die Bewußt-seins-Kraft des selbst-seienden Ewigen und
Unendlichen.
Das Suchen des Menschen nach Gott, das schließlich zu
dem Glühendsten und Erhabensten all seines Suchens wird, beginnt mit seinen
ersten vagen Fragen, die er an die Natur richtet, und mit einem Empfinden, daß
es sowohl in ihm selbst wie auch in ihr etwas Unsichtbares gibt. Selbst wenn,
wie die moderne Wissenschaft behauptet, die Religion vom Animismus, von der
Geister-Verehrung, vom Dämonen-Kultus und von der Vergöttlichung der Naturkräfte
ausging, so verkörpern letztere nur in primitiven Gestaltungen eine im
Unterbewußten verhüllte Intuition, ein dunkles und unwissendes Gefühl von
verborgenen Einflüssen und unberechenbaren Kräften oder ein vages Empfinden, daß
es ein Seiendes, einen Willen, eine Intelligenz in dem gibt, was für uns
unbewußt zu sein scheint, daß etwas Unsichtbares hinter dem Sichtbaren
existiert, daß der insgeheim bewußte Geist in den Dingen sich in jeglichem
Wirken der Energie verausgabt. Daß die ersten Wahrnehmungen davon noch dunkel
und in primitiver Weise unangemessen sind, darf uns nicht davon abhalten, den
Wert oder die Wahrheit dieses hohen Strebens des menschlichen Herzens und
Mentals anzuerkennen. Die verschiedenen Wege unseres Suchens – einschließlich
derer der Wissenschaft selbst – müssen von einer dunklen und unwissenden
Wahrnehmung verborgener Wirklichkeiten ausgehen und zu der immer heller
werdenden Schau der Wahrheit fortschreiten, die zu uns zuerst vermummt, durch
die Nebel der Unwissenheit verhüllt kommt. Der Anthropomorphismus ist eine in
Bildern ausgedrückte Anerkennung der Wahrheit, daß der Mensch das, was er ist,
nur deshalb ist, weil Gott das ist, was Er ist, und daß es nur eine einzige
Seele und einen einzigen Körper der Dinge gibt und daß die Menschheit sogar in
ihrer Unvollkommenheit die vollständigste hier erreichte Manifestation und daß
Göttlichkeit die Vollkommenheit dessen ist, was sich im Menschen noch in
Unvollkommenheit vorfindet. Daß er überall sich
selbst sieht und dies alles als Gott verehrt, ist ebenso wahr. Aber auch hier
hat er in verworrener Weise seine tastende Hand der Unwissenheit auf die
Wahrheit gelegt: daß sein eigenes Wesen und Jenes Wesen eines sind, daß dieses
hier ein partieller Reflex von Jenem ist und daß er, wenn er sein größeres
Selbst überall findet, Gott findet und der Wirklichkeit in den Dingen, der
Wirklichkeit alles Seins nahekommt.
Eine Einheit hinter der Verschiedenheit und der Disharmonie ist das Geheimnis der Unterschiedlichkeit der menschlichen Religionen und Philosophien. Denn sie alle gelangen zu irgendeinem Abbild oder verborgenen Hinweis. Sie berühren irgendeine Seite der einen Wahrheit oder fassen irgendeinen von den Myriaden Aspekten ins Auge:
Ob die Religionen und Philosophien die materielle Welt undeutlich als den Leib des Höchsten Wesens ansehen,
oder das Leben als ein großes Pulsieren des Atems Göttlichen Seins, oder die Dinge als die Gedanken des kosmischen Mentals,
ob sie wahrnehmen, daß es in Wirklichkeit nur einen Geist gibt, der größer ist als alle diese Dinge, ihr subtiler und doch wunderbarer Ursprung und Schöpfer,
oder ob sie Gott nur im Unbewußten finden,
oder als das eine Bewußte in den unbewußten Dingen,
oder als ein unaussprechliches überbewußtes Sein, das wir nur dadurch erreichen können, daß wir unser irdisches Wesen hinter uns lassen und Mental, Vital und Körper zunichte machen,
oder ob sie dadurch die Zerteilung in Gegensätze überwinden, daß sie wahrnehmen, Er ist alle diese Wesen zusammen, und furchtlos die ungeheuren Konsequenzen dieser Schau auf sich nehmen,
ob sie Ihn allumfassend als das kosmische Sein anbeten oder ob sie Ihn und sich selbst, wie es die Positivisten tun, nur in der Menschheit verehren,
ob sie, im Gegenteil, von der Schau des zeitlosen und raumlosen Unveränderlichen hingerissen, Ihn in Natur und Kosmos verwerfen,
ob sie Ihn in unterschiedlichen befremdenden oder schönen Kulten oder in vergrößerten Formen des menschlichen Ichs verehren,
oder, weil Er im vollkommenen Besitz der Eigenschaften ist, nach denen der Mensch trachtet, Sein Göttliches Wesen anbeten, wie es sich ihnen als die erhabenste Macht, Liebe, Schönheit, Wahrheit, Gerechtigkeit und Weisheit offenbart,
ob sie Ihn als den Herrn der Natur, den Vater und Schöpfer,
oder als die Natur selbst und als die universale Mutter wahrnehmen, sich Ihm als dem Liebenden nahen, der die Seelen zu Sich zieht,
oder ob sie Ihm als dem verborgenen Meister aller Werke dienen, sich vor dem Einen Gott beugen,
oder vor der vielgestaltigen Gottheit,
ob sie den Einen Göttlichen Menschen,
oder das Eine Göttliche Wesen in allen Menschen entdecken,
oder ob sie in noch umfassenderer Weise den Einen gewahren, dessen Gegenwart es uns möglich macht, daß wir im Bewußtsein oder im Wirken oder im Leben mit allen Wesen geeint sind,
daß wir geeint werden in Zeit und Raum mit allen Dingen, geeint mit der Natur und ihren Einflüssen und sogar mit ihren unbelebten Kräften -
die Wahrheit hinter all diesen Aspekten muß immer dieselbe sein, da alles der eine Göttliche Unendliche ist, den alle suchen.
Da alles jenes Eine ist, muß es diese endlose Verschiedenartigkeit in dem geben, wie sich die Menschheit Ihm naht, um Ihn zu besitzen. Es war notwendig, daß der Mensch Gott auf so verschiedene Weise suchen sollte, damit er dazu kommt, Ihn ganz zu erkennen. Aber erst, wenn die Erkenntnis ihre höchsten Aspekte erreicht, ist es möglich, daß sie zu ihrer größten Einheit gelangt. Das höchste und das umfassendste Schauen ist das weiseste, denn in ihm ist alles Erkennen in dessen umfassender Bedeutung vereinigt. Man erkennt dann: Alle Religionen sind die Zugangswege zu einer einzigen Wahrheit. Alle Philosophien sind die divergierenden Gesichtspunkte, die von verschiedenen Seiten eine einzige Wirklichkeit betrachten lassen. Alle Wissenschaften treffen sich in einer höchsten Wissenschaft. Denn das, was alle unsere Mental-Erkenntnis, alle Sinnen-Erkenntnis und übersinnliche Schau sucht, findet sich am vollständigsten in der Einheit von Gott, Mensch und Natur und in allem, was in der Natur ist.
Das brahman, das Absolute, ist der Geist, das
zeitlose Selbst, das Selbst, das die Zeit besitzt, der Herr der Natur, der
Schöpfer, der den Kosmos in sich enthält und allen Wesen immanent ist, die
Seele, aus der alle Seelen entspringen und zu der sie hingezogen werden. Das ist
die Wahrheit des Seienden so, wie das höchste Gott-Begreifen des Menschen es
schaut. Dasselbe Absolute, das in allem Relativen manifestiert ist, der Geist,
der sich im kosmischen Mental und Leben und in
der Materie verkörpert und dessen Selbst-Ausdruck als Energie die Natur ist, so
daß alles, was sie zu erschaffen scheint, das Selbst und der Geist ist, auf
verschiedene Weise in Seinem eigenen Wesen Seiner eigenen bewußten Kraft
gegenüber manifestiert, damit Er Sich an seinem unterschiedlichen Sein erfreuen
kann, – das ist die Wahrheit über das Seiende, zu der den Menschen seine
Erkenntnis der Natur und des Kosmos hinführt und die er erlangen wird, wenn
seine Natur-Erkenntnis sich eint mit seiner Gott-Erkenntnis. Diese Wahrheit des
Absoluten ist die Rechtfertigung für die Zyklen der Welt; sie negiert diese
nicht. Das Selbst-Seiende ist zu all diesen Werde-Erscheinungen geworden. Das
Selbst ist die ewige Einheit aller dieser Daseins-Formen – “ich bin Er”.
Kosmische Energie ist nichts anderes als die bewußte Kraft dieses
Selbst-Seienden: Durch diese Energie nimmt Es mittels der universalen Natur
unzählige Gestaltungen seiner selbst an. Durch seine göttliche Natur kann Es,
das Universale umfassend, jedoch transzendent über ihm verbleibend, in diesen
Gestaltungen zum individuellen Besitz seines vollständigen Seins gelangen, wenn
man seine Gegenwart und Macht in dem Einen, in allen und in den Beziehungen des
Einen mit allen fühlt. Das ist die Wahrheit des Seienden, zu der sich das
vollständige Erkennen des Menschen seiner selbst in Gott und in der Natur erhebt
und ausweitet. Ein dreieiniges Wissen, das vollständige Wissen von Gott, das
vollständige Wissen von sich selbst und das vollständige Wissen von der Natur
gibt dem Menschen sein hohes Ziel. Es verleiht dem Ringen und Mühen der
Menschheit eine erhabene und volle Bedeutung. Im eigenen Bewußtsein des Menschen
ist die bewußte Einheit aller drei, Gott, Seele und Natur, die gesicherte
Grundlage dafür, daß er vollkommen wird und alle Harmonien realisiert: Das wird
sein höchster und umfassendster Stand sein, sein Status eines göttlichen
Bewußtseins und göttlichen Lebens. Seine Initiative dazu ist der Ausgangspunkt
für die vollständige Evolution seiner Selbst–, Welt- und Gott-Erkenntnis.
Kapitel XVIII. Der Entwicklungsprozeß. Aufstieg und Integration
Indem er von Gipfel zu
Gipfel emporsteigt .. . macht Indra ihm jenes Ziel seines Ganges bewußt.
Rig Veda, .10. 2.
Er, ein Sohn der beiden Mütter, erlangt bei seinen Entdeckungen des Wissens die Königswürde, er schreitet auf der höchsten Höhe, er wohnt in seinem hohen Ursprung.
Rig Veda, III. 55. 7.
Von der Erde bin ich aufgestiegen zur Mittel-Welt, von der Mittel-Welt kam ich empor zum Himmel, von der Höhe des Firmaments des Himmels bin ich zur Sonnen-Welt, zum Licht gegangen.
Yajur Veda, 17. 67.
Nachdem wir uns eine genügend klare Vorstellung von der
Bedeutung der evolutionären Manifestation in der Erden-Natur und von der
definitiven Wendung gebildet haben, die sie nimmt oder zu nehmen bestimmt ist,
wird es jetzt möglich und notwendig, daß wir mit tieferem Verständnis unseren
Blick auf die Prinzipien des Prozesses richten, durch den sie bis zu ihrer
jetzigen Höhe gelangt ist und durch den vermutlich, wenn auch mit Abwandlungen,
ihre endgültige Entwicklung, ihr Übergang von unserer noch vorherrschenden
mentalen Unwissenheit zum supramentalen Bewußtsein und zum integralen Wissen
gelenkt und wirkungsvoll gemacht wird. Denn wir finden, daß die kosmische Natur
in dem allgemeinen Gesetz ihres Wirkens konstant ist, da dieses von einer
Wahrheit der Dinge abhängt, die im Prinzip unveränderlich, wenn auch in den
Einzelheiten ihrer Anwendung in reichem Maß veränderlich ist. Da es eine
Evolution aus materieller Unbewußtheit in ein spirituelles Bewußtsein ist, wobei
sich der Geist selbst evolutionär auf einer Basis von Materie aufbaut, können
wir leicht sehen, daß es in dem Prozeß eine Entwicklung dreifacher Art geben
muß. Die unentbehrliche physische Grundlage ist eine Evolution von immer mehr
verfeinerten und komplizierten Formen der Materie, um das Wirken eines wachsenden, immer komplexeren, subtileren und fähigeren
Bewußtseins zu erlauben. Ein Aufstieg, eine nach oben gerichtete fortschreitende
Entwicklung des Bewußtseins selbst, von Stufe zu Stufe, ist die sichtbar
werdende Spiral-Linie oder hervortretende Kurve, in der die Evolution von dieser
Grundlage aus verlaufen muß. Ferner muß, wenn die Evolution erfolgreich sein
soll, alles, was bisher entwickelt wurde, als Teil des Prozesses in den jeweils
höheren Grad über den erreichten emporgenommen und eine mehr oder minder
vollständige Umwandlung bewirkt werden, damit ein völlig verändertes
Funktionieren des ganzen Wesens und der Natur, eine Integration, möglich gemacht
wird.
Am Ende dieses dreifachen Vorgangs muß eine radikale Umwandlung des Wirkens der Unwissenheit in ein Wirken des Wissens, unserer Basis von Unbewußtheit in eine Basis vollständigen Bewußtseins erfolgen – eine Vollständigkeit, die gegenwärtig nur in dem besteht, was für uns das Überbewußtsein ist. Jeder Aufstieg wird eine teilweise Umwandlung und Veränderung der alten Natur mit sich bringen, die emporgenommen und einem neuen fundamentalen Prinzip unterstellt wird. Die Unbewußtheit wird in ein teilweises Bewußtsein, in eine Unwissenheit umgewandelt werden, die nach immer größerer Erkenntnis und Meisterschaft sucht. An einem gewissen Punkt muß aber ein Aufstieg stattfinden, der Unbewußtheit und Unwissenheit durch ein Prinzip des Wissens, durch ein grundlegend wahres Bewußtsein, durch das Bewußtsein des Geistes ersetzt. Eine Evolution in der Unbewußtheit ist der Anfang. Eine Evolution in der Unwissenheit ist die Mitte. Aber das Ende ist eine Befreiung des Geistes in sein wahres Bewußtsein und eine Evolution im Wissen. Das ist es in der Tat, was wir als das Gesetz und die Methode des Prozesses entdecken, der bisher von der evolutionären Natur befolgt wurde. Und allen Anzeichen nach wird er auch von ihr in ihrem zukünftigen Wirken befolgt werden. Zuerst erfolgt eine involutionäre Grundlegung, der Ursprung von allem, was sich entwickeln soll. Dann kommt es in oder auf dieser Grundlage zum Hervortreten und Wirksamwerden der involvierten Mächte in aufsteigender Reihe. Schließlich tritt auf der höchsten Stufe die allergrößte Macht hervor, um eine erhabene Manifestation zu bewirken. Das sind die notwendigen Stufen des Weges der evolutionären Natur.
Nach den eigentlichen Begriffen des Problems muß ein
evolutionärer Prozeß darin bestehen, daß in einem gewissen ersten grundlegenden Prinzip des Wesens oder der Substanz etwas entwickelt wird, das dieses
Prinzip schon an der Basis involviert enthält oder von außerhalb in sich
eintreten läßt und durch diese Zulassung umwandelt. Denn notwendigerweise muß
es, aufgrund des Gesetzes seiner Natur, all das umwandeln, was in es hineinkommt
und nicht schon Teil seiner eigenen Art ist. Das muß auch dann so sein, wenn es
eine schöpferische Evolution ist in dem Sinne, daß hier immer neue Mächte des
Seins manifestiert werden, die in der ersten Basis noch nicht wesenhaft
vorhanden sind, sondern in eine ursprüngliche Substanz eingeführt und von dieser
akzeptiert werden. Wenn, im Gegensatz dazu, in der Involution – in der ersten
Grundlegung bereits da, aber noch nicht manifestiert oder organisiert – das neue
Prinzip oder die Macht des Seins, die entwickelt werden muß, schon vorhanden
ist, wird sie, wenn sie in Erscheinung tritt, sich doch noch einer Umwandlung
durch die Natur und das Gesetz der grundlegenden Substanz unterziehen müssen: Es
wird auch diese Substanz durch seine Macht, durch das Gesetz der eigenen Natur
verändern. Wenn ihm ferner sein eigenes Prinzip, das schon oberhalb des Feldes
der Evolution etabliert ist, durch ein Herniederkommen beisteht und auf dieses
Feld seinen Druck ausübt, um es zu besitzen, kann die neue Macht sogar selbst
als ein dominierendes Element auftreten und das Bewußtsein und das Handeln der
Welt, in der es hervortritt oder in die es eingeht, erheblich oder radikal
verändern. Seine Kraft, das Gesetz und Wirken der zur evolutionären
Grundsubstanz erwählten ursprünglichen Bestandteile zu verändern, umzuwandeln
oder zu revolutionieren, wird jedoch von seiner wesenhaften Potenz abhängen. Es
ist nicht wahrscheinlich, daß es eine völlige Transformation zustandebringen
kann, wenn es nicht selbst das ursprüngliche Prinzip des Seins ist, wenn es nur
abgeleitet, nur eine instrumentale und nicht die erste Macht ist.
Die Evolution findet hier in einem materiellen
Universum statt. Das Fundament, die ursprüngliche Substanz, der erste
etablierte, alles bedingende Status ist Materie. Mental und Leben werden in der
Materie entwickelt. Sie werden aber in ihrer Wirksamkeit begrenzt und durch den
Zwang umgestaltet, den Stoff der Materie für ihre Instrumentation zu verwenden,
sowie dadurch, daß sie dem Gesetz der materiellen Natur auch dann unterworfen
sind, wenn sie das verändern, dem sie sich unterwerfen oder das sie verwenden.
Denn sie transformieren die Stofflichkeit der Materie wirklich, zuerst in
lebendige Substanz und dann in bewußte Substanz.
Es gelingt ihnen, die Trägheit, Unbewußtheit und Unbeweglichkeit in eine
Bewegung von Bewußtsein, Fühlen und Leben umzuwandeln. Sie bringen es aber nicht
fertig, sie ganz und gar zu transformieren. Sie können sie nicht gänzlich
lebendig oder völlig bewußt machen: Die sich entwickelnde Lebens-Natur ist an
den Tod gebunden. Das sich entwickelnde Mental wird ebenso materialisiert wie
vitalisiert. Es findet sich in Unbewußtheit verwurzelt, durch die Unwissenheit
begrenzt. Es wird durch unkontrollierte Lebens-Kräfte motiviert, die es
antreiben und verwenden. Es wird durch die physischen Kräfte mechanisiert, von
denen es abhängig sein muß, wenn es sich selbst ausdrücken will. Das ist ein
Zeichen dafür, daß weder Mental noch Leben die ursprünglichen schöpferischen
Mächte sind. Sie sind, ebenso wie die Materie, vermittelnde Zwischenmächte,
aufeinanderfolgende, in ihrer Reihenfolge auftretende Instrumente des
evolutionären Prozesses. Wenn aber eine materielle Energie nicht jene
ursprüngliche Macht ist, müssen wir nach dieser in einem Bereich oberhalb des
Mentals oder des Lebens suchen. Es muß eine tiefere, verborgene Wirklichkeit
geben, die sich erst noch in der Natur zu enthüllen hat.
Eine ursprüngliche schöpferische oder evolutionäre
Macht muß vorhanden sein. Aber obwohl die Materie die erste Substanz ist, ist
die ursprüngliche und höchste Macht nicht eine unbewußte materielle Energie.
Denn dann würden Leben und Bewußtsein fehlen, da Unbewußtheit nicht ein
Bewußtsein entfalten und eine unbelebte Kraft nicht Leben entwickeln kann. Darum
muß es, da Mental und Leben auch nicht Jenes sind, ein geheimes Bewußtsein
geben, das größer ist als Lebens-Bewußtsein oder Mental-Bewußtsein, eine
Energie, die wesenhafter ist als die materielle Energie. Da sie größer ist als
das Mental, muß sie eine supramentale Bewußtseins-Kraft sein. Da sie eine Macht
ist aus einer wesenhaft anderen Substanz als Materie, muß sie eine Macht dessen
sein, was die höchste Essenz und Substanz aller Dinge ist, eine Macht des
Geistes. Es gibt eine schöpferische Energie von Mental und eine schöpferische
Lebens-Kraft; beide sind aber instrumental und partiell, nicht ursprünglich und
entscheidend. Gewiß formen Mental und Leben die materielle Substanz und ihre
Energien, die sie bewohnen, um und werden nicht durch diese bestimmt. Aber
Ausmaß und Art dieser materiellen Umwandlung und Bestimmung werden durch den
ihnen innewohnenden und alles in sich enthaltenden Geist
bestimmt, durch ein inneres Licht und durch die Kraft des Supramentals, durch
eine geheime Gnosis, durch ein unsichtbares Selbst-Wissen und All-Wissen. Wenn
es zu einer völligen Transformation kommen soll, kann das nur geschehen, indem
das Gesetz des Geistes voll hervortritt. Seine Macht von Supramental oder Gnosis
muß in die Materie eingegangen sein und sich darin entwickeln. Sie muß das
mentale Wesen in das supramentale verwandeln, das Unbewußte in uns bewußt
machen, unsere materielle Substanz spiritualisieren, ihr Gesetz des gnostischen
Bewußtseins in unserem ganzen Wesen und in unserer Natur errichten. Auf seiner
höchsten Höhe muß das zum Hervortreten oder mindestens zu jener Stufe im
Hervortreten führen, die zuerst entscheidend die Art der Evolution dadurch
verändert, daß sie ihr Wirken der Unwissenheit und ihre Grundlage von
Unbewußtheit transformiert.
Diese Evolutions-Bewegung einer progressiven
Selbst-Manifestation des Geistes in einem materiellen Universum muß bei jedem
Schritt die Tatsache berücksichtigen, daß sich das Bewußtsein und seine Kraft
der Form und Aktivität der materiellen Stofflichkeit involviert hat. Ihr
Evolutions-Prozeß besteht darum in einem Erwachen des involvierten Bewußtseins
und der involvierten Kraft, indem diese von Prinzip zu Prinzip, von Grad zu
Grad, von einer Macht des verborgenen Geistes zur anderen emporsteigen. Doch ist
das nicht ein freier Übergang zu höherem Status. Das Gesetz des Handelns, die
Kraft der Aktion eines jeden Grades oder einer jeden Macht wird bei seinem
Hervortreten nicht bestimmt durch das eigene freie, volle und reine Gesetz
seiner Natur oder durch eine Laune der Energie, sondern teils durch die
materielle Organisation, die ihm zur Verfügung gestellt wird, teils durch seinen
eigenen Status, den schon erlangten Grad und die tatsächliche Kraft des
Bewußtseins, mit dem es auf die Materie einzuwirken imstande ist. Seine Macht
wird effektiv in gewisser Beziehung durch das Gleichgewicht zwischen dem
tatsächlichen Ausmaß dieses evolutionären Hervortretens und dem
entgegenwirkenden Ausmaß, in dem die hervortretende Macht noch durch die
Herrschaft und fortdauernde Gewalt der Unbewußtheit eingehüllt, durchdrungen und
herabgemindert wird. Das Mental, wie wir es sehen, ist nicht ein reines und
freies Mental, sondern umwölkt und abgeschwächt durch die es umhüllende
Nicht-bewußtheit. Es ist ein Mental, das sich abmüht und darum ringt, aus dieser
Nichtbewußtheit Wissen zu entbinden. Alles hängt von dem mehr oder minder involvierten oder mehr oder minder evolvierten Zustand
des Bewußtseins ab: ob es ganz und gar einer unbewußten Materie involviert ist,
ob es in den ersten, noch nicht tierhaften Formen des Lebens in der Materie auf
dem Übergang von Involution zu bewußter Evolution zögert oder ob es sich bewußt
entwickelt, jedoch stark begrenzt und behindert wird in einem Mental, das in
einem lebenden Körper behaust ist, dazu bestimmt, sich vollkommen zu entwickeln
durch das Erwachen des Supramentals im verkörperten Wesen und in seiner Natur.
Zu jedem Grad in dieser Reihe, den das sich
entwickelnde Bewußtsein erlangt hat, gehört die ihm entsprechende Klasse seines
Daseins. Nacheinander erscheinen materielle Formen und Kräfte, Pflanzenleben,
Tiere und ein noch halb-tierhafter Mensch, entwickelte menschliche Wesen,
unvollkommen oder höher entwickelte spirituelle Wesen. Wegen der Kontinuität des
evolutionären Prozesses gibt es aber keine starre Trennung zwischen ihnen. Jeder
neue Schritt nach vorn, jede neue Gestaltung nimmt das in sich auf, was zuvor
gewesen ist. Das Tier nimmt die lebende und unbelebte Materie in sich hinein.
Der Mensch nimmt beide zusammen mit dem Tier-Dasein zu sich empor. Es gibt da
Furchen, die vom Übergangsprozeß übrigbleiben, oder Trennungen, die durch die
Gewohnheit der Natur festgelegt sind. Diese unterscheiden zwar die eine
Entwicklungsreihe von der anderen und dienen vielleicht dazu, ein Zurückfallen
hinter das zu verhindern, was entwickelt worden ist. Sie heben aber die
Kontinuität der Evolution nicht auf. Das sie entwickelnde Bewußtsein geht von
dem einen Grad zu einem anderen oder von der einen Reihe seiner Schritte zu
einer anderen entweder durch einen nicht wahrnehmbaren Prozeß über oder durch
irgendeinen Sprung, eine Krisis oder vielleicht ein Eingreifen von oben her – durch ein Herabkommen, eine Beseelung oder einen Einfluß aus höheren Ebenen der
Natur. Durch welche Mittel auch immer, so ist doch auf diese Weise das insgeheim
der Materie innewohnende Bewußtsein, der okkulte Bewohner, fähig, seinen Weg aus
den niederen empor zu den höheren Stufen zu gehen. Es nimmt dabei das, was es
war, mit sich empor in das, was es ist, und bereitet so beides vor, aufzugehen
in dem, was sein wird. Nachdem es so zuerst ein Fundament von materiellem Wesen,
von materiellen Formen, Kräften und Existenzen gelegt hat, in denen es unbewußt
zu ruhen scheint, obwohl es, wie wir wissen, immer unterbewußt wirkt, ist es
fähig, Leben und lebende Wesen zu manifestieren,
ein Mental und mentale Wesen in einer materiellen Welt hervorzubringen. Darum
muß es hier auch ein Supramental und supramentale Wesen manifestieren können.
Auf diese Weise ist der jetzige Zustand der Evolution zustande gekommen, dessen
scheinbarer jetziger Höhepunkt der Mensch ist. In Wirklichkeit ist er aber nicht
ihr letzter Gipfel. Denn er ist selbst ein Übergangswesen und steht an der Wende
der ganzen Bewegung. Die derart kontinuierliche Evolution muß zu jedem gegebenen
Augenblick eine Vergangenheit haben mit ihren noch feststellbaren fundamentalen
Ergebnissen; ebenso eine Gegenwart, in der die Resultate, um die sie sich
abmüht, im Prozeß des Werdens sind; und eine Zukunft, in der die noch
unentwickelten Mächte und Formen des Wesens sichtbar werden müssen, bis die
volle und vollkommene Manifestation erreicht ist. Die Vergangenheit war die
Geschichte eines langsamen und schwierigen unterbewußten Wirkens mit Ergebnissen
an der Oberfläche, es war eine unbewußte Evolution. Die Gegenwart ist eine
Mittelstufe, eine unsichere Spirale, in der die Intelligenz des Menschen von der
verborgenen evolutionären Kraft des Wesens verwendet wird und an ihrem Wirken
teilnimmt, ohne daß sie von dieser voll ins Vertrauen gezogen wird, eine
Evolution, die sich langsam ihrer selbst bewußt wird. Die Zukunft muß eine immer
mehr bewußt werdende Evolution des spirituellen Wesens sein, bis dieses völlig
in ein dem Selbst bewußtes Wirken durch das hervortretende gnostische Prinzip
entbunden ist.
Die erste Grundlage dieses Hervortretens, die
Erschaffung von Formen der Materie, zuerst von unbewußter und unbelebter, dann
von lebender und denkender Materie, die Erscheinung von immer höher
organisierten Körpern, die dem Zweck angepaßt sind, eine höhere
Bewußtseins-Macht auszudrücken, ist durch die Wissenschaft nach ihrer physischen
Seite, nach der Seite des Aufbaus der Form, erforscht worden. Es ist jedoch nur
sehr wenig Licht auf die innere Seite, auf die Seite des Bewußtseins, geworfen
worden. Das Wenige, was man hier beobachtete, bezieht sich eher auf die
physische Basis und die Instrumentation als auf die progressiven Wirkweisen des
Bewußtseins in seiner eigenen Natur. Soweit man die Evolution bisher erforscht
hat, erscheint unseren Augen, obwohl die Kontinuität vorhanden ist, der Sprung
von dem einen Bewußtseins-Grad dieser Reihe zum anderen als ungeheuer weit. Das
Leben nimmt die Materie zu sich empor, das Mental das submentale Leben, das
Mental der Intelligenz, das Mental des Lebens und
der Sinnesempfindung. Das Überwinden des Abgrunds auf einer Brücke oder durch
einen Sprung erscheint als etwas Unmögliches. Wir können kein konkretes und
befriedigendes Zeugnis dessen entdecken, daß das in der Vergangenheit so
zustande gekommen ist, oder von der Art, wie es geschah. Selbst in der äußeren
Evolution, bei der Entwicklung von physischen Formen, wo doch die Gegebenheiten
klar vor Augen liegen, gibt es fehlende Verbindungsglieder, die immer verloren
bleiben. Aber bei der Evolution des Bewußtseins ist der Übergang noch
schwieriger feststellbar, denn das sieht eher aus wie Transformation, denn als
ein Übergang. Es mag jedoch sein, daß es uns wegen unserer Unfähigkeit, in das
Unterbewußte einzudringen, das Submentale zu ergründen oder eine niedere, von
der unsrigen verschiedene Mentalität genügend zu verstehen, unmöglich ist, die
winzigen Stufenfolgen beobachten zu können, nicht nur bei jedem Grad in der
Reihe, sondern auch an den Grenzbereichen zwischen dem einen und dem anderen
Grad. Der Wissenschaftler, der die physischen Gegebenheiten bis ins kleinste
erforscht, wurde zu der Überzeugung von der Kontinuität der Evolution gedrängt,
trotz ihrer Lücken und fehlenden Verbindungsglieder. Könnten wir auf ähnliche
Weise die innere Evolution beobachten, wir könnten zweifellos die Möglichkeit
und die Beschaffenheit dieser ungeheueren Übergänge entdecken. Dennoch gibt es
einen wirklichen, einen radikalen Unterschied zwischen dem einen und dem anderen
Grad. Dieser ist so groß, daß der Übergang von dem einen zum anderen eine neue
Schöpfung zu sein scheint, eher das Wunder einer Metamorphose als eine
natürliche, voraussagbare Entwicklung oder ein ruhiger Übergang aus dem einen
Zustand des Wesens in einen anderen, bei dem die gut markierten Stufen in klarer
Aufeinanderfolge angeordnet sind.
Diese Abgründe erscheinen tiefer, aber weniger breit,
wenn wir auf der Leiter der Natur höher emporkommen. Wenn es schwache Spuren von
Lebens-Reaktionen im Metall gibt, wie man jüngst behauptet hat, mag das seinem
Wesen nach mit einer Lebens-Reaktion in der Pflanze identisch sein. Die
vital-physische Differenz, wie man es nennen könnte, ist aber so beträchtlich,
daß das eine als unbelebt erscheint, die andere, wenn auch nicht offenkundig
bewußt, doch ein lebendes Geschöpf genannt werden könnte. Zwischen dem höchsten
Pflanzenleben und dem niedersten Tier ist die Kluft offensichtlich tiefer, denn
das ist der Unterschied zwischen dem Mental und dem völligen Fehlen einer sichtbaren oder auch nur spurenhaft vorhandenen Bewegung des Mentals.
In dem einen ist der Stoff von mentalem Bewußtsein unerwacht, obwohl es dort ein
Leben vitaler Reaktionen, eine unterdrückte oder unterbewußte oder vielleicht
nur submentale Sinnen-Vibration gibt, die stark aktiv zu sein scheint. Obwohl in
dem anderen das Leben zuerst weniger automatisch, in der unterbewußten Art zu
leben weniger sicher, in seiner neuen Art eines offenkundigen Bewußtseins
unvollkommen determiniert ist, tritt doch ein erwachtes Mental hervor – es gibt
ein bewußtes Leben, ein tiefgreifender Übergang ist vollzogen worden. Aber die
Gemeinsamkeit des Lebens-Phänomens zwischen Pflanze und Tier bei aller
verschiedenartigen Organisation verringert doch die Kluft, wenn sie diese auch
noch nicht in ihrer Tiefe auffüllt. Zwischen dem höchsten Tier und dem
niedersten Menschen muß ein noch tieferer, wenn auch schmalerer Abgrund
überwunden werden: die Kluft zwischen dem Sinnen-Mental und dem Intellekt. Denn
mögen wir auch noch so sehr die Primitivität des Wilden betonen, wir können
dennoch die Tatsache nicht ändern, daß das primitive menschliche Wesen oberhalb
und jenseits des Sinnen-Mentals, der emotionalen Vitalität und der primären
praktischen Intelligenz, die wir mit den Tieren gemeinsam haben, einen
menschlichen Intellekt besitzt und – in welcher Begrenzung auch immer – fähig
ist zur Reflexion, zu Ideen, zu bewußter Erfindung, religiösem und ethischem
Denken und Fühlen, zu all dem Grundlegenden, durch das sich die menschliche
Rasse auszeichnet. Es besitzt die gleiche Art Intelligenz, verschieden nur
darin, wie sie in der Vergangenheit ausgebildet und in ihrer Ausformung eingeübt
wurde, sowie im Entwicklungsgrad ihrer Begabung, Intensität und Aktivität.
Dennoch können wir trotz all dieser Trennlinien nicht mehr annehmen, ein Gott
oder Demiurg habe jedes Geschlecht und jede Art von Körper und Bewußtsein als
fertige hergestellt, sie dann sich selbst überlassen und befriedigt auf sein
Werk herabgeschaut, um zu sehen, daß es gut war. Es ist evident geworden, daß
eine insgeheim bewußte oder eine unbewußte Energie der Schöpfung den jeweiligen
Übergang durch rasche oder langsame Fortschritte bewirkt hat, welche Mittel,
Maßnahmen, welchen physischen oder psychologischen Mechanismus sie dabei auch
verwendet haben mag. Und vielleicht war sie, nachdem sie ihr Werk getan hatte,
gar nicht darauf bedacht, das, was nur als Übergänge diente, als unterscheidbare
Stufen aufzubewahren, da sie nur Sprossen auf der Leiter waren, keine weitere
Funktion hatten und
auch in der evolutionären
Natur keinem weiteren Zweck mehr dienten. Diese Erklärung der Lücken ist aber
nur wenig mehr als eine Hypothese, die wir bis jetzt noch nicht genügend
beweisen können. Auf jeden Fall ist es wahrscheinlich, daß der Grund für die
radikalen Unterschiede im Wirken der inneren Kraft gefunden werden muß und nicht
im äußeren Prozeß des evolutionären Übergangs. Wenn wir sie tiefer von dieser
inneren Seite her betrachten, wird das Verstehen leichter, werden die Übergänge
verständlich und in der Tat durch die Eigenart des evolutionären Prozesses und
sein Prinzip unvermeidlich.
Wenn wir nämlich nicht auf die wissenschaftlichen oder
physischen Aspekte, sondern auf die psychologische Seite der Frage sehen und
nachforschen, worin genau der Unterschied liegt, werden wir erkennen, daß er im
Aufstieg des Bewußtseins zu einem anderen Begriff des Seienden besteht. Das
Metall ist im unbewußten und unbelebten Prinzip der Materie fixiert. Selbst wenn
wir annehmen können, es besitze in sich einige Reaktionen, die auf Leben
hinweisen, oder zumindest einige spurenhafte Vibrationen, die sich in der
Pflanze in Leben entwickelten, so ist das doch absolut keine charakteristische
Form von Leben. Es ist seiner Art nach noch eine Form von Materie. Die Pflanze
ist auf eine unterbewußte Aktion des Lebens-Prinzips fixiert. Nicht daß sie der
Materie nicht unterworfen oder ohne jene Reaktionen wäre, die ihren vollen Sinn
erst im Mental finden! Denn die Pflanze scheint submental über Reaktionen zu
verfügen, die in uns die Grundlage für Lust und Schmerz oder für Anziehung und
Abstoßung bilden. Doch ist die Pflanze schon eine Form von Leben, nicht nur von
bloßer Materie. Sie ist aber, soweit wir wissen, überhaupt kein mental-bewußtes
Wesen. Mensch und Tier sind beide mental-bewußte Wesen. Doch das Tier ist in
einem vitalen Mental und auf die Mental-Sinne festgelegt und kann über seine
Begrenzungen nicht hinauskommen. Der Mensch hingegen hat in sein Sinnen-Mental
hinein das Licht eines anderen Prinzips empfangen: den Intellekt. Dieser ist in
Wirklichkeit zugleich ein Widerschein, eine niedere Stufe des Supramentals, ein
Strahl von Gnosis, der von der Sinnen-Mentalität aufgefangen und in etwas von
seinem Ursprung Verschiedenes umgewandelt wird. Denn der Intellekt ist, wie das
Sinnen-Mental, agnostisch; darin, wo er wirkt und wofür er wirkt, ist er nicht
gnostisch. Er sucht das Wissen zu ergreifen, da er es nicht besitzt. Er besitzt
nicht, wie das Supramental, das Wissen in sich selbst als sein natürliches
Vorrecht. Mit anderen Worten, in jeder dieser
Formen des Daseins hat das universale Wesen seine Bewußtseins-Wirksamkeit in
verschiedenen Prinzipien fixiert, oder, wie zwischen Mensch und Tier, in der
Umgestaltung eines niederen durch ein höheres Prinzip, wenn dieses auch noch
nicht das Prinzip höchsten Grades ist. Der Schritt von einem Prinzip des Wesens
zum anderen, ganz verschiedenen Prinzip schafft die Übergänge, Abgrenzungen,
eindeutigen Abstand und bewirkt, wenn auch nicht den ganzen Unterschied, so doch
eine radikale, charakteristische Verschiedenheit zwischen dem einen und dem
anderen Wesen.
Bemerkt sei aber, daß dieser Aufstieg, dieser feste Stand in höheren und immer höheren aufeinanderfolgenden Prinzipien, ebensowenig dazu führt, daß wir die niedrigeren Grade aufzugeben haben, wie es bedeutet, daß einem Zustand des Seins in den niedrigeren Graden die höheren Prinzipien völlig fehlen. Dadurch wird der Einwand gegen die evolutionäre Theorie überwunden, der durch diese scharfen Unterscheidungen hervorgerufen wird. Denn wenn die Anfangsstadien der höheren Schöpfung schon in der niederen gegenwärtig sind und die niederen Eigenschaften in das höher entwickelte Wesen mit emporgenommen werden, konstituiert das von selbst einen unbezweifelbaren evolutionären Prozeß. Notwendig ist aber, daß eine Einwirkung auf die niedere Stufe des Wesens dieses zu einem Punkt emporbringt, wo das Höhere sich in ihm manifestieren kann. An diesem Punkt mag ein Druck aus der höheren Ebene, auf der die neue Macht vorherrschend ist, dazu beitragen, daß ein mehr oder minder rascher und entscheidender Übergang durch einen Sprung oder eine Reihe von Sprüngen stattfindet. So folgt dann in der Natur auf eine langsam dahinkriechende, nicht wahrnehmbare oder gar verborgene Wirkweise der Evolution ein stürmischer Fortschritt und Übergang von den niederen zu den höheren Graden des Bewußtseins.
Tatsächlich sind im Atom Leben, Mental und Supramental
gegenwärtig und wirken hier, jedoch unsichtbar, geheim, verdeckt in einer
unterbewußten oder scheinbar unbewußten Aktivität der Energie. Es gibt hier
einen formengestaltenden Geist. Aber die äußere Kraft und Gestalt des Wesens,
die wir das formale Dasein oder Form-Dasein im Unterschied zu dem immanenten
oder insgeheim lenkenden Bewußtsein nennen können, ist ganz in der physischen
Aktion aufgegangen und wird so stark darin absorbiert, daß sie in einer
stereotypen Selbstvergessenheit festgehalten wird, dessen völlig unbewußt, was
sie ist und was sie tut. Elektron und Atom sind
unter diesem Gesichtspunkt ewige Traumwandler. Jedes materielle Objekt enthält
ein äußeres Bewußtsein, ein Form-Bewußtsein, das der Gestaltung involviert und
von ihr absorbiert ist, schlafend, eine scheinbare Unbewußtheit, die von einem
ihr unbekannten und von ihr nicht gefühlten inneren Sein getrieben wird – von
dem universalen Einwohner, dem Herrn, wie er in den Upanishaden genannt wird,
der in dem Schlafenden wach ist – ein äußeres absorbiertes Form-Bewußtsein, das,
unähnlich dem des menschlichen Traumwandlers, niemals wach gewesen ist und nicht
immer, oder niemals, an dem Punkt steht, wo es erwacht. In der Pflanze ist
dieses äußere Form-Bewußtsein noch im Zustand des Schlafes. Dieser Schlaf ist
aber von nervösen Träumen erfüllt, immer am Punkt, aufzuwachen, und doch nie
wirklich erwachend. Das Leben ist erschienen. Mit anderen Worten, die Kraft des
verborgenen bewußten Wesens hat sich stark intensiviert und zu einer solchen
Frequenz ihrer Macht erhoben, daß es ein neues Aktionsprinzip entwickelte oder
zu einem solchen fähig geworden ist; wir sehen das als Vitalität, als
Lebens-Kraft. Sie reagiert vital auf das Sein, obwohl sie nicht mental bewußt
wird. Das Lebens-Bewußtsein hat einen neuen Grad von höheren und feineren
Aktivitäten hervorgebracht, als es das rein physische Wirken ist. Zugleich kann
es auch Lebens-Kontakte und physische Kontakte von anderen Gestaltungen als
seinen eigenen und solche aus der universalen Natur empfangen und diese in neue
Lebens-Werte, in Bewegungen und Phänomene einer Schwingung von Vitalität
umwandeln. Das können Formen aus reiner Materie nicht fertigbringen. Sie können
ihre Kontake weder in Lebens-Werte noch in andere Werte umwandeln, teils weil
ihre Macht, sie zu empfangen – obwohl sie existiert, wenn man sich dabei auf
okkulte Zeugnisse verlassen darf –, nicht erwacht genug ist, um mehr zu leisten,
als nur dumpf zu empfangen und unerkennbar darauf zu reagieren, teils weil die
durch die Kontakte übermittelten Energien zu subtil sind, als daß sie von der
primitiven, anorganischen Dichte der geformten Materie verwendet werden könnten.
Das Leben im Baum wird durch seinen physischen Körper bestimmt; es hebt aber das
physische Dasein empor und gibt ihm einen neuen Wert oder ein neues System von
Werten: den Lebenswert.
Der Übergang zum Mental und zu den Sinnen, der sich im
Tierleben zeigt – was wir bewußtes Leben nennen wird auf dieselbe Weise bewirkt.
Die Kraft des Wesens wird so intensiviert, sie erhebt sich zu einer so hohen Frequenz, daß sie ein neues Seins-Prinzip zulassen oder
entwickeln kann, das zumindest in der Welt der Materie scheinbar neu ist: die
Mentalität. Das Tierwesen ist sich mental des Daseins bewußt, seines eigenen
Wesens und desjenigen der anderen. Es zeigt einen höheren und feineren Grad von
Betätigungen. Es empfängt in größerem Umfang mentale, vitale und physische
Kontakte, die von anderen als seinen eigenen Gestaltungen ausgehen. Es hebt das
physische und vitale Dasein empor und verwandelt alles, was es von ihnen
bekommen kann, in Werte der Sinne und des vitalen Mentals. Es empfindet den
Körper, es empfindet das Leben, aber es empfindet auch das Mental. Denn es zeigt
nicht nur blinde nervliche Reaktionen, sondern bewußte Empfindungen,
Erinnerungen, Impulse, Willenstendenzen, Emotionen, mentale Assoziationen, den
Stoff für das Fühlen, Denken und Wollen. Es hat sogar eine praktische
Intelligenz, die sich auf die Erinnerung, auf die Assoziation, die Anregung
durch das Bedürfnis, die Beobachtung und eine Macht, absichtsvoll zu handeln,
gründet. Es ist zu List, Strategie und Planen fähig. Es kann etwas erfinden,
seine Erfindung auch in gewissem Maße anwenden und sich in dieser oder jener
Einzelheit auf die Forderungen einer neuen Situation einstellen. Nicht alles in
ihm ist nur ein halb-bewußter Instinkt; das Tier bereitet die menschliche
Intelligenz vor.
Kommen wir nun zum Menschen, so sehen wir, daß das
alles bewußt wird. Die Welt, die er in gedrängter Weise erlebt, offenbart in ihm
immer mehr ihre eigene Natur sich selbst gegenüber. Das höhere Tier ist zwar
nicht mehr der Schlafwandler, wie es die niedrigsten Tierarten noch ganz oder
vorwiegend sind, aber es besitzt ein nur begrenzt waches Mental, das nur zu dem
befähigt ist, was es für sein vitales Dasein notwendig braucht. Im Menschen
erweitert die bewußte Mentalität ihren Wachzustand. Sie kann sich, auch wenn sie
zuerst noch nicht völlig selbst-bewußt, sondern nur erst der Außenwelt bewußt
ist, doch immer mehr für das innere, integrale Wesen des Menschen öffnen. Hier
gibt es, ebenso wie bei den beiden niederen Aufstiegen in der Evolution, eine
Verstärkung der Kraft des bewußten Seins zu einer neuen Macht und zu einem neuen
Bereich subtiler Betätigungen. Es zeigt sich der Übergang vom vitalen zum
reflektierenden und denkenden Mental. Hier wird eine höhere Macht zu Beobachtung
und Erfindung entwickelt. Tatsachen werden gesammelt und miteinander verknüpft.
Der Mensch wird sich des Ablaufs und des Ergebnisses von Prozessen bewußt. Er bildet eine Kraft der Phantasie und eine ästhetische Schöpfergabe aus.
Er entfaltet eine höhere formbare Empfindsamkeit. Die koordinierende und
interpretierende Vernunft nimmt an Kraft zu. Die Werte stellen nicht mehr nur
einen Reflex oder eine Reaktion dar, sondern eine dominierende, verstehende,
sich befreiende Intelligenz. Wie beim Aufstieg auf den niederen Ebenen kommt es
auch hier zu einer Ausweitung des Bewußtseins. Der Mensch wird fähig, mehr von
der Welt und sich selbst aufzunehmen und dieser Erkenntnis auch höhere und
vollkommenere Gestaltungen seiner bewußten Erfahrung zu geben. So zeigt sich
auch hier das dritte konstante Element des Aufstiegs. Das Mental hebt die
niederen Grade zu sich empor und gibt ihrer Aktion und Reaktion intelligente
Werte. Der Mensch hat nicht nur, ebenso wie das Tier, die Empfindung seines
Körpers und seines Lebens. Vielmehr besitzt er eine intelligente Empfindung und
Idee vom Leben und eine bewußte und beobachtende Wahrnehmung des Körpers. Er
nimmt auch das mentale Leben des Tieres ebenso mit empor wie das materielle und
körperliche. Obwohl er bei diesem Vorgang etwas verliert, gibt er doch dem, was
er beibehält, einen höheren Wert. Er hat das intelligente Empfinden und die
Vorstellung von dem, was er empfindet und fühlt, von seinen Willenstendenzen,
Impulsen und mentalen Assoziationen. Was dabei nur Rohmaterial von Denken,
Fühlen und Wollen war und nur zu allgemeinen Bestimmungen taugte, wandelt er in
ausgearbeitetes Werk und künstlerisches Gestalten dieser Dinge um. Denn auch das
Tier denkt, wenn auch nur automatisch, was zumeist auf einer Reihe mechanischer
Erinnerungen und mentaler Assoziationen beruht. Dabei nimmt es, so schnell es
kann, die Anregungen der Natur auf. Es ist nur dann für ein bewußteres
personales Handeln erweckt, wenn die Notwendigkeit zu einer grundlegenden
Beobachtung und Planung besteht. Es hat erstes Rohmaterial praktischer Vernunft,
nicht aber die ausgebildete Fähigkeit zur Ideenbildung und Reflexion. Das
erwachende Bewußtsein ist im Tier noch der ungelernte primitive Arbeiter des
Mentals; im Menschen ist es der gelernte Handwerker und kann nicht nur zum
Künstler, sondern auch zum schöpferischen Genie werden, was er jedoch nicht in
genügendem Maße versucht.
Hier müssen wir aber zwei Besonderheiten dieser
gegenwärtig höchsten Entwicklung, der des Menschen, beobachten, die uns zum Kern
der Sache bringen. Erstens offenbart sich darin, daß er die niederen Seiten des
Lebens emporhebt, selbst eine Hinwendung des Meister-Blicks des insgeheim die Evolution schaffenden Geistes oder des universalen
Wesens im Individuum von der Höhe, zu der er emporgelangt ist, hinab zu allem,
was jetzt unter ihm liegt. Das ist ein Hinabschauen mit der doppelten Macht, dem
Zwillings-Vermögen der Bewußtseins-Kraft des Wesens – der Macht von Willen und
der Macht von Wissen –, um von diesem neuen, andersartigen und umfassenderen
Bereich des Bewußtseins und von dieser Erkenntnis und Natur her das niedere
Leben mit seinen Möglichkeiten zu verstehen und gerade auch es auf eine höhere
Ebene emporzuheben, ihm höhere Werte zu geben, aus ihm höhere Wirkmöglichkeiten
hervorzubringen. Das tut der Mensch, weil er offensichtlich nicht die niederen
Töne des Lebens zum Schweigen bringen oder zerstören will, sondern sie
einzubeziehen sucht, da die Daseins-Freude sein ewiges Anliegen ist und es darum
die Methode seiner Musik sein muß, eine Harmonie der vielartigen Variationen zu
komponieren und sich nicht nur an einer einzigen lieblichen, aber monotonen
Melodie zu erfreuen. Weil er sie mit einer tieferen und feineren Bedeutung
auflädt, erlebt er durch sie ein höheres Entzücken, als es in der noch
primitiveren Formulierung des Bewußtseins möglich gewesen wäre. Am Ende nötigt
er ihnen aber als Bedingung für ihre ständige Annahme ihre Zustimmung ab, diese
höheren Werte anzuerkennen. Bis sie diese Zustimmung geben, kann er hart genug
mit ihnen umgehen, sogar auf ihnen herumtrampeln, wenn er ganz auf ihre
Vervollkommnung eingestellt ist und sie dagegen rebellieren. Es ist in der Tat
das wahre innerste Ziel und der Sinn von Ethik, Disziplin und Askese, das
vitale, das physische und das niedere mentale Leben zu belehren, zu zähmen, zu
reinigen und vorzubereiten, damit diese Elemente geeignete Instrumente werden,
um in die Töne einer höheren mentalen, zuletzt einer supramentalen Harmonie
transformiert zu werden, keinesfalls aber, sie zu verkrüppeln und zu zerstören.
Das Emporkommen ist die erste Notwendigkeit, doch ist eine Integration die damit
zusammengehende Absicht des Geistes in der Natur.
Dieser Blick von Wissen und Willen nach unten in der
Absicht, alles zu erhöhen, zu vertiefen, subtiler, feiner und reicher zu machen,
ist von Anfang an die Methode des verborgenen Geistes. Die Pflanzen-Seele
betrachtet, wie wir sagen könnten, ihr ganzes physisches Dasein mit einem
nervlich-materiellen Blick, um aus ihm eine möglichst hohe vitalphysische
Intensität zu gewinnen. Denn es scheint, sie besitze in sich die intensiven
Erregungen einer stummen Lebens-Vibration, vielleicht einer
solchen – obwohl wir uns das schwer vorstellen können –, die im Verhältnis zu
ihrem niedrigen, primitiveren Grad intensiver ist, als sie das Mental und der
Körper des Tieres auf seiner höheren und machtvolleren Stufe aushalten könnten.
Das Tier-Wesen betrachtet mit seinen mentalisierten Sinnen sein vitales und
physisches Dasein, um aus ihm alle erfahrbaren Sinnen-Werte zu gewinnen, in
vielerlei Hinsicht viel stärker, als der Mensch das kann, als reine Empfindung,
als Sinnen-Emotion oder als Befriedigung von vitalem Begehren und vitaler Lust.
Wenn der Mensch aus der Ebene seines Willens und seiner Intelligenz hinabschaut,
gibt er diese niederen, intensiveren Regungen auf, jedoch nur, um aus Mental,
Leben und Sinnen eine höhere Intensität in anderen Werten zu gewinnen, in
intellektuellen, ästhetischen, moralischen, spirituellen, mental-dynamischen
oder praktischen, wie er das nennt. Durch diese höheren Elemente weitet er
seinen Gebrauch von Lebenswerten aus, verfeinert und erhöht sie. Er verzichtet
nicht auf die Reaktionen und die Freuden des Tierwesens, aber er mentalisiert
sie auf eine mehr erhellte, feinere und empfindsamere Art. Er tut das schon auf
seinen normalen, niederen Stufen. Wenn er sich aber höher entwickelt, unterzieht
er sein niederes Wesen einer strengeren Prüfung, Unter Androhung von Schmerz, es
sonst zurückzuweisen, verlangt er von ihm so etwas wie eine Transformation. Das
ist die Art des Mentals, sich auf ein noch jenseits von ihm liegendes Leben
vorzubereiten.
Wenn der Mensch aber seine höhere Stufe erreicht hat,
richtet er seinen Blick nicht nur nach unten und auf seine Umgebung, sondern
auch nach oben zu dem, was oberhalb von ihm ist, und nach innen auf seine
geheimen Tiefen. Nicht nur das Hinabschauen des universalen Wesens in der
Evolution ist ihm bewußt geworden, es entwickelt sich in ihm auch dessen
bewußter Blick nach oben und nach innen. Das Tier lebt so, als sei es zufrieden
mit dem, was die Natur für es getan hat. Sollte es so etwas wie ein Emporschauen
des verborgenen Geistes im Innern des Tierwesens geben, so hat dieses selbst
bewußt nichts damit zu tun; das ist noch die Aufgabe der Natur. Erst der Mensch
macht diesen emporgerichteten Blick bewußt zu seiner eigenen Aufgabe. Denn schon
dadurch, daß er einen intelligenten Willen besitzt, mag er auch ein entstellter
Strahl der Gnosis sein, legt er sich immer mehr die doppelte Natur von
saccidananda bei. Er ist nicht mehr, wie das Tier, ein unentwickeltes
bewußtes Wesen, das allein von prakriti getrieben wird, ein Sklave der
exekutiven Kraft, mit dem die mechanischen Energien der Natur spielen. Vielmehr hat er nun begonnen, eine sich entfaltende
bewußte Seele, purusha, zu werden, die selbst einwirkt auf das, was
bisher allein Sache von prakriti war, mit dem Wunsch, ihr gegenüber ein
Mitspracherecht zu haben und zuletzt ihr Meister zu sein. Noch kann er das
nicht. Er ist noch zu sehr in ihrem Netz verfangen, zu sehr ihrem festgelegten
Mechanismus involviert. Er fühlt aber, wenn auch noch zu vage und unsicher, daß
der Geist in seinem Innern sich immer höher erheben und seine Grenzen ausweiten
will. Etwas Geheimnisvolles in seinem Innern weiß, daß es nicht die Absicht der
tieferen bewußten Seelen-Natur, von purusha-prakriti, ist, sich
zufriedenzugeben mit seinem gegenwärtig niedrigen Stand und seinen
Begrenztheiten. Immer war es ein natürlicher Impuls im Menschen, zum Höheren
emporzuklimmen, einen weiteren Horizont zu gewinnen und seine niedere Natur zu
transformieren. Er tat das, sobald er für sich einen Platz in der physischen und
vitalen Welt der Erde geschaffen, als er ein wenig Muße gefunden hatte, seine
weiteren Möglichkeiten zu erwägen. Das muß so sein, und zwar nicht wegen einer
falschen und bemitleidenswert phantastischen Illusion in ihm, sondern erstens,
weil er das noch unvollkommene, aber sich immer weiter entwickelnde mentale
Wesen ist und deshalb um höhere Entwicklung, um Vollkommenheit ringen muß; und
mehr noch, weil er im Unterschied zu anderen irdischen Geschöpfen fähig ist,
dessen bewußt zu werden, was tiefer ist als das Mental, der Seele in seinem
Innern, und dessen, was über dem Mental ist, des Supramentals, des Geistes. Er
ist fähig, sich zu diesem hin zu öffnen, es in sich einzulassen, zu ihm
emporzukommen, es festzuhalten. Es liegt in seiner Natur, in aller menschlichen
Natur, daß sie durch bewußte Entwicklung über sich emporkommen und hinaufklimmen
will zu dem, das jenseits von dem liegt, was er jetzt ist. Das können nicht nur
einzelne Menschen, das kann mit der Zeit die ganze Menschheit. Nach einer
allgemeinen Ordnung des Wesens und Lebens kann sie, wenn auch nicht zugleich in
allen ihren Gliedern, streben und hoffen, bei genügend starkem Willen über die
Unvollkommenheiten unserer jetzigen, weitgehend ungöttlichen Natur
hinauszukommen und zumindest zu einem höheren Menschsein emporzusteigen, einem
göttlichen Menschen-Wesen oder einem Übermenschen-Wesen näherzukommen, auch wenn
sie es nicht absolut erreichen kann. Jedenfalls ist es der Zwang der
evolutionären Natur im Menschen, sich hinaufzuentwickeln, das Ideal aufzurichten
und darum zu ringen.
Wo aber ist die Gewähr
dafür, daß das evolutionäre Wesen zu seinem Selbst wird, indem es über sein
Selbst hinauskommt? Im Mental selbst gibt es Grade der Entwicklung, und jeder
Grad ist wieder in sich selbst eine Entwicklung. Es gibt aufeinanderfolgende
Höhen, die wir zutreffend die Ebenen und Unterebenen des mentalen Bewußtseins
und des mentalen Wesens nennen können. Die Entfaltung unseres mentalen Selbsts
ist weithin ein Aufstieg auf den Stufen dieser Treppe. Wir können unseren Stand
auf irgendeiner von ihnen einnehmen und dabei unsere Abhängigkeit von den
darunter liegenden Stufen beibehalten. Ebenso besitzen wir die Macht,
gelegentlich zu höheren Stufen emporzusteigen oder auf Einflüsse aus den höheren
Bereichen unseres Wesens zu reagieren. Gegenwärtig nehmen wir normalerweise noch
unseren ersten sicheren Stand auf der niedersten Ebene der Intelligenz ein, die
wir die physisch-mentale nennen können, da sie für die Bezeugung ihrer Tatsachen
und für ihr Empfinden der Wirklichkeit vom physischen Gehirn, vom physischen
Sinnen-Mental und von den physischen Sinnen-Organen abhängt. Hier sind wir der
physische Mensch, der den objektiven Dingen und seinem äußeren Leben die höchste
Bedeutung beimißt, jedoch nur geringe Anstrengung für sein subjektives oder
inneres Sein aufwendet. Er ordnet alles, was er davon hat, den stärkeren
Ansprüchen der äußeren Wirklichkeit unter. Der physische Mensch besitzt eine
vitale Seite. Sie besteht zumeist aus den schwächeren Instinkten und impulsiven
Gestaltungen des Lebens-Bewußtseins, das aus dem Unterbewußtsein zugleich mit
einer Masse oder einer Folge von Empfindungen, Sehnsüchten, Hoffnungen, Gefühlen
und Befriedigungen aufsteigt. Diese hängen von äußeren Dingen und Kontakten ab
und befassen sich mit dem Praktischen, mit dem unmittelbar Verwirklichbaren und
Möglichen, mit dem Gewohnten, dem Allgemeinen und Durchschnittlichen. Er hat
eine mentale Seite, doch auch diese ist bestimmt durch das Herkömmliche,
Traditionelle, Praktische und Objektive. Sie respektiert das, was zum Bereich
des Mentals gehört, hauptsächlich dann, wenn es zur Unterstützung,
Bequemlichkeit, Verwendung, Befriedigung und Unterhaltung seines physischen und
sinnlichen Daseins verwendbar ist. Denn das physische Mental steht fest auf der
Materie und in der materiellen Welt, auf dem Körper mit dem körperlichen Leben,
auf der Sinnen-Erfahrung und auf einer normalen praktischen Mentalität und auf
deren Erfahrung. Aus allem, was nicht zu dieser Ordnung gehört, konstruiert das
physische Mental einen eng
begrenzten Überbau,
der von der äußeren Sinnen-Mentalität abhängt. Trotzdem betrachtet es diese
höheren Lebensinhalte entweder als hilfreiche Nebenumstände oder als einen
überflüssigen, jedoch angenehmen Luxus der Phantasie, der Gefühle und
Gedanken-Abstraktionen, jedoch nicht als innere Wirklichkeiten. Oder es
empfindet sie auch dann, wenn es sie als Wirklichkeiten akzeptiert, nicht
konkret und stofflich in ihrer eigentlichen Substanz, die subtiler ist als die
physische Substanz mit ihrer gröberen Konkretheit, es behandelt sie als
subjektive, weniger substantielle Ausweitung der physischen Wirklichkeiten.
Unvermeidlich muß sich so das menschliche Wesen zuerst fest auf den Boden der
Materie stellen, den äußeren Tatsachen und dem äußeren Dasein ihre gebührende
Bedeutung beimessen. Denn darin besteht die erste Vorsorge, die die Natur für
unser Dasein trifft und auf die sie so nachdrücklich Wert legt. Auf den
physischen Menschen in uns legt die Natur ihr Haupt-Gewicht. Ihn vermehrt sie in
der Welt so reichlich, weil er ihre Kraft zur Bewahrung der gesicherten, wenn
auch irgendwie trägen, materiellen Basis ist, auf der sie sich behaupten kann,
während sie ihre höheren Entwicklungen verfolgt. In dieser mentalen Gestaltung
gibt es aber keine Macht zum Fortschritt oder nur die Macht zum materiellen
Fortschritt. Sie ist unser erster mentaler Zustand. Doch kann das mentale Wesen,
der Mensch, nicht immer auf dieser untersten Sprosse der evolutionären Leiter
der Menschheit stehen bleiben.
Höher als unser physisches Mental und tiefer in unserem
Innern als das physische Empfinden ist das, was wir die Intelligenz des
Lebens-Mentals nennen könnten: Sie ist dynamisch, vital, besitzt empfindliche
Nerven und ist, wenn auch noch im Verborgenen, offener für das Psychische. Sie
ist fähig für eine erste Seelen-Gestaltung, wenn auch nur für eine dunkle
Lebens-Seele, die noch nicht das psychische Wesen ist sondern eine
vordergründige Gestaltung des vitalen purusha. Diese Lebens-Seele
empfindet konkret die Dinge der Lebens-Welt und kommt mit ihnen in Kontakt. Sie
versucht, sie hier zu realisieren. Sie nimmt die Befriedigung und Erfüllung des
Lebens-Wesens, der Lebens-Kraft, der vitalen Natur überaus wichtig: Sie
betrachtet das physische Dasein als Feld zur Selbst-Erfüllung der Lebensimpulse,
für das Spiel von Ehrgeiz, Macht, starkem Charakter, Liebe, Leidenschaft,
Abenteuer, für das individuelle, das kollektive und das allgemein menschliche
Streben, als Wagnis und Abenteuer für alle Arten des Lebens-Experiments und
neuer Lebens-Erfahrung. Die physische Existenz allein hätte für sie ohne dieses befreiende Element, diese höhere Macht, dieses Interesse
und diese Bedeutung keinen Wert. Diese Lebens-Mentalität wird durch unser
verborgenes subliminales vitales Wesen unterstützt und steht in verhülltem
Kontakt mit einer Lebens-Welt, für die sie sich leicht öffnen und so die
unsichtbaren dynamischen Kräfte und Wirklichkeiten hinter dem materiellen
Universum fühlen kann. Es gibt ein inneres Lebens-Mental, das für sein
Wahrnehmen nicht das Zeugnis der physischen Sinne benötigt und durch diese nicht
eingeschränkt wird. Denn auf dieser Ebene werden unser inneres Leben und das
innere Leben der Welt für uns etwas Wirkliches, ohne daß wir vom Körper und den
Symbolen der physischen Welt abhängig sind. Wir bezeichnen diese allein als
natürliche Phänomene, als ob die Natur keine größeren Phänomene und keine
höheren Wirklichkeiten besäße als die der groben Materie. Der vitale Mensch, der
bewußt oder unbewußt von diesen Einflüssen geformt wird, ist der Mensch des
Begehrens und der Empfindungen, der Mensch von Kraft und Aktion, von
Leidenschaft und Emotion, der kinetische individuelle Mensch. Großes Gewicht
legt er gern auf das materielle Dasein, und er tut das wirklich. Er gibt diesem
aber auch dann, wenn er sich am meisten mit dessen gegenwärtigen Aktualitäten
befaßt, stets einen Anstoß zur Lebens-Erfahrung, zu einer Kraft der
Lebens-Realisierung, zur Lebens-Ausweitung, zur Lebens-Macht, zur
Lebens-Bejahung und zur Expansion des Lebens. Darin liegt der erste Drang der
Natur zur Ausweitung des Wesens. Wenn sich dieser Lebens-Drang äußerst verstärkt
hat, durchbricht der Mensch alle Bindungen, sucht er neue Horizonte, revoltiert
er gegen Vergangenheit und Gegenwart im Interesse der Zukunft. Er führt ein
mentales Leben, das oft an die vitale Kraft, ihr Begehren und ihre
Leidenschaften versklavt ist, und er sucht gerade diese durch sein Mental zu
befriedigen. Wenn er sich aber stark für mentale Dinge interessiert, kann er zum
mentalen Abenteurer werden, der den Weg zu neuen Mental-Gestaltungen öffnet,
oder zum Kämpfer für eine Idee. Er wird zum empfindsamen Typus des Künstlers,
zum dynamischen Dichter des Lebens oder zum Propheten und Vorkämpfer für eine
große Sache. Das vitale Mental ist kinetisch und darum eine starke Kraft im
Wirken der evolutionären Natur.
Oberhalb dieser Stufe vitaler Mentalität und mehr nach
innen ausgebreitet liegt eine Mental-Ebene reinen Denkens und reiner
Intelligenz, für die die Dinge der mentalen Welt die bedeutendsten
Wirklichkeiten sind. Menschen, die unter dem
Einfluß dieser Mental-Ebene stehen, repräsentieren das jetzige mentale Wesen auf
seiner bisher erreichten Höhe: der Philosoph, der Denker, der Wissenschaftler,
der intellektuell Schöpferische, der Mensch der Idee, des geschriebenen oder
gesprochenen Wortes, der Idealist und Träumer. Dieser mentale Mensch spielt
seine Lebens-Rolle, das Leben der Leidenschaften, Sehnsüchte, des Ehrgeizes und
der Hoffnungen aller Art. Sein niederes sinnenhaftes, physisches Dasein und
dessen niedere Rolle können aber sein edleres mentales Element so sehr aufwiegen
oder überwiegen, daß dieses, obwohl es die höchste Stufe seines Wesens ist, doch
in seinem Wesen nicht vorherrschend und maßgebend werden kann. Aber das ist für
ihn in seiner höchsten Entwicklung nicht typisch, denn dort werden die vitalen
und physischen Elemente kontrolliert und durch den denkenden Willen und die
Intelligenz beherrscht. Der mentale Mensch kann seine Natur nicht
transformieren, er kann sie aber kontrollieren und harmonisieren. Er kann ihr
das Gesetz eines mentalen Ideals auferlegen, Ausgewogenheit oder einen
verfeinernden und veredelnden Einfluß aufnötigen. Er kann die multi-personale
Verwirrung, den Konflikt oder das summarische Flickwerk unseres zerteilten oder
halb-durchkonstruierten Wesens zu einem größeren inneren Halt erziehen. Er kann
zum Beobachter und Beherrscher seines eigenen Mentals und Lebens werden, kann
sie bewußt entwickeln und dementsprechend zu seinem Selbst-Schöpfer werden.
Dieses Mental der reinen Intelligenz hat zu seinem
Hintergrund unser inneres oder subliminales Mental, das die Dinge der
Mental-Ebene unmittelbar empfindet, offen ist für das Wirken der Welt mentaler
Kräfte, das die ideativen und anderen unwägbaren Einflüsse fühlen kann, die auf
die materielle Welt und auf die Lebens-Ebene einwirken, die wir aber gegenwärtig
nur mittelbar erschließen und nicht unmittelbar erfahren können. Für den
mentalen Menschen sind diese ungreifbaren und unwägbaren Dinge etwas Wirkliches
und Offenkundiges. Er erachtet sie als Wahrheiten, die nach Verwirklichung in
uns oder auf der Erde verlangen. Auf der inneren Ebene können für uns das Mental
und die Mental-Seele unabhängig vom Körper zur vollen Wirklichkeit werden. Wir
können in ihnen ebenso bewußt leben wie in unserem Körper. Darum ist auf jenen
Stufen der Natur, kurz bevor wir die Spiritualität erlangen, unsere Lage die,
daß wir ganz im Mental und in den Dingen des Mentals leben, eher Intelligenz als
nur Leben und Körper sind. Der mentale Mensch,
der Mensch, der sich selbst durch Mental und Willen beherrscht und gestaltet,
der sich eines Ideals bewußt ist und der Verwirklichung dieses Ideals zuwendet,
der hohe Intellekt, der Denker, der Weise ist zwar weniger kinetisch und weniger
unmittelbar effektiv als der vitale Mensch, der ein Mensch der Aktion und
raschen äußeren Lebens-Erfüllung ist. Er ist aber ebenso machtvoll und
schließlich machtvoll genug, um der Menschheit neue Ausblicke zu eröffnen. Er
ist der normale höchste Typus der evolutionären Gestaltung der Natur auf der
menschlichen Ebene. Für unsere gewöhnliche Intelligenz stellen diese drei Grade
der Mentalität, die in sich klar abgegrenzt, zumeist aber in unserem
zusammengesetzten Wesen miteinander vermischt sind, nur die psychologischen
Typen dar, die sich eben so entwickelt haben, und wir entdecken in ihnen keine
andere Bedeutung. Tatsächlich sind sie aber höchst bedeutungsvoll, denn sie sind
Stufen der Evolution, zu denen die Natur das mentale Wesen bis jetzt gebracht
hat, damit es über sich selbst hinauskommt. So wie das denkende Mental die
höchste Stufe ist, die sie bisher erreichen kann, so ist der vollkommen
gewordene mentale Mensch das seltenste und höchste ihrer normalen menschlichen
Geschöpfe. Damit wir darüber hinauskommen können, muß sie das spirituelle
Prinzip in das Mental einführen und in Mental, Leben und Körper aktiv werden
lassen.
Das sind die evolutionären Gestaltungen, die die Natur
aus der vordergründigen Mentalität aufgebaut hat. Wenn sie mehr tun will, muß
sie das unsichtbare Material, das unter unserer Oberfläche verborgen ist, in
reicherem Maß verwenden. Sie muß in das Innere hinabtauchen und die verborgene
Seele, die Psyche, hervorbringen. Oder sie muß über unsere normale mentale Stufe
in Ebenen des intuitiven Bewußtseins emporkommen, die ganz erfüllt sind von
einem Licht, das aus der spirituellen Gnosis herrührt, in die aufsteigenden
Ebenen des reinen spirituellen Mentals, auf denen wir in unmittelbarer Berührung
mit dem Unendlichen stehen. Sie muß das Selbst und die höchste Wirklichkeit der
Dinge, saccidananda, ergreifen. In unserem eigenen Innern, hinter unserem
vordergründigen natürlichen Wesen, gibt es eine Seele, ein inneres Mental, eine
innere Lebens-Seite, die sich ebenso für diese Höhen öffnen kann wie für den
verborgenen Geist in unserem Innern. Dieses doppelte Sich-Öffnen ist das
Geheimnis einer neuen Entwicklung. Dadurch, daß diese Verschlüsse, Wände und
Begrenzungen durchbrochen werden, erhebt sich das Bewußtsein zu einem höheren
Aufstieg und zu einer umfassenderen Integration.
Diese wird, ebenso wie es bei der Evolution des Mentals geschah, die alle Mächte
unserer Natur mentalisiert hat, diese durch eine neue Evolution
spiritualisieren. Denn der mentale Mensch ist nicht die letzte Anstrengung oder
die höchste Stufe der Entwicklung der Natur, wenn er sich auch im allgemeinen in
seiner eigenen Art vollständiger entwickelt hat, als die Wesen unterhalb von ihm
es erreichten oder als die über ihm es erstrebten. Die Natur hat aber den
Menschen auf eine noch höhere und schwierigere Stufe verwiesen. Sie hat ihn mit
dem Ideal eines spirituellen Lebens begeistert und in ihm die Evolution eines
spirituellen Wesens begonnen. Dem spirituellen Menschen gilt ihr höchstes, über
das Normale hinausgehende Bemühen bei der menschlichen Schöpfung. Nachdem sie
den mentalen Schöpfer, den Denker, den Weisen, den Propheten eines Ideals, das
selbst-kontrollierte, selbst-harmonisierte mentale Wesen entwickelt hat,
versucht sie, höher empor und tiefer nach innen zu gehen und die Seele, das
innere Mental und das Herz in den Vordergrund zu rufen. Von oben herab entbindet
sie die Kräfte des spirituellen Mentals, des höheren Mentals und des
Übermentals. Sie will unter ihrem Licht und durch ihren Einfluß den spirituellen
Weisen, Seher, Propheten, Gott-Liebenden, Yogin, Gnostiker, Sufi, Mystiker
erschaffen.
Dies ist der einzige Weg, wie der Mensch in Wahrheit
über sich hinauskommen kann. Denn solange wir in unserem vordergründigen Wesen
leben oder uns völlig auf die Materie gründen, können wir unmöglich höher
emporkommen. Es ist vergeblich, zu erwarten, es könne hier einen neuen Übergang
von radikalem Charakter in unserem evolutionären Wesen geben. Der vitale und
mentale Mensch haben auf das Erden-Leben einen außerordentlichen Einfluß
ausgeübt. Sie haben die Menschheit von der Stufe des Tier-Menschen zu dem
emporgehoben, was er jetzt ist. Sie können aber nur innerhalb der Grenzen der
bereits festgelegten evolutionären Formel des menschlichen Wesens wirken. Sie
können den menschlichen Aktionskreis nur ausweiten. Sie können aber nicht das
Bewußtseins-Prinzip oder dessen charakteristische Wirkweise verändern oder
umwandeln. Jeder Versuch, auf ungeordnete Weise das Mental zu erhöhen oder auf
ungeordnete Weise den vitalen Menschen in ein Übermaß zu steigern – zum Beispiel
beim “Übermenschen” von Nietzsche – kann nur kolossale Übersteigerungen der
menschlichen Kreatur hervorbringen. Dadurch kann er aber nicht umgewandelt oder
vergöttlicht werden. Eine ganz andere Möglichkeit eröffnet sich uns, wenn wir im inneren Wesen leben und dieses zum unmittelbaren
Lenker unseres Lebens machen können oder auf den spirituellen und intuitiven
Ebenen des Wesens einen festen Stand einnehmen und von dorther und durch deren
Macht unsere Natur umwandeln können.
Der spirituelle Mensch ist der Wegweiser für diese neue Entwicklung, für dieses neue und höhere Bemühen der Natur. Diese Evolution unterscheidet sich aber in zwei Aspekten von dem vergangenen Prozeß der evolutionären Energie: Sie wird durch bewußte Anstrengung des menschlichen Mentals durchgeführt. Und sie ist nicht nur auf ein bewußtes Vorwärtsschreiten der äußeren Natur beschränkt. Vielmehr ist sie von dem Versuch begleitet, die Wände der Unwissenheit zu durchbrechen und uns nach innen bis in das geheime Prinzip unseres gegenwärtigen Wesens, ebenso nach außen in das kosmische Wesen und nach oben zu einem höheren Prinzip hin auszuweiten. Was die Natur bis jetzt erreicht hat, war eine Ausweitung der Grenzen unserer vordergründigen Wissens-Unwissenheit. Bei dem spirituellen Bemühen wird versucht, die Unwissenheit ganz zu beseitigen, nach innen zu gehen, die Seele zu entdecken und im Bewußtsein mit Gott und dem ganzen Sein vereint zu werden. Das ist das letzte Ziel der mentalen Stufe der evolutionären Natur im Menschen. Und es ist der Anfangs-Schritt zu einer radikalen Umwandlung der Unwissenheit in das Wissen. Die spirituelle Umwandlung beginnt mit einem Einfluß des inneren Wesens und des höheren spirituellen Mentals, mit einer solchen Aktion, die an der Außenseite gefühlt und von ihr angenommen wird. Das kann aber an sich selbst nur bis zu einem erleuchteten mentalen Idealismus oder bis zum Wachsen eines religiösen Mentals, eines religiösen Temperaments, einer gewissen Hingabe im Herzen und zur Frömmigkeit im Verhalten führen. Es ist eine erste Annäherung des Mentals an den Geist. Es kann aber nicht zu einem grundlegenden Wandel führen. Dazu muß mehr getan werden. Wir müssen tiefer in unser Inneres gehen. Wir sollen über unser gegenwärtiges Bewußtsein hinauskommen und unseren gegenwärtigen Status in der Natur überschreiten.
Offensichtlich können wir auf diese Weise tiefer in
unserem Innern leben und die inneren Kräfte stetiger draußen in unserer äußeren
Instrumentation einsetzen oder uns so emporheben, daß wir in höheren und
weiteren Bereichen daheim sind und deren Mächte im physischen Dasein zur
Auswirkung bringen. Wir sollen nicht nur die Einflüsse empfangen, die von ihnen herabkommen; das ist alles, was wir jetzt tun können. Es
könnte vielmehr eine Verdichtung unseres bewußten Wesens anfangen, um ein neues
Bewußtseins-Prinzip zu erschaffen, einen neuen Bereich von Aktivitäten, neue
Werte für alle Dinge, eine Ausweitung unseres Bewußtseins und Lebens. So könnten
wir die niederen Stufen unseres Daseins empornehmen und umwandeln. Das ist in
Kürze der ganze evolutionäre Prozeß, durch den der Geist in der Natur einen
höheren Typus des Wesens erschafft. Jede Stufe könnte ein Schritt zu dem wenn
auch noch so entfernten Ziel oder eine weitere Annäherung an ein umfassenderes
und mehr göttliches Wesen bedeuten, an mehr göttliche Kraft, göttliches
Bewußtsein, Wissen und Wollen, Empfinden des Daseins und Freude am Dasein. Hier
könnte der Anfang liegen zu einer Entfaltung zum göttlichen Leben. Jede
Religion, alles okkulte Wissen, alle übernormale (im Gegensatz zur abnormen)
psychische Erfahrung, jeder Yoga, alles psychische Erleben und jede Disziplin
sind Wegweiser und Hinweise, die uns dieses Fortschreiten des verborgenen, sich
selbst entfaltenden Geistes zeigen.
Aber die menschliche Rasse wird noch durch eine gewisse
Schwerkraft zum Physischen hinabgezogen. Sie gehorcht noch der Anziehung unserer
bislang unbezwungenen Erden-Materie. Sie wird vom Gehirn-Mental, von der
physischen Intelligenz beherrscht. Von vielen Fesseln zurückgehalten, zögert sie
am Wegweiser und scheut vor der zu strengen Forderung spirituellen Ringens
zurück. Auch hegt sie noch zu viel törichte Skepsis, starke Indolenz, eine
enorme intellektuelle und spirituelle Angst und konservative Ablehnung, wenn sie
zum Verlassen ihrer alten Gewohnheit aufgefordert wird. Selbst der ständige
Beweis des Lebens, daß es dort, wo es siegen will, auch siegen kann – bewiesen
durch die Wunder der doch untergeordneten Macht der Naturwissenschaften –,
hindert sie nicht, weiter zu zweifeln. Sie weist den neuen Anruf zurück und
überläßt die Antwort darauf einigen wenigen Einzelnen. Das ist aber nicht genug,
wenn der Schritt nach vorn für die ganze Menschheit getan werden muß. Und nur
dann, wenn die Menschheit als Ganzes fortschreitet, können für sie die Siege des
Geistes gesichert sein. Denn selbst, wenn es zum Abgleiten der Natur, zum
Absinken in ihren Bemühungen kommt, wird der Geist im Innern sie wieder nach
oben rufen. Er verwendet dabei eine geheime Erinnerung. Manchmal wird sie nach
der niederen Seite, in einer Gravitation nach unten, durch eine atavistische
Kraft im Menschen repräsentiert; in Wirklichkeit ist das
die Kraft einer dauerhaften Erinnerung in der Natur, die uns entweder nach oben
oder nach unten ziehen kann. Durch diese Erinnerung wird der nächste Aufstieg
wegen der Anstrengung in der Vergangenheit leichter und dauerhafter sein. Denn
es kann nicht anders sein, als daß dieses Bemühen, sein Impuls und sein Ergebnis
im unterbewußten Mental der Menschheit gespeichert wird. Wer kann sagen, welche
Siege dieser Art in den Zyklen unserer Vergangenheit davongetragen wurden und
wie nahe der nächste Aufstieg ist? Gewiß ist es nicht nötig oder möglich, daß
sich alle Menschen von mentalen Wesen in spirituelle umwandeln sollen. Notwendig
ist aber eine allgemeine Anerkennung des Ideals, ein weitverbreitetes Bemühen,
die bewußte Konzentration, um diese Tendenz zu einem gewissen Erfolg zu leiten.
Sonst werden letzten Endes nur einige wenige Erfolg haben und eine neue
Seins-Ordnung begründen, während die Menschheit als Ganzes über sich selbst das
Urteil gefällt hat, sie sei dazu unfähig. So mag sie evolutionär verfallen oder
in statische Unbeweglichkeit zurücksinken. Denn nur ihr ständiges Streben nach
oben hat die Menschheit lebendig erhalten und ihr einen Platz an der Spitze der
Schöpfung gesichert.
Der Prozeß der Evolution hat folgendes Prinzip: Zuerst
ein Unterbau, von diesem Fundament aus ein Aufstieg; bei diesem Aufstieg eine
Umkehrung des Bewußtseins; von der gewonnenen größeren Höhe und Weite aus eine
Aktion zur Umwandlung und neuen Integration der ganzen Natur. Der Unterbau ist
Materie. Der Aufstieg ist eine Aufwärts-Entwicklung der Natur. Die Integration
ist zuerst eine unbewußte oder halb-bewußte automatische Umwandlung der Natur
durch die Natur. Sobald aber bei diesen Aktionen der Natur eine vollständigere
bewußte Teilnahme des menschlichen Wesens begonnen hat, ist ein Wandel im Prozeß
unvermeidlich. Der physische Unterbau von Materie bleibt bestehen. Materie kann
aber nicht mehr das Fundament des Bewußtseins sein. Bewußtsein selbst wird in
seinem Ursprung nicht mehr ein Aufwallen aus dem Unbewußten oder ein verborgenes
Strömen aus einer geheimen subliminalen Kraft unter dem Druck von Berührungen
aus dem Universum sein. Fundament des sich entwickelnden Seins wird der neue
spirituelle Zustand über uns oder der unverhüllte Zustand der Seele in uns sein.
Es ist ein Strom von Licht und Wissen und Willen von oben und dessen Annahme von
innen, der die Reaktionen des Wesens auf die kosmische Erfahrung bestimmen wird.
Alle Konzentration des Wesens wird von unten nach oben und von außen nach innen verlegt. Unser höheres und inneres Wesen, das jetzt
für uns noch etwas Unbekanntes ist, wird zu unserem Selbst werden. Das äußere
oder vordergründige Wesen, das wir jetzt für unser Selbst halten, wird dann nur
noch eine offene Vorderseite oder ein Anbau sein, durch die das wahre Wesen mit
dem Universum verkehrt. Die äußere Welt selbst wird für das spirituelle
Bewußtsein zu etwas Innerem werden, zu einem Teil seiner selbst, die es in einem
Wissen und Fühlen von Einheit und Identität innig umfaßt und mit einer
intuitiven Schau des Mentals durchdringt. Der unmittelbare Kontakt von
Bewußtsein mit Bewußtsein wird ihr antworten, und sie wird in eine vollendete
Vollständigkeit aufgenommen werden. Selbst das alte unbewußte Fundament in uns
wird durch das Einströmen von Licht und Bewußtsein von oben her bewußt gemacht,
seine Tiefen werden an die Höhen des Geistes angeschlossen werden. Basis für die
völlige Harmonisierung des Lebens wird ein integrales Bewußtsein werden durch
vollständige Umwandlung, Vereinigung und Einbeziehung des Wesens und der Natur.
Kapitel XIX. Aus der siebenfachen Unwissenheit zum siebenfachen Wissen
Sieben Stufen hat das
Gelände der Unwissenheit, sieben Stufen hat das Gebiet des Wissens.
Mahopanishad, V. 1.
Er fand das unermeßliche Denken mit sieben Köpfen, das aus der Wahrheit geboren ist. Er erschuf eine vierte Welt und wurde universal... Die Söhne des Himmels, die Helden des Allmächtigen, die den aufrichtigen Gedanken denken, der Wahrheit Stimme verleihen, begründeten den Bereich der Erleuchtung und nahmen das erste Domizil des Opfers wahr... Der Meister der Weisheit warf die steinernen Verteidigungsanlagen nieder und rief die Herden des Lichts . . . Die Herden, die in der Verborgenheit auf der Brücke über die Lüge stehen zwischen zwei Welten, eine unten und eine oben. Da er Licht in der Finsternis begehrte, brachte er die Strahlen-Herde hinauf und befreite die drei Welten von ihrer Verhüllung. Er zerschmetterte die Stadt, die im Hinterhalt verborgen liegt, und schnitt die drei aus dem Ozean heraus. Er entdeckte die Morgenröte und die Sonne und das Licht und die Welt von Licht.
Rig Veda, X. 67.1-5.
Bei seinem ersten Eintritt in die Geburt im höchsten Äther des großen Lichtes – seiner Geburten sind viele, seiner Münder Worte sieben, sieben seiner Strahlen – zerschmettert der Meister der Weisheit die Finsternis mit seinem Ruf.
Rig Veda, IV. 50. 4.
Ihrem Wesen nach ist jede Entwicklung eine Steigerung
der Kraft des Bewußtseins im geoffenbarten Wesen, so daß dieses in eine höhere
Intensität dessen emporgehoben werden kann, was noch ungeoffenbart ist: von
Materie in Leben, von Leben in Mental, von Mental in Geist. Das muß auch die
Methode unseres Wachsens aus einer mentalen in eine spirituelle und supramentale
Manifestation sein, aus einem noch halb-tierhaften Menschentum in ein göttliches
Wesen und göttliches Leben. Erlangen müssen wir dabei: eine neue spirituelle
Höhe, Weite, Tiefe, Freiheit; eine neue
Intensität unseres Bewußtseins, seiner Substanz, Kraft und Sensibilität; eine
Erhebung, Ausdehnung, Formbarkeit und integrale Begabung unseres Wesens; einen
Aufstieg des Mentals und all dessen, was unterhalb des Mentals ist, in jenes
umfassendere Sein. In einer künftigen Transformation wird sich der Charakter der
Evolution, das Prinzip des evolutionären Prozesses, auch wenn es abgewandelt
wird, nicht grundlegend verändern. Vielmehr wird es sich in einem größeren
Maßstab und einer befreiten Bewegung herrlich weiter entfalten. Umwandlung in
ein höheres Bewußtsein oder in einen höheren Wesenszustand ist nicht nur Ziel
und Prozeß der Religion, aller höheren Askese, des Yoga. Sie ist ebenso die
eigentliche Tendenz unseres Lebens an sich, der geheime Zweck, der sich in der
Summe seines Ringens vorfindet. Das Prinzip des Lebens in uns sucht sich ständig
auf den Ebenen des Mentals, der Vitalität und des Körpers, die es bereits
besitzt, zu behaupten und zu vervollkommnen. Es wird aber auch vom Selbst
angetrieben, darüber hinauszugehen und diese Gewinne in Mittel umzuwandeln,
durch die sich der bewußte Geist in der Natur entfaltet. Würde nur eine einzige
Seite von uns – Intellekt, Herz, Wille oder vitales Selbst des Begehrens –,
unzufrieden mit seiner Unvollkommenheit und mit der Welt, danach streben, dem zu
entkommen zu einer größeren Höhe des Seins, und sich damit zufriedengeben, den
Rest der Natur sich selbst zu überlassen oder unterzugehen, dann würde das
Ergebnis einer solchen völligen Umwandlung nicht eintreten, sich zumindest nicht
hier ereignen. Das ist aber nicht die vollständige Tendenz unseres Seins. Es
gibt ein Ringen der Natur in uns, mit allem, was wir sind, emporzukommen zu
einem Prinzip, das höher ist als jenes, das sie hier entwickelt hat. Es ist aber
ganz und gar nicht ihr Wille, sich bei diesem Aufstieg zu zerstören, als ob das
höhere Prinzip ausschließlich durch Zurückweisung und Vernichtung der Natur
durchgesetzt werden könnte. Unentbehrlich ist dabei, die Kraft des Bewußtseins
so zu steigern, bis es aus der mentalen, vitalen und physischen Instrumentation
in Wesen und Macht des Geistes übergeht. Aber auch das ist nicht der einzige
Zweck, nicht alles, was getan werden muß.
Unsere Berufung muß sein, daß wir in unserem ganzen
Wesen auf einer neuen Höhe leben. Um diese Höhe zu erreichen, brauchen wir aber
unsere dynamischen Wesensseiten nicht in den unbestimmten Stoff der Natur
zurücksinken zu lassen, um durch diesen befreienden Verlust in einem seligen Schweigen des Geistes zu verharren. Das kann zwar
stets getan werden, und es bringt uns große Ruhe und Befreiung. Die Natur selbst
aber erwartet von uns, daß wir alles, was wir sind, in das spirituelle
Bewußtsein emporheben, damit es zu einer offenbaren und vielfältigen Macht des
Geistes wird. Vollständige Umwandlung ist das integrale Ziel des Wesens in der
Natur, der ursprüngliche innere Sinn ihres universalen Drängens auf die
Selbst-Transzendierung. Aus diesem Grund ist der Prozeß der Natur nicht darauf
beschränkt, sich in ein neues Prinzip emporzuheben. Die neue Höhe ist kein
enger, starker Gipfel. Sie bringt eine Ausweitung des Lebens mit sich und
begründet für es ein umfassenderes Feld, in dem die Macht des neuen Prinzips
genügend Spielraum für ihr Hervortreten hat. Dieses Wirken, das zugleich erhöht
und ausweitet, ist nicht auf eine äußerst mögliche Ausweitung im wesenhaften
Kräftespiel des neuen Prinzips selbst begrenzt. Es schließt auch ein, daß alles,
was niedriger ist, in die höheren Werte emporgehoben wird. Das göttliche oder
spirituelle Leben wird nicht nur das mentale, vitale und physische Leben,
transformiert und spiritualisiert, in sich aufnehmen. Es wird ihnen auch einen
viel weiteren und volleren Spielraum darbieten, als ihnen offenstand, solange
sie noch auf ihrer eigenen Stufe lebten. Dadurch, daß wir über uns selbst
hinauskommen, braucht unser mentales, physisches und vitales Dasein nicht
zerstört zu werden. Es wird auch nicht herabgemindert und beeinträchtigt, wenn
es spiritualisiert wird. Diese Seiten können viel reicher, größer, mächtiger und
vollkommener werden, und sie werden es auch. Durch ihre göttliche Umwandlung
dringen sie in Möglichkeiten ein, die in ihrem nicht-spiritualisierten Zustand
nicht verwirklichbar oder vorstellbar sein konnten.
Ihrer Natur nach ist diese Evolution, dieser Prozeß der
Erhöhung, Ausweitung und Einbeziehung, ein Wachsen und Emporsteigen aus der
siebenfachen Unwissenheit in das integrale Wissen. Bei der Unwissenheit liegt
die Hauptschwierigkeit im Konstitutionellen. Sie läßt sich zusammenfassen in
eine siebenfache Unwissenheit darüber, was der wahre Charakter unseres Werdens
ist, und in eine Unbewußtheit unseres vollständigen Selbsts. Der Schlüssel dazu
liegt darin, daß wir durch die Ebene, die wir bewohnen, und durch das jetzt und
hier vorherrschende Prinzip unserer Natur eingeschränkt sind. Die Ebene, die wir
bewohnen, ist die Ebene der Materie. Das gegenwärtig in unserer Natur
vorherrschende Prinzip ist die mentale Intelligenz mit dem Sinnen-Mental, das abhängig ist von der Materie als seiner Stütze und seinem Träger.
Eine Konsequenz daraus und ein besonderer, der konstitutionellen Unwissenheit
aufgeprägter Stempel ist es, daß die mentale Intelligenz und ihre Mächte vor
allem interessiert sind am materiellen Dasein, wie es ihnen durch die Sinne
gezeigt wird, und an dem Leben so, wie dieses in einem Kompromiß zwischen Leben
und Materie formuliert ist. Dieser natürliche Materialismus oder materialisierte
Vitalismus, in dem wir uns an unsere Anfänge klammern, ist eine Form von
Selbst-Begrenzung, die den Horizont unseres Daseins einengt und dem Wesen des
Menschen stark anhaftet. Zwar ist das eine erste Notwendigkeit für sein
physisches Dasein. Danach wird er aber durch primäre Unwissenheit an eine Kette
geschmiedet, die jeden seiner Schritte aufwärts behindert. Der erste wirklich
progressive Schritt unseres Menschseins besteht darin, daß wir versuchen, aus
dieser Begrenzung von Ganzheit, Macht und Wahrheit des Geistes durch die
materialisierte mentale Intelligenz und aus dieser Unterwerfung der Seele unter
die materielle Natur herauszuwachsen. Denn unsere Unwissenheit ist nicht
vollständig. Sie ist eine Begrenzung unseres Bewußtseins, aber nicht jene
vollständige Nichtbewußtheit, die die gleiche Unwissenheit in den Formen des
rein materiellen Daseins prägt, die ihren Ort nicht nur auf der Ebene der
Materie, sondern die Materie auch als das sie beherrschende Prinzip hat. Das ist
bei uns ein partielles, begrenztes, zerteilendes und, in starkem Maße,
verfälschendes Wissen. Wir sollen aus dieser Beschränkung und Verfälschung in
die Wahrheit des spirituellen Wesens hineinwachsen.
Das vorwiegende Interesse an Leben und Materie ist am
Anfang richtig und notwendig, da das der erste Schritt ist, den der Mensch tun
muß, um dieses physische Dasein zu erkennen und es so gut, wie er kann, zu
besitzen, indem er sein Denken und seine Intelligenz auf jede Erfahrung dieses
Daseins richtet, die ihm sein Sinnen-Mental geben kann. Das ist aber nur ein
vorläufiger Schritt. Wenn wir hier innehalten, haben wir keinen wirklichen
Fortschritt erzielt. Wir sind immer noch dort, wo wir vorher waren. Wir haben
nur einen größeren physischen Ellbogenraum gewonnen, um uns darin zu bewegen.
Wir haben unserem Mental mehr Macht verschafft, relative Erkenntnis und
ungenügende, ungesicherte Herrschaft zu gewinnen. Unser Lebens-Begehren kann die
Dinge besser umherstoßen, mit ihnen jonglieren und sie mitten im Lärm der
physischen Kräfte und Formen herumwirbeln. Der wesenhafte
Gewinn für uns, das einzige, was uns zu erwerben not tut, liegt nicht darin, daß
wir unser physikalisches objektives Wissen bis zum äußersten ausweiten, auch
wenn es die entferntesten Sonnen-Systeme, die tiefsten Schichten von Erde und
Meer sowie die subtilsten Mächte der materiellen Substanz und Energie umfassen
würde. Aus diesem Grund erweist sich das Evangelium des Materialismus, trotz der
blendenden Triumphe der Naturwissenschaften, am Ende stets als leere und
hilflose Weltanschauung. Aus dem gleichen Grund kann die physikalische
Wissenschaft trotz all ihrer Errungenschaften, selbst wenn sie ein bequemes
Dasein schaffen könnte, niemals Glück und volle Erfüllung für alle Menschen
erreichen. Unser wahres Glück liegt im wahren Wachstum unseres ganzen Wesens, in
einem Sieg, der den ganzen Bereich unseres Daseins umfaßt, in der Meisterschaft
über die innere wie die äußere – ja, mehr als die äußere, über unsere verborgene
ebenso wie über unsere vordergründige Natur. Unsere wahre Vollkommenheit kommt
nicht dadurch, daß wir auf der Ebene, auf der wir anfingen, immer weitere Kreise
beschreiben, sondern dadurch, daß wir über diese hinauskommen. Aus diesem Grunde
müssen wir, nachdem wir die ersten notwendigen Fundamente in Leben und Materie
gelegt haben, die Kraft unseres Bewußtseins verstärken, sie ausweiten und
verfeinern. Wir sollen zuerst unser mentales Selbst befreien und Zugang finden
zu einem freieren, feineren und edleren Spiel unseres mentalen Daseins. Denn
viel mehr als das physische ist das mentale unser wahres Sein, da wir gerade in
unserer instrumental ausdrucksstarken Natur vorwiegend Mental, und nicht
Materie, viel eher ein mentales als ein physisches Wesen sind. Dieses
Hineinwachsen in das vollständige mentale Wesen ist die erste Übergangsbewegung
zur menschlichen Vollkommenheit und Freiheit. Sie vervollkommnet und befreit die
Seele noch nicht eigentlich. Sie hebt uns aber eine Stufe höher aus dem völligen
Aufgezehrtsein im Materiellen und Vitalen und bereitet uns darauf vor, daß die
Unwissenheit ihre Macht über uns lockert.
Wenn wir vollkommenere mentale Wesen werden, besteht
unser Gewinn darin, daß wir die Möglichkeit zu einem feineren, höheren und
umfassenderen Sein, Bewußtsein und Glück, zu mehr Kraft und Freude unseres
Wesens erlangen. Je nachdem, wie wir auf der Stufenleiter des Mentals
emporsteigen, kommt eine höhere Macht dieser Dinge über uns. Unser mentales
Bewußtsein gewinnt für sich umfassendere Schau und
Macht; es wird subtiler und formbarer. Wir können mehr vom eigentlichen vitalen
und physischen Dasein in uns aufnehmen. Wir erkennen und verwenden es besser.
Wir bieten ihm edlere Werte, größere Reichweite und verfeinertes Wirken, – eine
ausgeweitete Stufenfolge und höhere Ziele. Der ihn charakterisierenden Macht
nach ist der Mensch ein mentales Wesen. Wenn er in die Evolution eintritt, hat
er bei den ersten Schritten jedoch mehr von einem mentalisierten Tier an sich,
das, wie das Tier, vor allem an seinem körperlichen Dasein interessiert ist.
Sein Mental verwendet er für den Gebrauch, die Interessen und das Begehren von
Leben und Körper, als deren Knecht und Diener, noch nicht als deren Herr und
Meister. In dem Umfang, in dem er in seinem Mental wächst, sein Mental sein
Selbst-sein und seine Unabhängigkeit von der Tyrannei des Lebens und der Materie
behauptet, gewinnt er auch an Gestalt. Auf der einen Seite kontrolliert und
erleuchtet das Mental durch seine Emanzipation das Leben und die Körperlichkeit.
Auf der anderen Seite gewinnen die rein mentalen Ziele, Aktivitäten und das
Streben nach Erkenntnis ihren Wert. Das von der niederen Kontrolle und
Vorherrschaft befreite Mental führt eine ordnende Regel in das Leben ein, hebt
es empor, verschönt es und entwickelt mehr Ausgeglichenheit und Harmonie. Die
vitalen und körperlichen Regungen werden gelenkt und zurechtgerückt. Sie werden,
soweit dazu geeignet, durch mentale Organisation umgewandelt. So werden sie dazu
angehalten, Werkzeuge der Vernunft zu werden und einem erleuchteten Willen,
einer sittlichen Anschauung und ästhetischen Intelligenz zu gehorchen. Je mehr
das erreicht wird, desto mehr wird die Rasse wahrhaft menschlich, zu einer Rasse
mentaler Wesen.
Diese Auffassung vom Leben wurde von den griechischen
Denkern in den Vordergrund gerückt. Lebendiges Aufblühen im Lichte dieses Ideals
verleiht dem hellenischen Leben und seiner Kultur einen so faszinierenden Glanz.
In späteren Zeiten ging diese Auffassung verloren. Als sie dann wieder
auftauchte, kam sie sehr vermindert wieder, mit anderen Elementen vermischt. Der
Souveränität des Mentals und der Harmonie des Lebens, seiner Schönheit und
Ausgeglichenheit stand die Verwirrung durch ein spirituelles Ideal im Wege, das
vom Verstand nur unvollkommen erfaßt und in der Lebenspraxis gar nicht
verwirklicht wurde. Doch war es mit seinen positiven und negativen mentalen und
moralischen Einflüssen gegenwärtig und hatte überdies den Druck eines
vorherrschenden ungeordneten vitalen Dranges gegen sich, der nicht zu einer freien, selbst-zufriedenen Bewegung kommen konnte. Man
gewann zwar Aufgeschlossenheit für höhere Ideale und mehr Ausweitung des Lebens.
Aber die Elemente des neuen Idealismus wurden nur als Einfluß auf diese
Aktivitäten geltend gemacht. Sie konnten nicht die Herrschaft in ihnen gewinnen
und sie umwandeln. Zuletzt wurde dann das auf solche Weise falsch verstandene
und nicht verwirklichte spirituelle Bemühen aufgegeben. Zwar verblieben dessen
moralische Auswirkungen; da sie aber der sie tragenden spirituellen Elemente
beraubt waren, waren sie zur Wirkungslosigkeit verurteilt. Der durch die
ungeheure Entwicklung seiner physischen Intelligenz unterstützte vitale Drang
wurde nun zur mächtigsten Antriebskraft des Menschengeschlechts. Das erste
Ergebnis war das imponierende Anwachsen einer bestimmten Art von Wissen und
praktischer Tüchtigkeit. Das jüngste Ergebnis ist eine gefährliche spirituelle
Erkrankung und gewaltige Unordnung.
Denn das Mental an und für sich ist nicht genug. Selbst
das reichste Spiel der Intelligenz schafft nur begrenztes Halb-Licht. Eine nur
äußerliche mentale Erkenntnis des physikalischen Universums ist ein
unvollkommener Führer. Für das denkende Tierwesen mag das genug sein, nicht aber
für ein Geschlecht mentaler Wesen, das in den Geburtswehen einer spirituellen
Evolution liegt. Allein durch die Physik und äußere Erkenntnis, nur durch die
Beherrschung der physikalischen und mechanischen Prozesse, kann die Wahrheit
selbst der physischen Dinge nicht voll erkannt, noch kann der rechte Gebrauch
unseres materiellen Daseins durch sie entdeckt oder ermöglicht werden. Zur
rechten Erkenntnis und Verwendung müssen wir über die Wahrheit der
physikalischen Phänomene und Prozesse hinausgehen. Wir müssen das erkennen, was
im Innern und dahinter ist. Wir sind nicht nur ein verkörpertes Mental. Es gibt
auch noch ein spirituelles Wesen, ein spirituelles Prinzip und eine spirituelle
Ebene der Natur. In sie sollen wir die Kraft unseres Bewußtseins erhöhen und
dadurch die Reichweite unseres Wesens und das Feld unseres Wirkens noch
umfassender, ja, allumfassend und unendlich gestalten. So sollen wir unser
niederes Leben emporheben und im Licht der spirituellen Wahrheit des Seins für
höhere Zwecke und auf umfassenderer Ebene verwenden. Erst dann kann das Ringen
unseres Mentals und der Kampf unseres Lebens zum Sieg kommen, wenn wir über die
uns beherrschende Führung durch die niedere Natur hinausgelangt sind, wenn unser
natürliches Wesen in Wesen und Bewußtsein des
Geistes integriert ist und wir gelernt haben, unsere natürlichen Instrumente
durch die Kraft und für die Freude des Geistes zu verwenden. Nur dann kann sich
die konstitutionelle Unwissenheit, die Unwissenheit in bezug auf die wirkliche
Struktur unseres Seins, unter der wir leiden, in ein wahres und wirksames Wissen
von unserem Wesen und Werden umwandeln. Denn eigentlich sind wir Geist, der
gegenwärtig vorwiegend das Mental, auf untergeordnete Art auch das Leben und den
Körper, verwendet, wobei die Materie unser ursprüngliches, doch nicht das
einzige Feld unserer Erfahrung ist. Das gilt freilich nur für den jetzigen
Zustand. Unsere unvollkommene mentale Instrumentation ist nicht das letzte Wort
unserer Möglichkeiten. Denn, schlafend oder unsichtbar und unvollkommen aktiv,
gibt es in uns andere Prinzipien, jenseits des Mentals und näher zur
spirituellen Natur. Es gibt unmittelbare Mächte und erleuchtete Instrumente,
einen höheren Zustand und größere Bereiche für ein dynamisches Wirken als die
unserem jetzigen physischen, vitalen und mentalen Dasein zugehörenden. Diese
können zu unserem eigenen Zustand, zu einem Teil unseres Wesens werden. Sie
können Prinzipien, Mächte und Instrumente unserer erweiterten Natur sein. Dafür
ist es aber nicht ausreichend, daß wir uns mit einem vagen oder ekstatischen
Aufschwung in den Geist oder mit einem gestaltlosen Entzücken wegen des Kontakts
mit den Unendlichkeiten zufriedengeben. Ihr Prinzip muß sich genauso evolutionär
entfalten, wie sich Leben und Mental entwickelt haben. Es muß seine eigene
Instrumentation, seine eigene Befriedigung organisieren. Erst dann werden wir
die wahre Verfassung unseres Wesens in Besitz, die Unwissenheit besiegt haben.
Die Überwindung unserer angeborenen Unwissenheit kann
erst dann vollständig und umfassend dynamisch sein, wenn wir unsere
psychologische Unwissenheit überwunden haben; denn beide sind eng miteinander
verbunden. Unsere psychologische Unwissenheit beruht in der Einschränkung der
Erkenntnis unseres Selbsts auf jene kleine Welle oberflächlicher Strömung in
unserem Wesen, die unser bewußtes waches Selbst ist. Diese Seite unseres Wesens
ist ursprünglich ein Dahinfließen formloser oder nur halb-formulierter
Bewegungen, die in automatischer Kontinuität weitergetragen werden. Sie wird
unterstützt und zusammengehalten durch eine aktive vordergründige Erinnerung und
durch ein passives zugrundeliegendes Bewußtsein. In ihrem
Dahinströmen von einem Augenblick zum anderen wird sie von unserer Vernunft und
unserer sie beobachtenden und an Ihr teilnehmenden Intelligenz organisiert und
interpretiert. Hinter ihr steht ein geheimes Sein und die Energie unseres
verborgenen Wesens. Ohne diese könnten das vordergründige Bewußtsein und seine
Aktivität nicht existiert oder gewirkt haben. In der Materie ist nur Aktivität
manifestiert, an der Außenseite der Dinge unbewußt, und das ist alles, was wir
erkennen. Denn das der Materie innewohnende Bewußtsein ist verborgen,
subliminal, nicht als unbewußte Form oder involvierte Energie manifest. In uns
jedoch ist das Bewußtsein teilweise manifest, teilweise wach geworden. Dieses
Bewußtsein ist aber noch eingesperrt und unvollkommen. Es ist durch seine
gewohnheitsmäßige Selbst-Begrenzung gefesselt und bewegt sich nur in einem
beschränkten Kreislauf, außer wenn es zu Lichtblitzen, zu Eingebungen oder einem
Aufwallen aus den geheimen Tiefen in unserem Innern kommt, die die Begrenzungen
der äußeren Form durchbrechen, über sie hinwegströmen oder den Wirkungskreis
ausweiten. Diese gelegentlichen Offenbarungen des Geistes können uns aber nicht
weit über unsere gegenwärtigen Fähigkeiten hinausbringen. Sie sind nicht stark
genug, um unseren Status zu revolutionieren. Das kann nur geschehen, wenn wir
die höheren, noch nicht geoffenbarten Lichter und Mächte hineinzubringen
vermögen, die in unserem Wesen potentiell vorhanden sind, und wenn wir sie
bewußt und normal im Kräftespiel einsetzen. Wir müssen fähig sein, uns aus jenen
Bereichen unseres Wesens zu versorgen, die uns zwar ursprünglich eigen,
gegenwärtig aber noch un-bewußt, eigentlich insgeheim innen-bewußt oder
außen-bewußt oder auch über-bewußt sind. Oder wir müssen – das geht zwar darüber
hinaus, ist aber doch möglich – in diese unsere eigenen inneren und höheren
Seiten gelangen durch einen Sprung nach innen oder durch diszipliniertes
Eindringen und dann ihre Geheimnisse mit uns nach außen zurückbringen. Oder wir
sollen eine noch radikalere Umwandlung unseres Bewußtseins erreichen und lernen,
in unserem Innern, nicht mehr nur an der Außenseite zu leben. Wir sollen aus den
inneren Tiefen und von der Seele her, die souverän über die Natur geworden ist,
sein und handeln.
Jene Seite von uns, die wir im engeren Sinn unterbewußt
nennen können, weil sie unterhalb des Mentals und des bewußten Lebens liegt,
diesem untergeordnet und dunkel, umfaßt die rein physischen und vitalen Elemente des Aufbaus unseres körperlichen Wesens,
unmentalisiert und unbeobachtet durch das Mental, von ihm in ihrer Aktivität
unkontrolliert. Man kann von diesem Unterbewußtsein annehmen, es enthalte das
dumpfe geheime Bewußtsein, das dynamisch, aber für unsere Sinne nicht
wahrnehmbar, in den Zellen, Nerven und im gesamten körperlichen Stoff tätig ist
und ihren Lebensprozeß und ihre automatischen Reaktionen einander anpaßt. Zu ihm
gehören auch jene niedersten Funktionsarten des versunkenen Sinnen-Mentals, die
sich mehr im Tier und im Pflanzenleben auswirken. Wir sind in unserer Evolution
über das Bedürfnis nach einem umfassend organisierten Wirken dieses Elements
hineingewachsen. Es bleibt aber untergetaucht und insgeheim unterhalb unserer
bewußten Natur am Werk. Diese dunkle Aktivität dehnt sich in einem verborgenen
und verkappten mentalen Substrat aus, in das vergangene Eindrücke und alles, was
aus dem vordergründigen Mental zurückgewiesen wird, hinabsinken, um dort
schlafend zu verbleiben. Das kann im Schlaf oder bei jeder Abwesenheit des
Mentals emporkommen und vielerlei Gestaltungen annehmen: Formen von Traum; von
mechanischer Aktion oder Suggestion des Mentals; Formen von automatischer
vitaler Reaktion oder von Impuls; Formen von physischer Abnormität oder nervöser
Störung; Formen von Krankhaftigkeit, von ungesundem oder unausgeglichenem
Verhalten. Gewöhnlich bringen wir aus dem Unterbewußten nur so viele Elemente an
die Oberfläche, wie unser Sinnen-Mental und unsere Intelligenz in ihrem
Wachzustand für ihre Zwecke benötigen. Wenn wir sie so aufsteigen lassen, sind
wir ihrer Art, ihres Ursprungs und ihrer Wirkweise nicht bewußt. Wir begreifen
sie auch nicht in ihren eigenen Werten, sondern dadurch, daß wir sie in die
Wertordnung unserer wachen menschlichen Sinne und unserer Intelligenz
übertragen. Diese Aufwallungen aus dem Unterbewußtsein, ihre Auswirkungen auf
Mental und Körper sind aber zumeist automatisch, nicht bewußt hervorgerufen,
sondern unwillkürlich. Denn wir wissen ja nichts vom Unterbewußten und können es
darum auch nicht kontrollieren. Wir können nur durch eine für uns abnorme
Erfahrung, zumeist in einer Krankheit oder in einer Störung unseres seelischen
Gleichgewichts, unmittelbar gewisser Regungen unseres körperlichen Wesens und
unserer Vitalität in dieser dumpfen, aber sehr aktiven Welt innewerden. Oder wir
gewahren die geheimen Regungen des mechanischen untermenschlichen physischen und
vitalen Mentals, das unserem äußeren
Wesen
zugrundeliegt, ein Bewußtsein, das zwar uns gehört, das aber deshalb nicht unser
eigenes zu sein scheint, weil es kein Teil der uns bekannten Mentalität ist. All
das und noch viel mehr lebt verborgen im Unterbewußtsein.
Es würde uns nichts helfen, wenn wir hinab ins Unterbewußte eindringen würden, um diesen Bereich zu erforschen. Denn das würde uns in eine verworrene Zusammenhanglosigkeit, in einen Schlafzustand, in eine dumpfe Trance oder eine komaähnliche Lethargie stürzen. Mentale Untersuchung oder Einsicht kann uns nur eine gewisse indirekte und konstruierte Vorstellung von diesen verborgenen Wirkweisen verschaffen. Erst wenn wir uns in das Subliminale zurückziehen oder ins Überbewußte aufschwingen und von dort herabschauen oder wenn wir uns selbst in diese dunklen Tiefen ausweiten, können wir unmittelbar und vollständig der Geheimnisse unserer unterbewußten physischen, vitalen und mentalen Natur innewerden und sie beherrschen. Dieses Innesein und diese Beherrschung sind für uns äußerst wichtig. Denn das Unterbewußte ist das Unbewußte in seinem Bemühen, bewußt zu werden. Es ist eine hilfreiche Stütze und sogar die Wurzel der niederen Seiten unseres Wesens und ihrer Bewegungen. Es fördert und verstärkt alles in uns, was sich am meisten an das Bestehende festklammert und eine Umwandlung verweigert: die dauernde mechanische Wiederkehr unintelligenten Denkens; unser Beharren in Fühlen, Empfinden, Impuls und Neigungen; unser Ausgeliefertsein an die Erstarrungen im Charakter. Das Tier in uns, aber auch das Teuflische, hat im dichten Dschungel des Unterbewußtseins seine versteckten Schlupfwinkel. Wenn ein höheres Leben oder vollständige Umwandlung der Natur erreicht werden soll, ist es unausweichlich, daß wir dorthin vordringen, Licht hineinbringen und eine feste Kontrolle errichten.
Ein noch viel machtvolleres und wertvolleres Element im
Aufbau unseres Wesens ist das, was wir als das In-uns-Bewußte und als das
Außerhalb-von-uns-Bewußte charakterisiert haben. Es umfaßt das ausgedehnte
Wirken einer inneren Intelligenz und eines inneren Sinnen-Mentals, eines inneren
Vitals und sogar eines inneren subtil-physischen Wesens, das unser waches
Bewußtsein aufrecht erhält und umfaßt, das aber nicht in den Vordergrund
gebracht wird, sondern, nach der modernen Bezeichnung, subliminal ist. Wenn wir
aber in dieses verborgene Selbst eindringen und es erforschen können, finden
wir, daß unsere wachen Sinne und unsere
Intelligenz zumeist eine Auswahl von dem sind, was wir insgeheim sind oder sein
können, eine veräußerlichte, stark verstümmelte und vergröberte Ausgabe von
unserem wirklichen, unserem verborgenen Wesen oder ein Ausbruch aus seinen
Tiefen. Unser vordergründiges Wesen ist mit dieser subliminalen Hilfe durch
Evolution aus dem Unbewußten zugunsten unseres gegenwärtigen mentalen und
physischen Lebens auf Erden erschaffen worden. Dieses Subliminal im Hintergrund
ist eine Gestaltung, die zwischen dem Unbewußten und den umfassenderen Ebenen
von Leben und Mental vermittelt, die durch das involutionäre Herabkommen
erschaffen wurden und deren Druck dazu geholfen hat, die Entwicklung von Mental
und Leben aus der Materie zustande zu bringen. Unsere vordergründigen Reaktionen
auf das physische Dasein haben die Unterstützung durch die Aktivität dieser
verhüllten Teile hinter sich. Sie sind oft deren Reaktionen, verändert durch die
vordergründige mentale Wiedergabe. Ebenso ist aber jener umfassende Teil unserer
Mentalität und Vitalität, der nicht eine Reaktion auf die äußere Welt ist,
sondern für sich lebt oder sich nach außen auf das materielle Dasein projiziert,
um es zu verwenden und zu besitzen, also unsere Personalität, das Ergebnis, das
Amalgam von Mächten, Einflüssen, Motiven, die aus dieser machtvollen
innerlich-bewußten, geheimen Sphäre hervorgehen.
Das Subliminal dehnt sich wiederum in ein uns
umhüllendes Bewußtsein aus, durch das es die Wellen aus den Energie-Strömen und
Stromkreisen empfängt, die sich vom universalen Mental, vom universalen Leben
und den universalen subtileren Materie-Kräften her auf uns ergießen. Diese sind
uns an der Außenseite nicht wahrnehmbar, werden aber von unserem subliminalen
Selbst wahrgenommen und empfangen. Sie werden in Formen umgewandelt, die unser
Dasein ohne unser Wissen machtvoll beeinflussen können. Wäre die Wand, die
dieses innere Dasein vom äußeren Selbst trennt, durchstoßen, wir könnten die
Ursprünge unserer gegenwärtigen Mental-Energien und Lebens-Aktion erkennen und
mit ihnen umgehen. Wir könnten ihre Ergebnisse beherrschen, statt ihnen
unterworfen zu sein. Aber wenn auch weite Teile davon beim Durchstoßen der
Trennungswand, wenn wir so in das Innere schauen oder zu einer freieren
Kommunikation mit dem Innern gelangen, von uns erkannt werden könnten, können
wir doch nur dadurch, daß wir in unser Inneres, hinter den Schleier des äußeren Mentals eindringen und im Innern, in einem inneren Mental,
einem inneren Leben und einer innersten Seele leben, unseres Selbsts vollständig
innewerden, nur hierdurch und wenn wir uns auf eine Ebene unseres Mentals
emporschwingen, die höher liegt als die von unserem wachen Bewußtsein bewohnte.
Ergebnis eines solchen verinnerlichten Lebens wäre die Ausweitung und
Vervollkommnung unseres gegenwärtigen evolutionären Zustands, der jetzt noch
sehr behindert und verstümmelt ist. Eine Entwicklung darüber hinaus kann aber
nur zustande kommen, wenn wir dessen bewußt werden, was jetzt noch für uns
überbewußt ist, wenn wir zu den ursprünglichen Höhen des Geistes emporsteigen.
Zu der Überbewußtheit jenseits unserer gegenwärtigen
Bewußtseinsebene gehören ebenso die höheren Bereiche des mentalen Wesens wie die
ursprünglichen Höhen des Supramentalen und des rein Spirituellem. In einer
aufsteigenden Evolution wäre der erste unentbehrliche Schritt, unsere
Bewußtseins-Kraft in diese höheren Bereiche des Mentals zu erheben, aus denen
wir jetzt schon, ohne deren Ursprung zu kennen, viel von unseren umfassenderen
mentalen Regungen empfangen. Das sind besonders jene, die mit mehr Macht und
hellerem Licht kommen, die offenbarenden, inspirierenden und intuitiven. Auf
diesen mentalen Höhen und in diesen ausgedehnten Weiten könnte, wenn es dem
Bewußtsein gelingen würde, sie zu erreichen oder sich dort zu behaupten und zu
zentrieren, etwas von der unmittelbaren Gegenwart und Macht des Geistes, etwas – wenn auch nur sekundär oder mittelbar
– vom Supramental ersten Ausdruck finden.
Es könnte sich hier in seinen Anfängen offenbaren, in die Lenkung unseres
niederen Wesens eingreifen und helfen, es umzuformen. Durch die Kraft des
umgewandelten Bewußtseins könnte dann die Evolution in sublimerem Aufstieg
weiter emporgelangen und über das Mental hinaus in das Supramental und in die
höchste spirituelle Natur eingehen. Es ist möglich, daß wir ohne tatsächlichen
Aufstieg in diese jetzt noch überbewußten mentalen Ebenen kommen, daß wir ohne
ständig oder dauernd in ihnen zu leben, bis zu einem gewissen Grad von unserer
konstitutionellen und psychologischen Unwissenheit befreit werden, daß wir für
sie offen sind und etwas von ihrem Wissen und ihren Einflüssen empfangen. Wir
können unserer als spiritueller Wesen bewußt werden und, wenn auch unvollkommen,
unser normales menschliches Leben und Bewußtsein spiritualisieren. Es könnte
dazu kommen, daß wir bewußt mit dieser höheren erleuchteten Mentalität in Kommunikation treten und von ihr gelenkt werden. Wir
könnten ihre erleuchtenden und umwandelnden Kräfte empfangen. Das liegt im
Bereich des hoch entwickelten oder des spirituell erwachten menschlichen Wesens.
Aber das wäre nicht mehr als nur eine vorläufige Stufe. Um vollständige
Erkenntnis des Selbsts, ein umfassendes Bewußtsein und die volle Macht des
Wesens zu erlangen, ist es notwendig, daß wir über die Ebene unseres normalen
Mentals emporkommen. Solches Emporkommen ist gegenwärtig in einer vertieften
Überbewußtheit möglich. Das führt aber nur dazu, daß wir in diese höheren
Bereiche in einem Zustand unbeweglicher oder ekstatischer Trance eintreten. Wenn
die Herrschaft des höchsten spirituellen Wesens über unserem wachen Leben
errichtet werden soll, muß es dazu kommen, daß wir uns bewußt in unermeßliche
Bereiche eines neuen Wesens erhöhen und ausdehnen, in ein neues Bewußtsein, in
neue Wirkmöglichkeiten des Handelns und daß wir, so vollständig wie möglich,
unser gegenwärtiges Wesen, Bewußtsein und Handeln mit empornehmen und in
göttliche Werte umwandeln. Das alles würde eine Umgestaltung unseres
menschlichen Daseins bewirken. Denn überall da, wo ein radikaler Übergang
vollzogen werden muß, gibt es in der Methode der Natur, wie sie über sich selbst
hinauskommt, immer diese dreifache Bewegung: Emporsteigen – Ausweitung von Feld
und Basis – Integration.
Jede solche evolutionäre Umwandlung muß notwendiger
weise eng verbunden sein mit einer Zurückweisung unserer gegenwärtigen,
einengenden, zeitbedingten Unwissenheit. Denn wir leben nicht nur jetzt von
einem Augenblick zum anderen, unser Ausblick ist eingeengt durch unser Leben in
dem jetzigen Körper zwischen einer einzigen Geburt und dem Tod. So wie unser
Blick nicht weiter in die Vergangenheit zurückreicht, so reicht er auch nicht
weiter in die Zukunft. Wir sind darum durch unsere physische Erinnerung und
unser Bewußtsein des gegenwärtigen Lebens in einer vergänglichen körperlichen
Gestaltung eingeschränkt. Diese Begrenztheit unseres zeitbedingten Bewußtseins
hängt zuinnerst davon ab, daß unsere Mentalität ausschließlich auf die
materielle Ebene und das materielle Leben konzentriert ist, in dem sie
gegenwärtig handelt. Diese Begrenzung ist kein Gesetz des Geistes, sondern eine
vorübergehende Vorkehrung für ein beabsichtigtes erstes Wirken unserer
offenbaren Natur. Wenn dieses vordringliche Interesse abgeschwächt oder
aufgegeben, eine Ausweitung des Mentals bewirkt und
eine Öffnung ins Subliminale und Überbewußte, in das innere und höhere Wesen
geschaffen wird, ist es möglich, daß wir unser immerwährendes Dasein in der Zeit
ebenso realisieren wie unser ewiges Sein jenseits von ihr. Das ist wesentlich,
wenn wir unsere Selbst-Erkenntnis in den richtigen Brennpunkt rücken wollen.
Denn gegenwärtig ist unser ganzes Bewußtsein und Wirken durch eine irrige
spirituelle Perspektive verfälscht, die uns daran hindert, die Natur, den Zweck
und die Bedingungen unseres Wesens in der richtigen Proportion und Relation zu
sehen. In den meisten Religionen wird die Überzeugung von der Unsterblichkeit
deshalb zu einem so lebenswichtigen Gesichtspunkt erhoben, weil sie eine sich
selbst bezeugende Notwendigkeit ist, wenn wir über die Identifizierung unseres
Selbsts mit dem Körper und über dessen vordringliches Interesse an der
materiellen Ebene hinauskommen wollen. Aber ein solches Fürwahrhalten ist nicht
ausreichend, um diesen Fehler unserer Perspektive gründlich zu verändern. Die
wahre Selbst-Erkenntnis unseres Wesens in der Zeit kann uns nur dann zuteil
werden, wenn wir im Bewußtsein unserer Unsterblichkeit leben. Wir müssen zu
einem greifbaren Empfinden für unser dauerndes Wesen in der Zeit und für unser
zeitloses Sein erwachen.
Denn in ihrem fundamentalen Sinn bedeutet
Unsterblichkeit nicht nur irgendein personales Überleben des körperlichen Todes.
Wir sind unsterblich dadurch, daß unser Selbst ohne Anfang und Ende ewig ist. Es
steht über aller Aufeinanderfolge der physischen Geburten und Tode, durch die
wir hindurchgehen, jenseits der Veränderungen unseres Daseins in dieser Welt
oder in anderen Welten. Das zeitlose Sein des Geistes ist die wahre
Unsterblichkeit. Zweifellos gibt es auch eine sekundäre Bedeutung dieses Wortes,
die ihre Wahrheit besitzt. Denn als natürliche Folge der wahren Unsterblichkeit
gibt es die Kontinuität unseres in der Zeit verlaufenden Seins und unserer
Erfahrung von einem Leben zum anderen, von einer Welt zur anderen, nach
Auflösung des physischen Körpers. Das ist aber eine natürliche Konsequenz
unserer Zeitlosigkeit, die sich hier als ein unaufhörliches Fortbestehen in der
ewigen Zeit zum Ausdruck bringt. Diese Realisation zeitloser Unsterblichkeit
entsteht dadurch, daß wir das Selbst in der Nicht-Geburt und in dem
Nicht-Werden, sowie den unwandelbaren Geist in unserem Innern erkennen. Die
Realisation der Unsterblichkeit gelingt, indem wir das Selbst in der Geburt und
im Werden erkennen. Das wird in ein Empfinden andauernder Identität der Seele
durch den Wandel von Mental, Leben und Körper
hindurch übertragen. Auch das ist nicht nur reines Überleben, vielmehr
Zeitlosigkeit, die in die Zeit-Manifestation übertragen wird. Durch die erste
Realisation werden wir vom verfinsternden Unterworfensein unter die Kette von
Geburt und Tod befreit. Das ist das höchste Anliegen vieler indischer
Disziplinen. Wenn die zweite Realisation der ersten hinzugefügt wird, können wir
in freier Weise, mit der rechten Erkenntnis, ohne Unwissenheit, ohne durch die
Kette unserer Handlungen gebunden zu sein, die Erfahrungen des Geistes in seinen
zeitlosen Aufeinanderfolgen besitzen. Eine Realisation des zeitlosen Seins an
sich könnte nicht die Wahrheit dieser Erfahrung des in der ewigen Zeit
andauernden Selbsts beinhalten. Eine Realisation des Überlebens des Todes könnte
an sich unserem Dasein noch Raum geben für einen Anfang und ein Ende. Wenn wir
aber jede dieser beiden Realisationen wahrhaft als Seite und Gegenseite der
einen Wahrheit ansehen, ist es die Substanz des Wandels, daß wir bewußt in der
Ewigkeit leben und nicht in der Gebundenheit an die Stunde und an die
Aufeinanderfolge des Augenblicks. So zu existieren ist die erste Bedingung für
das göttliche Bewußtsein und für das göttliche Leben. Von dieser inneren
Ewigkeit des Wesens her Verlauf und Prozeß des Werdens zu besitzen und zu
lenken, ist die zweite, die dynamische Bedingung. Spiritueller Selbst-Besitz und
Selbst-Meisterschaft ist ihr praktisches Ergebnis. Diese Umwandlungen sind nur
möglich, wenn wir uns aus dem uns aufzehrenden Interesse am Materiellen
zurückziehen – was jedoch nicht eine Zurückweisung oder Mißachtung des Lebens im
Körper notwendig macht – und ständig auf den inneren und höheren Ebenen des
Mentals und des Geistes leben. Denn das Emporheben unseres Bewußtseins in sein
spirituelles Prinzip wird dadurch bewirkt, daß wir emporsteigen und nach innen
zurücktreten – diese beiden Bewegungen sind wesentlich –, heraus aus unserem
vergänglichen Leben von Augenblick zu Augenblick in das ewige Leben unseres
unsterblichen Bewußtseins. Damit kommen wir aber auch zu einer Ausweitung
unseres Bewußtseins und unseres Aktionsfeldes in der Zeit. Wir nehmen unser
mentales, vitales und körperliches Dasein mit empor und geben ihm eine höhere
Verwendung. Daraus entsteht die Erkenntnis unseres Wesens. Es ist nun nicht
länger ein vom Körper abhängiges Bewußtsein sondern ewiger Geist, der alle die
Welten und Lebensabläufe für eine mannigfaltige Selbst-Erfahrung verwendet. Wir
erkennen, daß unser Wesen eine spirituelle Wesenheit ist, die ein beständiges
Seelen-Leben besitzt, das seine Aktivitäten durch aufeinanderfolgende
physische Daseinsabläufe entwickelt, ein Wesen, das sein eigenes Werden
bestimmt. Mit dieser Erkenntnis, die nicht ideativ ist, sondern die wir in
unserer Stofflichkeit fühlen, wird es uns möglich, nicht als die Sklaven eines
blinden Zwanges von karma, sondern als Meister unseres Wesens und unserer Natur
zu leben, allein dem Göttlichen Wesen in unserem Innern untertan.
Zugleich werden wir aber auch frei von der ichhaften
Unwissenheit. Denn solange wir an irgendeinem Punkt durch diese gebunden sind,
muß das göttliche Leben entweder unerreichbar oder in seinem Selbst-Ausdruck
unvollkommen sein. Das Ich verfälscht unsere wahre Individalität, indem es sich
mit diesem Leben, diesem Mental und diesem Körper identifiziert und auf diese
Weise selbst begrenzt. Das Ich bewirkt eine Trennung von anderen Seelen, was uns
in unsere individuelle Erfahrung einmauert und daran hindert, als universales
Individuum zu leben. Das ist Lostrennung von Gott, unserem höchsten Selbst, der
das Eine Selbst in allen existierenden Wesen und der Göttliche Bewohner in
unserem Innern ist. Wenn sich nun unser Bewußtsein in die Höhe, Tiefe und Weite
des Geistes umwandelt, kann das Ich dort nicht weiter leben. Es ist zu klein und
zu schwach, als daß es in dieser ungeheuren Weite bestehen könnte. Darum löst es
sich in ihr auf. Denn es existiert durch seine Begrenzungen und geht mit deren
Verlust zugrunde. Das Wesen bricht aus seiner Gefangenschaft in einer
abgesonderten Individualität aus. Es nimmt das kosmische Bewußtsein an, in dem
es sich mit dem Selbst und dem Geist, mit Leben, Mental und Körper aller Wesen
identifiziert. Oder es bricht nach oben aus, zu einer erhabenen Gipfelhöhe,
Unendlichkeit und Ewigkeit des Selbst-Seins, unabhängig von seinem kosmischen
oder seinem individuellen Dasein. Das Ich fällt in sich zusammen. Es verliert
dabei seine Trennungswand und weitet sich in die kosmische Unermeßlichkeit aus.
Oder es versinkt ins Nichts, unfähig, in den Bereichen spirituellen Äthers zu
atmen. Wenn durch Gewohnheit der Natur noch etwas von seinen Regungen übrig
bleibt, so fallen nun auch diese weg und werden durch ein neues
apersonal-personales Schauen, Fühlen und Handeln ersetzt. Dieses Verschwinden
führt aber nicht zur Zerstörung unserer wahren Individualität, unseres
spirituellen Seins. Denn dieses war immer universal und eins mit der
Transzendenz. Vielmehr kommt es zu einer Transformation, die das trennende Ich
durch den purusha ersetzt, durch ein bewußtes Angesicht und eine Gestalt des universalen Wesens, durch das Selbst und die
Macht des transzendenten Göttlichen Wesens in der kosmischen Natur. In derselben
Bewegung kommt es gerade durch dieses Erwachen in den Geist zu einer Auflösung
der kosmischen Unwissenheit. Denn wir haben nun das Wissen von uns selbst, daß
wir unser zeitloses unveränderliches Selbst sind, das sich innerhalb des Kosmos
und jenseits davon besitzt. Dieses Wissen wird zur Grundlage für das Göttliche
Kräfte-Spiel in der Zeit. Es hebt den Widerstreit zwischen dem Einen und den
Vielen auf. Es versöhnt die ewige Einheit mit der ewigen Vielheit. Es vereinigt
wieder die Seele mit Gott und entdeckt das Göttliche Wesen im Universum. Durch
diese Realisation können wir uns dem Absoluten als dem Ursprung aller
Verhältnisse und Beziehungen nahen. Wir können die Welt in uns selbst in
äußerster Weite und bewußter Abhängigkeit von ihrem Ursprung besitzen. Wenn wir
sie so nehmen, heben wir sie empor und realisieren durch sie die absoluten
Werte, die alle im Absoluten konvergieren. Wenn so unsere Selbst-Erkenntnis in
all ihren wesenhaften Seiten vollkommen geworden ist, wird unsere praktische
Unwissenheit, die sich in ihren Extremen als Missetat, Leiden, Lüge und Irrtum
darstellt und die Ursache aller Verwirrungen und Disharmonien des Lebens ist,
ihren Platz an den rechten Willen der Selbst-Erkenntnis abtreten. Ihre falschen
oder unvollkommenen Werte werden dann den göttlichen Werten der wahren
Bewußtseins-Kraft und des ananda weichen. Für rechtes Bewußtsein, rechtes
Handeln, rechtes Wesen – nicht im unvollkommenen Sinn unserer kleinlichen Moral
sondern in der weiten, erleuchteten Bewegung eines göttlichen Lebens – sind die
Einung mit Gott, die Einheit mit allen Wesen, ein Leben, das gelenkt und geformt
wird von innen nach außen, Voraussetzung. In ihm wird der Ursprung für alles
Denken, Wollen und Handeln der Geist sein, der durch die Wahrheit und das
göttliche Gesetz wirkt. Beide werden nicht durch das Mental der Unwissenheit
erfaßt und konstruiert, sondern sind selbst-seiend und in ihrer Selbst-Erfüllung
spontan. Sie sind nicht so sehr Gesetz als vielmehr die Wahrheit, die in ihrem
eigenen Bewußtsein und in einem freien, erleuchteten, formbaren, selbsttätigen
Verfahren ihres Wissens handelt.
Es hat demnach den Anschein, Methode und Ergebnis einer
bewußten spirituellen Evolution ist: die Transformation des Lebens der
Unwissenheit in das göttliche Leben des der Wahrheit bewußten Geistes; die
Umwandlung aus der mentalen in eine spirituelle und supramentale Art des Wesens; die Selbst-Ausweitung aus der siebenfachen
Unwissenheit in das siebenfache Wissen. Diese Transformation wäre die natürliche
Vollendung des aufwärts gerichteten Prozesses der Natur, wenn sie die Kräfte des
Bewußtseins von dem einen Prinzip zu einem anderen, höheren emporhebt, bis das
höchste Prinzip, das spirituelle, in ihr ausgedrückt und vorherrschen wird, bis
dieses das kosmische und individuelle Dasein auf den niederen Ebenen in seine
Wahrheit empornimmt und alles in eine bewußte Manifestation des Geistes
umwandelt. Das wahre Individuum, das spirituelle Wesen, tritt hervor. Es ist
individuell und doch universal, universal und doch selbst-transzendent. Leben
erscheint nun nicht mehr als eine Gestaltung von Dingen und als ein Handeln des
Wesens, das durch die sondernde Unwissenheit erschaffen ist.
Kapitel XX. Die Philosophie der Wiedergeburt
Ein Ende haben diese
Leiber einer verkörperten Seele, die ewig ist... Sie wird nicht geboren, und sie
stirbt nicht. Auch ist es nicht so, daß sie, wenn sie einmal gewesen ist, nicht
wieder sein wird. Sie ist ungeboren, uralt, ewig-dauernd. Sie wird nicht
getötet, wenn der Körper getötet wird. Wie ein Mensch seine abgetragenen Kleider
ablegt und neue anzieht, so legt auch das verkörperte Wesen seine Leiber ab und
vereinigt sich wieder mit anderen, die neu sind. Der Tod dessen, das geboren
ist, ist sicher, und sicher ist die Geburt dessen, das stirbt.
Gita, II. 18,20,22,27.
Es gibt eine Geburt und ein Wachsen des Selbsts. Je nach seinen Taten nimmt der verkörperte Mensch nacheinander Gestaltungen an vielen Orten an. Er nimmt viele grobe und feine Gestaltungen an durch die Kraft seiner natürlichen Eigenschaften.
Svetasvatara Upanishad, V. 11,12.
Geburt ist das erste spirituelle Geheimnis des
physischen Universums, Tod das zweite. Er gibt dem Geheimnis der Geburt seine
zweifache Rätselhaftigkeit. Denn das Leben, das sonst eine selbstverständliche
Tatsache des Daseins wäre, wird nun selbst zu einem Geheimnis dank dieser
beiden, die sein Anfang und sein Ende zu sein scheinen, sich aber auf tausend
Arten als keines von beiden, vielmehr als Mittel-Stufen in einem geheimnisvollen
Prozeß des Lebens erweisen. Auf den ersten Blick möchte es scheinen, als sei die
Geburt ein ständiges Hervorbrechen von Leben in einem allgemeinen Tod, ein
beharrlich fortdauernder Umstand in der universalen Leblosigkeit von Materie.
Bei näherer Untersuchung wird es jedoch wahrscheinlicher, daß Leben etwas in die
Materie Involviertes oder sogar eine der Energie, die Materie erschafft,
innewohnende Macht ist. Sie kann aber nur dann in Erscheinung treten, wenn sie
die notwendigen Voraussetzungen dazu bekommt, die für sie charakteristischen
Phänomene sicher durchzusetzen und eine für sie geeignete Organisation zu
erschaffen. Doch gibt es bei der Geburt des
Lebens noch etwas mehr, das an seinem Hervortreten mitwirkt, ein Element, das
nicht mehr materiell ist, das starke Hervorbrechen der Flamme einer Seele, eine
erste sichtbare Schwingung des Geistes.
Alle bekannten Umstände und Resultate der Geburt lassen uns ein Unbekanntes ahnen, das vor ihr ist, Und ebenso legt sich uns eine Universalität nahe, ein Wille zum dauernden Beharren des Lebens, ein Fehlen von Schlüssigkeit beim Tod, das auf etwas Unbekanntes danach hinzuweisen scheint. Was waren wir vor der Geburt, was sind wir nach dem Tod? Das sind die Fragen, deren Beantwortungen voneinander abhängen. Von Anfang an hat der Intellekt des Menschen sich diese Fragen gestellt, ohne daß er bis jetzt bei einer endgültigen Lösung zur Ruhe kommen kann. Tatsächlich kann der Intellekt kaum die endgültige Antwort geben. Denn diese muß ihrer Natur nach jenseits der Gegebenheiten des physischen Bewußtseins und Gedächtnisses sowohl der menschlichen Rasse wie des Individuums liegen. Und das sind doch die einzigen Gegebenheiten, die der Intellekt mit so etwas wie Vertrauen zu konsultieren gewöhnt ist. Bei diesem Mangel an Materialien und bei dieser Ungewißheit schweift er immer weiter von einer Hypothese zur anderen; jede nennt er der Reihe nach einen gültigen Schluß. Überdies hängt die Lösung von Natur, Ursprung und Ziel der kosmischen Bewegung ab. Je nachdem wir diese bestimmen, müssen wir auch unsere Schlüsse in Bezug auf Geburt, Leben und Tod, auf das Vorher und das Nachher ziehen.
Die erste Frage ist, ob das Vorher und das Nachher
etwas rein Physisches und Vitales oder in gewisser Beziehung, gar überwiegend,
etwas Mentales und Spirituelles ist. Kein weiteres Fragen wäre möglich, wenn
Materie das Prinzip des Universums wäre, wie der Materialist behauptet, wenn
sich die Wahrheit der Dinge in jener ersten Formel finden ließe, zu der
Bhrigu, der Sohn des Varuna, kam, als er über das ewige brahman
meditierte: “Die Materie ist das Ewige, denn aus der Materie werden alle Wesen
geboren, durch die Materie existieren alle Wesen, und zur Materie scheiden alle
Wesen hin und kehren sie zurück.” Das Vorher unserer Körper bestände dann im
Einsammeln dessen, was sie aufbaut, aus den verschiedenen physischen Elementen
durch Vermittlung des Samens und der Nahrung, vielleicht auch unter dem Einfluß
verborgener, aber immer materieller Energien. Und das Vorher unseres bewußten
Wesens wäre eine Vorbereitung durch Vererbung oder
einen anderen physisch-vitalen oder physisch-mentalen Vorgang in der universalen
Materie, die ihre Aktivität auf diesen Einzelnen ausrichtet und ihn durch die
Körper seiner Eltern, durch Samen, Gen und Chromosom aufbaut. Das Nachher des
Körpers wäre dann seine Auflösung in die materiellen Elemente und das Nachher
des bewußten Wesens ein Zurücksinken in die Materie, wobei vielleicht die
Auswirkungen seiner Aktivität im allgemeinen Mental und Leben der Menschheit
überleben würden. Dieses letztere ziemlich illusorische Überleben würde unsere
einzige Chance für die Unsterblichkeit sein. Da man aber nicht mehr die
Universalität der Materie für eine ausreichende Erklärung der Existenz des
Mentals halten kann und da tatsächlich auch Materie selbst nicht länger allein
durch Materie erklärt werden kann, weil sie nicht selbst-existent zu sein
scheint, werden wir von dieser leichten und naheliegenden Lösung auf andere
Hypothesen zurückgeworfen.
Eine von diesen ist der alte religiöse Mythus und das dogmatische Mysterium von einem Gott, der ständig unsterbliche Seelen aus seinem Wesen, durch seinen “Atem” oder durch die Lebens-Macht erschafft. Sie gehen, wie man annimmt, in die materielle Natur oder vielmehr in die Körper ein, die er in ihr erschafft und die er in ihrem Innern durch sein spirituelles Prinzip verlebendigt. Man kann dies als Mysterium des Glaubens hochhalten und braucht es nicht weiter zu untersuchen. Ist es doch Absicht der Glaubens-Mysterien, jenseits von Frage und Erforschung zu stehen. Für die Vernunft und die Philosophie fehlt dem aber die Überzeugungskraft. Es paßt nicht in die bekannte Ordnung der Dinge. Denn es enthält zwei Paradoxa, die einer gründlicheren Rechtfertigung bedürfen, bevor man ihnen überhaupt Beachtung schenken kann. Das erste ist die stündliche Erschaffung von Wesen, die zwar einen Anfang, aber kein Ende in der Zeit haben und die überdies durch die Geburt aus dem Körper geboren werden, aber nicht durch den Tod des Körpers enden. Das zweite Paradoxon ist die Annahme einer fertigbereiteten Masse kombinierter Eigenschaften, von Tugenden und Lastern, Fähigkeiten und Mängeln, Vorzügen und Behinderungen durch Temperament und andere Umstände, die ganz und gar nicht von ihnen selbst durch ein Wachsen zustande gebracht, sondern für sie durch willkürliche Anordnung, wenn nicht durch ein Gesetz der Vererbung, gemacht wurden, für die und für deren vollkommenen Gebrauch sie dennoch von ihrem Schöpfer verantwortlich gemacht werden.
Wir können, wenigstens
vorläufig, gewisse Dinge für legitime Mutmaßungen der philosophischen Vernunft
halten und fairerweise die Beweislast hinsichtlich ihres Gegenteils denen
auferlegen, die sie bestreiten. Zu diesen Postulaten gehört das Prinzip, daß
das, was kein Ende hat, notwendigerweise auch ohne Anfang sein muß. Alles, was
anfängt oder erschaffen ist, findet sein Ende: durch das Aufhören des Prozesses,
der es erschuf oder im Dasein erhält, durch die Auflösung der Materialien, aus
denen es zusammengesetzt ist, oder durch das Ende der Funktion, um deretwillen
es ins Dasein kam. Wenn es für dieses Gesetz eine Ausnahme gibt, muß das durch
das Herabkommen des Geistes in die Materie geschehen, der die Materie mit
Göttlichkeit beseelt oder ihr seine eigene Unsterblichkeit verleiht. Aber der
Geist, der so herniederkommt, ist unsterblich, nicht gemacht oder erschaffen.
Wenn die Seele dazu geschaffen wurde, den Körper zu beseelen, wenn sie für ihren
Eintritt ins Dasein vom Körper abhing, kann sie keinen Grund und keine Grundlage
mehr für ihre Existenz haben, nachdem der Körper verschwunden ist. Es ist eine
natürliche Annahme, daß der “Atem” oder die Macht, die dem Körper zu seiner
Beseelung verliehen wurde, nach dessen endgültiger Auflösung wieder zu ihrem
Schöpfer zurückkehrt. Wenn sie statt dessen als ein unsterbliches verkörpertes
Wesen weiterbesteht, muß es einen subtilen oder psychischen Körper geben, in dem
sie weiterexistiert. Dann ist ziemlich sicher, daß dieser psychische Körper und
sein Bewohner vor dem materiellen Körper existent gewesen sein muß. Es ist
irrational, anzunehmen, sie seien ursprünglich nur dazu geschaffen worden, diese
kurzlebige, vergängliche Gestalt zu bewohnen. Ein unsterbliches Wesen kann nicht
das Ergebnis eines so kurzlebigen Vorfalls in der Schöpfung sein. Wenn die Seele
aber in einem körperlosen Zustand übrigbleibt, kann sie wegen ihres Daseins
nicht ursprünglich von einem Körper abhängig gewesen sein. Sie muß vor der
Geburt ebenso als ein nicht verkörperter Geist existiert haben, wie sie in ihrer
körperlosen spirituellen Wesenheit nach dem Tod fortdauert.
Weiterhin können wir annehmen, daß dort, wo wir in der
Zeit eine gewisse Entwicklungsstufe wahrnehmen, eine Vergangenheit dieser
Entwicklung vorausgegangen sein muß. Wenn darum eine Seele in dieses Leben mit
einer gewissen Entwicklung von Personalität eintritt, muß diese in anderen
vorausgegangenen Leben hier oder anderswo vorbereitet worden sein. Wenn sie aber
nur ein voraus gefertigtes Leben und eine
Persönlichkeit annimmt, die nicht von ihr vorbereitet worden ist, die vielleicht
durch eine körperliche, vitale oder mentale Vererbung vorbereitet wurde, muß sie
selbst etwas von diesem Leben und dieser Persönlichkeit völlig Unabhängiges
sein, etwas, das nur durch einen Zufall mit dem Mental und dem Körper verbunden
ist. Sie kann darum nicht wirklich von dem beeinflußt werden, was in diesem
mentalen und körperlichen Lebensablauf getan oder entwickelt wurde. Ist die
Seele etwas Wirkliches, ist sie unsterblich, kein konstruiertes Wesen oder nur
eine Erscheinung des Seienden, dann muß sie ebenso ewig, anfangslos in der
Vergangenheit wie endlos in der Zukunft sein. Wenn sie aber ewig ist, muß sie
entweder ein unwandelbares Selbst sein, das vom Leben und seinen
Gesetzmäßigkeiten nicht beeinträchtigt wird, oder ein zeitloser purusha,
eine ewige spirituelle Person, die in der Zeit einen Strom sich wandelnder
Personalität offenbart oder hervorruft. Ist sie eine solche Person, kann sie
diesen Strom von Personalität nur in einer Welt von Geburt und Tod dadurch
manifestieren, daß sie aufeinanderfolgende Körper annimmt, – mit einem Wort:
durch ständige Wiedergeburt in die Gestaltungen der Natur.
Aber die Unsterblichkeit oder Ewigkeit der Seele drängt
sich uns auch dann nicht ohne weiteres als notwendig auf, wenn wir die Deutung
ablehnen, alle Dinge seien aus einer ewigen Materie entstanden. Denn wir haben
da noch die Hypothese von der Erschaffung einer zeitweiligen Seele, die durch
die Macht jener ursprünglichen Einheit in Erscheinung trat, aus der alle Dinge
ihren Anfang nahmen, durch die sie leben und in die sie sich wieder auflösen.
Einerseits können wir auf der Grundlage gewisser moderner Ideen oder
Entdeckungen die Theorie von einem kosmischen Unbewußten aufstellen, das eine
vergängliche Seele erschafft, ein Bewußtsein, das nach einem kurzen Spiel
ausgelöscht wird und wieder ins Unbewußte zurückkehrt. Oder es könnte ein ewiges
Werden geben, das sich in einer kosmischen Lebens-Kraft offenbart, Wobei die
Materie als das eine, objektive Ende ihrer Operationen, das Mental als das
andere, subjektive Ende in Erscheinung tritt. Die Einwirkung dieser beiden
Phänomene der Lebens-Kraft aufeinander erschafft unser menschliches Dasein.
Andererseits haben wir die Theorie von einem allein existierenden Überbewußten,
einem ewigen unveränderlichen Wesen, das durch maya die Illusion eines
individuellen Seelen-Lebens in dieser Welt von phänomenalem Mental und Materie
zuläßt oder erschafft. Diese beiden seien letztlich unwirklich – selbst wenn sie eine kurzfristige und phänomenale Wirklichkeit besitzen oder
annehmen –, da das eine unwandelbare und ewige Selbst oder der Geist die einzige
Wirklichkeit sei. Oder wir haben die buddhistische Theorie von einem Nichts oder
nirvana und, diesem irgendwie aufgezwungen, ein ewiges Handeln oder eine
Energie aufeinanderfolgenden Werdens, karma, das die Illusion von einem
fortdauernden Selbst oder einer Seele durch die Kontinuität von Verknüpfungen,
Ideen, Erinnerungen, Empfindungen und Bildern erschafft. In ihrer Auswirkung auf
das Lebens-Problem sind diese drei Erklärungen praktisch eine einzige. Denn auch
das Überbewußte ist für die Zwecke des universalen Wirkens ein Äquivalent des
Unbewußten. Es kann nur seines eigenen unwandelbaren Selbst-Seins inne werden.
Die Erschaffung einer Welt von individuellen Wesen durch maya ist etwas
diesem Selbst-Sein Aufgezwungenes. Das findet statt vielleicht in einer Art
Schlaf des Bewußtseins, das in das Selbst versunken ist, susupti.16 Aus diesem treten dennoch alles aktive
Bewußtsein und die Abwandlung des phänomenalen Werdens genauso hervor, wie in
der modernen Theorie unser Bewußtsein eine vorübergehende Entfaltung aus dem
Unbewußten ist. In allen drei Theorien ist die in Erscheinung tretende Seele
oder spirituelle Individualität des Geschöpfes nicht unsterblich im Sinne von
Ewigkeit. Vielmehr hat sie einen Anfang und ein Ende in der Zeit, ist eine
Schöpfung von maya oder von einer Natur-Kraft oder eine kosmische Aktion
aus dem Unbewußten oder Überbewußten. Darum ist sie in ihrem Dasein ohne
Bestand. In allen drei Theorien ist Wiedergeburt entweder unnötig oder auch
etwas Illusorisches. Sie ist entweder die Verlängerung einer Illusion durch
deren Wiederholung. Oder sie ist ein zusätzliches, sich immer weiter drehendes
Rad unter den vielen Rädern des komplexen Werde-Mechanismus. Oder sie ist
deshalb ausgeschlossen, weil eine einzige Geburt alles ist, was ein bewußtes
Wesen erlangen kann, das durch Zufall als Teil einer unbewußten Schöpfung
entstanden ist.
Ob wir nun bei diesen Ansichten annehmen, das Eine
Ewige Sein sei ein vitales Werden oder ein unveränderliches und
unmodifizierbares spirituelles Wesen oder ein namenloses und formloses
Nicht-Seiendes, hier kann das, was wir die Seele nennen, nur eine sich wandelnde
Masse oder ein Strom von Bewußtseins-Phänomenen sein, der im Ozean eines wirklich illusorischen Werdens ins Dasein trat und hier auch zu
existieren aufhören wird. Oder die Seele ist vielleicht ein vergängliches
Substrat, ein bewußter Reflex des Überbewußten Ewigen, das durch seine Gegenwart
die Masse der Phänomene unterstützt. Sie ist nicht ewig. Ihre Unsterblichkeit
besteht nur daraus, daß sie längere oder kürzere Dauer im Werden besitzt. Sie
ist keine wirkliche und immer seiende Person, die den Strom oder die Masse der
Phänomene in Gang hält und ihre Erfahrung damit macht. Was diese in Gang hält,
was wirklich und immer existiert, ist entweder das eine ewige Werden oder das
eine ewige und apersonale Wesen oder der ständige Strom von Energie in seinen
Wirkweisen. Für eine Theorie dieser Art ist es entbehrlich, daß eine psychische
Wesenheit, und zwar immer dieselbe, fortdauert und Körper um Körper, Gestalt um
Gestalt annimmt, bis sie zuletzt durch irgendeinen Prozeß aufgelöst wird, der
zugleich auch den ursprünglichen Anstoß annulliert, der diesen Zyklus in Gang
gebracht hat. Es ist sehr wohl möglich, daß sich so, wie jede Gestaltung
entwickelt worden ist, auch ein der Form entsprechendes Bewußtsein entwickelt.
Wenn sich dann die Form auflöst, vergeht auch das entsprechende Bewußtsein mit
ihr. Nur das Eine, das alles gestaltet, dauert für immer fort. Oder wie der
Körper aus den allgemeinen Elementen der Materie zusammengewachsen ist und sein
Leben mit der Geburt beginnt und mit dem Tod beendet, kann sich auch das
Bewußtsein aus den allgemeinen Elementen des Mentals entwickelt haben. Es mag
ebenso mit der Geburt anfangen und mit dem Tod enden. Auch hier ist der Eine,
der durch maya oder auf andere Weise die Kraft liefert, die die Elemente
erschafft, die einzige Wirklichkeit, die fortdauert. Bei keiner dieser Theorien
des Seins ist die Wiedergeburt eine absolute Notwendigkeit oder ein
unvermeidliches Ergebnis der Theorie17
Tatsächlich erkennen wir jedoch einen großen
Unterschied. Denn die alten Theorien bejahen die Wiedergeburt als einen Teil des
universalen Prozesses, während die modernen sie verwerfen. Modernes Denken geht vom physischen Körper als der Basis unseres Daseins aus. Es
erkennt nicht die Wirklichkeit einer anderen als der Welt dieses materiellen
Universums an. Was es hier sieht, ist ein mentales Bewußtsein, das mit dem Leben
des Körpers eng verbunden ist, das bei seiner Geburt kein Anzeichen eines
vorhergehenden individuellen Daseins an sich trägt und das, wenn es den Körper
mit seinem Ende verläßt, nichts andeutet von einem darauffolgenden individuellen
Dasein. Was vor der Geburt war, sei die materielle Energie mit ihrem
Lebens-Samen, bestenfalls die Energie einer Lebens-Kraft, die in dem Samen
fortdauert und von den Eltern übertragen wird. Er präge durch seine
geheimnisvolle Beimischung vergangener Entwicklungen diesem winzigen Träger, dem
auf diese Weise wunderbar erschaffenen neuen individuellen Mental und Körper,
einen eigenen mentalen und physischen Stempel auf. Was nach dem Tod übrig
bleibt, sei dieselbe materielle Energie und Lebenskraft, die in dem Samen
weiterbesteht. Er wird an die Kinder weitergegeben und sorgt für die weitere
Entwicklung des in ihm enthaltenen mentalen und physischen Lebens. Von uns
bleibt nichts übrig als das, was wir auf diese Weise an andere weitergeben. Oder
das wirkt fort, was die Energie, die das Individuum durch ihr präexistentes
Schaffen und die Umwelteinflüsse, durch Geburt und Umgebung, gestaltet hat, nun
als das Ergebnis des individuellen Lebens annehmen mag, um es in ihr
darauffolgendes Wirken hineinzuarbeiten. Allein das könne ein Überleben haben,
was durch Zufall oder durch ein physisches Gesetz dazu helfe, die mentalen und
vitalen Bauelemente und die Umgebung anderer Individuen zu bilden. Hinter
beiden, den mentalen und den physischen Phänomenen, gebe es vielleicht ein
universales Leben, dessen Individualisierungen evolutionäre und phänomenale
Werdeformen sind. Dieses universale Leben erschaffe zwar eine wirkliche Welt und
wirkliche Wesen. Aber die bewußte Personalität in diesen Wesen sei nicht – oder
brauche es zumindest nicht zu sein -das Zeichen oder die Form von Bewußtsein
einer ewigen, ja nicht einmal einer fortdauernden Seele oder einer
supraphysischen Person. -In dieser Formel vom Sein findet sich nichts, was uns
zwingt, an eine psychische Wesenheit zu glauben, die den Tod des Körpers
überdauert. Es gibt hier keinen Grund und auch nur wenig Raum für die
Anerkennung der Wiedergeburt als eines Teils des Grundschemas der Dinge.
Wie aber, wenn wir mit
der Erweiterung unserer Erkenntnis finden würden – wie gewisse Forschungen und
Entdeckungen vorauszusagen scheinen –, daß die Abhängigkeit des mentalen Wesens
oder der psychischen Entität in uns vom Körper nicht so vollständig ist, wie wir
das natürlicherweise zuerst aus dem Studium allein der Gegebenheiten des
physischen Daseins und des physischen Universums schließen? Wie, wenn man
erkennen würde, daß die menschliche Personalität den Tod des Körpers überlebt
und dann zwischen anderen Ebenen und diesem materiellen Universum hin- und
hergeht? Dann müßte die vorherrschende moderne Vorstellung von einem nur
zeitweiligen bewußten Dasein sich ausweiten und ein Leben anerkennen, das einen
weiteren Bereich als das physische Universum umfaßt. Sie müßte auch eine
personale Individualität zulassen, die nicht vom materiellen Körper abhängig
ist. Sie könnte praktisch die antike Vorstellung von einer subtilen Gestalt oder
von einem Körper wieder annehmen müssen, der von einer psychischen Entität
bewohnt wird. Eine psychische oder seelische Wesenheit, die das mentale
Bewußtsein in sich trägt, oder – falls es keine solche ursprüngliche Seele gibt
– die entwickelte und fortdauernde mentale Einzelperson würde nach dem Tod
weiterexistieren in dieser subtilen, fortdauernden Gestalt, die für sie entweder
vor ihrer Geburt oder durch die Geburt selbst oder während des Lebens erschaffen
worden sein muß. Denn entweder ist die psychische Entität in anderen Welten in
subtiler Form präexistent und kommt mit dieser von dort hierher zu einem kurzen
Aufenthalt auf der Erde. Oder die Seele entwickelt sich hier in der materiellen
Welt selbst, und mit ihr wird im weiteren Verlauf der Natur ein psychischer
Körper entwickelt, der nach dem Tod in anderen Welten fortbesteht oder hier
durch Wiedergeburt weiter existiert. Das wären die beiden möglichen
Alternativen.
Ein universales Leben könnte in seiner Evolution auf
der Erde die wachsende Personalität entfaltet haben, die jetzt zu unserem Ich
geworden ist, bevor sie überhaupt in einen menschlichen Körper einging. Die
Seele, die jetzt in uns ist, könnte sich in niederen Lebens-Gestaltungen
entwickelt haben, bevor der Mensch erschaffen wurde. In diesem Fall hätte unsere
Personalität früher Tier-Formen bewohnt. Der subtile Körper wäre ein plastisches
Gebilde, das von Geburt zu Geburt übertragen wurde, sich aber jeder physischen
Gestaltung anpaßte, die die Seele bewohnte. Oder das sich entwickelnde Leben
könnte fähig sein, eine zum Überleben geeignete Persönlichkeit aufzubauen, dies
jedoch nur in der menschlichen Gestalt, sobald
diese erschaffen war. Das würde durch die Kraft des plötzlichen Wachstums eines
mentalen Bewußtseins geschehen, und gleichzeitig könnte sich eine Hülle von
subtiler Mental-Substanz entwickeln und helfen, dieses mentale Bewußtsein zu
individualisieren. Sie würde ebenso als innerer Körper funktionieren, wie die
grob-physische Gestalt durch ihre Organisation Tier-Mental und Tier-Leben
zugleich individualisiert und beherbergt. Aufgrund der früheren Annahme müßten
wir zugeben, daß auch das Tier die Auflösung des physischen Körpers überlebt und
eine Art Seelen-Formation besitzt, die nach dem Tod andere Tierformen auf der
Erde und schließlich einen menschlichen Körper in Besitz nimmt. Denn es besteht
nur geringe Wahrscheinlichkeit, daß die Tier-Seele über die Erde hinauskommt und
auf andere als die physischen Lebens-Ebenen übergeht, um ständig hierher
zurückzukehren, bis sie für die menschliche Inkarnation bereit ist. Die bewußte
Individualisierung des Tieres scheint nicht weit genug zu gehen, um einen
solchen Übergang tragen zu können oder um sich an ein Dasein in anderen Welten
anzupassen. Bei der zweiten Annahme würde die Macht, auf diese Weise den Tod des
physischen Körpers in anderen Seins-Zuständen zu überleben, erst auf der
menschlichen Stufe der Evolution auftreten. Wäre die Seele tatsächlich nicht
eine so konstruierte Personalität, die vom Leben entwickelt wird, sondern eine
fortdauernde, sich nicht entwickelnde Wirklichkeit mit einem irdischen Leben und
Körper als ihrem notwendigen Feld, dann würde man der Theorie von der
Wiedergeburt im Sinne der Seelenwanderung des Pythagoras zustimmen
müssen. Ist sie aber eine fortdauernde, sich entwickelnde Wesenheit und fähig,
über die irdische Stufe hinauszukommen, dann wäre die indische Vorstellung von
einem Weitergehen in andere Welten und einer Rückkehr zur Geburt auf der Erde
möglich und höchst wahrscheinlich. Sie wäre aber noch nicht unausweichlich. Denn
man könnte vermuten, daß die menschliche Personalität, wenn sie einmal so hoch
entwickelt ist, daß sie andere Ebenen erreichen kann, von diesen nicht mehr
zurückzukehren brauchte. Es wäre nur natürlich, wenn sie, falls kein stärkerer
zwingender Grund vorliegt, ihr Dasein auf der höheren Ebene, zu der sie
emporgekommen ist, fortsetzen würde. Sie hätte dann ihre Lebens-Entwicklung auf
der Erde zu Ende gebracht. Eine umfassendere Voraussetzung wäre nur dann
zwingend und eine wiederholte Wiedergeburt in menschlichen Gestaltungen
unvermeidlich, wenn eine Konfrontation
mit einem
wirklich zwingenden Beweis für die Notwendigkeit einer Rückkehr auf die Erde
besteht.
Aber selbst dann brauchte die vitalistische Entwicklungs-Theorie sich nicht zu spiritualisieren. Sie müßte nicht das wirkliche Dasein einer Seele, deren Unsterblichkeit oder Ewigkeit zugeben. Sie könnte die Personalität immer noch betrachten als eine phänomenale Schöpfung des universalen Lebens durch das Aufeinandereinwirken von Lebens-Bewußtsein und physischer Form und Kraft, beide aber mit einer ausgedehnteren, variableren und subtileren gegenseitigen Einwirkung und mit einer anderen Geschichte, als man sie bisher für möglich hielt. Sie mag dann zu einer Art von vitalistischem Buddhismus kommen, der das karma anerkennt, es aber nur als das Wirken einer universalen Lebens-Kraft zuläßt. Als eines der Ergebnisse würde sie die Kontinuität des Stroms der Personalität in der Wiedergeburt durch eine mentale Verknüpfung zugeben, aber jedes wirkliche Selbst des Individuums oder irgendein ewiges Wesen bestreiten, das etwas anderes wäre als dieses immer aktive vitale Werden. Andererseits könnte sie, einer Gedankenrichtung folgend, die jetzt etwas an Kraft gewinnt, ein universales Selbst oder einen kosmischen Geist als die uranfängliche Wirklichkeit und das Leben als seine Macht oder seinen Agenten annehmen. Sie könnte so zu einer Form von spiritualisiertem vitalen Monismus kommen. Auch in dieser Theorie wäre ein Gesetz von Wiedergeburt möglich, wenn auch nicht zwingend. Sie könnte eine phänomenale Tatsache sein, ein aktuelles Gesetz des Lebens. Sie wäre aber kein logisches Ergebnis der Theorie vom Seienden, nicht deren unvermeidliche Konsequenz.
Die Anhänger des Advaita des Mayavada
gingen, wie der Buddhismus, von der schon akzeptierten Überzeugung – als einem
Teil des überkommenen Schatzes an antikem Wissen – aus, daß es supraphysische
Ebenen und Welten sowie einen Verkehr zwischen diesen und unserer Welt gibt, der
einen Übergang von der Erde und – obwohl das eine weniger ursprüngliche
Entdeckung gewesen zu sein scheint – eine Rückkehr zur Erde in die menschliche
Personalität zuläßt. Immerhin hatte ihr Denken eine alte Auffassung und sogar
Erfahrung hinter sich, zumindest eine uralte Tradition von einem Vorher und
Nachher für die Personalität und war nicht auf das physische Universum begrenzt.
Denn es gründete sich auf eine Betrachtung von Selbst und Welt, die schon ein
supraphysisches Bewußtsein als das primäre Phänomen ansah und das physische Wesen nur als ein sekundäres und abhängiges Phänomen.
Mit diesen Fakten als Mitte hatten sie die Natur der ewigen Wirklichkeit und den
Ursprung des phänomenalen Werdens zu bestimmen. Darum erkannten sie den Übergang
der Personalität von dieser zu anderen Welten und ihre Rückkehr in die Form und
das Leben auf Erden an. Die so akzeptierte Wiedergeburt war aber, im Sinne des
Buddhismus, nicht eine wirkliche Wiedergeburt einer wirklichen spirituellen
Person in die Formen des materiellen Daseins. Im späteren Advaita war die
Anschauung von der spirituellen Wirklichkeit vorhanden, aber die in Erscheinung
tretende Individualität und darum auch ihre Geburt und Wiedergeburt waren ein
Teil der kosmischen Illusion, eine trügerische, wenn auch wirksame Konstruktion
der universalen maya.
Im buddhistischen Denken wurde das Sein des Selbsts
bestritten. Wiedergeburt konnte nur eine Kontinuität von Ideen, Empfindungen und
Handlungen bedeuten, die ein fiktives Individuum aufbauen, das sich zwischen
verschiedenen Welten – sagen wir zwischen verschiedentlich organisierten Ebenen
von Idee und Empfindung – bewegt. Denn tatsächlich erschafft nur die bewußte
Kontinuität des Strömens ein Phänomen von Selbst und ein Phänomen von
Personalität. Im Advaita des Mayavada erkannte man einen
jivatman, ein individuelles Selbst und sogar ein wirkliches Selbst des
Individuums an.18 Aber diese Konzession
an unsere normale Sprache und unsere Vorstellungen ist schließlich doch nur
scheinbar. Denn es stellt sich heraus, daß es kein wirkliches und ewiges
Individuum, kein “Ich” und “Du” gibt. Darum kann es auch kein wirkliches Selbst
des Individuums, nicht einmal ein wahres universales Selbst geben, sondern nur
ein vom Universum gesondertes Selbst, immer ungeboren, immer unveränderlich,
niemals beeinträchtigt durch die Mutation der Phänomene. Letzten Endes werden
Geburt, Leben, Tod, die ganze Masse der individuellen und kosmischen Erfahrung,
nichts anderes als eine Illusion oder ein zeitlich vorübergehendes Phänomen.
Auch Gebundenheit und Befreiung können nur solch eine Illusion, nur ein Teil
vergänglicher Phänomene sein: Sie stellen nur
die bewußte Kontinuität der illusorischen Erfahrungen des Ichs dar, das selbst
eine Schöpfung der großen Illusion ist. Die Kontinuität und das Bewußtsein hören
schließlich auf bei ihrem Eingehen in das Überbewußtsein Dessen, das allein war,
ist und immer sein wird, oder besser: das nichts zu tun hat mit der Zeit,
sondern auf ewig ungeboren, zeitlos und unaussprechlich ist.
Während es also in der vitalistischen Betrachtung der Dinge ein wirkliches Universum und ein wirkliches, wenn auch kurzes vergängliches Werden von individuellem Leben gibt, das, auch wenn kein immerdauernder purusha existiert, dennoch unserer individuellen Erfahrung und unserem Handeln beträchtliche Bedeutung beimißt – denn diese sind im wirklichen Werden wahrhaft wirksam –, so haben in der Theorie des Mayavadins diese Dinge keine wirkliche Bedeutung oder wahre Wirkung. Sie sind nur so etwas wie die Konsequenz eines Traums. Denn sogar die Befreiung findet nur im kosmischen Traum oder in einer Halluzination statt durch die Anerkennung der Illusion und durch das Aufhören des individualisierten Mentals und Körpers. In Wirklichkeit gibt es niemand, der gebunden, und niemand, der befreit ist. Denn das allein-existierende Selbst wird von dieser Illusion des Ichs nicht berührt. Um aus dieser alles zerstörenden Unfruchtbarkeit, die das logische Resultat sein würde, herauszukommen, müssen wir dieser Traum-Konsequenz eine praktische Bedeutung verleihen, wie falsch sie schließlich auch sein mag, und auf unsere Gebundenheit und individuelle Befreiung immenses Gewicht legen, auch wenn das Leben des Individuums nur phänomenal ist und wenn für das Eine Wirkliche Selbst sowohl die Gebundenheit wie die Befreiung nur etwas Nicht- Seiendes sind und nichts anderes sein können. Bei dieser erzwungenen Konzession an die tyrannische Nicht-Wirklichkeit von maya muß die einzig wahre Bedeutung von Leben und Erfahrung in dem Maß liegen, in dem sie auf die Verneinung des Lebens vorbereiten, auf die Selbst-Eliminierung des Individuums und auf das Ende der kosmischen Illusion.
Das ist aber eine extreme Anschauung und Konsequenz der
monistischen These. Die ältere Advaita-Vedanta-Lehre, die von den Upanishaden
ausgeht, zieht nicht diese extremen Konsequenzen. Sie erkennt ein aktuelles
Werden des Ewigen in der Zeit, darum auch ein reales Universum an. Auch dem
Individuum wird eine ausreichende Wirklichkeit zugebilligt, denn jedes
Individuum ist an sich Der Ewige, der Namen und
Gestalt angenommen hat und durch sich selbst die Erfahrungen des Lebens fördert,
indem er an einem immer kreisenden Rad der Geburten in der Manifestation dreht.
Das Rad wird durch das Begehren des Individuums in Gang gehalten – das wird zur
wirksamen Ursache der Wiedergeburt – und weil sich das Mental von der Erkenntnis
des ewigen Selbsts hinwendet zu einem ausschließlichen Interesse am zeitlichen
Werden. Mit dem Aufhören des Begehrens und dieser Unwissenheit zieht sich das
Ewige im Individuum von den Mutationen der individuellen Personalität und
Erfahrung zurück in sein zeitloses, apersonales und unveränderliches Wesen.
Aber diese Wirklichkeit des Individuums ist etwas recht
Vergängliches. Es hat keine dauerhafte Grundlage, nicht einmal die ständige
Wiederkehr in der Zeit. Wiedergeburt ist, obwohl sie bei einer solchen
Auffassung des Universums von großer Aktualität ist, keine unvermeidliche Folge
aus der Beziehung zwischen der Individualität und dem Zweck der Manifestation.
Denn die Manifestation scheint keinen anderen Zweck zu haben als den Willen des
Ewigen zur Weltschöpfung. Sie kann nur dadurch enden, daß dieser Wille sich
zurückzieht. Dieser kosmische Wille könnte sich aber ohne jeden Mechanismus der
Wiedergeburt und ohne das Begehren des Individuums, das diese fortdauern läßt,
auswirken. Denn das Begehren des Menschen kann nur eine Feder im Mechanismus des
kosmischen Daseins, nie dessen Ursache oder notwendige Voraussetzung sein, da
das Individuum selbst in dieser Betrachtung ein Ergebnis der Schöpfung ist und
nicht vor dem Werden existiert hat. Der Wille zur Schöpfung könnte sich selbst
dadurch vollziehen, daß er vorübergehend in jedem Namen und in jeder Gestalt
Individualität annimmt, ein einzelnes Leben in vielen nicht fortdauernden
Individuen. Das eine Bewußtsein würde sich entsprechend dem Typus jedes
erschaffenen Wesens selbst gestalten, aber es könnte sehr wohl in jedem
individuellen Körper mit dem Erscheinen der physischen Gestalt anfangen und mit
deren Aufhören enden. Individuum würde auf Individuum folgen, wie eine Woge auf
die andere folgt; aber das Meer bliebe immer dasselbe.19 Jede Gestaltung des
bewußten Wesens steige aus dem Universum auf,
rolle eine bestimmte Zeit weiter und sinke dann in das Schweigen zurück. Es gibt
bei dieser Auffassung keinen ersichtlichen Grund für die Annahme, zu diesem
Zweck sei ein individualisiertes Bewußtsein notwendig, das kontinuierlich
fortdauert, Namen um Namen, Gestalt um Gestalt annimmt und sich zwischen
verschiedenen Ebenen hin- und herbewegt. Und selbst als eine Möglichkeit drängt
sich dies nicht stark genug auf. Noch weniger gibt es hier Raum für einen
evolutionären Fortschritt, der unvermeidlich beim Weitergehen von der einen
Gestalt zu einer höheren Gestalt geleistet werden muß, wie man das bei jener
Theorie von der Wiedergeburt annimmt, die die Involution und Evolution des
Geistes in der Materie als die bedeutungsvolle Formel für unser irdisches Dasein
behauptet.
Es ist vorstellbar, der Ewige habe sich tatsächlich
dafür entschieden, sich auf diese Weise im Körper zu offenbaren oder vielmehr
sich in ihm zu verbergen. Es mag sein Wille gewesen sein, ein Individuum zu
werden oder als ein solches zu erscheinen, das einen Zyklus von ständigem und
wiederkehrendem Dasein als Mensch und Tier von Geburt zum Tod und vom Tod zu
einem neuen Dasein durchschreitet. Das Eine Wesen würde personalisiert
verschiedene Gestaltungen des Werdens, nach Laune oder aufgrund irgendeines
Gesetzes der Konsequenzen des Handelns, durchwandern, bis durch Erleuchtung das
Ende gekommen ist, eine Rückkehr zum Einssein. Der Einzige und identische zieht
sich dann wieder aus der besonderen Individualisierung zurück. Ein solcher
Zyklus besäße aber keine ursprüngliche oder endgültige, ihn bestimmende
Wahrheit, die ihm Bedeutung verleihen würde. Es gibt nichts, um dessentwillen er
notwendig wäre. Er wäre lediglich ein Spiel, lila. Sobald man aber
zugibt, der Geist hat sich der Unbewußtheit involviert und manifestiert sich
durch evolutionäre Stufenfolge im individuellen Wesen, gewinnt der ganze Vorgang
Sinn und Folgerichtigkeit. Der progressive
Aufstieg des Individuums wird zum Schlüsselbegriff für diese kosmische
Bedeutung. Die Wiedergeburt der Seele im Körper wird zu einer natürlichen und
unvermeidbaren Konsequenz der Wahrheit des Werdens und zu dem ihm innewohnenden
Gesetz. Wiedergeburt ist ein unentbehrlicher Mechanismus für das Auswirken einer
spirituellen Evolution. Sie ist die einzig mögliche effektive Bedingung, der
einleuchtende dynamische Prozeß einer solchen Manifestation im materiellen
Universum.
Unsere Erklärung der Evolution in der Materie geht
dahin: Das Universum ist der selbst-schöpferische Prozeß einer höchsten
Wirklichkeit, deren Gegenwart den Geist zur Substanz der Dinge macht, – alle
Dinge sind hier Mächte, Mittel und Formen des Geistes zu seiner Manifestation.
Unendliches Sein, unendliches Bewußtsein, unendliche Kraft, unendlicher Wille,
unendliche Seins-Seligkeit sind die insgeheim hinter den Erscheinungen des
Universums stehende Wirklichkeit. Ihr göttliches Supramental, ihre Gnosis, hat
die kosmische Ordnung geschaffen. Es hat diese aber mittelbar durch die drei
untergeordneten und begrenzenden Begriffe organisiert, deren wir hier bewußt
sind: Mental, Leben und Materie. Das materielle Universum ist die niederste
Stufe eines Sprunges der Manifestation in die Tiefe, eine Involution des
manifestierten Wesens dieser dreieinigen Wirklichkeit in eine scheinbare
Nicht-Bewußtheit ihrer selbst, in das, was wir jetzt die Unbewußtheit nennen.
Die Evolution dieses geoffenbarten Wesens aus der Nichtbewußtheit in ein
wiedergewonnenes Selbst-Innesein war vom ersten Anfang an unvermeidlich. Das war
deshalb unerläßlich, weil das, was involviert ist, sich wieder evolvieren muß.
Denn es existiert dort nicht nur als ein Sein, sondern als eine in ihrem
scheinbaren Gegenteil verborgene Kraft. Jede solche Kraft muß in ihrer innersten
Natur dazu gedrängt sein, ihr Selbst zu finden, ihr Selbst zu realisieren, sich
in das Kräftespiel freizusetzen. Sie muß die Wirklichkeit dessen, was die
Nichtbewußtheit verbirgt, das Selbst, das sie verloren hat, suchen und
wiedergewinnen; das muß die ganze verborgene Bedeutung und der ständige Drang
ihres Wirkens sein. Durch das bewußte individuelle Wesen wird diese
Wiedergewinnung möglich. In ihm wird das sich entwickelnde Bewußtsein
organisiert und dazu fähig, zu seiner eigenen Wirklichkeit zu erwachen. Die
außerordentliche Bedeutung des individuellen Menschen, die immer weiter zunimmt,
je weiter er auf der Stufenleiter emporkommt, ist die auffallendste und
wichtigste Tatsache eines Universums, das ohne
Bewußtsein und Individualität in undifferenzierter Nichtbewußtheit begann. Diese
Bedeutung kann nur gerechtfertigt sein, wenn das Selbst als das Individuum
ebenso wirklich ist wie das Selbst als das Kosmische Wesen oder als der Geist
und wenn beides die Mächte des Ewigen sind. Nur so kann man erklären, daß das
Wachsen des Individuums und seine Entdeckung seines Selbsts notwendige
Voraussetzung ist für die Entdeckung des kosmischen Selbsts, des kosmischen
Bewußtseins und der höchsten Wirklichkeit. Wenn wir diese Lösung anerkennen, ist
ihr erstes Ergebnis die Wirklichkeit des fortdauernden Individuums. Aus dieser
ersten Konsequenz folgt aber das andere Ergebnis, daß die Wiedergeburt, wie sie
auch geartet ist, nicht mehr nur ein möglicher Mechanismus ist, den man
akzeptieren mag oder nicht. Sie wird vielmehr zu einer Notwendigkeit, zu etwas
Unvermeidlichem, das sich aus der Grundnatur unseres Seins ergibt.
Nun genügt es nicht mehr, ein nur illusorisches oder
vergängliches Individuum anzunehmen, das in jeder Gestalt durch ein Spiel von
Bewußtsein neu erschaffen wird. Individualität muß man nicht mehr nur als eine
Begleiterscheinung des Bewußtseins in einer Körpergestalt auffassen, die diese
Gestalt überleben mag oder nicht, welche die falsche Kontinuität ihres Selbsts
von Gestalt zu Gestalt, von Leben zu Leben fortsetzen mag oder nicht, die das
aber gewiß nicht tun muß. Was wir in dieser Welt zunächst zu sehen scheinen,
ist, daß ein Individuum ohne jede Kontinuität das andere ersetzt, daß die
Gestalt sich auflöst und zugleich mit ihr auch die falsche oder vorübergehende
Individualität vergeht, während die universale Energie oder ein universales
Wesen allein für immer übrigbleibt. Das könnte sehr wohl das ganze Prinzip der
kosmischen Manifestation sein. Ist aber das Individuum eine beharrende
Wirklichkeit, ein ewiger Teil oder eine Macht des Ewigen und ist die Entwicklung
seines Bewußtseins das Mittel, durch das der Geist in den Dingen sein Wesen
enthüllt, dann offenbart sich der Kosmos als eine hierdurch bedingte
Manifestation des Spiels des Ewigen Einen mit den Ewigen Vielen im Wesen von
saccidananda. Dann muß eine wahre Person ganz sicher hinter all den
Wandlungen unserer Personalität vorhanden sein, die den Strom ihrer
Veränderungen lebendig erhält, ein wirkliches spirituelles Individuum, ein
wahrer purusha. Der Eine, der sich in die Universalität ausweitet,
existiert in jedem Wesen und bestätigt sich in dieser Individualität. Im
individuellen Menschen enthüllt er sein totales Sein durch das Einssein mit
allen in der Universalität. Im individuellen
Menschen enthüllt er außerdem seine Transzendenz als Der Ewige, auf den die
gesamte universale Einheit gegründet ist. Diese Trinität der
Selbst-Manifestation, dieses unermeßliche lila der vielfältigen
Identität, diese Magie der maya oder das proteisch-vielgestaltige Wunder
der bewußten Wahrheit des Wesens des Unendlichen ist die lichtvolle Offenbarung,
die durch eine langsame Evolution aus der ursprünglichen Unbewußtheit
hervortritt.
Gäbe es nicht diese Notwendigkeit, das Selbst zu
finden, sondern nur ein ewiges Genießen dieses Spiels im Wesen von
saccidananda -solch ewiges Genießen ist die Art gewisser höchster Zustände
bewußten Seins dann hätten Evolution und Wiedergeburt nicht in Gang gebracht zu
werden brauchen. Es hat aber eine Involution der Einheit in das zerteilende
Mental stattgefunden, ein Sprung hinab in die Selbst-Vergessenheit, durch den
das immer gegenwärtige Empfinden für die vollständige Einheit verloren gegangen
ist. Nun kommt das Spiel der trennenden Verschiedenheit – nur phänomenal, da die
wirkende Einheit in der Verschiedenheit uneingeschränkt im Hintergrund verbleibt
– als beherrschende Wirklichkeit in den Vordergrund. Dieses Spiel der
Verschiedenheit hat dadurch seinen äußersten Begriff der Empfindung von
Zerteilung gefunden, daß sich das zerteilende Mental in eine Körpergestaltung
hinabstürzte, in der es seiner selbst als eines gesonderten Ichs bewußt wird. So
ist durch Involution der aktiven Selbst-Bewußtheit von saccidananda in
eine phänomenale Nichtbewußtheit eine feste, solide Grundlage für dieses Spiel
der Zerteilung in einer Welt getrennter Formen von Materie geschaffen worden.
Die Fundierung in der Nichtbewußtheit macht die Zertrennung zu etwas
Gesichertem, denn sie widersetzt sich mit aller Macht der Rückkehr in das
Bewußtsein der Einheit. Die Zertrennung ist aber, obwohl sie effektiv Zerstörung
ausübt, nur phänomenal und kann beendet werden, da in ihr, über ihr, als
tragende Stütze der allbewußte Geist ist. Deshalb stellt sich die scheinbare
Nichtbewußtheit nur als eine Konzentration, eine ausschließende Aktion von
Bewußtsein heraus, das sich durch einen Sprung in den tiefen Abgrund einer
Trance der Selbst-Vergessenheit völlig von dem formativen und kreativen
materiellen Prozeß aufzehren ließ. In einem so erschaffenen phänomenalen
Universum wird die trennende Gestalt zur Grundlage und zum Ausgangspunkt für all
seine Lebens-Aktion. Darum muß sich der individuelle purusha, wenn er in
dieser physischen Welt seine kosmischen Beziehungen zu dem Einen ausarbeiten
will, auf die Form gründen und einen Körper
annehmen. Es ist der Körper, den er zu seiner eigenen Grundlage und zum
Ausgangspunkt für die Entwicklung seines Lebens, Mentals und Geistes im
physischen Dasein machen muß. Dieses Annehmen des Körpers nennen wir Geburt. Nur
in ihm kann hier die Entwicklung des Selbsts und das Spiel der Beziehungen
zwischen dem Individuum und dem Universum sowie zu allen anderen Individuen
stattfinden. Nur in ihm kann es die progressive Entwicklung unseres bewußten
Wesens zu einer erhabenen Wiedergewinnung der Einheit mit Gott und mit allen
Wesen in Gott geben. Die Summe dessen, was wir Leben in der physischen Welt
nennen, ist eine fortschreitende Entwicklung der Seele. Sie geht durch Geburt in
den Körper ein und hat diesen als ihre Stütze, als die Grundbedingung für ihr
Wirken und als die Voraussetzung dafür, daß sie in der Evolution fortbesteht.
Geburt ist also notwendig für die Manifestation des
purusha auf der physischen Ebene. Seine menschliche oder irgendeine andere
Geburt kann aber in dieser Welt-Ordnung nicht ein isoliertes Ereignis oder der
plötzliche Ausflug einer Seele in die Körperlichkeit sein, ohne daß sie in einer
Vergangenheit dafür vorbereitet ist oder nach einer solchen Erfüllung findet. In
einer Welt der Involution und Evolution, nicht nur einer physischen Form,
sondern eines bewußten Wesens über Leben und Mental hin zum Geist, könnte solch
eine isolierte Annahme von Leben in einem menschlichen Körper nicht das Gesetz
für das Dasein der individuellen Seele sein. Das wäre eine völlig sinnlose und
inkonsequente Einrichtung, eine Laune, für die es in der Natur und im System der
Dinge keinen Raum gibt. Das wäre ein gewaltsamer störender Eingriff, der den
Rhythmus der Selbst-Offenbarung des Geistes durchbrechen würde. Das Eindringen
solch einer Norm für das individuelle Seelen-Leben in die evolutionäre
spirituelle Progression würde aus dieser eine Wirkung ohne Ursache und eine
Ursache ohne Wirkung machen. Das Leben des individuellen Menschen wäre der Torso
einer Gegenwart ohne eine Vergangenheit oder Zukunft. Es muß aber den gleichen
bedeutungsvollen Rhythmus, dasselbe Progressions-Gesetz haben wie das kosmische
Leben. Sein Ort in diesem Rhythmus kann nicht ein zufälliges sinnloses
Auftreten, es muß eine bleibende Instrumentation für die Verwirklichung des
kosmischen Zieles sein. In solcher Ordnung können wir auch nicht eine isolierte
Herabkunft der Seele in den menschlichen Körper, nur eine einzige Geburt als
ihre erste und letzte Erfahrung dieser Art,
dadurch erklären, daß sie vorher in anderen Welten existierte und dann eine
Zukunft in noch anderen Bereichen der Erfahrung vor sich hat. Denn das Leben
hier auf Erden, das Leben im physischen Universum, ist nicht nur eine
gelegentliche Herberge für die Wanderungen der Seele von einer Welt zur anderen
und kann das nicht sein. Es ist eine große langsame Entwicklung, die, wie wir
jetzt wissen, unberechenbare Strecken von Zeit für seine Evolution benötigt.
Menschliches Leben ist nur ein Begriff in einer Stufenfolge, durch die der im
Universum insgeheim wirkende Geist in Graden seine Absicht entfaltet und diese
schließlich ausarbeitet, indem sich das individuelle Seelen-Bewußtsein im Körper
ausweitet und nach oben verstärkt. Dieser Aufstieg kann sich nur durch
Wiedergeburt innerhalb der nach oben fortschreitenden Ordnung vollziehen. Ein
individueller Besuch, der diese Ordnung hier durchkreuzt, um dann anderswohin
weiterzugehen, könnte nicht in das System des evolutionären Seins hineinpassen.
Auch ist die menschliche Seele, der individuelle
Mensch, kein freier Wanderer, der nach seinen Launen oder leichtsinnig von einem
Bereich zum anderen eilen könnte, nach unbeschränkter Wahl oder ungebundenem
spontan veränderlichen Handeln und nach dem Ergebnis seines Handelns. Das ist
die glänzende Vorstellung von einer reinen spirituellen Freiheit, die auf
jenseitigen Ebenen oder in einer schließlich erlangten Erlösung ihre Wahrheit
haben mag. Sie ist aber vorerst im Erdenleben, dem Leben im physischen
Universum, nicht wahr. Das Hineingeborenwerden des Menschen in diese Welt ist
nach seiner spirituellen Seite ein Komplex von zwei Elementen: einer
spirituellen Person und einer Seele der Personalität. Die spirituelle Person ist
des Menschen ewiges Wesen; die Seele der Personalität ist sein kosmisches und
veränderliches Wesen. Als spirituelle und apersonale Person ist der Mensch in
seiner Natur und in seinem Wesen eins mit der Freiheit von saccidananda.
Er hat hier als solcher seiner Involution in die Nichtbewußtheit einer Reihe von
Seelenerfahrungen wegen zugestimmt oder diese gewollt, die auf andere Weise
nicht möglich ist, und lenkt so insgeheim seine Evolution. Als Seele der
Personalität ist er selbst ein Teil dieser langen Entwicklung der
Seelen-Erfahrung in den Gestaltungen der Natur. Seine eigene Evolution muß den
Gesetzen und Grundlinien der universalen Evolution folgen. Als Geist ist er eins
mit der Transzendenz, die der Welt immanent ist und diese umgreift. Als Seele
ist er zugleich eins mit und Teil der in der Welt selbst ausgedrückten Universalität von saccidananda: Sein Selbst-Ausdruck muß durch
die Stufen des kosmischen Ausdrucks hindurchgehen, seine Seelen-Erfahrung muß
den Umdrehungen des Rades von brahman im Universum folgen.
Der in die Dinge, in die Nichtbewußtheit des physischen
Universums involvierte universale Geist leistet die Evolution des Selbsts seiner
Natur in einer Aufeinanderfolge von physischen Gestaltungen bis hin zu den
abgestuften Reihen von Materie, Leben, Mental und Geist. Das Selbst taucht
zuerst als eine geheime Seele in materiellen Gestaltungen auf, nach außen völlig
der Nichtbewußtheit unterworfen. Es entwickelt sich als eine Seele, die noch
verborgen, aber im Begriff ist, in vitalen Gestaltungen hervorzutreten, die an
der Grenze zwischen Nichtbewußtheit und dem partiellen Licht von Bewußtsein
stehen, das unsere Unwissenheit ist. Es entwickelt sich noch weiter als die noch
primitive bewußte Seele im Tier-Mental und tritt schließlich als die mehr nach
außen bewußte, aber noch nicht voll bewußte Seele im Menschen hervor: Das
Bewußtsein befindet sich hier durchweg in den verborgenen Teilen unseres Wesens.
Seine Entwicklung geschieht in der sich manifestierenden Natur. Diese
evolutionäre Entwicklung hat sowohl einen universalen wie einen individuellen
Aspekt: Das Universale entwickelt die Grade seines Wesens und die geordnete
Variation der Universalität seiner selbst in der Reihe der evolvierten Formen
seines Wesens. Die individuelle Seele folgt der Linie dieser kosmischen Reihe
und manifestiert das, was in der Universalität des Geistes vorbereitet ist. Der
universale Mensch, der kosmische purusha in der Menschheit, ist am Werk,
in der menschlichen Rasse jene Macht zu entfalten, die aus den Graden unterhalb
der Menschheit in diese emporgewachsen ist und noch weiter wachsen soll bis zum
Supramental und zum Geist. Sie soll zur Göttlichkeit in dem Menschen werden, der
seines wahren und integralen Selbsts und der göttlichen Universalität seiner
Natur bewußt ist. Der individuelle Mensch muß bisher dieser Entwicklungslinie
gefolgt sein. Er muß über einer Seelen-Erfahrung in den niedrigeren Formen des
Lebens gewaltet haben, bevor er die menschliche Evolution auf sich genommen hat.
So wie das Eine fähig war, in seiner Universalität diese niedrigeren Formen von
Pflanze und Tier aufsichzunehmen, so muß auch das Individuum, jetzt in
Menschengestalt, fähig gewesen sein, diese in seinen früheren Stufen des Daseins
aufsichzunehmen. Nun tritt er als eine menschliche Seele in Erscheinung. Der
Geist nimmt die innere und äußere Form des
Menschseins an. Er ist aber durch diese Gestalt ebensowenig begrenzt, wie er
durch die früher von ihm angenommenen Formen von Pflanze und Tier begrenzt
gewesen ist. Er kann von ihr aus weitergehen, um sein Selbst auf einer höheren
Stufe der Natur zum Ausdruck zu bringen.
Bei andersartiger Auffassung müßte man annehmen, der Geist, der jetzt über der menschlichen Seelen-Erfahrung waltet, sei ursprünglich durch eine menschliche Mentalität und den menschlichen Körper gebildet worden, existiere durch diesen, könne nicht getrennt von diesem dasein und niemals unter diesen hinabsinken oder über diesen hinauskommen. Tatsächlich wäre es dann vernünftig, anzunehmen, daß er nicht unsterblich ist, vielmehr erst durch das Erscheinen des menschlichen Mentals und Körpers in der Evolution ins Dasein eingetreten sei und durch deren Verschwinden auch vergehen würde. Aber Körper und Mental sind nicht die Schöpfer des Geistes. Der Geist ist der Schöpfer von Mental und Körper. Er entwickelt diese Prinzipien aus seinem Wesen. Er wird nicht aus ihnen ins Dasein entwickelt. Er ist keine Zusammensetzung aus ihren Elementen und auch kein Ergebnis ihres Zusammentreffens. Wenn es so aussieht, als entwickle er sich aus Mental und Körper, so deshalb, weil er sich stufenweise in ihnen offenbart, nicht aber, weil er von ihnen erschaffen würde oder durch sie existiere. Wenn er sich manifestiert, werden sie als untergeordnete Begriffe seines Wesens offenbar und müssen schließlich aus ihrer gegenwärtigen Unvollkommenheit herausgeholt und in sichtbare Formen und Werkzeuge des Geistes umgewandelt werden. Nach unserer Auffassung ist Geist etwas, das nicht durch Namen und Form konstituiert wird, sondern verschiedene Formen von Körper und Mental annimmt, im Einklang mit den verschiedenen Manifestationen seines Seelen-Wesens. Das tut er hier durch die aufeinanderfolgenden Stufen der Evolution. Nacheinander entwickelt er eine Folge von Formen und übereinanderliegende Schichten des Bewußtseins. Denn er ist nicht daran gebunden, stets nur dieselbe Gestalt anzunehmen oder nur eine Art von Mentalität zu besitzen, die seine einzig mögliche subjektive Offenbarung wäre. Die Seele ist nicht durch die Formel eines mentalen Menschen-Typus gebunden. Sie fing nicht mit diesem an und wird nicht bei diesem enden. Sie besaß eine vormenschliche Vergangenheit, sie hat eine übermenschliche Zukunft.
Was wir von der Natur
sehen und von der menschlichen Natur wissen, rechtfertigt die Anschauung, daß
die individuelle Seele von einer Gestalt zur anderen geboren wurde, bis sie die
menschliche Ebene des offenbarten Bewußtseins erreicht hat. Diese ist nun ihr
Werkzeug, um zu noch höheren Ebenen emporzukommen. Wir sehen, daß sich die Natur
von einer Stufe zur anderen entwickelt. Sie nimmt in jede neue Stufe ihre
Vergangenheit mit empor und wandelt diese in den Stoff zu einer neuen
Entwicklung um. Wir sehen auch, daß die menschliche Natur von derselben
Beschaffenheit ist. Die ganze Erden-Vergangenheit ist in ihr gegenwärtig: Sie
besitzt ein vom Leben emporgenommenes Element von Materie, ein vom Mental
emporgenommenes Element von Leben und ein vom Geist emporgenommenes Element von
Mental: Das Tier ist noch im Typus Mensch gegenwärtig. Die eigentliche Natur des
menschlichen Wesens setzt eine materielle und eine vitale Stufe voraus, die sein
Emportauchen in das Mental vorbereiten; ebenso auch eine Tier-Vergangenheit, die
ein erstes Element seines komplexen Menschenwesens formte. Wir wollen uns aber
hüten, zu sagen, das sei so, weil die materielle Natur durch Evolution sein
Leben, seinen Körper, sein Tier-Mental entwickelt; erst dann sei eine Seele in
die so erschaffene Form herabgestiegen. Zwar steht eine gewisse Wahrheit hinter
dieser Vorstellung, jedoch nicht die Wahrheit, die diese Formel uns nahelegen
möchte. Denn das würde eine Kluft zwischen Seele und Körper, zwischen Seele und
Leben, zwischen Seele und Mental voraussetzen, die tatsächlich nicht existiert.
Es gibt keinen Körper ohne Seele, keinen Körper, der nicht selbst eine Form von
Seele wäre. Materie selbst ist Substanz und Macht von Geist und könnte nicht
existieren, wenn sie etwas anderes wäre. Denn nichts kann existieren, das nicht
Substanz und Macht von brahman ist. Und wenn Materie das ist, müssen umso
sicherer Leben und Mental das sein und beseelt werden durch die Gegenwart des
Geistes. Wären Materie und Leben nicht bereits beseelt gewesen, der Mensch hätte
nicht erscheinen können. Oder er wäre nur eine Zwischen-Erscheinung gewesen oder
ein Zufall, nicht aber ein Teil der evolutionären Ordnung.
So kommen wir notwendig zu dem Schluß, daß die Geburt
des Menschen ein Ausdruck ist, zu dem die Seele in einer langen Aufeinanderfolge
von Wiedergeburten gekommen sein muß, und daß sie als ihre vorhergehenden und
vorbereitenden Begriffe in der Aufeinanderfolge die niederen Formen des Lebens
auf der Erde gehabt haben muß. Sie ist durch die
ganze Kette hindurchgegangen, die das Leben im physischen Universum auf der
Grundlage des Körpers, des physischen Prinzips, aneinandergereiht hat. Dann
erhebt sich die weitere Frage, ob diese Aufeinanderfolge von Wiedergeburten noch
weitergeht, wenn das Menschsein einmal erreicht worden ist, und, wenn das so
ist, in welcher Abfolge oder durch welche Abwandlungen das geschieht. Zuerst
müssen wir fragen, ob die Seele, wenn sie einmal das Menschsein erlangt hat,
wieder zum Tierleben und Tierkörper zurückkehren kann. Das ist ein Rückschritt,
den die alten populären Theorien der Seelenwanderung für eine gewöhnliche
Bewegung gehalten haben. Es erscheint unmöglich, daß die Seele in ihrer Ganzheit
so zurückfallen könnte. Der Grund ist, daß der Übergang vom Tier zum
menschlichen Leben eine entscheidende Bewußtseins-Umwandlung bedeutet, die genau
so einschneidend ist wie die Umwandlung des vitalen Bewußtseins der Pflanze in
das mentale Bewußtsein des Tieres. Es ist gewiß unmöglich, daß eine von der
Natur vollzogene, so entscheidende Umwandlung durch die Seele wieder rückgängig
gemacht werden könnte und daß die Entscheidung des Geistes in ihrem Innern
sozusagen nichtig würde. Das könnte, vorausgesetzt, daß so etwas angeht, nur
solchen menschlichen Seelen möglich sein, in denen die Umwandlung nicht
entscheidend gewesen ist. Das wären Seelen, die sich zwar weit genug entwickelt
haben, um einen menschlichen Körper zu bilden, ihn innezuhaben oder anzunehmen,
die aber nicht weit genug gekommen sind, um die Annahme dieses Körpers sicher
durchzuhalten, damit sie in dem, was sie erlangt haben, auf die Dauer beharren
und dem menschlichen Typus des Bewußtseins treu bleiben konnten. Vorausgesetzt
daß gewisse Tierneigungen heftig genug sind, um eine gesonderte Befriedigung
ihrer völlig eigenen Art zu erfordern, könnte es höchstens zu einer teilweisen
Wiedergeburt kommen. Eine menschliche Seele würde noch lose an einer Tierform
festhalten, von der sie aber danach sofort wieder zu ihrer normalen Progression
zurückkehren würde. Der Gang der Natur ist immer komplex genug, so daß wir eine
solche Entwicklung nicht dogmatisch ausschließen dürfen. Sollte das eine
Tatsache sein, so könnte dieses Minimum an Wahrscheinlichkeit hinter der
populären übertriebenen Überzeugung stehen, die annimmt, eine Wiedergeburt der
Seele, die einmal im Menschen beheimatet gewesen ist, in einem Tier sei etwas
genauso Normales und Mögliches wie eine Wiedergeburt im Menschen. Einerlei aber,
ob die Rückkehr in das Tier-Leben
möglich ist
oder nicht, das normale Gesetz für die Seele, die einmal zum Menschsein fähig
gewesen ist, muß die Wiederholung der Geburt in neuen menschlichen Gestaltungen
sein.
Warum gibt es aber eine Aufeinanderfolge von
menschlichen Geburten und nicht nur eine einzige? Aus demselben Grund, der die
Geburt als Mensch an sich zu einem Höhepunkt der vergangenen Aufeinanderfolge,
der früheren aufsteigenden Reihe, gemacht hat; aufgrund der einen Notwendigkeit
der spirituellen Evolution muß das auch weitergehen. Denn die Seele hat das, was
sie zu tun hat, noch nicht dadurch vollendet, daß sie sich nur bis in das
Menschsein entwickelte. Sie muß dieses Menschenwesen noch in seine höheren
Möglichkeiten weiterentwickeln. Offensichtlich hat die Seele, die in einem
karibischen Eingeborenen, in einem ungebildeten Primitiven, in einem Apachen von
Paris oder in einem amerikanischen Gangster wohnt, noch nicht die
Notwendigkeiten erschöpft, aus denen sie als Mensch geboren wurde. Sie hat noch
nicht ihre umfassende Potentialität oder die ganze Bedeutung des Menschseins
entfaltet. Sie hat noch nicht den umgreifenden Sinn von saccidananda im
universalen Menschen herausgearbeitet. Das hat aber auch die Seele nicht fertig
gebracht, die in einem vitalistischen Europäer wohnt, der völlig aufgeht in der
dynamischen Produktion oder in seinem vitalen Vergnügen. Ebensowenig hat das die
Seele in einem Bauern Asiens getan, der völlig eingefangen ist in den Rundlauf
seines häuslichen und wirtschaftlichen Lebens. Vernünftigerweise können wir
selbst daran zweifeln, ob ein Plato oder Shankara die Krönung und deshalb das
Ende des Aufblühens des Geistes im Menschen darstellen. Wir sind zu der Annahme
geneigt, diese könnten die oberste Grenze sein, weil sie und ihresgleichen uns
als der Höhepunkt erscheinen, den Mental und Seele des Menschen erreichen
können. Das kann aber eine Illusion der gegenwärtig von uns erreichten
Möglichkeit sein. Es mag eine höhere, zumindest eine umfassendere Möglichkeit
geben, die das Göttliche Wesen noch im Menschen zu verwirklichen beabsichtigt.
Ist das aber so, dann waren die durch diese höchsten Seelen erbauten Stufen
nötig, um den Weg zu diesem Ziel zu bahnen und die Tore dorthin zu öffnen. Auf
jeden Fall muß dieser gegenwärtig höchste Punkt zumindest erreicht werden, bevor
wir unter die Wiederkehr der menschlichen Geburt für das Individuum das “Ende”
schreiben können. Der Mensch ist hier, damit er aus der Unwissenheit und jenem
kleinen Leben, das er in Mental und Körper lebt,
voranschreitet zum Wissen und zu dem hohen göttlichen Leben, das er durch die
Entfaltung des Geistes ergreifen kann. Zumindest soll erreicht werden, daß sich
der Geist in ihm öffnet, daß er sein wirkliches Selbst erkennt, daß er das
spirituelle Leben führt, bevor er endgültig und für immer woandershin
weitergehen darf. Jenseits von diesen ersten Höhepunkten mag es noch ein
größeres Aufblühen des Geistes im menschlichen Leben geben, von dem wir jetzt
nur die ersten Ahnungen haben. Die Unvollkommenheit des Menschen ist nicht das
letzte Wort der Natur. Aber seine Vervollkommnung ist auch nicht die letzte
Gipfelhöhe des Geistes.
Diese Möglichkeit wird zu einer Gewißheit, wenn das gegenwärtig führende Prinzip des Mentals, soweit der Mensch es entwickelt hat, der Intellekt, nicht sein höchstes Prinzip ist. Wenn es im Mental selbst noch andere als die jetzt nur unvollkommen von den höchsten Typen des menschlichen Individuums repräsentierten gibt, ist es unvermeidlich, daß die Linie der Evolution, und folgerichtig auch die aufsteigende Linie der Wiedergeburt, verlängert wird, um diese zu verkörpern. Wenn das Supramental auch eine hier noch in der Evolution verborgene Bewußtseins-Macht ist, darf die Linie der Wiedergeburt vor ihr nicht Halt machen. Sie kann mit ihrem Aufstieg erst dann aufhören, wenn die mentale Natur durch die supramentale ersetzt und wenn ein verkörpertes supramentales Wesen zum Lenker des Daseins auf Erden geworden ist.
Dies ist also die rationale und philosophische
Begründung für die Überzeugung von der Wiedergeburt. Sie ist eine
unausweichliche logische Schlußfolgerung, wenn in der Natur der Erde
gleichzeitig ein evolutionäres Prinzip und die Wirklichkeit einer individuellen
Seele besteht, die in die evolutionäre Natur hineingeboren wurde. Gibt es keine
Seele, dann kann es eine mechanische Evolution ohne Notwendigkeit oder Bedeutung
geben. Die Geburt ist dann nur ein Teil dieses eigenartigen, aber sinnlosen
Mechanismus. Wenn das Individuum nur eine vorübergehende Gestaltung ist, die mit
dem Körper anfängt und mit ihm endet, kann die Evolution ein Spiel der All-Seele
oder des Kosmischen Seins sein, die durch eine Progression von höheren zu immer
höheren Arten bis zu ihrer äußersten Möglichkeit in diesem Werden oder bis zu
ihrem höchsten bewußten Prinzip emporsteigt. Eine Wiedergeburt existiert dann
nicht und ist auch als Mechanismus dieser Evolution nicht erforderlich. Oder
wenn sich das All-Sein in einer fortdauernden, jedoch
illusorischen Individualität ausdrückt, wird die Wiedergeburt zu einer
Möglichkeit oder zu einem illusorischen Faktum. Sie ist aber nicht evolutionär
notwendig und kein spirituelles Bedürfnis, nur ein Mittel, um die Illusion zu
betonen und bis zu ihrer äußersten Zeit-Grenze weiterzuführen. Gibt es eine
individuelle Seele, einen purusha, der nicht vom Körper abhängig ist,
sondern ihn nur für seinen Zweck bewohnt und verwendet, dann fängt Wiedergeburt
an, etwas Mögliches zu werden. Sie ist aber keine Notwendigkeit, wenn es keine
Evolution der Seele in der Natur gibt. Die Gegenwart einer individuellen Seele
in einem individuellen Körper könnte ein vorübergehendes Phänomen sein, eine
vereinzelte Erfahrung, ohne hier eine Vergangenheit oder eine Zukunft zu haben.
Ihre Vergangenheit und ihre Zukunft könnten sonstwo sein. Gibt es aber eine
Evolution des Bewußtseins in einem evolutionären Körper und eine Seele, die
diesen Körper bewohnt, also ein wirkliches und bewußtes Individuum, dann ist
evident, daß die progressive Erfahrung dieser Seele in der Natur die Form dieser
Evolution des Bewußtseins verwendet: Wiedergeburt ist dann selbstverständlich
und ein notwendiger Teil, der einzig mögliche Mechanismus einer solchen
Evolution. Sie ist ebenso notwendig wie die Geburt selbst. Denn ohne sie wäre
die Geburt ein anfänglicher Schritt, ohne daß eine Konsequenz auf ihn folgt. Sie
wäre das Antreten einer Reise, ohne daß man sie fortsetzt und ohne daß man am
Ziel ankommt. Die Wiedergeburt gibt der Geburt eines unvollkommenen Wesens in
einem Körper ihre Verheißung, daß es zu seiner vollkommenen Erfüllung gelangt
und seine spirituelle Bedeutung verwirklicht.
Kapitel XXI. Die Ordnung der Welten
Sieben sind es dieser
Welten, in denen sich die Lebens-Kräfte bewegen, die verborgen sind in dem
geheimen Herzen als in ihrer Wohnstätte, sieben mal sieben.
Mundaka Upanishad, II. 1.8.
Mögen die Völker der fünf Geburten mein Opfer annehmen, diese, die aus dem Licht geboren und der Verehrung würdig sind. Möge die Erde uns vor irdisch Bösem beschützen und die Mittel-Region vor dem Unheil vonseiten der Götter. Folge dem leuchtenden Faden, der quer durch die Mittel-Welt gesponnen ist! Schütze die leuchtenden Pfade, die durch das Denken erbaut sind! Webe ein unzerstörbares Werk, werde zum menschlichen Wesen, erschaffe die göttliche Rasse.. ! Seher der Wahrheit seid ihr, schärft die leuchtenden Speere, mit denen ihr den Weg zu dem bahnt, das unsterblich ist. Die ihr die geheimsten Ebenen kennt, gestaltet sie, die Stufen, durch die die Götter die Unsterblichkeit erlangten.
Rig Veda, X. 53.5,6,10.
Dies ist der ewige Baum mit seiner Wurzel oben und seinen Zweigen nach unten. Dies ist brahman, dies ist das Unsterbliche. In ihm sind alle Welten enthalten, und keine geht über es hinaus. Dieses und Jenes sind eins.
Katha Upanishad, VI, 1.
Erkennt man eine spirituelle Evolution des Bewußtseins
in der materiellen Welt und eine ständige oder wiederholte Wiedergeburt des
Individuums in einem irdischen Körper an, dann erhebt sich die nächste Frage, ob
diese evolutionäre Bewegung etwas Gesondertes und in sich Vollständiges oder ob
sie Teil einer umfassenderen universalen Ganzheit ist, von der die materielle
Welt nur eine Provinz darstellt. Die Antwort auf diese Frage ist schon in den
Abstufungen der Involution enthalten, die der Evolution vorausgehen und sie
ermöglichen. Wenn dieses Vorausgehen eine Tatsache ist, muß es Welten oder
zumindest Ebenen eines höheren Wesens geben. Diese müssen eine gewisse Verbindung mit der Evolution haben, die durch ihr Dasein ermöglicht
wurde. Mag sein, daß sie nichts mehr für uns tun können, als daß sie durch ihre
effektive Gegenwart oder durch ihren Druck auf das Erdenbewußtsein die
involvierten Prinzipien von Leben, Mental und Geist befreien und befähigen, sich
zu offenbaren und ihre Herrschaft in der materiellen Natur durchzusetzen. Es
wäre aber im höchsten Grad unwahrscheinlich, daß die Verbindung und Einwirkung
hier aufhören würde. Wahrscheinlich besteht ein anhaltender, wenn auch
verhüllter Verkehr zwischen dem materiellen Leben und dem Leben auf anderen
Ebenen des Seins. Wir müssen also nun in dieses Problem tieferen Einblick
gewinnen, es an sich selbst betrachten und die Art und Grenzen dieser Verbindung
und dieses gegenseitigen Verkehrs insofern bestimmen, als das die Theorie der
Evolution und der Wiedergeburt in der materiellen Natur betrifft.
Das Herabkommen der Seele in die Unwissenheit kann man sich vorstellen als einen plötzlichen Sturz oder den unmittelbaren Fall eines reinen spirituellen Wesens aus der überbewußten spirituellen Wirklichkeit in die anfängliche Unbewußtheit und das daraus folgende sich entwickelnde phänomenale Leben der materiellen Natur. Wäre das so, dann könnte es oben das Absolute geben und unten das Unbewußte mit der aus ihm erschaffenen materiellen Welt. Das Ziel, die Rückkehr, würde dann ein ähnlich abrupter oder überstürzter Übergang aus einem materiellen verkörperten Welt-Wesen in das transzendente Schweigen sein. Es gäbe keine anderen Zwischenmächte oder Wirklichkeiten als Materie und Geist, keine anderen Ebenen als die materielle, keine anderen Welten als die Welt der Materie. Diese Vorstellung ist aber eine zu scharf trennende und vereinfachte Konstruktion und kann sich nicht gegen eine umfassendere Anschauung von der komplexen Natur des Seins behaupten.
Zweifellos sind mehrere Theorien über den Ursprung des
kosmischen Seins möglich, nach denen es vorstellbar ist, daß ein solches
extremes und starres Verhältnis zwischen den Welt-Kräften zustande kam. In einem
All-Willen könnte ein Grundgesetz dieser Art und ein entsprechendes Gebot
vorhanden gewesen sein. Oder die Seele könnte eine Idee dieser Art gehabt und
sich einem ichhaften materiellen Leben der Unwissenheit zugewandt haben. Man
könnte auch annehmen, die ewige individuelle Seele sei durch ein in ihrem Innern
aufkommendes unerklärliches Begehren dazu gedrängt worden, das Abenteuer der Finsternis zu suchen. Sie habe sich aus ihrem ureigenen Licht in
die Tiefen einer Nichtbewußtheit hinabgestürzt, woraus dann diese Welt der
Unwissenheit entstanden sei. Oder die Vielen, also ein Kollektiv von Seelen, sei
hierzu veranlaßt worden. Denn ein individuelles Wesen kann keinen Kosmos bilden.
Ein Kosmos muß entweder apersonal oder multipersonal sein oder Schöpfung oder
Selbst-Ausdruck eines universalen oder unendlichen Wesens. Dieses Begehren
könnte eine All-Seele mit sich heruntergezogen haben, um mit dieser eine Welt
aufzubauen, die auf die Macht der Unbewußtheit gegründet ist. Wenn das nicht der
Fall ist, könnte die ewig allwissende All-Seele selbst abrupt ihr Selbst-Wissen
in jene Finsternis der Unbewußtheit hinabgestürzt und die individuellen Seelen
mitgenommen haben, damit sie durch eine aufsteigende Stufenfolge von Leben und
Bewußtsein ihre Evolution nach oben beginnen. Wenn aber das Individuum nicht
präexistent ist, wenn wir nur eine Schöpfung des All-Bewußtseins oder ein Trug
der phänomenalen Unwissenheit sind, könnte jede dieser schöpferischen Mächte die
Myriaden individueller Wesen durch die Evolution von Namen und Formen aus einer
ursprünglichen unterschiedslosen prakriti erzeugt haben. Die Seele wäre
dann ein vergängliches Produkt des unterschiedslosen Stoffs einer unbewußten
Kraft-Substanz, der ersten Erscheinungsform der Dinge im materiellen Universum.
Aufgrund dieser Annahme oder einer von ihnen könnte es
nur zwei Ebenen des Seins geben: Auf der einen Seite das materielle Universum,
das aus dem Unbewußten durch die blinde Nichtbewußtheit einer Kraft oder Natur
erschaffen wurde, die vielleicht einem inneren, nicht von ihr gefühlten Selbst
gehorcht, das seine schlafwandlerischen Wirkweisen lenkt. Auf der anderen Seite
gibt es das überbewußte Eine, zu dem wir aus der Unbewußtheit und Unwissenheit
zurückkehren. Wir können uns aber auch vorstellen, es gebe nur eine einzige
Ebene, das materielle Dasein. Es gebe kein von der Seele des materiellen
Universums getrenntes Überbewußtes. Finden wir aber, es gibt noch andere Ebenen
des bewußten Wesens und es existieren bereits andere Welten als das materielle
Universum, so könnte es schwer fallen, diese Ideen durch Tatsachen zu beweisen.
Einer solchen Verneinung könnten wir etwa durch die Annahme entgehen, diese
Welten seien erst nachträglich durch die sich entwickelnde Seele oder für sie im
Laufe ihres Aufstiegs aus der Unbewußtheit heraus geschaffen worden. Bei jeder dieser Anschauungen wäre der ganze Kosmos eine Evolution aus dem
Unbewußten, wobei entweder das materielle Universum ihre einzige und
ausreichende Bühne und Szenerie wäre, oder eine aufsteigende Stufenreihe von
Welten existiert, von denen sich die eine aus der anderen entwickelt und uns
hilft, unsere Rückkehr zur ursprünglichen Wirklichkeit auf diesen Stufen zu
vollziehen. Unserer eigenen Auffassung nach war der Kosmos eine vom überbewußten
saccidananda selbstgeschaffene stufenweise Entwicklung. Bei diesen Theorien
wäre er nichts als eine Entwicklung der Unbewußtheit zu einer Art von Wissen,
das ausreicht, durch Vernichtung ursprünglicher Unwissenheit oder eines diese
verursachenden Begehrens die Mißgeburt von Seele auszulöschen und dem irrigen
Welt-Abenteuer zu entkommen.
Solche Theorien setzen aber entweder eine hervorragende
Bedeutung und verursachende Macht des Mentals voraus oder eine hervorragende
Bedeutung des individuellen Wesens. Beide nehmen gewiß einen wichtigen Platz
ein, jedoch ist der ewige Geist die ursprüngliche Macht und das ursprüngliche
Sein. Die begrifflich-schöpferische Idee – nicht die Real-Idee, das Seiende,
dessen bewußt, was in ihm selbst ist, und automatisch selbst-schöpferisch durch
die Kraft dieser Wahrheits-Bewußtheit – ist eine Bewegung des Mentals. Begehren
ist eine Regung von Leben im Mental. Leben und Mental müßten dann präexistente
Mächte sein und wären die bestimmenden Faktoren bei der Erschaffung der
materiellen Welt gewesen. In diesem Fall könnten sie in gleicher Weise auch ihre
eigene supraphysische Natur erschaffen. Oder wir müßten annehmen, daß die
bewirkende Macht nicht das Begehren in einem Individuum oder in einem
universalen Mental oder Leben gewesen ist, sondern ein Wille im Geist, ein Wille
des Seienden, der etwas von sich selbst oder von seinem Bewußtsein entfaltete:
eine schöpferische Idee oder ein Selbst-Wissen oder ein Drängen seiner
selbst-aktiven Kraft oder eine Tendenz zu einer gewissen Formulierung seiner
Daseins-Freude. Ist aber die Welt nicht geschaffen worden durch die universale
Seins-Seligkeit, sondern zur Befriedigung des Begehrens der individuellen Seele,
für ihre Laune eines unwissenden egoistischen Genießens, dann wäre das mentale
Individuum Schöpfer und Zeuge des Universums, nicht aber das Kosmische Wesen
oder eine Transzendente Gottheit. In der hinter uns liegenden Entwicklung
menschlichen Denkens hat sich das individuelle Wesen immer mehr zu einer
außerordentlich wichtigen Rolle im Plan der Dinge
vorgedrängt und im höchsten Grade an Bedeutung gewonnen. Würden sich diese
Proportionen weiter durchsetzen, wäre es denkbar, ihm die Urheberschaft
zuzugestehen. Denn ein Wille zum Leben der Unwissenheit oder eine Zustimmung
dazu im individuellen purusha muß sicherlich ein Teil der wirksamen
Aktivität des Bewußtseins beim involutionären Niederkommen des Geistes in die
materielle Natur sein. Die Welt kann aber keine Schöpfung des individuellen
Mentals sein oder eine Bühne, die es ausschließlich für sein eigenes
Bewußtseins-Spiel errichtet hat. Auch kann sie nicht allein für das Spiel, die
Befriedigung oder Enttäuschung des Ichs erschaffen worden sein. Sobald wir zu
dem Empfinden erwachen, daß das Universale das Vordringliche ist und wie sehr
das Individuum von ihm abhängt, wird eine solche Theorie für unsere Intelligenz
unmöglich. Die Welt ist in ihren Abläufen viel zu gewaltig, als daß eine solche
Auffassung von ihren Wirkkräften glaubwürdig wäre. Nur eine kosmische Macht oder
ein kosmisches Wesen kann der Schöpfer und Erhalter des Kosmos sein. Und dieser
Kosmos muß auch eine kosmische Wirklichkeit, Bedeutung und Zielsetzung haben,
nicht nur eine individuelle.
Folgerichtig müßte ein solches Individuum, das die Welt
erschuf oder daran teilnahm, mit seinem Begehren oder seiner Zustimmung zur
Unwissenheit schon wach gewesen sein, bevor die Welt überhaupt existierte. Es
müßte als ein Element in irgendeinem suprakosmischen Überbewußten dagewesen
sein, aus dem es herkommt und zu dem es aus diesem Leben des Ichs wieder
zurückkehrt: Wir müßten von einer ursprünglichen Immanenz der Vielen in dem
Einen ausgehen. So wäre es begreiflich, daß sich in einem Unendlichen jenseits
der Welt in einigen der Vielen ein Wille oder ein Drang oder ein spirituelles
Bedürfnis danach geregt haben könnte, sich hinabzustürzen und die Erschaffung
dieser Welt der Unwissenheit zu erzwingen. Da aber der Eine die grundlegende
Tatsache des Seins ist und da die Vielen von dem Einen abhängen und Seelen des
Einen, Wesen seines Wesens sind, muß diese Wahrheit auch das Fundamental-Prinzip
des kosmischen Seins bestimmen. Daraus erkennen wir, daß das Universale dem
Individuellen vorausgeht, ihm sein Wirkungsfeld anweist und das ist, in dem das
Individuelle kosmisch existiert, obwohl sein Ursprung in der Transzendenz liegt.
Die individuelle Seele lebt hier durch die All-Seele und hängt von ihr ab. Ganz
eindeutig existiert die All-Seele nicht durch die individuelle Seele und hängt
auch nicht von ihr ab. Sie ist nicht die Summe
der individuellen Wesen und keine pluralistische Ganzheit, die durch das bewußte
Leben von Individuen erschaffen wird. Wenn eine All-Seele existiert, muß sie der
Eine Kosmische Geist sein, der die Eine Kosmische Kraft in ihrem Wirken
unterstützt. Sie wiederholt hier, abgewandelt in die Begriffe des kosmischen
Daseins, die ursprüngliche Beziehung der Abhängigkeit der Vielen von dem Einen.
Es ist unvorstellbar, daß die Vielen in einer Unabhängigkeit von dem Einen
Willen oder durch eine Lostrennung von ihm ein Dasein im Kosmos begehrt und
durch ihr Begehren das erhabene saccidananda gezwungen haben sollten,
gegen seinen Willen oder mit zustimmender Duldung in die Nichtbewußtheit
herabzukommen. Das würde bedeuten, daß man die wahre Abhängigkeit der Dinge
voneinander in ihr Gegenteil verkehrt. Hätte die Welt ihren Ursprung unmittelbar
im Willen oder im spirituellen Drang der Vielen gehabt – was möglich und sogar
in gewissem Sinn denkbar ist –, dann müßte es zuerst einen auf dieses Ziel
gerichteten Willen in saccidananda gegeben haben. Sonst könnte der Drang
– der in dieser Welt den All-Willen in Begehren übersetzt, denn das, was im Ich
zum Begehren wird, ist Wille im Geist – nirgendwo entstanden sein. Zuerst muß
der Eine, die All-Seele, durch die allein das Bewußtsein des Individuums
bestimmt wird, die Verhüllung durch die unbewußte Natur angenommen haben, bevor
auch das Individuum den Schleier der Unwissenheit im materiellen Universum
annehmen kann.
Haben wir aber einmal diesen Willen des höchsten und
kosmischen Wesens als die unentbehrliche Voraussetzung für das Dasein des
materiellen Universums anerkannt, dann ist es nicht mehr möglich, das Begehren
als ein schöpferisches Prinzip zu akzeptieren. Denn das Begehren hat keinen Raum
im Höchsten oder im All-Seienden. Dieses kann ja nach nichts ein Begehren haben.
Begehren rührt daher, daß etwas unvollständig oder nicht ausreichend vorhanden
ist, daß der Mensch etwas nicht besitzt oder genießt und dieses sucht, um es zu
besitzen oder sich daran zu erfreuen. Ein höchstes und universales Wesen kann
von der Seligkeit über sein All-Sein erfüllt sein. Für solche Wonne muß Begehren
etwas Fremdes sein, es kann nur zur Mitgift des vollkommenen evolutionären Ichs
gehören, das ein Erzeugnis des kosmischen Wirkens ist. Wenn überdies das
All-Bewußtsein des Geistes den Willen hatte, sich in die Unbewußtheit der
Materie hinabzustürzen, muß das geschehen sein, weil es dadurch die Möglichkeit
zu seiner Selbst-Erschaffung oder Manifestation
bekam. Es kann aber nicht die alleinige und begrenzte Möglichkeit der
Manifestation des All-Wesens sein, allein nur ein materielles Universum und eine
Evolution aus der Unbewußtheit in ein spirituelles Bewußtsein zu erschaffen. Das
könnte nur der Fall sein, wenn Materie die ursprüngliche Macht und Form des
manifestierten Wesens wäre und der Geist keine andere Wahl hätte und sich allein
durch die Unbewußtheit in die Materie hinein als Basis offenbar machen könnte.
Das würde aber zu einem materialistischen evolutionären Pantheismus führen. Wir
müßten dann die Wesen, die das Universum bevölkern, als Seelen des Einen
ansehen, als Seelen, die hier in Ihm geboren werden und sich durch unbelebte,
belebte und mental entwickelte Gestaltungen hinaufentwickeln müssen, bis sie ihr
vollkommenes und unzerteiltes Leben in dem überbewußten pantheos
erlangen. Schließlich würde dann dessen kosmisches Einssein als Ende und Ziel
ihrer Evolution eingreifen. In diesem Fall hat sich alles nur hier entwickelt.
Leben, Mental und Seele sind aus dem Einen im materiellen Universum durch die
Kraft seines verborgenen Wesens entstanden. Alles wird sich hier im materiellen
Universum erfüllen. Dann gibt es keine besondere Ebene der Überbewußtheit; denn
das Überbewußte ist nur hier, nicht anderswo. Dann gibt es keine supraphysischen
Welten. Es gibt kein Wirken supraphysischer Prinzipien außerhalb der Materie und
keinen Druck eines bereits vorhandenen Mentals und Lebens auf die materielle
Ebene.
Man hat gefragt, was Mental und Leben seien. Darauf
könnte man antworten, sie seien Produkte der Materie oder von Energie in der
Materie. Sie könnten auch Gestaltungen von Bewußtsein sein, die als Ergebnis
einer Entwicklung von der Unbewußtheit zur Überbewußtheit aufsteigen: Bewußtsein
selbst sei nur eine Brücke, ein Übergang. Es sei Geist, der teilweise seiner
selbst bewußt wird, bevor er sich in die für ihn normale Trance erleuchteter
Überbewußtheit versenkt. Selbst wenn bewiesen wäre, daß es Ebenen eines
umfassenderen Lebens und Mentals gibt, so wären sie nur subjektive
Konstruktionen dieses vermittelnden Bewußtseins, errichtet auf dem Weg zu jener
spirituellen höchsten Erfüllung. Aber die Schwierigkeit liegt darin, daß Mental
und Leben zu verschieden von der Materie sind, als daß sie Produkte der Materie
sein könnten. Materie selbst ist ein Produkt von Energie; so müssen Mental und
Leben als höhere Produkte der gleichen Energie angesehen werden. Wenn wir die
Existenz eines kosmischen Geistes anerkennen, muß
die Energie spirituell sein. Leben und Mental müssen unabhängige Produkte einer
spirituellen Energie und selbst Mächte der Offenbarung des Geistes sein. Dann
ist es unvernünftig, anzunehmen, Geist und Materie existierten allein, sie seien
zwei sich konfrontierende Wirklichkeiten; Materie sei die einzig mögliche Basis
für die Manifestation von Geist. Zugleich wird auch die Vorstellung unhaltbar,
es gebe nur eine einzige materielle Welt. Geist muß fähig sein, seine
Manifestation auf das Mental-Prinzip oder auf das Lebens-Prinzip zu gründen,
nicht nur auf das Prinzip von Materie. Dann könnten und sollten auch
logischerweise Welten von Mental und Welten von Leben existieren. Es mag sogar
Welten geben, die auf ein mehr subtiles, formbares und bewußtes Prinzip von
Materie gegründet sind.
Nun erheben sich drei Fragen, die in Beziehung
zueinander stehen oder voneinander abhängig sind: Gibt es einen Beweis oder eine
begründete Vermutung für die Existenz solcher anderen Welten? Sind sie, falls
sie existieren, von der schon angedeuteten Art, daß sie innerhalb der Ordnung
oder innerhalb des Grundprinzips einer hierarchischen Reihenfolge zwischen
Materie und Geist emporsteigen oder herabkommen? Sind sie, wenn das die Skala
ihres Wesens ist, sonst ganz unabhängig und nicht miteinander verknüpft, oder
gibt es eine Beziehung der höheren Welten zur Welt der Materie und gegenseitige
Einwirkung mit ihr? Es ist eine Tatsache, daß die Menschheit fast seit dem
Anfang ihres Daseins, soweit man in der Geschichte oder Überlieferung
zurückgehen kann, an das Dasein anderer Welten und an die Möglichkeit einer
Kommunikation ihrer Mächte und Wesen mit der menschlichen Rasse geglaubt hat. In
der letzten rationalistischen Periode menschlichen Denkens, aus der wir
herkommen, ist diese Annahme als uralter Aberglaube beiseite geschoben worden.
Man hat a priori jedes Zeugnis und alle Hinweise auf seine Wahrheit als
grundsätzlich falsch zurückgewiesen. Sie bedürften keiner Erforschung, da sie
unvereinbar seien mit der unumstößlichen Wahrheit, daß nur die Materie, die
materielle Welt und ihre Erfahrungen wirklich seien. Bei jeder anderen
Erfahrung, die vorgebe, wirklich zu sein, müsse es sich entweder um
Halluzination, Betrug oder das subjektive Ergebnis abergläubischer
Leichtgläubigkeit und Phantasie handeln. Gäbe es aber doch solche Tatsachen,
dann seien sie etwas ganz anderes, als sie zu sein behaupten, und durch eine
physische Ursache zu erklären. Man dürfe ein solches Faktum erst dann als
bezeugt akzeptieren, wenn es seiner Art nach
objektiv und physisch sei. Selbst wenn es offensichtlich supraphysischer Art
wäre, könne es als solches nur dann anerkannt werden, wenn es durch jede andere
denkbare Hypothese oder sonstige Mutmaßung völlig unerklärlich bleibe.
Es sollte einleuchten, daß diese Forderung nach einem
physisch gültigen Beweis für ein supraphysisches Faktum unvernünftig und
unlogisch ist. Es ist eine unsachliche Haltung des physischen Mentals, wenn es
annimmt, nur das Objektive und Physische sei fundamental wirklich, und alles
andere als rein subjektiv beiseite schiebt. Eine supraphysische Tatsache kann
auf die physische Welt einwirken und physische Ergebnisse hervorrufen. Sie kann
sogar eine Wirkung auf unsere physischen Sinne ausüben und diesen wahrnehmbar
werden. Das kann aber nicht ihre unveränderliche Art und besonders
charakteristisch für ihr normales Verfahren sein. Gewöhnlich muß das
Supraphysische eine unmittelbare Wirkung oder einen greifbaren Eindruck auf
unser Mental und unser Lebens-Wesen ausüben. Denn diese unsere Seiten gehören
derselben Ordnung an wie es selbst. Es kann aber, wenn überhaupt, nur mittelbar
und durch sie die physische Welt und das physische Leben beeinflussen. Wenn es
sich objektiv macht, muß das gegenüber einem subtileren Sinn in uns und nur in
abgeleiteter Weise den äußeren physischen Sinnen gegenüber geschehen. Diese
abgeleitete Objektivierung ist gewiß möglich. Nur dann, wenn es zu einer engen
Verbindung des Wirkens des subtilen Körpers und seiner Sinnen-Organisation mit
dem Wirken des physischen Körpers und seiner physischen Organe kommt, kann das
Supraphysische äußerlich für uns wahrnehmbar werden. Das geschieht etwa bei der
Begabung, die man das Zweite Gesicht nennt. Das ist der Vorgang bei all den
physischen Phänomenen, die man scheinbar mit den äußeren Sinnen sieht oder hört
und die nicht im Innern durch die repräsentativen oder interpretierenden oder
symbolischen Bilder wahrgenommen werden, die den Stempel innerer Erfahrung oder
offenkundig den Charakter von Gestaltungen in einer subtilen Substanz tragen. Es
kann also verschiedene Arten von Beweis für das Dasein anderer Ebenen des
Seienden und für die Kommunikation mit ihnen geben: Objektivierung den äußeren
Sinnen gegenüber, Kontakte durch die subtilen Sinne, Kontakte durch das Mental
und das Leben, Kontakte durch das Subliminal in besonderen
Bewußtseins-Zuständen, die über unseren gewöhnlichen Bereich hinausgehen. Unser
physisches Mental ist nicht das Ganze und auch nicht die beste oder höchste Seite unseres Wesens, obwohl es fast das Ganze unseres
vordergründigen Bewußtseins beherrscht. Die Wirklichkeit läßt sich nicht auf
einen Bereich von solcher Enge oder auf die Dimensionen begrenzen, die innerhalb
seines starren Umkreises bekannt sind.
Man mag zustimmen, wenn gesagt wird, subjektive
Erfahrung oder subtil-sinnliche Bilder können leicht trügerisch sein, da wir
keine anerkannte Methode, keinen Maßstab für den Erweis ihrer Wahrheit besitzen
und eine zu starke Tendenz haben, das Außerordentliche und Mirakelhafte oder das
Übernatürliche für bare Münze zu nehmen: Zu irren ist aber nicht nur ein
Privileg der subjektiven oder subliminalen Seiten in uns, es ist auch eine
Mitgift des physischen Mentals und seiner objektiven Methoden und Maßstäbe. Eine
solche Anfälligkeit für Irrtum darf aber kein Grund dafür sein, einen weiten und
wichtigen Bereich der Erfahrung auszuschließen. Es ist eher ein Grund dafür,
solche Erfahrungen zu erforschen und in ihnen die wahren Maßstäbe und die für
sie charakteristischen geeigneten und gültigen Mittel zu finden, ihre Wahrheit
nachzuprüfen. Unser subjektives Wesen ist die Grundlage für unsere objektive
Erfahrung. Es ist nicht wahrscheinlich, daß nur seine physischen
Objektivierungen wahr sind und alles übrige unzuverlässig ist. Wenn man das
subliminale Bewußtsein richtig befragt, bezeugt es die Wahrheit, und seine
Bekundung wird immer wieder, sogar im physischen und objektiven Bereich,
bestätigt. Dieses Zeugnis darf man gerade dann nicht mißachten, wenn es unsere
Aufmerksamkeit für Dinge in unserem Innern oder für solche fordert, die zu
Ebenen oder Welten einer supraphysischen Erfahrung gehören. Andererseits ist
aber das Fürwahrhalten kein Beweis für die Wirklichkeit. Sie muß auf etwas
beruhen, das mehr Gültigkeit hat, bevor wir sie annehmen dürfen. Sicherlich sind
Überzeugungen vergangener Zeiten keine ausreichende Grundlage für die
Erkenntnis, obwohl man sie auch nicht völlig mißachten soll: Denn ein
Fürwahrhalten ist eine mentale Konstruktion und kann ein falsches Gebäude sein.
Oft kann es aber die Antwort auf eine innere Ahnung sein und hat dann seinen
Wert. Zumeist entstellt es aber diese Ahnung, gewöhnlich dadurch, daß es sie in
Begriffe überträgt, die unserer physischen und objektiven Erfahrung vertraut
sind. Das geschieht etwa dadurch, daß diese Überzeugung die Hierarchie der
Ebenen in eine physische Hierarchie oder in eine geographische Raum-Ausdehnung
verwandelte, die selteneren Höhen der subtilen Substanz in materielle Höhen
verkehrte und den Sitz der Götter auf die Gipfel
physischer Berge verlegte. Alle Wahrheit, die supraphysische oder die physische,
darf sich nicht allein auf ein mentales Fürwahrhalten, sondern muß sich auf eine
Erfahrung gründen. In jedem Fall muß die Erfahrung, ob physisch, subliminal oder
spirituell, von der Art sein, die der Ordnung der Wahrheiten angemessen ist, in
die einzutreten wir Vollmacht bekommen haben. Ihre Gültigkeit und Bedeutung darf
nur im Einklang mit ihrem eigenen Gesetz und von einem Bewußtsein erforscht
werden, das in sie eindringen kann, nicht aber nach dem Gesetz eines anderen
Bereiches oder von einem Bewußtsein, das nur aufnahmefähig ist für die
Wahrheiten einer anderen Ordnung. Nur so können wir unserer Schritte sicher sein
und den Umfang unseres Wissens kraftvoll erweitern.
Erforschen wir die Ahnungen von supra-physischen
Welt-Wirklichkeiten, die wir in unserer inneren Erfahrung empfangen, vergleichen
wir sie mit dem Bericht über solche Ahnungen, der seit dem Anfang menschlicher
Erkenntnis ständig auf uns gekommen ist, und versuchen wir dann eine Deutung und
eine summarische Ordnung, so finden wir, daß uns durch diese innere Erfahrung
besonders eindringlich mitgeteilt wird die Existenz und Einwirkung auf uns von
Ebenen des Seienden und des Bewußtseins, die umfassender sind als die rein
materielle Ebene mit ihrem beschränkten Dasein und Wirken, deren wir in unserer
engen irdischen Formel gewahr werden. Diese Bereiche eines umfassenderen Wesens
sind von unserem Wesen und Bewußtsein durchaus nicht fern und getrennt. Denn
wenn sie auch in sich selbst ruhen und ihr eigenes Kräftespiel, den Ablauf und
die Formulierungen ihres Daseins und ihrer Erfahrung besitzen, durchdringen sie
doch zugleich auch die physische Ebene und umhüllen sie mit ihrer unsichtbaren
Gegenwart und mit ihren Einflüssen. Ihre Mächte scheinen gerade hier in der
materiellen Welt selbst hinter deren Wirken und Gegenständen zu stehen. In
unserem Kontakt mit ihnen gibt es zwei hauptsächliche Ordnungen von Erfahrung.
Die eine ist rein subjektiv, jedoch in ihrer Subjektivität lebendig und greifbar
genug; die andere ist mehr objektiv. In der subjektiven Ordnung finden wir, daß
das, was sich uns hier als eine Lebens-Absicht, ein Lebens-Impuls oder eine
Lebens-Formulierung gestaltet, in einem umfassenderen, subtileren, plastischeren
Bereich von Möglichkeiten bereits existiert und daß diese präexistenten Kräfte
und Formulierungen einen Druck auf uns ausüben, um sich auch in der physischen
Welt zu verwirklichen. Doch gelingt es nur einem Teil von ihnen, bis hierher durchzukommen, und auch das tritt zum Teil in einer
Form und in Umständen hervor, die mehr zum System eines irdischen Gesetzes und
Ablaufs passen. Dieses Eindringen in uns findet normalerweise statt, ohne daß
wir davon Kenntnis nehmen. Wir gewahren das Wirken dieser Mächte, Kräfte und
Einflüsse auf uns nicht. Vielmehr halten wir sie sogar dann für Gebilde unseres
eigenen Lebens und Mentals, wenn unsere Vernunft oder unser Wille sie ablehnt
und darum ringt, nicht von ihnen überwältigt zu werden. Gehen wir aber nach
innen, weg von unserem beschränkten vordergründigen Bewußtsein und entfalten
dadurch einen feineren Sinn und tiefere Bewußtheit, dann ahnen wir mehr und mehr
den Ursprung dieser Bewegung und können ihr Wirken und ihren Prozeß beobachten,
sie annehmen, zurückweisen oder verändern, ihnen Durchgang und Verwendung
unseres Mentals und Willens, unseres Lebens und unserer Glieder erlauben oder
verweigern. Zugleich werden wir auch umfassenderer Bereiche unseres Mentals,
eines Kräftespiels inne, einer Erfahrung, einer Gestaltung größerer Formbarkeit,
eines Wirbels aller möglichen mentalen Formulierungen. Wir fühlen ihre Kontakte,
ihre Mächte und Einflüsse, die auf die mentalen Fähigkeiten in derselben
okkulten Weise einwirken, wie jene anderen, die in den Bereichen unseres Vitals
aktiv sind. Diese Art Erfahrung ist in erster Linie von rein subjektivem
Charakter, ein Druck von Ideen, Suggestionen, emotionalen Erregungen, Impulsen
auf die Sinne, auf unser Handeln und unsere dynamische Erfahrung. Wenn man auch
einen großen Teil dieses Druckes auf unser eigenes subliminales Selbst oder auf
die Angriffe von universalen Mental-Kräften zurückführen kann, die zu unserer
eigenen Welt gehören, so gibt es doch hier ein Element, das den Stempel eines
anderen Ursprungs trägt und mit seiner drängenden überirdischen Art auf uns
einwirkt.
Diese Kontakte hören aber hier nicht auf. Denn es gibt
auch ein Offensein unserer mentalen und Lebensbegabungen für einen weiten
Bereich subjektiv-objektiver Erfahrungen, in denen sich diese Ebenen nicht mehr
als Ausweitungen unseres subjektiven Wesens und Bewußtseins, sondern als Welten
darstellen. Denn die Erfahrungen sind dort ebenso organisiert wie in unserer
eigenen Welt, jedoch nach einem anderen Plan, mit einem anderen Prozeß und
Gesetz des Wirkens und in einer Substanz, die einer supraphysischen Natur
zugehört. Diese Organisation enthält, wie auf unserer Erde, das Dasein von
Wesen, die Gestaltungen haben oder annehmen, sich offenbaren oder auf natürliche Weise in einer sie verkörpernden Substanz manifestiert sind. Das ist
aber eine andere Substanz als die unsrige, eine subtile Substanz, eine
supraphysische Form-Materie, die nur subtilen Sinnen erfaßbar ist. Diese Welten
und Wesen haben vielleicht nichts mit uns selbst und mit unserem Leben zu tun;
sie mögen keine Einwirkung auf uns ausüben. Oft treten sie aber auch in geheime
Kommunikation mit dem Erden-Dasein, gehorchen kosmischen Mächten und Einflüssen
oder verkörpern sie, von denen wir eine subjektive Erfahrung haben, sind deren
Vermittler und Instrumente. Oder sie wirken selbst durch eigene Initiative auf
Leben, Beweggründe und Ereignisse der irdischen Welt ein. Es ist möglich, daß
wir von diesen Wesen Hilfe oder Führung, aber auch Schaden und Verführung
empfangen. Es kann sogar vorkommen, daß man ihrem Einfluß unterworfen ist,
besessen durch ihr Eindringen in uns oder ihre Herrschaft über uns, oder daß sie
uns als Werkzeug für ihre gute oder böse Absicht verwenden. Zu Zeiten scheint
der Fortschritt des irdischen Lebens ein gewaltiges Schlachtfeld zwischen den
supraphysischen Kräften beider Art zu sein, derer, die danach streben, unsere
Entwicklung nach oben oder den Selbst-Ausdruck der Seele im materiellen
Universum emporzuheben, zu ermutigen und zu erleuchten, und derer, die sich
bemühen, die Seele irrezuführen, zu unterdrücken, zu behindern oder gar zu
zerschmettern. Einige dieser Wesen, Mächte oder Kräfte sind so, daß wir sie für
göttlich halten. Sie sind voll von Licht, segensreich und machtvolle Helfer. Es
gibt andere, gigantische und dämonische, die zu den Titanen gehören, mit
Einflüssen wider alle Ordnung, oft die Anstifter oder Urheber von ungeheurem und
schrecklichem inneren Aufruhr oder von Handlungen, die das normale menschliche
Maß übersteigen. Auch hier mag man Einflüsse, Vergegenwärtigungen und Wesen
wahrnehmen, die nicht zu anderen Welten jenseits von uns gehören, sondern hier
als verborgene Elemente hinter der Verhüllung in der irdischen Natur aktiv sind.
So wie ein Kontakt mit dem Supraphysischen möglich ist, so kann auch ein
subjektiver oder objektiver, zumindest ein objektivierter, Kontakt zwischen
unserem Bewußtsein und dem Bewußtsein anderer, früher einmal verkörpert
gewesener Menschen stattfinden, die in einen supraphysischen Zustand, in jene
anderen Bereiche des Seins hinübergegangen sind. Auch ist es möglich, daß man
über einen subjektiven Kontakt oder eine subtil-sinnliche Wahrnehmung
hinauskommt und in gewissen subliminalen Bewußtseins-Zuständen tatsächlich in
andere Welten eingeht und etwas von
ihren
Geheimnissen erfährt. Diese mehr objektive Weise, andere Welten zu erfahren, hat
die Phantasie der Menschen der Vergangenheit am meisten beschäftigt. Das wurde
aber durch die populären Anschauungen in einer grob-objektivierten Darstellung
wiedergegeben, die diese Phänomene unzulässig jenen der physischen Welt anglich,
mit denen wir vertraut sind. Denn es ist eine normale Tendenz unseres Mentals,
alles in Formen der Symbole umzuwandeln, die der eigenen Art und den Begriffen
eigener Erfahrung angepaßt sind.
In den vergangenen Perioden der Menschheit ist das, in seinen allgemeinsten Begriffen ausgedrückt, stets die normale Reichweite und Art der Anschauung und Erfahrung von einer anderen Welt gewesen. Namen und Formen sind verschieden, doch die allgemeinen Grundzüge sind in allen Ländern und Zeiten einander überraschend ähnlich. Welchen genauen Wert sollen wir diesen beharrlich auftretenden Anschauungen oder dieser Masse von übernormalen Erfahrungen beimessen? Niemandem, der diese Kontakte innerlich unmittelbar und nicht nur durch verstreute abnorme Zufälligkeiten erfahren hat, ist es möglich, sie als reinen Aberglauben oder als Halluzination beiseite zu schieben. Denn ihr Druck ist zu beharrlich, wirklich, wirksam und organisch, sie werden ständig durch ihre Wirkung und ihre Ergebnisse zu sehr bestätigt, als daß man sie einfach unbeachtet lassen könnte. Es ist unerläßlich, diese Seite unserer Erfahrungskraft richtig einzuschätzen, zu deuten und mental zu organisieren.
Man könnte eine andere Erklärung vorbringen: Der Mensch
selbst erschaffe die supraphysischen Welten, die er nach dem Tod bewohnt oder zu
bewohnen meint, er erschaffe die Götter, wie ein altes Wort es ausdrückt, und es
wird sogar behauptet, Gott selbst wurde vom Menschen erschaffen, er sei ein
Mythos seines Bewußtseins und jetzt vom Menschen abgeschafft worden. So könnten
auch alle diese Dinge eine Art Mythos des sich entwickelnden Bewußtseins sein,
in dem es, Gefangener seiner eigenen Konstruktionen, wohnen könnte, um sich
durch eine Art Realisierungskraft in seinen eigenen Phantasien festzuhalten. Sie
sind aber keine Phantasien, sie können von uns nur so lange als solche behandelt
werden, wie die Dinge, die sie repräsentieren, noch nicht zu einem, wenn auch
ungenauen, Teil unserer eigenen Erfahrung geworden sind. Aber es ließe sich
denken, daß sie Mythen und Phantasien sind, die von der Macht der schöpferischen
Bewußtseins-Kraft verwendet werden, um deren Ideen und Kräfte zu materialisieren. Diese machtvollen Bilder könnten Form und Körper
annehmen, in einer subtil-materialisierten Welt des Denkens Bestand haben und
auf ihren Schöpfer zurückwirken. Wenn das so wäre, könnten wir annehmen, jene
anderen Welten seien auch nur Konstruktionen dieser Art. Wäre das aber so und
könnte ein subjektives Bewußtsein auf diese Weise Welten und Wesen erschaffen,
dann könnte sehr wohl auch die objektive Welt ein Mythos des Bewußtseins oder
sogar unseres Bewußtseins sein, oder das Bewußtsein selbst wäre ein Mythos der
ursprünglichen Nichtbewußtheit. So kehren wir bei einer solchen Wendung unseres
Denkens zurück zu einer Betrachtung des Universums, in der alle Dinge eine
gewisse Färbung von Unwirklichkeit annehmen, von der nur jene all-produktive
Unbewußtheit ausgenommen ist, aus der sie erschaffen sind, ferner jene
Unwissenheit, die sie erschafft, und vielleicht noch ein überbewußtes
apersonales Wesen, in dessen völlige Indifferenz alles zuletzt verschwindet,
zurückkehrt und aufhört.
Wir haben aber keinen Beweis, und es besteht auch keine
Wahrscheinlichkeit dafür, daß das Mental des Menschen auf diese Weise dort eine
Welt erschaffen könnte, wo vorher keine war, also in vacuo, ohne eine
Substanz, um darin oder darauf etwas aufzubauen, obwohl es gut sein könnte,
einer bereits fertigen Welt etwas hinzuzufügen. Das Mental ist in der Tat ein
machtvoller Bewirker, ein mächtigerer, als wir es uns gern vorstellen. Es kann
Formen bilden, die sich in unserem eigenen Bewußtsein und Leben oder in dem
anderer auswirken und sogar eine Wirkung auf die unbewußte Materie ausüben. Eine
völlig ursprüngliche Erschaffung im Leeren liegt jedoch jenseits seiner
Möglichkeiten. Wir können eher die Vermutung wagen, daß das Mental des Menschen
bei seinem Wachsen in Beziehung zu neuen Bereichen des Wesens und Bewußtseins
tritt, die keineswegs von ihm erschaffen wurden, für es neu und bereits im
All-Sein präexistent sind. Mit seiner wachsenden inneren Erfahrung eröffnet sich
der Mensch neue Bereiche in sich selbst. Sobald die verborgenen Zentren seines
Bewußtseins ihre Verschlüsse öffnen, kann er durch sie jene umfassenderen
Gebiete begreifen, unmittelbare Einflüsse von ihnen empfangen, in sie eingehen
und sie sich in seinem irdischen Mental und den inneren Sinnen vorstellen. Er
erschafft nun wirklich von ihnen Bilder, Symbol-Formen, reflektive Gestaltungen,
mit denen sein Mental umgehen kann. Nur in diesem Sinn erschafft er das Bild
Gottes, das er anbetet, die Gestalten der
Götter, die neuen Ebenen und Weiten in seinem Innern. Durch diese Abbildungen
können die wirklichen Welten und Mächte, die hoch über unserem Dasein walten,
das Bewußtsein der physischen Welt in ihren Besitz nehmen, ihre machtvollen
Möglichkeiten in es einströmen lassen und es mit dem Licht ihres höheren Wesens
umgestalten. Das alles ist jedoch keine Erschaffung der höheren Welten des
Seienden. Vielmehr offenbaren diese sich dem Bewußtsein der Seele auf der
materiellen Ebene, sobald sich diese aus der Nichtbewußtheit entwickelt hat.
Ihre Gestaltungen werden hier dadurch erschaffen, daß die Seele ihre Mächte
empfängt. Unser subjektives Leben auf der hiesigen Ebene wird dadurch
ausgeweitet, daß es seine wahre Beziehung zu höheren Ebenen seines eigenen
Wesens entdeckt, von denen es durch die Verhüllung der materiellen
Nichtbewußtheit getrennt war. Diese Verhüllung existiert deshalb, weil die Seele
im Körper die höheren Möglichkeiten hintangestellt hat, um ihr Bewußtsein und
ihre Kraft ausschließlich auf ihr vordringliches Wirken in der physischen Welt
des Seienden konzentrieren zu können. Dieses anfängliche Wirken kann aber nur
dadurch seine Fortsetzung finden, daß die Verhüllung, wenigstens teilweise,
aufgehoben oder sonstwie durchsichtig wird, so daß die höheren Ebenen von
Mental, Leben und Geist ihre Bedeutung in das menschliche Dasein einströmen
lassen können.
Die Annahme ist möglich, diese höheren Ebenen und
Welten seien erst nach der Manifestation des materiellen Kosmos erschaffen
worden, um dessen Evolution zu unterstützen, oder in gewissem Sinne als deren
Resultat. Eine solche Auffassung könnte das physische Mental, das bei all seinen
Vorstellungen von dem materiellen Universum als derjenigen Sache ausgeht, die es
kennt, analysiert hat und mit der es fast meisterhaft umgehen kann, leicht
anzunehmen geneigt sein, wenn es sich gezwungen sieht, ein supraphysisches
Dasein anzuerkennen. Es könnte dann das Materielle, die Unbewußtheit, als
Ausgangspunkt und Stütze alles Seienden beibehalten, da es zweifellos für uns
der Ausgangspunkt der evolutionären Bewegung ist, deren Szenerie die materielle
Welt bildet. Unser Mental könnte Materie und materielle Kraft noch als Anfang
alles Daseins beibehalten, die es deshalb so anerkennt und bevorzugt, weil sie
das erste sind, was es kennt, und das einzige, das immer mit Sicherheit
gegenwärtig und erkennbar ist, und es könnte das Spirituelle und das
Supraphysische für abhängig von ihrer
gesicherten Grundlage in der Materie halten.20 Wie
wurden aber dann diese Welten erschaffen, durch welche Kräfte und durch welche
Instrumentation? Es könnte sein, daß Leben und Mental bei ihrer Entfaltung aus
dem Unbewußten auch diese anderen Welten oder Ebenen im subliminalen Bewußtsein
der lebenden Wesen entwickelt haben, die in ihm in Erscheinung treten. Für das
subliminale Wesen könnten im Leben und nach dem Tod – denn das innere Wesen
überlebt den Tod des Körpers – diese Welten deshalb wirklich sein, weil sie
seinem umfassenderen Bewußtseins-Bereich fühlbar sind. Es könnte sich in ihnen
mit dem vielleicht abgeleiteten, jedoch überzeugenden Empfinden ihrer
Wirklichkeit bewegen und seine Erfahrung von ihnen als ein Fürwahrhalten oder
als eine Vorstellung zu dem vordergründigen Wesen emporsenden. Das ist eine
mögliche Erklärung, wenn wir Bewußtsein als die wirkliche schöpferische Macht
oder als den bewirkenden Urheber und alle Dinge als Gestaltungen des Bewußtseins
anerkennen. Das würde aber den supraphysischen Ebenen des Seienden nicht jene
Substanzlosigkeit oder jene ungreifbare Realität beimessen, die das physische
Mental ihnen gern beimißt. Sie würden dann an sich die gleiche Wirklichkeit
haben, wie die physische Welt oder die Ebenen der physischen Erfahrung sie in
ihrer eigenen Ordnung besitzen.
Wären auf diese oder eine andere Art die höheren Welten
nachträglich, nach der Erschaffung der materiellen Welt, der Urschöpfung, durch
eine umfassendere geheime Evolution aus dem Unbewußten entfaltet worden, dann
müßte das von einer All-Seele bei ihrem Hervortreten durch einen Prozeß
geleistet worden sein, von dem wir keine Kenntnis haben können. Es müßte für den
Zweck der Evolution hier, zu ihrer Unterstützung oder als ihre höhere Auswirkung
geschehen sein, damit Leben, Mental und Geist sich in Bereichen eines freieren
Horizontes bewegen und so, daß diese höheren Mächte und Erfahrungen auf den
Selbst-Ausdruck der Materie zurückwirken können. Dieser Hypothese steht aber die
Tatsache entgegen, daß wir die höheren Welten in unserer Schau und Erfahrung
keineswegs auf das materielle Universum gegründet
finden, keineswegs als dessen Ergebnisse, sondern eher als höhere Begriffe des
Seienden, als umfassendere und freiere Bereiche des Bewußtseins. Alle Aktivität
auf der materiellen Ebene sieht eher aus wie das Resultat, nicht aber wie der
Ursprung dieser höheren Begriffe, als sei sie aus diesen abgeleitet, sogar in
ihrem evolutionären Ringen teilweise von ihnen abhängig. Ungeheure Potenzen von
Mächten, Einflüssen, Phänomenen kommen insgeheim aus dem Übermental und den
höheren mentalen und vitalen Bereichen zu uns herab. Doch kann nur ein Teil von
ihnen, sozusagen eine Auswahl oder eine beschränkte Anzahl, auf der Bühne der
physischen Welt agieren und sich hier verwirklichen. Die übrigen warten, bis die
Zeit und günstige Umstände für ihre Offenbarung in den physischen Begriffen und
Formen, für ihre Rolle in der irdischen21 Entwicklung, gekommen sind, die zugleich eine Evolution aller
Mächte des Geistes ist.
Diese eigentümliche Art der anderen Welten macht all
unsere Versuche zunichte, unserer Ebene des Seienden und unserer eigenen Rolle
bei der Offenbarung der Welt vordringliche Bedeutung beizumessen. Nicht wir
erschaffen Gott als einen Mythos unseres Bewußtseins, sondern wir sind Werkzeuge
für eine progressive Manifestation des Göttlichen Wesens im materiellen
Seienden. Nicht wir erschaffen die Götter, die seine Mächte sind, sondern eher
spiegelt hier die Divinität, die wir offenbaren, zum Teil die ewigen Gottheiten
wider und verleiht ihnen Gestalt. Nicht wir erschaffen die höheren Ebenen,
sondern wir sind Vermittler, durch die sie ihr Licht, ihre Macht und Schönheit
in jeglicher Form und in jedem Umfang offenbaren, die ihnen auf der materiellen
Ebene durch die Natur-Kraft gegeben werden kann. Der Druck der Lebens-Welt
ermöglicht es dem Leben, sich hier in den uns bereits bekannten Formen zu
entwickeln und zu entfalten. Dieser wachsende Druck treibt das Leben dazu, in
uns nach einer höheren Offenbarung seiner selbst zu streben. Eines Tages wird es
das Sterbliche von seiner Knechtschaft unter den engen Begrenzungen durch seine
gegenwärtige unzureichende Körperlichkeit befreien. Der Druck der Mental-Welt
entfaltet und entwickelt hier das Mental und hilft uns dazu, einen Hebel zu finden, uns mental selbst emporzuheben und auszudehnen, so daß wir
hoffen dürfen, das Selbst unserer Intelligenz ständig auszuweiten und sogar die
Gefängniswände unserer durch die Materie gebundenen physischen Mentalität zu
zerbrechen. Der Druck der supramentalen und spirituellen Welten bereitet uns
darauf vor, hier die manifestierte Macht des Geistes zu entwickeln und dadurch
unser Wesen auf der physischen Ebene aufzutun für die Freiheit und Unendlichkeit
des überbewußten Göttlichen Wesens. Dieser Kontakt und dieser Druck allein
können die in uns verborgene allbewußte Gottheit aus der sichtbar
hervorgetretenen Unbewußtheit, die unser Ausgangspunkt gewesen ist, freisetzen.
In dieser Ordnung der Dinge ist unser menschliches Bewußtsein das Instrument,
der Vermittler. In der Entwicklung von Licht und Macht aus der Unbewußtheit ist
es der Punkt, an dem die Befreiung möglich wird. Eine größere Rolle können wir
ihm nicht beimessen. Sie ist aber groß genug, denn sie macht unsere menschliche
Existenz zu etwas über allem Wichtigem für die Verwirklichung der höchsten
Absicht der evolutionären Natur.
Doch gibt es einige Elemente in unserer subliminalen
Erfahrung, die jede unveränderliche Priorität der anderen Welten infrage
stellen. Darauf weist u. a. eine beharrliche Tradition in der Anschauung von der
Erfahrung nach dem Tod hin, derzufolge man dort unter Bedingungen weiterlebe,
die eine supraphysische Verlängerung der Erden-Bedingungen, der Erden-Natur und
der Erden-Erfahrung zu sein scheinen. Ein anderer Einwand ist der, daß wir,
besonders in den Lebens-Welten, Gestaltungen vorfinden, die den niederen
Bewegungen des Erden-Daseins zu gleichen scheinen. Hier sind bereits die
Prinzipien der Finsternis, der Lüge, der Unfähigkeit und des Bösen verkörpert,
von denen wir doch vermuten, sie seien eine Folge der Entwicklung aus der
materiellen Unbewußtheit. Es scheint sogar Tatsache zu sein, daß die vitalen
Welten die natürliche Behausung jener Mächte sind, die das menschliche Leben am
tiefsten verwirren. Das ist eigentlich logisch, denn sie bringen uns durch unser
vitales Wesen durcheinander und müssen darum Mächte einer umfassenderen und
machtvolleren Lebens-Existenz sein. Das Herabkommen von Mental und Leben in die
Evolution brauchte keine solchen unerfreulichen Entwicklungen der Beschränkung
von Wesen und Bewußtsein geschaffen zu haben: Dieses Herabkommen ist seiner
Natur nach eine Begrenzung des Wissens. Das Sein, die Erkenntnis und die
Wesens-Freude schränken sich ein auf einen
niederen Grad von Wahrheit, Gutem, Schönem und deren geringeren Harmonien. Sie
machen deshalb ihren Gang im Einklang mit diesem Gesetz verringerten Lichtes. In
einer solchen Bewegung wären aber Verfinsterung, Leiden und das Böse kein
zwingendes Phänomen. Wenn wir deren Existenz in jenen Welten eines anderen
Mentals und Lebens finden, müssen wir, auch wenn sie dieses nicht völlig
durchdringen, sondern dort nur ihren gesonderten Bezirk einnehmen, schließen,
sie seien entweder durch eine Projektion aus der niederen Evolution von unten
nach oben dadurch ins Dasein gekommen, daß etwas, das in den subliminalen
Bereichen der Natur existierte, dorthin ausgebrochen sei, um das hier schon
geschaffene Böse dort mächtiger auszugestalten, oder sie könnten bereits als
Teil einer zum involutionären Abstieg gehörigen Stufenfolge geschaffen worden
sein, als eine Folge von Graden, die ebenso eine Treppe für den evolutionären
Aufstieg zum Geist bildet, wie die involutionäre Folge von Graden eine Treppe
für den Abstieg des Geistes war. Nach der letzteren Hypothese könnte die
aufsteigende Stufenfolge einen doppelten Zweck haben. Sie würde Vor-Formationen
des Guten und des Bösen enthalten, die sich auf Erden als ein Teil des für das
evolutionäre Wachsen der Seele in der Natur notwendigen Ringens entwickeln
müßten. Das wären dann Formationen, die für sich selbst, für ihre eigene
unabhängige Befriedigung existierten, Gestaltungen, die den ausgeprägten Typus
dieser Dinge, jede in ihrer gesonderten Art, darstellen würden. Zugleich würden
sie auf evolutionäre Wesen ihren charakteristischen Einfluß ausüben.
Diese Welten eines umfassenderen Lebens würden in sich
sowohl die lichteren wie die dunkleren Gestaltungen des Lebens unserer Welt als
in einem Medium haben, in dem sie frei zu ihrem unabhängigen Ausdruck gelangen,
die volle Freiheit ihres eigenen Typus und ihre natürliche Vollkommenheit und
Harmonie von Gut und Böse besitzen könnten – wenn diese Unterscheidung auf jenen
Bereich überhaupt angewandt werden darf –, eine in unserem Bereich unmögliche
Vollständigkeit und Unabhängigkeit, weil hier alles in komplexem
Ineinanderwirken vermischt ist, wie es für das Feld vielseitiger Evolution, die
zur endgültigen Integration führen soll, notwendig ist. Denn wir finden, daß
alles, was wir hier falsch, finster oder böse nennen, dort seine eigene Wahrheit
hat und mit seinem eigenen Typus völlig zufrieden ist, weil es diesen vollkommen
ausdrücken kann. Das schafft in ihm das Gefühl
einer in sich zufriedenen Macht des eigenen Wesens, Harmonie und die völlige
Anpassung aller seiner Umstände an das Prinzip seines Daseins. Es besitzt dort
sein eigenes Bewußtsein, die Macht seines eigenen Selbsts, seine eigene
Wesens-Freude. Das ist zwar für unser Mental etwas Abscheuliches, jenes ist aber
voller Freude über ein befriedigtes Begehren. Diese Lebens-Impulse, die der
Erden-Natur als zügellos und maßlos, als pervers und abnorm erscheinen, finden
in ihrem eigenen Wesensbereich unabhängige Erfüllung und uneingeschränktes Spiel
ihres Typus und ihres Prinzips. Was wir für göttlich oder titanisch, den
Rakshasas oder Dämonen eigen und darum für jenseits unserer Natur befindlich
halten, ist dort, im je eigenen Bezirk, sich selbst gegenüber normal. Es gibt
den Wesen, die diese Dinge verkörpern, das Gefühl ihrer Eigen-Natur und die
Harmonie ihres eigenen Prinzips. Selbst Zwietracht, Streit, Unfähigkeit und
Leiden gehören mit in eine gewisse Art von Befriedigung des Lebens, das sich
ohne jene Dinge enttäuscht und armselig vorkommen würde. Sobald wir diese Mächte
in ihrem isolierten Wirken beobachten, wie sie ihre eigenen Lebens-Strukturen
errichten, wie sie das in jenen geheimen, von ihnen beherrschten Welten tun,
erkennen wir deutlicher ihren Ursprung, den Grund ihres Daseins und auch den
Grund der Gewalt, die sie über das menschliche Leben ausüben, und warum der
Mensch so sehr an seine eigenen Unvollkommenheiten, an sein Lebens-Drama von
Sieg und Niederlage, von Glück und Leiden, von Lachen und Weinen, von Sünde und
Tugend gebunden ist. Hier auf Erden existieren diese Dinge in einem
unbefriedigten, darum unbefriedigenden und finsteren Zustand von Ringen und
Vermischung. Dort aber offenbaren sie Geheimnis und Beweggrund ihres Wesens, da
sie dort eigenständig sind, in ihrer ursprünglichen Macht, in der vollen
Ausgestaltung ihrer Natur, in ihrer eigenen Welt und exklusiven Atmosphäre. Des
Menschen Himmel und Höllen, seine Welten von Licht und Finsternis haben, auch
wenn sie in ihrer Struktur noch so phantastisch sind, ihren Ursprung in der
Wahrnehmung dieser Mächte, die in ihrem eigenen Prinzip existieren und ihre
Einflüsse auf ihn im hiesigen Leben aus einem jenseitigen herabsenden, das ihn
mit den Elementen seines evolutionären Daseins versorgt.
Genauso wie die Mächte des Lebens in einem höheren
Leben jenseits von uns in sich selbst gegründet, vollkommen und erfüllt sind, so
finden sich auch die Mächte des Mentals, dessen Ideen und Prinzipien, die unsere Erde beeinflussen, in der höheren Mental-Welt, wo sie ihr
Feld zur Erfüllung ihrer Eigen-Natur besitzen, während sie hierher, ins
menschliche Dasein, nur Teilgebilde von sich senden, die sich hier nur mit Mühe
behaupten können, weil sie auf andere Mächte und Prinzipien stoßen und sich mit
diesen vermischen. Die Begegnung und Vermengung beeinträchtigt ihre
Vollständigkeit, trübt ihre Reinheit, bestreitet und besiegt ihren Einfluß. Jene
anderen Welten kennen also keine Evolution, sie sind eine Welt von Typen. Aber
ein Grund für ihr Dasein, obschon nicht der einzige, ist daß sie Dinge liefern,
die in der involutionären Offenbarung hervortreten, wie Dinge, die in der
Evolution emporkommen mit einem Bereich der Zufriedenheit mit ihrer eigenen
Bedeutung, in dem sie aus eigenem Recht leben können. Dieser gesicherte Zustand
ist die Basis, von der aus ihre Funktion und Wirkweisen als Elemente in den
komplexen Prozeß der evolutionären Natur eingesetzt werden können.
Betrachten wir unter diesem Gesichtspunkt die
überlieferten Berichte der Menschheit über das Dasein anderer Welten, so finden
wir, daß sie zumeist auf Welten eines umfassenderen Lebens hinweisen, das
befreit ist von den Beschränkungen, Unvollkommenheiten oder Unvollständigkeiten
des Lebens in der Erden-Natur. Offensichtlich sind diese Darstellungen zumeist
von der Phantasie geschaffen. In ihnen ist aber ebenso ein Element von Intuition
und Ahnung, ein Gefühl für das, was Leben sein kann und gewiß auch in manchem
Bereich seiner geoffenbarten und verwirklichten Natur ist. Sodann zeigt sich ein
Element von wahrer subliminaler Verbindung und Erfahrung. Doch übersetzt das
Mental des Menschen das, was er von einer andersartigen Natur sieht oder durch
Kontakte empfängt, in Gebilde, die seinem eigenen Bewußtsein entsprechen. Das
sind seine Übersetzungen von supraphysischen Wirklichkeiten in die für ihn
bedeutungsvollen eigenen Formen und Bilder. Durch diese Formen und Bilder tritt
er dann in Kommunikation mit diesen Wirklichkeiten und kann sie bis zu einem
gewissen Grad gegenwärtig und wirkungsvoll machen. So könnte man die Erfahrung
der Fortdauer eines veränderten Erdenlebens nach dem Tod als das Ergebnis dieser
Art von Übertragung erklären. Sie läßt sich zum Teil aber auch als die Schöpfung
eines subjektiven Zustandes nach dem Tod deuten, in dem der Mensch noch in den
Gestaltungen seiner gewohnten Erfahrung lebt, bevor er in die Wirklichkeit
anderer Welten eintritt. Zum Teil mögen sie auch Erfahrungen beim Durchgang durch Lebens-Welten sein, in denen sich der Typus der Dinge
in Gestaltungen ausdrückt, die der Ursprung dessen sind, wozu er in seinem
irdischen Körper einen Hang hatte, oder die diesem verwandt sind und darum eine
natürliche Anziehung auf das vitale Wesen nach dem Verlassen seines Körpers
ausüben. Abgesehen von solchen subtileren Lebenszuständen enthalten aber die
überlieferten Berichte über ein Dasein in anderen Welten ein wenn auch
selteneres und höheres Element, das nicht in der populären Auffassung der Dinge
enthalten ist, einen höheren Grad von Seins-Zuständen, die deutlich von
mentalem, nicht von vitalem Charakter sind. Andere gründen sich auf ein
spirituell-mentales Prinzip. Diese höheren Prinzipien werden in Wesens-Zuständen
formuliert, in die sich unsere innere Erfahrung emporheben oder in die die Seele
eintreten kann. Das von uns angenommene Prinzip der Abstufung ist darum
gerechtfertigt, vorausgesetzt, wir erkennen es nur als einen der Wege an, wie
wir unsere Erfahrung organisieren, und lassen die Möglichkeit auch für andere
Wege offen, die unter anderen Gesichtspunkten angelegt sind. Denn eine
Klassifikation kann immer nur von dem einen, von ihr gewählten Prinzip und
Gesichtspunkt her gültig sein. Eine andere, auf andere Prinzipien und
Gesichtspunkte gegründete Klassifikation derselben Dinge kann in gleicher Weise
gültig sein. Für unseren Zweck ist aber das von uns gewählte Prinzip von größtem
Wert, weil es fundamental ist und eine Wahrheit der Manifestation bestätigt, die
von größter praktischer Bedeutung ist. Es hilft uns, die Verfassung unseres
eigenen Daseins und den Gang der Involution und evolutionären Bewegung der Natur
zu verstehen. Zugleich sehen wir, die anderen Welten sind nichts vom materiellen
Universum und der Erden-Natur völlig Getrenntes. Vielmehr durchdringen und
umhüllen sie diese mit ihren Einflüssen, wirken insgeheim auf sie ein mit
gestaltender und lenkender Kraft, die nicht leicht überschätzt werden kann. Wenn
wir so unsere Erkenntnis und Erfahrung der anderen Welten ordnen, verhilft uns
das zum Schlüssel des Verständnisses für die Natur und den Prozeß dieser
Einwirkung.
Dasein und Einfluß anderer Welten sind Tatsachen von
grundlegender Bedeutung für die Möglichkeiten und die Tragweite unserer
Evolution in der irdischen Natur. Denn wäre das physische Universum das einzige
Feld für die Offenbarung der unendlichen Wirklichkeit und zugleich das Feld für
ihre vollständige Manifestation, müßten wir – da alle Prinzipien ihres Wesens von der Materie bis zum Geist vollständig der scheinbar
unbewußten Kraft involviert sind, die die Basis für die ersten Wirkweisen dieses
Universums ist – auch annehmen, daß diese vollständig von ihr hier, und allein
hier, evolviert werden, ohne andere Hilfe oder einen Druck außer dem der
geheimen Überbewußtheit in ihrem Innern. Es gäbe dann ein System der Dinge, in
dem das Prinzip der Materie stets das Grundprinzip, die wesentliche und
ursprünglich bestimmende Voraussetzung für das manifestierte Dasein bleiben
müßte. Am Ende könnte in der Tat der Geist in begrenztem Maß zu seiner
natürlichen Herrschaft gelangen. Er könnte seine Basis physischer Materie zu
einem biegsameren Instrument machen, das das Wirken seines eigenen höchsten
Gesetzes und seiner Natur nicht so behindert oder gar diesem Wirken
entgegentritt, wie sie das jetzt durch ihren unbeugsamen Widerstand tut. Der
Geist würde aber immer von der Materie als seinem Wirkungsfeld und seiner
Manifestation abhängen. Er könnte kein anderes Feld haben: Er könnte nicht
außerhalb seiner zu einer anderen Art von Manifestation gelangen. Auch innerhalb
dieses Bereiches könnte er nicht leicht ein anderes Prinzip seines Wesens so
freisetzen, daß es Souveränität über die materielle Grundlage erlangt. Materie
bliebe stets das einzige ständig bestimmende Element seiner Manifestation. Leben
könnte nicht vorherrschend und bestimmend, Mental nicht Meister und Schöpfer
werden. Die Grenzen ihrer Wirkmöglichkeit wären durch die Kapazität der Materie
festgelegt, die sie wohl ausweiten oder abändern, nicht aber grundsätzlich
umwandeln oder befreien könnte. Es gäbe keinen Raum für volle und freie
Manifestation irgendeiner Macht des Wesens. Alles wäre für immer durch die
Bedingungen einer verdunkelnden materiellen Gestaltung eingeengt. Geist, Mental,
Leben hätten kein ursprüngliches Feld, keinen vollständigen Wirkungsbereich für
ihre eigene Macht und ihr charakteristisches Prinzip. Es fällt schwer, an die
Unvermeidlichkeit dieser Selbst-Begrenzung zu glauben, wenn der Geist der
Schöpfer ist und diese Prinzipien ein unabhängiges Sein haben, statt Produkte,
Ergebnisse oder Phänomene der Energie von Materie zu sein.
Setzt man aber die Tatsache voraus, daß die unendliche
Wirklichkeit im Spiel ihres Bewußtseins frei ist, dann ist sie auch nicht
gezwungen, sich in die Nichtbewußtheit von Materie zu involvieren, bevor sie
sich überhaupt manifestieren kann. Dann ist es ihr möglich, gerade die
gegenteilige Ordnung der Dinge zu erschaffen: eine Welt, in der die Einheit des spirituellen Wesens prägende Form und erste Voraussetzung für jede
Gestaltung und Wirksamkeit ist. Dort wäre die wirkende Energie ein des Selbsts
bewußtes spirituelles Sein in Bewegung; alle ihre Namen und Formen sind dann ein
des Selbsts bewußtes Spiel der spirituellen Einheit. Oder es könnte eine Ordnung
geben, in der die dem Geist eingeborene Macht von bewußter Kraft oder bewußtem
Willen frei und unmittelbar in sich selbst ihre eigenen Möglichkeiten
verwirklichen würde und nicht, wie hier, durch das eingeschränkte Medium der
Lebens-Kraft in der Materie. Eine solche Realisation wäre zugleich das erste
Prinzip der Manifestation und Ziel all ihres freien und seligen Wirkens. Ferner
könnte es eine Ordnung geben, in der Zweck und Ziel das freie Spiel einer
unendlichen gegenseitigen Selbst-Seligkeit in einer Vielzahl von Wesen wäre, die
nicht nur ihrer verborgenen oder zugrunde liegenden ewigen Einheit bewußt wären,
sondern auch ihrer jetzigen Freude am Einssein. In solch einem System wäre das
Wirken des Prinzips einer selbst-seienden Seligkeit das erste Prinzip und die
universale Bedingung. Schließlich könnte es eine Welt-Ordnung geben, in der das
Supramental von Anfang an herrschendes Prinzip ist. Dann wäre die Natur der
Manifestation eine Vielzahl von Wesen, die durch das freie lichtvolle Spiel
ihrer göttlichen Individualität die vielfältige Freude an ihrer
Verschiedenartigkeit in der Einheit finden würden.
Die Reihe brauchte hier nicht aufzuhören. Denn wir
beobachten, daß bei uns das Mental durch das Leben und die Materie behindert ist
und auf jede mögliche Schwierigkeit stößt, wenn es den Widerstand dieser
unterschiedlichen Mächte überwinden will. Das Leben selbst ist durch
Sterblichkeit, Trägheit und Instabilität der Materie eingeschränkt.
Offensichtlich kann es aber eine Weltordnung geben, in der keines von beiden
behindernden Elementen zu den Grundbedingungen des Seins gehört. Eine Welt wäre
möglich, in der das Mental von Anbeginn an vorherrschend und frei ist, auf seine
eigene Substanz oder auf die Materie als auf ein durchaus formbares Material
einzuwirken, oder wo Materie eindeutig das Ergebnis der universalen Mental-Kraft
ist, die sich im Leben auswirkt. Das ist sie in Wirklichkeit eigentlich schon
jetzt. Hier ist aber die Mental-Kraft von Anfang an involviert. Sie ist auf
lange Zeit unterbewußt. Auch wenn sie hervorgetreten ist, hat sie nie die freie
Verfügung über sich, sondern ist von ihrem materiellen Behältnis abhängig. Dort
dagegen wäre sie im Besitz ihrer selbst. Sie wäre Meister über ihr Material, das
viel subtiler und elastischer ist als in einem vorwiegend physischen Universum. So könnte auch das Leben seine eigene
Welt-Ordnung haben, in der es souverän und fähig wäre, seine eigenen Wünsche und
Tendenzen elastischer, freier variabel zu entfalten, ohne dabei jeden Augenblick
von zerstörerischen Kräften bedroht zu sein. Es brauchte sich dann nicht mehr in
erster Linie um seine Selbst-Erhaltung zu sorgen und in seinem Kräfte-Spiel
durch diesen Zustand einer gefahrvollen Spannung eingeschränkt zu sein, die
seine Triebe zu freier Gestaltung, zu freiem Selbst-Genießen und Abenteuer
begrenzt. Gesonderte Vorherrschaft eines jeden Prinzips des Wesens ist in der
Manifestation des Wesens eine ewige Möglichkeit, aber immer unter der
Voraussetzung, daß die Prinzipien in ihrer dynamischen Macht und Wirkweise zwar
verschieden, in ihrer ursprünglichen Substanz jedoch völlig eins sind.
Es würde keinen Unterschied machen, wenn es sich bei
alledem nur um eine philosophische Möglichkeit oder um eine Potentialität im
Wesen von saccidananda handeln würde, die dieses niemals verwirklicht
oder noch nicht verwirklicht hat oder die, wenn sie verwirklicht wurde, noch
nicht in den Horizont des Bewußtseins jener Wesen eingetreten ist, die im
physischen Universum leben. Aber all unsere spirituelle und seelische Erfahrung
beweist uns positiv und liefert uns das zuständige und in seinen Hauptprinzipien
unveränderliche Zeugnis, daß höhere Welten, freiere Ebenen des Seins existieren.
Denn wir haben uns nicht, wie auf so vieles im modernen Leben, auf das Dogma
festgelegt, nur die physische Erfahrung oder die Erfahrung, die sich auf die
physischen Sinne gründet, sei wahr. Nur die Analyse der physischen Erfahrung
durch die Vernunft könne ihre Wahrheit erweisen. Alles übrige sei allein das
Ergebnis physischer Erfahrung und physischen Daseins. Was darüber hinausgehe,
sei Irrtum, Selbst-Täuschung und Halluzination. Darum sind wir frei, dieses
Zeugnis der spirituellen Erfahrung anzunehmen und die Wirklichkeit dieser Ebenen
anzuerkennen. Wir sehen, daß sie, praktisch genommen, von der Harmonie des
physischen Universums verschiedene Harmonien sind. Sie nehmen, wie das Wort
“Ebene” andeutet, eine unterschiedliche Stufe auf der Leiter des Seienden ein
und verwenden ein andersartiges System und eine andere Ordnung seiner
Prinzipien. Für unseren jetzigen Zweck brauchen wir nicht zu untersuchen, ob sie
in Zeit und Raum mit unserer eigenen Welt übereinstimmen oder ob sie sich in
einem davon verschiedenen Teil des Raumes oder in einer anderen Strömung der
Zeit bewegen, – in beiden Fällen geschieht es in
einer subtileren Substanz und mit anderen Bewegungen. Uns geht es unmittelbar
darum zu wissen, ob sie verschiedene Welten sind, von denen jede in sich selbst
so völlig abgeschlossen ist, daß sie in keiner Weise mit den anderen
zusammentrifft, sie nicht durchkreuzt oder beeinflußt; oder ob sie eher
verschiedene Stufen eines einzigen, nach Graden unterschiedenen, ineinander
verwobenen Systems des Seienden und darum Teile sind von einem einzigen
komplexen universalen System. Die Tatsache, daß sie in das Feld unseres mentalen
Bewußtseins eintreten können, würde natürlich die Geltung der zweiten
Alternative nahelegen; das wäre aber noch nicht voll beweiskräftig. Wir finden,
daß diese höheren Welten tatsächlich jeden Augenblick auf unsere eigene
Wesens-Ebene einwirken und mit ihr in Kommunikation stehen, obwohl diese
Einwirkung natürlich unserem gewöhnlichen wachen oder äußeren Bewußtsein nicht
gegenwärtig ist, da dieses zum größten Teil auf die Aufnahme und Verwendung der
Kontakte der physischen Welt beschränkt ist. In dem Augenblick aber, da wir
entweder in unser subliminales Bewußtsein zurücktreten oder unser waches
Bewußtsein über den Horizont der physischen Kontakte hinaus ausweiten, gewahren
wir etwas von diesem höheren Wirken. Wir finden sogar, daß sich das Wesen des
Menschen selbst unter gewissen Bedingungen teilweise in diese höheren Ebenen
projizieren kann, auch wenn es dabei noch im Körper verbleibt. Um wieviel mehr
muß der Mensch fähig sein, das zu tun, wenn er außerhalb seines Körpers ist. Er
kann es dann vollständig tun, da der beeinträchtigende Zustand des an den Körper
gefesselten physischen Lebens nicht länger besteht. Die Konsequenzen dieser
Beziehung und dieser Macht zur Transferenz sind von außerordentlicher Bedeutung.
Einerseits rechtfertigen sie unmittelbar, zumindest als aktuelle Möglichkeit,
die alte Tradition, daß das menschliche bewußte Wesen, wenigstens zeitweilig,
nach der Auflösung des physischen Körpers in anderen Welten als der physischen
verweilen kann. Andererseits eröffnen sie uns die Möglichkeit, daß die höheren
Ebenen auf das materielle Dasein in einer Weise einwirken, die die Mächte, die
sie repräsentieren, also die Mächte von Leben, Mental und Geist, freisetzt,
damit die der Natur innewohnende evolutionäre Absicht durch die Tatsache ihrer
Verkörperung in der Materie erfüllt wird.
Diese Welten folgen in ihrer ursprünglichen Schöpfung
nicht der Ordnung des physischen Universums nach, sondern sie gehen ihr voraus, sie sind früher, wenn auch nicht in der Zeit, so doch in ihrer
Aufeinanderfolge von Ursache und Wirkung. Denn gerade, wenn es eine aufsteigende
ebenso wie eine absteigende Stufenfolge gibt, muß die aufsteigende Stufenfolge
in ihrer ursprünglichen Natur eine Voraussetzung haben, die das evolutionäre
Hervortreten in der Materie ermöglicht. Dort muß eine Macht sein, die ihr
Bemühen gestaltet und ihm die hilfreichen und nachteiligen Elemente liefert. Sie
ist nicht nur eine Konsequenz der irdischen Evolution. Das ist weder eine
rationale Wahrscheinlichkeit, noch hätte es einen spirituellen oder dynamischen
oder pragmatischen Sinn. Mit anderen Worten, die höheren Welten sind nicht durch
einen Druck vom niederen physischen Universum her zustande gekommen – sagen wir,
von saccidananda in der physischen Unbewußtheit her oder auch durch das
Drängen des Wesens in saccidananda, wenn es aus der Unbewußtheit in
Leben, Mental und Geist hervortritt und die Notwendigkeit erfährt, Welten und
Ebenen zu erschaffen, in denen diese Prinzipien ein freieres Kräftespiel
entfalten könnten oder die Seele des Menschen ihre vitalen, mentalen oder
spirituellen Tendenzen verstärken könnte. Noch weniger sind sie Schöpfungen der
Seele des Menschen, weder das Ergebnis ihrer Träume, noch der ständigen
Selbst-Projektion der Menschen in ihrem dynamischen oder schöpferischen Wesen
über die Begrenzungen ihres physischen Bewußtseins hinaus. Das einzige, was der
Mensch in dieser Richtung klar erschafft, sind die Spiegel-Bilder dieser Ebenen
in seinem verkörperten Bewußtsein und die Fähigkeit seiner Seele, auf sie zu
reagieren, ihrer inne zu werden und bewußt an dem teilzuhaben, wie ihre
Einflüsse in die Wirksamkeit auf der physischen Ebene hineingewoben werden.
Gewiß kann der Mensch zur Aktion dieser Ebenen mit den Ergebnissen oder
Projektionen seines eigenen höheren vitalen und mentalen Wirkens beitragen. Wenn
das aber so ist, sind die Projektionen schließlich eine Rückerstattung der
höheren Ebenen an sich selbst. Die Erde gibt ihnen ihre Mächte wieder, die von
ihnen zum Erden-Mental herabgekommen sind. Denn dieses höhere vitale und mentale
Wirken ist selbst das Resultat von Einflüssen, die von obenher auf es entsandt
wurden. Es ist auch möglich, daß der Mensch eine Art von subjektiver
Anschluß-Ebene an diese supraphysischen Ebenen, zumindest an die niederen von
ihnen, erschaffen kann, Gebiete von einem halb-unwirklichen Charakter, die eher
selbst-erschaffene Umhüllungen seines bewußten Mentals und Lebens sind als wahre
Welten. Sie sind Reflexionen seines eigenen
Wesens,
eine künstliche Umwelt, entsprechend dem Versuch während seines Lebens, sich
diese anderen Welten vorzustellen, – Himmel und Höllen, die projiziert werden
von der Fähigkeit des Menschen, Bilder in der Macht seines bewußten Wesens zu
erschaffen. Aber keiner dieser beiden Beiträge bedeutet völlige Neuschöpfung
einer wirklichen Ebene des Seienden, die auf ihr eigenes besonderes Prinzip
gegründet wäre und von da aus wirkt.
Diese Ebenen oder Systeme sind also mindestens gleichzeitig und koexistent mit dem, was sich uns als das physische Universum darstellt. Wir sind zu dem Schluß gekommen, daß die Entwicklung von Leben, Mental und Geist im physischen Wesen ihr Dasein voraussetzt. Denn diese Mächte werden hier durch zwei zusammenwirkende Kräfte entwickelt: Die eine Kraft strebt von unten nach oben, eine andere Kraft zieht von oben her zu sich empor und übt einen Druck nach unten aus. Denn im Unbewußten drängt die Notwendigkeit, das hervortreten zu lassen, was im Innern latent vorhanden ist. Und es gibt den Druck der übergeordneten Prinzipien in den höheren Ebenen, der nicht nur diesem allgemeinen Bedürfnis, sich zu verwirklichen, zuhilfe kommt, sondern sehr umfassend auch die besonderen Methoden bestimmen kann, nach denen es schließlich verwirklicht wird. Gerade dieses emporziehende Wirken und dieser Druck, dieses Drängen von oben her, erklärt den ständigen Einfluß der spirituellen, mentalen und vitalen Welten auf die physische Ebene. Geht man von dem komplexen Universum und den sieben untereinander und in jedem Teil des Systems miteinander verwobenen sieben Prinzipien aus, die durch ihre Natur gedrängt sind, aufeinander einzuwirken und aufeinander zu reagieren, wo immer sie miteinander in Berührung kommen können, so ist evident, daß eine solche Aktion, solch ein ständiger Druck und Einfluß, unvermeidlich erfolgen und der Eigenart des manifestierten Universums ursprünglich zugrunde liegen muß.
Eine geheime ständige Einwirkung der höheren Mächte und
Prinzipien von ihren eigenen Ebenen her auf das irdische Wesen und die
Erden-Natur durch das subliminale Selbst, das wiederum selbst eine Projektion
aus jenen Ebenen in diese aus der Unbewußtheit geborene Welt ist, muß eine
Wirkung und eine Bedeutung haben. Ihre erste Auswirkung ist die Befreiung von
Leben und Mental aus der Materie gewesen. Ihre letzte Wirkung besteht darin,
Beistand zu leisten dem Hervortreten eines spirituellen Bewußtseins, eines
spirituellen Willens und des Sinnes für ein
spirituelles Dasein im Menschen der Erde, so daß er sich nicht mehr allein mit
seinem äußeren Leben oder mit diesem und mit mentalen Bestrebungen und
Interessen beschäftigt, sondern daß er gelernt hat, nach innen zu schauen, sein
inneres Wesen, sein spirituelles Selbst zu entdecken und danach zu streben, über
die Erde und ihre Begrenzungen hinauszukommen. Je mehr er nach innen wächst,
desto mehr weiten sich allmählich auch seine mentalen, vitalen und spirituellen
Grenzen aus. Die Bande, die Leben, Mental und Seele an ihre ersten
Beschränkungen gefesselt haben, lockern sich immer mehr und fallen weg. Der
Mensch, das mentale Wesen, beginnt, einen Ausblick zu gewinnen auf ein
umfassenderes Reich des Selbsts und der Welt, der seinem ersten Erden-Leben
verschlossen war. Zweifellos kann er, solange er vorwiegend nach außen lebt, nur
eine Art von Überbau idealer, phantastischer oder ideativer Art auf dem
Fundament seines normalen engen Daseins errichten. Wenn er aber diesen Weg nach
innen geht, den seine höchste Schau ihm als größte spirituelle Notwendigkeit
aufgezeigt hat, wird er in seinem inneren Wesen ein umfassenderes Bewußtsein und
Leben finden. Ein Wirken von innen und ein Wirken von oben her können die
Vorherrschaft der materiellen Formel überwinden. Sie können die Macht der
Unbewußtheit verringern und schließlich beenden. Sie können die Ordnung des
Bewußtseins umkehren und, als bewußte Grundlage des menschlichen Wesens, die
Materie durch den Geist ersetzen. Sie können dessen höhere Mächte so befreien,
daß sie im Leben der in der Natur verkörperten Seele ihren vollständigen und
charakteristischen Ausdruck finden.
Kapitel XXII. Wiedergeburt und andere Welten. Karma, Seele und Unsterblichkeit
Mit seinem Weggang aus
dieser Welt geht er zum physischen Selbst; er geht weiter zum Selbst des Lebens;
er geht weiter zum Selbst des Mentals; er geht weiter zum Selbst des Wissens; er
geht weiter zum Selbst der Seligkeit. Durch diese Welten bewegt er sich nach
seinem Willen.
Taittiriya Upanishad, III. 10. 5.
Sie sagen mit Recht, das bewußte Wesen sei aus Begehren gebildet. Aus was für einem Begehren er aber auch entsteht, er kommt zustande aus jenem Willen; und aus was für einem Willen er auch zustande kommt, er tut jene Handlung; und wie auch immer seine Handlung ist, dorthin (zu deren Ergebnis) gelangt er... Behaftet mit seinem karma22 geht er in seinem subtilen Körper dorthin, woran sich sein Mental klammert. Wenn er dann ans Ende seines karma kommt, ans Ende jeglicher Handlung, die er hier tut, kehrt er aus jener Welt in diese Welt gegen karma zurück.
Brihadaranyaka Upanishad, IV. 5. 5, 6.
Mit Eigenschaften ausgestattet, ein Täter von Werken und Schöpfer ihrer Konsequenzen, erntet er das Resultat seiner Handlungen. Er ist der Beherrscher des Lebens und bewegt sich auf seiner Lebensreise im Einklang mit seinen Taten. Er hat Idee und Ich und soll nach den Eigenschaften seiner Intelligenz und der Qualität seines Selbsts erkannt werden. Obwohl kleiner als der hundertste Teil der Spitze eines Haares, ist die Seele des lebenden Wesens befähigt zur Unendlichkeit. Er ist weder männlich noch weiblich noch neutral, sondern wird mit jedem Körper vereinigt, den er als den seinen annimmt.
Svetasvatara Upanishad, V.7-10.
Sterbliche, sie erlangten die Unsterblichkeit!
Rig Veda, I.110. 4.
Unsere erste
Schlußfolgerung hinsichtlich des Problems der Reinkarnation war: Die
Wiedergeburt der Seele in aufeinanderfolgenden irdischen Verkörperungen ist eine
unvermeidliche Folge der ursprünglichen Bedeutung und des Prozesses der
Manifestation in der Erden-Natur. Dieser Schluß führt uns aber zu weiteren
Problemen und Ergebnissen, die wir jetzt aufhellen müssen. Zuerst erhebt sich
die Frage nach dem Prozeß der Wiedergeburt. Wenn dieser Prozeß nicht rasch
verläuft, so daß Geburt unmittelbar auf den Tod des Körpers folgt, um eine
ununterbrochene Reihe von Lebensabläufen derselben Person zu gewährleisten, wenn
es vielmehr Intervalle gibt, entsteht daraus die zweite Frage nach Prinzip und
Prozeß des Übergangs in andere Welten, die der Schauplatz für diese Zwischenzeit
sein müssen, und nach der Rückkehr auf die Erde. Eine dritte Frage gilt dem
Ablauf der spirituellen Evolution selbst und den Veränderungen, denen sich die
Seele bei ihrem Gang von Geburt zu Geburt durch die Stadien ihres Abenteuers zu
unterziehen hat.
Wäre das physische Universum die einzige manifestierte
oder eine völlig gesonderte Welt, würde Wiedergeburt als Teil des evolutionären
Prozesses begrenzt bleiben auf die ständige Aufeinanderfolge unmittelbarer
Seelenwanderungen von einem Körper zum anderen. Auf den Tod würde dann
unmittelbar eine neue Geburt ohne die Möglichkeit eines Intervalls folgen. Der
Übergang der Seele wäre ein spirituelles Ereignis in der ununterbrochenen Reihe
eines zwangsläufigen, mechanischen, materiellen Vorgangs. Die Seele würde keine
Befreiung von der Materie finden. Sie wäre ständig an ihr Instrument, den
Körper, gebunden, für die Dauer ihres manifestierten Daseins von ihm abhängig.
Wir haben aber erkannt, daß es nach dem Tod und vor der darauf folgenden
Wiedergeburt ein Leben auf anderen Ebenen gibt, ein Leben, das der alten Stufe
irdischen Daseins folgt und die neue vorbereitet. Andere Ebenen existieren
gleichzeitig mit der unsrigen, sind Teil eines
einzigen komplexen Systems und wirken ständig auf die physische Ebene als ihren
endgültig niedrigsten Begriff ein. Sie empfangen deren Reaktionen und erlauben
geheime Kommunikation und Austausch. Der Mensch kann sich dieser Ebenen bewußt
werden. In gewissen Zuständen kann er sogar sein bewußtes Wesen in sie
hineinprojizieren, teilweise im Leben, darum vermutlich vollständig nach
Auflösung des Körpers. Die Möglichkeit für eine solche Projektion in andere
Welten oder Ebenen des Seienden wird dann hinreichend aktuell, um die eigene
Verwirklichung notwendig zu machen, indem sie unmittelbar und vielleicht ohne
Ausnahme auf das Erdenleben eines Menschen folgt, wenn dieser von Anfang an mit
der entsprechenden Macht begabt ist, sich dorthin zu versetzen, schließlich wenn
er durch stufenweisen Fortschritt dorthin kommt. Denn es ist möglich, daß der
Mensch am Anfang noch nicht genügend entwickelt ist, um sein Leben oder sein
Mental in umfassendere Lebens- oder Mental-Weiten emporzutragen. Er wäre
gezwungen, unmittelbare Seelenwanderung von einem irdischen Körper zum anderen
als die jetzt einzige Möglichkeit seiner Fortdauer zu akzeptieren.
Die Notwendigkeit eines Zwischenreiches zwischen Tod
und Geburt und für den Übergang zu anderen Welten entsteht aus doppeltem Grunde:
In der zusammengesetzten Natur des Menschen üben die anderen Ebenen auf sein
mentales und vitales Wesen wegen der Verwandtschaft dieser Stufen
Anziehungskraft aus. Ein Intervall ist nützlich oder sogar notwendig, um die
vollendete Lebens-Erfahrung zu assimilieren, das auszuarbeiten, was abgetan
werden muß, und um auf eine neue Verkörperung und eine neue Erfahrung auf Erden
vorzubereiten. Dieses Bedürfnis nach einer Periode der Angleichung und diese
Anziehungskraft anderer Welten auf verwandte Seiten unseres Wesens könnte aber
nur dann wirksam genug werden, wenn die mentale und vitale Individualität im
halb-tierhaften physischen Menschen stark genug entwickelt ist. Sie könnten
nicht bis zu diesem Grad vorhanden sein oder nicht aktiv genug hervortreten,
wenn die Lebenserfahrungen zu einfach und zu elementar wären, als daß sie eine
Angleichung benötigten, das natürliche Wesen zu grob, als daß es zu dem
komplizierten Aufarbeitungs-Prozeß fähig wäre. Die höheren Seiten wären dann
nicht entwickelt genug, um sich zu den höheren Seiten des Lebens erheben zu
können. Wenn solche Verbindungen zu anderen Welten fehlen, kann jene
Wiedergeburts-Theorie zutreffend sein, die nur
ständige Seelenwanderung zuläßt. Hier ist das Dasein anderer Welten und der
Aufenthalt der Seele auf anderen Ebenen kein aktueller auf keiner Stufe
notwendiger Teil des Systems. Es kann auch eine andere Theorie geben, nach der
dieser Übergang für alle Menschen bindende Regel ist und es keine unmittelbare
Wiedergeburt gibt. Die Seele brauche einen Zwischenzustand der Vorbereitung auf
eine neue Inkarnation und auf neue Erfahrung. Es ist auch ein Kompromiß zwischen
beiden Theorien möglich. Die Seelenwanderung mag dann zuerst die Regel sein, die
so lange gilt, wie die Seele für ein Dasein in höheren Welten noch nicht reif
genug ist. Das Hinübergehen in andere Welten wäre dann das darauf folgende
Gesetz. Es mag, wie manchmal angedeutet wird, noch eine dritte Stufe geben, auf
der die Seele so machtvoll entwickelt ist und ihre natürlichen Seiten spirituell
so lebendig sind, daß sie kein Intervall braucht, sondern wieder unmittelbar
eine Geburt annehmen kann, um ohne Verzögerung und Unterbrechung eine raschere
Entwicklung zu erlangen.
In den populären Vorstellungen, die sich von den
Religionen herleiten, die die Reinkarnation anerkennen, gibt es einen
Widerspruch, den aufzulösen diese, nach Art populärer Überzeugungen, sich keine
Mühe gegeben haben. Einerseits gibt es, vage genug, doch ziemlich allgemein, die
Auffassung, auf den Tod folge unmittelbar oder annähernd unmittelbar die Annahme
eines neuen Körpers. Andererseits besteht das alte religiöse Dogma von einem
Leben nach dem Tod in Höllen oder in Himmeln, vielleicht auch anderen Welten
oder Stufen des Seienden, das sich die Seele durch ihr Verdienst im physischen
Leben erworben oder durch ihre Untaten zugezogen habe. Die Rückkehr auf die Erde
trete erst dann ein, wenn jenes Verdienst oder jene Versündigung erschöpft und
der Mensch fähig sei für ein anderes irdisches Leben. Dieser Widerspruch würde
verschwinden, wenn wir eine unterschiedliche Bewegung annehmen, die von jener
Entwicklungsstufe abhängt, die die Seele während ihrer Manifestation in der
Natur erlangt hat. Alles würde sich dann um den Grad ihrer Fähigkeit drehen, in
einen höheren Zustand als den des irdischen Lebens einzugehen. In der
gewöhnlichen Auffassung von Wiedergeburt ist aber die Vorstellung einer
spirituellen Entwicklung nicht ausdrücklich enthalten. Sie wird nur in der
Tatsache angedeutet, daß die Seele den Punkt erreicht haben muß, an dem sie
fähig ist, über den Zwang zur Wiedergeburt hinauszukommen und in ihren ewigen
Ursprung zurückzukehren. Wenn es aber keine
Evolution in Stufen oder Graden gibt, kann dieser Punkt ebenso gut durch eine
wirre Zick-Zack-Bewegung erreicht werden, deren Gesetz nicht leicht bestimmbar
ist. Die definitive Lösung der Frage hängt von Erforschung und Erfahrung des
Seelischen ab. Hier können wir nur erwägen, ob in der Natur der Dinge oder in
der Logik des evolutionären Prozesses eine äußerlich oder innerlich zwingende
Notwendigkeit für die eine oder andere dieser Bewegungen vorliegt: für den
unmittelbaren Übergang von dem einen in den anderen Körper oder dafür, daß vor
einer neuen Reinkarnation ein Intervall durch das psychische Prinzip der
Selbst-Verkörperung eintritt.
Etwas wie eine halbe Notwendigkeit für das Leben in
anderen Welten, eine dynamische und praktische eher als eine wesenhafte
Notwendigkeit, ergibt sich gerade aus der Tatsache, daß die verschiedenen
Welt-Prinzipien ineinander verwoben und in etwa voneinander abhängig sind,
ferner aus der Wirkung, die diese Tatsache auf den Prozeß unserer spirituellen
Entwicklung haben muß. Entgegenwirken könnte dem eine Zeitlang der stärkere Zug
nach unten oder die Anziehung des Irdischen oder die überwiegend physische Art
der sich entwickelnden Natur. Unsere Überzeugung, daß eine aufsteigende Seele in
die Gestalt eines Menschen geboren und in dieser Gestalt öfters wiedergeboren
wird, weil sie sonst ihre menschliche Entwicklung nicht vollenden kann, ruht,
vom Standpunkt der rational urteilenden Intelligenz her, auf der Basis, daß die
Seele fortschreitend in höhere und immer höhere Grade des irdischen Daseins
übergeht und, sobald sie einmal die Stufe des Menschen erreicht hat, ihre
wiederholte menschliche Geburt eine Aufeinanderfolge darstellt, die für das
Wachsen der Natur notwendig ist. Ein einziges kurzes menschliches Leben auf der
Erde reicht offenbar für den evolutionären Zweck nicht aus. Auf den früheren
Stufen einer Reihe menschlicher Reinkarnationen gibt es, während einer Periode
primitiven Menschseins, auf den ersten Blick eine gewisse Möglichkeit dafür, daß
der unmittelbare Übergang in einen anderen Körper oft wiederholt wird, – das
öftere Annehmen einer neuen menschlichen Gestalt in einer Geburt unmittelbar,
nachdem der vorhergehende Körper sich durch Stillstand oder Ausstoß der
organisierten Lebens-Energie aufgelöst hat und als Folge davon die physische
Zersetzung eingetreten ist, die wir Tod nennen. Welche Notwendigkeit des
evolutionären Prozesses würde aber solch eine Reihe unmittelbarer Wiedergeburten
bedingen? Offensichtlich könnte sie nur so lange erforderlich sein, wie die psychische Individualität
– das ist nicht die verborgene
Seelen-Wesenheit selbst, sondern die Seelen-Gestalt im natürlichen Wesen – wenig
entwickelt, ungenügend entfaltet und so unvollkommen gestaltet ist, daß sie sich
nur durch Abhängigkeit von einer ununterbrochenen Aufeinanderfolge der mentalen,
vitalen und physischen Individualität dieses Lebens behaupten könnte: In ihrer
Unfähigkeit, jetzt schon in sich selbst zu beharren, sich ihrer vergangenen
Mental- und Lebens-Gestaltung zu entledigen und nach einem hilfreichen Intervall
neue Gestaltungen aufzubauen, wäre sie gezwungen, ihre rudimentäre Personalität
zu ihrer Erhaltung sofort auf einen neuen Körper zu übertragen. Es ist
zweifelhaft, ob wir berechtigt sind, einem Wesen, das so stark individualisiert
ist, daß es menschliches Bewußtsein erlangte, eine so völlig unzureichende
Entwicklung zuzumuten. Das menschliche Individuum ist selbst in seiner
niedrigsten Form noch eine Seele, die durch ein besonderes mentales Wesen
handelt, mag sein Mental auch noch so schlecht ausgebildet, noch so beschränkt
und zwergenhaft, noch so vergröbert und in ein physisches und vitales Bewußtsein
eingesperrt und unfähig oder unwillig sein, sich von seinen niederen
Gestaltungen freizumachen. Wir können auch annehmen, daß ein so starker Hang
nach unten vorhanden ist, daß er das Wesen zwingt, eilends das physische Leben
wieder anzunehmen, da die Gestaltung seiner Natur wirklich noch nicht für etwas
anderes fähig oder auf einer höheren Ebene daheim ist. Es könnte die
Lebens-Erfahrung so kurz und unvollständig sein, daß die Seele um ihrer
Fortdauer willen zu unmittelbarer Wiedergeburt drängte. In dem komplexen Ablauf
des Natur-Prozesses mag es noch andere Bedürfnisse, Einflüsse oder Ursachen
geben, etwa einen starken Willen erdgebundenen Begehrens, der nach Erfüllung
drängt und unmittelbaren Übergang der gleichen beharrenden Form der Personalität
in einen neuen Körper erzwingen will. Dennoch würde die Alternative, der Prozeß
der Reinkarnation, einer Wiedergeburt der Person, nicht nur in einem neuen
Körper, sondern in einer neuen Gestaltung der Persönlichkeit, die normale Linie
sein, die vom psychischen Wesen eingeschlagen wird, wenn es einmal die
menschliche Stufe seines evolutionären Zyklus erreicht hat.
Denn im Lauf ihrer Entwicklung muß die
Seelen-Persönlichkeit Macht genug über ihre eigene Natur-Gestalt und mentale und
vitale Individualität gewinnen, die das Selbst genügend ausdrücken kann, um ohne Unterstützung des materiellen Körpers weiter bestehen und jeden
übermäßigen, hemmenden Hang zur physischen Ebene und zum physischen Leben
überwinden zu können. Sie sollte so weit entwickelt sein, daß sie im subtilen
Körper bestehen kann. Von ihm wissen wir, daß er die charakteristische Behausung
oder Umhüllung und die eigentliche subtil-physische Stütze des inneren Wesens
ist. Die Seelen-Person, das psychische Wesen, überlebt; sie trägt Mental und
Leben auf ihrer Reise mit sich. Im subtilen Körper verläßt sie ihre materielle
Behausung. Beide müssen also für den Übergang ausreichend entwickelt sein. Eine
Überführung von Mental und Leben auf die Ebenen des Mental- oder Vital-Daseins
setzt beide als so weit geformt und entwickelt voraus, daß sie ohne Auflösung
hinübergehen und eine Zeitlang auf den höheren Ebenen existieren können. Die
Erfüllung dieser Bedingungen – also ausreichend entwickelte psychische
Personalität, ein subtiler Körper und eine genügend entfaltete mentale und
vitale Persönlichkeit – würde das Überleben der Seelen-Person ohne unmittelbare
Neu-Geburt sichern; die Anziehungskraft der anderen Welten würde wirksam werden.
Das würde an sich aber bedeuten, daß die Seele mit derselben mentalen und
vitalen Persönlichkeit zur Erde zurückkehrt. Es gäbe dann keine freie Evolution
in der neuen Geburt. Es sollte aber ein so hoher Grad an individueller
Vervollkommnung der psychischen Person selbst erreicht werden, daß diese
ebensowenig abhängig ist von ihren früheren Mental- und Lebens-Gestaltungen wie
von dem vergangenen Körper. Vielmehr sollte sie diese zur gegebenen Zeit
abschütteln und zu einer neuen Form für neue Erfahrung weitergehen. Um so die
alten Formen abzulegen und neue vorzubereiten, muß sich die Seele eine Zeitlang
zwischen den beiden Geburten irgendwo anders aufhalten als auf der
ausschließlich materiellen Ebene, auf der wir uns jetzt bewegen. Denn hier gibt
es keine bleibende Stätte für einen körperlosen Geist. Ein kurzer Aufenthalt
wäre wohl möglich, sofern es subtile Hüllen des Erden-Daseins gibt, die zur Erde
gehören, aber von vitaler oder mentaler Art sind. Aber selbst dann gäbe es nur
dann einen triftigen Grund für die Seele, längere Zeit hier “umzugehen”, wenn
sie noch mit übermächtiger Bindung an das Erden-Leben belastet ist. Will die
Persönlichkeit den materiellen Körper überleben lassen, setzt das ein
supraphysisches Dasein voraus. Das kann aber nur auf einer Ebene des Seienden
geschehen, die der Entwicklungsstufe des Bewußtseins entspricht. Oder es muß,
wenn es keine Entwicklung
gibt, in einem
zeitweiligen zweiten Heim des Geistes geschehen, das ihr natürlicher
Aufenthaltsort zwischen dem einen und dem anderen Leben wäre, – wenn es nicht
ihre ursprüngliche Welt ist, aus der sie nicht mehr in die materielle Natur
zurückkehrt.
Wo würde dann dieser zeitweilige Aufenthalt im
Supraphysischen stattfinden? Welches wäre die andere Wohnstätte der Seele? Es
könnte so aussehen, als sollte das auf einer mentalen Ebene sein, in mentalen
Welten, einerseits weil für den Menschen, das mentale Wesen, die Anziehung jener
Welten, die schon im Leben so wirksam ist, dann überwiegen muß, wenn das
Hindernis der Gebundenheit des Körpers nicht mehr besteht, andererseits weil die
mentale Ebene offensichtlich die ursprüngliche und eigentliche Wohnstätte eines
mentalen Wesens sein sollte. Weil aber das Wesen des Menschen so komplex ist,
muß das nicht automatisch erfolgen. Er besitzt ebenso ein vitales wie ein
mentales Dasein – seine vitalen Seiten treten oft machtvoller und aufdringlicher
hervor als die mentalen –, und hinter dem mentalen Wesen ist eine Seele, deren
Repräsentant das Mental ist. Außerdem gibt es viele Ebenen oder Stufen des
Welt-Daseins, durch die die Seele hindurchgehen muß, um das für sie natürliche
Heim zu erreichen. Man nimmt an, daß es in der physischen Ebene selbst oder nahe
bei ihr Schichten von immer feinerer subtiler Art gibt, die man als Unter-Ebenen
des Physischen von vitalem und mentalem Charakter ansehen kann. Das sind
Schichten, die uns umgeben und zugleich auch in uns eindringen. Durch sie
hindurch findet der Austausch zwischen den höheren Welten und der physischen
Welt statt. Dann könnte es für den mentalen Menschen möglich sein, daß er,
solange seine Mentalität noch nicht genügend entwickelt ist, solange sie
hauptsächlich auf die mehr physischen Formen der Aktivität von Mental und Leben
beschränkt ist, in diesen Zwischenregionen gefangen und aufgehalten wird. Er
könnte sogar gezwungen werden, zwischen der einen und der anderen Geburt ganz
dort zu bleiben. Das ist aber nicht wahrscheinlich und könnte nur dann
geschehen, wenn und insofern seine Gebundenheit an die Erden-Formen seiner
bisherigen Aktivität so stark gewesen ist, daß sie die Vollendung seines
natürlichen Weges nach oben hin ausschließt oder behindert. Denn der Zustand der
Seele nach dem Tod muß irgendwie der Entwicklung des Wesens auf der Erde
entsprechen. Das Leben danach ist also keine freie Rückkehr nach oben von einem
vorübergehenden zeitweiligen Irrweg hinab in die Sterblichkeit. Vielmehr ist es ein normales, sich wiederholendes Ereignis, das zwischen Tod und
Geburt eintritt, um den Prozeß einer schwierigen spirituellen Entwicklung im
physischen Dasein zu unterstützen. Es gibt eine Beziehung, die das menschliche
Wesen in seiner Entwicklung auf Erden mit den höheren Ebenen des Seins knüpft.
Das muß entscheidend auf sein Wohnen in diesen Ebenen zwischen Tod und
Wiedergeburt wirken. Es muß seine Richtung nach dem Tod und auch Ort, Zeitdauer
und Charakter seiner Selbst-Erfahrung dort bestimmen.
Es mag auch sein, daß der Mensch noch eine Zeitlang in einem dieser angrenzenden Bereiche anderer Welten umgeht, die von seinen gewohnten Anschauungen oder von der Art seines Trachtens im sterblichen Körper erschaffen werden. Wir wissen, daß er sich Bilder dieser höheren Ebenen macht, die oft mentale Übertragungen von gewissen Elementen in ihnen sind. Aus diesen Bildern errichtet er ein System, eine Form aktueller Welten. Er baut sich auch Wunsch-Welten vielerlei Art auf, die er dank seiner Neigung zu ihnen stark als innere Wirklichkeit empfindet: Möglicherweise sind diese Konstruktionen so stark, daß sie für ihn eine künstliche Umgebung nach dem Tod erschaffen, in der er dann verweilen kann. Denn die Macht des menschlichen Mentals, Bilder zu erschaffen, seine Phantasie, die in seinem physischen Leben nur eine unentbehrliche Hilfe ist, sich Wissen zu erwerben und das Leben zu gestalten, kann auf höherer Stufe zur schöpferischen Macht werden, die es seinem mentalen Wesen möglich macht, eine Zeitlang inmitten seiner eigenen Bilder zu leben, bis diese durch den Druck der Seele aufgelöst werden. Alle diese Mentalgebäude haben die Art von umfassenden Lebenskonstruktionen. In ihnen überträgt das Mental einige der wirklichen Zustände der höheren mentalen und vitalen Welten in die Begriffe seiner physischen Erfahrung, vergrößert, zeitlich verlängert, zu einem Zustand ausgedehnt, der über die physischen Verhältnisse hinausgeht. Durch diese Übertragung bringt er die vitale Freude und das vitale Leiden des physischen Wesens in die supraphysischen Verhältnisse, in denen sie größere Weite, Fülle und Dauer bekommen. Man muß also diese konstruierten Umgebungen, soweit sie überhaupt eine Stätte im Supraphysischen haben, als angrenzendes Gebiet der vitalen und niederen mentalen Ebenen ansehen.
Es gibt aber auch die wahren vitalen Welten – ursprüngliche Konstruktionen, organisierte Entwicklungen, echte Heimstätten des
universalen Lebens-Prinzips, die kosmische vitale anima, die dort in
ihrem eigenen Bereich und in ihrer eigenen Natur
wirkt. Auf seinem Weg zwischen den Geburten mag der Mensch dort durch die Kraft
der überwiegend vitalen Einflüsse, die sein irdisches Leben gestaltet haben,
eine Weile festhalten werden, denn diese Einflüsse gehören ursprünglich zur
vitalen Welt. Ihre Gewalt über ihn könnte ihn einige Zeit in ihrem Bezirk
zurückhalten. Er mag dort in der Gewalt jener Dinge festgehalten werden, die ihn
hier schon im physischen Wesen beherrschten. Aber jedes Verbleiben der Seele in
Grenzgebieten oder in ihren eigenen Konstruktionen könnte nur eine
Übergangsstufe des Bewußtseins sein, wenn sie vom physischen in den
supraphysischen Zustand übergeht. Sie muß aus diesen Strukturen in die wahren
Welten der supraphysischen Natur weitergehen. Sie kann sofort in die Welten des
anderen Lebens eingehen oder auf einer Übergangsstufe in einem Bereich der
subtilphysischen Erfahrung bleiben, dessen Umgebung ihr eine Ausweitung der
Zustände des physischen Lebens zu sein scheint, jedoch unter freieren
Bedingungen, die einem subtileren Medium angepaßter sind und eine Art
glücklicher Vollkommenheit von Mental und Leben oder ein verfeinerteres
körperliches Dasein darstellen. Jenseits dieser subtil-physischen Ebenen der
Erfahrung und der Lebens-Welten gibt es auch mentale und spirituell-mentale
Welten, zu denen die Seele zwischen Tod und Geburt einen Zugang zu haben
scheint, in die sie ihren Weg zwischen ihren Inkarnationen lenken kann.
Wahrscheinlich kann sie aber dort nicht bewußt leben, wenn sie nicht in diesem
Leben schon eine ausreichende Entfaltung von Mental oder Seele erworben hat.
Denn normalerweise müssen diese Stufen die höchsten sein, die das sich
entwickelnde Wesen zwischen Tod und Geburt bewohnen kann, da niemand, der nicht
über die mentalen Sprossen auf der Leiter des Seienden hinausgekommen ist, zu
einem supramentalen oder übermentalen Zustand emporsteigen könnte. Hätte sich
aber ein Mensch so sehr entwickelt, daß er den Sprung über die mentale Stufe
hinaus gemacht und eine solche Höhe erlangt hat, dann könnte er möglicherweise
nicht mehr hierher zurückkehren, solange die physische Evolution hier in der
Materie noch keine Organisation eines übermentalen oder supramentalen Lebens
entwickelt hat.
Indessen ist es aber nicht wahrscheinlich, daß die
mentalen Welten die letzte normale Stufe beim Weitergehen nach dem Tod
darstellen. Ist doch der Mensch nicht allein mental: Die Seele, das psychische
Wesen, ist der Wanderer zwischen Tod und Geburt, nicht das Mental. Das mentale Wesen ist nur ein vorherrschendes Element in der Gestalt, in der sich
die Seele zum Ausdruck bringt. So muß es also für die Seele eine Zuflucht auf
einer Ebene rein psychischen Seins geben, in der sie auf ihre Wiedergeburt
warten kann. Dort könnte sie sich die Kräfte ihres vergangenen Lebens und ihrer
Erfahrung angleichen und ihre Zukunft vorbereiten. Im allgemeinen sollte man von
einem normal entwickelten menschlichen Wesen, das zu einer genügend starken
Mentalität emporgekommen ist, erwarten, daß es auf seinem Weg zu seiner
psychischen Ruhestätte nacheinander durch alle die subtil-physischen, vitalen
und mentalen Ebenen hindurchgeht. Auf jeder Stufe würde es die Bruchstücke
seiner geformten Persönlichkeitsstruktur, die nur vorübergehend und äußerlich
sind und zu seinem vergangenen Leben gehören, aufarbeiten, um sich ihrer zu
entledigen. Es würde seine Mental-Hülle und seine Vital-Hülle ebenso ablegen wie
schon vorher seine körperliche Hülle. Zurückbleiben würden das Wesen der
Persönlichkeit und ihre mentalen, vitalen und körperlichen Erfahrungen in einer
latenten Erinnerung oder als dynamische Möglichkeit für die Zukunft. Wenn aber
die Entwicklung des Mentals unzulänglich war, kann die Seele möglicherweise
nicht bewußt über die vitale Stufe hinausgehen. Dieses Wesen würde dann entweder
von hier aus zurückfallen und aus seinen vitalen Himmeln oder Fegefeuern zur
Erde zurückkehren. Oder es würde folgerichtiger sofort in eine Art von
seelischem Angleichungs-Schlaf versinken, der so lange dauert wie die Zeit bis
zu seiner neuen Geburt. Um auf den höchsten Ebenen wach sein zu können, ist eine
gewisse Entwicklung unerläßlich.
All das ist indessen nur von starker Wahrscheinlichkeit
und, obwohl es in der Praxis an Notwendigkeit herankommt und durch gewisse
Fakten subliminaler Erfahrung bestätigt wird, für das rational urteilende Mental
an sich noch nicht voll beweiskräftig. Wir müssen uns fragen, ob es noch eine
weitere, wesenhaftere Notwendigkeit für die Intervalle zwischen Tod und Geburt
gibt, zumindest eine so kraftvolle, daß sie zu einem unwidersprechlichen Schluß
führt. Eine solche Notwendigkeit werden wir in der entscheidenden Rolle finden,
die die höheren Ebenen in der Erden-Entwicklung und in der Beziehung spielen,
die die Evolution zwischen ihnen und dem sich entwickelnden Seelen-Bewußtsein
geschaffen hat. Unsere Entwicklung findet weithin durch deren höheres, wenn auch
verborgenes Einwirken auf unsere Erden-Ebene statt. All das ist im Unbewußten
oder im Unterbewußten, jedoch als Entwicklungsmöglichkeit aufbewahrt. Die Einwirkung von oben hilft, ein Hervortreten zu
erzwingen. Fortgesetztes Einwirken ist notwendig, um den Fortschritt der
mentalen und vitalen Gestaltungen zu bestimmen, den unsere Evolution in der
materiellen Natur durchläuft. Denn diese progressiven Bewegungen können nur dann
ihre volle Wirkungskraft, ihre eigentliche Bedeutung gegen den Widerstand einer
unbewußten, trägen, unwissenden materiellen Natur entfalten, wenn sie, zwar
insgeheim aber ständig, Zuflucht bei den höheren supraphysischen Kräften ihrer
eigenen Art suchen. Diese Zuflucht, das Wirken dieser geheimen Allianz, findet
hauptsächlich in unserem subliminalen Wesen und nicht an der Oberfläche statt.
Von hier tritt die aktive Macht unseres Bewußtseins hervor. Alles, was es
realisiert, sendet es ständig in das subliminale Wesen zurück, damit es dort
gespeichert und entwickelt wird, um später in stärkeren Gestaltungen wieder
hervorzutreten. Diese gegenseitige Einwirkung zwischen unserem umfassenderen
verborgenen Wesen und unserer vordergründigen Personalität ist das wichtigste
Geheimnis der raschen Entwicklung, die im Menschen wirksam ist, sobald er einmal
über die niederen Stufen des in der Materie versunkenen Mentals hinausgekommen
ist.
Jene Zuflucht muß auf der Stufe zwischen Tod und Geburt
fortbestehen. Denn eine neue Geburt, ein neues Leben nimmt die Entwicklung nicht
genau an dem Punkt wieder auf, wo sie im letzten Leben aufhörte. Sie wiederholt
nicht nur unsere frühere vordergründige Persönlichkeit und die Gestaltung
unserer Natur und setzt diese fort. In jener Zuflucht findet Angleichung statt.
Alte Charaktereigenschaften und Beweggründe werden abgelegt, manche verstärkt
und neu geordnet. Die Entwicklungen der Vergangenheit werden neu gesichtet und
für die Zwecke der Zukunft ausgewählt. Ohne das kann der neue Anfang nicht
erfolgreich sein, die Entwicklung nicht weiterführen. Denn jede Geburt ist ein
neuer Anfang. Gewiß entwickelt er sich aus der Vergangenheit; er ist aber nicht
deren mechanische Fortsetzung: Wiedergeburt ist keine ständige Wiederholung,
sondern ein Fortschritt. Sie ist der Mechanismus eines evolutionären Prozesses.
Ein Teil dieser neuen Ordnung der Eigenschaften, besonders das Ausmerzen
früherer starker Schwingungen der Personalität, kann nur dadurch bewirkt werden,
daß nach dem Tod das Drängen früherer mentaler, vitaler und physischer
Beweggründe zum Stillstand gebracht wird. Diese innere Befreiung, dieses
Abwerfen von Behinderungen, muß auf Ebenen zustandegebracht werden, die den Beweggründen entsprechen, die beseitigt oder sonstwie
aufgearbeitet werden sollen, also auf Ebenen, die selbst von jener Art sind. Nur
dort kann die Seele noch jene Wirkweisen, die zum Stillstand gebracht oder aus
dem Bewußtsein zurückgewiesen werden müssen, fortsetzen, damit sie zu einer
neuen Gestalt weitergehen kann. Es ist auch wahrscheinlich, daß die
integrierende positive Vorbereitung von der Seele selbst durchgeführt und von
ihr der Charakter des neuen Lebens am Zufluchtsort, ihrer eigentlichen Heimat,
entschieden wird, auf einer Ebene psychischer Ruhe, wo sie alles in sich
zurücknehmen und ihre neue Stufe in der Evolution erwarten kann. Das würde
bedeuten, daß die Seele fortschreitend durch die subtil-physischen, vitalen und
mentalen Welten hindurch bis zu jener psychischen Zufluchtsstätte geht, von der
aus sie dann zu ihrer weiteren Pilgerschaft auf die Erde zurückkehren würde.
Konsequenz der Zuflucht zwischen Tod und Geburt wäre, daß die Seele die so
vorbereiteten Materialien sammelt, entfaltet und in dem neuen Erden-Leben
ausarbeitet. Die neue Geburt wird dann zum Feld für das hieraus entstehende
Wirken, für ein neues Stadium oder für eine Spiral-Kurve in der individuellen
Evolution des verkörperten Geistes.
Denn wenn wir sagen, die Seele entfaltet auf Erden
nacheinander das physische, das vitale, das mentale und das spirituelle Wesen,
so meinen wir nicht, daß sie diese neu erschafft und diese nicht schon vorher
existiert hätten. Im Gegenteil, in Wirklichkeit manifestiert sie die Prinzipien
ihres spirituellen Wesens und tut das unter den ihr von einer Welt physischer
Natur auferlegten Bedingungen. Diese Manifestation nimmt die Form der Struktur
einer Vordergrunds-Personalität an, die eine Übertragung des inneren Selbsts in
die Begriffe und Möglichkeiten des physischen Daseins ist. So müssen wir
faktisch die antiken Vorstellungen annehmen, daß der Mensch in seinem Innern
nicht nur die physische Seele, den purusha hat samt der diesem
entsprechenden Natur, sondern auch ein vitales, ein mentales, ein psychisches,
ein supramentales und ein höchstes spirituelles Wesen (Taittiriya Upanishad).
Alle diese Seiten seines Wesens oder ihre Gegenwart und Kraft sind zum größeren
Teil in seinen subliminalen oder latenten und in seinen noch nicht formulierten
überbewußten Seiten verborgen. Er muß ihre Mächte in seinem aktiven Bewußtsein
in den Vordergrund bringen und selbst in seinem Wissen für sie wach werden. Jede
dieser Mächte seines Wesens steht aber in Beziehung zu der eigenen, ihr
entsprechenden Seins-Ebene, alle haben dort ihre
Wurzeln. Durch diese nimmt das Wesen seine subliminale Zuflucht zu den
gestaltenden Einflüssen von oben her, eine Zuflucht, die uns entsprechend
unserer höheren Entwicklung immer mehr bewußt werden kann. Es ist also logisch,
daß der Entwicklung ihrer Mächte in unserer bewußten Evolution auch der
Zufluchtsort zwischen Tod und Geburt entsprechen muß, den die Art unserer Geburt
hier, ihr evolutionäres Ziel und ihr Prozeß erfordern. Die Umstände und die
Stufen dieser Zuflucht müssen komplex sein und dürfen nicht den grob und scharf
abgegrenzten primitiven Charakter tragen, wie sich ihn die populären Religionen
vorstellen. An sich kann man aber diese Zuflucht als eine unausweichliche
Konsequenz des eigentlichen Ursprungs und der Natur des Seelen-Lebens im Körper
akzeptieren. Das All ist ein eng verflochtenes Gewebe, eine Entwicklung und ein
Ineinanderwirken, dessen Verbindungsglieder von einer Bewußten-Kraft gebildet
worden sind, die die Wahrheit ihrer eigenen Beweggründe im Einklang mit einer
kraftgeladenen Logik dieser endlichen Wirkweisen des Unendlichen durchführt.
Ist diese Betrachtung der Wiedergeburt und des zeitweiligen Übergangs der Seele in andere Ebenen des Seins korrekt, dann nehmen die Wiedergeburt und das Leben nach dem Tod Bedeutungen an, die verschieden sind, je nachdem sie durch die seit langem gängigen Vorstellungen von Wiedergeburt und den Aufenthalt nach dem Tod in Welten jenseits von uns gefärbt sind. Im allgemeinen nimmt man an, die Wiedergeburt habe zwei Aspekte, einen metaphysischen und einen moralischen, einen Aspekt spiritueller Notwendigkeit und einen kosmischer Gerechtigkeit und ethischer Disziplin. Die Seele – von der man in dieser Auffassung oder für diesen Zweck annimmt, sie habe ein wirkliches individuelles Dasein – sei infolge ihres Begehrens und ihrer Unwissenheit auf Erden. Sie müsse auf Erden bleiben oder immer wieder hierher zurückkehren, solange sie nicht des Begehrens müde geworden und zu der Erkenntnis ihrer Unwissenheit und zum wahren Wissen erwacht sei. Dieses Begehren zwinge sie, immer wieder zu einem neuen Körper zurückzukehren. Sie müsse stets den Umdrehungen des Rades der Geburt folgen, bis sie erleuchtet und befreit sei. Sie verbleibe allerdings nicht immer auf Erden, sondern wechsle zwischen der Erde und anderen Welten der Himmel und der Höllen, bis sie den in ihr angehäuften Vorrat von Verdienst und Vergehen infolge ihrer sündigen oder tugendhaften Handlungen aufgearbeitet habe.
Dann kehre sie auf die
Erde und in eine Art irdischen Körper zurück, manchmal in einen menschlichen,
manchmal in den eines Tieres und manchmal sogar in einen pflanzlichen. Die Art
dieser neuen Inkarnation und das Schicksal der Seele würden automatisch durch
ihre vergangenen Handlungen, durch das karma, bestimmt. Wenn die Summe
des vergangenen Wirkens gut war, geschehe die Geburt in der höheren Gestalt, das
Leben werde froh und erfolgreich oder unsagbar glücklich. War es schlecht, dann
erhielten wir eine niedrigere Form der Natur als Haus, oder das Leben werde, als
menschliches, ohne Freude, ohne Erfolg, voll von Leiden und Unglück sein. Waren
unsere vergangenen Taten und unser Charakter vermischt, dann gebe uns die Natur,
einem guten Buchhalter gleich, je nach der Gesamtsumme und den Werten unseres
früheren Verhaltens, eine wohl bemessene Bezahlung mit einer Mischung von Freude
und Leiden, Erfolg und Mißerfolg, dem seltensten großen Glück und dem härtesten
Unglück. Zugleich mag auch ein starker persönlicher Wille oder ein Begehren im
vergangenen Leben die neue Form der inkarnierten Seele, avatara,
bestimmen. Diesen Bezahlungen der Natur wird oft ein mathematischer Aspekt
gegeben, denn nach dieser Auffassung sollten wir eine genaue Strafe für unsere
Missetaten auf uns laden, uns der gleich großen Vergeltung unterziehen oder den
gleichhohen Gegenwert erstatten für das, was wir anderen zugefügt oder gegen sie
veranlaßt haben. Die unerbittliche Regel “Zahn um Zahn” ist ein häufiges Prinzip
dieses karma-Gesetzes. Denn dieses Gesetz ist ebenso ein Arithmetiker mit
seiner Rechenmaschine wie ein Richter mit seinem Strafgesetz für lang hinter uns
liegende Vergehen und Missetaten. Es ist aber auch zu bemerken, daß es in diesem
System eine doppelte Bestrafung und eine doppelte Belohnung für Sünde und Tugend
gibt. Denn der Sünder wird zuerst in der Hölle gefoltert und dann noch in einem
anderen Leben hier für die gleichen Sünden geplagt. Und der Gerechte oder der
Puritaner wird mit himmlischen Freuden belohnt und danach für dieselben Tugenden
und guten Taten noch einmal in einem neuen irdischen Dasein verwöhnt.
Das sind sehr summarische Auffassungen; sie bieten der
philosophischen Vernunft keinen Standpunkt und keine Antwort auf der Suche nach
der wahren Bedeutung des Lebens. Ein ungeheures Welt-System, das als Einrichtung
nur zu dem Zweck existieren sollte, endlos an einem Rad der Unwissenheit zu
drehen, und kein anderes Ziel bietet, als schließlich die Chance, von ihm
abzuspringen, ist keine Welt mit wirklichem
Seinsgrund. Eine Welt, die nur als Schule für Sünde und Tugend dient, die aus
einem System von Zuckerbrot und Peitsche besteht, wirkt auf unsere Intelligenz
nicht überzeugender. Wenn die Seele oder der Geist in unserem Innern göttlich,
unsterblich oder himmlisch ist, kann sie nicht nur hierher geschickt worden
sein, um für eine solche Art roher und primitiver moralischer Erziehung in die
Schule geschickt zu werden. Wenn sie in die Unwissenheit eintreten sollte, muß
das geschehen sein, weil es ein höheres Prinzip, eine Möglichkeit in ihrem Wesen
gibt, die durch die Unwissenheit ausgearbeitet werden muß. Ist die Seele
andererseits ein Wesen, das für einen kosmischen Zweck aus dem Unendlichen in
die Finsternis der Materie gestürzt wurde und in ihr zur Selbst-Erkenntnis
heranwachsen soll, muß ihr Leben hier und seine Bedeutung etwas mehr sein, denn
als kleines Kind zu einem tugendsamen Verhalten verhätschelt und gezüchtigt zu
werden. Das Leben der Seele muß wachsen, aus angenommener Unwissenheit zur
eigenen vollen spirituellen Größe, schließlich in ein unsterbliches Bewußtsein,
in Wissen, Stärke, Schönheit, göttliche Reinheit und Macht übergehen. Für solch
spirituelles Wachstum ist dieses Gesetz von karma allzu kindisch. Selbst
wenn die Seele etwas Erschaffenes wäre, ein Kind-Wesen, das von der Natur zu
lernen und in die Unsterblichkeit zu wachsen hat, muß das durch ein
umfassenderes Wachstum geschehen, nicht aber durch irgendein göttliches
Gesetzbuch primitiver, barbarischer Gerechtigkeit. Diese Vorstellung von
karma ist eine Konstruktion des kleinlichen vitalen Mentals des Menschen,
das sich vor allem um seine kümmerlichen Lebensregeln, seine Sehnsüchte, Freuden
und Leiden sorgt und deren armselige Maßstäbe zu Gesetz und Ziel des Kosmos
erhebt. Diese Auffassungen können für das denkende Mental nicht annehmbar sein.
Sie tragen zu offensichtlich den Stempel einer Konstruktion an sich, die durch
unsere menschliche Unwissenheit verfertigt wurde.
Man kann aber dieselbe Lösung auf eine höhere Stufe der
Vernunft emporheben und ihr eine eher einleuchtende Deutung und die Färbung
eines kosmischen Prinzips geben. Man könnte sie zuerst auf das unangreifbare
Fundament stellen, daß alle Energien in der Natur ihre natürliche Konsequenz in
sich tragen. Wenn eine Energie im gegenwärtigen Leben ohne sichtbares Resultat
bleibt, mag es wohl sein, daß dieses Ergebnis nur verzögert, nicht aber für
immer zurückgehalten wird. Jeder Mensch erntet den Herbst seiner Werke und
Taten, den Lohn für das Wirken, das durch die
Energien seiner Natur hervorgerufen wurde. Die Ergebnisse, die in seiner
gegenwärtigen Geburt nicht zutage treten, müssen für ein darauffolgendes Dasein
aufbewahrt werden. Es ist wahr, daß das Resultat der Energien und Handlungen des
Einzelnen nicht ihm selbst, sondern den anderen zuwächst, wenn er weitergegangen
ist. Denn das erleben wir ständig. Es kommt sogar während der Lebenszeit eines
Menschen vor, daß die Früchte seiner Energien von anderen geerntet werden. Der
Grund dafür ist, daß es eine Solidarität und Kontinuität des Lebens in der Natur
gibt und daß der einzelne Mensch, auch wenn er es wollte, nicht völlig für sich
allein leben kann. Wenn es aber für das Individuum eine Kontinuität des Lebens
durch Wiedergeburt gibt, und nicht nur eine Kontinuität des Lebens der Masse und
des kosmischen Lebens, und wenn der Einzelne ein Selbst, eine Natur und eine
Erfahrung hat, die sich immer weiterentwickeln, darf unvermeidlich auch bei ihm
das Wirken seiner Energien nicht plötzlich abgeschnitten werden, muß es zu
irgendeiner Zeit in seinem fortdauernden, sich entwickelnden Sein Ergebnisse
zeitigen. Des Menschen Wesen, seine Natur und seine Lebensumstände sind das
Ergebnis seiner eigenen inneren und äußeren Betätigungen, nicht etwas Zufälliges
und Unerklärliches: Er ist das, wozu er sich selbst gemacht hat. Der vergangene
Mensch war der Vater des Menschen, der heute ist. Der gegenwärtige Mensch ist
der Vater des Menschen, der morgen sein wird. Jeder Mensch erntet, was er sät.
Von dem, was er tut, hat er seinen Vorteil; für das, was er tut, leidet er. Dies
ist das Gesetz und die Kette des karma, des Handelns, des Wirkens der
Natur-Energie. Es gibt der totalen Kraft unseres Daseins und seiner Natur,
seinem Charakter und seinem Wirken seine Bedeutung, die anderen Theorien des
Lebens fehlt. Aufgrund dieses Prinzips ist es evident, daß des Menschen
vergangenes und gegenwärtiges karma seine zukünftige Geburt, deren
Ereignisse und Umstände bestimmen muß. Denn auch diese müssen die Frucht seiner
Energien sein: Alles, was er in der Vergangenheit war und tat, muß der Schöpfer
all dessen sein, was er jetzt ist und in seiner Gegenwart erfährt. Alles, was er
jetzt in der Gegenwart ist und tut, muß der Schöpfer dessen sein, was er in der
Zukunft sein und erfahren wird. Der Mensch ist der Schöpfer seiner selbst. Er
ist auch der Schöpfer seines Schicksals. All das ist völlig rational und duldet,
soweit es geht, keine Ausnahme. Das Gesetz des karma kann als Tatsache,
als ein Teil des kosmischen Mechanismus,
anerkannt
werden, denn es ist – wenn man einmal die Wiedergeburt anerkennt – so
einleuchtend, daß es nicht bestritten werden kann.
Es gibt jedoch bei dieser Theorie zwei Begründungen,
die den Ton eines gewissen Zweifels hereinbringen. Mögen sie auch teilweise wahr
sein, so übertreiben sie doch und bewirken eine falsche Perspektive, weil sie
als der ganze Sinn des karma herausgestellt werden. Die erste heißt: So
wie die Art der Energie ist, so muß auch die Art des Resultats sein, die gute
müsse gute Ergebnisse zeitigen, die schlechte zu schlechten Resultaten führen.
Die zweite lautet: Das Schlüsselwort von karma sei Gerechtigkeit, und
darum müßten gute Taten auch die Frucht von Glück und gutem Schicksal tragen,
böse Taten dagegen die Frucht von Schmerz, Leid, Elend und bösem Schicksal. Da
es eine kosmische Gerechtigkeit geben müsse, die zuschaue und irgendwie die
unmittelbaren und sichtbaren Wirkweisen der Natur im Leben kontrolliere, die
aber für uns in den Tatsachen des Lebens, wie wir sie sehen, nicht sichtbar sei,
müsse sie in der Totalität ihrer unsichtbaren Maßnahmen gegenwärtig und bezeugt
sein. Sie müsse das subtile und kaum sichtbare, doch starke und feste verborgene
Band sein, das die sonst zusammenhanglosen Einzelheiten ihres Umgangs mit ihren
Geschöpfen zusammenhält. Auf die Frage, warum allein Taten, gute oder böse, ein
Resultat zeitigen sollten, mag man zugeben, auch alle guten oder bösen Gedanken,
Gefühle, Handlungen haben ihre entsprechenden Ergebnisse. Nun sei aber das
Handeln der größere Teil des Lebens und die Erprobung und formulierte Macht der
Wesenswerte des Menschen. Auch sei er nicht immer verantwortlich für seine
Gedanken und Gefühle, da diese oft unwillkürlich seien. Dagegen müsse man ihn
für das verantwortlich machen, was er tue, da das seiner Entscheidung
unterliege. Darum gestalteten hauptsächlich seine Taten sein Schicksal. Sie
seien die hauptsächlichen oder stärksten, entscheidenden Faktoren für sein Wesen
und seine Zukunft. Das sei das ganze Gesetz von karma. Dazu müssen wir
bemerken, daß ein Gesetz oder eine Kette von karma nur ein äußerlicher
Mechanismus ist. Man darf es nicht zu einer höheren Position erheben und zum
alleinigen und absolut bestimmenden Faktor für das Wirken des Lebens im Kosmos
machen, es sei denn, der Kosmos sei in seinem Charakter selbst etwas völlig
Mechanisches. Gewiß haben viele die Auffassung, alles sei nur Gesetz und
Verfahren, und es gebe kein bewußtes Wesen, keinen bewußten Willen in oder hinter dem Kosmos. Ist das so, dann ist hier ein Gesetz und ein
Verfahren, das unsere menschliche Vernunft und unsere mentalen Maßstäbe von
Recht und Gerechtigkeit befriedigt und die Schönheit und Wahrheit einer
vollkommenen Symmetrie und einer mathematischen Genauigkeit seines Wirkens an
sich trägt. Aber nicht alles ist Gesetz und Verfahren; es gibt auch Wesen und
Bewußtsein. Es gibt in den Dingen nicht nur einen Mechanismus, sondern einen
Geist; nicht allein Natur und Gesetz des Kosmos, sondern einen kosmischen Geist;
nicht nur einen Funktionsablauf von Mental, Leben und Körper, sondern auch eine
Seele im natürlichen Geschöpf. Wäre das nicht so, es könnte keine Wiedergeburt
einer Seele und kein Feld für ein Gesetz von karma geben. Ist aber die
fundamentale Wahrheit unseres Wesens spirituell und nicht mechanisch, dann
müssen unser Selbst, unsere Seele grundlegend die Evolution bestimmen. Das
Gesetz von karma kann nur eine unter den Verfahrensweisen sein, die sie
für diesen Zweck verwendet: Unser Geist, unser Selbst muß größer sein als sein
karma. Es gibt ein Gesetz; es gibt aber auch eine spirituelle Freiheit:
Gesetz und Verfahrensablauf sind die eine Seite unseres Seins. Sie herrschen
über unser äußeres Mental, unser Leben, unseren Körper, denn diese sind dem
Mechanismus der Natur zumeist unterworfen. Aber gerade hier ist ihre mechanische
Macht nur über den Körper und die Materie absolut. Denn das Gesetz wird immer
komplexer und weniger starr, der Prozeß wird formbarer und weniger mechanisch,
wenn das Phänomen des Lebens auftritt. Noch mehr ist das der Fall, wenn das
Mental mit seiner Subtilität zur Wirkung kommt. Da beginnt schon innere Freiheit
einzuwirken. Je mehr wir nach innen gehen, desto mehr macht sich die Seele, ihre
Macht zur Entscheidung, fühlbar: Denn prakriti ist das Feld für Gesetz
und Verfahren; purusha erteilt die Sanktion, anumanta. Und selbst
wenn purusha gewöhnlich vorzieht, beobachtender Zeuge zu bleiben und nur
eine automatische Sanktion zuzugestehen, kann die Seele, wenn sie will, Herr
über ihre Natur sein, ishvara.
Es ist nicht vorstellbar, daß der Geist in unserem
Innern nur ein Automat in den Händen von karma und in diesem Leben ein
Sklave seiner vergangenen Taten ist. Die Wahrheit muß weniger starr und eher
formgebend sein. Wenn eine gewisse Menge von Ergebnissen des vergangenen
karma im gegenwärtigen Leben formuliert wird, muß das mit der Zustimmung des
psychischen Wesens geschehen, das lenkend über
der neuen Gestaltung seiner Erden-Erfahrung steht. Es stimmt nicht nur einem
äußeren, zwangsläufigen Prozeß zu sondern einem geheimen Willen und einer
Führung. Dieser geheime Wille ist nicht mechanisch sondern spirituell. Die
Führung kommt von einer Intelligenz, die mechanische Verfahrensweisen anwenden
mag, diesen jedoch nicht unterworfen ist. Was die Seele durch ihre Geburt in
einem Körper sucht, sind Ausdruck ihres Selbsts und Erfahrung. Von ihr wird
alles gestaltet, was für den Ausdruck des Selbsts und für die Erfahrung in
diesem Leben notwendig ist, ob das eintritt als automatisches Ergebnis
vergangener Leben oder als freie Auswahl ihrer Resultate und deren Fortsetzung
oder als eine neue Entwicklung – alles ist ein Mittel zur Erschaffung der
Zukunft: Denn das Prinzip besteht nicht darin, den Mechanismus eines Gesetzes
auszuarbeiten, sondern durch die kosmische Erfahrung die Natur so zu entwickeln,
daß sie schließlich aus der Unwissenheit herauswachsen kann. Darum muß es die
beiden Elemente geben: Karma als Instrument, aber auch das verborgene
Bewußtsein und den Willen im Innern, die durch das Mental, das Leben und den
Körper wirken, die das karma verwenden. Das Schicksal ist nur einer der
Faktoren unseres Daseins, ob es rein mechanisch oder von uns selbst erschaffen
ist, eine von uns selbst geschmiedete Kette. Das Wesen mit seinem Bewußtsein und
seinem Willen sind ein noch wichtigerer Faktor. In der indischen Astrologie, die
alle Lebensumstände als karma ansieht, die zumeist in der Schrift der
Sterne vorausbestimmt und angezeigt sind, gibt es doch einen Vorbehalt für die
Energie und Kraft des Wesens, das einen Teil, viel oder sogar alles von dem
verändern und aufheben kann, was so geschrieben steht, außer den zwingendsten
und mächtigsten Bindungen des karma. Das ist eine vernünftige Darstellung
eines Gleichgewichts. Aber es muß zu dieser Rechnung noch die Tatsache
hinzugefügt werden, daß das Schicksal nicht einfach sondern komplex ist. Das
Schicksal, das unser physisches Wesen festlegt, bindet es nur so lange und
insofern, als kein höheres Gesetz eingreift. Das Handeln gehört zu unserer
physischen Seite; es ist das physische Ergebnis unseres Wesens. Aber hinter
unserer Außenseite steht eine freiere Lebens-Macht, eine freiere Mental-Macht,
die über die andere Energie verfügt, ein anderes Schicksal erschaffen und dieses
einsetzen kann, um den ursprünglichen Plan abzuändern. Sobald die Seele und das
Selbst hervortreten und wir bewußte spirituelle Wesen werden, kann diese
Umwandlung die Schrift
unseres physischen
Schicksals aufheben oder völlig umgestalten. Wir brauchen also karma,
zumindest ein mechanisches Gesetz von karma, nicht als einzig
bestimmenden Faktor der Umstände und ganzen Mechanismus unserer Wiedergeburt und
künftigen Entwicklung anzuerkennen.
Das ist aber noch nicht alles. Mit diesen
Feststellungen über das Gesetz irren wir dank zu großer Vereinfachung und der
willkürlichen Auswahl eines begrenzten Prinzips. Handeln ist das Ergebnis der
Energie des Menschen. Aber diese Energie ist nicht von einer einzigen Art. Die
Bewußtseins-Kraft des Geistes manifestiert sich in vielen Arten von Energie: Es
gibt innere Aktivitäten von Mental, Aktivitäten von Leben, von Begehren, Impuls,
Charakter, Aktivitäten der Sinne und des Körpers, ein Streben nach Wahrheit und
Wissen, ein Streben nach Schönheit, ein Streben nach ethisch Gutem oder Bösem,
ein Streben nach Macht, Liebe, Glück, Freude, Vermögen, Erfolg, Vergnügen,
Lebens-Befriedigungen aller Art und Ausweitung des Lebens, ein Streben nach
individuellen oder kollektiven Zielen, ein Streben nach Gesundheit, Stärke,
Tüchtigkeit und nach der Befriedigung des Körpers. All das macht eine äußerst
komplexe Summe der vielfältigen Erfahrung und des vielseitigen Wirkens des
Geistes im Leben aus. Man darf diese Mannigfaltigkeit nicht zugunsten eines
einzigen Prinzips beiseite schieben. Sie darf auch nicht in so viele Unterteile
der einzigen Dualität von ethisch Gutem oder Bösem zerhämmert werden. Deshalb
kann die Ethik, das Aufrechterhalten der menschlichen Maßstäbe der Moral, nicht
das vordringlichste Anliegen des kosmischen Gesetzes oder das einzige Prinzip
sein, das die Wirksamkeit von karma bestimmt. Wenn es wahr ist, daß die
Natur der eingesetzten Energie auch die Natur des Resultats oder Ergebnisses
bestimmt, müssen alle diese Unterschiede in der Natur der Energie in Betracht
gezogen werden; jede muß zu der ihr angemessenen Konsequenz führen. Die Energie
des Suchens nach Wahrheit und Wissen muß als ihr natürliches Ergebnis – als
ihren Lohn oder als ihr Honorar, wenn man so will – ein Hineinwachsen in die
Wahrheit, eine Vermehrung von Wissen eintragen. Das Resultat einer Energie, die
für Lüge und Falschheit verwendet wird, muß ein Anwachsen von Lüge und
Falschheit in der Natur und ein tieferes Hinabsinken in die Unwissenheit sein.
Wird eine Energie dem Streben nach Schönheit gewidmet, müßte sie belohnt werden
durch vermehrten Sinn für Schönheit, die Freude an der Schönheit oder, wenn sie
dahin gelenkt wird, durch Schönheit und Harmonie
des Lebens und der Natur. Verfolgt man das Ziel der körperlichen Gesundheit,
Kraft und Tüchtigkeit, so würde das den starken Menschen oder den erfolgreichen
Athleten ausbilden. Wird die Kraft dafür eingesetzt, das ethisch Gute zu
verwirklichen, so muß das schließlich anerkannt, belohnt oder vergolten werden
durch vermehrte Tugend, das Glück sittlichen Wachstums oder die leuchtende
Freude, Gelassenheit und Reinheit einer einfachen natürlichen Güte. Dagegen wäre
die Strafe für die entgegengesetzten Energien, daß man tiefer in das Böse
hinabsinkt, in eine stärkere Disharmonie und Verdorbenheit der Natur und, im
Fall des Übermaßes in spirituellen Ruin, mahati vinastih. Wird eine
Energie für Macht oder andere vitale Zwecke eingesetzt, so muß das zu einer
Vermehrung der Fähigkeit führen, diese Ergebnisse zu erzwingen, oder zur
Entfaltung von vitaler Stärke und Fülle. Das ist die gewöhnliche Ordnung der
Dinge in der Natur. Wenn man von ihr Gerechtigkeit verlangt, so ist das
sicherlich Gerechtigkeit, daß die eingesetzte Energie und Tüchtigkeit auch von
ihr in der ihr entsprechenden Art eine passende Antwort erhalten sollte. Beim
Rennen verleiht sie den Preis dem Schnellen, den Sieg in der Schlacht dem
Tapferen, Starken und Tüchtigen, dem fähigen Intellekt und ernsten Forscher die
Belohnungen des Wissens. Dem Mann, der zwar gut, aber nachlässig, schwach,
ungeschickt oder dumm ist, wird sie diese Dinge nicht nur deshalb verleihen,
weil er ein rechtschaffener und respektabler Mensch ist. Wenn er diese oder
andere Mächte des Lebens erstrebt, muß er die ihnen entsprechenden Eigenschaften
aufweisen und die richtige Art von Energie einsetzen. Würde die Natur anders
handeln, könnte man sie mit Recht der Ungerechtigkeit zeihen. Es besteht kein
Grund, sie wegen dieser vollkommen richtigen und normalen Ordnung der
Ungerechtigkeit anzuklagen oder von ihr zu verlangen, sie solle in einem
künftigen Leben die Lage so manipulieren, daß dem guten Menschen als natürliche
Belohnung für seine Tugend ein hoher Posten, ein großes Bankkonto oder ein
glückliches, leichtes und behagliches Leben gewährt werde. Das kann nicht die
Bedeutung der Wiedergeburt oder eine ausreichende Grundlage für ein kosmisches
Gesetz von karma sein.
Tatsächlich gibt es in unserem Leben ein starkes
Element dessen, was wir Glück oder Erfolg nennen, das unsere Anstrengung für
einen Erfolg vereitelt oder den Preis für Mühelosigkeit oder eine mindere
Energie erteilt. Die geheime Ursache dieser Launen des Schicksals – oder die Ursachen, denn die Wurzeln eines Erfolges können vielfältig sein
– muß
zweifellos zum Teil im Dunkel unserer Vergangenheit gesucht werden. Man kann
aber doch nur schwer die vereinfachte Lösung akzeptieren, ein besonderes Glück
sei der Lohn für eine vergessene tugendhafte Tat in einem vergangenen Leben,
während ein besonderes Unglück eine Vergeltung für eine Sünde oder für ein
Verbrechen sei. Wenn wir einen gerechten Menschen leiden sehen, können wir doch
schwerlich annehmen, dieses Vorbild an Tugend sei in seinem vergangenen Leben
ein Bösewicht gewesen, der jetzt, selbst nach einer vorbildlichen Bekehrung
durch eine neue Geburt, für damals begangene Sünden bezahlen müsse. Ebensowenig
können wir bei dem bösen Menschen, der im Glück triumphiert, annehmen, er sei in
seinem letzten Leben ein Heiliger gewesen, der plötzlich eine falsche Richtung
einschlug, aber doch noch den Lohn für seine frühere Tugend in barer Münze
bekommt. Eine völlige Bekehrung dieser Art zwischen dem einen Leben und dem
anderen ist zwar möglich, doch ist sie wahrscheinlich nicht häufig. Die neue,
entgegengesetzte Persönlichkeit aber mit den Belohnungen oder Strafen der
früheren zu belasten, sieht wie ein sinnloses und reichlich mechanisches
Vorgehen aus. Diese und viele andere Schwierigkeiten erheben sich, und die allzu
simple Logik der Entsprechung ist nicht so stark, wie sie zu sein vorgibt. Die
Vorstellung von Wiedervergeltung des karma als einer Kompensation für die
Ungerechtigkeit des Lebens und der Natur ist eine schwache Grundlage für die
Theorie, denn sie stellt ein seichtes menschliches Empfinden und einen
oberflächlichen Maßstab als den Sinn des kosmischen Gesetzes heraus und gründet
sich außerdem auf ein ungesundes Urteilsvermögen. Für das Gesetz des karma
muß es eine andere und stärkere Begründung geben.
Hier entsteht, wie so oft, der Irrtum dadurch, daß wir
einen Maßstab, den unser menschliches Mental erschafft, den höheren, freieren
und umfassenderen Methoden der kosmischen Intelligenz aufzwingen. Bei der dem
Gesetz von karma zugeschriebenen Wirksamkeit werden aus den vielen von
der Natur geschaffenen Werten zwei ausgewählt: Das moralisch Gute und das Böse,
Sünde und Tugend, sowie das vitalphysisch Gute und Böse, äußere Lust und Leiden,
äußeres Glück und Unglück. Nun nimmt man an, es müsse zwischen beiden eine
Gleichung bestehen, das eine müsse die Belohnung oder Bestrafung für das andere
sein, die endgültige Sanktion, die es in der geheimen Gerechtigkeit der Natur
empfange. Offenbar wird dieser Ausgleich von dem Gesichtspunkt
aus getroffen, der allgemein das vital-physische Begehren in unseren
Wesens-Seiten bestimmt. Da der niedere Teil unseres vitalen Wesens am meisten
Lust und Glück begehrt und da er besonders Unglück und Leiden haßt und fürchtet,
geht er so weit, daß er, wenn er die moralische Forderung an ihn, seine
Neigungen einzuschränken, sich vom Tun des Bösen fernzuhalten und sich
anzustrengen, das Gute zu tun, akzeptiert, einen Handel abschließt und ein
kosmisches Gesetz aufstellt, das ihn für seine anstrengende Bezwingung seines
Ichs kompensiert und ihm hilft, unter der Androhung von Strafen auf diesem
schweren Weg der Selbstverleugnung standhaft zu bleiben. Ein wahrhaft sittlicher
Mensch braucht aber kein System von Belohnungen und Strafen, um den Weg des
Guten zu gehen und den Pfad des Bösen zu meiden. Tugend birgt für ihn ihren
eigenen Lohn in sich; Sünde bringt dadurch ihre eigene Strafe mit sich, daß er
unter dem Abfall vom Gesetz seiner eigenen Natur leidet. Das ist der wahre
sittliche Maßstab. Im Gegensatz hierzu entwürdigt ein System von Belohnungen und
Strafen sofort die sittlichen Werte des Guten, verkehrt Tugend in Ichsucht, in
ein kommerzielles Feilschen egoistischen Interesses, und es ersetzt das richtige
Motiv für die Enthaltung vom Bösen durch ein niederes Motiv. Die menschlichen
Wesen haben eine Ordnung von Lohn und Strafe als gesellschaftliche Notwendigkeit
errichtet, um zu verhindern, daß der Gemeinschaft Schädliches zugefügt wird, und
um das zu ermutigen, was für sie hilfreich ist. Eine solche menschliche Maßnahme
aber zu einem allgemeinen Gesetz der kosmischen Natur oder zu einem Gesetz des
Höchsten Wesens oder zum obersten Gesetz des Seins zu erheben, ist von
zweifelhaftem Wert. Es ist menschlich, aber auch kindisch, die unzureichenden
engen Maßstäbe unserer Unwissenheit den umfassenderen und genaueren Wirkweisen
der kosmischen Natur oder dem Wirken der höchsten Weisheit und des erhabenen
Guten aufzuzwingen, das uns durch eine spirituelle Macht zu sich selbst
emporzieht und langsam in uns durch unser inneres Wesen, nicht aber durch ein
Gesetz von Versuchung und Zwang, auf unsere äußere vitale Natur einwirkt. Wenn
die Seele mit Hilfe vielseitiger und komplexer Erfahrung durch die Evolution
hindurchgeht, muß jedes Gesetz des karma, jede Vergeltung für ein Wirken
oder für einen Einsatz von Energie, wenn es sich in diese Erfahrung einfügen
soll, auch komplex sein und nicht von so einfachem und kleinlichem Gewebe oder
in seiner Verfügung so starr und einseitig.
Zugleich kann man
freilich dieser Lehre auch Teilwahrheit zubilligen, die jedoch kein
fundamentales oder allgemeines Prinzip ist. Denn wenn diese Linien des Wirkens
der Energie auch voneinander verschieden und unabhängig sind, können sie doch
zusammenwirken und einander beeinflussen, wenn auch nicht durch ein starr
festgelegtes Gesetz der Entsprechung. Es ist möglich, daß in der Gesamt-Methode
der Vergeltungen der Natur ein Verbindungs-Faden oder eher eine gegenseitige
Einwirkung zwischen dem vital-physischen Gut und Böse und dem sittlichen Gut und
Böse vorkommt, eine begrenzte Entsprechung und ein Treffpunkt zwischen den
auseinanderstrebenden Dualitäten, was zu einem untrennbaren Zusammenhang führt.
Unsere verschiedenartigen Energien, Bestrebungen, Regungen sind in ihrem Wirken
miteinander vermischt und können ein vermischtes Ergebnis zustande bringen:
Unsere vitale Seite verlangt greifbare und äußere Belohnungen für Tugend,
Erkenntnis, jede intellektuelle, ästhetische, moralische oder physische
Anstrengung. Sie glaubt fest an Strafe für Sünde, sogar für Unwissenheit. Das
mag einerseits ein entsprechendes kosmisches Wirken hervorrufen, andererseits
auf ein solches reagieren. Denn die Natur nimmt uns so, wie wir sind, und paßt
in gewissem Maß ihre Bewegungen unserem Bedürfnis und unseren Anforderungen an
sie an. Wenn wir anerkennen, daß unsichtbare Kräfte auf uns einwirken, mag es
auch unsichtbare Kräfte in der Lebens-Natur geben, die zur selben Ebene von
Bewußtseins-Kraft gehören wie dieser Teil unseres Wesens, Kräfte, die sich im
Einklang mit dem gleichen Plan oder dem gleichen Macht-Motiv bewegen wie unsere
niedere vitale Natur. Man kann oft beobachten, daß ein sich durchsetzender
vitaler Egoismus, der auf seinem Weg ohne Zurückhaltung oder Skrupel alles
niedertrampelt, was sich seinem Willen oder Begehren entgegenstellt, in den
Menschen eine Masse von Reaktionen gegen sich hervorruft, Reaktionen von Haß,
Widerstand und Unwillen, die jetzt oder später ihre Folgen haben und noch
furchtbarere feindliche Reaktionen in der universalen Natur hervorrufen. Es ist,
als ob die Geduld der Natur, ihre Bereitwilligkeit, sich verwenden zu lassen,
erschöpft wäre. Gerade die Kräfte, die das Ich des starken vitalen Menschen
ergriffen und seinen Zwecken zu dienen gezwungen hat, rebellieren nun und wenden
sich gegen ihn. Die Menschen, die er niedertrampelte, stehen auf und bekommen
Macht, um ihn niederzuwerfen. Die unverschämte vitale Kraft des Menschen hat
gegen den Thron der Notwendigkeit, des Schicksals, ausgeholt und
wird nun selbst zerschmettert. Oder der lahme Fuß der strafenden
Justitia holt zuletzt den bisher erfolgreichen Gesetzesbrecher ein. Diese
Reaktion auf seine Energien mag in einem anderen Leben und nicht sogleich über
ihn kommen. Sie mag eine Last von Folgewirkungen sein, die er bei seiner
Rückkehr in das Feld dieser Kräfte auf sich nimmt. Das mag im kleinen wie im
großen Maßstab geschehen, bei dem kleinen vitalen Menschen mit seinen kleinen
Irrtümern ebenso wie bei viel größeren Geschehnissen. Denn das Prinzip wird
dasselbe sein. Wenn das Mental in uns den Erfolg durch einen Mißbrauch der Kraft
sucht, die ihm die Natur gewährt, die aber am Ende gegen es reagiert, empfängt
es den Lohn in Gestalt von Niederlage, Leiden und Mißerfolg. Es hat aber keine
Gültigkeit, diese untergeordnete Linie von Ursachen und Resultaten zu dem Status
eines unveränderlichen absoluten Gesetzes oder zur ganzen kosmischen Ordnung für
das Wirken eines Höchsten Wesens zu erheben. Sie gehören dem mittleren Bereich
an zwischen der innersten und höchsten Wahrheit der Dinge und der
Unparteilichkeit der materiellen Natur.
Auf jeden Fall sollen die Reaktionen der Natur in ihrer
Essenz nicht als Belohnung oder als Bestrafung gelten. Das ist nicht ihr
fundamentaler Wert, es ist vielmehr ein den natürlichen Beziehungen
innewohnender Wert. Er ist, insofern er die spirituelle Entwicklung beeinflußt,
ein Wert von Lehren der Erfahrung im kosmischen Training der Seele. Wenn wir
Feuer berühren, brennt es uns; es gibt aber in dieser Beziehung zwischen Ursache
und Wirkung kein Prinzip von Strafe. Es ist eine Lehre über Beziehungen und eine
Lehre der Erfahrung. So gibt es bei allen Anlässen des Umgangs der Natur mit uns
eine Beziehung der Dinge und eine entsprechende Lehre der Erfahrung. Das Wirken
der kosmischen Energie ist komplex. Die gleichen Kräfte mögen auf verschiedene
Art wirken im Einklang mit den Umständen, mit dem Bedürfnis des Menschen und mit
der Absicht der kosmischen Macht in ihrer Aktion. Unser Leben wird nicht nur von
seinen eigenen Energien beeinflußt, sondern auch von den Energien anderer und
von den universalen Kräften. Dieses ungeheure Zusammenspiel kann in seinen
Ergebnissen nicht allein durch den einen Faktor eines alles regierenden
moralischen Gesetzes und dessen ausschließliche Rücksicht auf Verdienste und
Vergehen, auf Sünden und Tugenden der individuellen Wesen entschieden werden.
Auch darf man nicht Glück und Unglück, Lust und Schmerz, Freude, Elend und
Leiden auffassen, als existierten sie nur als
Anreiz und Abschreckung für das natürliche Wesen bei seiner Entscheidung
zwischen Gut und Böse. Die Seele tritt in die Wiedergeburt ein, damit der
individuelle Mensch Erfahrungen macht und wächst. Freude und Kummer, Schmerz und
Leiden, Glück und Unglück sind Teile dieser Erfahrung, Mittel zu diesem Wachsen.
Die Seele mag sogar von sich aus Armut, Unglück und Leiden als Hilfen für ihr
Wachsen, als Antriebskräfte für eine neue Entwicklung, annehmen oder auswählen.
Sie mag Reichtum und ein glänzendes, erfolgreiches Dasein als gefährlich
ablehnen, als eine Verführung zum Nachlassen in ihren spirituellen Bemühungen.
Glücklich zu sein und Erfolg zu haben, der glücklich macht, ist zweifellos ein
legitimer Wunsch der Menschheit. Das ist ein Versuch von Leben und Materie,
einen blassen Widerschein der Seligkeit oder ein vergröbertes Bild von ihr zu
erlangen. Mag aber ein oberflächliches Glück und ein materieller Erfolg für
unsere vitale Natur noch so begehrenswert sein, sie sind doch nicht der
Hauptzweck unseres Daseins. Wäre das die Absicht gewesen, Leben wäre in der
kosmischen Anordnung der Dinge anders geplant worden. Das ganze Geheimnis um die
Umstände bei der Wiedergeburt kreist um das eine grundlegende Bedürfnis der
Seele, um ihr Bedürfnis zu wachsen, ihr Bedürfnis nach Erfahrung. Das allein
bestimmt die Linie ihrer Evolution; alles übrige ist nur Beiwerk. Das kosmische
Dasein ist kein großangelegtes Verwaltungssystem einer universalen Gerechtigkeit
mit einem kosmischen Gesetz der Belohnung und Vergeltung als seinem Mechanismus
oder mit einem göttlichen Gesetzgeber und Richter als seinem Mittelpunkt.
Zunächst erkennen wir es als eine große automatische Bewegung von Energie der
Natur. In ihr tritt eine sich selbst entfaltende Bewegung von Bewußtsein hervor,
die darum eine Bewegung von Geist ist, der sein eigenes Wesen in dem
Kräfte-Ablauf der Natur ausarbeitet. In diesem Ablauf findet der Zyklus der
Wiedergeburt statt. In diesem Zyklus bereitet die Seele, das psychische Wesen,
für sich selbst vor -oder die Göttliche Weisheit oder die Kosmische
Bewußtseins-Kraft bereitet durch sie und durch ihr Wirken vor –, was für den
nächsten Schritt in ihrer Evolution benötigt wird, die nächste Gestaltung von
Personalität, die kommende Verknüpfung notwendiger Erfahrungen, die ständig aus
dem ununterbrochenen Strom vergangener, gegenwärtiger und zukünftiger Energien
für jede neue Geburt geliefert wird. Das wird für jeden neuen Schritt des
Geistes rückwärts oder vorwärts oder noch in einem Kreislauf organisiert, aber
immer als für einen
Schritt des Wachstums im
Wesen zu der ihm bestimmten Selbst-Entfaltung in der Natur.
Das führt uns zu einem anderen Element in der
gewöhnlichen Auffassung von Wiedergeburt, die für uns deshalb nicht annehmbar
ist, weil sie einen offensichtlichen Irrtum des physischen Mentals darstellt,
-die Vorstellung von der Seele selbst, sie sei eine begrenzte Persönlichkeit,
die unverändert von einer Geburt zur anderen überlebt. Diese allzu einfache und
oberflächliche Vorstellung von Seele und Personalität entsteht aus der
Unfähigkeit des physischen Mentals, über seine eigene, in diesem einzelnen
Dasein in Erscheinung getretene Gestalt des Selbsts hinauszuschauen. Nach dessen
Auffassung müßte das, was in der Wiedergeburt zurückkehrt, nicht nur das gleiche
spirituelle Wesen, die gleiche psychische Wesenheit sein, sondern dieselbe
Gestaltung der Natur, die den Körper der vorhergehenden Geburt bewohnt hat. Der
Körper verändere sich, die Umstände seien verschieden, aber die Gestaltung des
Wesens, das Mental, der Charakter, die Veranlagung, das Temperament und die
Tendenzen seien dieselben: John Smith sei in seinem neuen Leben derselbe John
Smith, der er bei der letzten Verkörperung seiner Seele gewesen sei. Wäre das
so, dann hätte die Wiedergeburt überhaupt keinen spirituellen Nutzen und keine
Bedeutung. Denn es wäre bis ans Ende der Zeit eine Wiederholung derselben
unbedeutenden Persönlichkeit, der gleichen mentalen und vitalen Gestaltung. Für
das Wachsen des verkörperten Wesens bis zur vollen Gestalt seiner Wirklichkeit
ist nicht nur eine neue Erfahrung, sondern auch eine neue Persönlichkeit
unentbehrlich. Die gleiche Persönlichkeit zu wiederholen, wäre nur dann
hilfreich, wenn in der Gestalt ihrer Erfahrung etwas unvollständig geblieben
wäre, das nun im gleichen Rahmen des Selbsts, in der gleichen Struktur des
Mentals und mit der gleichen Begabungsform von Energie ausgearbeitet werden
müßte. Normalerweise wäre das aber recht langweilig. Die Seele, die John Smith
gewesen ist, kann nichts gewinnen, noch sich selbst erfüllen dadurch, daß sie
für immer John Smith bleibt. Durch die ewige Wiederholung desselben Charakters,
derselben Interessen, Beschäftigungen und Typen von inneren und äußeren
Bewegungen kann sie nicht wachsen und keine Vervollkommnung erlangen. Unser
Leben und unsere Wiedergeburt wären immer dieselbe unendliche Dezimalzahl. Es
käme zu keiner Entwicklung, sondern gäbe nur die sinnlose Kontinuität ewiger
Wiederholung. Daß wir an unserer gegenwärtigen Persönlichkeit hängen, verlangt eine solche Kontinuität, eine solche Wiederholung.
John Smith will ewig John Smith bleiben. Dieses Verlangen ist aber
offensichtlich ignorant. Würde es erfüllt, gäbe das eine Enttäuschung, keine
Erfüllung. Nur durch Umwandlung unseres äußeren Selbsts, durch einen ständigen
Fortschritt der Natur, durch Wachstum im Geist können wir unser Dasein
rechtfertigen.
Persönlichkeit ist nur eine zeitweilige mentale, vitale
und physische Gestalt, die vom Wesen, der wirklichen Person, der psychischen
Entität herausgestellt wird. Sie ist nicht das Selbst in seiner bleibenden
Wirklichkeit. Bei jeder Rückkehr zur Erde bildet die Person, purusha,
eine neue Gestalt. Sie stellt ein neues personales Quantum heraus, das für neue
Erfahrung, für neues Wachstum seines Wesens geeignet ist. Wenn dieses seinen
Körper verläßt, behält es eine Zeitlang noch dieselbe vitale und mentale Form,
aber diese Formen oder Hüllen lösen sich auf. Was übrig behalten wird, sind nur
die wesenhaften Elemente des vergangenen Quantums, von denen einige, aber nicht
viele, in der nächsten Inkarnation verwendet werden. Die wesenhafte Form der
vergangenen Persönlichkeit mag als ein Element unter vielen, als eine unter
vielen Personalitäten derselben Person, übrig bleiben. Sie steht jedoch im
Hintergrund, im Subliminal, hinter dem Vorhang des vordergründigen Mentals,
Lebens und Körpers und leistet selbsttätig von dorther jeden notwendigen Beitrag
zu der neuen Gestaltung. Diese wird aber weder selber die ganze Form sein, noch
den alten Arttypus neu und unverändert aufbauen. Es kann sogar sein, daß das
neue Quantum oder die neue Struktur des Wesens einen entgegengesetzten
Charakter, ein ganz anderes Temperament, ganz andere Eigenschaften und Tendenzen
herausstellt. Denn es können verborgen gebliebene Entwicklungsmöglichkeiten nun
bereit sein, hervorzutreten. Oder etwas, das bereits, wenn auch rudimentär,
wirksam war, kann im letzten Leben zurückbehalten worden sein, das ausgearbeitet
werden mußte, aber für eine spätere und geeignetere Kombination der
Möglichkeiten der Natur aufbewahrt worden war. Zwar ist tatsächlich die ganze
Vergangenheit mit ihrem beschleunigten Drängen und ihren
Entwicklungsmöglichkeiten für die Gestaltung der Zukunft vorhanden. Aber nicht
alles davon ist sichtbar gegenwärtig und aktiv. Je größer die
Verschiedenartigkeit der Gestaltungen ist, die in der Vergangenheit existiert
haben und verwendet werden können, je reicher und vielfältiger die angehäuften
Strukturen der Erfahrung sind, desto besser kann in der neuen Geburt ihr wesentliches Ergebnis an Begabung mit Wissen, Macht,
Handeln, Charakter und vielseitiger Reaktion auf das Universum hervorgebracht
und harmonisiert werden. Je zahlreicher die verhüllten mentalen, vitalen und
auch physischen Persönlichkeiten sind, die kombiniert werden, um die neue
Personalität in ihrer äußeren Form zu bereichern, desto größer und vielseitiger
wird diese Personalität sein. Um so näher wird sie auch an den möglichen
Übergang von der vollendeten mentalen Stufe der Evolution zu dem kommen, was
jenseits von ihr ist. Solch innere Fülle und solches Zusammenfassen von vielen
Personalitäten in einer einzigen Person kann ein Zeichen für eine weit
fortgeschrittene Stufe der Entwicklung des einzelnen Menschen sein, wenn ein
starkes zentrales Wesen vorhanden ist, das alles zusammenhält und auf
Harmonisierung und Einbeziehung der ganzen vielseitigen Bewegung der Natur
hinwirkt. Aber wenn auch das Vergangene in so reichem Maße übernommen wird,
würde das keine Wiederholung der Persönlichkeit bedeuten. Es wäre eine neue
Gestaltung und umfassende Höherentwicklung. Die Wiedergeburt ist kein
Mechanismus zur ständigen Erneuerung oder Verlängerung der Dauer
unveränderlicher Persönlichkeit. Vielmehr ist sie ein Mittel zur Entwicklung des
spirituellen Wesens in der Natur.
Zugleich wird aber auch klar, daß in diesem
Wiedergeburts-Plan die falsche Bedeutung, die unser Mental der Erinnerung an
vergangene Lebensabläufe beilegt, entfällt. Würde Wiedergeburt tatsächlich unter
der Herrschaft eines Systems von Belohnungen und Strafen stehen und wäre es die
ganze Absicht des Lebens, den verkörperten Geist zu belehren, gut und moralisch
zu sein – vorausgesetzt, das wäre die Absicht im Grundprinzip des karma
und nicht das, was es in jener Darstellung zu sein scheint, nämlich ein
mechanisches Gesetz von Vergütung und Vergeltung ohne jeden erzieherischen Sinn
oder Zweck –, dann wäre es offensichtlich große Torheit und Ungerechtigkeit, dem
Mental bei seiner neuen Inkarnation jegliche Erinnerung an seine vergangenen
Geburten und Handlungen zu versagen. Denn das raubt dem wiedergeborenen Menschen
jede Chance, einzusehen, warum er belohnt oder bestraft wird, oder einen Vorteil
aus der Lehre von der Nützlichkeit der Tugend und der Schädlichkeit der Sünde zu
ziehen, für die ihm eine Belohnung zugesichert oder ein Leiden zugefügt wird.
Gerade weil das Leben oft das Gegenteil zu lehren scheint – er sieht, daß der
Gute für sein Gutsein leidet, während der Bösewicht trotz seiner Bosheit Glück hat neigt er desto eher zum umgekehrten Schluß. Denn er
hat nicht die Erinnerung an ein gesichertes und beständiges Ergebnis der
Erfahrung, die ihm zeigen würde, daß das Leiden des guten Menschen durch seine
frühere Bosheit und das Glück des Sünders durch den Glanz seiner vergangenen
Tugenden verursacht war, so daß auf die Dauer Tugend die beste Lebensregel für
jede vernünftige und kluge Seele wäre, die in diese Ordnung der Natur eintritt.
Man könnte sagen, das psychische Wesen im Innern hat die Erinnerungen. Ein solch
verborgenes Gedächtnis würde aber offensichtlich nur eine geringe Wirkung auf
das Dasein, geringen Wert nach außen haben. Man könnte auch sagen, das
psychische Wesen komme zur Einsicht in das, was geschehen war, und lerne daraus
seine Lehre, wenn es seine Erfahrungen überschaut und assimiliert, nachdem es
den Körper verlassen hat. Aber diese Erinnerung im Zwischenzustand hilft doch
nicht offensichtlich in der nächsten Geburt. Denn die meisten von uns verharren
in Sünde und Irrtum. Wir liefern keine nennenswerten Zeichen dafür, daß wir aus
den Lehren unserer Erfahrung Nutzen gezogen haben.
Ist aber ständige Entwicklung des Wesens durch eine
sich entwickelnde kosmische Erfahrung die Bedeutung der Wiedergeburt und
verwendet sie dazu die Methode, bei einer neuen Geburt eine neue Persönlichkeit
aufzubauen, dann ist jede fortdauernde oder vollständige Erinnerung an das
vergangene Leben oder an mehrere Lebensabläufe nur eine Kette und ein ernstes
Hindernis: Sie würde zu einer Kraft, die das alte Temperament, den Charakter,
die vordringlichen Interessen zeitlich verlängert, und zu einer schrecklichen
Bürde, die die freie Entfaltung einer neuen Persönlichkeit und ihre Fähigkeit,
neue Erfahrung zu sammeln, behindert. Hätten wir eine klare Erinnerung an die
Einzelheiten unseres vergangenen Lebens, dann wären die vielen Erlebnisse von
Haß und Groll, von Zuneigungen und Verbindungen auch eine schreckliche
Erschwerung. Denn das würde den wiedergeborenen Menschen an eine nutzlose
Wiederholung oder an eine erzwungene Fortsetzung seiner früheren äußeren Art
binden. Das würde seiner Entfaltung neuer Möglichkeiten aus den Tiefen des
Geistes erheblich im Wege stehen. Wäre tatsächlich ein mentales Erlernen der
Dinge der Kern der Sache, und wäre das der Prozeß unserer Entwicklung, der
Erinnerung würde große Bedeutung zukommen. In Wirklichkeit wachsen aber
Seelen-Personalität und Natur durch Angleichung an die Natur unseres Wesens und dadurch, daß wir schöpferisch wirksam die
wesentlichen Ergebnisse vergangener Energien in uns aufnehmen. Bei diesem Prozeß
hat die bewußte Erinnerung keine besondere Bedeutung. So wie der Baum durch
unterbewußte oder unbewußte Assimilation des Wirkens von Sonne, Regen, Wind und
dadurch wächst, daß er die Erd-Elemente absorbiert, wächst auch das Wesen des
Menschen, indem der Mensch subliminal oder innerlich-bewußt die Ergebnisse
seines vergangenen Werdens angleicht und aufnimmt und die
Entwicklungsmöglichkeiten eines zukünftigen Lebens aus sich hervorbringt. Das
Gesetz, das uns der Erinnerung an vergangene Lebensläufe beraubt, ist ein Gesetz
der kosmischen Weisheit und dient ihrer evolutionären Absicht, es vereitelt sie
nicht.
Man hat fälschlich und sehr unwissend das Fehlen
jeglicher Erinnerung an vergangene Lebensabläufe für einen Beweis gegen die
Tatsache der Wiedergeburt gehalten. Wenn es aber selbst in diesem Leben
schwierig ist, alle Erinnerungen an unsere Vergangenheit zu bewahren, wenn diese
in den Hintergrund treten oder völlig verschwinden, wenn wir keine Erinnerung an
unsere Kindheit zurückbehalten und trotz dieser Lücke in unserem Gedächtnis
wachsen und dasein können, wenn das Mental dazu fähig ist, die Erinnerung an
vergangene Ereignisse und an die eigene Identität völlig zu verlieren, und es
dennoch der gleiche Mensch ist, der hier lebt, und wenn das verlorene Gedächtnis
eines Tages wieder erlangt werden kann, – so ist evident, daß eine so radikale
Umwandlung wie der Übergang in andere Welten, auf den dann eine neue Geburt in
einem neuen Körper erfolgt, normalerweise die oberflächliche oder mentale
Erinnerung völlig auslöschen muß. Dennoch würde das nicht die Identität der
Seele oder das Wachsen der Natur zunichte machen. Dieses Auslöschen der
oberflächlichen mentalen Erinnerung ist um so mehr gewiß und ganz unvermeidlich,
wenn eine neue Persönlichkeit desselben Wesens und eine neue Instrumentation
entstehen soll, die den Platz der alten einnimmt, ein neues Mental, ein neues
Leben, ein neuer Körper: Von dem neuen Gehirn kann man nicht erwarten, daß es in
sich die Bilder weiterträgt, die in dem alten enthalten waren. Vom neuen Leben
oder Mental kann man nicht verlangen, sie sollen die ausgelöschten Eindrücke des
alten Mentals und Lebens aufbewahren, die aufgelöst wurden und nicht mehr
existieren. Zweifellos besteht das subliminale Wesen weiter, das sich erinnern
kann, da es nicht unter den Unzulänglichkeiten der vordergründigen Person leidet. Das äußere Mental ist aber vom subliminalen Gedächtnis
abgeschnitten, das allein eine gewisse klare Erinnerung oder einen deutlichen
Eindruck vergangener Leben bewahren könnte. Diese Absonderung ist notwendig, da
die neue Persönlichkeit nach außen ohne bewußte Bezugnahme auf das aufgebaut
werden muß, was im Innern ist. Wie alles übrige am äußeren Menschen, so wird
gewiß auch die vordergründige Persönlichkeit durch ein Wirken von innen geformt.
Dieses Wirken wird ihr aber nicht bewußt. Sie meint, sie selbst habe diese
gebildet, oder sie sei ein Fertig-Fabrikat oder durch eine schwer verständliche
Aktion der universalen Natur erschaffen. Und doch bleiben manchmal
bruchstückartige Erinnerungen an vergangene Geburten trotz dieser fast
unüberwindlichen Hindernisse übrig. Es gibt sogar in einigen sehr seltenen
Fällen im Kind-Mental eine erstaunlich genaue und vollständige Erinnerung.
Schließlich tritt auf einer bestimmten Stufe der Entwicklung des Menschen,
sobald sein inneres Wesen das Übergewicht über das äußere gewinnt und in den
Vordergrund tritt, eine Erinnerung an vergangenes Leben manchmal wie aus einer
versunkenen Schicht hervor. Das geschieht aber eher in der Gestalt einer
Wahrnehmung der Substanz und Macht vergangener Personalitäten, die stark in der
Zusammensetzung des gegenwärtigen Menschen wirksam sind, nicht in einer präzisen
oder genauen Einzelheit von Ereignis und Umständen. Doch kann auch diese
teilweise zurückkehren oder durch Konzentration aus der subliminalen Schau, aus
einem verborgenen Gedächtnis oder unserer inneren Bewußtheits-Substanz
hervorgeholt werden. Die Erinnerung an Einzelheiten ist aber für die Natur in
ihrem normalen Wirken von geringerer Bedeutung; sie trifft dafür auch nur eine
geringe oder gar keine Vorsorge. Ihr Hauptinteresse ist auf die Gestaltung der
künftigen Entwicklung des menschlichen Wesens gerichtet. Die Vergangenheit wird
zurückgestellt, hinter dem Vorhang behalten und nur als der geheime Ursprung von
Materialien für die Gegenwart und für die Zukunft verwendet.
Wenn wir diese Auffassung von Person und Persönlichkeit
anerkennen, müssen wir auch unsere geltenden Vorstellungen über die
Unsterblichkeit der Seele ändern. Denn normalerweise meinen wir, wenn wir ein
Sein der Seele, das nicht sterben kann, behaupten, es überlebe den Tod eine
endgültige unveränderliche Persönlichkeit, die war und immer, in alle Ewigkeit,
dieselbe bleiben wird. Für dieses sehr unvollkommene vordergründige “Ich” des
Augenblicks, das von der Natur offensichtlich nur
als eine zeitweilige Gestalt geschaffen und nicht der dauernden Erhaltung für
wert erachtet wird, verlangen wir jenes ungeheure Recht auf Überleben und
Unsterblichkeit. Das aber ist eine maßlose unerfüllbare Forderung. Das “Ich” des
Augenblicks kann nur dann sein Überleben verdienen, wenn es seiner Umwandlung
zustimmt; wenn es nicht länger es selbst sein will, sondern etwas anderes,
Größeres, Besseres, im Wissen Erleuchteteres, stärker geprägt zum Ebenbild der
ewigen inneren Schönheit und immer weiter fortschreitend zur Göttlichkeit des
verborgenen Geistes. Dieser verborgene Geist, die Göttlichkeit des Selbsts in
uns, ist unzerstörbar, da ungeboren und ewig. Die psychische Wesenheit in
unserem Innern, Stellvertreter des Selbsts, das spirituelle Individuum in uns,
ist die Person, die wir wirklich sind. Das “Ich” dieses Augenblicks aber, das
“Ich” des Lebens, ist nur eine Gestalt, eine zeitweilige Personalität dieser
inneren Person: Sie ist Stufe unter den zahlreichen Stufen unserer evolutionären
Umwandlung. Sie dient ihrem wahren Zweck nur, wenn wir über sie hinaus zu einer
weiteren Stufe emporsteigen, die uns zu einem höheren Grad von Bewußtsein und
Wesen führt. Diese innere Person überlebt den Tod, wie sie auch schon vor der
Geburt existiert. Denn dieses ständige Überleben überträgt die Ewigkeit unseres
zeitlosen Geistes in die Begriffe der Zeit.
Unser normales Verlangen nach Überleben fordert ein
ähnliches Überleben für unser Mental, für unser Leben, sogar für unseren Körper.
Das Dogma von der Auferstehung des Leibes ist ein Beweis für letzteres
Verlangen, – ebenso wie es auch die Wurzel eines uralten Bemühens des Menschen
war, das Elixier der Unsterblichkeit oder irgendwelche magischen,
alchimistischen oder wissenschaftlichen Mittel zu entdecken, um physisch den Tod
des Körpers zu überwinden. Dieses Streben könnte aber nur dann Erfolg haben,
wenn es dem Mental, dem Leben oder dem Körper gelingen würde, etwas von der
Unsterblichkeit und Göttlichkeit des innewohnenden Geistes anzuziehen. Es gibt
gewisse Umstände, unter denen die äußere mentale Persönlichkeit, die den inneren
mentalen purusha repräsentiert, überleben könnte. Zum Beispiel wenn unser
mentales Wesen an seiner Außenseite so machtvoll individualisiert, so sehr mit
dem inneren Mental und dem inneren mentalen purusha geeint wäre und sich
zugleich so sehr für das progressive Wirken des Unendlichen öffnen würde, daß
die Seele die alte Form des Mentals nicht mehr auflösen und für ihren
Fortschritt eine neue erschaffen müßte. Eine
ähnliche Individualisierung, Einbeziehung und Offenheit des vitalen Wesens an
seiner Außenseite allein würde ein ähnliches Überleben des Lebens-Teils in uns,
der äußeren vitalen Persönlichkeit ermöglichen, die das innere Lebens-Wesen, den
vitalen purusha, repräsentiert. Was wirklich dadurch geschehen würde? Die
Mauer zwischen dem inneren Selbst und dem äußeren Menschen würde niedergerissen.
Dann könnte von innen her das ständige mentale und vitale Wesen, die mentalen
und vitalen Repräsentanten der unsterblichen psychischen Wesenheit, das Leben
beherrschen. Unsere Mental-Natur und unsere Lebens-Natur könnten ständig und
fortschreitend unsere Seele zum Ausdruck bringen. Sie wären dann nicht mehr nur
Verbindungsglied für die aufeinanderfolgenden Gestalten der Seele, die nur in
ihrem Wesen erhalten bliebe. Dann könnten unsere Mental- und
Vital-Personalitäten ohne Auflösung von Geburt zu Geburt bestehen bleiben. In
diesem Sinne wären sie unsterblich, ständig überlebend, kontinuierlich im Gefühl
ihrer Identität. Das wäre offensichtlich ein ungeheurer Sieg von Seele, Mental
und Leben über die Unbewußtheit und die Begrenzungen der materiellen Natur.
Ein solches Überleben könnte aber nur im subtilen
Körper fortdauern. Das menschliche Wesen müßte noch weiter seine physische
Gestalt ablegen, hinübergehen in andere Welten und bei seiner Rückkehr einen
neuen Körper anlegen. Der erwachte mentale purusha und der vitale
purusha, die die mentale Hülle und die Lebens-Hülle des subtilen Körpers,
die gewöhnlich abgelegt werden, bewahren, würden mit ihnen in eine neue Geburt
zurückkehren. Sie würden das lebhafte und andauernde Empfinden eines beständigen
Wesens von Mental und Leben bewahren, das in der Vergangenheit aufgebaut wurde
und in Gegenwart und Zukunft fortdauert. Aber die Grundlage des physischen
Daseins, der materielle Körper, könnte auch bei dieser Wandlung nicht bewahrt
bleiben. Das physische Wesen kann nur fortbestehen, wenn durch irgendwelche
Mittel die physischen Ursachen von Verwesung und Verfall überwunden werden
könnten23 und es
zugleich in seiner Struktur und seinen
Funktionsweisen so formbar und fortschrittlich gemacht werden könnte, daß es auf
jede Umwandlung reagiert, die von ihm verlangt wird, damit die innere Person
sich weiterentwickeln kann. Der Körper muß Schritt halten können mit der Seele,
wenn sie eine das Selbst ausdrückende Persönlichkeit gestaltet, sowohl bei ihrem
langen Bemühen, eine verborgene spirituelle Divinität zu entfalten, wie auch bei
der langsamen Umwandlung des Mentals in das göttliche Mental oder das
spirituelle Sein. Diese höchste Vollendung einer dreifachen Unsterblichkeit – der Natur, die die wesenhafte Unsterblichkeit des Geistes und das psychische
Überleben des Todes zur Vollendung bringt – würde die Krönung der Wiedergeburt
sein. Sie wäre ein Zeichen von höchster Bedeutung dafür, daß die materielle
Unbewußtheit und die Unwissenheit gerade in ihrem wirklichen Fundament, in der
Herrschaft der Materie überwunden sind. Die wahre Unsterblichkeit wäre aber
immer noch die Ewigkeit des Geistes. Das physische Überleben könnte nur relativ
sein, willkürlich begrenzbar, ein vorübergehendes Zeichen hier auf Erden für den
Sieg des Geistes über Tod und Materie.
Kapitel XXIII. Mensch und Evolution
Die eine Gottheit, in
allen Wesen verborgen, alldurchdringend, das innere Selbst aller, über allem
Wirken waltend, der Zeuge, der bewußte Wissende und Absolute... der Eine, die
Vielen überwachend, die der Natur gegenüber passiv sind, gestaltet den einen
Samen in vielerlei Weisen.
Svetasvatara Upanishad, VI. 11,12.
Die Gottheit bewegt sich in diesem Feld und gestaltet jedes Gewebe der Dinge gesondert auf viele Weisen... Der Eine, er waltet über allen Schößen und Arten, er selbst ist der Schoß aller. Er ist das, was die Art des Wesens zur Reife bringt. Er gibt allen, die reifen sollen, die Frucht ihrer Entwicklung und verleiht ihrem Wirken alle Eigenschaften.
Svetasvatara Upanishad, V. 3-5.
Er gestaltet die eine Form der Dinge aus auf vielerlei Weise.
Katha Upanishad, V. 12.
Wer hat diese verborgene Wahrheit erkannt: Das Kind gibt den Müttern ihr Wesen durch die Wirkweisen seiner Natur? Ein Sprößling aus dem Schoß von vielen Wassern, tritt es aus diesen hervor, ein Seher, Besitzer des ganzen Gesetzes seiner Natur. Geoffenbart, wächst es im Schoß ihrer Verworfenheiten und wird groß, schön und herrlich.
Rig Veda, I. 95.4, 5.
Aus dem Nicht-Seienden zum wahren Seienden, aus der Finsternis zum Licht, aus dem Tod zur Unsterblichkeit.
Brihadaranyaka Upanishad, I.3.28.
Eine spirituelle Entwicklung, eine Entwicklung von
Bewußtsein in der Materie in ständiger, sich entfaltender Selbst-Gestaltung, bis
die Form den innewohnenden Geist offenbaren kann, ist also der Grundton, das
zentrale bedeutungsvolle Motiv irdischen Daseins. Diese Bedeutung wird am Anfang
durch die Involution des Geistes, der Göttlichen Wirklichkeit, in eine dichte
materielle Unbewußtheit verborgen. Eine Hülle von Unbewußtheit, von
Empfindungslosigkeit der Materie verbirgt die universale
Bewußtseins-Kraft, die im Innern wirkt, so daß die Energie, die erste Form, die
die Kraft der Schöpfung im physischen Universum annimmt, selbst unbewußt zu sein
scheint und dennoch die Werke einer umfassenden verborgenen Intelligenz tut. Die
dunkle geheimnisvolle Schöpferin entbindet schließlich das verborgene Bewußtsein
aus seinem dichten, finsteren Gefängnis. Sie bringt es aber nur langsam hervor,
nur wenig auf einmal, in unendlich kleinen Tropfen, in dünnen Strahlen, in
kleinen vibrierenden Gebilden von Energie und Stoff, von Leben, von Mental, als
sei das alles, was sie durch den enormen Widerstand und das dumpfe
widerspenstige Medium eines unbewußten Stoffes des Daseins hindurchzwingen
könnte. Sie nimmt ihre Wohnung zuerst in scheinbar völlig unbewußten
Gestaltungen von Materie. Dann ringt sie sich durch zu einer Mentalität
innerhalb der Dunkelheit von lebender Materie. Sie erlangt diese schließlich
unvollkommen im bewußten Tier. Dieses Bewußtsein ist zuerst rudimentär, zumeist
ein Halb-Bewußtsein oder nur ein bewußter Instinkt. Es entwickelt sich langsam
weiter, bis es in besser durchorganisierten Formen von lebender Materie seine
nächste Stufe von Intelligenz erreicht und im Menschen, dem denkenden Tierwesen,
über sich hinauskommt und sich in den vernunftbegabten mentalen Menschen
entfaltet. Dieser trägt aber, selbst auf seiner höchsten Stufe, noch die Prägung
ursprünglicher Tierheit an sich, den Ballast des Unterbewußten des Körpers, die
zur ursprünglichen Trägheit und Nichtbewußtheit niederziehende Schwerkraft, die
Herrschaft einer unbewußten materiellen Natur über seine bewußte Entwicklung,
deren Macht zur Begrenzung, ihr Gesetz einer schwierigen Entwicklung und ihre
ungeheure Kraft, jeden Fortschritt zu verzögern und zu vereiteln. Diese
Herrschaft der ursprünglichen Unbewußtheit über das aus ihr hervortretende
Bewußtsein nimmt die allgemeine Form einer Mentalität an, die um Wissen ringt,
aber selbst Unwissenheit ist in dem, was ihre fundamentale Art zu sein scheint.
Trotz dieser Gehemmtheit und Belastung muß der mentale Mensch aus sich heraus
das voll bewußte Wesen entwickeln, ein göttliches Menschsein oder ein
spirituelles oder supramentales Übermenschentum, das das nächste Erzeugnis der
Evolution sein soll. Dieser Übergang wird das Voranschreiten aus der Evolution
in der Unwissenheit zur größeren Entwicklung im Wissen kennzeichnen. Er gründet
und schreitet fort im Licht des Überbewußten und nicht mehr in der Finsternis
der Unwissenheit und Unbewußtheit.
Dieser irdische
Entwicklungsprozeß der Natur von der Materie zum Mental und über dieses hinaus
nimmt einen doppelten Verlauf: Es gibt einen äußerlich sichtbaren Prozeß der
physischen Evolution mit der Geburt als Mechanismus, – denn durch die Vererbung
wird jede entwickelte Körperform, die ihre eigene entfaltete Bewußtseins-Macht
in sich birgt, ständig im Dasein erhalten. Zugleich gibt es aber auch einen
unsichtbaren Prozeß von Seelen-Entwicklung mit dem Mechanismus der Wiedergeburt
in aufsteigenden Stufen von Gestalt und Bewußtsein. Der erste Vorgang würde an
sich nur eine kosmische Evolution bedeuten. Denn der Einzelne wäre nur ein rasch
zugrunde gehendes Werkzeug; die Rasse als dauerhafte kollektive Formulierung
wäre der wirkliche Schritt in der fortschreitenden Manifestation des kosmischen
Einwohners, des universalen Geistes: Wiedergeburt ist eine unentbehrliche
Voraussetzung für jegliche Dauer und Entwicklung des individuellen Wesens im
Erden-Dasein. Jede Stufe der kosmischen Manifestation, jeder Gestalt-Typus, der
den innewohnenden Geist beherbergen kann, wird durch die Wiedergeburt für die
individuelle Seele, das psychische Wesen, zu einem Mittel, immer mehr von dem in
ihm verborgenen Bewußtsein zu offenbaren. Jedes einzelne Leben wird zu einer
Stufe für den Sieg über die Materie durch ein mächtigeres fortschreitendes
Sich-Entfalten von Bewußtsein in ihm, wodurch schließlich die Materie selbst zu
einem Mittel für die völlige Offenbarung des Geistes wird.
Diese Darstellung von Verlauf und Bedeutung der
irdischen Schöpfung ist aber allseits einem Widerspruch im Mental des Menschen
selbst ausgesetzt. Denn die Evolution hat erst die Hälfte ihres Weges
zurückgelegt. Sie verläuft noch in der Unwissenheit und sucht im Mental eines
erst halb-entwickelten Menschseins nach ihrem eigenen Zweck und Sinn. Man kann
die Theorie der Evolution mit der Begründung infrage stellen, sie sei ungenügend
unterbaut und als Erklärung des Verlaufs des irdischen Daseins überflüssig.
Selbst wenn man die Evolution zugebe, könne man bezweifeln, ob der Mensch die
Fähigkeit habe, sich in ein höheres evolutionäres Wesen zu entwickeln. Ebenso
sei zweifelhaft, ob die Entwicklung noch über das hinausgehe, was sie bisher
erreicht hat, ob eine supramentale Entwicklung, das Erscheinen höchsten
Wahrheits-Bewußtseins, eines Wesens von Wissen in der zugrunde liegenden
Unwissenheit der irdischen Natur, überhaupt wahrscheinlich ist. Man könne das
Wirken des Geistes in der Offenbarung hier auf Erden auch durch eine andere,
weder teleologische noch evolutionäre, Theorie
erklären. Bevor wir weitergehen, mag es darum zweckmäßig sein, in Kürze jene
Denklinie genau darzustellen, die eine solche Konstruktion möglich macht.
Man gibt zu, die Schöpfung sei eine Manifestation des Zeitlos-Ewigen in der Zeit-Ewigkeit; es gebe die sieben Stufen des Bewußtseins; die materielle Unbewußtheit sei dem Wiederaufstieg des Geistes zugrunde gelegt; die Wiedergeburt sei eine Tatsache, ein Teil der irdischen Ordnung. Dennoch sei die spirituelle Evolution des individuellen Wesens nicht unausweichlich Folge aus einem oder allen diesen Zugeständnissen. Eine andere Betrachtung der spirituellen Bedeutung und des inneren Prozesses des irdischen Daseins sei möglich. Wenn jedes Geschöpf eine Gestalt des manifestierten Göttlichen Geistes sei, sei jedes durch die spirituelle Gegenwart in seinem Innern an sich göttlich, gleich, welches seine Erscheinung, seine Gestalt oder sein Charakter in der Natur ist. An jeder Form der Manifestation finde das Göttliche Wesen seine Seins-Seligkeit; es bestehe in ihr keine Notwendigkeit zur Wandlung oder zur Weiterentwicklung. Für alles, was die Natur des Göttlichen Wesens an geordneter Entfaltung oder Hierarchie verwirklichter Möglichkeiten brauche, sei ausreichend durch die unermeßliche Mannigfaltigkeit, die wimmelnde Menge der Formen, Bewußtseins-Typen und Naturen gesorgt, die wir überall um uns sehen. Es gebe keine zielstrebende Absicht in der Schöpfung und könne sie auch nicht geben, da in dem Unendlichen alles vorhanden ist: Für das Göttliche Wesen existiere nichts, was es gewinnen müsse, nichts, das es nicht habe. Gibt es eine Schöpfung und Offenbarung, so allein um der Wonne an der Schöpfung, an der Manifestation willen, sonst zu keinem anderen Zweck. Es gebe also keinen Grund für eine evolutionäre Bewegung, um einen höchsten Gipfel zu erreichen, ein Ziel auszuarbeiten und zu bewirken, oder einen Drang nach einer letzten Vollkommenheit.
Tatsächlich sehen wir wohl, daß die Prinzipien der
Schöpfung dieselben bleiben und sich nicht verändern. Jede Art des Seienden
bleibt sie selbst, versucht nicht – und muß das nicht –, etwas anderes zu
werden, als sie selbst ist. Zugegeben, einige Arten des Daseins verschwinden,
andere entstehen neu. Das geschehe aber, weil die Bewußtseins-Kraft im Universum
denen, die zugrunde gehen, ihre Lebensfreude entzieht und sich zu ihrem
Vergnügen der Erschaffung anderer zuwendet. Jeder Typus des Lebens besitze aber,
solange er besteht, seine eigene Struktur und bleibe trotz geringer Abwandlungen
diesem Muster treu. Er sei an sein eigenes
Bewußtsein gebunden, könne ihm nicht in ein anderes Bewußtsein entkommen. Er sei
durch seine eigene Natur begrenzt, könne diese Schranken nicht überschreiten und
in eine andersartige Natur übergehen. Wenn die Bewußtseins-Kraft des Unendlichen
das Leben offenbarte, nachdem sie die Materie manifestiert hatte, und das Mental
nach dem Leben, so folge daraus nicht, daß sie als nächsten Schritt irdischer
Schöpfung weitergehe, um das Supramental zu manifestieren. Denn Mental und
Supramental gehörten zu ganz verschiedenen Hemisphären, Mental zum niederen
Zustand der Unwissenheit, Supramental zum höheren Zustand des göttlichen
Wissens. Diese Welt sei eine Welt der Unwissenheit und nur als solche
beabsichtigt. Es müsse keine Absicht bestehen, die Mächte der höheren Hemisphäre
in die niedere Daseins-Hälfte herabzubringen oder ihre verborgene Gegenwart hier
zu offenbaren. Denn wenn diese überhaupt hier vorhanden seien, dann nur in
verborgener Immanenz ohne Kommunikation, nur zu dem Zweck, die Schöpfung
aufrecht zu erhalten, nicht aber sie zu vervollkommnen. Der Mensch sei der
Gipfel der unwissenden Schöpfung. Er habe das Äußerste an Bewußtsein und Wissen
erreicht, dessen er fähig sei. Wenn er darüber hinauszugehen versuche, werde er
sich nur in umfassenderen Kreisen seiner eigenen Mentalität bewegen. Denn das
sei die Kurve seines Daseins hier, eine endliche Kreisbewegung, die das Mental
in ihren Umdrehungen fortträgt, um es wieder zu seinem Ausgangspunkt
zurückzubringen. Das Mental könne nicht aus seinem eigenen Zyklus ausbrechen, – jede Vorstellung von einer geraden Bewegungslinie oder einem Fortschritt, der
vertikal oder horizontal ins Unendliche strebt, sei eine Selbst-Täuschung. Wolle
die Seele über das Menschsein hinausgehen, um einen supramentalen oder einen
noch höheren Zustand zu erlangen, müsse sie aus diesem kosmischen Dasein
entweder in eine Welt oder Sphäre der Seligkeit und des Wissens oder in das
ungeoffenbarte Ewige und Unendliche ausscheiden.
Es ist wahr, daß die Wissenschaft jetzt ein
evolutionäres irdisches Dasein behauptet. Wenn auch die Tatsachen, mit denen sie
umgeht, verläßlich sind, so sind doch die Verallgemeinerungen, die sie wagt,
kurzlebig. Einige Jahrzehnte oder Jahrhunderte hält sie an diesen fest. Dann
geht sie zu einer anderen Verallgemeinerung, zu einer anderen Theorie von den
Dingen über. Das geschieht sogar in der Physik, wo die Tatsachen zuverlässig
gesichert und durch das Experiment nachprüfbar sind: In
der Psychologie – die hier besonders wichtig ist, denn es handelt sich um
Evolution des Bewußtseins – ist die Instabilität noch größer. Man geht von der
einen Theorie zur anderen über, bevor die erste schon gut begründet ist. Es
behaupten sich sogar mehrere einander widersprechende Theorien gleichzeitig. Auf
diesem Flugsand kann kein gesichertes metaphysisches Gebäude errichtet werden.
Die Vererbung, auf der die Naturwissenschaft ihre Auffassung von der Evolution
des Lebens errichtet, ist gewiß eine Macht, ein Mechanismus, um die Art oder die
Gattung in unveränderlichem Wesen zu erhalten: Der Hinweis, Vererbung sei auch
ein Instrument beständig fortschreitender Variation, ist fragwürdig. Ihre
Tendenz ist eher konservativ als evolutionär. Es scheint, sie könne nur unter
Schwierigkeiten einen neuen Charakter annehmen, den die Lebens-Kraft ihr
aufzuzwingen versucht. Alle Tatsachen zeigen, daß ein Typus innerhalb seiner
spezifischen Natur-Gestalt variieren kann. Es ist noch nicht wirklich bewiesen,
daß sich die Affenart in den Menschen entwickelte. Hier sehe es so aus, als ob
ein dem Affen ähnlicher Typus, der aber immer für sich selbst, nicht für die
Affenart charakteristisch war, sich innerhalb der Tendenzen seiner eigenen Natur
entwickelt habe und zu dem geworden sei, was wir als Mensch kennen, zum
gegenwärtigen menschlichen Wesen. Es ist nicht einmal bewiesen, daß niedere
Menschenrassen aus sich die höheren Rassen entwickelt haben. Solche von niederer
Organisation und Fähigkeit gingen zugrunde. Man hat aber noch keine Anzeichen
dafür, daß sie die heutigen menschlichen Rassen als ihre Nachkommen
hinterließen. Dennoch wäre eine solche Entwicklung innerhalb des Typus
vorstellbar. Der Fortschritt der Natur von der Materie zum Leben und vom Leben
zum Mental mag zugegeben werden. Es gibt aber noch keinen Beweis dafür, daß sich
Materie in Leben oder Lebens-Energie in Mental-Energie entwickelte. Allein das
könne man zugeben, daß sich Leben in der Materie und Mental in lebender Materie
manifestiert hat. Denn es gibt keinen ausreichenden Beweis dafür, daß sich eine
Pflanzengattung in ein Tierdasein oder eine Organisation unbelebter Materie in
einen lebenden Organismus entwickelt habe. Selbst wenn man später einmal
entdecken sollte, daß unter gewissen chemischen oder anderen Voraussetzungen
Leben auftritt, wird durch dieses Zusammentreffen nur bewiesen, daß sich unter
gewissen physischen Umständen Leben offenbart. Dagegen ist nicht bewiesen, daß
gewisse chemische Bedingungen die das Leben aufbauenden
Faktoren, seine Elemente, oder die evolutionäre Ursache für eine
Transformation von unbelebter in belebte Materie sind. Hier existiere, wie
überall, jede Stufe des Seienden in sich selbst und durch sich selbst. Sie werde
im Einklang mit ihrem Charakter durch die eigene spezifische Energie
manifestiert. Die Stufenfolgen über ihr und unter ihr seien weder ihre Ursprünge
noch resultierende Folgeerscheinungen, vielmehr Grade der ununterbrochenen Skala
der Erden-Natur.
Fragt man, wie all diese verschiedenen Stufen und Typen
des Seienden ins Dasein getreten sind, so kann man antworten, sie seien von der
Bewußtseins-Kraft in der Materie als ihrer Grundlage durch die Macht der
Real-Idee manifestiert worden, die ihre eigenen bedeutungsvollen Formen und
Typen für das kosmische Dasein des innewohnenden Geistes gestaltete: In
verschiedenen Graden oder Stufen mag die praktische oder physische Methode
beträchtliche Unterschiede aufweisen, obwohl eine grundlegende Ähnlichkeit
erkennbar sein kann. Die schöpferische Macht mag nicht nur ein sondern viele
Verfahren anwenden, viele Kräfte im Zusammenwirken einsetzen. In der Materie
besteht der Prozeß in der Erschaffung unendlich kleiner Teilchen, die mit
ungeheurer Energie geladen sind. Sie schließen sich nach Plan und Zahl zusammen.
Auf dieser ursprünglichen Basis manifestieren sich umfassendere Kleinstkörper.
Diese gruppieren sich und schließen sich zusammen, um wahrnehmbare Objekte,
Erde, Wasser, Mineralien, Metalle, das ganze Reich der Materie zu bilden. Auch
beim Leben fängt die Bewußtseins-Kraft mit unendlich winzigen Formen
pflanzlichen Lebens und kleinster Tierwesen an. Sie erschafft ein ursprüngliches
Plasma und vervielfältigt dieses. Sie bildet die lebendige Zelle als eine
Einheit und andere Arten eines winzigen biologischen Organismus wie Samen oder
Gene. Sie verwendet immer dieselbe Methode, zu gruppieren und
zusammenzuschließen, um so durch verschiedenartige Verfahren verschiedene
lebende Organismen hervorzubringen. Eine ständige Erschaffung von Arten wird
sichtbar; das ist aber noch kein zweifelsfreier Beweis für Evolution. Die Arten
sind manchmal sehr verschieden. Manchmal sind sie einander nahe und ähnlich,
manchmal in der Grundstruktur identisch, aber in Einzelheiten unterschieden.
Alle haben ihr eigenes Muster. Solch ein Unterschied in den Modellen bei
identischer ursprünglicher einfacher Grundlage ist das Zeichen dafür, daß eine
bewußte Kraft mit ihrer eigenen Idee spielt und dadurch alle Möglichkeiten der
Schöpfung entfaltet. Eine ins Dasein gerufene Tierart mag
mit einer gleichartigen rudimentären embryonischen oder fundamentalen
Grundstruktur, die für alle gilt, anfangen. Bis zu einer gewissen Stufe mag sie
Ähnlichkeiten der Entwicklung auf einer oder all ihren Entfaltungslinien
befolgen. Es mag auch Arten geben, die eine zweifache, etwa die amphibische,
Natur haben, Zwischenglieder zwischen dem einen und einem anderen Typus: Das
brauche aber nicht zu bedeuten, daß sich die Arten auseinander, in einer
evolutionären Reihe entwickelt haben. Andere Kräfte als jene hereditärer
Veränderung mögen am Werk gewesen sein und das Hervortreten neuer
charakteristischer Eigenschaften bewirken. Es gibt physische Kräfte wie Nahrung,
Lichtstrahlen und andere, die wir erst allmählich kennenlernen. Gewiß gibt es
noch weitere, von denen wir noch nichts wissen. Es sind unsichtbare
Lebens-Kräfte und dunkle psychische Kräfte am Werk. Diese subtileren Mächte
müssen sogar von der physischen Entwicklungstheorie anerkannt werden, um die
natürliche Zuchtwahl zu erklären. Wenn die geheime oder unterbewußte Energie in
manchen Arten auf das Bedürfnis der Umgebung reagiert, in anderen keine Reaktion
hervorbringt und diese nicht überleben läßt, ist das ein deutliches Zeichen für
eine variierende Lebens-Energie und -Psychologie, für ein Bewußtsein und eine
Kraft, die anders ist als das physische Wirken, das die Variation in der Natur
hervorruft. Das Problem der Verfahrensmethode hat noch zu viele dunkle und
unbekannte Faktoren, als daß irgendeines der jetzt möglichen Theorie-Gebäude
endgültig sein könnte.
In der Manifestation innerhalb der Materie sei der
Mensch ein Typus unter vielen ebenso konstruierten Arten, Modell in einer Menge
von Modellen. Er sei die am meisten komplexe unter den erschaffenen Arten,
besitze den reichsten Bewußtseinsinhalt, die teilnahmsvollste Genialität seiner
Struktur. Er sei das Haupt der irdischen Schöpfung, aber er rage nicht über sie
hinaus. Genauso wie die anderen habe auch er sein eigenes, ihm eingeborenes
Gesetz, seine Begrenzungen, seine besondere Daseins-Weise, svabhava,
svadharma. Innerhalb dieser Grenzen könne er sich ausweiten und entwickeln;
er könne sie aber nicht überschreiten. Gebe es eine Vollkommenheit, die er zu
erlangen habe, so müsse dies eine Vollkommenheit innerhalb seiner Art, seines
eigenen Daseins-Gesetzes sein: dessen volles Kräfte-Spiel, freilich unter
Beachtung von dessen Art und Maß, nicht im Transzendieren. Das eigene Maß zu
überschreiten, in den Übermenschen emporzuwachsen, sich
die Natur und Fähigkeiten eines Gottes anzueignen, wäre ein Widerspruch gegen
sein Selbst-Gesetz, praktisch nicht durchführbar. Jede Gestaltung und Wesensart
habe ihre eigene besondere Weise von Seins-Seligkeit. Mit Recht sei es Ziel des
Menschen, des mentalen Wesens, durch das Mental so viel Herrschaft über seine
Umgebung, so guten Gebrauch und Genuß von ihr zu suchen, wie er nur könne.
Darüber hinauszuschauen, einem höheren Zweck und Ziel des Daseins nachzujagen,
danach zu streben, über die mentale Größe hinauszukommen, bedeutet jedoch die
Anerkennung eines teleologischen Elements im Dasein, das in der kosmischen
Struktur nicht erkennbar sei. Wenn in der irdischen Schöpfung ein supramentales
Wesen erscheinen solle, müsse das eine neue, unabhängige Manifestation sein.
Genauso wie sich Leben und Mental in der Materie offenbart haben, müsse sich
dort auch das Supramental offenbaren. Die verborgene Bewußte Energie müsse die
notwendigen Modelle für diesen neuen Grad ihrer Machtmöglichkeiten erschaffen.
Es gebe aber in den Verfahrensweisen der Natur kein Zeichen dafür, daß sie so
etwas beabsichtigt.
Sei aber eine höhere Schöpfung beabsichtigt, dann könne dieser neue Entwicklungsgrad, dieser Typus oder dieses Modell sich nicht aus dem Menschen entwickeln. In diesem Fall müßte schon eine gewisse Rasse, eine Art oder Gestaltung menschlicher Wesen vorhanden sein, die bereits das Material zum Obermenschen in sich trage, genauso wie das besondere Tierwesen, das sich zum Menschsein entwickelte, schon die wesentlichen Elemente der menschlichen Natur potentiell oder aktuell besessen habe. Eine solche Rasse und Art, einen solchen Typus von Mensch gibt es aber nicht. Bestenfalls gebe es nur spiritualisierte mentale Wesen, die der irdischen Schöpfung zu entfliehen suchten. Wenn aufgrund eines okkulten Gesetzes der Natur solch eine menschliche Entfaltung des supramentalen Wesens beabsichtigt sei, könne das nur von einigen wenigen innerhalb der Menschheit unternommen werden, die sich aus der Rasse herauslösen, um erste Grundlegung für dieses neue Modell menschlichen Wesens zu werden. Es gebe aber keinen Grund für die Annahme, daß sich die ganze Rasse zu dieser Vollkommenheit entwickeln kann. Das könne keine für das menschliche Geschöpf allgemein gültige Möglichkeit sein.
Habe sich der Mensch tatsächlich in der Natur aus dem
Tier entwickelt, so zeige, soweit wir sehen können, doch jetzt keine andere
Tier-Art Anzeichen für eine Entwicklung über sich hinaus. Sollte es also im Tierreich einen solchen evolutionären Drang gegeben haben, so müsse er
völlig zur Ruhe gekommen sein, sobald dieses Ziel durch das Erscheinen des
Menschen erreicht war. Bestehe solch ein Drang nach einem neuen Schritt in der
Evolution, daß der Mensch über sich selbst hinauskommen muß, dann würde dieser
wahrscheinlich wieder in den Ruhezustand zurücksinken, sobald sein Ziel durch
das Erscheinen des suprarationalen Wesens erfüllt ist. In Wirklichkeit gebe es
aber keinen solchen Drang. Selbst die Vorstellung von einer Fortentwicklung des
Menschen sei sehr wahrscheinlich eine Illusion. Gebe es doch kein Anzeichen
dafür, daß der Mensch, nachdem er einmal aus der Tierstufe hervorgetreten ist,
sich im Verlauf der Geschichte seiner Rasse radikal verändert hat. Er sei
höchstens in der Erkenntnis der physischen Welt, in der Naturwissenschaft, in
der Handhabung seiner Umgebung und der Anwendung der verborgenen Gesetze der
Natur rein äußerlich und utilitaristisch fortgeschritten. Im übrigen sei er
derselbe geblieben, der er zu den frühesten Anfängen der Zivilisation war. Er
offenbare weiter dieselben Fähigkeiten, die gleichen Eigenschaften und Mängel,
die gleichen Bemühungen und Irrwege, Erfolge und Enttäuschungen. Wenn es einen
Fortschritt gegeben habe, dann in einem Kreislauf, höchstens in einem sich
stetig erweiternden Kreis. Der Mensch von heute sei nicht weiser als die alten
Seher, Philosophen und Denker. Er sei nicht spiritueller als die großen
Suchenden des Altertums, die ersten mächtigen Mystiker. Er sei auch in Kunst und
Handwerk den Künstlern und Handwerkern von ehedem nicht überlegen. Die alten,
jetzt verschwundenen Rassen zeigten eine ebenso gestaltungskräftige
ursprüngliche Originalität, Erfindungsgabe und Begabung im Umgang mit dem Leben.
Wenn der moderne Mensch in dieser Beziehung nicht durch wesentlichen
Fortschritt, sondern nur an Grad, Horizont und Fülle ein wenig weitergekommen
sei, so deshalb, weil er die Errungenschaften seiner Vorläufer ererbt habe.
Nichts rechtfertige aber die Vorstellung, er werde sich jemals seinen Weg aus
dem Halb-Wissen und der Halb-Unwissenheit heraus bahnen können, die das Gepräge
seiner Art ist, oder daß er, auch wenn er eine höhere Erkenntnis entwickelt, je
die äußerste Grenze des mentalen Kreises überschreiten könne.
Es sei wohl verlockend und nicht unlogisch,
Wiedergeburt als potentielles Mittel einer spirituellen Entwicklung anzusehen,
als den Faktor, der sie möglich macht. Vorausgesetzt, Wiedergeburt sei eine
Tatsache, so sei es doch nicht sicher, daß das ihre Bedeutung ist. Alle alten
Reinkarnations-Theorien nahmen an, es gebe eine
ständige Wanderung der Seele vom Tier zum Menschen, aber auch aus den
Menschenkörpern in Tierkörper. Das indische Denken fügte die Erklärung durch das
karma hinzu, eine Vergeltung für gutes oder böses Tun, die Frucht
vergangenen Wollens und Bemühens. Es gab aber keinen Hinweis auf eine
fortschreitende Entwicklung aus der einen in eine höhere Art, noch weniger auf
eine Geburt in eine andere Art des Wesens, das noch niemals existierte, sondern
sich erst in der Zukunft entwickeln sollte. Gebe es eine Evolution, dann sei der
Mensch deren letzte Stufe, weil durch ihn die Ablehnung des irdischen oder
verkörperten Lebens und eine Flucht in einen Himmel oder in das nirvana
möglich sei. Das war das Ziel, das die alten Theorien im Auge hatten. Da unsere
Welt hier fundamental und unabänderlich eine Welt der Unwissenheit sei -wenn
auch nicht alles kosmische Dasein seiner Natur nach ein Zustand von Unwissenheit
ist sei diese Flucht wahrscheinlich das wahre Ziel des Zyklus.
Diese Reihe von Schlußfolgerungen besitzt eine
beträchtliche Überzeugungskraft und Bedeutung. Darum war es notwendig, sie, wenn
auch nur kurz, darzustellen, um sich mit ihr auseinanderzusetzen. Denn wenn auch
einige ihrer Voraussetzungen gültig sind, so ist doch ihre Betrachtung der Dinge
nicht vollständig, und ihre Schlußfolgerungen sind nicht zwingend. Zuerst können
wir ohne große Schwierigkeiten den Einwand gegen das teleologische Element
ausschalten, das in die Struktur des irdischen Daseins eine vorausbestimmte
Evolution aus der Unbewußtheit zur Überbewußtheit anerkennt, die Entwicklung
einer aufsteigenden Ordnung von Wesen mit einem Übergang auf der höchsten Höhe
aus dem Leben in der Unwissenheit zu einem Leben im Wissen. Der Einwand gegen
einen teleologisch bestimmten Kosmos kann sich auf zwei Gründe stützen: auf eine
wissenschaftliche Beweisführung, die von der Annahme ausgeht, alles sei das Werk
einer unbewußten Energie, die automatisch durch mechanische Prozesse wirkt und
in sich kein Element von Zweck und Ziel enthalten könne, und auf die
metaphysische Beweisführung, die von der Auffassung ausgeht, das Unendliche und
Universale besitze bereits alles Einzelne in sich. Es könne nichts Unvollendetes
haben, das es erst zur Vollendung bringen muß, nichts, was es sich hinzufügen,
ausarbeiten, verwirklichen soll. Es könne deshalb in ihm auch kein Element von
Fortschritt, kein ursprüngliches oder hervortretendes Ziel geben. Die Geltung des wissenschaftlichen oder materialistischen Einwandes
kann nicht aufrechterhalten werden, wenn es in oder hinter der scheinbar
unbewußten Energie in der Materie ein verborgenes Bewußtsein gibt. Selbst im
Unbewußten scheint zumindest der Drang einer innewohnenden Notwendigkeit zu
bestehen, die Entwicklung von Formen und in den Formen ein sich entwickelndes
Bewußtsein hervorzubringen. Man kann wohl annehmen, dieses Drängen ist der
evolutionäre Wille eines verborgenen Bewußten Wesens. Sein Antrieb, sich
fortschreitend zu offenbaren, ist Beweis für eine ursprünglich der Evolution
innewohnende Absicht. Das ist ein teleologisches Element. Es ist nicht
vernunftwidrig, das zuzugeben. Denn die bewußte und selbst die unbewußte Neigung
entsteht aus einer Wahrheit des bewußten Wesens, das dynamisch geworden und nun
darauf aus ist, sich in einem automatischen Prozeß der materiellen Natur zur
Erfüllung zu bringen. Die Teleologie, das Element von zweckvoller Absicht, in
dieser Neigung ist die Übertragung der aus sich selbst wirkenden Wahrheit des
Seienden in Begriffe einer aus dem Selbst wirkenden Willens-Macht dieses
Seienden. Wenn Bewußtsein vorhanden ist, muß es hier auch eine Willens-Macht
geben, und ihre Übertragung ist normal und unvermeidlich. Eine Wahrheit des
Seienden, die sich unvermeidlich selbst zur Erfüllung bringt, wäre also die
fundamentale Tatsache der Evolution. Aber ein Wille und dessen Zweck und Ziel
müssen dann hier wirksam sein als Teil der Instrumentation, als Element in dem
sich auswirkenden Prinzip.
Der metaphysische Einwand ist schwerwiegender. Denn es
erscheint als selbstverständlich, daß das Absolute in der Manifestation keine
andere Absicht haben kann als die tiefe Freude an der Manifestation selbst. Eine
evolutionäre Bewegung in der Materie fällt als Teil der Manifestation unter
diese allgemeine Feststellung, sie kann nur zur Wonne an der Entfaltung, an
ihrer progressiven Ausführung und zu einer zweckfrei aneinandergereihten
Selbst-Offenbarung da sein. Eine universale Ganzheit kann auch als etwas in sich
Vollständiges angesehen werden. Für eine Ganzheit gibt es nichts, das sie
gewinnen oder der Fülle ihres Wesens hinzuzufügen hätte. Aber die materielle
Welt hier ist keine integrale Ganzheit. Sie ist Teil eines Ganzen, Stufe in
einer Stufenfolge. Sie kann also in sich selbst nicht nur die Gegenwart von
unentwickelten, nicht-materiellen Prinzipien oder Mächten zulassen, die dem
Ganzen angehören und ihrer Materie involviert sind, sondern auch gestatten, daß dieselben Mächte aus den höheren Stufen des
Systems in sie herniederkommen, um hier die mit ihnen verwandten Bewegungen aus
der Starrheit einer materiellen Begrenzung zu befreien. Man kann es also als die
Teleologie der Evolution ansehen, daß die höheren Mächte des Seins manifestiert
werden, bis das Seiende im Ganzen in der materiellen Welt in den Begriffen einer
höheren, spirituellen Schöpfung manifestiert ist. Diese Teleologie fügt keinen
Faktor hinzu, der nicht zur Ganzheit gehört. Ihre Absicht ist nur die
Verwirklichung der Ganzheit im Teil. Man kann gegen die Anerkennung eines
teleologischen Faktors in einer Teil-Bewegung der universalen Ganzheit keine
Einwendungen erheben, wenn die Absicht -nicht eine Absicht im menschlichen
Sinne, sondern das Drängen einer inneren Wahrheits-Notwendigkeit, die im Willen
des innewohnenden Geistes bewußt ist – darin besteht, hier alle Möglichkeiten,
die der totalen Bewegung eingeboren sind, vollkommen zu offenbaren. Zweifellos
existiert hier alles für die Seligkeit des Seins; alles ist sein Spiel, lila.
Aber auch ein Spiel enthält in sich einen Zweck, der voll durchgeführt werden
muß. Ohne die Erfüllung dieses Ziels wäre der Sinn des Spiels nicht voll
verwirklicht. Ein Drama ohne Auflösung des Knotens am Ende könnte eine
künstlerische Möglichkeit sein – wenn es nur für das Vergnügen existiert, die
Charaktere zu beobachten oder sich an den dargestellten Problemen zu erfreuen,
ohne daß diese gelöst oder indem sie nur so gelöst werden, daß alles in der
Schwebe und allen Zweifeln offen bleibt. Man mag sich vorstellen, das Drama der
Erden-Evolution könne diesen Charakter haben. Ebenso aber, und das überzeugt
mehr, ist es möglich, daß eine Auflösung der Verwicklungen beabsichtigt oder
innerlich vorherbestimmt ist. Ananda ist das geheime Prinzip alles
Seienden und die Unterstützung alles Wirkens im Seienden. Aber ananda
schließt nicht die große Freude daran aus, daß eine dem Seienden innewohnende
Wahrheit ausgearbeitet wird, die der Kraft oder dem Willen des Seienden immanent
ist und in dem verborgenen Selbst-Innesein ihrer Bewußtseins-Kraft aufrecht
erhalten wird, der dynamische Vollstrecker all ihrer Aktivitäten und der Kenner
ihrer Bedeutung.
Eine Theorie spiritueller Evolution ist nicht identisch
mit einer naturwissenschaftlichen Theorie von Formen-Entwicklung und physischer
Lebens-Entwicklung. Sie muß auf der eigenen, ihr innewohnenden Rechtfertigung
stehen: Sie mag die wissenschaftliche Darstellung der physischen
Evolution als Unterstützung oder als eines ihrer Elemente annehmen. Diese
Unterstützung ist aber nicht unentbehrlich. Die wissenschaftliche Theorie
kümmert sich nur um den äußeren sichtbaren Mechanismus und Prozeß, um die
Einzelheiten der Durchführung seitens der Natur, die physische Entwicklung der
Dinge in der Materie und das Gesetz, nach dem sich Leben und Mental in der
Materie entwickeln. Im Licht neuer Entdeckung mag ihre Darstellung der Vorgänge
beträchtlich verändert oder gar völlig fallengelassen werden. Das wird aber die
selbst-bezeugende Tatsache einer spirituellen Evolution, einer Entwicklung von
Bewußtsein, einer fortschreitenden Manifestation der Seele im materiellen Dasein
nicht beeinflussen. In ihren äußeren Aspekten kommt die Theorie der Evolution zu
folgenden Ergebnissen: In der Stufenfolge des irdischen Daseins gibt es eine
Entwicklung von Formen und Körpern, eine fortschreitend vielseitige
leistungsfähige Organisation von Materie. In der Materie entsteht Leben, in der
lebenden Materie Bewußtsein. Je besser in dieser Stufenfolge die äußere Form
organisiert ist, desto fähiger ist sie, ein besser organisiertes, mehr
komplexes, befähigtes, entfaltetes oder höher entwickeltes Leben und Bewußtsein
zu beherbergen. Hat man einmal die Evolutions-Hypothese aufgestellt und die sie
stützenden Tatsachen gesammelt, wirkt dieser Aspekt des irdischen Daseins so
überzeugend, daß er unbestreitbar zu sein scheint. Es ist eine zweitrangige,
wenn auch an sich interessante und wichtige Frage, nach welchem genauen
Mechanismus, nach welcher exakten Genealogie oder chronologischen Reihenfolge
der Arten des Wesens dies zustande kam. Man mag die Theorien von der Entwicklung
der einen Form des Lebens aus einer vorausgehenden weniger entwickelten Form,
von der natürlichen Zuchtwahl, vom Kampf ums Dasein, vom Überleben erworbener
Charakter-Eigenschaften akzeptieren oder nicht: Die Tatsache einer
aufeinanderfolgenden Schöpfung aufgrund eines in ihr enthaltenen
Entwicklungsplans ist der einzige Schluß von primärer Bedeutung. Ein anderer
selbst-bezeugender Schluß ist, daß es in der Evolution eine stufenweise,
notwendige Aufeinanderfolge gibt: zuerst die Entwicklung von Materie, danach die
Entwicklung von Leben in der Materie, dann die Entwicklung von Mental in der
lebenden Materie. Auf dieser letzten Stufe folgt auf eine Entwicklung zum Tier
die des Menschen. Die drei ersten Begriffe dieser Aufeinanderfolge sind zu
evident, als daß sie bestritten werden könnten. Man mag darüber debattieren, ob
der
Mensch auf das Tier folgte oder ob es eine
gleichzeitig-ursprüngliche Entwicklung beider gab, wobei dann der Mensch in der
Mental-Entwicklung das Tier überholt hat. Man hat sogar die Theorie aufgestellt,
der Mensch sei nicht die letzte, sondern die erste und älteste Gattung im
Tierreich gewesen. Diese Priorität des Menschen ist eine alte Vorstellung, sie
war aber nie allgemein. Sie stammt aus dem Empfinden einer klaren Überlegenheit
des Menschen über die irdischen Geschöpfe. Die Würde dieser Hoheit schien eine
Priorität der Geburt zu erfordern. Im faktischen Ablauf der Evolution tritt aber
der Überlegenere nicht als der Frühere in Erscheinung sondern als der Spätere.
Der weniger Entwickelte geht dem höher Entwickelten voraus und ist sein
Wegbereiter.
Tatsächlich fehlt im Denken des Altertums die Vorstellung von der Priorität der niederen Daseinsformen nicht vollständig. Abgesehen von den Berichten der Schöpfungsmythen finden wir bereits im alten und mittelalterlichen Denken in Indien Äußerungen, die die Priorität des Tieres gegenüber dem Menschen in der Zeitfolge in einem Sinne hervorheben, der mit dem modernen Evolutionsbegriff übereinstimmt. Eine Upanishad erklärt: Aufgrund seines Entschlusses, Leben zu schaffen, bildete das Selbst oder der Geist zuerst die Tiergestalten wie die Kuh und das Pferd. Die Götter aber – die im Denken der Upanishaden Mächte von Bewußtsein und Mächte der Natur sind – fanden diese als unzureichende Träger; so erschuf der Geist schließlich die Gestalt des Menschen. Diese Form erkannten die Götter als vortrefflich gestaltet und für sie angemessen an und gingen für ihre kosmischen Funktionen in sie ein. Das ist ein deutliches Gleichnis dafür, daß immer höher entwickelte Formen erschaffen wurden, bis sich eine fand, die fähig war, Träger für ein entwickeltes Bewußtsein zu sein. In den Puranas wird berichtet, die Erschaffung des Tiers vom Charakter des tamas sei zeitlich die erste gewesen. Tamas ist das indische Wort für das Prinzip von Trägheit an Bewußtsein und Kraft: Ein Bewußtsein, das in seinem Kräftespiel dumpf, nachlässig und untüchtig ist, wird als tamas-artig bezeichnet. Zur selben Kategorie würde eine Kraft, eine Lebens-Energie gerechnet werden, die stumpfsinnig, in ihrer Fähigkeit begrenzt und an einen niederen Bereich von instinktiven Trieben gebunden ist, die sich nicht entwickelt, nicht über sich hinauszukommen sucht, sich nicht getrieben fühlt zu einer größeren Betätigung ihrer kinetischen Energien oder zu einem erleuchteteren bewußten Wirken.
Das Tier, in dem sich
diese weniger entwickelte Bewußtseins-Kraft findet, erscheint in der Schöpfung
früher. Das entwickeltere Bewußtsein des Menschen, in dem die Kraft der
kinetischen Mental-Energie und des Lichts der Wahrnehmung größer ist, ist eine
spätere Schöpfung. Das Tantra spricht von einer Seele, die aus ihrem
Zustand gefallen ist und durch viele Hunderttausende von Geburten in Pflanzen-
und Tiergestalten hindurchgehen muß, bevor sie die Stufe des Menschen erreichen
und bereit sein kann für ihre Erlösung. Hier ist wieder die Auffassung
vorausgesetzt, daß die Lebensformen von Pflanze und Tier die niederen Sprossen
auf der Leiter sind, das Menschsein aber die letzte oder alles überhöhende
Entwicklung des bewußten Wesens. Diese Gestalt muß die Seele bewohnen, um fähig
zu sein, vom Geist motiviert zu werden und der Mentalität, der Vitalität und der
Körperlichkeit zu entkommen. Das ist tatsächlich die normale Auffassung; sie
drängt sich der Vernunft und der Intuition so überzeugend auf, daß man sie kaum
zu erörtern braucht. Die Schlußfolgerung daraus ergibt sich fast unentrinnbar.
Vor diesem Hintergrund eines sich entfaltenden
Evolutions-Prozesses müssen wir den Menschen betrachten, seinen Ursprung, sein
erstes Erscheinen, seinen Status in der Manifestation. Hier ergeben sich zwei
Möglichkeiten. Entweder trat ein menschlicher Körper mit einem Bewußtsein
plötzlich in der Erden-Natur in Erscheinung als eine abrupte Schöpfung oder
unabhängige automatische Offenbarung einer mit Vernunft begabten Mentalität in
der materiellen Welt. Sie kam plötzlich im Gefolge einer vorhergehenden
ähnlichen Manifestation von unterbewußten Lebensformen und von lebenden bewußten
Körpern in der Materie. Oder die Evolution des Mensch-Wesens aus dem Tier-Wesen
vollzog sich vielleicht erst langsam in ihrer Vorbereitung und in ihren
Entwicklungsstufen, machte aber dann an den entscheidenden Punkten des Übergangs
größere Sprünge. Letztere Theorie macht uns keine Schwierigkeiten. Denn es ist
sicher, daß Umwandlung des Charakteristischen des Typus, wenn auch nicht des
Fundamentalen selbst, sowohl in der Art wie in der Gattung zustande Kommen
können – das ist auch schon vom Menschen selbst geleistet worden, und seine
Möglichkeiten werden in kleinem Maßstab durch die experimentelle Wissenschaft in
überrraschender Weise ausgearbeitet –, so daß man mit Recht annehmen kann, die
insgeheim wirkende bewußte Energie in der Natur könnte derartige Maßnahmen in
großem Maßstab bewirken und beträchtliche,
entscheidende Entwicklungen durch die Mittel ihrer eigenen konventionellen
Schöpferkräfte zustande bringen. Notwendige Voraussetzung für eine Umwandlung
vom normalen Tier-Charakter in den des Menschen-Daseins würde eine Entwicklung
der körperlichen Organisation sein, die ein rasches Fortschreiten des
Bewußtseins, seine Umkehr oder Verwandlung ermöglicht, eine neue Höhe erreichen
läßt, von der es auf die niederen Stufen hinabschauen kann, sowie eine
Ausweitung seiner Kapazität, was das Wesen befähigen würde, die
Tier-Eigenschaften in eine umfassendere, bildungsfähigere menschliche
Intelligenz emporzunehmen und zugleich oder später größere und subtilere Mächte
zu entfalten, die der neuen Art des Wesens angemessen sind, Mächte der Vernunft,
des Denkens, der vielseitigen Beobachtung, der planmäßigen Erfindung und
Entdeckung. Tritt dann eine neue Bewußtseins-Kraft hervor, so würde dies, da das
Instrument dafür zubereitet ist, beim Übergang keine Schwierigkeit machen,
abgesehen von der Erschwerung durch die Gegenwirkung und den Widerstand der
materiellen Unbewußtheit. Das Tier besitzt bereits in begrenztem Maß einige der
entsprechenden Eigenschaften, aber nur, um damit in einem primitiven, rohen und
einfachen Organismus von sehr untergeordneter Reichweite und Formbarkeit und
einer begrenzten und mehr zufälligen Verfügungsgewalt über diese Begabung zu
wirken. Besonders die Wirkweise dieser Begabungen ist mechanischer, weniger
planmäßig. Sie ist durch einen gewissen Automatismus der Natur-Energie
gekennzeichnet, der die Aktivität eines primitiven Bewußtseins antreibt. Das ist
nicht wie beim Menschen eine bewußte Energie, die ihre eigenen Maßnahmen
beobachtet, in weitem Umfang lenkt, regiert, absichtlich verändert und
umwandelt. Andere Gewohnheiten des Tier-Bewußtseins sind nicht grundsätzlich von
denen des Menschen verschieden. Er mußte sie aber auf höherer Ebene entwickeln,
ausweiten und, wo immer möglich, mentalisieren, vergeistigen, verfeinern, – kurz, ihnen die Erleuchtung seines neuen Verstehens, seiner intellektuellen
Begabung und eine dem Tier versagte Macht zu vernunftgemäßer Beherrschung
bringen. Ist diese Umwandlung, diese Umkehr, einmal bewirkt, dann kann sich im
menschlichen Mental im Verlauf seiner Evolution die Macht entwickeln, auf sich
selbst und auf die Dinge einzuwirken, zu erschaffen, zu erkennen,
Denkkonstruktionen zu bilden, auch wenn diese begreiflicherweise anfangs in
ihrem Horizont eng, dem Tier näher, in ihrem Wirken noch verhältnismäßig
einfach und roh sind. Eine solche Verwandlung mußte bei jedem neuen
radikalen Übergang der Natur vorgenommen werden: Die hervortretende Lebens-Kraft
wendet sich der Materie zu, zwingt den Aktivitäten der materiellen Energie
vitalen Inhalt auf, während sie dabei ihre eigenen neuen Bewegungen und
Verfahren entfaltet. Ein Lebens-Mental taucht in der Lebens-Kraft und in der
Materie auf und zwingt deren Abläufen seinen Bewußtseinsinhalt auf, während es
zugleich ihre eigenen Aktivitäten und Fähigkeiten entwickelt. So liegt ein neues
höheres Hervortreten und Sich-Wandeln, das Auftauchen der Menschheit, in der
Richtung all dessen, was in der Natur vorausgegangen ist. Es ist nur eine neue
Anwendung des allgemeinen Prinzips.
Darum kann man diese Theorie leicht akzeptieren: ihr Verfahren ist begreiflich. Indessen bereitet die andere Hypothese beträchtliche Schwierigkeiten. Hinsichtlich des Bewußtseins könnte die neue, die menschliche Manifestation, durch das Auftauchen eines verborgenen Bewußtseins, das der universalen Natur involviert war, erklärt werden. In diesem Fall muß es aber schon eine materielle Form als Träger seines Hervortretens besessen haben. Dieser Träger muß durch die Kraft des Hervortretens als solche den Bedürfnissen einer neuen inneren Schöpfung angepaßt worden sein. Andererseits könnte aber auch eine rasche Abwandlung von früheren Arten oder Modellen ein neues Wesen hervorgerufen haben. Welche Hypothese man auch anwendet, es handelt sich hier um einen Prozeß der Evolution, dabei gibt es nur einen Unterschied in der Methode und im Mechanismus des Abweichens vom früheren Typus oder des Übergangs. Auch könnte es sich -im Gegensatz dazu – nicht um ein Emportauchen, sondern um ein Herabkommen von Mentalität aus einer Mental-Ebene über uns gehandelt haben, vielleicht um das Herniederkommen einer Seele oder eines mentalen Wesens in die irdische Natur. Die Schwierigkeit läge dann im Erscheinen des menschlichen Körpers, der doch ein zu komplexes und schwieriges Organ ist, als daß er plötzlich erschaffen oder manifestiert worden wäre. Denn unter den normalen Möglichkeiten oder Leistungsfähigkeiten der materiellen Energie scheint ein so wundersam rascher Prozeß nicht vorgesehen zu sein, wenn er auch sehr wohl möglich ist auf einer supraphysischen Ebene des Seienden. Er könnte nur durch das Eingreifen einer supraphysischen Kraft oder eines supraphysischen Natur-Gesetzes oder durch ein Schöpfer-Mental stattfinden, die mit voller Macht und unmittelbar auf die Natur einwirken.
Bei jedem sichtbaren
Hervortreten von etwas Neuem in der Materie kann man die Einwirkung einer
supraphysischen Kraft oder eines Schöpfers voraussetzen. Jede solche Erscheinung
ist im Grunde ein Wunder, das von einem verborgenen Bewußtsein bewirkt oder von
einer verhüllten Mental-Energie oder Lebens-Energie unterstützt wird. Doch sieht
man nirgends, daß dieses Wirken unmittelbar, offenkundig und rein aus sich
selbst erklärbar wäre. Es wird stets einer bereits verwirklichten körperlichen
Grundform von oben her auferlegt und wirkt, indem es einen schon festgelegten
Natur-Prozeß ausweitet. Eher ist vorstellbar, wie sich ein schon existierender
Körper so für einen supraphysischen Einfluß öffnete, daß er in einen neuen
Körper umgewandelt wurde. Man kann aber kaum annehmen, ein solches Ereignis habe
in der vergangenen Geschichte der materiellen Natur stattgefunden.
Offensichtlich bedarf es, damit so etwas stattfinden kann, entweder des bewußten
Eingreifens eines unsichtbaren mentalen Wesens, das den Körper bildete, den dann
der Mensch bewohnen sollte, oder auch der vorausgehenden Entwicklung eines
mentalen Wesens in der Materie selbst, das bereits fähig war, eine
supraphysische Macht zu empfangen und sie den starren, engen Formen seines
körperlichen Daseins aufzunötigen. Sonst müßten wir annehmen: Ein präexistenter
Körper war bereits so hoch entwickelt, daß er für den Empfang eines so mächtigen
mentalen Einflusses geeignet war oder fähig, auf das Herabkommen eines mentalen
Wesens auf ihn in anpassungsfähiger Weise zu reagieren. Das würde aber eine
vorausgehende Entwicklung von Mental im Körper bis zu einem solchen Grade
voraussetzen, daß solche Empfänglichkeit möglich sein konnte. Es ist wohl
vorstellbar, daß eine derartige Entwicklung von unten und eine Herabkunft von
oben für das Erscheinen des Mensch-Wesens in der Erden-Natur zusammenwirkten.
Die schon im Tier vorhandene psychische Wesenheit selbst könnte das mentale
Wesen, den Mental-purusha, in den Bereich der lebenden Materie
herabgerufen haben, damit er die bereits aktive vital-mentale Energie aufnimmt
und in eine höhere Mentalität emporhebt. Das wäre immer noch ein Prozeß der
Evolution, wobei die höhere Ebene nur eingreift, um dem Hervortreten und der
Ausweitung ihres eigenen Prinzips in der irdischen Natur beizustehen.
Weiter kann man zugestehen, jede Art oder jedes Modell
von Bewußtsein und Wesen im Körper müssen, wenn sie einmal fest geformt sind, dem Wesensgesetz dieser Art, ihrem eigenen Entwurf und Gesetz
treu bleiben. Es mag aber auch sehr wohl sein, daß eine Seite des Gesetzes der
menschlichen Art ihr Drang ist, über sich selbst hinauszukommen, und daß für die
Mittel zum bewußten Über-sich-hinausgehen unter den spirituellen Kräften des
Menschen gesorgt ist. Der Besitz einer solchen Befähigung mag ein Teil des
Planes sein, nach dem die schöpferische Energie ihn gebildet hat. Man kann
zugeben, daß der Mensch bis jetzt hauptsächlich nur im Umkreis seiner Art, auf
einer Spirale der Natur-Bewegung aktiv gewesen ist, die ihn manchmal in die
Höhe, manchmal in die Tiefe führte, daß es aber keine gerade Linie des
Fortschritts, kein unbestreitbares, fundamentales oder radikales Hinausgehen
über seine vergangene Natur gegeben hat. Er hat lediglich seine Befähigungen
geschärft, verfeinert, umfassender und elastischer verwendet. Man könnte weiß
Gott nicht sagen, seit der Mensch erschienen ist oder seit den Tagen
dokumentierbarer Geschichte habe es nicht so etwas wie einen menschlichen
Fortschritt gegeben. Denn wie groß auch die Menschen des Altertums gewesen
seien, wie hervorragend manche ihrer Schöpfungen und Errungenschaften, wie
eindrucksvoll gewisse Leistungen an Spiritualität, Intellekt und Charakter
waren, so habe es in den späteren Entwicklungen doch eine zunehmende
Verfeinerung, umfassenderen Reichtum, vielfältigere Entfaltung an Wissen und
Können in den Errungenschaften des Menschen, in seiner Politik, Gesellschaft, in
seinem Leben, seiner Wissenschaft, Metaphysik, seinen Erkenntnissen auf allen
Gebieten, seiner Kunst und Literatur gegeben. Auch wenn die Macht seiner
Spiritualität nicht so erstaunlich erhaben und weniger gewaltig war als die der
Erleuchteten früherer Zeiten, so war sein spirituelles Bemühen doch
ausgezeichnet durch Feinheit, vielseitige Gestaltungskraft, Eindringen in die
Tiefen und Ausweitung des Suchens. Es hat Zeiten des Absinkens von einem hohen
Kulturtypus gegeben, einen zeitweiligen tiefen Abfall in einen gewissen
Obskurantismus, ein Nachlassen des spirituellen Strebens und Abstürze in einen
barbarischen naturalistischen Materialismus. Das waren aber nur vorübergehende
Phänomene, schlimmstenfalls eine nach unten verlaufende Kurve der
Fortschrittsspirale. Sicher habe dieser Fortschritt die Menschenrasse noch nicht
über sich selbst emporgetragen, so daß sie über sich hinauskommen und das
mentale Wesen transformieren konnte. Aber das durfte man auch nicht erwarten.
Denn das Wirken der evolutionären Natur in einer
Art
von Wesen und Bewußtsein besteht zuerst darin, diese Art gerade durch
Verfeinerung und zunehmende Vielseitigkeit bis zur äußersten Befähigung zu
entfalten, bis sie ihre Schale sprengen kann, so daß das ausreifende Bewußtsein
entscheidend hervortritt, sich umwandelt und so auf sich selbst einwirkt, daß es
auf eine neue Stufe der Evolution hinwirkt. Setzt man voraus, daß der nächste
Schritt der Natur das spirituelle und supramentale Wesen ist, dann kann man das
Drängen zur Spiritualität in der Menschheit als ein Zeichen dafür nehmen, daß
dies die Absicht der Natur, aber auch ein Hinweis darauf ist, daß der Mensch die
Fähigkeit hat, den Übergang in sich durchzuführen oder der Natur zu helfen, den
Übergang zu bewerkstelligen. Wenn es die Methode der Entwicklung des Menschen
war, daß im Tierwesen eine Art erschien, die in manchen Beziehungen der Affenart
ähnlich, aber schon von Anfang an mit den Elementen des Menschseins begabt war,
dann könnte es für das evolutionäre Erschaffen eines spirituellen und
supramentalen Wesens die deutlich erkennbare Methode der Natur sein, daß im
menschlichen Wesen ein spiritueller Typus erscheint, der einem mental-tierhaften
Menschen ähnlich ist, aber schon durch sein spirituelles Streben geprägt ist.
In Bezug hierauf hat man darauf hingewiesen, daß es – falls solch ein Gipfel der Evolution beabsichtigt ist und diese sich des
Menschen als Mittel bedient – nur einige wenige besonders entwickelte
menschliche Wesen geben werde, die den neuen Typus bilden und zum neuen Leben
fortschritten. Wenn das erreicht sei, werde die übrige Menschheit aus ihrem
spirituellen Streben zurücksinken, das für die Absicht der Natur nun nicht
länger nötig sei; sie werde dann in der Ruhe ihres normalen Zustands verbleiben.
Man kann aber ebenso behaupten, die menschliche Stufe müsse erhalten bleiben,
wenn es wirklich ein Emporsteigen der Seele mittels der Wiedergeburt durch die
Entwicklungsstufen bis hin zum spirituellen Gipfel gibt. Andernfalls würde sonst
die notwendigste aller Zwischenstufen fehlen. Man muß zugleich betonen, es
besteht nicht die geringste Wahrscheinlichkeit oder Möglichkeit dafür, daß sich
die ganze menschliche Rasse en bloc zur supramentalen Ebene erhebt.
Worauf hier hingewiesen wird, ist keineswegs etwas so Revolutionäres und
Erstaunliches. Vielmehr wird nur dargelegt, daß die Mentalität des Menschen dazu
fähig ist, nach einer höheren Ebene des Bewußtseins und deren Verkörperung im
menschlichen Wesen zu drängen, sobald sie eine gewisse Stufe oder einen gewissen Druck des evolutionären Antriebs erreicht hat. Durch
diese Verkörperung werden wir uns notwendigerweise einer Wandlung über die
normale Konstitution unserer Natur hinaus unterziehen, sicherlich einer
Veränderung der Verfassung unseres Mentals, Fühlens und Empfindens und auch in
großem Maß des Körper-Bewußtseins und der physischen Bedingungen unseres Lebens
und unserer Energien. Der wichtigste Faktor, die ursprüngliche Bewegung, wird
aber die Umwandlung unseres Bewußtseins sein. Die physische Veränderung ist dann
nur ein untergeordneter Faktor, eine Folgeerscheinung. Diese Umwandlung des
Bewußtseins wird dem menschlichen Wesen immer möglich bleiben, sobald die Flamme
der Seele, die psychische Glut im Herzen und im Mental mächtig wird und solange
die Natur bereit ist. Das spirituelle Streben ist dem Menschen eingeboren. Denn
er ist, hierin dem Tier ungleich, sich seiner Unvollkommenheit und Begrenztheit
bewußt und fühlt, daß es jenseits von dem, was er jetzt ist, etwas gibt, das er
erreichen muß. Wahrscheinlich wird in der Menschheit dieser Drang, über sich
hinauszukommen, nie völlig aussterben. Zwar wird es den menschlichen
Mental-Zustand immer geben. Doch wird er nicht nur als Stufe auf der
Stufenleiter der Wiedergeburt nötig sein, sondern auch als Stufe, die den Zugang
öffnet zum spirituellen und supramentalen Zustand.
Es ist zu beachten, daß das Erscheinen des menschlichen
Mentals und Körpers auf der Erde einen folgenschweren Schritt, eine
entscheidende Wandlung im Verlauf und Prozeß der Evolution darstellt. Es ist
nicht nur ein Weiterführen der alten Linien. Bis zum Hervortreten eines
entwickelten denkenden Mentals in der Materie war die Evolution nur unterbewußt
oder subliminal durch das automatische Wirken der Natur vollzogen worden, nicht
aber durch die des Selbsts bewußte Aspiration, Intention, nicht durch den Willen
oder das Suchen des lebenden Wesens. Das war so, weil die Evolution mit der
Unbewußtheit begann und das verborgene Bewußtsein noch nicht genügend aus ihr
hervorgetreten war, um durch den des Selbsts bewußten teilnehmenden
individuellen Willen ihres lebenden Geschöpfes aktiv mitzuarbeiten. Aber im
Menschen hat diese notwendige Umwandlung stattgefunden, das Wesen ist zu seinem
Selbst erwacht und seiner inne geworden. Im Mental ist offenbar geworden sein
Wille, sich zu entwickeln, an Erkenntnis zu wachsen, das innere Dasein zu
vertiefen und das äußere auszuweiten sowie die Fähigkeiten der Natur zu
vermehren. Der Mensch hat eingesehen, daß es
einen höheren Bewußtseins-Status gibt als seinen eigenen. In den Schichten
seines Mentals und Lebens ist der leidenschaftliche Trieb und die Sehnsucht
entbunden worden, über sich hinauszukommen. Das ist nun deutlich ausgedrückt: Er
ist einer Seele bewußt geworden und hat das Selbst und den Geist entdeckt. So
wurde in ihm denkbar und praktisch durchführbar, daß eine unbewußte Evolution
durch eine bewußte ersetzt werden kann. Daraus darf man wohl schließen, daß das
Bestreben, das Drängen und beharrliche Ringen in ihm ein sicherer Hinweis der
Natur darauf ist, daß sie einen höheren Weg zu seiner Erfüllung will und ein
höherer Zustand hervortreten soll.
Bei den vorausgehenden Stufen der Evolution war die
Hauptsorge und das Bemühen der Natur auf eine Umwandlung im physischen
Organismus gerichtet, denn nur so konnte es eine Veränderung des Bewußtseins
geben. Das war eine ihr durch das Unvermögen der schon in der äußeren Form
wirkenden Bewußtseins-Kraft aufgezwungene Notwendigkeit, die keine Umwandlung im
Körper bewirken konnte. Im Menschen ist aber das Umgekehrte möglich, sogar
unvermeidlich. Denn die Evolution kann und muß durch sein Bewußtsein, durch
dessen völlige Mutation bewirkt werden, nicht mehr durch einen neuen
körperlichen Organismus als erste Instrumentation. In der inneren Wirklichkeit
der Dinge war eine Umwandlung des Bewußtseins immer die bedeutungsvollere
Tatsache. Die Evolution hat immer eine spirituelle Bedeutung gehabt, die
physische Umwandlung war nur Werkzeug dazu. Dieses Verhältnis war dank des
anfänglichen abnormen Ungleichgewichts der beiden Faktoren verborgen. Der Körper
der äußeren Unbewußtheit überwog und stellte das spirituelle Element, das
bewußte Wesen, in den Schatten. Sobald aber das rechte Gleichgewicht hergestellt
ist, braucht die Umwandlung des Körpers nicht mehr der Umwandlung des
Bewußtseins vorauszugehen. Vielmehr wird das Bewußtsein durch seine Verwandlung
jede Mutation, die für den Körper nötig ist, zwangsläufig bewirken. Es ist zu
bemerken, daß das menschliche Mental bereits eine Fähigkeit dazu bewiesen hat,
der Natur bei der Entwicklung neuer Pflanzen- und Tier-Arten zu helfen. Es hat
neue Formen seiner Umgebung erschaffen und durch Erkenntnis und Disziplin
bemerkenswerte Umwandlungen in seiner eigenen Mentalität bewirkt. Es ist nicht
unmöglich, daß der Mensch der Natur auch bewußt bei seiner eigenen spirituellen
und physischen Entwicklung und Umwandlung
beistehen sollte. Das Drängen dazu ist bereits vorhanden und schon teilweise
wirksam, auch wenn das von der äußeren Mentalität noch unvollständig verstanden
und angenommen wird. Eines Tages mag sie es verstehen, tiefer in ihr Inneres
eindringen und das Mittel, die geheime Energie, die beabsichtigte Wirkweise der
Bewußtseins-Kraft entdecken, die die verborgene Wirklichkeit dessen ist, was wir
die Natur nennen.
Das alles sind Schlußfolgerungen, zu denen man sogar durch die Beobachtung der äußeren Erscheinungen des Fortschritts der Natur, durch ihre vordergründige Entwicklung von Wesen und Bewußtsein in der physischen Geburt und im Körper gelangen kann. Es gibt aber den anderen, den unsichtbaren Faktor. Das ist die Wiedergeburt, der Fortschritt der Seele durch ein Emporsteigen von Stufe zu Stufe des sich entwickelnden Seins und auf diesen Stufen zu immer höheren Arten körperlicher und mentaler Instrumentation. Bei diesem Fortschreiten ist selbst dem Menschen, dem bewußten mentalen Wesen, die psychische Wesenheit noch durch ihre Instrumente, durch Mental, Leben und Körper, verhüllt. Sie kann sich nicht voll offenbaren. Sie wird daran gehindert, in den Vordergrund zu treten, wo sie als Meister ihrer Natur dastehen könnte. Sie wird gezwungen, sich durch ihre Instrumente bestimmen zu lassen und sich ihnen zu unterwerfen; purusha wird von prakriti beherrscht. Im Menschen kann sich aber die psychische Seite der Persönlichkeit viel schneller als bei der untergeordneten Schöpfung entwickeln. Die Zeit kann kommen, da die Seele aus dem Bereich hinter dem Vorhang offen hervortreten und zum Meister ihrer Instrumentation der Natur werden wird. Das bedeutet aber, daß der verborgene innewohnende Geist, die Gottheit im Innern, den Punkt ihres Hervortretens erreicht hat. Wenn sie sich offenbart, ist kaum zu bezweifeln, daß sie ein eher göttliches, spirituelles Dasein fordern wird, wie das bereits im Mental vorhanden ist, wenn es sich dem inneren psychischen Einfluß unterzieht. In der Natur des Erden-Lebens, wo das Mental ein Instrument der Unwissenheit ist, läßt sich das nur bewirken durch Umwandlung des Bewußtseins, durch einen Übergang aus der Begründung in der Unwissenheit zu einer Grundlegung im Wissen, aus dem mentalen in ein supramentales Bewußtsein, zu einer supramentalen Instrumentation der Natur.
Keineswegs überzeugt der Schluß, eine solche
Transformation könne man, da dies eine Welt der Unwissenheit sei, nur dadurch
erlangen, daß man in einen jenseitigen Himmel
hinübergehe, oder man könne sie überhaupt nicht erlangen. Das Verlangen der
psychischen Wesenheit sei selbst unwissend und müsse ersetzt werden, indem die
Seele völlig im Absoluten aufgehe. Dieser Schluß könnte nur dann gültig sein,
wenn die Unwissenheit der ganze Sinn, alle Substanz und Macht der
Welt-Manifestation wäre, wenn es in der Welt-Natur selbst kein Element gäbe,
durch das man über die unwissende Mentalität hinauskommen könnte, die noch den
gegenwärtigen Zustand unseres Wesens belastet. Die Unwissenheit ist aber nur
eine Teilerscheinung dieser Welt-Natur. Sie ist nicht ihr Ganzes, nicht ihre
ursprüngliche Macht, nicht ihr Schöpfer: In ihrem höheren Ursprung ist sie ein
sich selbst begrenzendes Wissen. Selbst in ihrem niederen Ursprung, in ihrem
Hervortreten aus der völlig materiellen Unbewußtheit, ist sie unterdrücktes
Bewußtsein, das darum ringt, sich selbst zu finden oder wiederzuentdecken, als
Grundlage des Daseins ein Wissen zu manifestieren, das ihr wahrer Charakter ist.
Im universalen Mental selbst gibt es, oberhalb von unserer Mentalität, Bereiche,
die Instrumente der kosmischen Wahrheits-Erkenntnis sind. In diese kann das
mentale Wesen gewiß gelangen. Denn in übernormalen Zuständen erhebt es sich
schon jetzt zu ihnen empor; oder es empfängt von ihnen, ohne sie schon zu kennen
oder zu besitzen, Intuitionen, spirituelle Ahnungen, starke Einflüsse von
Erleuchtung oder spiritueller Begabung. Alle diese Bereiche sind dessen bewußt,
was oberhalb von ihnen existiert. Der höchste von ihnen ist unmittelbar offen
für das Supramental. Er gewahrt das Wahrheits-Bewußtsein, das höher ist als er.
Überdies existieren hier, in dem sich entwickelnden Wesen selbst, diese höheren
Bewußtseins-Mächte. Sie unterstützen die Mental-Wahrheit und liegen ihrem Wirken
zugrunde, das zugleich gegen sie abschirmt. Dieses Supramental und diese
Wahrheits-Mächte sind durch ihre geheime Gegenwart die Erhalter der Natur.
Selbst die Wahrheit des Mentals ist ihr Ergebnis, eine verminderte Wirkweise,
eine Darstellung in Teil-Gestaltungen. Darum ist es nicht nur natürlich, sondern
scheint unausweichlich zu sein, daß diese höheren Mächte des Seins sich ebenso
hier im Mental manifestieren, wie sich das Mental im Leben und in der Materie
manifestiert hat.
Das Drängen des Menschen zur Spiritualität kommt von
der treibenden Kraft des Geistes, der aus seinem Innern hervortreten will, von
dem beharrlichen Drang der Bewußtseins-Kraft des Wesens zur nächsthöheren Stufe ihrer Manifestation. Es ist wahr, daß das spirituelle Drängen
weithin auf eine andere Welt gerichtet war oder sich in seinem Extrem in eine
spirituelle Verneinung und Selbst-Vernichtung des mentalen Individuums
verkehrte. Das ist aber nur die eine Seite seiner Tendenz, die sich durchsetzte
und vorherrschend wurde durch das Bedürfnis der Seele, aus dem Reich der
fundamentalen Unbewußtheit herauszukommen, das Hindernis des Körpers zu
überwinden, das verdunkelnde Vital abzuwerfen und von der unwissenden Mentalität
frei zu werden. Nötig für sie ist, zuerst und vor allem anderen, durch eine
Zurückweisung all dieser Behinderungen zum spirituellen Wesen, zum spirituellen
Zustand zu gelangen. Die andere, dynamische, Seite des spirituellen Antriebs hat
nicht gefehlt: das Verlangen nach spiritueller Beherrschung und Verwandlung der
Natur, nach einer spirituellen Vervollkommnung des Wesens, einer Vergöttlichung
des Mentals, des Herzens und selbst des Körpers. Es gab sogar den Traum oder die
seelische Vorausschau von einer Erfüllung, die über die individuelle Umwandlung
hinausgeht, von einer neuen Erde und einem neuen Himmel, einer Stadt Gottes,
einer Herabkunft des Göttlichen auf die Erde, einer Herrschaft der spirituell
Vollkommenen, von einem Königreich Gottes nicht nur in unserem Innern, sondern
auch außen im kollektiven menschlichen Leben. Wie obskur auch einige der Formen
gewesen sein mögen, die dieses Streben angenommen hat, so ist doch der in ihnen
enthaltene Hinweis unmißverständlich, daß das verborgene spirituelle Wesen im
Innern danach drängt, in die Erden-Natur hervorzutreten.
Ist aber eine spirituelle Entfaltung auf der Erde die
verborgene Wahrheit unserer Geburt in die Materie und gibt es grundsätzlich eine
Entwicklung von Bewußtsein, die in der Natur stattgefunden hat, dann kann der
Mensch so, wie er jetzt ist, nicht die letzte Form dieser Entwicklung sein: Er
ist ein zu unvollkommener Ausdruck des Geistes; das Mental selbst ist eine zu
begrenzte Gestaltung und Instrumentation. Mental ist nur ein Mittelbegriff von
Bewußtsein. Das mentale Wesen kann nur ein Übergangswesen sein. Wenn also der
Mensch unfähig sein sollte, über die Mentalität hinauszukommen, müßte die
Entwicklung über ihn hinausgehen; das Supramental und der Übermensch müßten sich
selbst manifestieren und die Führung der Schöpfung übernehmen. Ist aber das
Mental dazu fähig, sich für das zu öffnen, was es überragt, dann ist nicht
einzusehen, warum nicht der Mensch selbst zum
Supramental und zum übermenschlichen Wesen gelangen sollte. Zumindest kann er
seine Mentalität, sein Leben und seinen Körper der Entwicklung dieser höheren
Form des Geistes zur Verfügung stellen, der sich in der Natur offenbart.
Kapitel XXIV. Die Entwicklung des spirituellen Menschen
Genauso wie die Menschen zu Mir kommen, so nehme Ich sie an. Es ist mein Pfad, dem die Menschen von allen Seiten folgen . . . Welche Form der Anbetende auch wählt, um gläubig zu verehren, ich bestärke in ihm den Glauben an sie, und mit diesem Glauben legt er sein Sehnen in seine Anbetung und empfängt er von mir die Erfüllung seines Verlangens. Begrenzt ist aber diese Frucht. Jene Verehrenden, deren Opfer den Göttern, den Elementargeistern dargebracht wird, kommen zu den Göttern, den Elementargeistern. Jene aber, deren Opfer Mir dargebracht wird, sie gelangen zu Mir.
Gita, IV. 11; VII. 21-23.
In diesen gibt es nicht das tiefe Erstaunen und die Macht. Die verborgenen Wahrheiten existieren nicht für den Verstand der Unwissenden.
Rig Veda, VII. 61.5.
Wie ein Seher, der die verborgenen Wahrheiten und ihre Entdeckungen des Wissens herausarbeitet, brachte er die sieben Werkleute des Himmels ins Dasein. Im Licht des Tages sprachen sie und erwirkten die Dinge ihrer Weisheit.
Rig Veda, IV. 16. 3.
Seher-Weisheiten, geheime Worte, die dem Seher ihre Bedeutung verraten.
Rig Veda, IV. 3.16.
Niemand weiß um ihre Geburt. Sie wissen nur die Art ihrer Erzeugung voneinander: Aber der Weise nimmt diese verborgenen Mysterien wahr, gerade das, was die Große Göttin, die vielfarbene Mutter, als die Brust ihres Wissens trägt.
Rig Veda, VII. 56.2,4.
Zur Gewißheit wurde ihnen, die geläutert sind in ihrem Wesen, die Bedeutung des höchsten spirituellen Wissens.
Mundaka Upanishad, III. 2.6.
Er ringt mit diesen Mitteln und besitzt das Wissen: In ihm tritt dieser Geist ein in seinen höchsten Zustand... Zufrieden im Wissen haben sie, die Weisen, ihr spirituelles Wesen aufgebaut in Einung mit dem spirituellen Selbst. Sie erlangen den Allgegenwärtigen überall und gehen ein in das All.
Mundaka Upanishad, III. 2.4,5.
Auf den frühesten
Stufen der evolutionären Natur stehen wir vor dem dumpfen Geheimnis ihrer
Unbewußtheit. Nichts offenbart hier einen Sinn oder eine Absicht in ihren
Werken. Es gibt keine Andeutung irgendwelcher anderen Prinzipien des Seienden
als jene erste Formulierung, mit der sie sich unmittelbar und ausschließlich
befaßt und die auch für immer ihre einzige Beschäftigung zu sein scheint: Denn
in ihrem ursprünglichen Wirken tritt allein Materie in Erscheinung, die einzige
dumpfe, gewaltige kosmische Wirklichkeit. Hätte es einen Zeugen der Schöpfung
gegeben, der bewußt aber uneingeweiht war, er hätte nur beobachtet, wie aus
einem unermeßlichen Abgrund scheinbaren Nicht-Seins eine Energie auftauchte, die
sich mit der Erschaffung von Materie befaßte, mit einer materiellen Welt und
materiellen Gegenständen. Sie ordnete die Unendlichkeit des Unbewußten in den
Plan eines grenzenlosen Universums, in ein System zahlloser Welten ein, die sich
rings um ihn ohne ein gewisses Ende, ohne Begrenzung im Raum ausdehnten.
Unermüdlich erschuf sie Nebel oder Haufen von Sternen, Sonnen und Planeten. Sie
existierte für sich allein, ohne Sinn, leer von Ursache und Absicht. Ihm wäre
das Ganze als ein gewaltiger nutzloser Mechanismus erschienen, als mächtige
bedeutungslose Bewegung, als Schauspiel von Äonen ohne Zeugen, als kosmisches
Gebäude ohne Bewohner. Denn er hätte kein Anzeichen eines innewohnenden Geistes
gesehen, kein Wesen, zu dessen Freude das erschaffen wurde. Eine Schöpfung
dieser Art konnte nur das Ergebnis einer unbewußten Energie sein; oder ein
Lichtspieltheater der Illusionen, ein Schattenspiel, ein Puppenspiel von
Gestalten, die von einem überbewußten indifferenten Absoluten reflektiert
werden. Er hätte keinen Beweis für das Dasein einer Seele, keine Andeutung von
Mental oder Leben in dieser unermeßlichen, unbegrenzbaren Entfaltung von Materie
gesehen. Es wäre ihm als unmöglich oder unvorstellbar erschienen, daß in dieses
wüste, für immer unbelebte, empfindungslose Weltall wimmelndes Leben
hervorbrechen würde, eine erste Schwingung von etwas Okkultem und
Unberechenbarem, das lebendig und bewußt ist, eine geheime spirituelle
Wesenheit, die sich ihren Weg an die Oberfläche ertastet.
Hätte er aber einige Äonen später wieder einmal auf
dieses sinnlose Panorama geschaut, er könnte dann zumindest in einer kleinen
Ecke des Universums dieses Phänomen entdeckt haben, einen Fleck, wo die Materie
zubereitet, ihre Entwicklung genügend gesichert, organisiert, stabilisiert und als Schauplatz für eine neue Entwicklung hergerichtet
war: die Erscheinung lebender Materie, Leben in den Dingen, das hervortrat und
sichtbar wurde. Trotzdem hätte der Beobachter noch nichts davon verstanden, denn
die evolutionäre Natur verhüllt noch ihr Geheimnis. Er würde eine Natur gesehen
haben, die nur damit befaßt war, diesen Ausbruch von Leben, diese neue Schöpfung
gesichert zu erhalten. Das Leben schien aber ohne Bedeutung in sich, nur für
sich selbst zu leben, – eine Schöpfermacht, die nach Laune und in
unerschöpflicher Fülle damit beschäftigt ist, den Samen ihrer neuen Kraft
auszustreuen und in einem schönen, verschwenderischen Überfluß eine Menge ihrer
Formen gesichert zu erhalten oder später Gattung und Art aus reiner Freude am
Erschaffen endlos zu vermehren: als ob ein kleiner Tupfen lebensvoller Farbe und
Bewegung in die ungeheuere kosmische Wüste gespritzt worden wäre, sonst nichts.
Der Beobachter hätte sich nicht vorstellen können, daß ein denkendes Mental auf
dieser winzigen Insel von Leben erscheinen würde, ein Bewußtsein im Unbewußten
erwachen könnte; eine neue intensive subtile Schwingung an die Oberfläche kommen
und das Dasein des in der Tiefe versunkenen Geistes deutlicher verraten würde.
Er hätte zuerst den Eindruck gewonnen, das Leben sei zunächst nur irgendwie
seiner selbst gewahr geworden, und das sei alles. Denn dieses kärgliche
neugeborene Mental schien nur ein Diener des Lebens zu sein, eine Erfindung, um
dem Leben leben zu helfen, ein Mechanismus zu seiner Erhaltung, eine Waffe zum
Angriff und zur Verteidigung, eine Unterstützung für bestimmte Bedürfnisse und
vitale Befriedigungen, ein Helfer, um Lebens-Instinkt und Lebens-Implus
freizusetzen. Ihm konnte es gar nicht als möglich erscheinen, daß in diesem
kleinen Leben, das so unauffällig inmitten der Unermeßlichkeiten vegetierte, in
einer einzigen Art aus einer winzigen Menge ein mentales Wesen hervortreten
würde: ein Mental, das zwar noch dem Leben dient, das aber auch das Leben und
die Materie zu seinen Dienern macht, das sie verwendet zur Erfüllung seiner
eigenen Ideen, seines Willens, seiner Wünsche; ein mentales Wesen, das
Gebrauchsgegenstände, Werkzeuge und Instrumente aller Art aus der Materie
erschaffen würde, um sie für vielerlei nützliche Zwecke zu verwenden; das aus
ihr Städte, Häuser, Tempel, Theater, Laboratorien, Fabriken errichten würde; das
Statuen aus ihr meißelt, Höhlenkathedralen heraushaut, Architektur, Skulptur,
Malerei, Dichtung und Hunderte von Handwerken und Künsten
erfindet; das die Mathematik und Physik des Universums und das
verborgene Geheimnis seiner Struktur entdeckt; das um des Mentals willen und für
seine Interessen, für das Denken und für das Wissen lebt; das sich in den
Denker, den Philosophen, den Wissenschaftler entwickelt und das in erhabener
Verachtung der Herrschaft der Materie in sich die verborgene Gottheit erweckt
und zum Abenteurer wird, der nach dem Unsichtbaren jagt, zum Mystiker, zum
spirituell Suchenden.
Wenn aber der Beobachter nach mehreren Zeitaltern oder
Zyklen wieder zugeschaut und dieses Wunder in seinem vollen Ablauf gesehen
hätte, würde er vielleicht auch dann den Vorgang noch nicht verstanden haben, da
er durch seine ursprüngliche Erfahrung, allein die Materie sei im Universum
wirklich, im Dunkeln gehalten wird. Es würde ihm immer noch als unmöglich
vorkommen, daß der verborgene Geist hervortritt und in seinem Bewußtsein ganz
auf der Erde wohnt als der, der sein Selbst und die Welt erkennt und die Natur
beherrscht und besitzt. Er würde sagen: “Unmöglich! Was da alles vor sich ging,
ist nicht viel; ein wenig Pulsieren der sensitiven grauen Gehirnmasse; eine
verrückte Laune in einem bißchen unbelebter Materie, das sich auf einem kleinen
Fleck im Universum bewegt.” Dagegen würde ein neuer Beobachter, der am Ende der
Geschichte hinzukommt, der von den vergangenen Entwicklungen unterrichtet und
unvoreingenommen ist durch die Täuschungen des Anfangs, ausrufen: “Das also war
das beabsichtigte Wunder, das letzte von vielen, – der Geist, der in die
Unbewußtheit untergetaucht war, ist aus ihr hervorgebrochen und bewohnt jetzt
unverhüllt die Form der Dinge, die er, verhüllt, zu seinem Wohnsitz und zum
Schauplatz seines Hervortretens erschaffen hatte.” In der Tat könnte ein noch
bewußterer Beobachter schon zu einem früheren Zeitpunkt der Entfaltung, gar bei
jedem Schritt ihres Verlaufes, den Schlüssel zur Lösung entdeckt haben. Denn auf
jeder Stufe nimmt das stumme Geheimnis der Natur, auch wenn es immer noch da
ist, ab. Es wird ein Hinweis auf den nächstfolgenden Schritt gegeben; eine
offenkundigere bedeutsame Vorbereitung wird sichtbar. Schon in dem, was im Leben
unbewußt zu sein scheint, kommen Anzeichen eines Empfindens an die Oberfläche
und werden sichtbar. Im Leben, das sich bewegt und atmet, ist das Hervortreten
eines sensitiven Mentals erkennbar. Die Vorbereitung für ein denkendes Mental
ist nicht völlig verborgen. Schon während der Entwicklung des denkenden Mentals
erscheinen dort auf einer frühen Stufe die Äußerungen eines primitiven Ringens und später eines entwickelten Suchens nach
spirituellem Bewußtsein. Wie das Pflanzenleben in sich die dunkle Möglichkeit
des bewußten Tiers enthält, wie sich im Tier-Mental die Regungen von Gefühl und
Wahrnehmung und die primitiven Begriffe andeuten, die die erste Grundlage für
den Menschen, den Denker, bilden, so wird der Mensch, das mentale Wesen, durch
das Bemühen der evolutionären Energie so verfeinert, daß sich aus ihm der
spirituelle Mensch, das völlig bewußte Wesen entwickeln kann. Das ist der
Mensch, der über sein erstes materielles Selbst hinausgekommen ist, der
Entdecker seines wahren Selbsts und seiner höchsten Natur.
Nimmt man dies als die Absicht in der Natur an, so
erheben sich sofort zwei Fragen, die eine endgültige Antwort verlangen: erstens
nach der genauen Art, wie sich der Übergang vom mentalen zum spirituellen Wesen
vollzieht; zweitens, sobald dies geklärt ist, nach Hergang und Methode der
Entwicklung des spirituellen aus dem mentalen Menschen. Auf den ersten Blick
könnte es als evident erscheinen, daß jede Stufe nicht nur aus der ihr
vorausgehenden, sondern in dieser hervortritt. So taucht Leben in der Materie
auf und wird in seinem Selbst-Ausdruck weithin durch seine materiellen
Bedingungen begrenzt und bestimmt. So tritt Mental in einem Leben-in-der-Materie
auf und wird ähnlich in seinem Selbst-Ausdruck durch die vitalen und materiellen
Bedingungen begrenzt und bestimmt. Ebenso müsse in einem im Leben-in-der-Materie
verkörperten Mental Geist auftauchen und weithin durch die mentalen Bedingungen
begrenzt und bestimmt sein, in denen er, wie dieses die vitalen und materiellen
Bedingungen seines Daseins hier, seine Wurzeln hat. Man könnte sogar behaupten,
die spirituelle Evolution in uns sei, wenn es eine solche Evolution in uns
gegeben hat, nichts als ein Teil der mentalen Evolution, eine besondere Funktion
der menschlichen Mentalität. Das spirituelle Element sei keine besonders
ausgezeichnete oder getrennte Wesenheit und könne kein unabhängiges
Hervortreten, keine supramentale Zukunft haben. Das mentale Wesen könne ein
spirituelles Interesse oder eine besondere Vorliebe dafür entfalten und als
Folge davon ebensogut eine spirituelle wie eine intellektuelle Mentalität
entwickeln, eine wundersame Seelen-Blüte seines mentalen Lebens. Das Spirituelle
könne in manchen Menschen ebenso zu einer vorherrschenden Neigung Werden, wie es
in anderen eine vorherrschende künstlerische oder pragmatische Neigung gebe. So
etwas wie ein spirituelles Wesen, das die
mentale Natur in die spirituelle empornehme und in sie verwandle, könne es
jedoch nicht geben. Möglich sei lediglich die Entwicklung eines neuen und
möglicherweise feineren und selteneren Elements im mentalen Wesen. Das ist es
also, was man nun deutlich herausstellen muß: den Unterschied zwischen dem
Spirituellen und dem Mentalen, die Art dieser Entwicklung und die Faktoren, die
sie ermöglichen und so unvermeidlich machen, daß es zu diesem Hervortreten des
Geistes in seinem wahren, besonderen Charakter kommen muß, so daß er nicht mehr,
wie er es jetzt großenteils in seinem Wirken ist oder in seiner Art des
Sichtbarwerdens zu sein scheint, eine untergeordnete oder vorherrschende
Gestaltung unserer Mentalität ist, sondern sich als eine neue Macht erweist, die
schließlich die mentale Seite überhöhen und statt ihrer der Lenker des Lebens
und der Natur wird.
Es ist wohl wahr, oberflächlicher Betrachtung scheint
Leben nur ein Produkt der Aktivität von Materie, das Mental ein solches von
Leben zu sein. Daraus könnte folgen, was wir Seele oder Geist nennen, sei nur
eine Macht der Mentalität, Seele eine feinere Form von Mentalität, Spiritualität
eine höhere Aktivität des verkörperten mentalen Wesens. Das ist aber eine
oberflächliche Betrachtung der Dinge, dadurch verursacht, daß sich das Denken
auf die äußere Erscheinung und den Ablauf der Vorgänge konzentriert und nicht
auf das schaut, was hinter den Vorgängen steht. Im gleichen Sinn könnte man
ebensogut zu dem Schluß kommen, Elektrizität sei nur Produkt oder Wirkform von
Wasser und Wolkenmaterie, weil aus solch einem Kräftefeld ein Blitz entsteht.
Eingehendere Untersuchung hat uns aber das Gegenteil gezeigt, daß beides, Wolke
und Wasser, die elektrische Energie zur Grundlage, als die sie konstituierende
Macht oder Energie-Substanz haben: Was Ergebnis zu sein scheint, ist – in
Wirklichkeit, wenn auch nicht seiner Form nach – Ursprung. Die Wirkung geht in
der Essenz der scheinbaren Ursache, das Prinzip der hervorgetretenen Aktivität
seinem gegenwärtigen Wirkungsfeld voraus. So ist es durchweg in der
evolutionären Natur. Die Materie hätte nicht belebt werden können, wäre nicht
das Lebens-Prinzip dagewesen, die Materie zu konstituieren und als das Phänomen
eines Lebens-in-der-Materie hervorzutreten. Leben-in-Materie hätte nicht
anfangen können, zu fühlen, wahrzunehmen, zu denken, Vernunft zu entfalten,
hätte nicht das Mental-Prinzip hinter Leben und Substanz gestanden und diese als
sein Betätigungsfeld konstituiert, um im
Phänomen eines denkenden Lebens und Körpers hervorzutreten. So ist auch die im
Mental in Erscheinung tretende Spiritualität der Hinweis auf eine Macht, die
selbst Leben, Mental und Körper begründet und aufgebaut hat und jetzt als
spirituelles Wesen in einem lebenden und denkenden Körper hervortritt. Wie weit
dieses Hervortreten gehen wird, ob es vorherrschend wird und sein Instrument
transformiert, ist eine spätere Frage. Notwendig ist aber, daß wir in erster
Linie feststellen: Das Sein des Geistes ist etwas anderes als das Mental und
größer als dieses. Spiritualität ist etwas anderes als Mentalität. Das
spirituelle Wesen ist deshalb etwas vom mentalen Wesen Unterschiedenes: Geist
tritt als etwas Endgültiges in der Evolution hervor, weil er das ursprüngliche
Element und Bewirkende der Involution ist. Evolution ist eine umgekehrte Aktion
der Involution. Was in der Involution Unterstufe und zuletzt abgeleitet ist, muß
in der Evolution als erstes sichtbar werden. Was in der Involution das
Ursprüngliche und Grundprinzip ist, tritt in der Evolution als Letztes und
Höchstes hervor.
Ferner gilt, daß es für das Mental des Menschen
schwierig ist, die Seele oder das Selbst oder sonst ein spirituelles Element in
ihm von der mentalen und vitalen Gestaltung, in der sie erscheinen, scharf zu
unterscheiden. Das trifft aber nur so lange zu, als das Hervortreten noch nicht
vollständig ist. Im Tier ist das Mental noch nicht scharf getrennt von seiner
eigenen Lebens-Prägung und -Materie. Seine Regungen sind so sehr den
Lebens-Bewegungen involviert, daß es sich noch nicht von ihnen loslösen, noch
nicht von ihnen getrennt dastehen und sie beobachten kann. Im Menschen ist aber
das Mental gesondert worden. Er kann seine mentalen Vorgänge als etwas erkennen,
das von seinen Lebens-Vorgängen unterschieden ist. Sein Denken und sein Wille
können sich von seinen Empfindungen und Impulsen, Begehren und
Gefühls-Reaktionen lösen. Sie können diesen selbständig gegenüberstehen, sie
beobachten und beherrschen, ihre Funktion bestätigen oder aufheben. Er kennt
aber die Geheimnisse seines eigenen Wesens noch nicht gut genug, um entscheidend
und gewiß seiner selbst als eines mentalen Wesens in Leben und Körper inne zu
werden. Er hat aber einen Eindruck davon und kann innerlich diese Position
einnehmen. So erscheint auch zuerst die Seele im Menschen nicht als etwas vom
Mental und mentalisierten Leben völlig Verschiedenes. Ihre Bewegungen sind den
Mental-Bewegungen involviert, ihre Wirkweisen
scheinen mentale und emotionale Aktivitäten zu sein. Das mentale menschliche
Wesen ist sich einer Seele in seinem Innern nicht bewußt, die hinter Mental,
Leben und Körper zurücktritt, sich von ihnen loslöst, ihr Wirken und ihre
Gestaltung sieht, kontrolliert und formt. Das ist aber in dem Maß, wie die
innere Entwicklung fortschreitet, genau das, was geschehen kann, muß und auch
wirklich geschieht. Es ist der lange hinausgezögerte, jedoch unausweichliche
nächste Schritt in unserer evolutionären Bestimmung. Es kann zu einem
entscheidenden Hervortreten kommen, in dem sich das Wesen vom Denken trennt und
sich in einem inneren Schweigen als der Geist im Mental schaut. Oder es sondert
sich ab von den Lebens-Bewegungen, vom Begehren, den Sensationen, kraftvollen
Impulsen und gewahrt sich als den Geist, der das Leben unterstützt. Ober es
trennt sich vom Körper-Sinn und erkennt sich als Geist, der die Materie beseelt:
So entdecken wir uns selbst als den purusha, als ein mentales Wesen, als
eine Lebens-Seele oder als ein subtiles Selbst, das den Körper trägt und erhält.
Viele Menschen halten das für eine ausreichende Entdeckung des wahren Selbsts.
In gewissem Sinn haben sie auch recht. Denn das ist das Selbst oder der Geist,
das sich so im Blick auf die Aktivitäten der Natur selbständig darstellt. Diese
Offenbarung seiner Gegenwart reicht aus, das spirituelle Element von ihnen
abzulösen. Aber die Entdeckung des Selbsts kann noch weitergehen. Sie kann sogar
jede Beziehung zu Form und Aktivität der Natur beiseite stellen. Denn man kann
diese Selbste als Repräsentanten einer göttlichen Wesenheit erkennen, der
gegenüber Mental, Leben und Körper nur Formen und Instrumente sind. Dann sind
wir die Seele, die die Natur betrachtet, alle ihre dynamischen Wirkungen in uns
erkennt, und zwar nicht durch mentale Wahrnehmung und Beobachtung, sondern durch
ein inneres Bewußtsein, dessen unmittelbares Empfinden der Dinge und
selbständige, genaue innere Schau, So wird die Seele durch ihr Hervortreten
fähig, alle Macht über unsere Natur auszuüben und sie zu verändern. Wenn im
Wesen völliges Schweigen herrscht, entweder die Stille des ganzen Wesens oder
die Stille hinter ihm, die unbeeinträchtigt bleibt von den Bewegungen der
Außenseite, können wir eines Selbsts gewahr werden, einer spirituellen Substanz
unseres Wesens, eines Seins, das umfassender ist als die Seelen-Individualität.
Es breitet sich in die Universalität aus, geht über alle Abhängigkeit von
jeglicher natürlichen Form oder Aktivität hinaus und
weitet
sich nach oben hin in eine Transzendenz, deren Grenzen nicht erkennbar sind.
Diese Befreiungen der spirituellen Seite in uns sind der entscheidende Schritt
der spirituellen Entwicklung in der Natur.
Erst durch diese entscheidenden Bewegungen wird der
wahre Charakter der Evolution deutlich erkennbar. Denn bis dahin gab es nur
vorbereitende Vorgänge, einen Druck der psychischen Wesenheit auf Mental, Leben
und Körper, um dadurch ein wahres Seelen-Wirken zu entfalten, ein Drängen des
Geistes oder des Selbsts zur Befreiung vom Ich, von der vordergründigen
Unwissenheit, eine Hinwendung des Mentals und Lebens zu einer noch verborgenen
Wirklichkeit, -vorläufige Erfahrungen, partielle Formulierungen eines
spiritualisierten Mentals, eines spiritualisierten Lebens, aber noch keine
vollständige Umwandlung und keine Wahrscheinlichkeit, daß sich die Seele oder
das Selbst ganz enthüllen oder daß eine grundsätzliche Umwandlung der Natur
eintritt. Sobald es zu einem entscheidenden Hervortreten der Seele kommt, ist
das Zeichen dafür ein uns innewohnendes Bewußtsein, das in seinem passiven
Zustand oder aktiven Wirken etwas Ursprüngliches und aus sich selbst Seiendes
ist. Es erkennt sich allein durch die Tatsache seines Wesens. Auf dieselbe Weise
erkennt es durch Identität mit sich alles, was in ihm selbst ist. Es sieht auch
immer mehr all das, was unserem Mental außerhalb zu sein scheint, auf dieselbe
Weise durch eine Bewegung von Identität oder durch ein innerlich unmittelbares
Bewußtsein, das den Gegenstand umhüllt, ihn durchdringt und in ihn eingeht. Es
entdeckt sich selbst im Gegenstand und wird in ihm einer Wirklichkeit bewußt,
die nicht Mental, Leben oder Körper ist. Es gibt also offensichtlich ein
spirituelles Bewußtsein, das etwas anderes ist als das mentale. Es bezeugt das
Vorhandensein eines spirituellen Wesens in uns, das anders ist als unsere
vordergründige Personalität. Zuerst mag sich dieses Bewußtsein aber auf einen
Zustand des Wesens beschränken, der losgelöst ist von der Aktivität unserer
unwissenden vordergründigen Natur. Es beobachtet sie, beschränkt sich auf das
Erkennen und die Betrachtung der Dinge mit einem spirituellen Sinn und einer
Schau ihres Seins. Für sein Wirken kann es immer noch von den mentalen, vitalen
und physischen Instrumenten abhängen oder ihnen erlauben, im Einklang mit ihrer
Natur zu wirken, sich selbst aber mit der Erfahrung des Selbsts, dem Erkennen
des Selbsts, einer inneren Befreiung und letztlich einer vollen Freiheit
begnügen. Es kann aber auch – und gewöhnlich tut es das
– eine gewisse Autorität auf Denken, Lebens-Bewegung und körperliches Wirken
ausüben, sie lenken und beeinflussen. Eine Kontrolle mag sie läutern, emporheben
und dadurch veranlassen, sich einer höheren und reineren Wahrheit ihres Selbsts
zuzuwenden, dieser zu gehorchen oder Instrumentation dafür zu sein, daß eine
mehr göttliche Macht oder eine erleuchtete Lenkung Einfluß gewinnt, die nicht
mental sondern spirituell ist und daran erkannt werden kann, daß sie einen
gewissen göttlichen Charakter trägt, – die Inspiration eines größeren Selbsts
oder das Gebot des Herrschers über allem Seienden, des ishvara. Die Natur
mag ebenfalls den Anregungen seitens der psychischen Wesenheit gehorchen, in
innerer Erleuchtung fortschreiten und einer inneren Lenkung folgen. Das bedeutet
schon eine beträchtliche Entwicklung und kommt zumindest auf den Anfang einer
psychischen und spirituellen Transformation heraus. Es ist aber möglich, noch
weiter zu gehen. Denn wenn das spirituelle Wesen sich einmal im Innern
freigemacht hat, kann es im Mental die höheren Zustandsformen des Wesens
entfalten, die seine eigene natürliche Atmosphäre sind. Es kann eine
supramentale Energie und Aktivität herabbringen, die dem Wahrheits-Bewußtsein
eigen sind. Dann könnten die gewöhnlichen Instrumentationen des Mentals, des
Lebens und sogar des Körpers völlig transformiert und zu Teilen unseres Wesens
werden, die nicht länger der wenn auch einigermaßen erleuchteten Unwissenheit
angehören, sondern einer supramentalen Schöpfung, die das wahre Wirken des
spirituellen Wahrheits-Bewußtseins und Wissens wäre.
Am Anfang leuchtet diese Wahrheit des Geistes und der
Spiritualität dem Mental noch nicht von selbst ein. Der Mensch wird mental
seiner Seele inne als etwas, das anders ist als sein Körper, höher als sein
normales Mental und Leben. Aber er hat von ihr noch kein klares Empfinden, er
fühlt nur einige ihrer Einwirkungen auf seine Natur. Da diese Einwirkungen aber
Mental- und Lebens-Form annehmen, wird die Trennungslinie nicht eindeutig und
scharf gezogen. Die Wahrnehmung der Seele gewinnt noch keine unterscheidbare und
gesicherte Unabhängigkeit. Ganz allgemein hält man irrtümlicherweise einen
Komplex von Teil-Wirkungen des psychischen Drucks auf die mentalen und vitalen
Schichten, ein Gebilde, das mit mentalem Bestreben und vitalem Begehren
vermischt ist, für die Seele. Genauso wird das separative Ich für das Selbst
gehalten, obwohl das Selbst in seinem wahren Wesen
sowohl allumfassend wie individuell ist. Und ebenso wird eine Mischung von
mentalem Bestreben und vitaler Begeisterung, die noch durch eine feste, erhabene
Überzeugung, Selbsthingabe oder altruistischen Eifer hochgetrieben werden, mit
Spiritualität verwechselt. Aber diese Unklarheiten und Verwirrungen sind als
vorübergehende Stufe der Evolution unvermeidlich. Weil Unwissenheit ihr
Ausgangspunkt ist und unsere anfängliche Natur prägt, muß die Entwicklung
notwendig mit unvollkommener intuitiver Wahrnehmung und instinktivem Drang oder
Suchen anfangen, ohne daß wir schon Erfahrung oder klares Wissen erworben
hätten. Unvermeidlich müssen gerade jene Formen, die die ersten Auswirkungen der
Wahrnehmung der spirituellen Entwicklung oder ihres Drängens, ihre ersten
Anzeichen sind, von solch unvollkommener oder tastender Art sein. Aber der so
entstehende Irrtum wirkt sich als starkes Hindernis für das rechte Verstehen
aus. Darum muß mit Nachdruck hervorgehoben werden: Spiritualität ist nicht hohe
Intellektualität, nicht ein Idealismus oder eine ethische Wendung des Mentals,
auch keine moralische Reinheit und Sittenstrenge; sie ist weder Religiosität
noch feuriger Enthusiasmus oder übertriebene Glut der Gefühle und nicht einmal
alle diese ausgezeichneten Dinge zusammen. Eine mentale Überzeugung, ein Dogma
oder Glaubensbekenntnis, ein hohes emotionales Streben, eine Ordnung des
Verhaltens nach einer religiösen oder ethischen Formel – das alles ist noch
keine Errungenschaft oder Erfahrung des Geistes. Für Mental und Leben sind diese
Dinge von hohem Wert. Als vorbereitende Bewegungen, die der Natur des Menschen
zu Disziplin und Reinheit oder zu einer rechten Gestaltung verhelfen, sind sie
für die spirituelle Entwicklung als solche wertvoll. Sie gehören aber noch der
mentalen Entwicklung an; spirituelle Verwirklichung, Erfahrung und Umwandlung
hat damit noch nicht angefangen. Ihrem Wesen nach ist Spiritualität ein Erwachen
zur inneren Wirklichkeit unseres Wesens, zu Geist, Seele, dem Selbst der Seele,
zu etwas, das anders ist als unser Mental, Leben und Körper. Es ist das innere
Streben, Jenes zu erkennen, zu fühlen und zu sein, in Kontakt mit der höheren
Wirklichkeit zu kommen, die jenseits von uns ist, das Universum durchdringt,
aber auch unser eigenes Wesen bewohnt, mit Ihm in Kommunion zu kommen und in
Einung mit Ihm zu sein, unser ganzes Leben hinzuwenden, umzuwandeln, zu
transformieren als Ergebnis dieses Strebens, dieses Kontakts und der Einung. Es
ist ein
Emporwachsen oder Erwachen zu einem
neuen Werden oder neuen Wesen, einem neuen Selbst und einer neuen Natur.
Tatsächlich muß die schöpferische Bewußtseins-Kraft in unserem Erdendasein eine doppelte Entwicklung in einem fast gleichzeitigen Prozeß vorwärtstreiben, wobei sie allerdings dem niedrigen Element besondere Priorität und größeren Nachdruck verleiht. Es gibt einerseits die Entwicklung unserer äußeren Natur, der Natur des mentalen Wesens in Leben und Körper. Und es gibt andererseits die Entwicklung im inneren Wesen, in unserer verborgenen subliminalen und spirituellen Natur, die nach Selbst-Offenbarung drängt, da diese Offenbarung mit dem Hervortreten des Mentals möglich wird, wenigstens ihre Vorbereitung und sogar ihr Anfang. Notwendigerweise muß aber noch für lange Zeit die größere Sorge der Natur darauf gerichtet sein, das Mental bis zur größtmöglichen Weite, Höhe und Feinheit zu entwickeln. Denn nur so kann die Enthüllung einer völlig intuitiven Intelligenz, des Übermentals, des Supramentals und der schwierige Übergang zu einer höheren Instrumentation des Geistes vorbereitet werden. Wäre es die einzige Absicht der Natur, die wesenhafte spirituelle Wirklichkeit zu offenbaren und unser Wesen in ihrem reinen Sein aufhören zu lassen, hätte dieses Drängen auf die Entwicklung des Mentals keinen Zweck. Denn der Geist kann an jedem Punkt aus der Natur wieder ausbrechen, unser Wesen von ihm absorbiert werden. Intensives Erglühen des Herzens, völliges Schweigen des Mentals, eine einzige alles verzehrende Leidenschaft des Willens würden ausreichen, um diese alles überhöhende Bewegung zustande zu bringen. Wäre die endgültige Absicht der Natur auf eine andere Welt gerichtet, würde dasselbe Gesetz wirksam. Denn überall und an jedem Punkt der Natur kann der Drang zu einer anderen Welt hin stark genug sein, um durchzubrechen, das Wirken auf der Erde zu verlassen und in eine andere spirituelle Welt einzugehen. Ist es aber ihre Absicht, das Seiende in umfassender Weise umzuwandeln, dann ist diese doppelte Entwicklung verständlich und rechtfertigt sich selbst. Denn für dieses Ziel ist sie unentbehrlich.
Das zwingt aber zu einem schwierigen und langsamen
spirituellen Fortschritt. Erstens muß das Hervortreten des Geistes bei jedem
Schritt darauf warten, daß die Instrumente zubereitet sind. Wenn dann eine
spirituelle Gestaltung auftaucht, ist sie unentwirrbar mit den Mächten,
Beweggründen und Antrieben eines unvollkommenen Mentals,
Lebens und Körpers vermischt. Ein herabziehender Zwang wird auf sie ausgeübt,
diesen Mächten, Beweggründen und Antrieben zu dienen. Eine Schwerkraft zieht sie
nach unten. Gefährliche Vermischung, ständige Versuchung bedroht sie, zu fallen
oder abzuweichen; zumindest sind das für sie Fesseln, eine schwere Bürde,
Verzögerung. Da wird es notwendig, auf eine schon vorher errungene Stufe
zurückzukehren, um etwas von der Natur heraufzuholen, das zurückblieb und
weiteren Fortschritt verhindert. Schließlich werden gerade durch die Eigenart
des Mentals, in dem Licht und Macht des Geistes zu wirken haben, diese bei ihrem
Auftauchen begrenzt und gezwungen, in Teilbereichen voranzukommen, erst der
einen, dann einer anderen Richtung zu folgen und die Vollendung in ihrer
Ganzheit entweder zu unterlassen oder auf später zu verschieben. Diese Hemmung,
dieser Widerstand von Mental, Leben und Körper, die verworrenen Leidenschaften
der Sinne des Lebens, die verdunkelnden und zweifelnden Ungewißheiten,
Verneinungen und Gegenformulierungen des Mentals, – das alles ist eine so große
und unerträgliche Behinderung, daß der spirituelle Antrieb die Geduld verliert
und diese Gegner mit aller Macht zu unterdrücken sucht. Er verleugnet das Leben,
tötet den Körper ab, bringt das Mental zum Schweigen und sucht seine eigene
Erlösung für sich allein zu erlangen. Sein Geist geht weiter in den reinen Geist
und wirft die ungöttliche und verdunkelte Natur völlig ab. Neben der hohen
Berufung, dem natürlichen Drängen des spirituellen Teils in uns, zu seinem
eigenen höchsten Element und Zustand zurückzukehren, ist diese Ansicht, die
vitale und physische Natur sei hinderlich für reine Spiritualität, ein
zwingender Grund für das Asketentum, für die Überzeugung, die Welt sei eine
Illusion, für das Streben nach einer anderen Welt, für das Drängen auf Abkehr
vom Leben und das leidenschaftliche Verlangen nach einem reinen und
unvermischten Absoluten. Der reine spirituelle Absolutismus ist eine Bewegung
des Selbsts zu seinem eigenen höchsten Selbst-Sein. Er ist aber auch für den
eigentlichen Zweck der Natur unentbehrlich. Denn ohne ihn würden die Vermischung
und die nach unten ziehende Schwerkraft das Hervortreten des Geistes unmöglich
machen. Der extreme Vertreter dieses Absolutismus, der Einsiedler, der Asket,
ist der Bannerträger des Geistes. Sein ockerfarbenes Gewand ist seine Flagge,
das Zeichen für die Absage an jeglichen Kompromiß, – wie ja tatsächlich das
Ringen um das Hervortreten des Geistes nicht durch
einen
Kompromiß beendet werden kann, sondern nur durch einen vollständigen
spirituellen Sieg und durch die bedingungslose Unterwerfung der niederen Natur.
Sei das hier unmöglich, dann müsse der Sieg eben irgendwoanders errungen werden.
Weigere sich die Natur, sich dem hervortretenden Geist unterzuordnen, dann müsse
die Seele sich aus ihr zurückziehen. So gibt es also beim Hervortreten des
Geistes diese zweifache Tendenz: einerseits den Drang, das spirituelle
Bewußtsein um jeden Preis im Wesen, sogar bis zur Verwerfung der Natur,
durchzusetzen, andererseits die Absicht der Spiritualität, sich auf alle Seiten
unserer Natur auszudehnen. Aber solange das erste noch nicht völlig erreicht
ist, kann das zweite nur unvollkommen und zögernd geschehen. Eine feste
Grundlage für das reine spirituelle Bewußtsein zu schaffen, ist das erste Ziel
in der Entwicklung des spirituellen Menschen. Dieses und das Drängen dieses
Bewußtseins, mit der Wirklichkeit, dem Selbst oder dem Göttlichen Wesen
unmittelbar in Berührung zu kommen, muß das wichtigste, bis es vollkommen
erreicht ist, sogar das einzige Anliegen des spirituellen Suchers sein. Das ist
das eine, was not tut und was von jedem Menschen in der ihm möglichen Weise und
entsprechend der in seiner Natur liegenden spirituellen Begabung getan werden
muß.
Der Weg, der bisher von der Evolution des spirituellen
Wesens durchlaufen wurde, muß von zwei Seiten her gesehen werden. Wir müssen die
von der Natur verwendeten Mittel, die Linien der Entwicklung und die von ihr
tatsächlich erreichten Erfolge im einzelnen Menschen betrachten. Bei ihrem
Versuch, das innere Wesen zu öffnen, hat die Natur vier Grundlinien verfolgt:
Religion, Okkultismus, spirituelles Denken und eine innere spirituelle
Realisation und Erfahrung. Die drei ersten sind Zugangswege; der letzte Weg
führt unmittelbar ins Innere Alle vier Mächte sind gleichzeitig aktiv geworden,
sie waren mehr oder weniger miteinander verbunden. Manchmal wirkten sie auf
verschiedene Weise zusammen. Ab und zu lagen sie miteinander im Streit. Auch
wirkten sie voneinander getrennt und unabhängig. Die Religion hat in ihrem
Ritual, Zeremoniell und den Sakramenten ein okkultes Element zugelassen. Sie hat
sich auf spirituelles Denken gestützt und aus diesem manchmal ein
Glaubensbekenntnis oder eine Theologie, manchmal die sie tragende spirituelle
Philosophie abgeleitet, – das erste ist gewöhnlich ihre Methode im Westen, das
letzte diejenige im Osten gewesen. Aber spirituelle Erfahrung ist ihr
endgültiges Ziel und die höchste Vollendung der
Religion, ihr Himmel und ihre erhabene Höhe. Die Religion hat aber auch manchmal
den Okkultismus gebannt oder ihr eigenes okkultes Element auf ein Minimum
beschränkt. Sie hat das philosophische Denken als einen trockenen,
intellektuellen Fremdling mißachtet und sich mit all ihrem Gewicht auf
Glaubenslehre und Dogma, auf pietistische Gefühlsglut und auf moralisches
Verhalten gestützt. Spirituelle Erkenntnis und Erfahrung hat sie auf ein
Mindestmaß begrenzt oder ganz darauf verzichtet. Der Okkultismus hat manchmal
das Spirituelle als sein Ziel herausgestellt und okkultes Wissen und okkulte
Erfahrung als Zugang dazu benutzt und eine Art mystischer Philosophie
formuliert. Häufiger hat er sich jedoch auf okkultes Wissen und Praktizieren
ohne jeden spirituellen Ausblick beschränkt. Er hat sich der Zauberei oder
reinen Magie zugewandt und ist sogar in Teufelskult abgeirrt. Spirituelle
Philosophie hat sich sehr oft an Religion als ihre Stütze und ihren
Erfahrungsweg angelehnt. Sie war das Ergebnis von Erkenntnis und Erfahrung oder
hat ihr Lehrgebäude als einen Zugang dazu aufgebaut. Sie hat aber auch alle
Hilfe – oder alle Behinderung – von Seiten der Religion abgelehnt und ist ihren
Weg aus eigener Kraft vorwärtsgegangen, wobei sie entweder mit mentaler
Erkenntnis zufrieden war oder darauf vertraute, ihren eigenen Weg der Erfahrung
und wirksamen Erziehung zu entdecken. Die spirituelle Erfahrung hat alle drei
Mittel zu ihrem Ausgangspunkt verwendet, hat sich aber auch ihrer aller
entledigt und allein auf ihre eigene reine Kraft verlassen: Sie hat okkulte
Erkenntnis und Mächte als gefährliche Verführungen, als Hindernisse und
Fallstricke zurückgewiesen und nach der einen Wahrheit des Geistes gesucht. Sie
hat auf die Philosophie verzichtet und kam statt dessen durch die Glut des
Herzens oder eine mystische innere Spiritualisierung an ihr Ziel. Sie ließ jede
religiöse Glaubenslehre, Gottesverehrung und religiöse Praxis hinter sich,
betrachtete sie als untergeordnete Stufe oder ersten Zugang. Sie ist darüber
hinausgegangen, hat auf all diese Hilfsmittel verzichtet und ist, dieses äußeren
Schmucks entkleidet, zur reinen unmittelbaren Berührung mit der spirituellen
Wirklichkeit gekommen. Alle diese verschiedenen Wege waren notwendig. Die Natur
hat im evolutionären Bemühen mit ihnen allen experimentiert, damit sie ihren
richtigen und ganzen Weg zum höchsten Bewußtsein und integralen Wesen findet.
Denn jede dieser
Methoden oder Zugangswege entspricht einer bestimmten Seite unseres ganzen
Wesens und darum auch einer Notwendigkeit zur Verwirklichung des vollständigen
Ziels der Evolution der Natur. Vier Dinge sind für die Selbst-Ausweitung des
Menschen notwendig, wenn er nicht das kleine und halb-kompetente Geschöpf der
kosmischen Kraft bleiben will, das er jetzt in seiner äußerlich sichtbaren Art
ist, das in seiner vordergründigen Unwissenheit in obskurer Weise nach der
Wahrheit der Dinge sucht, das nur Bruchstücke und Ausschnitte des Wissens
sammelt und systematisiert. Er muß sich selbst erkennen und alle in ihm
veranlagten potentiellen Fähigkeiten entdecken und verwenden. Um aber sich und
die Welt vollständig zu erkennen, muß er hinter sein Eigenes und dessen Äußeres
zurücktreten, tief unter seine mentale Oberfläche und die physische Außenseite
der Natur dringen. Das kann er nur durch volle Erkenntnis seines mentalen,
vitalen, physischen und psychischen Wesens, seiner Mächte und Abläufe und der
allgemein gültigen Gesetze und Prozesse des verborgenen Mentals und Lebens, die
hinter der materiellen Vorderseite des Universums stehen. Das ist das Feld des
Okkultismus, wenn wir das Wort in seiner weitesten Bedeutung nehmen. Er muß so
auch die verborgene Macht oder die Mächte kennenlernen, die die Welt
beherrschen: Wenn es ein kosmisches Selbst, einen Geist oder Schöpfer gibt, muß
der Mensch fähig sein, mit dieser Macht oder dieser Person in Beziehung zu
treten und in jedem möglichen Kontakt, jeder Kommunion mit Ihm bleiben können.
Er muß zu einer Art von Harmonie gelangen mit den Meister-Wesen des Universums
oder mit dem Allumfassenden Wesen und seinem allumfassenden Willen oder mit
einem Höchsten Wesen und Seinem erhabenen Willen. Er soll dem Gesetz folgen, das
Es ihm gibt, dem ihm zubemessenen oder offenbarten Ziel seines Lebens und
Verhaltens. Er soll sich zu den höchsten Höhen dessen emporheben, das Es von ihm
in seinem jetzigen Leben oder in seiner Existenz danach verlangt. Gibt es aber
keinen solchen universalen oder erhabenen Geist, kein solches Wesen, dann muß er
wissen, was es eigentlich gibt und wie er sich aus seiner gegenwärtigen
Unvollkommenheit und Ohnmacht dorthin emporschwingen kann. Zu diesem Ziel führt
der Weg der Religion: Ihre Absicht ist, das menschliche Wesen mit dem Göttlichen
Wesen zu verknüpfen und dadurch Denken, Leben und Fleisch so zu verfeinern, daß
sie die Herrschaft der
Seele und des Geistes
anerkennen. Dieses Erkennen muß aber mehr sein als eine Glaubenslehre oder eine
mystische Offenbarung. Das denkende Mental des Menschen soll fähig sein, das
Wissen mit dem Prinzip der Dinge und mit der beobachteten Wahrheit des
Universums in Beziehung zu setzen: das ist das Werk der Philosophie. Im Bereich
der Wahrheit des Geistes kann das nur von einer spirituellen Philosophie
geleistet werden, sei sie in ihrer Methode intellektuell oder intuitiv. Alle
Erkenntnis und alles Mühen darum kann aber nur dann Frucht tragen, wenn sie in
Erfahrung umgewandelt wird und zu einem Teil des Bewußtseins und zu seinen
gesicherten Wirkweisen geworden ist. Im spirituellen Bereich muß sich
schließlich all dieses religiöse, okkulte oder philosophische Erkennen und
Ringen, wenn es Frucht tragen soll, für das spirituelle Bewußtsein öffnen, für
Erfahrungen, die dieses Bewußtsein begründen, ständig erhöhen, ausweiten und
bereichern und die ein Leben und Wirken aufbauen, das in Übereinstimmung mit der
Wahrheit des Geistes steht. Das ist das Werk spiritueller Erkenntnis und
Erfahrung.
Naturgemäß muß jede Evolution zuerst durch langsame
Entfaltung vorwärtsgehen. Denn jedes neue Prinzip, das seine Mächte zur
Entwicklung bringt, muß seinen Weg aus einer Involution in die Unbewußtheit und
Unwissenheit herausfinden. Es hat die schwierige Aufgabe, sich aus der
Involution herauszureißen, aus dem festen Griff der Verfinsterung durch das
ursprüngliche Medium, gegen das Herabziehen und Zurückzerren, die instinktive
Opposition und den Widerstand der Unbewußtheit und die behindernde Vermischung
und blinden starrsinnigen Verzögerungen durch die Unwissenheit. Die Natur bejaht
zuerst ein vages Drängen und eine Tendenz, die ein Zeichen dafür ist, daß die
okkulte, subliminale, versunkene Wirklichkeit nach außen drängt. Da gibt es
kleine, halb-unterdrückte Andeutungen dessen, was sein soll, unvollkommene
Anfänge, primitive Elemente, rudimentäre Erscheinungen, winzige, unbedeutende,
kaum erkennbare Wirkungsquanten. Danach erscheinen kleine oder große
Gestaltungen. Eine eher charakteristische und leichter erkennbare Qualität zeigt
sich immer mehr, zuerst partiell, hier und dort, in geringer Intensität, dann
lebendiger und gestaltungskräftiger. Schließlich kommt es zu einem
entscheidenden Hervortreten, zu einer Umkehr des Bewußtseins, zum Anfang der
Möglichkeit einer radikalen Umwandlung. Es muß aber noch in jeder Hinsicht viel
getan werden. Ein langes und schwieriges Wachsen
zur Vollkommenheit steht dem evolutionären Bemühen bevor. Nicht nur muß alles
bisher Geleistete bestätigt und gegen Rückfall und die nach unten ziehende
Schwerkraft, gegen Versagen und Vernichtung abgesichert werden. Das Bewußtsein
muß auch in allen Bereichen seiner Möglichkeiten aufgeschlossen werden für die
Vollständigkeit all dessen, was der Mensch erreichen kann, für die höchste Höhe,
die Feinheit, die Reichtümer und für seine Weite. Es soll alles beherrschen,
alles umfassen und alles einbeziehen. Überall geht die Natur auf dieselbe Weise
vor. Wenn wir das mißachten, verfehlen wir die Absicht in ihrem Wirken und gehen
selbst im Irrgarten ihrer Verfahrensweisen verloren.
Dieser Prozeß hat in der Entwicklung der Religion im
menschlichen Mental und Bewußtsein stattgefunden. Was sie für die Menschheit
geleistet hat, kann nur verstanden und recht gewürdigt werden, wenn wir die
Bedingungen des Entwicklungsprozesses und ihre Notwendigkeit nicht übersehen.
Offensichtlich müssen die ersten Anfänge der Religion primitiv und unvollkommen
gewesen sein. Ihre Entwicklung wurde durch Beimischungen, Irrtümer,
Zugeständnisse an das menschliche Mental und die vitale Seite behindert, die oft
von nicht-spiritueller Art gewesen sein mögen. Da können sich dann unwissende,
schädliche, ja, verhängnisvolle Elemente einschleichen, die zu Irrtum und bösen
Folgen führen. In den religiösen Bereich dringen leicht negative Elemente
dergestalt ein, daß sie die Religion ihres höheren spirituellen Ziels und wahren
Charakters berauben: der Dogmatismus des menschlichen Mentals, seine
selbstherrliche Enge, seine Intoleranz und sein herausfordernder Egoismus, seine
Gebundenheit an begrenzte Wahrheiten und seine noch größere Neigung zu seinen
Irrtümern, oder die Gewalttätigkeit, der Fanatismus, die militante,
unterdrückende Selbst-Behauptung des Vitals, dessen heimtückisches Einwirken auf
das Mental, um dessen Zustimmung zu den eigenen Begierden und Gelüsten zu
erhalten. Hinter dem Namen der Religion mag sich viel Unwissenheit verbergen. Es
mögen viele Irrtümer und auch der Aufbau von ausgedehnten falschen Institutionen
zugelassen worden sein. Selbst viele Verbrechen und Vergehen gegen den Geist
sind vorgekommen. Aber diese verworrene Geschichte gehört zu jedem menschlichen
Bemühen. Wenn man das gegen die Wahrheit und Notwendigkeit der Religion
aufrechnen wollte, müßte man es auch der Wahrheit und Notwendigkeit jeder
anderen Form des Ringens der Menschheit
ankreiden, gegen alles Wirken des Menschen, gegen seine Ideale, sein Denken,
seine Kunst, seine Wissenschaft. Die Religion hat selbst ihre Ablehnung dadurch
herausgefordert, daß sie den Anspruch erhob, sie könne durch eine göttliche
Autorität, durch Inspiration, sakrosankte, unfehlbare Souveränität, die ihr von
oben verliehen sei, über die Wahrheit entscheiden. Sie suchte sich dem
menschlichen Denken, Fühlen und Verhalten aufzuzwingen, ohne Widerspruch oder
Fragen zu erlauben. Das ist ein übertriebener und unreifer Anspruch. Er wurde
der religiösen Idee irgendwie durch den zwingenden, absoluten Charakter der
Inspirationen und Erleuchtungen aufgenötigt, die ihr Garant und ihre
Rechtfertigung sind. Dazu kam die Notwendigkeit des Glaubens als eines
verborgenen Lichtes und einer von der Seele ausgehenden Macht inmitten von
Unwissenheit, Zweifel, Schwäche und Ungewißheit des Mentals. Glaube ist etwas
dem Menschen Unentbehrliches. Ohne ihn könnte er auf seinem Lebensweg durch das
Unbekannte nicht vorwärtskommen. Der Glaube sollte aber nicht aufgezwungen
werden, sondern als freie Erkenntnis oder gebietende Lenkung aus dem inneren
Geist kommen. Ein Anspruch darauf, ohne Widerspruch angenommen zu werden, wäre
nur dann gerechtfertigt, wenn das spirituelle Bemühen des Menschen schon so weit
gediehen ist, daß er ins höchste, totale und integrale Wahrheits-Bewußtsein
gelangt ist, das frei ist von aller unwissenden mentalen und vitalen
Beimischung. Dieses höchste Ziel liegt aber noch vor uns; es ist noch nicht
erreicht worden. Jener voreilige Anspruch hat das wahre Wirken des religiösen
Grundgefühls im Menschen verdunkelt, das ihn zur Göttlichen Wirklichkeit
hinführen und all das ausdrücken soll, was er in dieser Richtung bisher erlangt
hat. Es soll jedem menschlichen Wesen die Prägeform für eine spirituelle
Disziplin geben, für einen Weg, wie er die göttliche Wahrheit suchen, berühren
und sich ihr nahen kann, eine Methode, die den Entfaltungsmöglichkeiten seiner
Natur entspricht.
Man kann die umgreifende und anpassungsfähige Methode
der evolutionären Natur, die die umfassendste Weite vorsieht und doch die wahre
Absicht des religiösen Suchens des menschlichen Wesens bewahrt, an der
Entwicklung der Religion in Indien beobachteten, wo jede Menge religiöser
Ausdrucksformen, Kulte und Disziplinen erlaubt war, jene sogar ermutigt wurden,
Seite an Seite zu leben. Jeder Mensch war frei, das anzunehmen und zu befolgen,
was seinem Denken, Fühlen, Temperament und
seiner natürlichen Art zuinnerst entsprach. Es ist richtig und vernünftig, daß
es diese Formbarkeit gab, die einer experimentellen Entwicklung zukommt. Denn
die eigentliche Aufgabe der Religion ist es, Mental, Leben und körperliche
Existenz des Menschen darauf vorzubereiten, das spirituelle Bewußtsein in sich
aufzunehmen. Sie muß ihn bis zu dem Punkt führen, wo das innere spirituelle
Licht vollkommen hervorzutreten beginnt. An diesem Wendepunkt muß die Religion
lernen, sich unterzuordnen. Sie darf nun nicht mehr auf ihren äußeren
Eigentümlichkeiten beharren. Vielmehr muß sie dem inneren Geist die volle
Freiheit geben, seine eigene Wahrheit und Wirklichkeit zu entfalten. Inzwischen
soll sie so viel von der Mentalität, Vitalität und Körperlichkeit des Menschen
in sich aufnehmen, wie sie kann, um all seinen Betätigungen eine Wendung in die
spirituelle Richtung zu geben, zur Offenbarung einer spirituellen Bedeutung in
ihnen, zur Prägung durch spirituelle Verfeinerung, zum Anfang eines spirituellen
Charakters. Bei diesem Versuch treten die Irrtümer der Religion auf. Sie werden
durch das Wesen der Materie verursacht, mit der sie es zu tun hat. Dieser
minderwertigere Stoff dringt gerade in jene Formen ein, die als Vermittler
zwischen dem spirituellen und dem mentalen bzw. vitalen oder physischen
Bewußtsein dienen sollen, und drückt diese oft herab, entwürdigt und verdirbt
sie. Aber gerade in diesem Bemühen erweist sich die Religion als äußerst
nützlich, als eine Mittlerin zwischen Geist und Natur. In der menschlichen
Evolution leben immer Wahrheit und Irrtum nahe beieinander. Man darf die
Wahrheit nicht deshalb zurückweisen, weil sie Irrtümer im Gefolge hat. Wohl aber
müssen diese ausgemerzt werden. Das ist oft eine schwierige Sache; sie führt,
wenn sie nur grob geleistet wird, zu chirurgischem Schaden, der dem Körper der
Religion zugefügt wird. Was wir als Irrtum ansehen, ist häufig Symbol,
Verkleidung, eine verdorbene oder mißgestaltete Form einer Wahrheit, die bei
dieser brutal-radikalen Operation verloren ging, – die Wahrheit wird zusammen
mit dem Irrtum herausgeschnitten. Oft erlaubt die Natur, daß der gute Weizen für
lange Zeit zusammen mit nutzlosen Unkräutern wächst, weil nur so ihr eigenes
Wachstum und die freie Entwicklung möglich ist.
Die evolutionäre Natur erweckt den Menschen zuerst zu
einem primitiven spirituellen Bewußtsein. Am Anfang ist das ein vages Empfinden
für das das physische Wesen umgebende Unendliche und Unsichtbare; ein Sinn für Begrenzung; Ohnmacht des menschlichen Mentals und
Willens; eine Ahnung von etwas, das größer als er selbst und in der Welt
verborgen ist; das Gefühl für wohltätige und bösartige mächtige Wesenheiten, die
auf die Ergebnisse seines Handelns maßgebend wirken; die Gewißheit, daß eine
Macht hinter der von ihm bewohnten physischen Welt steht, die vielleicht diese
und ihn erschaffen hat; oder auch Mächte, die die Bewegungen der Welt gestalten
und beherrschen, während sie selbst vielleicht von dem höheren Unbekannten
beherrscht werden, das jenseits von ihnen existiert. Der Mensch mußte die Art
dieser Mächte bestimmen und Mittel finden, mit ihnen in Kommunikation zu treten,
sie günstig stimmen oder um Hilfe bitten. Außerdem suchte er nach Mitteln, um
die Triebkräfte der verborgenen Bewegungen der Natur aufzufinden und zu
beherrschen. Das konnte er nicht sogleich mit seiner Vernunft leisten, da diese
anfangs nur mit physischen Tatsachen umgehen konnte. Jenes war aber der Bereich
des Unsichtbaren und erforderte supraphysische Schau und Erkenntnis. Er mußte
sie durch Ausweitung der Fähigkeit zu Intuition und Instinkt erreichen, die
bereits im Tier vorhanden waren. Diese im denkenden Wesen ausgeweitete
mentalisierte Fähigkeit muß im frühen Menschen sinnenhafter und stärker gewesen
sein, wenn auch noch zumeist auf einer niederen Stufe, da er sich für alle
notwendigen ersten Entdeckungen weithin auf sie verlassen mußte. Er mußte aber
auch auf die Hilfe einer subliminalen Erfahrung vertrauen. Denn auch das
Subliminale muß bei ihm aktiver, eher bereit, zum Vorschein zu kommen, und
fähiger gewesen sein, seine Anlagen an der Außenseite zu gestalten, bevor er
lernte, sich allein auf seinen Intellekt und seine Sinne zu verlassen. Die so
durch den Kontakt mit der Natur empfangenen Intuitionen systematisierte sein
Mental, womit es die frühen Formen der Religion schuf. Diese ihm aktiv zur
Verfügung stehende Macht der Religion gab ihm auch das Empfinden, daß
supraphysische Kräfte hinter den physischen stehen. Sein Instinkt und eine
gewisse subliminale oder übernormale Erfahrung von supraphysischen Wesen, mit
denen er in Verbindung stehen konnte, veranlaßten ihn dann, wirksame Mittel zu
entdecken und zu kanalisieren, um dieses Wissen kraftvoll zu verwenden. So
wurden Magie und andere frühe Formen von Okkultismus geschaffen. Irgendwann muß
es ihm auch gedämmert haben, er besitze etwas Nicht-Körperliches in seinem
Innern, eine Seele, die den Körper überlebt. Gewisse übernormale
Erfahrungen, die wegen des Dranges, das Unsichtbare zu erkennen, aktiv
wurden, müssen ihm dazu verholfen haben, seine ersten primitiven Vorstellungen
von dieser Wesenheit in seinem Innern auszudrücken. Erst später begann er dann,
einzusehen, daß das, was er im Wirken des Universums wahrgenommen hatte, in
einer gewissen Form auch in seinem Innern existierte und daß auch in ihm
Elemente waren, die auf unsichtbare Mächte und Kräfte zum Guten oder Bösen
reagierten. Auf diese Weise haben wohl seine religiös-ethischen Vorstellungen
und seine Möglichkeiten zu einer spirituellen Erfahrung angefangen. So ist die
frühe, zuerst sehr oberflächliche und veräußerlichte Stufe menschlicher Religion
ein Gemisch von primitiven Intuitionen, okkultem Ritual, religiös-sozialer
Ethik, mystischer Erkenntnis oder Erfahrung, die im Mythus symbolisiert wurde;
ihr Sinn wurde aber durch eine geheime Einweihung und Disziplin bewahrt. Anfangs
waren diese Elemente zweifellos primitiv, unbedeutend und mangelhaft. Doch
gewannen sie Tiefe und Weite und gediehen in einigen Kulturen zu großer Fülle
und Bedeutung.
Als die Entwicklung von Mental und Leben zunahm – denn
darauf ist die Sorge der Natur im Menschen zu allererst gerichtet, und sie
zögert nicht, das auf Kosten anderer Elemente, die erst später gefördert werden
müssen, vorwärtszutreiben –, zeigte sich eine Tendenz zur Intellektualisierung.
Die ursprünglich notwendigen intuitiven, instinktiven und subliminalen Bildungen
werden nun von Strukturen überlagert, die durch die wachsende Kraft von Vernunft
und mentaler Intelligenz aufgebaut werden. Sobald der Mensch die Geheimnisse und
Prozesse der physischen Natur entdeckt, entfernt er sich immer mehr von seiner
früheren Zuflucht zu Okkultismus und Magie. Die Gegenwart und der empfundene
Einfluß von Göttern und unsichtbaren Mächten tritt in dem Umfang zurück, in dem
immer mehr Phänomene durch natürliche Vorgänge und mechanische Prozesse der
Natur erklärt werden. Trotzdem fühlt er aber das Bedürfnis nach einem
spirituellen Element und nach den spirituellen Faktoren in seinem Leben. Darum
läßt er noch eine Zeitlang die beiden Betätigungen nebeneinander herlaufen. Aber
die okkulten Elemente der Religion verlieren ihre Bedeutung, wenn sie auch noch
als Anschauungen bewahrt oder in Riten und Mythen begraben werden. Sie nehmen
ab, und das intellektuelle Element wird stärker. Wo und wenn diese
intellektualisierende Tendenz dann zu stark wird, kommt es zuletzt dazu, daß man
alles ausmerzt außer der Konfession, der
Institution, der formellen Praxis und Ethik. Sogar das Element der spirituellen
Erfahrung schwindet dahin. Es gilt als ausreichend, sich nur auf Glauben,
emotionale Glut und moralisches Verhalten zu verlassen. Jene erste Verschmelzung
von Religion, Okkultismus und mystischer Erfahrung ist völlig aufgelöst. Es
bleibt nur die, keinesfalls universale oder vollständige, jedoch ausdrückliche,
sichtbare Tendenz übrig, daß jede dieser Mächte ihren eigenen Weg zu ihrem Ziel
in ihrem je eigenen Charakter verfolgt. Das letzte Ergebnis dieser Stufe ist
eine völlige Verneinung von Religion, Okkultismus und allem, was supraphysisch
ist. Übrig bleibt ein harter trockener Krampf des oberflächlichen Intellekts,
der mit Gewalt das ganze schützende Heim, die Zufluchtsstätten für die tieferen
Weiten unserer Art beseitigt. Doch hält die evolutionäre Natur immer noch ihre
letzten Ziele im mentalen Bewußtsein einiger weniger Menschen lebendig und
verwendet die höhere mentale Entwicklung des Menschen dazu, sie auf eine höhere
Ebene emporzuführen und zu vertiefen. Gerade zur heutigen Zeit können wir nach
einem Zeitalter von triumphierendem Intellektualismus und Materialismus
sichtbare Beweise für diesen Prozeß in der Natur erkennen. Er offenbart sich
immer mehr als Rückkehr zur inneren Selbst-Entdeckung, als inneres Suchen und
Denken, als ein neuer Versuch zu mystischer Erfahrung, als ein tastendes Suchen
nach dem inneren Selbst, als ein Wiedererwachen zu einem gewissen Empfinden für
die Wahrheit und Macht des Geistes. Des Menschen Suchen nach seinem Selbst, nach
seiner Seele und nach der tieferen Wahrheit in den Dingen strebt danach, ihre
verlorene Kraft wiederzubeleben und wiederherzustellen, den alten
Glaubensüberzeugungen frisches Leben einzuflößen, neue Glaubensrichtungen zu
begründen und unabhängige religiöse Sekten zu entfalten. Nachdem der Intellekt
bis nahe an die natürlichen Grenzen seiner Befähigung zur physischen Erforschung
kam, dort auf das Urgestein stieß und gefunden hat, daß seine Wissenschaft
nichts weiter erklärt als den äußeren Vorgang in der Natur, hat er nun, wenn
auch noch versuchsweise und zögernd, begonnen, den Blick seines Forschens auf
die tieferen Geheimnisse des Mentals und der Lebenskraft und auf den Bereich des
Okkulten zu richten, was er bisher a priori abgelehnt hatte. Nun will er
erfahren, was darin Wahres ist. Auch die Religion als solche hat ihre Macht zu
überleben bewiesen und geht durch eine Entwicklung hindurch, deren endgültiger
Sinn
noch im Dunkeln liegt. In dieser neuen
Phase des Mentals, die wir jetzt, wenn auch noch unbestimmt und zurückhaltend,
aufkommen sehen, können wir die Möglichkeit zu einem Drang der Natur zur
entscheidenden Wende und einen Fortschritt der spirituellen Entwicklung
entdecken. Die Religion, die auf ihrer ersten Stufe unterhalb der Rationalität
reich, aber in einer gewissen Verfinsterung war, hatte unter dem Übergewicht des
Intellekts die Richtung zu einem aufgeklärten aber öden rationalen
Zwischenbereich eingeschlagen. Sie muß schließlich der aufsteigenden Kurve des
menschlichen Mentals folgen und höher zu ihren Gipfeln emporsteigen, zu ihrem
wahren oder weitesten Bereich in der Sphäre eines überrationalen Bewußtseins und
Wissens.
Wenn wir auf die Vergangenheit schauen, können wir noch Beweise für diese Entwicklungs-Linie der Natur sehen, wenn auch die meisten ihrer frühen Stufen vor uns verborgen sind in den ungeschriebenen Seiten der Vorgeschichte. Man hat behauptet, Religion sei in ihren Anfängen nichts weiter gewesen als eine Masse von Animismus, Fetischismus, Magie, Totemismus, Tabus, Mythen und abergläubischen Symbolen mit dem Medizinmann als Priester und einem winzigen Überzug primitiver menschlicher Unwissenheit, später bestenfalls eine Form von Natur-Verehrung. Im primitiven Mental des Menschen könnte das wohl so gewesen sein, wenn wir auch den Vorbehalt hinzufügen müssen, daß hinter vielem von seinen Überzeugungen und Praktiken eine Wahrheit von niederer aber sehr wirksamer Art gestanden haben muß, die wir mit unserer höheren Entwicklung verloren haben. Der primitive Mensch lebt intensiv in einem niederen, engen Bereich seines Lebens-Wesens. Dieser entspricht auf der okkulten Ebene einer unsichtbaren Natur, die von ähnlichem Gepräge ist und deren okkulte Mächte durch Wissen und gewisse Methoden zur Wirksamkeit gerufen werden können, wozu die niederen vitalen Intuitionen und Instinkte eine Tür auftun mögen. Auf einer ersten Stufe religiöser Anschauung und Praxis könnte das in Formen ausgedrückt worden sein, die der Art ihres Charakters und ihrer Interessen nach noch roh und urtümlich, noch nicht spirituell waren. Ihr Hauptelement könnte darin bestanden haben, kleine Lebens-Mächte und Elementar-Wesen herbeizurufen, um das niedere Lebens-Begehren und ein primitives physisches Wohlergehen zu fördern.
Diese primitive Stufe
– falls sie das tatsächlich war und nicht in dem, was wir noch von ihr erkennen,
ein Abfall, ein Überbleibsel, ein Rückfall von einer höheren Erkenntnis, die zu
einem vorausgegangenen Zyklus der Zivilisation gehörte, oder auch der verlorene
Rest einer toten oder veralteten Kultur – kann aber nur ein Anfang gewesen sein.
Auf sie folgte, nach manchen Zwischenstufen, der fortgeschrittene Typus der
Religion, über den wir noch in der Literatur oder in Dokumenten der frühen
zivilisierten Völker Nachricht besitzen. Dieser Typus, der zusammengesetzt war
aus polytheistischen Anschauungen und Kultus, Kosmologie, Mythologie, einem
Komplex von Zeremonien, Praktiken, rituellen und ethischen Geboten, die manchmal
tief in das Gesellschafts-System verwoben waren, bildete gewöhnlich eine
nationale oder Stammes-Religion, die genau die von der Gemeinschaft erreichte
Entwicklungsstufe von Denken und Leben zum Ausdruck brachte. In der äußeren
Struktur vermissen wir noch eine Stütze von tieferer spiritueller Bedeutung.
Diese Lücke war bei den höheren, entwickelteren Kulturen von einem starken
Hintergrund okkulten Wissens und Praktizierens oder von sorgfältig gehüteten
Mysterien ausgefüllt, die ein erstes Element von spiritueller Weisheit und
Disziplin enthielten. Öfters begegnet uns der Okkultismus als Beifügung oder als
Überbau; er ist jedoch nicht immer vorhanden. Die Hauptfaktoren sind Verehrung
göttlicher Mächte, Opfer, oberflächliche Frömmigkeit und gesellschaftliche
Ethik. Eine spirituelle Philosophie oder Vorstellung vom Sinn des Lebens scheint
anfangs noch zu fehlen. Ihre Anfänge sind aber mitunter in den Mythen und
Mysterien enthalten und treten in ein oder zwei Fällen deutlich aus ihnen
hervor, um ein selbständiges Dasein zu gewinnen.
Möglicherweise war der Mystiker oder Initiator des
Okkultismus überall der Schöpfer der Religion und hat seine geheimen
Entdeckungen der Masse des menschlichen Mentals in der Form von Glaubenslehren,
Mythos und religiöser Praxis aufgeprägt. Immer ist es der Einzelne, der die
Intuitionen der Natur empfängt und den Schritt nach vorn unternimmt; dabei zieht
oder schleppt er dann den Rest der Menschheit hinter sich her. Selbst wenn wir
das Verdienst an dieser neuen Schöpfung dem unterbewußten Massen-Mental
zuschreiben, wurde doch stets das okkulte oder mystische Element in jedem
einzelnen Mental hervorgebracht. Es muß individuelle Menschen gefunden haben,
durch die es hervortreten konnte. Denn die Methode der Natur wirkt anfangs nicht durch die Erfahrung, die Entdeckung und deren Ausdruck durch die
Masse. Das Feuer wird an einem einzelnen oder an mehreren Funken entzündet und
verbreitet sich von Herd zu Herd, von Altar zu Altar. Die spirituelle Bemühung
und Erfahrung der Mystiker wurde aber gewöhnlich in geheimen Formeln fest unter
Verschluß gehalten und nur an einige wenige Eingeweihte weitergegeben. Den
übrigen wurde sie übermittelt, besser: aufbewahrt in einer Masse von
überlieferten religiösen Symbolen. Diese Symbole bildeten das innerste Herz der
Religion im Mental der frühen Menschheit.
Aus dieser zweiten Stufe trat eine dritte hervor, auf
der man versuchte, die verborgene spirituelle Erfahrung und Erkenntnis
freizusetzen und allen als eine Wahrheit zur Verfügung zu stellen, die sie
ansprechen sollte und allgemein zugänglich gemacht werden konnte. Die Tendenz
setzte sich durch, das spirituelle Element nicht nur zum eigentlichen Herzstück
der Religion, sondern es auch allen Gläubigen durch eine exoterische Lehre
zugänglich zu machen. Wie jede exoterische Schule ihr eigenes System von
Erkenntnis und Erziehung besaß, so sollte jetzt auch jede Religion ihr
Erkenntnissystem, ihre Glaubenslehre und ihre spirituelle Disziplin bekommen. In
diesen beiden Formen der spirituellen Entwicklung, der esoterischen und der
exoterischen, im Weg des Mystikers und im Weg des religiösen Menschen, erkennen
wir das doppelte Prinzip der evolutionären Natur, das Prinzip einer intensiven
und konzentrierten Evolution im kleinen Raum und das Prinzip von Ausdehnung und
Ausweitung, damit die neue Schöpfung in einem möglichst umfassenden Bereich
verallgemeinert werde. Die erste Bewegung ist konzentriert dynamisch und
wirkungsstark. Die zweite strebt nach Ausbreitung und wird statisch. Als Folge
dieser neuen Entwicklung wurde das zuerst sorgfältig von einigen wenigen als
kostbarer Schatz gehütete spirituelle Streben der Menschheit immer mehr
verallgemeinert. Es verlor aber dadurch an Reinheit, Höhe und Intensität. Die
Mystiker gründeten ihr Bemühen auf das Talent zu überrationaler Erkenntnis, die
intuitiv, inspiriert und offenbarend ist, und auf die Kraft des inneren Wesens,
in die okkulte Wahrheit und Erfahrung einzudringen: Ober diese Kräfte verfügt
aber nicht die Masse der Menschen, oder nur in primitiver, unentfalteter,
fragmentarisch anfänglicher Form, auf die man nichts mit Sicherheit aufbauen
konnte. Darum mußte für sie in dieser neuen Entwicklung die spirituelle Wahrheit
in die intellektuellen Formen von Dogma und Glaubenslehre, in gefühlsbetonte
Gottesdienste und in ein einfaches, aber
bedeutungsvolles Ritual gekleidet werden. Damit wurde zugleich der kraftvolle
spirituelle innere Gehalt vermischt, verdünnt und mit Fremdem verschmolzen,
immer mehr von den niederen Elementen des Mentals, des Lebens und der physischen
Natur durchdrungen und nachgeäfft. Gerade diese Vermischung, Verschmelzung und
Durchdringung mit Verfälschendem, diese Profanierung der Mysterien und den
Verlust ihrer Wahrheit und Bedeutung, wie auch den Mißbrauch der okkulten Macht,
der durch den Umgang mit den unsichtbaren Mächten eintritt, fürchteten die
frühen Mystiker besonders. Sie versuchten, dies durch Geheimhaltung, strenge
Disziplin und Beschränkung auf wenige Eingeweihte zu verhindern. Ein anderes
unerfreuliches Ergebnis, die gefährliche diffuse Ausbreitung und das daraus
erfolgende Eindringen von Fremdem führte dazu, daß die spirituelle Erkenntnis in
ein Dogma formalisiert und die lebendige Praxis in der toten Masse von Kultus,
Zeremoniell und Ritual materialisiert wurde, was im Laufe der Zeit den Geist
zwang, aus dem Körper der Religion auszuziehen. Man mußte aber dieses Risiko auf
sich nehmen, da die äußere Ausdehnung eine innere Notwendigkeit des spirituellen
Drängens der evolutionären Natur war.
So entstanden die Religionen, die sich meistens für
gewisse spirituelle Ziele auf Glaubenslehre und Ritual stützen. Wegen ihrer
Erfahrungswahrheit behalten sie aber doch die grundlegende innere Wirklichkeit,
die sie ursprünglich beseelte und so lange fortdauern wird, wie es Menschen
gibt, die sie weitertragen und erneuern, als Mittel bei, mit denen die vom
spirituellen Impuls Ergriffenen das Göttliche Wesen realisieren und den Geist
freisetzen können. Diese Entwicklung hat später zu einer Teilung in zwei
Richtungen geführt, die katholische und die protestantische. Erstere hat die
Tendenz, den ursprünglichen gestaltungsfähigen Charakter der Religion, ihre
Vielseitigkeit und Anziehungskraft zu bewahren, mit der sie sich an die ganze
Natur des menschlichen Wesens wendet. Letztere hat diese umfassende Weite
verworfen. Sie dringt darauf, sich allein auf den reinen Glauben, Gottesdienst
und Lebensführung zu verlassen, die so vereinfacht werden, daß sie rascher und
leichter den allgemeinen Menschenverstand, das Herz und den sittlichen Willen
ansprechen. Diese Wendung führte dazu, übertrieben zu rationalisieren, die
meisten der okkulten Elemente, die eine Kommunikation mit dem herstellen, was
unsichtbar ist, zu entwerten und zu verurteilen. Man verläßt sich auf das
vordergründige Mental als ausreichenden Förderer
des spirituellen Bemühens. Häufige Folge dessen ist eine gewisse Trockenheit,
Verengung und Verarmung des spirituellen Lebens. Hat aber der Intellekt so viel
bestritten und ausgemerzt, findet er auch Raum und Gelegenheit genug, noch mehr
zu verneinen, bis er alles bestreitet, die spirituelle Erfahrung leugnet und
Spiritualität zusammen mit der Religion verwirft. Da bleibt dann nur der
Intellekt als die einzig überlebende Macht. Ist aber der Intellekt des Geistes
entleert, kann er nur äußere Erkenntnis, Mechanisierung und Tüchtigkeit
anhäufen. Schließlich trocknen dabei auch die verborgenen Quellen der Vitalität
aus, und es tritt eine Dekadenz ein, die keine innere Kraft mehr hat, das Leben
zu retten oder neues Leben zu erschaffen. Dann gibt es keinen anderen Ausweg
mehr als Tod und Zerfall und einen neuen Anfang, der aus der alten Unwissenheit
herausführt.
Das evolutionäre Prinzip hätte bei seinem fortschrittlichen Drängen sehr wohl die ursprüngliche Ganzheit seiner Bewegung bewahren können, wenn es die weise antike Harmonie nicht zerstört, sondern zu einer größeren Synthese des Prinzips der Konzentration mit dem Prinzip der Verbreitung ausgeweitet hätte. In Indien hat es, wie wir gesehen haben, eine Fortdauer der ursprünglichen Intuition und eine umfassende Bewegung der evolutionären Natur gegeben. Denn hier hat sich die Religion nicht auf ein einziges Glaubensbekenntnis oder Dogma beschränkt. Hier hat sie nicht nur eine große Verschiedenheit von Ausdrucksformen zugelassen, sondern auch erfolgreich alle Elemente aufbewahrt, die im Laufe der Religionsgeschichte gewachsen sind. Sie vermied es, irgendeines zu bannen oder auszumerzen. Sie hat den Okkultismus bis zu seinen äußersten Grenzen entfaltet. Spirituelle Philosophie aller Art hat sie akzeptiert. Jede mögliche Linie spiritueller Erkenntnis, Erfahrung und Selbst-Disziplin hat sie bis zum höchsten, tiefsten und umfassendsten Ergebnis verfolgt. Ihre Methode war die der evolutionären Natur selbst, alle Entwicklungen, alle Mittel der Kommunikation und Einwirkung des Geistes auf die Träger, alle Arten der Kommunion zwischen dem Menschen und dem Höchsten oder Göttlichen Wesen zuzulassen. Sie hat jeden möglichen Weg beschritten, zum Ziel zu gelangen, und diesen bis zum letzten geprüft. Im Menschen befinden sich alle Stufen spiritueller Entwicklung. Jede muß anerkannt und mit Mitteln versorgt werden, um sich einen Zugang zum Geist zu verschaffen, der ihrer Möglichkeit, adhikara, entspricht.
Selbst die primitiven,
noch überlebenden Formen wurden nicht gebannt, sondern zu einer tieferen
Bedeutung emporgehoben, solange in ihnen noch ein Drang zu den höchsten
spirituellen Zinnen im reinen erhabenen Äther lebendig war. Sogar der
ausschließlich dogmatische Typus der Religion wurde nicht an sich
ausgeschlossen. Er wurde in der unendlichen Verschiedenartigkeit der allgemeinen
Ordnung zugelassen, sofern nur irgendeine Verwandtschaft mit dem generellen Ziel
und Prinzip ersichtlich war. Diese vielfältige Gestaltungskraft suchte aber ihre
Stütze in einem festgelegten religiös-gesellschaftlichen System, das dem Prinzip
huldigte, die menschliche Natur arbeite sich in Stufen empor, bis sie auf ihrer
Höhe einem hohen spirituellen Bemühen zugewandt sei. Diese gesellschaftliche
feste Ordnung, die vielleicht zu einer gewissen Zeit für die Reinheit des Lebens
notwendig war, jedoch nicht ebenso in ihrer festgelegten und abgesicherten Form
eine Grundlage für die spirituelle Freiheit, war einerseits eine erhaltende
Kraft, andererseits aber auch ein Hindernis für den ursprünglichen Geist
allumfassender Weite. Sie wurde zum Element übermäßiger Verhärtung und
Beschränkung. Eine festgelegte Grundordnung mag unerläßlich sein. Wenn sie aber
im Wesentlichen festgelegt ist, muß sie in ihren Formen gestaltungsfähig und zur
evolutionären Umwandlung geeignet sein. Sie muß zwar eine Ordnung, aber eine
solche sein, die weiterwächst.
Trotzdem war das Prinzip dieser großen, vielseitigen
religiösen und spirituellen Entwicklung gesund. Indem sie das Ganze des Lebens
und der menschlichen Natur in sich aufnahm, das Wachsen des Intellekts
ermutigte, dessen Freiheit nie Widerstand leistete oder Fesseln anlegte, ihn
vielmehr beim spirituellen Suchen zur Hilfe aufrief, verhinderte sie den
Konflikt und seine unberechtigte Vorherrschaft, die im Westen dazu führte, daß
das religiöse Grundgefühl unterdrückt wurde, austrocknete und in bloßen
Materialismus und Säkularismus absank. Eine Methode von solcher Formbarkeit und
universalen Art, die alle Glaubensbekenntnisse und Formen der Religion zuließ
und doch über sie hinausging und jede Art von religiösem Element gestattete,
kann zu zahlreichen Konsequenzen führen, gegen die der Vertreter einer reinen
Lehre seine Einwände erheben mag. Das großartige Ergebnis, das sie rechtfertigt,
ist ein beispielloser Reichtum und eine mehr als tausendjährige Fortdauer, eine
unerschütterliche Beharrlichkeit, Allgemeinheit, Universalität, Höhe, Feinheit
und vielseitige Weite spirituellen Erfolgs,
Suchens und Bemühens. Tatsächlich kann sich das umfassendere Ziel der Evolution
nur durch eine solche Toleranz und Anpassungsfähigkeit in aller Fülle
ausarbeiten. Der Einzelne erwartet von der Religion, daß sie ihm ein Zugangstor
zur spirituellen Erfahrung öffne oder ein Mittel biete, sich ihr zuwenden zu
können. Er will Kommunion mit Gott, ein endgültiges Licht der Führung auf seinem
Lebensweg, eine Verheißung für das Jenseits oder eine Garantie für eine
glücklichere Zukunft im Überirdischen. Diese Bedürfnisse können auf der engeren
Grundlage dogmatischer Religiosität und konfessionellen Kultus befriedigt
werden. Doch auch hier ist es die umfassendere Absicht der Natur, die
spirituelle Entwicklung im Menschen vorzubereiten und ihn in ein geistiges Wesen
zu verwandeln. Religion dient ihr als Mittel dazu, sein Bemühen und sein Ideal
in diese Richtung zu lenken und jedem einzelnen, der dazu bereit ist, einen
Schritt auf dem Wege zu diesem Ziel zu ermöglichen. Dieser Absicht dient sie
durch die bunte Verschiedenartigkeit der Kulte, die sie geschaffen hat, von
denen manche endgültig, standardisiert und festgelegt, andere eher formbar,
unterschiedlich und vielseitig sind. Eine Religion, die selbst eine
Verschmelzung von Religionen ist und zugleich jeden Menschen mit seiner eigenen
Richtung innerer Erfahrung versorgt, würde wohl am meisten zu diesem Zweck der
Natur passen. Sie wäre eine reiche Pflanzstätte für spirituelles Wachsen und
Aufblühen, eine außerordentlich vielförmige Schule für die Disziplin und das
Bemühen der Seele und für die Selbst-Verwirklichung. Welche Irrtümer auch die
Religion begangen haben mag, dies ist ihre Funktion und ihr großer,
unentbehrlicher Nutzen und Dienst, das zunehmende Licht der Führung auf unserem
Weg hochzuhalten, der durch die Unwissenheit des Mentals zum vollständigen
Bewußtsein des Geistes und zur Erkenntnis des Selbsts führt.
Seinem Wesen nach ist der Okkultismus des Menschen
Bemühen, zu einem Wissen von den geheimen Wahrheiten und Macht-Möglichkeiten der
Natur zu gelangen. Das soll ihn herausheben aus der Versklavung durch die
physischen Begrenzungen seines Wesens. Im besonderen ist er ein Versuch, die
geheimnisvolle, okkulte, nach außen hin noch unentwickelte unmittelbare Macht
des Mentals über das Leben und von Mental und Leben über die Materie zu besitzen
und auszuüben. Zugleich bemüht er sich, Kommunikation mit Welten und Wesenheiten
herzustellen, die zu den supraphysischen Höhen, Tiefen und Zwischenbereichen des
kosmischen Wesens gehören. Er will diese Kommunion dazu
benützen, eine höhere Wahrheit zu beherrschen. Sie soll den Menschen in seinem
Willen unterstützen, sich zum Souverän über Fähigkeiten und Kräfte der Natur zu
machen. Dieses menschliche Streben geht von der Überzeugung, Intuition oder
Ahnung aus, daß wir nicht nur Geschöpfe aus Ton sind, sondern Seele, Mental und
Wille, die die Mysterien dieser und jeder anderen Welt erkennen können, und
nicht nur Schüler der Natur sondern ihre Eingeweihten und Meister. Der Okkultist
suchte auch, das Geheimnis der physischen Dinge zu erforschen. Bei diesem
Bemühen förderte er die Astronomie, schuf er die Chemie und gab den anderen
Wissenschaften Anregungen, da er auch die Geometrie und die Wissenschaft der
Zahlen verwendete. Weit mehr richtete er aber sein Forschen auf die Erkenntnis
der Geheimnisse der Übernatur. In diesem Sinne könnte man den Okkultismus als
die Wissenschaft vom Übernatürlichen beschreiben. In Wirklichkeit ist er aber
nur die Entdeckung des Supraphysischen, das Überschreiten der materiellen
Begrenzung. Der Kern des Okkultismus ist nicht die unmögliche Einbildung, die
hofft, über alle Kraft der Natur hinauszugehen und die reine Phantasie und das
willkürliche Wunder allmächtig und wirksam machen zu können. Was uns als
übernatürlich erscheint, ist tatsächlich entweder ein spontanes Eindringen von
Phänomenen einer anderen Natur in die physische, oder es ist im Wirken der
Okkultisten ein Besitz von Wissen und Macht der höheren Ordnungen und Grade des
Wesens und der Energie des Kosmos. Sie wollen deren Kräfte und Prozesse
verwenden, um Wirkungen in der physischen Welt dadurch hervorzurufen, daß sie
Möglichkeiten einer Zwischenverbindung und Mittel für eine materielle Wirkung
verwenden. Es gibt Fähigkeiten von Mental und Lebenskraft, die von der Natur
nicht in die jetzige systematische Ordnung von Mental und Leben in der Materie
einbezogen sind. Sie sind aber potentiell vorhanden und können zu einer
Einwirkung auf materielle Dinge oder Ereignisse herangezogen oder sogar in die
gegenwärtige Systematisierung hineingebracht und ihr hinzugefügt werden, um die
Kontrolle des Mentals über unser eigenes Leben und unseren Körper auszuweiten
oder um auf Mental, Leben und Körper anderer Menschen und auf die Bewegungen der
kosmischen Kräfte einzuwirken. Der in neuerer Zeit anerkannte Hypnotismus ist
ein Beispiel für solch eine Entdeckung und eine wenn auch noch begrenzte, durch
seine Methode und Formel eingeschränkte, systematische Anwendung okkulter
Fähigkeiten, die uns sonst nur durch zufällige
oder
verborgene Einwirkung berühren und deren Vorgänge uns unbekannt sind oder nur
von einigen wenigen begriffen werden. Sind wir doch allezeit einem Beschuß von
Suggestionen, anregenden Einwirkungen auf unser Denken, unsere Antriebskräfte,
unseren Willen, unser Gefühl und Empfinden ausgesetzt, von Gedanken- und
Lebens-Wellen, die von anderen Menschen oder aus der universalen Energie in uns
eindringen, aber auf uns einwirken und Wirkungen hervorbringen, ohne daß wir es
wissen. Es gehört wohl zum Bereich des Okkultismus, daß wir uns systematisch
darum bemühen, diese Bewegungen, ihr Gesetz und ihre Möglichkeiten zu erforschen
und das Vermögen der Naturkraft, die hinter ihnen steht, zu beherrschen und zu
verwenden oder uns vor ihnen zu schützen. Von diesem Bereich wäre das aber nur
ein kleiner Teil. Denn umfassend und vielfältig sind die möglichen Gebiete,
Verwendungsarten und Entwicklungsprozesse dieses unermeßlichen Bereiches eines
noch wenig erforschten Wissens.
Als in der neueren Zeit die Physik ihre Entdeckungen
ausweitete und die verborgenen materiellen Kräfte der Natur in eine vom
menschlichen Wissen zu menschlicher Verwendung gelenkte Aktivität freisetzte,
zog sich der Okkultismus zurück und wurde schließlich mit der Begründung
beiseite geschoben, das Physische allein sei wirklich, Mental und Leben seien
nur Teilfunktionen der Materie. Auf dieser Grundlage und überzeugt, die
materielle Energie sei der Schlüssel zum Verständnis aller Dinge, hat die
Naturwissenschaft versucht, zu einer Beherrschung der mentalen und vitalen
Prozesse durch die Kenntnis der materiellen Instrumentation zu gelangen und so
die Vorgänge in unseren normalen und abnormen Funktionen und Wirkweisen von
Mental und Leben zu verstehen. Das Spirituelle wird dabei ignoriert, da es nur
eine Form von Mentalität sei. Nebenbei ist zu bemerken, daß dieses Bemühen, wenn
es Erfolg haben sollte, nicht ohne Gefahr für die Menschheit bliebe, wie jetzt
auch gewisse andere wissenschaftliche Entdeckungen mißbraucht oder stümperhaft
verwendet werden von einer Menschheit, die mental oder moralisch unvorbereitet
ist, mit so gewaltigen und gefährlichen Kräften umzugehen; denn es wäre eine
künstliche Führung, die ohne jedes Wissen um die geheimen Kräfte eingesetzt
wird, die unserem Dasein zugrunde liegen und es erhalten. Im Westen konnte der
Okkultismus deshalb so leicht beiseitegeschoben werden, weil er hier nie mündig
geworden, nie Reife erlangt, keine philosophische oder andere gesunde
systematische Begründung gefunden hat. Er hatte
sich hier zu unbedenklich in romantische Spekulationen in Bezug auf das
Übernatürliche eingelassen, den Fehler begangen, seine Hauptanstrengung auf die
Entdeckung von Formeln und wirksamen Methoden zur Verwendung übernormaler Mächte
zu konzentrieren. Er glitt in weiße und schwarze Magie ab oder entartete in
Romantik und Wundertätigkeit eines okkulten Mystizismus und in der Übertreibung
dessen, was nach allem schließlich nur ein begrenztes dürftiges Wissen war.
Diese Tendenzen und diese Ungesichertheit seiner mentalen Grundlage machte es
dem Okkultismus schwer, sich zu verteidigen. So war es leicht, ihn zu
diskreditieren und zu einem verwundbaren Ziel zu machen. In Ägypten und im Osten
fand diese Richtung der Erkenntnis mehr und umfassenderes Bemühen. Im
erstaunlichen System des Tantra ist diese größere Ausgereiftheit noch
intakt. Das war nicht nur eine vielseitige Wissenschaft vom Übernormalen,
sondern lieferte auch die Grundlage für alle okkulten Elemente der Religion und
entfaltete sogar ein großes und mächtiges System spiritueller Disziplin und
Selbst-Verwirklichung. Der höchste Okkultismus ist jener, der die geheimen
Regungen und kraftgeladenen übernormalen Möglichkeiten von Mental, Leben und
Geist entdeckt und sie in ihrer ursprünglichen Kraft oder durch ein
entsprechendes Verfahren zu größerer Wirkungskraft unseres mentalen, vitalen und
spirituellen Wesens verwendet.
In der populären Vorstellung wird Okkultismus mit Magie
und magischen Formeln sowie einem vermuteten Mechanismus des Übernatürlichen in
Verbindung gebracht. Das ist aber nur die eine Seite. Er ist auch kein
Aberglaube, wie das törichterweise von denen angenommen wird, die nicht tief
genug oder überhaupt nicht in diese verhüllte Seite der geheimen Natur-Kraft
geblickt oder mit ihren Möglichkeiten experimentiert haben. In der okkulten
Verwendung der mentalen oder vitalen Macht können Formeln und ihre Anwendung
sowie ein mechanischer Gebrauch der latenten Kraft eine erstaunliche Wirkung
hervorrufen, wie das auch in der Physik der Fall ist. Das ist aber nur eine
untergeordnete Methode und begrenzte Verwendung dieser Kräfte. Denn die mentalen
und vitalen Kräfte sind gestaltungsfähig, subtil und in ihrem Wirken
veränderlich. Sie besitzen nicht die Starrheit der Materie. Wenn man sie
erkennen will, erfordern sie eine feine und formbare Intuition. Dasselbe gilt,
wenn man ihr Wirken, ihr Verfahren interpretieren und anwenden will, selbst bei
der Interpretation und Verwendung ihrer
feststehenden Formeln. Legt man zu großes Gewicht auf die mechanische Verwendung
und starre Formulierung, ergibt sich daraus wahrscheinlich etwas Unfruchtbares,
eine formale Einschränkung der Erkenntnis, und auf der pragmatischen Seite viel
Irrtum, starre konventionelle Unwissenheit, Mißbrauch und Versagen. Jetzt, da
wir dem Aberglauben an die alleinige Wahrheit der Materie entwachsen sind,
schwingt das Pendel rückwärts zum alten Okkultismus mit neuen Formulierungen,
aber auch zu einer wissenschaftlichen Erforschung der noch verborgenen
Geheimnisse und Mächte des Mentals. Dazu wird jetzt auch ein eingehenderes
Studium der seelischen, abnormen oder übernormalen psychischen Phänomene möglich
und teilweise schon erkennbar. Wenn das aber zu seiner Erfüllung kommen soll,
müssen wir die wahre Grundlage, das wirkliche Ziel und die wahre Richtung, die
notwendigen Einschränkungen und Vorsichtsmaßnahmen dieses Forschungsgebietes
wiederentdecken. Wichtigstes Ziel muß dabei sein, daß wir die verborgenen
Wahrheiten und Mächte der Mental-Kraft und der Lebens-Macht sowie die höheren
Kräfte des verborgenen Geistes neu auffinden. Im wesentlichen ist okkulte
Wissenschaft die Wissenschaft vom Subliminalen, vom Subliminalen in uns selbst
und in der Welt-Natur, von allem, was in Verbindung mit dem Subliminalen steht,
einschließlich des Unterbewußten und Überbewußten. Das alles sollen wir als Teil
unserer Selbst- und Welt-Erkenntnis verwenden, um die Kräfte richtig
einzusetzen.
Der intellektuelle Zugang zum höchsten Wissen und
dessen Besitz im Mental ist eine unentbehrliche Hilfe für die Bewegung der Natur
im menschlichen Wesen. In unserer vordergründigen Schicht ist gewöhnlich
Hauptinstrument des Menschen für Denken und Handeln die Vernunft, der
beobachtende, verstehende und ordnende Intellekt. Wenn der Geist vorwärtskommen
oder sich entwickeln soll, müssen nicht nur die Intuition, die Innenschau, das
innere Empfinden, des Herzens Hingabe, eine tiefe und unmittelbare
Lebenserfahrung in den Dingen des Geistes entwickelt werden, muß auch der
Intellekt erleuchtet und befriedigt werden. Wir müssen unserem denkenden und
reflektierenden Mental helfen, das Ziel zu verstehen, eine vernünftig begründete
und systematische Vorstellung zu bilden von ihm, von der Methode und den
Prinzipien dieser höchsten Entfaltung und Wirklichkeit unserer Natur und der
Wahrheit all dessen, was dahinterliegt. Gewiß sind die geeigneten Mittel für
diese Entwicklung spirituelle Erkenntnis und Erfahrung,
intuitive und unmittelbare Erkenntnis, das Wachsen des inneren Bewußtseins, der
Seele und der inneren Seelen-Wahrnehmung, des Schauens und Empfindens der Seele.
Unterstützung durch die reflektierende und kritische Vernunft ist aber ebenso
wichtig. Wenn viele auf sie verzichten können, so deswegen, weil sie einen
lebhaften und unmittelbaren Kontakt mit den inneren Wirklichkeiten haben und
sich mit Erfahrung und Einsicht begnügen. Für die ganze Bewegung ist aber die
Vernunft unentbehrlich. Wenn die höchste Wahrheit eine spirituelle Wirklichkeit
ist, muß der Intellekt des Menschen wissen, was die Natur dieser ursprünglichen
Wahrheit und das Prinzip ihrer Beziehungen zum übrigen Dasein, zu uns selbst und
zum Universum ist. Zwar ist der Intellekt nicht von sich aus fähig, uns in
Berührung mit der konkreten spirituellen Wirklichkeit zu bringen. Er kann aber
helfen durch mentales Ausdrücken der Wahrheit des Geistes das sie dem Mental
verdeutlicht, und kann sogar unmittelbar beim Suchen verwendet werden: Diese
Hiife ist von hervorragender Bedeutung.
Unser denkendes Mental befaßt sich in erster Linie mit
der Feststellung einer allgemeinen spirituellen Wahrheit, mit der Logik ihrer
Absolutheit und der Logik ihrer Relativitäten, wie sie sich zueinander
verhalten, wie sie zueinander hinführen und was die mentalen Konsequenzen der
spirituellen Lehre vom Sein sind. Der Intellekt versucht aber, neben diesem
Verstehen und der intellektuellen Feststellung, was sein wichtigstes Recht und
sein Beitrag ist, auch kritisch Kontrolle auszuüben. Er mag ekstatische und
andere konkrete spirituelle Erfahrungen zugeben. Sein Verlangen richtet sich
aber darauf, zu wissen, auf welche gesicherten und geordneten Wahrheiten des
Seienden sie gegründet sind. Sicherlich könnte unsere Vernunft, ohne daß solch
eine Wahrheit bekannt und beweisbar ist, diese Erfahrungen für ungesichert und
irrational halten, sich deshalb aus ihnen zurückziehen, weil sie möglicherweise
nicht auf Wahrheit gegründet sind. Oder sie mag ihrer Form, wenn auch nicht
ihrer Grundlage, mißtrauen, sie seien mit Irrtum behaftet, gar eine Verirrung
der Phantasie des vitalen Mentals, der Gefühle, der Nerven oder der Sinne. Denn
diese könnten bei ihrem Übergang oder bei der Übertragung aus dem Physischen und
sinnlich Wahrnehmbaren in das Unsichtbare irregeleitet sein, Irrlichtern
nachgehen, zumindest Dinge falsch auffassen, die an sich gültig, aber entstellt
seien durch unrichtige oder unvollkommene Deutung dessen, was erfahren wurde,
oder durch Verwirrung und Unordnung der wahren spirituellen Werte. Sieht sich die Vernunft gezwungen, das Kräftespiel des
Okkultismus zuzugeben, wird sie sich auch hier zumeist mit der Wahrheit, dem
richtigen System und der wirklichen Bedeutung der Kräfte befassen, deren Spiel
sie hier am Werk sieht. Sie muß erforschen, ob sie die Bedeutung haben, die der
Okkultismus ihnen beilegt, oder eine andere, vielleicht etwas Tieferes, das in
seinen wesentlichen Beziehungen und Werten falsch interpretiert ist und nicht
den richtigen Stellenwert im Ganzen der Erfahrung erhalten hat. Denn das Wirken
unseres Intellekts ist in erster Linie die Funktion des Verstehens, sodann aber
auch eine kritische und schließlich die, zu ordnen, zu prüfen und zu gestalten.
Das Mittel, durch das dies Bedürfnis befriedigt werden
kann und mit dem uns unsere mentale Natur versehen hat, ist die Philosophie. Auf
diesem Gebiet muß es eine spirituelle Philosophie sein. Zahlreiche solcher
Systeme sind im Osten entstanden. Denn fast bei jeder beachtenswerten
spirituellen Entwicklung entstand aus ihr eine Philosophie, die sie dem
Intellekt gegenüber rechtfertigte. Ihre Methode war zuerst intuitives Schauen
und dessen intuitiver Ausdruck, wie in dem unergründlichen Denken und der tiefen
Sprache der Upanishaden. Später wurde eine kritische Methode, ein festes
dialektisches System und eine logische Organisation entwickelt. Die späteren
Philosophien waren intellektuelle Darstellung (z. B. die Gita) oder
logische Rechtfertigung dessen, was durch innere Erkenntnis gefunden worden war.
Oder sie sorgten selbst für eine mentale Grundlage oder Systematik ihrer
Erkenntnis und Erfahrung (z. B. die Yoga-Philosophie des Patanjali). Im
Westen wurde die Tendenz des Bewußtseins zur Synthese durch diejenige zu Analyse
und Sonderung ersetzt. Spirituelles Streben und intellektuelle Vernunft trennten
sich hier fast von Anfang an voneinander. Die Philosophie richtete sich seit
Anbeginn auf eine rein intellektuelle und vernunftgemäße Erklärung der Dinge
aus. Indessen gab es auch Systeme wie die der Pythagoräer, Stoiker und
Epikuräer, die nicht nur auf das Denken, sondern auch auf die Lebensführung
gerichtet waren und eine Erziehung, ein Ringen um die innere Vervollkommnung des
Wesens entwickelten. Das erreichte in den späteren christlichen oder
neu-heidnischen Gedankengebäuden, in denen sich Ost und West trafen, eine höhere
spirituelle Erkenntnis-Ebene. Dann wurde jedoch die Intellektualisierung
vollständig. Die Verbindung der Philosophie mit dem Leben und seinen Energien
oder mit dem Geist und seiner Dynamik wurde
entweder zerschnitten oder auf das wenige beschränkt, was die metaphysische Idee
dem Leben und Handeln durch abstrakten und sekundären Einfluß aufprägen kann.
Die Religion stützte sich im Westen nicht auf die Philosophie, sondern auf eine
bekenntnisgebundene Theologie. Manchmal tauchte dank der Kraft eines
individuellen Genies eine spirituelle Philosophie auf. Sie war aber nicht, wie
im Osten, notwendiges Zubehör jeder bedeutungsvollen Richtung spiritueller
Erfahrung und Bemühung. Zwar trifft zu, eine philosophische Darstellung
spirituellen Denkens ist nicht völlig unentbehrlich. Denn man kann zu den
Wahrheiten des Geistes unmittelbarer und vollständiger durch Intuition und
konkrete innere Berührung gelangen. Man muß auch betonen, daß die vom Intellekt
ausgeübte kritische Kontrolle der spirituellen Erfahrung hinderlich und
unzuverlässig sein kann, denn hier wird schwächeres Licht auf das Feld höherer
Erleuchtung geworfen. Die wahre Kontrollmacht ist eine innere Unterscheidung,
das Empfinden und Feingefühl des Psychischen, das übergeordnete Eingreifen einer
Führung von oben oder eine erleuchtete Lenkung aus dem Innern. Trotzdem ist aber
auch diese Entwicklungslinie notwendig. Denn es muß eine Brücke zwischen dem
Geist und der intellektuellen Vernunft geben. Das Licht spiritueller, zumindest
spiritualisierter Intelligenz ist für die ganze Fülle unserer inneren
Entwicklung notwendig. Ohne es könnte bei Abwesenheit einer anderen tieferen
Führung die innere Bewegung exzentrisch und undiszipliniert werden, verworren
und mit unspirituellen Elementen vermischt, einseitig und intolerant. Für die
Transformation der Unwissenheit in das integrale Wissen ist die spiritualisierte
Intelligenz als vermittelnde Kraft notwendig und wichtig. Sie muß in uns wachsen
und bereit sein, ein höheres Licht zu empfangen und allen Seiten unserer Natur
zuzuleiten.
Aber keiner dieser drei Zugangswege kann für sich allein die höhere und endgültige Absicht der Natur erfüllen. Sie können im mentalen Menschen nicht das spirituelle Wesen erschaffen, solange sie nicht das Tor der spirituellen Erfahrung auftun. Das Geist-Wesen kann nur hervortreten, wenn wir innerlich erkennen, wohin diese Zugangswege führen; wenn wir eine oder viele überwältigende Erfahrungen machen, die eine innere Umwandlung bewirken; wenn das Bewußtsein umgeformt wird; wenn der Geist von seiner gegenwärtigen Verhüllung durch Mental, Leben und Körper befreit wird. Das ist die endgültige Richtung, in der die Seele zu dem vorwärtsgeht, auf das die anderen Wege hinweisen.
Wenn sie bereit ist,
die vorbereitenden Zugangswege völlig zu verlassen, hat die wirkliche Arbeit
begonnen; dann ist der Wendepunkt der Umwandlung nicht mehr fern. Bis dahin ist
das mentale Wesen des Menschen nur so weit gekommen, daß es mit der Vorstellung
von Dingen jenseits von ihm vertraut wurde; daß es die Möglichkeit der
Hinwendung zu einer anderen Welt einsieht; daß es das Ideal einer sittlichen
Vervollkommnung bejaht. Vielleicht ist der Mensch auch mit höheren Mächten oder
Wirklichkeiten in Berührung gekommen, die seinem Mental, Herz und Leben helfen.
Ein gewisser Wandel mag eingetreten sein, wenn auch noch nicht die Umwandlung
des mentalen in das spirituelle Wesen. Die Religion mit ihrem Denken und ihrer
Ethik sowie der okkulte Mystizismus antiker Zeiten brachte den Priester und
Magier hervor, den Menschen der Frömmigkeit, den gerechten Menschen, den
Menschen der Weisheit, viele Höhepunkte mentalen Menschseins. Aber erst nachdem
die spirituelle Erfahrung durch das Herz und das Mental einsetzte, sehen wir den
Heiligen, den Propheten, den Rishi, den Yogi, den Seher, den spirituellen Weisen
und Mystiker. Nur solche Religionen haben überdauert, in denen diese Arten
spirituellen Menschseins auftraten. Sie haben den Erdball eingenommen und der
Menschheit ihr ganzes spirituelles Streben und seine Kultur gegeben.
Wenn sich die Spiritualität im Bewußtsein selbständig
macht und ihren besonderen Charakter annimmt, ist das zunächst nur ein kleines
Samenkorn, eine wachsende Tendenz, ein außergewöhnliches Licht von Erfahrung
inmitten der großen Masse normaler unerleuchteter Mentalität, Vitalität und
Körperlichkeit des Menschen, die sein äußeres Ich bilden und das Interesse
unserer natürlichen Neigungen beanspruchen. Es gibt versuchsweise Anfänge, eine
langsame Entwicklung und ein zögerndes Hervortreten. Eine frühere, erste,
vorläufige Form erschafft eine gewisse Art von Religiosität, die noch nicht die
rein spirituelle Gemütsverfassung ist, vielmehr die Art eines Mentals oder
Lebens hat, die in sich eine spirituelle Unterstützung oder einen geistigen
Faktor suchen und finden. Auf dieser Stufe ist der Mensch hauptsächlich damit
beschäftigt, alle Kontakte, die er mit dem, was jenseits von ihm ist, bekommen
oder herstellen kann, seinen mentalen Ideen, moralischen Idealen, vitalen oder
körperlichen Interessen helfen oder dienen zu lassen. Die wahre Wendung zur
spirituellen Umwandlung ist noch nicht gekommen. Die ersten wahren Ansätze
erscheinen als Spiritualisierung unserer natürlichen Handlungen, als sich
verbreitender Einfluß oder als Lenkung. Es kommt
zu vorbereitendem Einfließen oder Einströmen in einen gewissen Teil oder eine
Tendenz unseres Mentals oder Lebens, zu einer spiritualisierten Wendung des
Denkens mit erhebenden Erleuchtungen, zu einer vergeistigten Richtung des
emotionalen oder ästhetischen Wesens, zu einer vom Geist bestimmten ethischen
Gestaltung im Charakter; zu spiritualisiertem Drängen in mancher
Lebensbetätigung oder anderen kraftvoll vitalen Bewegung der Natur. Vielleicht
gewahren wir ein inneres Licht, eine Lenkung durch oder eine Gemeinschaft mit
einer Führungs-Macht, die höher ist als unser Mental und unser Wille, der etwas
in uns gehorcht. Aber es ist noch nicht alles in die Prägeform dieser Erfahrung
umgegossen. Wenn aber diese Intuitionen und Erleuchtungen eindringlicher, wenn
sie selber zu Kanälen für den Geist werden, wenn sie eine ausgeprägte innere
Anordnung treffen und den Anspruch erheben, das ganze Leben zu beherrschen, wenn
sie unsere Natur in ihren Besitz nehmen, dann beginnt die spirituelle Gestaltung
unseres Wesens, dann tritt der Heilige, der Jünger, der spirituelle Weise
hervor, der Seher, der Prophet, der Diener Gottes, der Streiter des Geistes. Sie
alle nehmen Stellung in einem bestimmten Teil des natürlichen Wesens, der durch
spirituelle Erleuchtung, Macht oder Ekstase emporgehoben wird. Der Weise und der
Seher leben im spirituellen Mental; ihr Denken oder ihr Schauen werden durch ein
inneres oder höheres göttliches Licht der Erkenntnis gelenkt und geformt. Der
Jünger lebt im spirituellen Streben des Herzens, in seinem Selbst-Opfer und
seinem Suchen. Der Heilige wird bewegt durch das erwachende psychische Wesen im
inneren Herzen, das so machtvoll gewachsen ist, um das Gemüt und das vitale
Wesen zu regieren. Die anderen stehen in der vitalen beweglichen Natur. Sie
werden von einer höheren spirituellen Energie getrieben und durch sie hingelenkt
zu schöpferischem Handeln, einer von Gott gegebenen Arbeit oder Mission, zum
Dienst an einer göttlichen Macht, Idee oder einem Ideal. Das letzte und höchste
Hervortreten des Geistes ist der befreite Mensch. Er hat das Selbst und den
Geist in seinem Innern realisiert, ist in das kosmische Bewußtsein eingetreten,
zur Einung mit dem Ewigen gelangt. Soweit er noch Leben und Handeln annimmt,
wirkt er durch das Licht und die Energie der Macht in seinem Innern, die sich
der Instrumente seiner menschlichen Natur bedient. Umfassendster Ausdruck dieser
spirituellen Umwandlung und Vollendung ist die völlige Befreiung von Seele,
Mental, Herz und Handeln. Sie alle
werden so
umgeprägt, daß sie das kosmische Selbst und die Göttliche Wirklichkeit
empfinden.24 So hat die spirituelle
Entwicklung des Einzelnen ihren Weg gefunden. Ihr Bereich dehnt sich empor bis
zu den erhabenen Himalaya-Höhen und den Gipfeln höchster Natur. Jenseits von
dieser Höhe und Weite eröffnet sich nur noch der Aufstieg zum Supramental oder
zur unaussprechlichen Transzendenz.
Das also war bis jetzt der Lauf, den die Natur bei der
Entwicklung des spirituellen Menschen im mentalen Wesen genommen hat. Man mag
fragen, was denn genau das Ergebnis dieser Leistung und ihre wirkliche Bedeutung
sei. In der jüngsten Reaktion, da sich das Leben des Mentals wieder der Materie
zuwandte, brandmarkte man diese große Wendung und einzigartige Umwandlung, sie
seien keine wahre Evolution des Bewußtseins, eher eine verfeinerte Primitivform
von Unwissenheit, abweichend von der wahren menschlichen Evolution, die einzig
und allein eine Entwicklung der Lebens-Macht des praktischen physischen Mentals,
der das Denken und Verhalten regierenden Vernunft und der entdeckenden und
organisierenden Intelligenz sein sollte. In dieser Epoche wurde die Religion als
veralteter Aberglaube beiseite geschoben. Die spirituelle Erkenntnis und
Erfahrung wurden als düsterer Mystizismus diskreditiert. Nach dieser Anschauung
ist der Mystiker ein Mensch, der abseitige Wege ins Unwirkliche, in okkulte
Regionen eines selbst-konstruierten Landes der Hirngespinste geht und dort
seinen Weg verliere. Dieses Urteil ergibt sich aus einer Betrachtung der Dinge,
die selbst in Mißkredit geraten muß, da sie letztlich von der falschen
Auffassung abhängt, allein das Materielle sei das Wirkliche, und nur das äußere
Leben sei von Bedeutung. Aber abgesehen von dieser extremen materialistischen
Betrachtung der Dinge können Intellekt und physisches Mental wohl behaupten – eifrig auf Erfüllung des menschlichen Lebens bedacht, tun sie das auch, und das
ist die überwiegende Mentalität, die vorherrschende moderne Tendenz –, die
spirituellen Bestrebungen hätten in der Menschheit doch nur wenig erreicht. Sie
hätten weder das Problem des Lebens noch irgendein anderes Problem gelöst, mit
dem die Menschheit zu ringen hat. Entweder kehre sich der Mystiker als der nur
an der anderen Welt interessierte Asket oder als der entrückte Visionär vom
Leben ab. Oder er bringe an Lösung oder Ergebnis
auch nichts Besseres zuwege als der praktische Mensch oder der Mensch des
Intellekts und der Vernunft. Durch sein Eingreifen verursache er eher Unordnung
unter den menschlichen Werten und entstelle sie durch sein für das menschliche
Verstehen dunkles, befremdendes und unbeweisbares Licht. Er verwirre die klaren
praktischen und vitalen Aufgaben, die das Leben vor uns hinstelle.
Man darf jedoch von diesem Standpunkt aus weder die wahre Bedeutung der spirituellen Evolution im Menschen noch den Wert der Spiritualität beurteilen oder einschätzen. Besteht doch ihr wahres Werk nicht darin, daß sie die menschlichen Probleme auf der vergangenen oder gegenwärtigen mentalen Grundlage löst. Vielmehr hat sie eine neue Grundlegung unseres Wesens, unseres Lebens und unserer Erkenntnis vorzunehmen. Die asketische oder auf eine andere Welt gerichtete Tendenz des Mystikers ist eine extrem positive Bejahung, die dessen Weigerung zugrundeliegt, die Beschränkungen anzuerkennen, die uns von der materiellen Natur aufgezwungen werden: Denn sein eigentlicher Wesens-Grund liegt darin, daß er über sie hinauskommen will. Wenn er sie nicht transformieren kann, muß er sie verlassen. Zugleich hat sich aber der spirituelle Mensch nie ganz außerhalb des Lebens der Menschheit gestellt. Denn im Mittelpunkt des kraftvollen Aufblühens seines Geistes steht das Empfinden der Einheit mit allen Wesen, sein Drängen auf universale Liebe und Mitleid, sein Wille, die Kräfte für das Gute der Menschheit einzusetzen.25 Darum hat er sich dem Helfen gewidmet. Er war ein Führer der Menschen, wie es die Rishis des Altertums oder die Propheten waren. Oder er hat sich selbst entäußert, um schöpferisch tätig zu sein. Wo er das mit der Macht des Geistes getan hat, waren seine Erfolge außerordentlich. Doch ist die Lösung des Problems, die die Spiritualität anbietet, keine solche durch äußere Mittel, auch wenn diese verwendet werden müssen, sondern sie kommt durch innere Umwandlung, durch Transformation des Bewußtseins und der Natur.
Wenn das allgemeine Ergebnis der Spiritualität kein
entscheidendes Resultat brachte, sondern nur einige Beiträge dazu, den Zuwachs
von einigen neuen feineren Elementen zur Summe
des Bewußtseins, aber noch keine Transformation des Lebens, so liegt das daran,
daß der Mensch im allgemeinen den spirituellen Impuls immer zurückgewiesen hat,
sich dem spirituellen Ideal widersetzte oder es nur als etwas Formelles auffaßte
und daß er die innere Umwandlung ablehnte. Man kann der Spiritualität nicht
zumuten, daß sie mit dem Leben auf eine nicht-spirituelle Art umgeht oder daß
sie dessen Übel durch die Allerwelts-Heilmittel der politischen, sozialen oder
anderen mechanischen Kuren zu überwinden sucht, die das Mental ständig
unternimmt, die immer fehlgeschlagen sind und weiter darin versagen werden,
irgendetwas zu lösen. Auch die drastischsten Veränderungen, die durch diese
Mittel bewirkt wurden, haben nichts gewandelt. Denn die alten Übel existieren in
neuer Form weiter. Nur der Aspekt der äußeren Umgebung hat sich verändert, der
Mensch bleibt aber, was er bisher war. Noch immer ist er ein unwissendes
mentales Wesen. Er mißbraucht seine Erkenntnis oder verwendet sie nicht wirksam
genug. Er wird von seinem Ich getrieben, vom vitalen Verlangen, den
Leidenschaften und Bedürfnissen seines Körpers beherrscht. In seinen
Anschauungen ist er ungeistig und oberflächlich. Er kennt weder sein eigenes
Selbst noch die Kräfte, die ihn antreiben und verwenden. Seine Lebensformen
haben Wert nur als Ausdrucksweisen seines individuellen und kollektiven Wesens
auf der Stufe, die sie bis jetzt erreicht haben, oder als Mechanismus für
Bequemlichkeit und Wohlergehen seiner vitalen und körperlichen Seiten und als
Feld und Mittel seines mentalen Wachstums. Sie können ihn aber nicht über sein
gegenwärtiges Ich hinausheben oder ihm als Mechanismus seiner Transformation
dienen. Seine und ihre Vervollkommnung kann nur durch seine weitere Evolution
kommen. Nur eine spirituelle Umwandlung, eine Entwicklung seines Wesens aus dem
oberflächlichen mentalen Bewußtsein zum tieferen spirituellen, kann einen
wirklichen und wirksamen Unterschied herbeiführen. Haupt-Anliegen des
spirituellen Menschen ist, das spirituelle Wesen in sich selbst zu entdecken.
Anderen Menschen zur selben Evolution zu verhelfen, ist sein wirklicher Dienst
an der Menschheit. Bis das geschehen ist, kann äußere Hilfe zwar Beistand und
Erleichterung bringen. Aber nichts oder nur wenig mehr ist dadurch möglich.
Es ist wahr, daß das spirituelle Streben mehr auf das Jenseits als auf dieses Leben gerichtet war. Wahr ist auch, daß die spirituelle Umwandlung etwas Individuelles und nichts Kollektives gewesen ist.
Ihr Ergebnis war nur im
einzelnen Menschen erfolgreich, jedoch nicht erfolgreich oder nur mittelbar
wirksam in der Masse der Menschen. Die spirituelle Evolution der Natur ist noch
im Gange und unvollständig, man könnte sagen, sie steht erst am Anfang, und ihr
hauptsächliches Anliegen war bisher, eine Basis für das spirituelle Bewußtsein
und die spirituelle Erkenntnis sicherzustellen und zu entwickeln, um so immer
mehr eine Grundlage oder Form für die Schau dessen zu erschaffen, was in der
Wahrheit des Geistes ewig ist. Erst wenn die Natur diese intensive Entwicklung
und Gestaltung durch das Individuum vollständig abgesichert hat, kann man etwas
Radikales von sich ausweitendem oder kraftvoll verströmendem Charakter erwarten,
oder daß ein Versuch zu einem kollektiven spirituellen Leben unternommen wird.
Man hat solche Versuche gemacht, meistens freilich, um ein Feld zum Schutz für
das Wachsen der Spiritualität des Einzelnen zu gewinnen. Bis das erfolgreich und
dauerhaft werden kann, muß sich der Einzelne mit seinem eigenen Problem
beschäftigen, sein Mental und Leben völlig umwandeln, in Übereinstimmung mit der
Wahrheit des Geistes, die er in seinem inneren Wesen und Wissen immer mehr
erlangt oder schon erlangt hat. Jeder voreilige Versuch, in großem Maßstab ein
kollektives spirituelles Leben zu schaffen, ist dem Mißerfolg ausgesetzt, auf
seiner dynamischen Seite durch Unvollkommenheit der spirituellen Erkenntnis,
durch die Unvollkommenheiten der einzelnen Suchenden und das Eindringen des
gewöhnlichen Mentals und des vitalen und physischen Bewußtseins, das sich der
Wahrheit bemächtigt, sie mechanisiert, verdunkelt oder verdirbt. Die mentale
Intelligenz und ihre Haupt-Macht, die Vernunft, können das Prinzip und den
beharrlichen Charakter des menschlichen Lebens nicht verändern. Sie können nur
verschiedene Mechanisierungen, Manipulationen, äußere Entwicklungen und
Formgebungen bewirken. Aber selbst wenn das Mental als Ganzes spiritualisiert
würde, könnte es diese Wandlung nicht bewirken. Die Spiritualität befreit und
erleuchtet das innere Wesen. Sie hilft dem Mental, mit dem in Verbindung zu
treten, was höher ist als es selbst, und sogar sich selbst zu entkommen. Sie
kann die äußere Natur von einzelnen menschlichen Wesen durch den inneren Einfluß
läutern und emporheben. Solange sie aber in der Masse der Menschen durch das
Mental als ihr Instrument wirken muß, kann sie zwar Einfluß auf das Erden-Leben
ausüben, aber keine Transformation dieses Lebens zustandebringen. Aus diesem
Grund kam es zu der
überwiegenden Tendenz im
spirituellen Mental, sich mit einem solchen Einfluß zufrieden zu geben und
Erfüllung in einem Leben in einer anderen Welt zu suchen. Oder man gab überhaupt
jedes nach außen gerichtete Bemühen auf und konzentrierte sich allein auf eine
individuelle spirituelle Erlösung oder Vervollkommnung. Um eine von der
Unwissenheit erschaffene Welt völlig umzuwandeln, ist eine höhere instrumentale
Dynamik als die des Mentals notwendig.
Ein anderer Einwand wird nicht etwa gegen den Mystiker
und seine Erkenntnis in dem Sinne erhoben, sie sei dem Leben gegenüber
wirkungslos, vielmehr gegen seine Methode, die Wahrheit zu entdecken, und gegen
die Wahrheit, die er entdeckt. Ein Einwand gegen die Methode lautet, sie sei
etwas rein Subjektives, nicht wirklich unabhängig vom personalen Bewußtsein und
seinen Konstruktionen, und auch nicht nachprüfbar. Diese kritiksüchtige
Begründung hat aber keinen großen Wert. Denn das Ziel des Mystikers ist die
Erkenntnis seines Selbsts und die Erkenntnis Gottes. Dazu kann er nur gelangen,
wenn sein Blick nach innen und nicht nach außen gerichtet ist. Oder er sucht
nach der höchsten Wahrheit der Dinge. Auch zu dieser kann er nicht durch
Forschen nach außen mit den Sinnen oder durch irgendein anderes Untersuchen oder
Erproben gelangen, das sich auf die äußeren und oberflächlichen Seiten bezieht,
auch nicht durch Spekulation, die sich auf die ungewissen Daten mittelbarer
Erkenntnismittel stützt. Die Erkenntnis der Wahrheit muß durch unmittelbare
Schau oder Berührung des Bewußtseins mit der Seele und dem Leib der Wahrheit
selbst geschehen oder durch Erkenntnis durch Identität, durch das Selbst, das
eins wird mit dem Selbst der Dinge und mit ihrer Wahrheit an Macht und
Wesenhaftem. Dagegen wird behauptet, das wirkliche Ergebnis dieser Methode sei
nicht eine einzige Wahrheit, die allen gemeinsam sei, es gebe da große
Verschiedenheiten. Der naheliegende Schluß sei, solches Wissen biete überhaupt
keine Wahrheit, sondern nur eine subjektive mentale Gestaltung. Dieser Einwand
gründet sich aber auf ein Mißverstehen der Art spiritueller Erkenntnis.
Spirituelle Wahrheit ist eine Wahrheit des Geistes, nicht eine Wahrheit des
Intellekts. Sie ist kein mathematischer Lehrsatz, ist keine logische Formel. Sie
ist eine Wahrheit des Unendlichen, eine einzige Wahrheit in unendlicher
Verschiedenheit. Sie kann die unendliche Verschiedenheit von Aspekten und
Gestaltungen annehmen. Unvermeidlich muß es in der spirituellen Entwicklung
einen vielseitigen Zugang und unterschiedliche Wege geben, die einzige Wahrheit zu erreichen; man kann sie von vielen Seiten her
ergreifen. Diese Vielseitigkeit ist das Zeichen dafür, daß sich die Seele einer
lebendigen Wirklichkeit naht, nicht einer Abstraktion oder einem konstruierten
Abbild der Dinge, das in einer toten Formel versteinern kann. Die harte,
logische und intellektuelle Auffassung der Wahrheit als der einzigen Idee, die
alle Menschen annehmen müssen, eines Gedankens oder Systems von Gedanken, die
alle anderen Gedanken oder Systeme unterdrücken, oder eine einzelne begrenzte
Tatsache oder einzelne Formel von Fakten, die alle anerkennen müssen, ist eine
illegitime Übertragung einer begrenzten Wahrheit des physischen Gebiets auf das
viel komplexere und formenreichere Gebiet von Leben, Mental und Geist.
Solche Übertragung ist für viel Schaden verantwortlich.
Sie bringt Enge und Beschränktheit in das Denken. Sie führt zur Unduldsamkeit
gegenüber der notwendigen Unterschiedlichkeit und Vielfalt von Gesichtspunkten,
ohne die es keine Vollständigkeit des Wahrheitsfindens geben kann. Durch diese
Enge und Begrenzung kam es häufig zum Festhalten am Irrtum. Das würdigt die
Philosophie zu einem endlosen Irrgarten unfruchtbarer Dispute herab. Auch in die
Religion ist diese falsche Auffassung eingedrungen und hat sie mit
rechtgläubigem Dogmatismus, mit Fanatismus und Intoleranz vergiftet. Die
Wahrheit des Geistes ist eine Wahrheit des Wesens und Bewußtseins, nicht aber
eine Wahrheit des Denkens. Mentale Ideen können nur eine Facette der Wahrheit
darstellen oder ausdrücken, ein ins Mentale übertragenes Prinzip oder eines
seiner Vermögen, oder sie können ihre Aspekte aufzählen. Wenn man sie aber
wirklich erkennen will, muß man in sie hineinwachsen und sie sein. Ohne dieses
Hineinwachsen und Sein kann es kein wahres spirituelles Wissen geben. Die
fundamentale Wahrheit spiritueller Erfahrung ist eine einzige. Ihr Bewußtsein
ist ein einziges. Überall folgt sie diesen allgemeinen Linien und Tendenzen beim
Erwecken und Wachsen des spirituellen Wesens. Denn diese sind die zwingenden
Gebote des spirituellen Bewußtseins. Auf der Grundlage dieser Gebote gibt es
aber auch zahllose Möglichkeiten der Variation in Erfahrung und Ausdruck: Die
Zentralisierung und Harmonisierung all dieser Möglichkeiten, aber auch das
intensive alleinige Befolgen eines einzelnen dieser Erfahrungswege, beides sind
die notwendigen Bewegungen der in uns hervortretenden spirituellen
Bewußtseins-Kraft. Außerdem muß die Anpassung von Mental und Leben an die
spirituelle Wahrheit und die Art, wie sie sich
durch diese ausdrückt, so lange von der Mentalität des Suchenden verschieden
sein, als er sich noch nicht über alle Notwendigkeit solcher Anpassung oder
solchen begrenzten Ausdruckes erhoben hat. Dieses mentale und vitale Element hat
die Gegensätze geschaffen, die die spirituell Suchenden noch voneinander trennen
oder sich in ihre unterschiedlichen Behauptungen der Wahrheit eindrängen, die
sie erfahren haben. Diese Verschiedenheit und Abwandlung ist für die Freiheit
des spirituellen Suchens und Wachsens notwendig. Über die Verschiedenheiten
hinauszukommen, ist wohl möglich, läßt sich aber am leichtesten in der reinen
Erfahrung tun. In der mentalen Formulierung muß die Unterscheidung bleiben, bis
man völlig über das Mental hinauskommen und die vielseitige Wahrheit des Geistes
in einem höchsten Bewußtsein integral zusammenfassen, vereinen und harmonisieren
kann.
In der Evolution des spirituellen Menschen muß es notwendigerweise viele Stufen und auf jeder Stufe eine große Verschiedenheit individueller Gestaltungen des Wesens, des Bewußtseins, des Lebens, des Temperaments, der Ideen, des Charakters geben. Die Natur des instrumentalen Mentals und die Notwendigkeit, mit dem Leben umzugehen, muß von selbst eine unendliche Abwandlung je nach Entwicklungsstufe und Individualität des Suchenden erzeugen. Aber davon abgesehen braucht gerade das Gebiet der reinen spirituellen Verwirklichung des Selbsts und dessen Ausdruck keine weiße Eintönigkeit zu sein. Es kann eine große Mannigfaltigkeit in der zugrundeliegenden Einheit geben. Das höchste Selbst ist eines, aber der Seelen des Selbsts gibt es viele. So wie der Seele Naturgestalt ist, so wird auch ihr spiritueller Selbst-Ausdruck sein. Mannigfaltigkeit im Einssein ist das Gesetz der Manifestation. Die supramentale Einung und Integration muß diese Verschiedenheiten harmonisieren. Sie zu beseitigen, ist nicht die Absicht des Geistes in der Natur.
Kapitel XXV. Die dreifache Umwandlung
In der Mitte des
Selbsts ist ein bewußtes Wesen. Es beherrscht Vergangenheit und Zukunft. Es ist
wie eine Flamme ohne Rauch . . . Dieses muß man mit Geduld von seinem Körper
loslösen.
Katha Upanishad, IV. 12,13. VI. 17.
Eine Intuition im Herzen schaut diese Wahrheit
Rig Veda, I.24.12.
Ich bleibe im spirituellen Wesen und zerstöre von dort her mit der leuchtenden Lampe des Wissens die aus der Unwissenheit geborene Finsternis.
Gita, X. 11.
Nach unten sind diese Strahlen gerichtet; ihr Ursprung ist oben; mögen sie tief in uns eindringen... O Varuna, erwache hier, mache deine Herrschaft weit! Mögen wir am Gesetz deines Wirkens festhalten und ohne Tadel sein vor der Mutter Unendlichkeit!
Rig Veda, I. 24. 7,11,15.
Der Schwan, der sich niederläßt in der Reinheit . . . aus der Wahrheit geboren, – selbst die Wahrheit, das Unermeßliche.
Katha Upanishad, V. 2.
Wäre es einzige Absicht der Natur in der Entwicklung
des spirituellen Menschen, ihn zur höchsten Wirklichkeit zu erwecken, wollte sie
ihn nur aus ihrer Gewalt oder aus der Unwissenheit befreien, in die sie sich als
die Macht des Ewigen verkleidet hat, und sollte das dadurch geschehen, daß er in
einen höheren Zustand seines Wesens woandershin weitergeht, und wäre dieser
Schritt dann Ende und Ausgang in der Evolution, dann wäre ihr Werk im
wesentlichen bereits vollendet, und es gäbe hier nichts mehr zu tun. Die Wege
dazu sind gebahnt. Die Fähigkeit, sie zu durchlaufen, ist entwickelt. Das Ziel
oder die letzte Höhe der Schöpfung ist offenbart. Für die einzelne Seele bliebe
nur noch, individuell ihre richtige Stufe und die Wende ihrer Entwicklung zu erreichen, die spirituellen Wege einzuschlagen und auf ihrem
erwählten Pfad aus diesem niederen Dasein fortzugehen. Wir haben aber
vorausgesetzt, es besteht noch eine höhere Absicht, – nicht nur eine Enthüllung
des Geistes, sondern eine grundlegende und allumfassende Wandlung der Natur. In
ihr ist ein Wille, die wahre Offenbarung des verkörperten Lebens des Geistes zu
bewirken und durch Übergang aus der Unwissenheit in das Wissen zu vollenden, was
sie begonnen hat. Sie will ihre Verkleidung abwerfen und sich als die leuchtende
Bewußtseins-Kraft offenbaren, die das ewige Sein und seine universale
Seins-Seligkeit in sich trägt. Da wird es denn deutlich, daß es etwas noch nicht
Vollendetes gibt. Das viele wird deutlich sichtbar, was noch zu tun ist,
bhuri aspasta kartvam. Noch eine Höhe muß erreicht werden. Mit dem Auge des
Schauens, den Flügeln des Wollens, der Selbst-Bejahung des Geistes im
materiellen Universum muß noch ein ausgedehnter Bereich durchmessen werden. Die
evolutionäre Macht hat es bisher fertig gebracht, daß einige wenige ihre Seele
gewahren, ihres Selbsts bewußt sind, des ewigen Wesens, das sie sind, inne
werden, sich in eine Kommunion mit dem Göttlichen Wesen oder mit der
Wirklichkeit bringen, die durch ihre äußeren Erscheinungen verborgen ist. Zwar
bereitet diese Erleuchtung eine gewisse Umwandlung der Natur vor, begleitet sie
oder folgt ihr nach. Das ist aber noch nicht die vollständige oder grundlegende
Umwandlung, die ein gesichertes und feststehendes neues Prinzip, eine neue
Schöpfung, eine dauerhafte neue Ordnung des Seienden im Feld der irdischen Natur
begründet. Der spirituelle Mensch hat sich entwickelt, aber noch nicht das
supramentale Wesen, das von nun an Lenker dieser Natur sein soll.
Zuerst muß sich nämlich das Prinzip der Spiritualität
in seiner eigenen Vollmacht und Souveränität durchsetzen. Bis jetzt war es für
das mentale Wesen eine Kraft, sich selbst zu entkommen oder sich zu einem
spirituellen Kräfteverhältnis zu verfeinern und sich in dieses zu erheben. Es
hat die Befreiung des Geistes vom Mental und die Ausweitung des Wesens in ein
spiritualisiertes Mental und Herz gefördert. Doch hat es nicht – oder noch nicht
genügend – dazu verholfen, daß sich der Geist in seiner eigenen souveränen
Meisterschaft so behaupten konnte, daß er frei wurde von den Begrenzungen durch
das Mental und von der mentalen Instrumentation. Die Entwicklung einer anderen
Instrumentation hat begonnen, muß aber erst noch allumfassend und wirksam
werden. Außerdem muß sie aufhören, eine rein individuelle Schöpfung des Selbsts in einer ursprünglichen Unwissenheit zu sein,
etwas für das irdische Leben Übernormales, das man stets als individuelle
Errungenschaft durch schwieriges Bemühen erwerben muß. Sie muß zur normalen
Natur einer neuen Wesens-Art werden. So wie das Mental hier auf einer Grundlage
von Unwissenheit gegründet wurde, um nach Wissen zu suchen und in das Wissen
hineinzuwachsen, so muß das Supramental hier auf einer Basis von Wissen sicher
gegründet werden und in sein eigenes höheres Licht hineinwachsen. Das ist aber
nicht möglich, solange das spirituell-mentale Wesen sich noch nicht völlig in
das Supramental erhoben und dessen Vermögen in das irdische Dasein
herniedergebracht hat. Denn die Kluft zwischen Mental und Supramental muß
überbrückt, die verschlossenen Durchgänge müssen geöffnet und die Wege zum
Emporsteigen und Herniederkommen dort geschaffen werden, wo es jetzt nur Leere
und Schweigen gibt. Das kann aber, worauf wir schon im Vorbeigehen hingewiesen
haben, nur durch eine dreifache Transformation geschehen: Zuerst muß es eine
psychische Veränderung geben, die Umwandlung unserer ganzen gegenwärtigen Natur
in eine Instrumentation der Seele. Auf ihr, oder zugleich mit ihr, muß die
spirituelle Umwandlung eintreten, die Herabkunft eines höheren Grades von Licht,
Wissen, Macht, Kraft, Seligkeit, Reinheit in das ganze Wesen, selbst bis in die
niedersten Schlupfwinkel der Finsternis in Leben und Körper, selbst in die
Dunkelheit unseres Unterbewußtseins. Schließlich muß die supramentale Mutation
eintreten, als krönende Bewegung muß das Emporsteigen in das Supramental und die
umwandelnde Herabkunft des supramentalen Bewußtseins in unser ganzes Wesen und
unsere ganze Art stattfinden.
Anfangs ist die Seele innerhalb der Natur, die
psychische Wesenheit, deren Entfaltung der erste Schritt zu einer spirituellen
Umwandlung ist, ein völlig verhüllter Teil von uns, obwohl wir gerade durch sie
als individuelle Wesen in der Natur existieren und fortdauern. Die anderen
Schichten, aus denen unsere Natur zusammengesetzt ist, sind nicht nur
veränderlich, sondern auch vergänglich. Die psychische Wesenheit in uns dauert
aber fort und ist im Grunde immer dieselbe: Sie enthält in sich alle
wesentlichen Möglichkeiten unserer Manifestation, wird aber nicht durch diese
konstituiert. Sie wird nicht durch das, was sie manifestiert, begrenzt; sie wird
nicht durch die unvollkommenen Formen der Manifestation eingeschlossen; sie ist
nicht beeinträchtigt, weil diese unvollendet, unrein, mangelhaft sind und das
Wesen der Außenseite entstellen. Sie ist eine
immer-reine Flamme des Göttlichen in den Dingen. Nichts, was an sie herankommt,
und nichts, was in unsere Erfahrung eindringt, kann ihre Reinheit beflecken oder
die Flamme auslöschen. Dieser spirituelle Stoff ist makellos und leuchtend. Weil
er vollkommen lichtvoll ist, nimmt er unmittelbar von innen her und unmittelbar
die Wahrheit des Wissens und die Wahrheit der Natur wahr. Er ist sich der
Wahrheit des Guten und des Schönen tief bewußt, weil das Wahre, Gute und Schöne
seinem inneren Charakter verwandt ist; das sind Formen von etwas, das seiner
eigenen Substanz eingeboren ist. Auch ist sich das psychische Wesen all dessen
bewußt, was diesen Dingen widerspricht und von dem eigenen Charakter abweicht:
der Lüge und des Bösen, alles Häßlichen und Unziemlichen. Es wird aber nicht zu
alledem und wird auch nicht angerührt oder verändert von dem, was dem eigenen
Wesen entgegengesetzt ist und so stark auf seine äußeren Instrumente, Mental,
Leben und Körper, einwirkt. Denn die Seele, das immerwährende Wesen in uns,
stellt Mental, Leben und Körper als ihre Werkzeuge aus sich heraus und verwendet
sie. Sie nimmt zwar das Umhülltsein von ihnen und ihren Bedingungen auf sich,
ist aber etwas anderes und Größeres als ihre Organe.
Wäre die seelische Wesenheit von Anfang an enthüllt und
ihren Ministern bekannt gewesen und nicht ein einsamer König in seinem
abgeschirmten Thronsaal, wäre die menschliche Entwicklung ein rasches Aufblühen
der Seele gewesen und nicht diese schwierige, wechselvolle und entstellte
Entwicklung, die sie ist. Die Hülle ist dicht. Wir kennen nicht das verborgene
Licht in unserem Innern, das Licht in der geheimen Krypta des innersten
Heiligtums des Herzens. Ahnungen steigen aus der Psyche an die Oberfläche empor,
aber unser Mental entdeckt ihren Ursprung nicht. Es hält sie für seine eigenen
Tätigkeiten, weil sie, schon bevor sie an die Oberfläche kommen, in mentale
Substanz eingekleidet sind. Darum kennt es ihre Autorität nicht, folgt ihnen
oder folgt ihnen nicht, je nach Laune oder Neigung des Augenblicks. Gehorcht das
Mental dem Drängen des vitalen Ichs, dann besteht überhaupt wenig Aussicht für
die Psyche, die Natur zu beherrschen oder etwas von ihrem verborgenen
spirituellen Stoff und ihren ursprünglichen Regungen in uns zu offenbaren. Wenn
das Mental in übergroßem Vertrauen auf sein eigenes geringes Licht handelt, wenn
es sich auf sein eigenes Urteil, auf seinen Willen und das Handeln aus eigener Erkenntnis verläßt, auch dann wird die Seele verhüllt und
still zurückgezogen bleiben und die weitere Entwicklung des Mentals abwarten.
Denn der psychische Teil in uns ist dazu da, die natürliche Evolution zu
unterstützen. Die erste natürliche Evolution muß sukzessive die Entwicklung des
Körpers, des Lebens und des Mentals sein. Und diese müssen handeln, jedes seiner
eigenen Art gemäß oder alle zusammen in ihrer schlecht geregelten Partnerschaft,
um zu wachsen, Erfahrung zu sammeln und sich zu entfalten. Die Seele sammelt die
Essenz all unserer mentalen, vitalen und körperlichen Erfahrungen und
assimiliert sie für die weitere Evolution unseres Daseins in der Natur. Doch ist
dies Wirken verborgen und dringt nicht an die Außenseite. Auf den früheren
materiellen und vitalen Entwicklungsstufen des Wesens findet sich in der Tat
kein Bewußtsein der Seele. Es gibt zwar eine psychische Aktivität, aber
Instrumentation und Form dieses Wirkens sind vital und physisch – oder mental,
wenn das Mental aktiv ist. Denn auch das Mental erkennt, solange es noch
primitiv oder zwar entwickelt, aber noch zu äußerlich ist, ihren tieferen
Charakter nicht. Leicht können wir uns selbst als physische, vitale oder als
mentale Wesen ansehen, die Leben und Körper verwenden, aber die Existenz der
Seele völlig ignorieren. Denn die einzige bestimmte Vorstellung, die wir von der
Seele haben, ist die, daß sie etwas ist, das den Tod unseres Körpers überlebt.
Was das aber ist, wissen wir nicht, weil wir, auch wenn wir manchmal ihrer
Gegenwart bewußt werden, ihrer normalerweise nicht als einer bestimmten
Wirklichkeit inne sind und auch nicht deutlich ihr unmittelbares Wirken in
unserer Natur fühlen.
Beim weiteren Fortschritt der Evolution beginnt die
Natur allmählich und versuchsweise, unsere verborgenen Seiten hervortreten zu
lassen. Sie veranlaßt uns, immer tiefer in unser Inneres zu schauen, oder
verursacht immer klarer erkennbare Andeutungen und Gestaltungen von jenen an der
Oberfläche. Die Seele in uns, das psychische Prinzip, hat bereits begonnen,
geheime Gestalt anzunehmen. Sie läßt eine Seelen-Persönlichkeit hervortreten und
entwickelt sie, ein besonderes psychisches Wesen, das sie repräsentiert. Dieses
psychische Wesen verbleibt noch ebenso wie das wahre mentale, das wahre vitale
oder das wahre subtil-physische Wesen in uns hinter der Verhüllung in unserer
subliminalen Schicht. Aber es wirkt, genauso wie jene, auf das vordergründige
Leben ein durch die Einflüsse und Andeutungen, die es zu jener Außenseite
emporschickt. Diese bilden einen Teil der Oberflächenverbindung der äußeren Person, die die zusammengewürfelte Wirkung innerer
Einflüsse und Aufwallungen ist, die sichtbare Gestaltung und der Überbau, den
wir gewöhnlich erfahren und von dem wir meinen, das seien wir. An dieser
unwissenden Außenseite gewahren wir dunkel etwas, das zum Unterschied von
Mental, Leben und Körper die Seele genannt werden kann. Wir spüren, daß das
nicht nur unsere mentale Vorstellung oder ein vages instinktives Empfinden von
uns ist, sondern ein fühlbarer Einfluß auf unser Leben, unseren Charakter und
unser Handeln. Das gewöhnlich am ehesten erkennbare, allgemeinste und
charakteristischste, wenn auch nicht das einzige Zeichen für diesen Einfluß der
Psyche ist eine gewisse Feinfühligkeit für alles, was wahr, gut und schön, fein,
rein und edel ist, eine Reaktion darauf, ein Verlangen danach, ein Druck auf
Mental und Leben, es in unserem Denken und Fühlen, Charakter und Verhalten
anzunehmen und zum Ausdruck zu bringen. Hat ein Mensch dieses Element nicht in
sich oder reagiert er überhaupt nicht auf diesen Drang, so sagen wir von ihm, er
habe keine Seele. Denn wir können gerade diesen Einfluß am leichtesten als die
feinere, ja als die göttliche Seite in uns und als das Stärkste erkennen, das
uns allmählich hin zu einem Ziel, zur Vollkommenheit in unserer Art drängt.
Aber dieser psychische Einfluß, diese seelische Wirkung
tritt nicht ganz rein an die Oberfläche, bleibt in ihrer Reinheit nicht
unterscheidbar. Sonst könnten wir das Seelen-Element in uns deutlich erkennen
und bewußt und völlig seinen Weisungen folgen. Es drängt sich eine okkulte
mentale, vitale oder subtil-physische Einwirkung dazwischen, vermischt sich mit
ihm und versucht, es zu verwenden und für seinen eigenen Vorteil auszunutzen. Es
setzt seine Göttlichkeit herab, entwertet oder entstellt seinen Selbst-Ausdruck
und versucht sogar, es in die Irre zu führen oder zu Fall zu bringen. Oder es
befleckt es mit Unlauterkeit, Kleinlichkeit und Irrtum von Mental, Leben und
Körper. Kommt es dann, derart mit Fremdem verschmolzen und herabgesetzt, an die
Oberfläche, bemächtigt sich seiner unsere vordergründige Natur auf obskure Weise
und für eine unwissende Formgebung. So kommt es oder kann es zu noch weiterer
Abirrung und Vermischung kommen. Was an sich Stoff und Wirken in der Reinheit
unseres spirituellen Wesens ist, wird verdreht, bekommt eine falsche Richtung,
wird verkehrt angewandt, falsch gestaltet und führt zu einem irrigen Resultat.
Entsprechend kommt es zu einer Bewußtseinsgestaltung, die eine Mischung aus dem psychischen Einfluß und seinen Anregungen ist, mit
mentalen Gedanken und Meinungen, vitalen Wünschen und Trieben und
gewohnheitsmäßigen körperlichen Neigungen vermischt. Mit diesem verfinsterten
Seelen-Einfluß verschmelzen dann die unwissenden, wenn auch wohlmeinenden
Bemühungen unserer äußeren Seiten in ihrem Streben nach etwas Höherem. All diese
Einflüsse wachsen zu einem vielseitigen Gebilde zusammen. Das kommt zu einer
mentalen Ideenbildung von sehr vermischtem Charakter, die selbst in ihrem
Idealismus meist ohne Erleuchtung und oft sogar in verhängnisvollem Irrtum
befangen ist; oder zu einer Glut und Leidenschaft des emotionalen Wesens, das
seine Gischt und seinen Schaum von Gefühlen, Empfindungen, Sentimentalitäten,
einen dynamischen Enthusiasmus der vitalen Schichten, lebhafte Reaktionen der
physischen Seiten, die Erschütterungen und Erregungen von Nerven und Körper
aufwallen läßt. Häufig verwechselt man das mit der Seele und hält dies
vermischte und verworrene Wirken für Seelen-Regung, für eine Entfaltung und
Wirkweise der Seele, für einen verwirklichten inneren Einfluß. Die psychische
Wesenheit selbst ist frei von Makel und Beimischung. Was aber aus ihr
hervortritt, ist nicht durch diese Immunität geschützt. Darum wird solche
Verwirrung möglich.
Außerdem kommt das psychische Wesen, die
Seelen-Persönlichkeit in uns, nicht sofort voll-erwachsen und strahlend ans
Licht. Sie entfaltet sich und durchläuft eine langsame Entwicklung und
Ausformung. Die Gestalt ihres Wesens mag zuerst undeutlich sein und danach noch
für lange Zeit schwach und unentwickelt, nicht mehr verunstaltet, doch noch
nicht ausgestaltet sein. Denn sie gründet ihre Ausformung, ihre dynamische
Selbst-Struktur, auf die Seelen-Macht, die aktuell und mehr oder minder
erfolgreich in der Evolution gegen den Widerstand der Unwissenheit und
Unbewußtheit in den Vordergrund gebracht worden ist. Ihr Erscheinen ist das
Zeichen dafür, daß die Seele in der Natur hervortritt. Wenn dieses Emportauchen
bis jetzt noch unbedeutend und mangelhaft ist, wird auch die
Seelen-Persönlichkeit noch verkümmert oder schwach sein. Auch ist sie durch die
Verdunkelung unseres Bewußtseins von ihrer inneren Wirklichkeit getrennt. Sie
steht mit ihrem eigenen Ursprung in den Tiefen des Wesens nur in unvollkommener
Kommunikation. Denn der Weg dorthin ist bis jetzt noch nicht gebahnt. Leicht
wird er behindert, die Leitungsdrähte werden oft durchschnitten oder sind mit
Nachrichten anderer Art und anderen Ursprungs
überlastet. Ebenso unvollkommen ist ihr Vermögen, mit dem, was sie empfängt, auf
die äußeren Instrumente einzuwirken. Angesichts ihrer eigenen Mangelhaftigkeit
muß sie sich in bezug auf die meisten Dinge auf diese Instrumente verlassen. Sie
gestaltet ihr Bedürfnis nach Ausdruck und Handeln aufgrund von deren Daten und
nicht allein aufgrund der unfehlbaren Wahrnehmungen der psychischen Wesenheit.
Unter diesen Umständen kann sie nicht verhindern, daß das wahre psychische Licht
im Mental herabgemindert oder verzerrt wird zur bloßen Idee oder Meinung. Das
psychische Fühlen im Herzen wird zu einer fehlbaren Emotion oder bloßen
Sentimentalität. Der psychische Wille zum Wirken in den Lebens-Organen entartet
in blinde vitale Begeisterung oder fieberhafte Erregung. Sie akzeptiert sogar
diese falschen Übertragungen aus Mangel an Besserem und versucht, durch sie zur
eigenen Erfüllung zu gelangen. Denn es gehört zum Wirken der Seele, daß sie
Mental, Herz und Vitalwesen beeinflußt und ihre Ideen, Gefühle, Begeisterungen
und die anderen Äußerungen ihrer Kräfte zu dem hinlenkt, was göttlich und
erleuchtet ist. Das soll aber zuerst nur unvollkommen, langsam und mit jenen
Beimischungen getan werden. Sobald die psychische Persönlichkeit stärker wird,
vertieft sie ihre Kommunion mit der psychischen Wesenheit, die hinter ihr steht,
und verbessert dadurch ihre Kommunikation mit der Außenwelt. So kann sie ihre
Anregungen Mental, Herz und Leben reiner und stärker mitteilen. Denn nun kann
sie wirksamer Kontrolle ausüben und gegen falsche Beimischungen einschreiten.
Immer mehr macht sie sich nun ausdrücklich als eine Macht in der Natur fühlbar.
Aber auch so wäre diese Evolution noch langsam und langwierig, wenn sie nur dem
schwierigen automatischen Wirken der evolutionären Energie überlassen bliebe.
Erst wenn der Mensch zum Wissen um seine Seele erwacht und die Notwendigkeit
fühlt, diese in den Vordergrund zu bringen, sie zum Herrn seines Lebens und
Wirkens zu machen, greift eine raschere, bewußte Methode der Entwicklung ein.
Nun wird die psychische Transformation möglich.
Dieser langsamen Entwicklung kann die klare Auffassung
des Mentals und dessen nachdrückliche Behauptung zu Hilfe kommen, es gebe etwas,
das den Tod des Körpers überlebt, sowie das mentale Bemühen, dessen Natur zu
erkennen. Dieses Erkennen wird anfangs durch die Tatsache behindert, daß es in
uns viele Elemente, viele Gestaltungen gibt, die sich als Seelen-Elemente
darstellen und irrtümlich für die Psyche
gehalten werden können. In den frühen Traditionen der Griechen und einiger
anderer Völker über ein Leben nach dem Tod zeigen die Beschreibungen deutlich,
daß das, was man damals irrtümlich für die Seele hielt, ein unterbewußtes,
subphysisches Gebilde eines Eindrucks oder einer Schattengestalt des Wesens oder
sonst ein Gespenst oder eine Geistererscheinung der Personalität war. Solche
Geistererscheinung, die man irrig mit Geist bezeichnet, ist manchmal vitaler
Ausdruck, Reproduktion vitaler Formen, charakteristischer Eigenschaften des
Menschen, seiner oberflächlichen Lebensgewohnheiten, Manchmal ist sie auch eine
subtil-physische Verlängerung der Dauer der äußeren Gestalt der mentalen Hülle.
Bestenfalls ist sie eine Umhüllung der Lebens-Persönlichkeit, die noch einige
Zeit nach dem Verlassen des Körpers wahrnehmbar bleibt. Abgesehen von diesen
Irrtümern, die vom Kontakt mit den nach ihrem Tod abgelegten Phantomgestaltungen
oder übriggebliebenen Umhüllungen der Personalität herrühren, wird die
Schwierigkeit dadurch verursacht, daß wir nichts über die subliminalen Seiten
unserer Natur und über Gestalt und Kräfte des bewußten Wesens, des purusha,
wissen, die über diesem Wirken walten. Wegen dieser mangelnden Erfahrung können
wir leicht etwas von unserem inneren Mental oder vom vitalen Ich für die Psyche
halten. Denn so, wie das Wesen ein einziges und doch vielfältig ist, verhält es
sich nach demselben Gesetz mit unserem Selbst und unseren Wesens-Seiten. Der
Geist, purusha, ist einer; er paßt sich aber den Gestaltungen der Natur
an. Über jeder Stufe unseres Wesens waltet eine Macht des Geistes. Wir besitzen
in unserem Innern – und wir entdecken, wenn wir tief genug nach innen gehen – ein Selbst des Mentals, ein Selbst des Lebens, ein physisches Selbst. Es gibt
ein Wesen des Mentals, einen mentalen purusha, der etwas von sich an
unserer Außenseite in den Gedanken, Wahrnehmungen und Aktivitäten unserer
Mental-Natur zum Ausdruck bringt. Wir haben auch ein Wesen des Lebens, das etwas
von sich in den Impulsen, Gefühlen, Begehren und den äußerlichen
Lebens-Aktivitäten unserer vitalen Natur ausdrückt. Und dann gibt es ein
physisches Wesen, ein Wesen des Körpers, das etwas von sich in den Instinkten,
Gewohnheiten und zum Ausdruck gebrachten Arten des Wirkens unserer physischen
Natur äußert. Diese Wesen oder diese Teil-Selbste des Selbsts in uns sind Mächte
des Geistes. Darum werden sie durch ihren zeitweiligen Ausdruck nicht begrenzt.
Denn was so in äußere Form gebracht wird, ist
nur
ein Bruchteil seiner Möglichkeiten. Aber diese Gestaltung nach außen erschafft
eine zeitweilige mentale, vitale oder physische Persönlichkeit, die ebenso
wächst und sich entfaltet, wie das psychische Wesen oder die Seele in uns wächst
und sich entwickelt. Jede hat ihre besondere Natur und übt auf unser Ganzes
ihren Einfluß und ihre Aktivität aus. An unserer Außenseite vermischen sich aber
alle diese Einflüsse und dieses ganze Wirken, sobald sie hervortreten. Sie
bilden ein Aggregat als vordergründiges Wesen, das eine Verbindung, eine
Verschmelzung ihrer aller ist. Das ist eine äußere, beharrende und doch sich
dauernd verändernde und bewegende Gestaltung für die Zwecke dieses Lebens und
seine begrenzte Erfahrung.
Diese menschliche Verbindung ist aber wegen ihrer
Zusammensetzung ein widerspruchsvoller Verbund, kein einheitliches harmonisches
und gleichartiges Ganzes. Aus diesem Grund herrscht in den Schichten unseres
Wesens ständig Wirrwarr, ja Widerstreit, den zu lenken und zu harmonisieren sich
unsere mentale Vernunft und unser Wille gedrängt fühlen. Sie haben aber oft
große Schwierigkeiten, aus ihrer Verwirrung und ihrem Konflikt etwas wie Ordnung
und Führung zu schaffen. Darum treiben wir gewöhnlich zu sehr dahin, oder wir
werden von der Strömung unserer Natur mitgerissen und handeln aufgrund dessen,
was sich in ihr am meisten an die Oberfläche drängt und die Instrumente unseres
Denkens und Handelns ergreift – selbst unsere scheinbar wohlüberlegte
Entscheidung ist mehr automatisch, als wir meinen. Die Koordinierung unserer
vielseitigen Elemente und der daraus entstehenden Gedanken, Gefühle, Impulse und
Handlungen durch Vernunft und Willen ist unvollständig und nur eine halbe
Maßnahme. Im Tierwesen wirkt die Natur durch die eigenen mentalen und vitalen
Intuitionen. Durch den Zwang von Gewohnheit und Instinkt, dem das Tier aus
eigenem Antrieb gehorcht, arbeitet sie eine Ordnung aus, so daß die Schwankungen
seines Bewußtseins bedeutungslos sind. Der Mensch kann aber durchaus nicht auf
die gleiche Weise handeln, ohne daß er seine Sonderstellung als Mensch verlieren
würde. Er kann nicht zulassen, daß sein Wesen zu einem Wirrwarr von Instinkten
und Impulsen wird, den der Automatismus der Natur reguliert. In ihm ist das
Mental bewußt geworden und wird darum vom Selbst gezwungen, einen, wenn auch in
vielen Menschen nur elementaren, Versuch zu unternehmen, die vielfältigen
Komponenten, die verschiedenen und widerstreitenden Tendenzen, die sein äußeres
Wesen auszumachen scheinen, zu sehen, zu lenken
und schließlich immer vollkommener zu harmonisieren. Sein Erfolg besteht darin,
daß er eine Art reguliertes Chaos, geordnete Verwirrung in sich erschafft. Oder
er meint schließlich, er lenke sich selbst durch sein Mental und seinen Willen,
obwohl diese Lenkung tatsächlich nur teilweise geschieht. Denn seine Vernunft
und sein Wille verwenden nicht nur eine gemischte Gesellschaft von
gewohnheitsmäßigen Antriebskräften, sondern auch neu auftauchende vitale und
physische Tendenzen und Impulse, die nicht immer berechenbar und kontrollierbar
sind, und viele unzusammenhängende und unharmonische Elemente, die eindringen
und den Aufbau seines Selbsts, die Entwicklung seiner Natur und das Wirken
seines Lebens bestimmen. In seinem Selbst ist der Mensch eine einzige Person. In
der Manifestation seines Selbsts ist er aber eine Multiperson. Erst wenn die
Person die Macht über seine Multiperson ausübt und diese regiert, wird es ihm
gelingen, Meister seiner selbst zu sein. Das kann aber nur unvollkommen durch
den äußeren mentalen Willen und die Vernunft und erst dann vollkommen geleistet
werden, wenn er in sein Inneres geht und jenes zentrale Wesen entdeckt, das
durch seinen vorherrschenden Einfluß Herr all seines Ausdrucks und Wirkens ist.
In ihrer innersten Wahrheit ist seine Seele dieses zentrale Wesen. Im äußeren
Dasein ist es aber oft eines oder das andere dieser Teil-Wesen in ihm, das
herrscht. Er kann dann diesen Repräsentanten seiner Seele, diesen Stellvertreter
seines Selbsts, mit dem innersten Seelen-Prinzip verwechseln.
Diese Herrschaft von verschiedenen Selbsten in uns ist
die Ursache jener Entwicklungs-Stufen der menschlichen Persönlichkeit, die zu
unterscheiden wir bereits Gelegenheit hatten. Wir können sie jetzt noch einmal
unter dem Gesichtspunkt betrachten, wie die Natur durch das innere Prinzip
beherrscht wird. In manchen menschlichen Wesen ist es der physische purusha,
das Wesen des Körpers, der Mental, Willen und Handeln beherrscht. So wird der
physische Mensch erschaffen, der sich hauptsächlich mit seinem körperlichen
Leben, seinen gewohnheitsmäßigen Bedürfnissen, Trieben, den Neigungen seines
Lebens, Mentals und Körpers befaßt. Er blickt nur wenig oder überhaupt nicht
über diese hinaus und ordnet seine anderen Tendenzen und Möglichkeiten dieser
engen Gestaltung unter und beschränkt sie darauf. Aber selbst im physischen
Menschen gibt es noch andere Elemente. Er kann nicht nur wie ein menschliches
Tierwesen leben, das sich lediglich um Geburt,
Tod, Fortpflanzung und die Befriedigung der gewöhnlichen Triebe und Begierden
sowie um die Erhaltung von Leben und Körper kümmert. Das ist sein normaler
Persönlichkeits-Typus. Aber quer durch ihn gehen, wenn auch schwache, Einflüsse
hindurch, mittels deren er, wenn sie entwickelt werden, zu einer höheren
menschlichen Entwicklung vorankommen kann. Wenn der innere subtil-physische
purusha darauf drängt, kann der Mensch zur Vorstellung eines feineren,
schöneren und vollkommeneren physischen Lebens gelangen. Er kann hoffen und
versuchen, dieses in seinem eigenen Dasein oder in dem des Kollektivs oder der
Gruppe zu verwirklichen. Bei anderen herrscht das vitale Selbst, das Wesen des
Lebens, vor und regiert Mental, Willen und Handeln. Dann wird der vitale Mensch
geschaffen, dessen Haupt-Anliegen es ist, sich selbst durchzusetzen, sein Leben
zu vergrößern und auszuweiten, seinen Ehrgeiz und seine Leidenschaft, seine
Triebe und sein Begehren und die Ansprüche seines Ichs zu befriedigen. Er will
Beherrschung, Macht, Aufruhr, Kampf und Streit, inneres und äußeres Abenteuer.
Alles übrige ist Nebenwirkung oder wird dieser Bewegung, dem Aufbau und Ausdruck
seines vitalen Ichs untergeordnet. Doch sind – möglicherweise – im vitalen
Menschen auch andere Elemente eines wachsenden mentalen oder spirituellen
Charakters, auch wenn diese vielleicht noch weniger entfaltet sind als seine
Lebens-Persönlichkeit und -Macht. Die Natur des vitalen Menschen ist aktiver,
stärker und beweglicher, turbulenter und verworrener – oft bis zu dem Punkt, da
sie völlig regelwidrig ist – als die des physischen Menschen, der fest auf dem
Boden steht und eine gewisse materielle Ausgeglichenheit und sein Gleichgewicht
besitzt. Sie ist aber mehr dynamisch und schöpferisch, denn das Element des
vitalen Wesens ist nicht die Erde, sondern die Luft; es besitzt mehr Bewegung,
weniger Statik. Ein kraftvolles vitales Mental und sein Wille können die
beweglichen vitalen Energien in den Griff bekommen und beherrschen. Das
geschieht aber mehr durch kraftvollen Zwang und Unterdrückung als durch
Harmonisierung des Wesens. Wenn aber eine starke vitale Persönlichkeit, ihr
Mental und Wille, die vernünftige Intelligenz dazu bringen kann, sie stark zu
unterstützen und ihr Diener zu sein, kann eine gewisse starke Gestaltung
zustande kommen, die mehr oder weniger ausgeglichen, aber immer machtvoll,
erfolgreich und wirkungsstark ist. Sie kann ihre Herrschaft der Natur und
Umgebung aufzwingen und sich in Leben und Handeln in starker Selbst-Behauptung
durchsetzen.
Das ist der zweite Schritt einer
harmonisierten Ausformung, der beim Aufstieg der Natur möglich ist.
Auf einer höheren Stufe der Persönlichkeitsentwicklung
mag das Wesen des Mentals vorherrschen. Da wird dann der mentale Mensch
geschaffen, der vorwiegend so im Mental lebt, wie die anderen in der vitalen und
physischen Natur leben. Der mentale Mensch will sein ganzes Wesen dem mentalen
Ausdruck seines Selbsts, seinen mentalen Zielen und Interessen, den Ideen oder
Idealen seines Mentals unterordnen. Da diese Unterordnung so schwierig und, wenn
einmal erreicht, von so starker Wirkung ist, wird es für ihn zugleich schwerer
und leichter, zu einer Harmonie seiner Natur zu kommen. Es wird leichter, weil
der mentale Wille, wenn er erst einmal die Kontrolle hat, durch die Macht der
rationalen Intelligenz das Leben, den Körper und ihre Ansprüche überzeugen und
zugleich beherrschen, zwingen und unterdrücken kann. Er kann sie in Ordnung und
Übereinstimmung bringen, zwingen, seine Werkzeuge zu werden, und ihre Macht
sogar so weit unterdrücken, daß sie das mentale Leben nicht stören, es nicht von
seinem Streben nach Ideen und Idealen herunterziehen können. Schwieriger wird es
dagegen, weil Leben und Körper die Anfangs-Vermögen sind. Wenn sie auch nur im
mindesten stark sind, können sie sich dem mentalen Beherrscher mit einer fast
unüberwindlichen Hartnäckigkeit aufzwingen. Der Mensch ist ein mentales Wesen.
Das Mental ist der Lenker seines Lebens und Körpers. Es ist aber ein Regent, der
weithin von seinen Regierten geführt wird und manchmal keinen anderen Willen hat
als den, den sie ihm aufzwingen. Das Mental ist trotz seiner Macht oft
ohnmächtig gegenüber dem Unbewußten und Unterbewußten, die seine Klarheit
verdunkeln und es auf den Wogen von Instinkt und Impuls davontragen. Trotz
seines klaren Denkens wird es durch vitale und emotionale Suggestionen dazu
verführt, der Unwissenheit und dem Irrtum, falschem Denken und falschem Handeln
seine Zustimmung zu geben. Oder es wird dazu gezwungen, zuzusehen, wie die Natur
Wege geht, von denen es weiß, daß sie falsch, gefährlich und böse sind. Auch
dann, wenn das Mental stark, klar und vorherrschend ist, kann es, obwohl es dem
Wesen und der Natur eine gewisse, ja eine beträchtliche mentalisierte Harmonie
auferlegt, diese sich doch nicht im ganzen integrieren. Außerdem führen solche
Harmonisierungen durch schwächere Beherrschung zu keinem schlüssigen Ergebnis,
da nur eine Seite der Natur vorherrscht und sich zur Erfüllung
bringt, während die anderen unter Zwang gehalten werden und ihnen die Erfüllung
versagt bleibt. Das können Stufen auf dem Wege sein, aber sie sind nicht
endgültig. Darum gibt es bei den meisten Menschen keine solche alleinige
Vorherrschaft des Mentals, sondern nur eine durch es bewirkte partielle
Harmonie. Es erreicht nur ein Übergewicht, während es im übrigen nur zum labilen
Gleichgewicht einer halb-ausgebildeten, halb in Gestaltung begriffenen
Persönlichkeit kommt. Manchmal geht das Gleichgewicht auch dadurch verloren, daß
die zentrale Lenkung fehlt oder daß eine früher erreichte teilweise
Ausgeglichenheit gestört wird. All das muß aber ein Übergang bleiben, bis die
erste, wenn auch nicht endgültige, wahre Harmonisierung dadurch erreicht wird,
daß wir unsere wahre Mitte finden. Denn das wahre zentrale Wesen ist die Seele.
Doch bleibt dieses Wesen im Hintergrund und ist bei den meisten Menschen nur der
verborgene Beobachter oder gleichsam konstitutionelle Herrscher, der seinen
Ministern gestattet, an seiner Stelle zu regieren, der ihnen seine Herrschaft
delegiert und ihren Entscheidungen schweigend zustimmt. Nur hie und da spricht
er sein Wort aus, über das sie jeden Augenblick hinweggehen und anders handeln
können. Das gilt aber nur, solange die Seelen-Persönlichkeit, die von der
psychischen Wesenheit herausgestellt wird, noch nicht genügend entwickelt ist.
Sobald sie so stark wurde, daß sich die innere Wesenheit durch sie durchsetzt,
kann die Seele hervortreten und die Natur regieren. Wenn so der wahre Monarch
auftritt und die Zügel seiner Herrschaft übernimmt, kann die wahre
Harmonisierung unseres Wesens und unseres Lebens stattfinden.
Die erste Bedingung für das vollständige Hervortreten
der Seele ist, daß es im vordergründigen Wesen zu einer unmittelbaren Berührung
mit der spirituellen Wirklichkeit kommt. Weil das psychische Element in uns von
ihr herkommt, wendet es sich immer dem zu, was in der phänomenalen Natur einer
höheren Wirklichkeit anzugehören scheint und was als deren Zeichen und Charakter
angenommen werden kann. Zuerst sucht die Seele diese Wirklichkeit durch das
Gute, Wahre, Schöne, durch alles, was rein, fein, erhaben und edel ist. Obwohl
diese Berührung mit der Wirklichkeit durch äußere Zeichen und durch
Charaktereigenschaften die Natur verändern und vorbereiten kann, ist hierdurch
allein eine völlige Umwandlung im Innersten und Tiefsten nicht möglich. Für eine
solche innerste Verwandlung ist die unmittelbare Berührung mit der Wirklichkeit
selbst unentbehrlich. Denn nichts anderes kann
den Grund unseres Wesens in solcher Tiefe anrühren, erregen oder unsere Art
durch jene Erregung in Gärung zur Verwandlung bringen. Mentale Vorstellungen,
emotionale oder dynamische Gestaltungen haben ihren Nutzen und ihren Wert.
Wahrheit, Güte und Schönheit sind an sich ursprüngliche und machtvolle
Vergegenwärtigungen der Wirklichkeit. Selbst in ihren vom Mental geschauten, vom
Herzen gefühlten und im Leben verwirklichten Formen können sie Bahnen für den
Aufstieg sein. Jenes aber, das sie repräsentieren, muß in einer spirituellen
Substanz und einem spirituellen Wesen von ihnen und von ihm selbst in unsere
Erfahrung eintreten.
Die Seele mag versuchen, diese Berührung mit der
Wirklichkeit hauptsächlich durch das denkende Mental als ihren Vermittler und
ihr Werkzeug herzustellen. Sie prägt dem Intellekt und dem umfassenderen Mental
der Innenschau und intuitiven Intelligenz ihre psychische Wirkung auf und wendet
diese in jene Richtung. Das denkende Mental wird in seiner höchsten Entfaltung
immer zum Apersonalen hingezogen. Bei seinem Suchen wird es einer spirituellen
Wesenheit, einer apersonalen Wirklichkeit bewußt, die sich in all diesen äußeren
Zeichen und Charaktereigenschaften zum Ausdruck bringt, jedoch mehr ist als jede
Gestaltung oder offenbarende Figur davon. Es fühlt etwas, dessen es unmittelbar
und unsichtbar inne wird – eine erhabene Wahrheit, ein höchstes Gutes, eine
wunderbare Schönheit, Reinheit und Seligkeit. Es spürt, wie eine Ewigkeit und
Unendlichkeit, die all das ist, was ist, und noch mehr als dieses, es immer
nachdrücklicher, immer weniger unfühlbar und abstrakt, immer mehr spirituell
wirklich und konkret, anrührt und seinen Druck auf es ausübt. Das ist ein Druck
dieser Apersonalität, die das ganze Mental in eine Form ihrer selbst umzuprägen
sucht. Zugleich wird das apersonale Geheimnis und Gesetz der Dinge immer
sichtbarer. Das Mental entfaltet sich in ein Mental des Weisen, zuerst des
großen mentalen Denkers, dann des spirituellen Weisen, der über die
Abstraktionen des Denkens zu den Anfängen unmittelbarer Erfahrung weitergegangen
ist. Das bewirkt ein geläutertes, umfassendes, ruhiges, apersonales Mental. Ein
ähnlich beruhigender Einfluß wird in den Organen des Lebens fühlbar. In anderer
Beziehung aber mag das Ergebnis unvollständig bleiben. Denn es ist natürlicher,
daß die mentale Umwandlung zu einem inneren statischen Zustand und äußerer
Stille führt. Wenn sie einmal auf diesen läuternden Quietismus eingespielt ist
und nicht, wie die vitalen Seiten, zur Entdeckung
neuer Lebens-Energien hingezogen wird, drängt sie nicht danach, eine volle
dynamische Wirkung auf die Natur auszuüben.
Auch ein höheres Bemühen durch das Mental verändert dieses Gleichgewicht der Kräfte nicht. Denn es ist die Tendenz des spiritualisierten Mentals, immer höher zu kommen. Da aber das Mental jenseits seiner selbst den Halt an Formen verliert, tritt es in eine unermeßliche formlose und gestaltlose Apersonalität ein. Es gewahrt das unwandelbare Selbst, den schieren Geist, die reine Leere eines wesenhaften Seins, das gestaltlose Unendliche und das namenlose Absolute. Auf diese höchste Höhe können wir unmittelbar gelangen, wenn wir von Anfang an direkt hinausstreben in ein Jenseits von allen Formen und Figuren, allen Vorstellungen von gut oder böse, wahr oder falsch, schön oder unschön, hin zu Jenem, das über allen Dualitäten steht, hin zur Erfahrung eines höchsten Einsseins, einer Unendlichkeit, Ewigkeit oder anderen unaussprechlichen Veredelung all dessen, was für das Mental der letzte und äußerste Begriff von Selbst und Geist ist. Da wird ein spiritualisiertes Bewußtsein erlangt. Das Leben fällt in die Stille zurück. Der Körper hört auf mit seinen Bedürfnissen und Ansprüchen. Die Seele taucht ein in das spirituelle Schweigen. Aber diese Transformation mittels des Mentals verschafft uns keine vollständige Transformation. Die psychische Umwandlung wird durch spirituelle Veränderungen auf den seltenen und höchsten Gipfeln ersetzt. Doch das ist nicht die vollständige göttliche Dynamisierung der Natur.
Ein zweiter Versuch der Seele, zum unmittelbaren
Kontakt mit der Wirklichkeit zu gelangen, geschieht durch das Herz. Das ist ihr
eigener, näherer und rascher Weg, denn ihr geheimer Sitz ist dort, gerade hinter
dem Herzzentrum, in naher Berührung mit dem emotionalen Wesen in uns.
Infolgedessen kann sie am Anfang am besten mit ihrer ursprünglichen Macht durch
die Gefühle, mit ihrer lebendigen Kraft konkreter Erfahrung wirken. Die
Annäherung geschieht durch Liebe und Verehrung des All-Schönen und
All-Wonnevollen, des All-Guten, des Wahren, der spirituellen Wirklichkeit von
Liebe. Die ästhetischen und emotionalen Seiten in uns vereinigen sich, um Jenem,
das sie verehren, die Seele, das Leben, die ganze Natur darzubringen. Durch
Anbetung kann man sich Jenem nur dann mit aller Kraft und ganzem Ungestüm nahen,
wenn das Mental über die Apersonalität hinausgeht und eines erhabenen Personalen
Wesens gewahr wird. Dann wird alles intensiv, lebhaft, konkret. Des Herzens
Empfinden und Fühlen, seine spiritualisierten Sinne
steigern sich bis zu ihrem Absoluten. Möglich, ja gebieterisch wird die völlige
Selbst-Hingabe. Im überströmenden Gefühl des Jüngers, des Liebenden, bhakta,
tritt der werdende spirituelle Mensch in Erscheinung. Wird er zudem noch
unmittelbar seiner Seele und ihrer Gebote bewußt, eint er seine emotionale mit
seiner psychischen Persönlichkeit, wandelt er sein Leben und seine vitalen
Seiten um durch Reinheit, Gott-Ekstase, Liebe zu Gott, zu den Menschen und zu
allen Geschöpfen, in einer Verkörperung von spiritueller Schönheit, erfüllt vom
göttlichen Licht und dem Guten, dann entwickelt er sich zum Heiligen. Nun
erlangt er die höchste innere Erfahrung und die bedeutendste Verwandlung seiner
Natur, die diesem Weg entspricht, sich dem Göttlichen Wesen zu nahen. Im Blick
auf das Ziel vollständiger Transformation ist aber auch das nicht genug. Es muß
noch eine Umwandlung des denkenden Mentals und aller vitalen und psychischen
Seiten unseres Bewußtseins in ihr eigenes Wesen kommen.
Diese umfassendere Umwandlung kann zum Teil dadurch
erreicht werden, daß wir den Erfahrungen des Herzens die völlige Hingabe unseres
pragmatischen Willens hinzufügen. Das muß zur Einwilligung der dynamischen Seite
in uns führen – sonst kann es nicht wirksam werden –, die die mentale Dynamik
unterstützt und das erste Instrument unseres Wirkens nach außen ist. Diese
Überantwortung des Wollens im Wirken schreitet in dem Maße fort, wie der
Ich-Wille und seine Antriebs-Macht des Begehrens stufenweise ausgeschaltet wird.
Das Ich unterwirft sich einem höheren Gesetz und schaltet sich zuletzt ganz aus.
Es scheint nicht mehr zu existieren, oder es existiert nur noch, um einer
höheren Macht oder einer höheren Wahrheit zu dienen oder sein Wollen und Wirken
dem Göttlichen Wesen als dessen Werkzeug anzubieten. Das Gesetz von Wesen und
Wirken oder das Licht der Wahrheit, das nun den Suchenden führt, mag eine
Klarheit oder eine Macht oder ein Prinzip sein, die er auf der höchsten für das
Mental erreichbaren Höhe wahrnimmt. Oder es mag eine Wahrheit des göttlichen
Willens sein, den er als gegenwärtig und in seinem Innern wirksam fühlt, der ihn
durch sein Licht oder durch eine Stimme, eine Kraft, eine Göttliche Person oder
eine Gegenwart führt. Am Ende dieses Weges erlangt man schließlich ein
Bewußtsein, in dem man fühlt, wie die Kraft oder Gegenwart im Innern wirkt und
alle Handlungen bewegt oder lenkt. Der personale Wille ist diesem größeren
Wahrheits-Willen, der Wahrheits-Macht oder Wahrheits-Gegenwart völlig
überantwortet oder mit ihr identifiziert. Eine
Kombination aller drei Methoden, sich durch Mental, Willen und Herz dem Höchsten
zu nahen, bewirkt einen psychischen oder spirituellen Zustand unseres Wesens und
unserer Natur nach außen hin, in dem wir ein umfassenderes und komplexes
Offensein gegenüber dem psychischen Licht in unserem Innern und dem spirituellen
Selbst, ishvara, und der Wirklichkeit haben, die wir jetzt über uns
fühlen und die uns umhüllt und durchdringt. In der Natur kommt es zu einer
machtvolleren und vielseitigen Umwandlung, zu einem spirituellen Aufbau, zum
schöpferischen Wirken des Selbsts, zum Hervortreten einer Vollkommenheit, die
den Heiligen, den selbstlosen Arbeiter und den Menschen des spirituellen Wissens
miteinander vereint.
Damit diese Umwandlung aber ihre weiteste
Vollständigkeit und ganze Tiefe erlangen kann, muß das Bewußtsein seine Mitte,
seine statische und dynamische Position von der Außenseite in das innere Wesen
verlegen. Hier müssen wir die Grundlage für unser Denken, Leben und Handeln
finden. Kommt es doch zu keiner ausreichenden Transformation, wenn wir draußen
in unserer vordergründigen Person verbleiben und vom inneren Wesen her nur
Anregungen empfangen und befolgen. Man muß aufhören, die Persönlichkeit der
Außenseite zu sein; man soll zur inneren Person, zum purusha werden. Das
ist aber aus zwei Gründen schwierig. Erstens weil die äußere Natur dieser
Bewegung Widerstand entgegenstellt und sich an ihr normales gewohntes
Kräfte-Verhältnis und an die veräußerlichte Art des Daseins klammert. Zweitens
weil es ein langer Weg von der Außenseite in die Tiefen ist, in denen sich das
psychische Wesen vor uns verhüllt und dieser Zwischenraum von der subliminalen
Natur und ihren Bewegungen erfüllt ist, die keineswegs alle unser völliges
Eindringen in das Innere begünstigen. Die äußere Natur muß sich einer Umwandlung
ihres bisherigen Kräfte-Ausgleichs unterziehen. Sie muß ihre Substanz und
Energie stillegen, läutern und in etwas Feineres verwandeln, wodurch die vielen
Widerstände in ihr seltener werden, entfallen oder sonstwie verschwinden. Dann
wird es möglich, durch sie hindurch in die Tiefen unseres Wesens einzudringen.
Von den so gewonnenen Tiefen her kann ein neues Bewußtsein gebildet werden, das
sowohl hinter dem äußeren Selbst wie in ihm wirkt und die Tiefen mit der
Oberfläche vereinigt. In uns muß ein Bewußtsein emporwachsen oder sich
offenbaren, das immer mehr aufgeschlossen ist für das tiefere und höhere Wesen; das empfänglicher wird für das kosmische Selbst, für seine
Macht und für alles, was aus der Transzendenz herabkommt; das sich hinwendet zu
einem höheren Frieden, durchlässig wird für mehr Licht, Kraft und Entzücken, ein
Bewußtsein, das über die kleine Persönlichkeit hinauswächst und das begrenzte
Licht und die begrenzte Erfahrung des vordergründigen Mentals, die beschränkte
Stärke und Sehnsucht des Lebens-Bewußtseins und die dunkle und begrenzte
Reaktions-Fähigkeit des Körpers übertrifft.
Aber schon bevor diese beruhigende Läuterung der
äußeren Natur wirksam oder ausreichend wurde, kann man durch die Gewalt von
Anrufung und Erstreben, durch stürmischen Willen, gewaltige Anstrengung,
wirkungsstarke Selbstzucht oder einen Denkvorgang die Wand niederbrechen, die
unser inneres Wesen gegen unser äußeres Bewußtsein abschirmt. Diese Bewegung mag
aber unzeitig früh unternommen werden und ist dann nicht ohne ernstliche
Gefahren. Wenn man in den inneren Bereich eindringt, kann man sich mitten in
einem Chaos übernormaler Erfahrungen finden, mit denen man nicht vertraut ist
und zu deren Verständnis man keinen Schlüssel besitzt. Oder der Druck
subliminaler oder kosmischer Kräfte, die unterbewußt, mental, vital,
subtil-physisch sind, kann das Wesen übermäßig beeinflussen und hin- und
hertreiben. Sie können es in einer Höhle mit Finsternis umgeben, in einer Wüste
von Verzauberung, Verführung und Trug herumirren lassen oder auch in ein
düsteres Schlachtfeld stoßen, das voll ist von verborgenen, verräterischen und
irreführenden oder offen gewalttätig auftretenden Widersachern. Vor den inneren
Sinnen, dem Schauen und Hören, mögen Wesen, Stimmen und Einflüsse erscheinen,
die von sich behaupten, sie seien das Göttliche Wesen, seine Boten oder Mächte
und Gottheiten des Lichts oder Führer auf dem Pfad zur Verwirklichung. In
Wahrheit sind sie aber von ganz anderer Art. Ist zu viel Ichhaftigkeit in der
Natur des Suchenden, eine starke Leidenschaft, übermächtiger Ehrgeiz, Eitelkeit
oder eine andere ihn beherrschende Schwäche, oder ist sein Mental unklar, sein
Wille schwankend, seine Lebenskraft schwach, ist er haltlos und unausgeglichen,
dann wird er wahrscheinlich an diesen Schwächepunkten angegriffen: Er soll
frustriert werden, abirren vom rechten Weg inneren Lebens und Suchen, auf
falsche Pfade gelenkt werden oder auf den Irrwegen im Chaos seiner Erfahrungen
im Zwischenbereich im Stich gelassen werden und den Ausweg in die wahre
Verwirklichung verfehlen. Diese Gefahren waren
der vergangenen spirituellen Erfahrung wohl bekannt. Man trat ihnen entgegen,
indem man auf die Notwendigkeit von Initiation, Disziplin, Methoden der
Läuterung, auf den Test durch das Gottes-Urteil drängte. Man mußte sich ganz den
Weisungen dessen unterwerfen, der den Pfad gefunden hatte und ihn führte, der
die Wahrheit erkannt hatte und sie selbst besitzt, der das Licht, die Erfahrung
übermitteln kann, eines Führers, der stark genug ist, den Suchenden bei der Hand
zu nehmen und über schwierige Übergänge hinwegzuführen wie auch den Weg zu
lehren und auf ihn hinzuweisen. Trotzdem werden die Gefahren weiterbestehen. Wir
können sie nur überwinden, wenn in uns völlige Aufrichtigkeit wächst, der Wille
zur Läuterung, die Bereitschaft, der Wahrheit zu gehorchen, sich dem Höchsten
völlig zu übergeben und das einengende und sich behauptende Ich aufzugeben oder
einem göttlichen Joch zu unterwerfen. Diese Dinge sind ein Zeichen dafür, daß
der wahre Wille zur Verwirklichung, zur Umwandlung des Bewußtseins und zur
Transformation erlangt worden ist. In einer solchen Verfassung können die Mängel
der Natur, die zum menschlichen Wesen gehören, kein dauerndes Hindernis gegen
die Umwandlung vom mentalen in den spirituellen Zustand sein. Der Prozeß mag nie
ganz leicht sein. Doch ist der Weg nun erschlossen und gangbar gemacht worden.
Eine oft angewandte wirkungsvolle Methode, das
Eindringen in unser inneres Selbst zu erleichtern, ist die Trennung des
purusha, des bewußten Wesens, von prakriti, der geformten Natur. Wenn
man so vom Mental und seinen Wirkweisen zurücktritt, daß sie nach Belieben
stille werden oder nur als äußere Bewegung weitergehen, deren gleichgültiger und
uninteressierter Beobachter man ist, kann man schließlich erkennen, daß man das
innere Selbst des Mentals, das wahre und reine mentale Wesen, der purusha
ist. Tritt man in ähnlicher Weise hinter die Wirkweisen des Lebens zurück, kann
man sich als das innere Selbst des Lebens, als das wahre und reine vitale Wesen,
als den purusha, erkennen. Es gibt sogar ein Selbst des Körpers, dessen
wir bewußt werden können als eines wahren und reinen physischen Wesens,
purusha, wenn wir hinter den Körper mit seinen Forderungen und Aktivitäten
zurücktreten, in das Schweigen des physischen Bewußtseins eingehen und das
Wirken seiner Energie beobachten. Tritt man nacheinander oder gleichzeitig von
allem Wirken der Natur zurück, wird es auch möglich, die Wirklichkeit seines
inneren Wesens als das schweigende apersonale
Selbst wahrzunehmen, als den Zeugen purusha. Das wird zur spirituellen
Erkenntnis und Befreiung führen, aber nicht notwendig auch eine Transformation
zustandebringen. Denn der purusha kann nun, zufrieden damit, frei und er
selbst zu sein, die Natur, prakriti, verlassen, um ihre angehäufte
Antriebskraft auszuschöpfen, indem er ihr Wirken nicht mehr unterstützt und ihre
mechanische Fortdauer nicht mehr durch seine Zustimmung erneuert, verstärkt,
lebendig erhält und verlängert. Er kann diese Zurückweisung als Mittel
verwenden, um sich völlig aus aller Natur zurückzuziehen. Der purusha muß
nicht nur der Beobachter werden, sondern der Wissende, der Ursprung, der Meister
über alles Denken und Handeln. Das kann aber nur teilweise geschehen, solange
man auf der mentalen Ebene verbleibt oder noch die gewöhnliche Instrumentation
von Mental, Leben und Körper zu verwenden hat. Gewiß kann man eine gewisse
Meisterschaft erreichen, Meisterschaft ist aber noch keine Transformation. Die
bisher erreichte Umwandlung kann nicht ausreichen, um vollständig zu sein: Dazu
ist wesentlich, daß wir ganz zurücktreten, hinter das Mental-Wesen, das
Lebens-Wesen, das Körper-Wesen, noch tiefer nach innen zur psychischen Wesenheit
eindringen, die zuinnerst und am tiefsten in uns ist, oder auch, daß wir uns für
die überbewußten höchsten Ebenen öffnen. Um in die leuchtende Krypta der Seele
eintreten zu können, muß man durch den ganzen sich eindrängenden vitalen Stoff
bis zum psychischen Zentrum in uns vordringen, wie lang, mühsam und schwierig
auch dieser Prozeß sein mag. Eine nützliche Hilfe für diesen schweren Übergang
ist die Methode: Abstandnehmen von der Bedrängnis durch alle mentalen, vitalen
und physischen Ansprüche, Forderungen und Antriebe; Konzentration im Herzen;
Askese der Selbst-Läuterung und Zurückweisung der alten Regungen des Mentals und
des Vitals; Verwerfen des Ichs unseres Begehrens und Ablegen der falschen
Bedürfnisse und Gewohnheiten. Die wirksamste, zentralste Methode aber ist, daß
wir diese oder andere Maßnahmen auf eine Selbst-Darbringung gründen, auf eine
Überantwortung unseres Selbsts und aller Schichten unseres Wesens an das
Göttliche Wesen, an den ishvara. Normal und notwendig ist es auch für
alle, mit Ausnahme von einigen besonders begabten Suchern, daß sie der weisen
und intuitiven Lenkung durch einen Führer gehorchen.
Zerspringt dann die Verkrustung der äußeren Natur,
fallen die Wände der inneren Abtrennung, dann bricht das innere Licht durch; das
innere Feuer brennt im Herzen; die Substanz der
Natur und der Stoff des Bewußtseins verfeinern sich zu größerer Subtilität und
Reinheit; die tieferen psychischen Erfahrungen, solche, die nicht allein von
innerer mentaler oder innerer vitaler Art sind, werden in dieser subtileren,
reineren und feineren Substanz möglich. Die Seele beginnt, sich zu enthüllen;
die psychische Personalität erlangt ihre volle Gestalt. Nun offenbart sich die
Seele, die psychische Wesenheit, als das zentrale Seiende, das Mental, Leben und
Körper samt allen anderen Mächten und Funktionen des Geistes trägt und erhält.
Sie übernimmt ihre höhere Funktion, die Natur zu führen und zu beherrschen. Eine
Lenkung und Regierung von innen fängt an, die jede Regung unter das Licht der
Wahrheit stellt, alles zurückweist, was falsch und dunkel ist, was sich der
göttlichen Verwirklichung widersetzt. Jeder Bereich des Wesens, jeder Winkel,
jede Ecke wird mit dem irrtumsfreien psychischen Licht aufgehellt, jede
Bewegung, Gestaltung, Richtung, Neigung von Denken und Wollen, Gefühl und
Empfindung, Wirkung und Gegenwirkung, Motiv und Planung, Neigung und Begehren,
Gewohnheit des bewußten oder unbewußten Physischen, selbst das, was am meisten
verborgen, getarnt, stumm und entlegen ist. Ihre Verwirrungen werden zerstreut,
ihre Verstrickungen aufgelöst, ihre Unklarheiten, Täuschungen und
Selbst-Täuschungen genau aufgezeigt und beseitigt. Alles wird geläutert und in
Ordnung gebracht; die ganze Natur wird harmonisiert, auf die psychische Note
abgestimmt und spirituell geordnet. Dieser Prozeß mag je nach der noch in der
Natur übrig gebliebenen Finsternis und Widersetzlichkeit rasch oder langsam
verlaufen. Es geht aber unbeirrbar weiter, solange er noch nicht vollständig
ist. Als endgültiges Ergebnis wird das ganze bewußte Wesen ganz und gar dazu
befähigt, spirituelle Erfahrungen aller Art zu machen. Es wird hingelenkt zur
spirituellen Wahrheit von Denken, Fühlen, Empfinden und Handeln. Es wird auf die
richtigen Reaktionen eingestimmt, befreit von der Dunkelheit und Sturheit des
trägen tamas, vom Trubel, den Verwirrungen und unreinen Leidenschaften von rajas
mit seiner ruhelosen, unharmonischen Dynamik, von den erleuchteten Starrheiten
und Engstirnigkeiten von sattva oder von den unausgeglichenen
Kräfteverhältnissen eines nur konstruierten Gleichgewichts, die für die
Unwissenheit charakteristisch sind.
Das ist das erste Ergebnis. Das zweite ist ein freies
Einströmen aller Arten von spiritueller Erfahrung: Erfahrungen des Selbsts,
Erfahrungen des ishvara und der
Göttlichen shakti, Erfahrungen des kosmischen Bewußtseins, unmittelbare
Berührung mit den kosmischen Kräften und mit den geheimen Bewegungen der
universalen Natur, seelisches Mitfühlen und Einheit, innere Kommunikation und
vielfacher Austausch aller Art mit den anderen Wesen und mit der Natur,
Erleuchtungen des Mentals durch das Wissen, Erleuchtungen des Herzens durch
Liebe, fromme Hingabe, spirituelle Freude und Ekstase, Erleuchtungen der Sinne
und des Körpers durch höhere Erfahrung, Erleuchtungen dynamischen Handelns in
der Wahrheit und umfassenden Weite eines geläuterten Mentals, Herzens und der
Seele, die Gewißheiten des göttlichen Lichts und der Führung, die Freude und
Macht der göttlichen Kraft, die im Willen und in der Lebensführung wirkt. Diese
Erfahrungen kommen, weil sich das innere und innerste Wesen und seine Natur nach
außen hin öffnen. Denn nun tritt die Seelen-Macht eines nie irrenden
ursprünglichen inneren Bewußtseins in das Kräftespiel ein, seine Schau, seine
Einwirkung auf die Dinge, was jeder anderen mentalen Erkenntnis überlegen ist.
Dort gibt es, dem psychischen Bewußtsein in seinem reinen Wirken eingeboren, ein
unmittelbares Empfinden der Welt und ihrer Wesen, direkten Kontakt mit ihnen,
unmittelbare Berührung mit dem Selbst und mit dem Göttlichen Wesen, ein
unmittelbares Wissen und Schauen der Wahrheit und aller Wahrheiten, ein ohne
Vermittlung eindringendes spirituelles Empfinden und Fühlen, direkte Intuition
des rechten Willens und rechten Handelns, eine Macht, zu regieren und eine
Ordnung des Seienden zu schaffen, ohne daß das vordergründige Selbst danach zu
suchen braucht, vielmehr von innen her, aus der inneren Wahrheit des Selbsts und
der Dinge und aus den geheimen Wirklichkeiten der Natur.
Manche dieser Erfahrungen können schon durch ein
Sich-Öffnen des inneren Mentals und vitalen Wesens eintreten, durch das innere
und umfassendere, subtile Mental, das Herz und das Leben in uns, ohne daß die
Seele, die psychische Wesenheit, voll hervortritt, da auch dort die Macht zu
einem unmittelbaren Kontakt des Bewußtseins vorhanden ist. Die Erfahrung könnte
aber dann von vermischter Art sein. Denn es könnte dabei nicht nur das
subliminale Wissen, sondern auch die subliminale Unwissenheit hervortreten.
Leicht könnte es dabei zu einer ungenügenden Ausweitung des Wesens kommen, zu
einer Begrenzung durch eine mentale Idee, durch ein zu enges und auswählendes
Gefühl oder durch die Form des Temperaments, so daß nur ein unvollkommenes Erschaffen und Wirken des Selbsts zustande käme und nicht das freie
Hervortreten der Seele. Kommt aber das psychische Wesen nicht oder nicht
vollständig in den Vordergrund, könnten gewisse Erfahrungen, solche höheren
Wissens und einer größeren Kraft, sowie ein Überschreiten der gewöhnlichen
Grenzen zu einem aufgeblähten Ich führen. Sie würden dann statt des Aufblühens
dessen, was göttlich und spirituell ist, einen Ausbruch des Titanischen oder
Dämonischen hervorrufen. Sie könnten auch Organisationen oder Mächte
herbeirufen, die, wenn auch nicht verhängnisvoller, so doch von machtvoller,
aber niederer kosmischer Art sind. Regiert und lenkt jedoch die Seele, bringt
sie in alle Erfahrungen die Tendenz von Licht, Einbeziehung, Harmonie,
Rechtschaffenheit, wie sie der psychischen Wesenheit eigen ist. Eine psychische
oder, in weiterem Sinn, psychisch-spirituelle Transformation dieser Art wäre
bereits eine gewaltige Umwandlung unserer mentalen menschlichen Natur.
Aber diese ganze Umwandlung und Erfahrung würde sich,
auch wenn sie in Wesen und Art psychisch und spirituell ist, doch hinsichtlich
ihrer Einwirkung auf das Leben noch auf der mentalen, vitalen und physischen
Ebene vollziehen. Ihr dynamisches Ergebnis26 wäre ein Aufblühen der Seele
in Mental, Vital und Körper. In Handeln und Form wäre sie aber, wenn auch
umfassender, emporgehoben und verfeinert, in den Grenzen einer niederen
Instrumentation eingeengt. Sie wäre ein Spiegelbild, eine abgewandelte
Manifestation der Dinge, deren volle Wirklichkeit, Intensität, Weite, Einheit
und Verschiedenheit an Wahrheit, Macht und Seligkeit höher sind als wir, höher
als das Mental, darum auch höher als jede Vollkommenheit in den eigenen
Gestaltungen des Mentals, der Grundlagen oder des Überbaus unserer gegenwärtigen
Natur. In die psychische oder psychisch-spirituelle Umwandlung muß eine höchste
spirituelle Transformation eingreifen. Die psychische Bewegung nach innen zum
inneren Wesen hin, zum Selbst und zur Göttlichkeit in uns muß dadurch
vervollständigt werden, daß wir uns nach oben zu einem erhabenen spirituellen
Zustand hin oder einem höheren Sein öffnen. Wir können das tun, indem wir uns in
das, was über uns ist, aufschließen, indem sich das Bewußtsein in die Bereiche der übermentalen und supramentalen Natur erhebt, in denen
das Empfinden für das Selbst und den Geist unverhüllt und beständig vorhanden
ist. In ihnen wird die selbst-erleuchtete Instrumentation des Selbsts und des
Geistes nicht eingeschränkt und zerteilt wie in unserer Mental–, Lebens- und
Körper-Natur. Auch das macht die psychische Umwandlung möglich. Wie sie uns
öffnet für das kosmische Bewußtsein, das jetzt noch durch viele Wände der
begrenzenden Individualität vor uns verborgen ist, so macht sie uns auch den
Zugang frei zu dem, was unserer normalen Art jetzt noch überbewußt ist, da es
durch den starken, festen, hellen Verschluß des Mentals vor uns verborgen ist – des Mentals, das begrenzt, zerteilt, sondert. Dieser Verschluß wird dünner,
spaltet sich und zerbricht, oder er öffnet sich und verschwindet unter dem Druck
der psychisch-spirituellen Umwandlung und durch das natürliche Drängen des neuen
spiritualisierten Bewußtseins zu dem hin, das es hier ausdrückt. Dieses Bewirken
einer Öffnung mit ihren Konsequenzen könnte aber gar nicht stattfinden, käme es
nur zu einem teilweisen psychischen Hervortreten, das mit der Erfahrung der
Göttlichen Wirklichkeit innerhalb der normalen Grade des spiritualisierten
Mentals zufrieden ist. Wenn jedoch das Bewußtsein irgendwie zur Erfahrung des
Daseins dieser höheren übernormalen Ebenen wach geworden ist, kann ein Verlangen
nach ihnen den Verschluß brechen oder einen Spalt weit öffnen. Das kann lange
vorher stattfinden, bevor die psychisch-spirituelle Umwandlung vollständig ist,
oder auch bevor sie anfing oder weit fortschritt, weil die psychische
Persönlichkeit die Überbewußtheit wahrnahm und sich nun eifrig auf sie
konzentriert. Als Ergebnis des Strebens danach oder einer inneren Bereitschaft
dafür kann es zu früher Erleuchtung von oben oder dazu kommen, daß dieses obere
Membran zerreißt. Das kann auch eintreten, ohne daß man danach verlangt oder
ohne daß es durch einen bewußten Teil des Mentals herbeigerufen wurde,
vielleicht durch eine geheime subliminale Notwendigkeit oder durch Einwirkung
und Druck von den höheren Ebenen her, durch etwas, das wir als Berührung durch
das Göttliche Wesen, als Berührung des Geistes fühlen, – und dessen Resultate
können außerordentlich machtvoll sein. Wenn es durch vorzeitiges Drängen von
unten bewirkt wurde, können dabei Schwierigkeiten und Gefahren auftreten, die
fehlen, wenn das psychische Wesen hervortritt, bevor wir Zutritt bekommen zu den
höheren Bereichen unserer spirituellen Evolution. Die Entscheidung darüber
liegt nicht immer bei unserem Willen. Denn die Vorgänge der
spirituellen Evolution in uns sind sehr unterschiedlich. Je nach der Richtung,
in der sie verläuft, wird auch die Wendung sein, die in jeder kritischen Phase
von der Bewußtseins-Kraft bei ihrem Drängen nach höherer Selbst-Offenbarung und
Gestaltung unseres Daseins eingeschlagen wird.
Wenn sich der Spalt im Verschluß des Mentals öffnet,
offenbart sich unserer Schau etwas, das über uns ist, oder wir erheben uns zu
diesem, oder seine Mächte kommen in unser Wesen herab. Bei dieser Schau sehen
wir über uns eine Unendlichkeit, eine ewige Gegenwart oder ein unendliches Sein,
eine Unendlichkeit von Bewußtsein, eine Unendlichkeit von Seligkeit, – ein
grenzenloses Selbst, ein grenzenloses Licht, eine grenzenlose Macht, ein
grenzenloses Entzücken. Vielleicht ist auf lange Zeit alles, was erreicht wird,
deren gelegentliche, häufige oder ständige Schau und eine Sehnsucht, ein Streben
danach. Man kommt aber nicht weiter, weil sich zwar Mental, Herz oder eine
andere Seite des Wesens für diese Erfahrung geöffnet hat, die niedere Natur
jedoch als Ganzes noch zu schwer und unklar ist für weiteres. Statt dieses
ersten umfassenden Gewahrwerdens von unten her, oder als Folge davon, kann es
aber zu einem Aufschwung des Mentals zu Höhen über ihm kommen. Vielleicht
erkennen wir die Art dieser Höhen noch nicht, können wir sie noch nicht klar
unterscheiden, doch macht sich eine gewisse Auswirkung dieses Aufstiegs fühlbar.
Oft werden wir auch eines unendlichen Emporkommens und einer Rückkehr bewußt,
doch bleibt uns keine unmittelbare Erinnerung, keine Übertragung dieses höheren
Zustands. Denn das alles ist für das Mental überbewußt. Wenn sich dieses dorthin
erhebt, ist es zuerst nicht fähig, hier sein Vermögen bewußter Unterscheidung
und definierender Erfahrung zu behalten. Wenn diese Macht aber allmählich
erwacht und wirkt und das Mental stufenweise in dem bewußt wird, was für es
überbewußt war, beginnt die Erkenntnis und Erfahrung der höheren Ebenen des
Seins. Diese Erfahrung steht im Einklang mit dem, was uns durch die erste
Öffnung unseres inneren Schauens eingebracht wird: Das Mental erhebt sich in
eine höhere Ebene des reinen Selbsts. Es wird schweigend, ruhig, unbegrenzbar.
Oder es steigt weiter empor in Regionen von Licht oder Glückseligkeit oder in
Ebenen, wo es eine unendliche Macht oder eine Göttliche Gegenwart fühlt. Oder es
erfährt die Berührung durch die Göttliche Liebe und Schönheit, die Atmosphäre eines umfassenderen, größeren und erleuchteteren Wissens. Bei der
Rückkehr bleibt der spirituelle Eindruck bestehen. Nur die mentale Wiedergabe
davon ist oft verzerrt und bleibt als eine nur vage oder bruchstückhafte
Erinnerung. Das niedere Bewußtsein, von dem der Aufschwung ausging, fällt in das
zurück, was es vorher war, wozu nur noch eine ungenaue, oder nur eine erinnerte,
aber nicht mehr dynamische Erfahrung hinzukommt. Im Lauf der Zeit können wir
diesen Aufstieg nach Belieben machen; das Bewußtsein bringt dann zurück oder
behält eine Nachwirkung oder sonst einen Gewinn von seinem zeitweiligen
Aufenthalt in diesen höheren Gefilden des Geistes. Bei vielen finden diese
Erlebnisse des Aufschwungs in Trance statt. Sie sind aber sehr wohl in einer
Konzentration des wachen Bewußtseins möglich oder wenn dieses Bewußtsein
genügend seelisch geworden ist, auch in jedem Augenblick ohne besondere
Konzentration, wenn wir von jenen Höhen angezogen werden oder uns zu ihnen
hinwenden. Wenn diese beiden Arten einer Berührung mit dem Überbewußten auch
stark erleuchtend, ekstatisch oder befreiend sein mögen, sind sie doch an sich
noch nicht ausreichend wirksam. Wenn es zur vollen spirituellen Transformation
kommen soll, ist mehr notwendig: ein dauernder Aufstieg aus dem niederen in das
höhere Bewußtsein und ein wirkungsstarkes dauerndes Herabkommen der höheren
Natur in die niedere.
Das ist die dritte Bewegung, die Herabkunft, die
wesentlich ist, um den ständigen Aufstieg, ein zunehmendes Einströmen von oben
her und die Erfahrung zu bewirken, daß wir den herabkommenden Geist oder seine
Möglichkeiten und Elemente von Bewußtsein in uns aufnehmen und festhalten
können. Zu dieser Erfahrung der Herabkunft kann es im Ergebnis der beiden
anderen Bewegungen kommen. Bevor eine von diesen stattfand, kann sie auch
automatisch dadurch eintreten, daß sich in jenem Verschluß ein Spalt auftat und
ein Herabströmen oder Einfließen erfolgte. Ein Licht kommt von oben, berührt,
umhüllt oder durchdringt das niedere Wesen, das Mental, das Leben und den
Körper. Oder eine Gegenwart, eine Kraft oder ein Strom von Wissen ergießt sich
in Wogen oder Fluten. Oder eine Seligkeit oder ein plötzliches Entzücken strahlt
herab. Nun ist der Kontakt mit dem Überbewußten hergestellt. Denn solche
Erfahrungen wiederholen sich, bis sie normal und vertraut sind und klar
verstanden werden. Sie offenbaren ihre Inhalte und ihre Bedeutung, die zumeist
durch die die Erfahrung verhüllende Form dem Geheimnis involviert und verborgen
gewesen sein mögen. Denn ein Wissen von oben
beginnt, häufig, ständig, dann ununterbrochen herabzukommen und sich in der
Stille oder im Schweigen des Mentals zu manifestieren. In das Wesen treten
Intuitionen und Inspirationen ein, Offenbarungen, die aus größerer Schau,
höherer Wahrheit und Weisheit geboren sind. Es wirkt eine lichtvolle intuitive
Unterscheidung, die alle Dunkelheit des Verstandes, die blendenden Verwirrungen
zerstreut und alles in Ordnung bringt. Ein neues Bewußtsein beginnt, sich zu
formen: das Mental einer hohen, weiten, im Selbst gegründeten Erkenntnis, oder
ein erleuchtetes intuitives oder ein übermentales Bewußtsein mit neuen Kräften
des Denkens und Schauens; ein größeres Vermögen unmittelbarer spiritueller
Verwirklichung, die mehr ist als Denken und Schauen, ein höheres Werden in der
spirituellen Substanz unseres gegenwärtigen Wesens. Herz und Sinne werden
verfeinert, vertieft, geweitet, um alles Sein zu umfassen; Gott zu schauen, das
Ewige zu fühlen, zu hören, zu berühren, eine tiefere und innigere Einung des
Selbsts mit der Welt in einer transzendenten Verwirklichung zu vollziehen.
Andere entscheidende Erfahrungen, andere Umwandlungen des Bewußtseins
veranlassen sich selbst als Begleiterscheinungen und Folgen dieser fundamentalen
Umwandlung. Dieser Revolution kann keine Grenze gesetzt werden, denn sie ist
ihrer Natur nach ein Einbruch des Unendlichen.
Das ist der Verlauf der spirituellen Transformation,
wie sie in kleinen Schritten oder in einer Aufeinanderfolge von großen und
raschen endgültigen Erfahrungen bewirkt wird. Sie erreicht ihr Ziel und gipfelt
in einem oft wiederholten Aufstieg des Bewußtseins, bei dem sich dieses zuletzt
seinen Stand auf einer höheren Ebene sichert und von da aus auf das Mental, das
Leben und den Körper herabschaut und sie regiert. Sie vollendet sich schließlich
auch darin, daß die Mächte des höheren Bewußtseins und Wissens immer mehr
herniederkommen und zu unserem normalen Bewußtsein und Wissen werden. Licht und
Macht, Wissen und Kraft werden fühlbar, die zuerst Besitz vom Mental ergreifen
und es umprägen. Dann nehmen sie unsere Lebens-Schichten und formen sie neu.
Schließlich ergreifen sie das kleine physische Bewußtsein, lassen es nicht
länger klein, sondern machen es weit, bildsam, ja unendlich. Denn dieses neue
Bewußtsein ist selbst seiner Natur nach Unendlichkeit: Es bringt uns die
bleibende spirituelle Empfindung und Kenntnis des Unendlichen und Ewigen, die
umfassende Weite der Natur und das Niederreißen ihrer Begrenzungen.
Unsterblichkeit bleibt nicht mehr ein
Fürwahrhalten, eine nur innere Erfahrung, sondern wird zum normalen Gewahren des
Selbsts. Greifbar und ständig ist nun in unserem Wesen die nahe Gegenwart des
Göttlichen Wesens; seine Herrschaft über die Welt, über uns selbst und alle
Seiten unserer Natur; seine Kraft, die in uns und überall wirkt; der Friede des
Unendlichen und die Freude des Unendlichen. In allem Schauen, in allen Formen,
sehen wir das Ewige, die Wirklichkeit; in allen Klängen hören wir sie; bei jeder
Berührung fühlen wir sie. Es gibt nichts als nur seine Formen, Personalitäten
und Manifestationen. Die Freude oder Verehrung des Herzens, das Umarmen alles
Daseins, die Einheit des Geistes sind bleibende Wirklichkeiten. Das Bewußtsein
des mentalen Geschöpfes wird – oder hat sich schon – ganz in das Bewußtsein des
spirituellen Wesens verwandelt. Dies ist die zweite der drei Transformationen.
Sie vereint das manifestierte Dasein mit dem, was über ihm ist. Das ist die
mittlere der drei Stufen, der entscheidende Übergang der sich spirituell
entwickelnden Natur.
Hätte der Geist von Anfang an gesichert auf den oberen
Höhen verbleiben und von da aus auf einen leeren und unberührten Stoff von
Mental und Materie einwirken können, dann wäre eine vollständige spirituelle
Transformation rasch, sogar leicht erfolgt. Der tatsächliche Prozeß der Natur
ist aber schwieriger. Die Logik ihrer Bewegung ist vielfältiger, verdreht,
gewunden, umfassend. Sie berücksichtigt alle Gegebenheiten der Aufgabe, die sie
sich gestellt hat; sie ist nicht mit einem nur summarischen Triumph über ihre
eigenen komplexen Vorgänge zufrieden. Jede Seite unseres Wesens muß der eigenen
Natur, ihrem Charakter gemäß behandelt werden, wobei alles noch vorhanden ist,
was die Vergangenheit ihr aufprägte und in sie einzeichnete. Jeder kleinste
Teil, jede Bewegung, muß, wenn sie ungeeignet ist, zerstört und ersetzt, wenn
sie dazu fähig ist, in die Wahrheit des höheren Wesens umgewandelt werden. Ist
die psychische Umwandlung vollständig, kann dies durch einen schmerzlosen Prozeß
getan werden, obwohl auch hier das Programm lang und sorgfältig und das
Fortschreiten gut überlegt sein muß. Sonst muß man sich mit einem teilweisen
Ergebnis zufriedengeben. Oder man muß, wenn das eigene eifrige Streben nach
Vollkommenheit oder der Hunger des Geistes unersättlich ist, einem schwierigen,
oft schmerzvollen und scheinbar endlosen Wirken zustimmen. Denn gewöhnlich hebt
sich das Bewußtsein nur in den höchsten Augenblicken zu den Gipfeln empor. Es
verbleibt auf der mentalen Ebene und nimmt dort
das auf, was zu ihm von oben herabkommt. Manchmal ist es ein einzelnes
Herabkommen einer spirituellen Macht, die verbleibt und das Wesen in etwas
überwiegend Spirituelles umgestaltet; manchmal ist es eine Folge von
Herabkünften, die einen immer höheren spirituellen Zustand und eine größere
Dynamik in es herabbringen. Wenn man aber nicht auf der höchsten erreichten Höhe
leben kann, kommt es nicht zur vollständigen oder integralen Umwandlung. Hat die
psychische Mutation noch nicht stattgefunden und werden die höheren Kräfte
vorzeitig herabgezogen, ist möglicherweise ihre Einwirkung zu stark für das
brüchige und unreine Material der Natur. Sein unmittelbares Schicksal mag das
des ungebrannten Krugs des Veda sein, der den göttlichen Soma-Wein nicht
halten konnte. Oder das herabkommende Einströmen kann sich wieder zurückziehen;
oder es kann verschüttet werden, da die Natur es nicht fassen oder festhalten
kann. Ferner könnten, wenn es eine Macht ist, die herabkommt, das egoistische
Mental oder Vital versuchen, sie für ihre eigenen Zwecke an sich zu reißen. Das
unerwünschte Ergebnis könnte dann ein aufgeblähtes Ich oder ein Jagen nach
Kräften oder nach Meisterschaften sein, die das Ich grandios machen sollen. Das
herabkommende ananda kann nicht festgehalten werden, wenn zu viel
sexuelle Unreinheit da ist, die eine vergiftende oder herunterziehende Wirkung
ausübt. Die Macht zieht sich zurück, wenn Ehrgeiz, Eitelkeit oder eine andere
aggressive Form des niederen Ichs vorherrschen; das Licht weicht, wenn ein Hang
zum Obskuren oder zu irgendeiner Form der Unwissenheit besteht; die Gegenwart
entschwindet, wenn die Kammer des Herzens nicht fein hergerichtet ist. Auch kann
eine ungöttliche Kraft versuchen, zwar nicht die Macht selbst – denn diese zieht
sich zurück – aber das Ergebnis der Macht, das sie in ihrem Werkzeug zurückließ,
in ihre Gewalt zu bringen und für Zwecke des Widersachers zu verwenden. Selbst
wenn es zu keinem dieser verhängnisvollen Fehler oder Irrtümer kommen sollte,
können doch zahllose Unarten, in denen das Gefäß die Macht aufnimmt, oder dessen
Unvollkommenheiten die Transformation behindern. Die Macht muß dann in Abständen
kommen, inzwischen hinter dem Vorhang wirken oder sich für lange Zeiträume im
Hintergrund halten, um sich im Verborgenen anzupassen oder die widerspenstigen
Seiten der Natur vorzubereiten. Das Licht muß in der Dunkelheit oder im
Halbdunkel auf die Bereiche in uns einwirken, die noch in der Nacht sind. Jeden
Augenblick
kann das Wirken in dieser Person für
ihr jetziges Leben eingestellt werden, weil die Natur nicht mehr Licht aufnehmen
oder sich assimilieren kann – denn sie hat die jetzigen Grenzen ihrer
Aufnahmefähigkeit erreicht – oder weil zwar das Mental bereit sein mag, das
Vital aber das Licht zurückweist, wenn es vor der Entscheidung zwischen dem
alten und dem neuen Leben steht. Es könnte sich auch, wenn das Vital willig ist,
der Körper als zu schwach, als ungeeignet oder mangelhaft erweisen für die
notwendige Umwandlung seines Bewußtseins und für dessen kraftvolle
Transformation.
Zudem zwingt die Notwendigkeit, daß das Bewußtsein die
Umwandlung getrennt in jeder Schicht des Wesens, deren Art und Charakter
entsprechend, auszuarbeiten hat, dieses, in jede nacheinander herabzukommen und
dort im Einklang mit ihrem Zustand und ihrer Möglichkeit zu wirken. Würde diese
Arbeit von oben, aus einer spirituellen Höhe herab, getan werden, dann könnte
durch die reine Kraft des Einflusses von oben her eine Sublimierung, eine
Erhöhung oder die Schaffung einer neuen Struktur erzwungen werden. Diese
Umwandlung könnte aber vom niederen Wesen als ihm nicht wesensgemäß
zurückgewiesen werden. Denn das wäre kein allumfassendes Wachsen, keine
integrale Evolution, sondern eine nur partielle, aufgezwungene Gestaltung, die
nur einzelne Seiten des Wesens berührt und befreit, andere aber unterdrückt oder
in dem Zustand beläßt, in dem sie waren. Eine solche Schöpfung von außerhalb der
normalen Natur, die dieser aufgezwungen wird, könnte in vollem Umfang nur so
lange dauern, wie der schöpferische Einfluß aufrechterhalten wird. Ein
Herabkommen von Bewußtsein in die niederen Bereiche ist also notwendig. Es ist
aber in gewisser Weise auch schwierig, das volle Vermögen des höheren Prinzips
zur Wirkung zu bringen. Es kommt zu einer Abwandlung, Verdünnung, Verminderung,
die im Resultat Unvollkommenheit und Begrenzung fortdauern läßt. Zwar kommt das
Licht des höheren Wissens herab, es wird aber verzerrt und verändert. Seine
Bedeutung wird falsch ausgelegt; oder seine Wahrheit wird mit mentalem oder
vitalem Irrtum vermischt; oder die Kraft, das Vermögen zur eigenen Erfüllung ist
nicht gleich stark wie dieses Licht. Ein Licht und ein Vermögen des Übermentals,
das in seinem eigenen uneingeschränkten Recht und in seiner eigenen Sphäre
wirkt, ist eine Sache; muß aber dasselbe Licht in der Dunkelheit des physischen
Bewußtseins und unter dessen Bedingungen wirken, ist das eine andere Sache.
Infolge der Verdünnung und Vermischung ist es in
seinem Wissen, seiner Kraft und seinen Ergebnissen viel minderwertiger. Die
Folge ist eine verstümmelte Macht, eine nur partielle Wirkung und behinderte
Bewegung.
Gerade das ist der Grund, warum die Bewußtseins-Kraft
in der Natur nur so langsam und unter solchen Schwierigkeiten hervortritt. Denn
Mental und Leben müssen in die Materie herabkommen und sich deren Bedingungen
anpassen. Dort werden sie durch die dunkle und widerstrebende Trägheit von Stoff
und Kraft, in denen sie wirken, verwandelt und herabgewertet. Sie können keine
vollständige Umwandlung ihres Materials in ein geeignetes Werkzeug und einen
verwandelten Stoff zustande bringen, der ihre wirkliche, ihre ureigene Macht
offenbart. Das Lebens-Bewußtsein ist unfähig, im materiellen Dasein die Größe
und das hohe Glück seiner mächtigen und schönen Impulse zu verwirklichen. Seine
Schwungkraft versagt. Seine Kraft, Wirkungen hervorzubringen, ist geringer als
die Wahrheit seiner ursprünglichen Absicht. Die Form betrügt die in ihr
enthaltene Lebens-Intuition, die sie in Begriffe des Lebens-Wesens zu übertragen
versucht. Das Mental kann seine hohen Ideen nicht ohne Abstriche und Kompromisse
im Medium von Leben und Materie verwirklichen, die sie ihrer Göttlichkeit
berauben. Seinen Klarheiten an Wissen und Wollen ist seine Kraft nicht
gewachsen, diese niedere Substanz so zu prägen, daß sie ihm gehorcht und es zum
Ausdruck bringt. Im Gegenteil, die eigenen Mächte werden heruntergewertet, sein
Wille wird zerteilt, seine Erkenntnis wird durch die trübenden Wirbel des Lebens
und das beschränkte Verständnis der Materie verwirrt und umwölkt. Weder dem
Mental noch dem Leben gelingt es, das materielle Dasein umzuwandeln oder zu
vervollkommnen, da sie unter diesen Bedingungen ihre eigene volle Kraft nicht
erlangen können. Sie müssen eine höhere Macht herbeirufen, um sie zu befreien
und zu vollenden. Aber die höheren spirituell-mentalen Kräfte verfallen
demselben Unvermögen, wenn sie in Leben und Materie hinabkommen. Sie können zwar
viel mehr tun, viele lichtvolle Umwandlung zustandebringen; aber Abwandlung,
Begrenzung und Verschiedenheit zwischen dem Bewußtsein, das herabkommt, und der
Kraft zur Verwirklichung, die es bei der Mentalisierung und Materialisierung
einsetzen kann, bestehen weiter. Ihr Ergebnis ist eine abgeschwächte Schöpfung.
Zwar ist die bewirkte Umwandlung oft etwas Außerordentliches; oft kommt es sogar
zu etwas, das wie vollständige Umwandlung und
Umkehr des Bewußtseins-Zustandes und wie innerer Auftrieb seiner Bewegungen
aussieht. Sie ist aber nicht dynamisch unbeschränkt.
Nur das Supramental kann derart herabkommen, daß es seine volle Wirkungskraft nicht verliert. Denn sein Wirken ist immer wesentlich wahr und vom Selbst bestimmt. Sein Wissen und sein Wille sind identisch. Das Ergebnis ist entsprechend: Seine Natur ist zielsicheres Wahrheits-Bewußtsein. Begrenzt es sich selbst oder sein Wirken, so geschieht das durch eigene Entscheidung und Absicht, nicht unter Zwang. Innerhalb der selbst-gewählten Grenzen sind sein Wirken und die Ergebnisse seines Wirkens harmonisch und unvermeidlich. Andererseits ist das Übermental wie das Mental ein zerteilendes Prinzip. Seine charakteristische Wirkweise besteht darin, eine selektive Harmonie in einer unabhängigen Gestaltung auszuarbeiten. Tatsächlich befähigt sein globales Wirken es dazu, eine Harmonie zu schaffen, die in sich ganz und vollkommen ist, oder seine Harmonien zu vereinen, zu verschmelzen, eine Synthese herzustellen. Da es aber unter den Beschränkungen durch Mental, Leben und Materie arbeiten muß, ist es gezwungen, dies durch Aufteilen in Sektionen und deren Zusammenfügen zu leisten. Seine Neigung zur Ganzheit wird durch seine selektive Tendenz gehemmt, die noch besonders durch die Natur des mentalen und vitalen Materials verstärkt wird, in dem es hier wirkt. Deshalb kann es hier nur gesonderte, begrenzte spirituelle Schöpfungen hervorbringen, von denen jede in sich vollkommen ist. Es kann aber nicht das integrale Wissen und seine Manifestationen bewirken. Aus diesem Grund und weil sein ursprüngliches Licht und seine Macht herabgemindert sind, kann es nicht in vollem Maße das tun, was nötig ist. Es muß dazu eine höhere Macht, die supramentale Kraft, herbeirufen, um befreit und erfüllt zu werden. So wie die psychische Umwandlung das Spirituelle herbeirufen muß, um vollendet zu werden, so muß die erste spirituelle Umwandlung die supramentale Transformation herbeirufen, die sie vervollkommnet. Denn alle diese Stufen sind ebenso wie die, die ihnen vorausgingen, Übergangsstufen. Die ganze radikale Umwandlung in der Evolution von der Basis der Unwissenheit zur Basis des Wissens kann nur durch das Eingreifen der supramentalen Macht und durch ihr unmittelbares Einwirken auf das Erden-Dasein vollzogen werden.
Dies also muß die Art
der dritten und endgültigen Transformation sein, die den Durchgang der Seele
durch die Unwissenheit beendet und ihr Bewußtsein, ihr Leben, ihre Macht und die
Form ihrer Manifestation auf die Grundlage einer vollständigen und voll
wirksamen Selbst-Erkenntnis stellt. Sobald das Wahrheits-Bewußtsein die
evolutionäre Natur dazu bereit findet, muß es in sie herabkommen und sie dazu
befähigen, sich in das supramentale Prinzip zu befreien. So muß das supramentale
und spirituelle Wesen als die erste unverhüllte Offenbarung der Wahrheit des
Selbsts und des Geistes im materiellen Universum erschaffen werden.
Kapitel XXVI. Der Aufstieg zum Supramental
Meister des
Wahrheits-Lichtes, die die Wahrheit wachsen lassen durch die Wahrheit.
Rig Veda, I.23. 5.
Drei Mächte der Rede, die das Licht vor sich hertragen... ein dreifaches Haus von Frieden, ein dreifacher Weg des Lichtes.
Rig Veda, VII. 101.1,2.
Vier andere Welten von Schönheit erschafft er als seine Gestalt, wenn er durch die Wahrheiten gewachsen ist.
Rig Veda, IX. 70.1.
Als ein Seher ist er geboren mit dem Mental der Unterscheidung; entsprossen der Wahrheit, eine Geburt tief innen im Geheimnis, halb emporgekommen in die Offenbarung.
Rig Veda, IX. 68. 5.
Im Besitz einer unermeßlichen inspirierten Weisheit, Schöpfer des Lichtes, bewußte All-Wissende, in der Wahrheit wachsend.
Rig Veda, X. 66.1.
Wir nahmen das höhere Licht jenseits der Finsternis wahr und kamen zur göttlichen Sonne im Innern der Gottheit, zu dem allerhöchsten Licht.
Rig Veda, I.50.10.
Die psychische Transformation und die ersten Stufen der
spirituellen Transformation liegen noch gut innerhalb unseres Begreifens. Ihre
Vollkommenheit wäre die Vollkommenheit, Ganzheit und höchste Einheit eines
Wissens und einer Erfahrung, die schon zu den realisierten Dingen gehören, wenn
auch nur bei einer kleinen Zahl menschlicher Wesen. Die supramentale Umwandlung
bringt uns aber in ihrem Ablauf in weniger erforschte Regionen. Sie führt uns zu
einer Schau von Bewußtseins-Höhen, die zwar schon flüchtig gesehen und besucht
wurden, aber in ihrer Vollständigkeit erst noch entdeckt und kartographisch
aufgenommen werden müssen. Die höchsten dieser Gipfel oder Hochebenen des
Bewußtseins, die supramentalen, liegen jenseits unserer Möglichkeit, ein befriedigendes mentales Schema oder eine Karte davon
herzustellen, sie durch mentales Schauen oder Beschreiben erfassen zu können.
Das normale unerleuchtete und unverwandelte mentale Begreifen könnte nur schwer
etwas ausdrücken oder in es eindringen, was sich auf ein so andersartiges
Bewußtsein gründet und der Dinge radikal anders bewußt wird. Selbst wenn wir
durch Erleuchtung oder Erlebnis einer Vision sehen und begreifen könnten,
brauchten wir doch eine ganz andere Sprache als die dürftigen abstrakten Werte,
die unser Mental verwendet, um sie in Begriffe zu übertragen, durch die ihre
Wirklichkeit für uns überhaupt erfaßbar würde. So wie die Höhen menschlichen
Mentals jenseits dessen liegen, was das Tier erfassen kann, so sind auch die
Bewegungen des Supramentals jenseits des gewöhnlichen menschlichen Begreifens.
Nur wenn wir bereits über die Erfahrung eines höheren vermittelnden Bewußtseins
verfügen, könnten Begriffe, die versuchen, das supramentale Wesen zu
beschreiben, unserer Intelligenz den wahren Sinn übermitteln. Denn erst wenn wir
etwas erfahren haben, was dem verwandt ist, was beschrieben werden soll, könnten
wir unangemessenes Reden in ein Bild dessen übertragen, was wir bereits wußten.
Kann das Mental auch nicht in die Natur des Supramentals eindringen, so kann es
doch durch diese lichtvollen Annäherungen zu ihm emporschauen und einen
reflektierten Eindruck von der Wahrheit, dem Rechten und Unermeßlichen erfassen,
was das ursprünglich eigene Reich des freien Geistes ist.
Aber auch das, was über das vermittelnde
Zwischenbewußtsein gesagt werden kann, muß zwangsläufig unangemessen sein. Man
kann nur gewisse abstrakte Verallgemeinerungen wagen, die am Anfang als Licht
der Führung dienen mögen. Was uns dazu befähigt, ist allein der Umstand, daß das
höhere Bewußtsein, wenn auch anders in Konstitution und Prinzip, so doch seiner
evolutionären Form nach in allem, was wir zuerst von ihm hier erreichen können,
noch eine höchste Entfaltung von denjenigen seiner Elemente ist, die bereits,
wenn auch rudimentär und herabgemindert, in den unsrigen als Gestaltung und
Macht ihrer selbst gegenwärtig sind. Ferner ist die Tatsache hilfreich, daß die
Logik des Entwicklungsprozesses der Natur, wenn auch in einigen Regeln ihres
Wirkens stark abgeändert, beim Aufstieg zu den höchsten Höhen wie bei den
niedersten Anfängen im wesentlichen dauernd dieselbe ist. So können wir in
gewissem Maße die Grundlinien ihres erhabenen
Verfahrens entdecken und ihnen folgen. Wir haben bereits etwas von der Art und
dem Gesetz des Übergangs vom intellektuellen zum spirituellen Mental
kennengelernt. Von dem so erreichten Ausgangspunkt aus können wir beginnen, den
Übergang zu einer mit höherer Kraft geladenen Stufe des neuen Bewußtseins und
einen weiteren Übergang aus dem spirituellen Mental in das Supramental
aufzuspüren. Die Hinweise müssen zwangsläufig sehr unvollkommen bleiben, denn
wir können durch die Methode der metaphysischen Erforschung nur zu einigen
anfänglichen Darstellungen von abstraktem und allgemeinem Charakter kommen. Die
wahre Erkenntnis und Beschreibung muß der Sprache des Mystikers und den Bildern
überlassen bleiben, die unmittelbare und konkrete Erfahrung zugleich lebendiger
und unverständlicher wiedergibt.
Der Übergang zum Supramental durch das Übermental
hindurch ist ein Fortgehen aus der Natur, wie wir sie kennen, hin zur
Über-Natur. Gerade wegen dieser Tatsache ist es für jedes Bemühen des bloßen
Mentals unmöglich, das zu leisten. Ohne Hilfe kann unser persönliches Streben
und Bemühen das nicht erreichen. Unser Krafteinsatz gehört zur niederen Macht
der Natur. Eine Macht der Unwissenheit kann durch eigene Kraft, durch die für
sie charakteristischen oder ihr zur Verfügung stehenden Methoden das nicht
erlangen, was jenseits des Bereiches ihrer eigenen Art liegt. Alle
vorausgehenden Aufstiege sind durch eine verborgene Bewußtseins-Kraft bewirkt
worden, die zuerst in der Unbewußtheit und dann in der Unwissenheit aktiv war.
Sie wirkte, indem die ihr involvierten Mächte in den Vordergrund traten, Mächte,
die hinter der Verhüllung verborgen und höher stehen als die vorhergehenden
Ausdrucksformen der Natur. Ebenso ist aber auch ein Druck von seiten dieser
gleichen höheren Mächte nötig, die bereits auf ihrer eigenen Ebene in ihrer
vollen natürlichen Kraft ausgedrückt sind. Diese höheren Mächte legen sich in
unseren subliminalen Schichten ihre Fundamente und können von da aus den
evolutionären Prozeß an der Außenseite beeinflussen. Das Übermental und das
Supramental sind ebenso der Erden-Natur involviert und im Geheimen vorhanden;
sie haben aber in den ihnen zugänglichen Bereichen unseres subliminalen inneren
Bewußtseins noch keine Form angenommen. Bis jetzt gibt es noch kein
Übermental-Wesen, keine organisierte Übermental-Natur und auch kein
Supramental-Wesen, keine organisierte Supramental-Natur, die entweder an unserer
Außenseite oder in unseren subliminalen Schichten
aktiv wären. Denn diese höheren Bewußtseins-Mächte sind für die Ebene unserer
Unwissenheit überbewußt. Damit die involvierten Prinzipien von Übermental und
Supramental aus ihrer geheimen Verhülltheit hervortreten können, müssen Wesen
und Mächte der Überbewußtheit in uns herabkommen, uns emporheben und sich in
unserem Wesen und in unseren Mächten ausdrücken. Diese Herabkunft ist eine
conditio sine qua non, eine unabdingbare Voraussetzung für den Übergang und
die Transformation.
Es ist durchaus vorstellbar, daß unsere irdische Natur
es ohne die Herabkunft, durch geheimen Druck von oben und eine lange
Entwicklung, fertigbringen könnte, in engen Kontakt mit den höheren, jetzt
überbewußten Ebenen zu gelangen. So könnte die Gestaltung eines subliminalen
Übermentals hinter der Verhüllung stattfinden. Als Ergebnis dessen könnte das
Bewußtsein, das diesen höheren Bereichen zugehört, langsam an unserer Außenseite
erwachen. Denkbar ist auch, daß auf diese Weise eine Rasse von mentalen Wesen
erscheint, die nicht mittels ihres Intellekts oder der logischen und
reflektierenden Intelligenz, wenigstens nicht hauptsächlich durch diese, denken
und handeln, sondern mittels einer intuitiven Mentalität, die der erste Schritt
auf dem Weg einer emporführenden Umwandlung wäre. Darauf könnte dann eine
Verwandlung in das Übermental folgen, die uns bis an jene Grenzen emporbrächte,
hinter denen das Supramental oder die göttliche Gnosis liegt. Dieser Prozeß
würde aber unvermeidlich eine lange und mühsame Anstrengung der Natur erfordern.
Auch besteht dabei die Möglichkeit, daß das, was erreicht wird, nur eine
unvollkommene höhere Mentalisierung wäre. Die neuen höheren Elemente würden zwar
das Bewußtsein stark beherrschen; sie wären aber noch einer Veränderung ihres
Wirkens prinzipiell einer niederen Mentalität unterworfen: Es käme zwar zu einer
umfassenderen und mehr erleuchteten Erkenntnis, wir könnten eine höhere Ordnung
wahrnehmen; diese wäre aber der Vermischung ausgesetzt, die sie dem Gesetz der
Unwissenheit unterwerfen würde, so wie das Mental eine Begrenzung durch das
Gesetz von Leben und Materie erleidet. Für wirkliche Transformation ist ein
unmittelbares und unverhülltes Eingreifen von oben her unerläßlich. Notwendig
dazu wäre, daß sich das niedere Bewußtsein völlig unterwirft und überantwortet;
daß der Wille in ihm mit seinem Drängen nach seinem gesonderten Gesetz des
Wirkens aufhört, durch die Transformation völlig vernichtet wird und alle
Anrechte auf unser Wesen verliert. Können diese
beiden Bedingungen schon jetzt durch bewußtes Anrufen und den Willen in unserem
Geist erfüllt werden und nimmt unser ganzes geoffenbartes und inneres Wesen an
seiner Umwandlung und Erhöhung teil, kann die Evolution, die Transformation
durch eine verhältnismäßig rasche bewußte Wandlung stattfinden. Dann würden die
supramentale Bewußtseins-Kraft von oben und die sich hinter der Verhüllung
entwickelnde Bewußtseins-Kraft auf die erwachende Kenntnis und den Willen des
mentalen menschlichen Wesens einwirken und durch ihre vereinte Macht den
folgenschweren Übergang vollenden. Es bedürfte dann keiner langsamen Entwicklung
mehr, die mit vielen Jahrtausenden für jeden Schritt rechnet, nicht mehr der
zögernden und schwierigen Entwicklung, die in der Vergangenheit von der Natur in
den unbewußten Geschöpfen der Unwissenheit durchgeführt wurde.
Erste Voraussetzung für diese Umwandlung ist, daß der
mentale Mensch, der wir jetzt sind, des tieferen Gesetzes seines eigenen Wesens
und der Vorgänge in ihm innerlich bewußt wird und sie beherrscht. Er soll zum
seelischen und inneren mentalen Wesen werden, Herr über seine Energien sein und
nicht mehr Knecht der Regungen der niederen prakriti; die soll er dadurch
beherrschen, daß er einen gesicherten Stand in freier Harmonie mit dem höheren
Gesetz der Natur einnimmt. Besonders charakteristisch für das evolutionäre
Prinzip und seine Entwicklung, eigentlich eine logische Folge daraus, ist die
wachsende Herrschaft des Individuums über das Wirken seiner eigenen Natur und
eine immer bewußtere Teilnahme am Wirken der universalen Natur. Alles Wirken,
alle mentalen, vitalen und physischen Aktivitäten in der Welt, werden durch eine
universale Energie, eine Bewußtseins-Kraft, in Gang gehalten, durch die Macht
des Kosmischen Geistes, der die kosmische und individuelle Wahrheit der Dinge
ausarbeitet. Weil aber dieses schöpferische Bewußtsein in der Materie eine Maske
von Unbewußtheit anlegt und an der Außenseite den Anschein einer blinden
universalen Kraft annimmt, die einen Plan oder eine Organisation der Dinge
ausführt, scheinbar ohne ihr Tun zu verstehen, entspricht das erste Ergebnis
diesem Anschein. Es ist das Phänomen einer unbewußten physischen
Individualisierung. Nicht Wesen, sondern Gegenstände werden erschaffen. Das sind
Daseins-Gestaltungen mit ihren eigenen Qualitäten und Eigentümlichkeiten, den
Mächten des Wesens und dem Charakter des Wesens. Aber der Plan der Natur in
ihnen und ihre Organisation müssen mechanisch ausgearbeitet werden. Im einzelnen Objekt, das als erstes dumpfes Ergebnis und das unbelebte
Feld ihres Wirkens und Erschaffens auftaucht, gibt es keinen Anfang einer
Teilnahme daran, kein Innesein, keine bewußte Kenntnis. Im Tierleben wird die
Kraft allmählich langsam an der Außenseite bewußt und gestaltet die Form, nicht
mehr eines Objekts, sondern eines individuellen Wesens. Dieses unvollkommen
bewußte Individuum nimmt zwar teil, empfindet, fühlt; es arbeitet aber nur das
aus, was die Kraft in ihm tut, ohne klares Verständnis oder Beobachtung dessen,
was getan wird. Im menschlichen Mental erscheint zuerst eine beobachtende
Intelligenz, die wahrnimmt, was getan wird, und ein Wille, eine Entscheidung,
die bewußt geworden sind. Aber noch ist das Bewußtsein begrenzt und
oberflächlich. Auch die Erkenntnis ist begrenzt und unvollkommen; sie ist eine
partielle Intelligenz, ein halbes Verstehen, tastend und großenteils empirisch;
ist es rational, dann durch Konstruktionen, Theorien und Formeln. Noch gibt es
keine erhellte Schau, die die Dinge unmittelbar erkennt und sie spontan genau im
Einklang mit dem Sehen und nach dem Plan ihrer innewohnenden Wahrheit ordnet.
Trotz eines gewissen Elements von Instinkt, Intuition und Einsicht,
Anfangserscheinungen seiner Macht, ist der normale Charakter der menschlichen
Intelligenz wißbegierige Vernunft oder widerspiegelndes Denken, das beobachtet,
vermutet, direkte und indirekte Schlüsse zieht, mühevoll zu einer konstruierten
Wahrheit, einem konstruierten Wissens-Schema und einem mit eigenwilliger Absicht
unternommenen Wirken kommt. Eigentlich ist es das, was zu sein es erstrebt und
was es auch zum Teil ist. Denn in seine Erkenntnis und in seinen Willen dringen
ständig Wesens-Kräfte ein, die es verfinstern, enttäuschen, halbblinde Werkzeuge
des Natur-Mechanismus.
Offensichtlich ist das aber nicht das Höchste, dessen
das Bewußtsein fähig ist; es ist nicht seine letzte Entwicklung und sein
erhabenster Gipfel. Eine höhere und tiefer eindringende Intuition muß möglich
sein, die in das Herz der Dinge eingeht, lichtvoll identisch mit den Bewegungen
der Natur ist und dem Wesen die klare Lenkung seines Lebens, zumindest Harmonie
mit seinem Universum zusichern sollte. Nur ein freies und völlig intuitives
Bewußtsein könnte die Dinge durch unmittelbaren Kontakt, tief eindringende Schau
oder einen spontanen Wahrheits-Sinn sehen und erfassen, der einer
zugrundeliegenden Einheit oder Identität entstammt; es könnte ein Wirken der
Natur im Einklang mit der Wahrheit der Natur bewerkstelligen. So würde der
Einzelne tatsächlich am Wirken der
allumfassenden Bewußtseins-Kraft teilnehmen. Der individuelle purusha
würde zum Meister über seine ausführende Energie und zugleich bewußter Partner,
Mitarbeiter und Werkzeug des Kosmischen Geistes im Wirken der universalen
Energie werden. Die universale Energie würde durch ihn schaffen. Er würde aber
auch durch sie wirken. Und die Harmonie der intuitiven Wahrheit würde dieses
doppelte Wirken zu einer einzigen Aktion zusammenfassen. Den Übergang von
unserem jetzigen Wesens-Zustand zu einem Zustand der Übernatur muß eine
zunehmende bewußte Teilnahme von solch höherer und innerer Art begleiten.
Denkbar ist eine harmonische andersartige Welt, in der
eine intuitive mentale Intelligenz dieser Art und ihre Herrschaft die Regel ist.
Auf der Ebene unseres Wesens könnte aber, wegen der ursprünglichen Absicht und
Geschichte des evolutionären Plans, nur unter Schwierigkeiten eine solche
Ordnung und Herrschaft stabil errichtet werden. Es ist nicht wahrscheinlich, daß
sie vollständig, endgültig und definitiv sein könnte. Würde eine intuitive
Mentalität auf ein vermischtes mentales, vitales und physisches Bewußtsein
einwirken, so wäre sie normalerweise gezwungen, sich einer Vermischung mit dem
bereits entwickelten niedrigeren Bewußtseins-Material zu unterziehen. Um auf
dieses einwirken zu können, müßte sie in dieses eindringen. Bei ihrem Eintreten
würde sie in dieses verwickelt, von ihm durchdrungen, beeinträchtigt werden von
dem separativen und partiellen Charakter des Wirkens unseres Mentals und von der
Begrenzung und eingeschränkten Kraft der Unwissenheit. Zwar ist die intuitive
Intelligenz scharf, erleuchtet und aktiv genug, um in die Masse der Unwissenheit
und Unbewußtheit einzudringen und sie zu verändern. Sie ist aber nicht umfassend
und ganzheitlich genug, diese in sich aufzuzehren und so zu beseitigen. Sie
könnte keine völlige Transformation des ganzen Bewußtseins in ihren eigenen
Stoff und ihre Macht zuwege bringen. Doch ist selbst in unserem gegenwärtigen
Zustand eine gewisse Teilnahme vorhanden. Unsere normale Intelligenz ist
genügend erwacht, so daß die universale Bewußte Kraft durch sie wirken und der
Intelligenz und dem Willen erlauben kann, in gewissem Maß eine Lenkung der
inneren und äußeren Umstände auszuüben, die noch Mißgriffe tätigt, jeden
Augenblick durch Irrtum entstellt werden kann und nur fähig ist, begrenzte
Wirkung und Macht zu entfalten, die in keinem Verhältnis zu der umfassenderen
Ganzheit ihrer gewaltigen Unternehmungen steht. Bei der Entwicklung zur Übernatur würde sich diese ursprüngliche Macht
bewußter Teilnahme am universalen Wirken im Individuum ausdehnen zu einer immer
gründlicheren und weiteren Schau ihrer Wirkweisen in ihm selbst. Er würde mit
stärkerem Empfinden die von ihr eingeschlagene Richtung wahrnehmen. Sein
Verständnis für oder seine intuitive Vorstellung von den Methoden, die er um
rascherer und bewußterer Selbst-Entwicklung willen zu befolgen hat, würden
wachsen. Indem sein innerseelisches oder verborgenes mentales Wesen in den
Vordergrund tritt, gäbe es eine verstärkte Kraft zur Entscheidung, zur Sanktion,
den Anfang eines authentischen freien Willens. Dieser freie Wille würde aber
zumeist in Beziehung zur Natur in seinen eigenen Wirkweisen stehen. Das wäre
dann nur eine freiere, vollständigere und unmittelbarer wahrnehmende Herrschaft
über die Regungen seines eigenen Wesens: eben darin könnte es zuerst nicht
völlig frei sein, solange es in die Begrenzungen eingesperrt ist, die durch die
Gestaltungen in ihm selbst geschaffen werden, oder solange es durch eine
Unvollkommenheit bekämpft wird, die aus der Vermischung des alten mit dem neuen
Bewußtsein herrührt. Trotzdem würde es aber seine Meisterschaft und Erkenntnis
steigern und sich einem höheren Wesen und einer höheren Natur erschließen.
Unser Begriff von freiem Willen kann leicht durch den
übermäßigen Individualismus des menschlichen Ichs verfärbt werden und so als ein
unabhängiger Wille erscheinen, der aufgrund seiner eigenen isolierten Befugnis
in völliger Freiheit ohne andere Bestimmung wirkt, als durch die seiner eigenen
Entscheidungen und seiner vereinzelten beziehungslosen Bewegung. Diese
Vorstellung mißachtet die Tatsache, daß unser natürliches Wesen ein Teil der
kosmischen Natur ist und unser spirituelles Wesen nur durch den Beistand der
höchsten Transzendenz existiert. Unser Wesen kann sich in seiner Ganzheit aus
dem faktischen Unterworfensein unter die gegenwärtige Natur nur erheben, wenn es
sich mit einer größeren Wahrheit und mit einer höheren Natur identifiziert.
Selbst wenn der Wille des Einzelnen völlig frei wäre, könnte er nicht in
isolierter Unabhängigkeit handeln, weil das individuelle Wesen und seine Natur
in das universale Wesen und die universale Natur eingeschlossen sind und von der
alles beherrschenden Transzendenz abhängen. Gewiß könnte es beim Aufstieg zwei
Entwicklungslinien geben. Auf der einen Seite könnte sich das Individuum als
unabhängiges Selbst-Sein fühlen und sich entsprechend verhalten: es könnte sich
mit seiner eigenen apersonalen Wirklichkeit
vereinen. Bei dieser Auffassung von sich selbst könnte es kraftvoll handeln.
Dieses Wirken würde sich aber entweder innerhalb eines ausgeweiteten Rahmens der
vergangenen oder gegenwärtigen Selbst-Gestaltung seiner Macht über die Natur
vollziehen. Oder die kosmische oder höchste Kraft würde in ihm handeln, so daß
es zu keiner persönlichen Initiative des Handelns, darum auch zu keinem
Empfinden eines individuellen freien Willens käme, sondern nur dessen, daß ein
apersonaler kosmischer oder höchster Wille oder eine Energie am Werk ist. Auf
der anderen Seite würde sich das Wesen als Werkzeug des Geistes fühlen. Es würde
demgemäß als eine Macht des Höchsten Wesens handeln, das bei seinem Wirken nur
durch die Machtmöglichkeiten der Übernatur eingeschränkt ist. Diese sind aber
ohne Grenzen und Beschränkungen, außer durch ihre eigene Wahrheit und deren
Selbst-Gesetz und durch ihren Willen. Grundbedingung für die Freiheit von der
Herrschaft eines mechanischen Wirkens der Natur-Kräfte wäre aber in beiden
Fällen, daß wir uns einer höheren bewußten Macht unterwerfen oder daß das
individuelle Wesen in die Einheit mit deren Absicht und Bewegung in seinem
eigenen Dasein und in dem der Welt einwilligt.
Denn das Wirken einer neuen Macht des Wesens in einem
höheren Bewußtseins-Bereich könnte, gerade durch seine Beherrschung der äußeren
Natur, zwar außerordentlich effektiv sein, jedoch nur wegen ihres Lichtes in der
Schau des kosmischen und transzendenten Willens und einer daraus folgenden
Harmonie oder Identifikation mit diesem. Wenn das Wesen zur Instrumentation
einer höheren statt einer niederen Macht wird, kann sein Wille frei werden von
mechanischer Bestimmung durch Wirken und Prozeß kosmischer Mental-Energie,
Lebens-Energie und Energie der Materie; es ist nicht mehr unwissend der
Antriebskraft dieser niederen Natur unterworfen. So könnte die Kraft eigener
Initiative, ja einer individuellen Lenkung der Welt-Kräfte Zustandekommen. Das
wäre aber die initiative eines Werkzeugs und eine delegierte Herrschaft: Die
Entscheidung des Einzelnen würde die Sanktion des Unendlichen empfangen, weil er
selbst Ausdruck einer bestimmten Wahrheit des Unendlichen ist. So würde die
Individualität in dem Verhältnis immer machtvoller und wirkungsstärker werden,
in dem sie sich als Mittelpunkt und Gestalt des universalen und transzendenten
Wesens und seiner Natur begreift. Denn mit fortschreitender Umwandlung wäre die
Energie des befreiten Individuums nicht mehr die begrenzte Energie von Mental, Leben und Körper, mit der der Weg begann. Der Mensch würde
in ein stärkeres Bewußtseins-Licht und größeres Wirken der Kraft eintreten und
diese anlegen, – ebenso wie diese in ihm hervortreten, in ihn herabkommen und
ihn mit sich empornehmen würde. Sein natürliches Dasein würde zur
Instrumentation einer höheren Macht, einer übermentalen und supramentalen
Bewußtseins-Kraft und der Macht der ursprünglichen Göttlichen shakti.
Alle Vorgänge der Evolution würden als das Wirken eines höchsten, universalen
Bewußtseins, einer höchsten universalen Kraft gefühlt werden, die in jeder von
ihr gewählten Weise, auf jeder Ebene, in allen von ihr selbst bestimmten
Begrenzungen wirkt, ein bewußtes Handeln des transzendenten und kosmischen
Wesens, die Aktion der allmächtigen und allwissenden Welt-Mutter, die das Wesen
zu sich empor in ihre Übernatur erhebt. Anstelle der Natur der Unwissenheit, mit
dem Individuum als ihrem abgeschlossenen Bereich und unbewußten oder
halbbewußten Werkzeug, gäbe es hier die Über-Natur der göttlichen Gnosis. Die
individuelle Seele wäre deren bewußtes, offenes freies Feld und Werkzeug, nähme
an ihrem Wirken teil, bewußt ihres Wirkens und Vorgehens, bewußt aber auch ihres
eigenen höheren Selbsts, der universalen und der transzendenten Wirklichkeit,
ihrer eigenen Person als unbegrenzbar eins mit jener, und wäre doch ein
individuelles Wesen von Ihrem Wesen, Werkzeug und geistiger Mittelpunkt.
Daß wir uns zuerst zu dieser Teilnahme an einem Wirken
der Übernatur öffnen, ist Vorbedingung für unsere Wendung zur letzten, zur
supramentalen Transformation. Denn diese Transformation ist die Vollendung eines
Übergangs aus der düsteren Harmonie eines blinden Automatismus, mit dem die
Natur anfängt, in die erleuchtete verbürgte Spontaneität, die unfehlbare Regung
der selbst-seienden Wahrheit des Geistes. Die Evolution beginnt mit dem
Automatismus der Materie und eines niederen Lebens, in denen alles von selbst
dem Antrieb der Natur gehorcht, mechanisch ihr Lebensgesetz erfüllt und deshalb
auch mit Erfolg eine Harmonie zwischen ihrer begrenzten Daseinsart und ihrem
Handeln aufrechterhalten kann. Sie schreitet fort durch die schöpferisch-reiche
Konfusion von Mental und Leben einer von dieser niederen Natur getriebenen
Menschheit, die aber darum ringt, den sie beherrschenden Einschränkungen zu
entkommen, sie zu lenken und zu verwenden. Sie erhebt sich zu einer
umfassenderen spontanen Harmonie und einem automatischen, das Selbst erfüllenden
Wirken, das sich auf die spirituelle Wahrheit
der Dinge gründet. In diesem höheren Zustand wird das Bewußtsein jene Wahrheit
schauen und der Richtung ihrer Energien folgen, mit starker Teilnahme und
Meisterschaft der Werkzeuge und voll tiefer Freude am Wirken und Dasein. Es wird
eine lichtvolle und froh erlebte vollkommene Einheit mit allen geben, anstelle
blindem und leidvollem Unterworfensein unter das Universale. In jedem Augenblick
wird das Wirken des Universalen im Individuum und des Individuums im Universalen
erleuchtet und von der Ordnung der transzendenten Übernatur gelenkt werden.
Diese höchste Bedingung ist aber schwer zu erfüllen und
erfordert zu ihrer Durchführung offenbar eine lange Zeit. Denn Teilnahme und
Zustimmung des purusha allein genügt nicht zum Übergang; erforderlich ist
auch Zustimmung und Teilnahme der prakriti. Nicht nur müssen das zentrale
Denken und Wollen einverstanden sein, es müssen auch alle Schichten unseres
Wesens zustimmen und sich dem Gesetz der spirituellen Wahrheit unterwerfen. Alle
müssen lernen, der Herrschaft der bewußten Göttlichen Macht in allen Teilen
unseres Wesens zu gehorchen. Da gibt es hartnäckige Widerstände in unserem
Wesen, entstanden aus seiner evolutionären Verfassung, die gegen diese
Zustimmung ankämpfen. Denn manche dieser Schichten sind noch der Unbewußtheit
und Unterbewußtheit unterworfen, dem niederen Automatismus der Gewohnheit oder
sogenannten Naturgesetz, – all den üblichen Mechanismen von Mental, Leben,
Instinkt, Persönlichkeit und Charakter; den tief eingewurzelten mentalen,
vitalen und physischen Bedürfnissen, Impulsen und Wünschen des natürlichen
Menschen, den alten Funktionsweisen aller Art, die so tief sitzen, daß es fast
scheint, wir müßten bis zu den tiefsten Fundamenten graben, um sie auszumerzen.
Diese Schichten weigern sich, ihre Hörigkeit gegenüber dem niederen Gesetz
aufzugeben, das im Unbewußten gegründet ist. Ständig senden sie in das bewußte
Mental und Leben die alten Reaktionen empor und suchen sie dort als das ewige
Gesetz der Natur durchzusetzen. Andere Schichten des Wesens sind weniger unklar,
mechanisch und im Unbewußten verwurzelt. Alle sind jedoch unvollkommen und an
ihre Unvollkommenheit gebunden; sie haben ihre eigenen starken Reaktionen. Die
vitale Schicht ist aufs engste an das Gesetz der Selbst-Behauptung und des
Begehrens geheftet. Das Mental hängt an seinen eigenen ausgeformten Regungen.
Beide gehorchen willfährig dem niederen Gesetz der Unwissenheit. Dennoch sind
das Gesetz der Teilnahme und das Gesetz der Preisgabe
zwingend. Bei jedem Schritt des Übergangs ist die Zustimmung des purusha
erforderlich. Es muß auch jede Seite unserer Natur dem Wirken der höheren Macht
zu ihrer Umwandlung zustimmen. Ferner muß sich das mentale Wesen in uns bewußt
dieser Umwandlung zuwenden. Die Übernatur muß die alte Natur ersetzen und
transzendieren. Eine zweite Bedingung, die vom Wesen langsam und unter
Schwierigkeiten erfüllt werden muß, bevor die supramentale Transformation
überhaupt möglich werden kann, gebietet, daß man der höheren Wahrheit des
Geistes gehorcht und das ganze Wesen dem Licht und der Macht überantwortet, die
aus der Übernatur herabkommen.
Hieraus folgt, daß die seelische und geistige
Umwandlung schon weit fortgeschritten, ja so vollständig wie möglich sein muß,
bevor es zu einem Anfang der dritten, alles überhöhenden supramentalen
Umwandlung kommen kann. Denn nur durch diese doppelte Umgestaltung kann der
Ich-Wille der Unwissenheit ganz und gar in spirituellen Gehorsam gegenüber der
umprägenden Wahrheit und dem Willen des höheren Bewußtseins des Unendlichen
verändert werden. Gewöhnlich muß man eine lange schwierige Phase ständiger
Anstrengung mit Krafteinsatz und harter Disziplinierung des personalen Willens,
tapasya, durchlaufen, bevor man jene entscheidende Stufe erreichen kann, auf
der ein Zustand vollständig und absolut ist, in dem sich das ganze Wesen an das
Höchste Wesen und die Höchste Natur hingeben kann. Zuerst muß eine vorläufige
Stufe der Suche und Anstrengung kommen, wobei man sich dem Höchsten mit Herz,
Seele und Mental zentral darbringt oder sein Selbst hingibt. Später tritt eine
Mittelstufe ein, auf der sich der Mensch ganz bewußt auf seine höhere Macht
verläßt, die dem personalen Bemühen zu Hilfe kommt. Dieses volle tiefe Vertrauen
soll weiterwachsen in ein endgültiges, vollständiges Aufgeben des eigenen Ichs
in jeder Schicht und jeglicher Regung an das Wirken der höchsten Wahrheit in
unserer Natur. Nur dann kann man sich so total aufgeben, wenn die psychische
Umwandlung vollständig geworden oder die spirituelle Transformation in sehr
hohem Maße erreicht ist. Denn das bedeutet, daß das Mental sein ganzes Gepräge,
seine Ideen, mentalen Gestaltungen, jede Meinung, alle seine Gewohnheiten
intellektueller Beobachtung und Beurteilung aufgibt, damit sie zuerst durch
intuitives, dann durch übermentales oder supramentales Arbeiten ersetzt werden,
das die Wirksamkeit eines unmittelbaren Wahrheits-Bewußtseins einleitet, ein
Wahrheits-Schauen, Wahrheits-Unterscheiden und ein neues Bewußtsein, das in all seinen Methoden der gegenwärtigen Natur unseres
Mentals völlig fremd ist. Verlangt wird auch von dem Vital, daß es ähnlich seine
geliebten Wünsche, Empfindungen, Gefühle, Impulse, festen Bahnen seiner Sinne
und den forcierten Mechanismus von Aktion und Reaktion aufgibt, damit sie durch
eine erleuchtete Kraft ersetzt werden, die frei von Verlangen und doch
automatisch selbst-bestimmend ist, die Kraft eines zentralisierten universalen
und apersonalen Wissens, einer Macht und Seligkeit, deren Werkzeug und göttliche
Offenbarung das Leben sein soll. Es hat aber jetzt noch keine Ahnung und kein
Empfinden dessen, um wieviel größer dann seine Freude und wieviel stärker seine
Erfüllung sein werden. Auch unsere physische Seite soll ihre Instinkte aufgeben,
ihre Bedürfnisse, ihren blinden konservativen Hang, die eingefahrenen Geleise
ihrer Art, ihren Zweifel und Unglauben allem gegenüber, was jenseits von ihr
liegt. Ferner soll das physische Wesen seine Überzeugung fallen lassen, die
festgelegten Funktionsweisen des physischen Mentals, physichen Lebens und des
Körpers seien zu unabänderlich, als daß sie durch eine neue Macht ersetzt werden
könnten, die ihr eigenes höheres Gesetz und Wirken in Form und Kraft der Materie
einführt. Selbst das Unbewußte und das Unterbewußte müssen in uns bewußt und für
das höhere Licht empfänglich werden. Sie sollen sich nicht mehr dem erfüllenden
Wirken der Bewußtseins-Kraft widersetzen, sondern immer mehr eine Prägeform und
niedere Basis für den Geist werden. Diese Dinge sind undurchführbar, solange
Mental, Leben oder physisches Bewußtsein noch die führenden Mächte des Wesens
sind oder irgendwelche Vorherrschaft besitzen. Eine solche Umwandlung kann erst
dann anerkannt und verwirklicht werden, wenn die Seele und das innere Wesen voll
hervorgetreten sind; wenn der physische und der spirituelle Wille die
Vorherrschaft haben; wenn ihr Licht und ihre Macht lange auf die Schichten des
Wesens einwirken; wenn die ganze Natur psychisch und spirituell umgeprägt worden
ist.
Es gibt noch eine andere notwendige Bedingung für die
supramentale Umwandlung. Das ganze Wesen soll durch Abbruch der Wand zwischen
der inneren und der äußeren Natur geeint werden. Das Bewußtsein soll vom äußeren
in das innere Selbst verlegt und dort zentriert werden. Diese neue Basis wird
dann zum festen Fundament gemacht. Das Handeln von diesem inneren Selbst, von
seinem Willen und seiner Schau her wird zur Gewohnheit. Das individuelle
Bewußtsein erschließt sich für das kosmische
Bewußtsein. Es wäre Selbstbetrug zu hoffen, das höchste Wahrheits-Bewußtsein
könne sich in der zu engen Ausdrucksform unseres vordergründigen Mentals,
Herzens und Lebens niederlassen, auch wenn diese noch so sehr der Spiritualität
zugewandt sind. Alle inneren Zentren müssen sich erschlossen und ihre
Befähigungen aktiviert haben. Die psychische Wesenheit muß enthüllt und zur
Herrschaft gekommen sein. Die größere Umwandlung ist unmöglich, wenn diese erste
Verwandlung nicht geschehen ist, die das Wesen fest in dem inneren,
umfassenderen Bewußtsein gründet, anstelle eines gewöhnlichen in einem
Yoga-Bewußtsein. Überdies soll sich der Einzelne, bevor er zu jener Umwandlung
fähig werden kann, die die gegenwärtige kosmische Ausdrucksform transzendiert
und ihn über die niedere Hemisphäre des Allumfassenden in ein Bewußtsein
emporhebt, das zu seiner spirituellen oberen Hemisphäre gehört, erst genügend
allumfassend gemacht haben. Er soll sein individuelles Mental in der
Grenzenlosigkeit kosmischer Mentalität neu geprägt haben. Sein individuelles
Leben soll ausgeweitet und neu belebt sein im unmittelbaren Empfinden und der
direkten Erfahrung des dynamischen Ablaufs allumfassenden Lebens.
Kommunikationen seines Körpers mit den Kräften der universalen Natur sollen
erschlossen sein. Außerdem soll er bereits dessen inne geworden sein, was jetzt
für ihn überbewußt ist. Es soll schon ein Wesen sein, das des höheren Lichts,
der Macht, des Wissens, des ananda des Geistes bewußt ist. Er soll von
dessen herabkommenden Einflüssen durchdrungen und neu geschaffen sein durch
spirituelle Umwandlung. Die spirituelle Öffnung kann möglicherweise schon
stattfinden und in ihrem Wirken fortschreiten, bevor die psychische schon weit
fortgeschritten oder vollendet ist. Denn der spirituelle Einfluß kann von oben
her die psychische Verwandlung erwecken, unterstützen und vollenden. Allein
nötig ist, daß in der psychischen Wesenheit ein hinlänglich starker Drang
besteht, so daß die höhere spirituelle Eröffnung stattfinden kann. Die dritte,
die supramentale Umwandlung gestattet aber nicht, daß das höchste Licht
vorzeitig herabkommt. Sie kann nur dann einsetzen, wenn die supramentale Kraft
unmittelbar zu wirken beginnt. Das tut sie aber nicht, wenn die Natur nicht
zubereitet ist. Denn der Unterschied zwischen dem Vermögen der höchsten Kraft
und dem der gewöhnlichen Natur ist zu groß. Die niedere Natur wäre entweder
unfähig, jene auszuhalten, oder wenn sie sie aushalten kann, nicht in der Lage,
darauf zu reagieren und sie in sich aufzunehmen, und wenn sie sie
aufnimmt, unfähig sie zu assimilieren. Bis die Natur fertig ist, muß
die supramentale Kraft mittelbar wirken. Sie stellt die Vermittlungsmächte von
Übermental oder Intuition in den Vordergrund; oder sie wirkt durch eine
abgeänderte Form ihrer selbst, auf die das schon halb-transformierte Wesen ganz
oder teilweise reagieren kann.
Die spirituelle Evolution gehorcht der Logik
stufenweiser Entfaltung Sie kann eine neue entscheidende Haupt-Stufe erst dann
erklimmen, wenn die vorhergehende Haupt-Stufe genügend erobert ist: Selbst wenn
gewisse niedrige Stufen durch stürmischen Aufstieg rasch eingenommen oder
übersprungen werden können, muß das Bewußtsein wieder umkehren, um sich zu
vergewissern, ob das zurückgelegte Gebiet sicher den neuen Verhältnissen
angegliedert wurde. Es ist wahr, daß wir vermutlich nur dann zum Geist gelangen
können, wenn wir in einem oder in einigen Leben einen Prozeß durchmachen, der im
gewöhnlichen Lauf der Natur ein langsames und ungewisses Verfahren von
Jahrhunderten oder gar Jahrtausenden benötigen würde. Das ist aber eine Frage
der Geschwindigkeit, mit der die Stufen erklommen werden. Mehr oder
konzentrierte Schnelligkeit schaltet die Stufen als solche oder die
Notwendigkeit, eine nach der anderen zu ersteigen, nicht aus. Größere
Schnelligkeit ist nur deshalb möglich, weil das innere Wesen bewußt daran
teilnimmt und weil die Macht der Übernatur bereits in der halb-transformierten
niederen Natur am Werk ist. Darum können die Stufen, die man sonst nur zögernd
in der Finsternis von Unbewußtheit und Unwissenheit erstiegen hätte, nun im
zunehmenden Licht und in der Macht des Wissens genommen werden. Die erste, im
Dunkel verlaufende, materielle Bewegung der evolutionären Kraft ist durch
stufenweisen Aufstieg in Äonen gekennzeichnet. Die Bewegung des
Lebens-Fortschritts erfolgt langsam, aber doch mit schnelleren Schritten; sie
konzentriert sich in Zahlen von Jahrtausenden. Das Mental kann die
Gemächlichkeit der Zeit noch mehr schmälern und lange Schritte durch die
Jahrhunderte machen. Greift aber der bewußte Geist ein, dann wird ein höchst
konzentriertes Schrittmaß von evolutionärer Schnelligkeit möglich. Doch kann
jene involvierte Schnelligkeit des evolutionären Verlaufs, mit der die Stufen
übersprungen werden, nur eintreten, wenn die Macht des bewußten Geistes das Feld
vorbereitet und die supramentale Kraft begonnen hat, ihren Einfluß unmittelbar
auszuüben. Alle Umwandlungen der Natur scheinen tatsächlich ein Wunder zu sein,
aber ein Wunder mit Methode: Ihre weitesten Schritte werden nur über abgesicherten Boden genommen. Ihre raschesten Sprünge macht sie von
einer Basis aus, die dem evolutionären saltus Sicherheit und Gewißheit
gibt: Eine geheime All-Weisheit regiert alles in ihr, selbst jene Schritte und
Prozesse, die uns die unerklärlichsten zu sein scheinen.
Dieses Gesetz in den Naturvorgängen begründet die
Notwendigkeit eines stufenweisen Aufstiegs beim letzten Übergang, daß wir uns
gradweise emporkämpfen müssen, daß sich immer höhere Zustandsformen entfalten,
die uns vom spiritualisierten Mental zum Supramental emporführen, – ein steiler
Aufstieg, der auf keine andere Weise bewältigt werden könnte. Über uns erheben
sich, wie wir gesehen haben, aufeinanderfolgende Bewußtseins-Zustände. Höhen
oder abgestufte Mächte des Wesens, die unser normales Mental überragen, sind in
unseren eigenen überbewußten Schichten verborgen, höhere Bereiche des Mentals,
stärkere Frequenzen des Bewußtseins und der Erfahrung des Geistes. Ohne sie gäbe
es keine Bindeglieder, keine hilfreichen Zwischenräume, die diesen ungeheuren
Aufstieg möglich machen. Tatsächlich wirkt von diesen höheren Ursprüngen her die
geheime spirituelle Macht auf das Wesen ein und bringt durch ihren Druck die
psychische Transformation oder die spirituelle Umwandlung zustande. Auf den
frühen Stufen unseres Wachsens wird dieses Wirken aber nicht sichtbar; es bleibt
im Verborgenen und ungreifbar. Zuerst ist notwendig, daß die spirituelle Kraft
mit reiner Berührung in die mentale Natur eingreift. Dieser aufweckende Druck
muß sich Mental, Herz und Leben aufprägen und ihnen ihre Orientierung nach oben
geben. Helles Licht und eine große umwandelnde Macht muß ihre Regungen läutern,
verfeinern, emporheben und mit einem höheren Bewußtsein durchdringen, das nicht
zu ihrer normalen Begabung und ihrem Gepräge gehört. Das kann von innen her
durch unsichtbare Einwirkung mittels der psychischen Wesenheit und Personalität
geschehen. Es ist nicht unentbehrlich, daß man das Herabkommen von oben bewußt
fühlt. In jedem lebenden Wesen ist der Geist auf jeder Ebene und in allen Dingen
gegenwärtig. Weil er da ist, können wir die Erfahrung des saccidananda,
des reinen spirituellen Seins und Bewußtseins, der Wonne göttlicher Gegenwart
und ihrer Nähe machen. Wir können mit ihr in Berührung kommen durch das Mental,
das Herz, die Lebensempfindung oder auch durch das physische Bewußtsein. Wenn
sich die inneren Tore weit genug auftun, kann das Licht aus dem Heiligtum die
nächsten und die fernsten Kammern des äußeren Wesens durchfluten. Die nötige
Wandlung oder Umwandlung kann auch durch ein
verborgenes Herabkommen der spirituellen Kraft bewirkt werden, wobei wir das
Einströmen, den Einfluß, die spirituellen Folgen spüren; der höhere Ursprung
bleibt aber unbekannt, und das tatsächliche Gefühl eines Herabkommens fehlt. Ein
so angerührtes Bewußtsein mag so sehr emporgehoben werden, daß sich das Wesen
sofort einer Einung mit dem Selbst oder mit dem Göttlichen Wesen zuwendet und
aus der Evolution ausscheidet. Wenn das sanktioniert wird, kommt keine Frage
nach Stufenfolge, Schritten oder Methode mehr auf. Der Bruch mit der Natur kann
endgültig sein, denn das Gesetz dieses Ausscheidens braucht, wenn es einmal
durchführbar geworden ist, nicht dasselbe zu sein wie das Gesetz der
evolutionären Transformation und Vervollkommnung. Es ist – möglicherweise – ein
Absprung, ein rascher oder sofortiger Ausbruch aus den Bindungen, – die
spirituelle Flucht ist gelungen. Es bedarf nun nur noch der Sanktion durch den
schicksalhaften Verfall des Körpers. Ist aber die Transformation des
Erden-Lebens beabsichtigt, muß auf den ersten Kontakt der Spiritualisierung ein
Erwachen für die höheren Ursprünge und Energien folgen. Wir müssen nach ihnen
suchen und das Wesen in den sie bezeichnenden Zustand erheben. Das Bewußtsein
soll in ihr höheres Gesetz und in ihre dynamische Natur umgewandelt werden.
Diese Verwandlung muß auf der Leiter des Aufstiegs von einer Sprosse zur anderen
erfolgen, bis wir diese hinter uns lassen und jene höchsten, weit offenen Räume
betreten, von denen der Veda spricht: die ursprünglichen Räume eines
Bewußtseins, das höchst erleuchtet und unendlich ist.
Denn hier kommt es wieder zum selben Evolutions-Prozeß
wie bei den übrigen Vorgängen in der Natur. Das Bewußtsein wird erhöht und
ausgeweitet. Es steigt zu einer neuen Ebene empor und nimmt die niederen Ebenen
in sich auf. Das Dasein wird emporgehoben und von einer höheren Macht des Wesens
neu integriert, die die eigene Wirkweise, ihren Charakter und die Kraft ihrer
Substanz, soviel sie nur kann, früher schon entwickelten Seiten der Natur
aufnötigt. Auf dieser höchsten Stufe des Wirkens der Natur wird die Forderung
nach Integration zu einem entscheidend wichtigen Punkt. Bei den niederen Stufen
des Aufstiegs bleibt dieses neue Empornehmen, die Integration in ein höheres
Bewußtseins-Prinzip, unvollständig: Das Mental kann Leben und Materie nicht
völlig mentalisieren. Beträchtliche Seiten des Lebens-Wesens und des Körpers
verbleiben im Bereich des Untermentalen, des Unterbewußten oder Unbewußten. Das
ist eines der ernstlichen Hindernisse im Ringen
des Mentals um die Vervollkommnung unserer Natur. Wenn so das Untermentale, das
Unterbewußte und das Unbewußte dauernd an der Lenkung unserer Betätigungen
teilnehmen, indem sie hier ein anderes Gesetz als das des mentalen Wesens
wirksam machen, befähigen sie auch das bewußte vitale und physische Bewußtsein,
das ihnen vom Mental auferlegte Gesetz zurückzuweisen und, unter Mißachtung der
mentalen Vernunft und des rationalen Willens der entwik-kelten Intelligenz,
ihren eigenen Impulsen und Instinkten zu folgen. Das macht es für das Mental
schwer, über sich selbst hinauszukommen, seine eigene Ebene hinter sich zu
lassen und seine Natur zu spiritu-alisieren. Denn es kann das, was es nicht
einmal völlig bewußt machen, nicht mit Sicherheit mentalisieren und
rationalisieren kann, auch nicht spiritualisieren, da die Spiritualisierung eine
größere und schwierigere Integration ist. Zweifellos kann es dadurch, daß es die
spirituelle Kraft herabruft, einen Einfluß und eine vorläufige Umwandlung in
einigen Schichten der Natur herstellen, besonders im denkenden Mental selbst und
im Herzen, das seinem eigenen Bereich am nächsten liegt. Aber oft ist diese
Umwandlung keine totale Vervollkommnung, nicht einmal in Grenzen. Was sie
wirklich erreicht, ist etwas Seltenes und Schwieriges. Bei seiner Verwendung des
Mentals muß sich das spirituelle Bewußtsein eines untergeordneten Mittels
bedienen. Auch wenn es ein göttliches Licht in das Mental, göttliche Lauterkeit,
Leidenschaft und Glut in das Herz bringt und dem Leben ein spirituelles Gesetz
auferlegt, muß dieses neue Gesetz unter Beschränkungen wirken. Zumeist kann es
das niedere Wirken des Lebens nur regulieren oder hemmen und den Körper rigoros
beherrschen. Aber selbst wenn diese Schichten auch verfeinert und beherrscht
werden, empfangen sie doch nicht ihre spirituelle Erfüllung und erlangen nicht
Vollkommenheit und Transformation. Dazu ist es notwendig, ein höheres
dynamisches Prinzip wirksam zu machen, das eigentlich zum spirituellen
Bewußtsein gehört und durch das es darum in seinem eigenen Gesetz und
vollkommeneren natürlichen Licht und Vermögen wirken kann, um diese den Gliedern
aufzuerlegen.
Aber selbst wenn ein neues kraftgeladenes Prinzip auf
diese Weise eingreift und sich so machtvoll aufzwingt, mag es bis zum Erfolg
noch lange dauern. Denn die niederen Schichten des Wesens besitzen ihre eigene
Macht und müssen, wenn sie wirklich in die Wahrheit transformiert werden sollen,
ihrer eigenen Umwandlung zustimmen. Es ist schwierig,
das zustande zu bringen, weil jede Schicht in uns von Natur dazu neigt, ihr
eigenes Selbst-Gesetz, dharma, auch wenn es noch so minderen Wertes ist,
einem höheren dharma vorzuziehen, das sie nicht als das ihre fühlt. Sie
klammert sich an ihr eigenes Bewußtsein oder ihre Unbewußtheit, an ihre eigenen
Impulse und Reaktionen, die eigene Dynamisierung des Wesens und die eigene Art
von Daseins-Seligkeit. Sie hält dies alles umso hartnäckiger fest, je mehr diese
Art ein Widerspruch zur Freude, ein Weg voll Finsternis und Kummer, Schmerzen
und Leiden ist. Denn auch daran hat sie ihren widernatürlichen und
gegensätzlichen Geschmack, rasa, gewonnen, ihre Lust an Finsternis und
Kummer, ihr sadistisches oder masochistisches Interesse an Schmerz und Leiden.
Auch wenn diese Seite unseres Wesens nach besseren Dingen sucht, muß sie doch
oft den schlechteren nachgehen, weil auch diese eigentlich zu ihr gehören und
für ihre Energie, ihre Substanz natürlich sind. Wir können eine völlige,
radikale Umwandlung nur dadurch zustandebringen, daß wir in die widerspenstigen
Elemente ständig das spirituelle Licht und die innere Erfahrung der spirituellen
Wahrheit, Macht und Freude hineinbringen, bis auch sie anerkennen, daß der Weg
zu ihrer eigenen Erfüllung hier liegt; sind sie doch selbst eine herabgeminderte
Macht des Geistes. Sie können durch diese neue Wesensart ihre eigene Wahrheit
und vollständige Natur wiedererlangen. Dieser Erleuchtung leisten ständig die
Kräfte der niederen Natur, noch mehr die Kräfte des Widersachers, Widerstand,
die infolge der Unvollkommenheiten der Welt existieren und regieren. Ihre
schrecklichen Fundamente haben sie auf dem schwarzen Felsen der Unbewußtheit
niedergebracht.
Zur Überwindung dieser Schwierigkeit ist es
unerläßlich, das innere Wesen und seine Aktions-Zentren zu öffnen. Denn hier
wird es leichter möglich, die Aufgabe zu lösen, die das vordergründige Mental
nicht bewältigen konnte. Sobald einmal das innere Mental, das innere
Lebens-Bewußtsein und Lebens-Mental, das subtil-physische Bewußtsein und seine
subtil-physische Mentalität zum Wirken freigesetzt sind, erschaffen sie eine
umfassendere, feinere, stärker vermittelnde Bewußtheit, die mit dem Universalen
und mit dem, was über ihnen steht, in Kommunikation treten kann. Sie hat auch
die Fähigkeit, deren Macht auf den ganzen Bereich des Wesens einwirken zu
lassen, auf das Untermental, das unterbewußte Mental, das unterbewußte Leben und
sogar auf die Unterbewußtheit des Körpers. Wenn sie auch die fundamentale
Unbewußtheit nicht völlig erleuchten können,
erschließen sie sie doch bis zu einem gewissen Grad und wirken auf sie ein.
Licht, Macht, Wissen, Seligkeit des Geistes können dann von oben herabkommen,
tiefer als nur in Mental und Herz, die immer am leichtesten zu erreichen und zu
erleuchten sind. Nehmen sie die ganze Natur von Kopf bis zu Fuß ein, können sie
Leben und Körper mehr durchdringen und durch noch tieferes Einwirken die
Grundlagen der Unbewußtheit erschüttern. Aber selbst diese umfassendere
Mentalisierung und Vitalisierung von innen bleibt eine mindere Erleuchtung. Sie
kann die Unwissenheit verringern, aber noch nicht ausmerzen. Sie greift die
Mächte, die die subtile, geheime Herrschaft der Unbewußtheit aufrechterhalten,
an und zwingt sie, zurückzuweichen; sie überwindet sie aber nicht. Die
spirituellen Kräfte, die durch diese umfassendere Mentalisierung und
Vitalisierung wirken, können einen höheren Grad von Licht, Stärke und Freude
einbringen. Doch die volle Spiritualisierung, die vollständige neue Integration
des Bewußtseins, ist auf dieser Stufe noch nicht möglich. Erst wenn das
innerste, das psychische Wesen die Führung übernimmt, kann eine tiefgreifende
Mutation, die nicht mental ist, die Herabkunft der spirituellen Kraft
wirkungsvoller machen. Das bewußte Wesen wird sich dann in vollem Umfang einer
vorläufigen Seelen-Umwandlung unterzogen haben, die Mental, Leben und Körper von
der Verführung durch die eigenen Unvollkommenheiten und Unreinheiten befreit. An
diesem Punkt kann eine größere spirituelle Kraftaufladung erfolgen, können die
höheren Mächte des spirituellen Mentals und des Übermentals voll eingreifen.
Freilich können sie ihr Werk, wenn auch nur als Einflüsse, schon früh begonnen
haben. Unter den neuen Bedingungen können sie aber das zentrale Wesen auf ihre
Ebene emporheben und die letzte neue Integration der Natur beginnen. Im
nicht-spiritualisierten Mental des Menschen wirken diese höheren Mächte zwar
auch schon, aber nur mittelbar, fragmentarisch und weniger aktiv. Bevor sie
wirken können, werden sie in Substanz und Vermögen des Mentals umgewandelt.
Substanz und Vermögen werden in ihren Schwingungen erleuchtet und gesteigert;
sie geraten in einzelnen ihrer Regungen unter diesem Einfluß in Verzückung und
Ekstase, werden aber nicht transformiert. Sobald jedoch die Spiritualisierung
anfängt und sich ihre höheren Ergebnisse manifestieren – Schweigen des Mentals,
Eintritt unseres Wesens in das kosmische Bewußtsein, in das nirvana des
kleinen Ichs und in das Empfinden des allumfassenden Selbsts, in den Kontakt mit
der Göttlichen
Wirklichkeit
– können die
Einwirkungen der höheren Dynamik und unser Aufgeschlossensein für sie zunehmen.
Sie können sich eine vollständigere, unmittelbarere und charakteristischere
Macht aneignen. Dieser Fortschritt geht weiter, bis ihr umfassendes und
ausgereiftes Wirken möglich ist. Hier beginnt dann die Wende von der
spirituellen zur supramentalen Transformation. Denn die Erhöhung des Bewußtseins
in immer umfassendere Ebenen errichtet in uns die Stufenleiter des Aufstiegs in
das Supramental, zu jenem schwierigen und höchsten Ziel.
Wir dürfen nicht annehmen, Umstände und Wege dieses
Übergangs seien für alle dieselben; denn wir betreten hier den Bereich des
Unendlichen. Da aber hinter allen die Einheit einer grundlegenden Wahrheit
steht, darf man erwarten, daß die Untersuchung einer einzelnen gegebenen
Aufstiegslinie Licht auf das Prinzip aller Aufstiegs-Möglichkeiten wirft. Die
Erforschung solch einer einzelnen Linie ist darum alles, was wir versuchen
können. Diese Linie wird bestimmt, wie das bei allem der Fall sein muß, durch
die natürliche Anordnung einer aufsteigenden Treppe. Auf ihr gibt es viele
Stufen, denn hier gibt es eine unaufhörliche Folge von Graden; nirgendwo gibt es
eine Lücke. Unter dem Gesichtspunkt des Bewußtseins-Aufstiegs von unserem Mental
aus nach oben, durch eine ansteigende Reihe kraftgeladener Möglichkeiten, durch
die es sich immer feiner ausbilden kann, können wir die Stufenfolge als eine
Treppe mit vier Haupt-Anstiegen zusammenfassen, jeder mit seiner hohen Ebene der
Erfüllung. Diese Folge von Stufen kann summarisch beschrieben werden als eine
Reihe von Veredlungen des Bewußtseins: durch das Höhere Mental, das Erleuchtete
Mental, das Intuitive Mental bis zum Übermental und über dieses hinaus. Das ist
eine Aufeinanderfolge von Selbst-Umwandlungen, auf deren Gipfel das Supramental
oder die Göttliche Gnosis liegt. Alle diese Stufen sind ihrem Prinzip und ihrem
Vermögen nach gnostisch. Denn selbst am Anfang gehen wir von einem auf die
ursprüngliche Unbewußtheit gegründeten Bewußtsein, das in allgemeiner
Unwissenheit oder in einer Mischung von Wissen und Unwissenheit handelt, weiter
zu einem Bewußtsein, das in einem geheimen selbst-seienden Wissen gründet. Auf
dieses Bewußtsein wirken zuerst jenes Licht und jene Macht ein und inspirieren
es. Dann wird es selbst in jene Substanz umgewandelt und verwendet nun
ausschließlich diese neue Instrumentation. An sich sind diese Stufen Frequenzen
der Energie-Substanz des Geistes: Weil wir sie
nach ihrem besonders hervortretenden Charakter, ihren Mitteln und der Macht an
Wissen unterscheiden, dürfen wir nicht annehmen, sie seien nur eine Methode oder
ein Weg des Wissens oder eine Befähigung, eine Macht der Erkenntnis. Sie sind
Bereiche des Wesens, Grade von Substanz und Energie des spirituellen Wesens,
Felder des Seins. Jede ist eine Ebene der universalen Bewußtseins-Macht, die
sich in einem höheren Zustand konstituiert und organisiert. Sobald die Mächte
eines Grades vollständig in uns herabkommen, wird davon nicht nur unser Denken
und Wissen beeinflußt, sie berühren die Substanz und den eigentlichen Kern
unseres Wesens und Bewußtseins, dringen in jeden seiner passiven Zustände und in
alle Aktivitäten ein; diese können umgeformt und völlig neu gestaltet werden.
Jede neue Stufe dieses Aufstiegs bedeutet darum allgemeine, wenn nicht totale
Umwandlung des Wesens in ein neues Licht und in das Vermögen höheren Seins.
Die Abstufung hängt grundlegend ab von einer höheren
oder niederen Substanz, Kraft und Stärke der Schwingung des Wesens, von seiner
Selbst-Bewußtheit, seiner Seins-Seligkeit und Seinsmächtigkeit. Je weiter wir
die Leiter hinabsteigen, desto mehr wird das Bewußtsein vermindert und verdünnt,
– eigentlich immer dichter durch seinen gröberen Aggregatzustand. Da aber der
Stoff der Unwissenheit mit der groben Konsistenz immer kompakter wird, läßt er
auch immer weniger die Substanz des Lichtes eindringen. Das Bewußtsein wird arm
an reiner Bewußtseins-Substanz, an Bewußtseins-Macht vermindert, sein Licht wird
matt; kümmerlich und stumpf wird auch seine Aufnahmefähigkeit für die tiefe
Freude. Es muß seinen verminderten Stoff stärker verdichten, dessen dunkle Kraft
mit größerer Anstrengung einsetzen, um irgendetwas zu erreichen. Aber sein
angestrengtes Ringen und Arbeiten ist kein Zeichen von Stärke, sondern von
Schwäche. Steigen wir nun in der Gegenrichtung empor, so tritt eine feinere,
aber weit stärkere, wahrhaft und spirituell konkrete Substanz hervor, mehr
Leuchtkraft, ein machtvoller Bewußtseins-Stoff, eine subtilere, lieblichere,
reinere und größere ekstatische Energie des Entzückens. Bei der Herabkunft
dieser höheren Grade zu uns dringen helleres Licht, Kraft und Essenz von Wesen
und Bewußtsein und die Energie seliger Freude in unser Mental und Leben und in
unseren Körper ein. Sie ändern und verbessern deren verminderte, verdünnte und
unfähige Substanz, verwandeln sie in ihre höhere und stärkere Geisteskraft und
in die eigentliche Form und Kraft der Wirklichkeit. Das kann deshalb geschehen, weil alles grundsätzlich dieselbe Substanz, dasselbe Bewußtsein,
dieselbe Kraft ist, wenn auch in verschiedenen Formen, Mächten und Graden ihrer
selbst. Daß das Niedere von dem Höheren emporgenommen wird, ist deshalb ein
möglicher, spirituell natürlicher Vorgang; er ist es jedoch nicht für unsere
zweite Natur von Unbewußtheit. Was einst von dem höheren Zustand herausgestellt
worden war, wird nun wieder in sein eigenes höheres Wesen und Sein eingehüllt
und emporgenommen. Unser erster entscheidender Schritt aus unserer menschlichen
Intelligenz, unserer normalen Mentalität heraus ist ein Aufstieg in ein Höheres
Mental, ein Mental, das keine Mischung von Licht und Dunkelheit oder Zwielicht
mehr ist, sondern außerordentliche Klarheit des Geistes. Seine Grundsubstanz ist
ein Empfinden, das unser Wesen mit machtvoller vielfältiger Dynamik vereint, die
eine Menge von Aspekten der Erkenntnis, von Methoden des Handelns, von
bedeutungsvollen Formen des Werdens und allem gestalten kann, von dem es ein
spontanes inneres Wissen besitzt. Darum ist es eine Macht, die vom Übermental
ausgeht – aber das Supramental als letzten Ursprung besitzt –, von dem all die
höheren Mächte herrühren. Ihr besonderer Charakter, ihre Bewußtseins-Aktivität,
wird aber vom Denken beherrscht. Das Höhere Mental ist ein erleuchtetes
Denk-Mental, das Mental eines aus dem Geist geborenen begrifflichen Erkennens.
Der Charakter dieses größeren Mentals des Wissens ist eine All-Bewußtheit, die
der ursprünglichen Identität entspringt. Sie besitzt die Wahrheiten, die die
Identität in sich enthält. Sie erfaßt sie rasch, unwiderstehlich und vielfältig.
Sie formuliert und realisiert ihre Wahrnehmungen wirksam durch die Selbst-Macht
der Idee. Diese Art der Kenntnisnahme ist die unterste Stufe, die aus der
ursprünglichen spirituellen Identität hervortritt, bevor die trennende
Erkenntnis, die Grundlage der Unwissenheit, einsetzt. Darum ist sie auch die
erste, die wir antreffen, wenn wir aus dem begrifflichen, durch die Vernunft
bestimmten Mental, unserer bisher best-organisierten Erkenntnismacht innerhalb
der Unwissenheit, in die Bereiche des Geistes emporsteigen. Das Höhere Mental
ist der eigentliche spirituelle Urheber unserer begrifflichen mentalen
Ideenbildung. Darum ist es natürlich, daß die bisher führende Macht unserer
Mentalität, wenn sie über sich hinauskommt, zu ihrem unmittelbaren Ursprung
weitergeht.
Aber hier in diesem höheren Denken ist kein Suchen,
keine selbstkritische Verwendung der Vernunft mehr nötig, kein logisches
Fortschreiten, Schritt für Schritt, zu einer Schlußfolgerung, kein Mechanismus
von ausdrücklichen oder implizierten Ableitungen
oder Schlüssen, kein Aufbau von Ideen, keine absichtliche Verkettung der einen
mit der anderen, um zu einer geordneten Summe oder zu einem Ergebnis der
Erkenntnis zu gelangen. Diese hinkende Tätigkeit unserer Vernunft ist eine
Bewegung der Unwissenheit, die nach Wissen sucht. Sie ist gezwungen, ihre
Schritte gegen den Irrtum abzusichern. Sie muß eine selektive mentale Struktur
als ihre vorübergehende Unterkunft aufbauen. Sie hat sie auf Fundamente zu
gründen, die bereits gelegt wurden, und zwar sorgfältig, die aber nie stark
waren, da sie nicht vom Boden eingeborener Bewußtheit getragen werden, sondern
in den ursprünglichen Grund der Nichtbewußtheit eingesenkt sind. Hier gibt es
nicht jene andere Methode unseres Mentals, in der es am schärfsten und
raschesten ist, das schnelle kühne Erahnen und die Innenschau, das
Scheinwerferspiel der Intelligenz, die in das wenig Bekannte oder Unbekannte
hineinleuchtet. Dieses höhere Bewußtsein ist ein Wissen, das sich auf einer
Grundlage von selbst-seiender All-Bewußtheit formuliert und einen bestimmten
Teil seiner Vollständigkeit manifestiert, eine Harmonie seiner Bedeutungen,
ausgedrückt in Gedankenform. Es kann sich zwar frei in einzelnen Ideen
ausdrücken; seine charakteristische Wirkform ist aber die Einheit zahlreicher
Ideen, ein System oder eine Ganzheit des Wahr-heits-Schauens mit einem einzigen
Blick. Die Beziehungen von Idee zu Idee, von Wahrheit zu Wahrheit, werden nicht
durch die Logik hergestellt, sondern existieren von vornherein und treten, als
bereits vom Selbst geschaut, in dem integralen Ganzen hervor. Hier beginnt die
Ausformung eines immer gegenwärtigen, aber bis jetzt noch nicht aktiv gewordenen
Wissens, das nicht ein System von Schlußfolgerungen aus Prämissen oder Daten
ist. Dieses Denken ist die Selbst-Enthüllung ewiger Weisheit; es ist kein
erworbenes Wissen. Umfassende Aspekte der Wahrheit kommen in unser Gesichtsfeld,
in denen das emporsteigende Mental, falls es das will, nach früherer Art wie in
einem Gebäude zufrieden wohnen kann. Soll aber ein Fortschritt erzielt werden,
dann müssen sich diese Gebäude ständig in eine neue, umfassendere Baustruktur
ausweiten. Es können sich auch verschiedene Strukturen zu einem provisorischen
größeren Ganzen kombinieren bis zu einer bis jetzt noch nicht erlangten
Vollständigkeit. Am Ende gibt es eine größere Ganzheit von bekannter und neu
erfahrener Wahrheit. Doch ist auch diese Totalität noch unendlicher Ausweitung
fähig, da es für die Aspekte des Wissens kein Ende gibt, nastyanto vistarasya
me.
Das ist das Höhere
Mental unter dem Gesichtspunkt der Erkenntnis. Es gibt aber auch den Aspekt des
Willens, der dynamischen Verwirklichung der Wahrheit. Hier finden wir, daß
dieses größere und brillantere Mental stets durch die Macht des Gedankens, durch
Ideen-Kraft auf das übrige Wesen, den mentalen Willen, das Herz und seine
Gefühle, das Leben und den Körper einwirkt. Es versucht, durch Erkenntnis zu
läutern, durch Wissen zu befreien, durch die dem Wissen innewohnende Macht zu
erschaffen. Die Idee wird in das Herz oder in das Leben als eine Kraft
eingepflanzt, die angenommen und ausgearbeitet werden soll. Herz und Leben
werden der Idee bewußt und reagieren auf ihre Dynamik; ihre Substanz beginnt,
sich in diesem Sinn umzugestalten, so daß die Gefühle und Handlungen zu
Schwingungen dieser höheren Weisheit und von dieser geformt, mit ihrem Empfinden
und ihrem Sinn erfüllt werden: Der Wille und die Lebensimpulse werden ähnlich
mit ihrer Macht und mit ihrem Drang aufgeladen, sich selbst wirksam zu machen.
Selbst im Körper wirkt die Idee, so daß zum Beispiel der starke Gedanke und
Wille zur Gesundheit den Glauben des Körpers an und seine Zustimmung zur
Krankheit ersetzt oder daß die Idee27 von Stärke das
Vermögen, die Regung und Schwingung von Stärke im Stofflichen hervorruft. Die
Idee erzeugt die Kraft und die Form, die der Idee eigen sind; sie überträgt sie
auf die Substanz unseres Mentals und Lebens oder auf die Materie. Auf diese
Weise schreitet das Wirken am Anfang fort. Es lädt das ganze Wesen mit einem
neuen und höheren Bewußtsein auf, legt das Fundament für die Umwandlung und
bereitet es auf eine höhere Wahrheit des Seins vor.
Um ein naheliegendes Mißverständnis zu vermeiden, das
leicht entstehen kann, wenn man zuerst die überlegene Macht der höheren Kräfte
wahrnimmt und erfährt, ist hervorzuheben, daß diese höheren Kräfte bei ihrer
Herabkunft nicht sofort so allmächtig sind, wie das auf ihrer Ebene des Wirkens
und in ihrem eigenen Medium natürlich der Fall ist. Bei der Evolution in der
Materie müssen sie in ein ihnen fremdes und minderes Medium eintreten und auf es
einwirken. Dort stoßen sie auf die Unfähigkeiten unseres Mentals, Lebens und
Körpers. Sie begegnen dem Mangel an
Empfänglichkeit oder einer blinden Zurückweisung durch die Unwissenheit. Sie
erfahren die Verneinung und Widersetzlichkeit der Unbewußtheit. Auf ihrer
eigenen Ebene wirken sie auf der Basis eines lichtvollen Bewußtseins und einer
erleuchteten Substanz des Wesens; darum sind sie automatisch wirkungsvoll. Hier
dagegen müssen sie sich mit einem schon vorher ausgebauten Fundament von
Nichtbewußtheit auseinandersetzen, – nicht nur mit der völligen Unwissenheit der
Materie, sondern auch mit der modifizierten von Mental, Herz und Leben. Wenn die
höhere Idee so in die entwickelte mentale Intelligenz herabkommt, muß sie sogar
hier die Sperre durch eine Masse oder ein System ausgeformter Gedanken
überwinden, die zu der Wissen-Unwissenheit und dem Willen dieser Ideen gehören,
fortzudauern und sich zu verwirklichen. Denn alle Ideen sind Kräfte und besitzen
eine, je nach den Umständen größere oder geringere, Fähigkeit zur Gestaltung und
Selbst-Durchsetzung, – sie können sogar in der Praxis auf Null reduziert werden,
wenn sie es mit der unbewußten Materie zu tun haben; doch bleiben sie immer noch
potentiell existent. Es gibt also eine bereits ausgeformte Macht von Widerstand,
der sich den Wirkungen des herabkommenden Lichts entgegenstellt oder sie
verringert, ein Widerstand, der so weit gehen kann, daß er das Licht verweigert
oder zurückweist. Oder er kann als Versuch erscheinen, das Licht zu behindern,
zu unterdrücken, es schlau zu verändern, es sich anzupassen oder umzukehren,
damit es zu den vorgefaßten Vorstellungen der Unwissenheit paßt. Verwirft man
diese vorgefaßten oder bereits gebildeten Ideen und beraubt man sie ihres
Rechts, fortzudauern, dann nehmen sie sich doch das Recht, von außen her, aus
ihrer weiten Verbreitung im universalen Mental, wiederzukommen. Oder sie können
sich nach unten in die vitalen, physischen oder unterbewußten Schichten
zurückziehen, um von dort bei nächster Gelegenheit wieder emporzukommen und
ihren verlorenen Herrschaftsbereich wieder in Besitz zu nehmen. Denn die
evolutionäre Natur muß dieses Recht zum Beharren den Dingen geben, die sie
einmal geschaffen hat, um so ihren Schritten genügend Stetigkeit und Festigkeit
zu verleihen. Außerdem ist es Art und Anspruch jeder Kraft, die sich
manifestiert, zu sein, zu überleben, sich, wo immer und solange es möglich ist,
wirksam durchzusetzen. Darum wird in einer Welt der Unwissenheit alles nicht nur
durch Zusammenwirken, sondern auch durch Kollision, Kampf, Vermischung der
Kräfte erreicht. Für diese höchste Evolution ist aber wesentlich,
daß jede Vermischung von Unwissenheit mit Wissen ausgemerzt wird.
Aktion und Evolution durch den Widerstreit der Kräfte soll ersetzt werden durch
ein Wirken und eine Entwicklung in Harmonie der Kräfte. Wir können diese Stufe
aber nur durch einen letzten Kampf erreichen, in dem wir die Mächte der
Unwissenheit durch die Mächte von Licht und Wissen überwinden. In den niederen
Ebenen des Wissens, in Herz, Leben und Körper, kehrt dasselbe Phänomen, und zwar
mit höherem Stärkegrad, wieder. Denn hier stößt diese höhere Macht nicht nur auf
Ideen, sondern auf Emotionen, Begierden, Impulse, Sinnlichkeit, vitale
Bedürfnisse und Gewohnheiten der niederen Natur. Da sie weniger bewußt sind als
Ideen, sind sie in ihrer Reaktion blinder und suchen sich viel hartnäckiger
durchzusetzen: Alle haben dieselbe oder eine noch größere Kraft zum Widerstand
und zur Wiederkehr. Oder sie flüchten in die unser Bewußtsein umgebende
universale Natur. Oder sie ziehen sich in unsere niederen Schichten oder in
einen Keimzustand im Unterbewußten zurück. Von dort aus haben sie die Macht, von
neuem einzufallen oder wieder emporzukommen. Diese Macht der einmal in der Natur
etablierten Dinge zur Dauer, zur Wiederkehr, zum Widerstand ist stets das große
Hindernis, auf das die evolutionäre Kraft stößt. Faktisch hat sie diese selbst
erschaffen, um eine allzu rasche Verwandlung auch dann zu verhindern, wenn diese
Umwandlung letztlich ihre eigene Absicht in den Dingen ist.
Auch wenn diese Behinderung sich im weiteren
Fortschritt verringern kann, wird sie doch auf jeder Stufe des höheren Aufstiegs
vorhanden sein. Um überhaupt dem höheren Licht zu ermöglichen, in entsprechender
Wirkstärke hereinzukommen, müssen wir das Vermögen zur Beruhigung unserer Natur
erwerben. Wir sollen Mental, Herz, Leben und Körper besänftigen, still machen,
ihnen eine gelenkte Passivität oder sogar völliges Schweigen auferlegen.
Trotzdem ist fortdauernde Opposition immer möglich. Sie ist entweder offenkundig
oder wird in der Kraft der allumfassenden Unwissenheit empfunden. Oder sie ist
subliminal und verborgen in der Substanz-Energie der individuellen
Mental-Struktur, in der Lebensform des Individuums und in seinem Körper aus
Materie. Geheimer Widerstand, eine Revolte oder eine wiederholte Durchsetzung
der früher schon beherrschten oder unterdrückten Energien der unwissenden Natur
sind immer möglich. Wenn irgendetwas in unserem Wesen diesen Dingen zustimmt,
können sie wieder die Herrschaft an sich reißen. Eine schon früher gewonnene
Beherrschung durch die Seele ist sehr
wünschenswert, da sie eine allgemeine Empfänglichkeit für das Licht schafft und
die Revolte der niederen Schichten gegen es oder ihre Zustimmung zu den
Ansprüchen der Unwissenheit behindert. Ebenso wird eine vorausgehende
spirituelle Transformation die Macht der Unwissenheit über uns verringern.
Keiner dieser Einflüsse kann aber ihre Widersetzlichkeit oder Begrenzung völlig
ausschalten. Denn die vorausgehenden Umwandlungen erbringen nicht das integrale
Bewußtsein und Wissen. Immer wird die ursprüngliche Basis der dem Unbewußten
eigentümlichen Unwissenheit vorhanden sein, die jedesmal wieder umgewandelt,
erleuchtet und im Ausmaß und der Kraft ihrer Reaktion verringert werden muß. So
wie die Macht des spirituellen Höheren Mentals und seine Ideen-Kraft bei ihrem
Eintritt in unsere Mentalität modifiziert und verringert wird, reicht sie nicht
aus, alle diese Widerstände wegzufegen und ein gnostisches Wesen zu erschaffen.
Sie kann aber eine erste Umwandlung und eine Veränderung zuwege bringen, die
einen weiteren Aufstieg und ein machtvolleres Herabkommen ermöglicht. Sie kann
die weitere Integration des Wesens in eine höhere Kraft von Bewußtsein und
Wissen vorbereiten.
Diese größere Kraft ist die des Erleuchteten Mentals,
das nicht mehr ein Mental des höheren Denkens, sondern ein solches spirituellen
Lichtes ist. Hier weicht die Klarheit der spirituellen Intelligenz, ihr ruhiges
Tageslicht einer Strahlkraft, einem Glanz und einer Erleuchtung des Geistes: Ein
Feuerwerk von Blitzen spiritueller Wahrheit und Macht bricht von oben her in das
Bewußtsein ein. Es fügt der ruhigen weiten Erleuchtung und dem gewaltigen
Herabströmen von Frieden, die das Wirken des umfassenderen
begrifflich-spirituellen Prinzips charakterisieren oder begleiten, die feurige
Glut der Verwirklichung und eine leidenschaftliche Ekstase des Wissens hinzu.
Dieses Wirken wird im allgemeinen vom Herabströmen eines innerlich sichtbaren
Lichtes umhüllt. Denn hier ist zu beachten, daß, im Unterschied zu unseren
gewöhnlichen Auffassungen, Licht nicht in erster Linie eine materielle Schöpfung
ist. Das Empfinden oder die Schau von Licht, die die innere Erleuchtung
begleiten, sind nicht nur ein subjektives visuelles Abbild oder ein symbolisches
Phänomen: Licht ist in erster Linie eine spirituelle erleuchtende und
schöpferische Manifestation der Göttlichen Wirklichkeit. Materielles Licht ist
dessen Folgeerscheinung, seine Repräsentation oder Umwandlung in Materie für die
Zwecke der materiellen Energie. Bei dieser Herabkunft tritt auch eine größere
Dynamik ein, ein “goldenes Drängen”, ein
lichtvoller von innerer Kraft und Macht, der den verhältnismäßig langsamen und
bedächtigen Prozeß des Höheren Mentals durch das rasche, manchmal heftige,
beinahe gewalttätige Ungestüm einer rapiden Umwandlung ersetzt.
Das Erleuchtete Mental wirkt nicht in erster Linie
durch Denken, sondern durch Schau. Denken ist hier nur eine untergeordnete
Funktion, um das Geschaute auszudrücken. Das menschliche Mental, das sich
hauptsächlich auf das Denken verläßt, meint, dieses sei der höchste oder
wichtigste Prozeß der Erkenntnis. Aber in der spirituellen Ordnung ist Denken
ein sekundärer, gar nicht unentbehrlicher Prozeß. In seiner Form von verbalem
Denken kann man es beinahe als eine Konzession auffassen, die das Wissen der
Unwissenheit gegenüber macht. Ist doch die Unwissenheit unfähig, sich selbst
gegenüber eine Wahrheit in ihrem ganzen Umfang und ihren vielfältigen
Bedeutungen völlig durchsichtig und verständlich zu machen, wenn sie nicht die
klärende Genauigkeit bedeutungsvoller Laute verwendet. Ohne dieses Mittel kann
das Wissen seinen Ideen keinen genauen Umriß und keinen sie darstellenden Körper
geben. Offensichtlich ist das aber nur eine Instrumentation, ein Mechanismus.
Das Denken ist an sich in seinem Ursprung auf den höheren Ebenen des Bewußtseins
eine Wahrnehmung, ein erkennendes Erfassen des Gegenstandes oder einer Wahrheit
der Dinge, die ein zwar machtvolles, aber doch minderes und sekundäres Ergebnis
spiritueller Schau ist. Hier schaut, verhältnismäßig äußerlich und
oberflächlich, das Selbst auf das Selbst, das Subjekt auf sich selbst oder auf
etwas von sich als auf ein Objekt: Denn alles ist hier Verschiedenheit und
Vielfalt des Selbsts. Im Mental kommt es zur vordergründigen Reaktion von
Wahrnehmen auf den Kontakt mit einem beobachteten oder entdeckten Gegenstand,
mit einer Tatsache oder Wahrheit und zu deren darauffolgenden begrifflichen
Formulierung. Im spirituellen Licht gibt es aber eine tiefere wahrnehmende
Reaktion von der eigentlichen Substanz des Bewußtseins her, ferner eine
umfassende Formulierung in dieser Substanz, eine genaue Darstellung oder ein
offenbarendes Ideogramm im Stoff des Wesens. Darüber hinaus ist aber nichts
nötig, keine verbale Darstellung, um dieses Denk-Wissen zu präzisieren und zu
vervollständigen. Das Denken erschafft sich ein repräsentatives Bild von der
Wahrheit. Es bietet dieses dem Mental als Mittel an, die Wahrheit festzuhalten
und sie zu einem Gegenstand der Erkenntnis zu machen. Der Leib selbst dieser
Wahrheit wird aber im Sonnenlicht eines tieferen spirituellen
Schauens erfaßt und dort genau festgehalten. Ihm gegenüber ist die vom Denken
erschaffene repräsentative Figur sekundär und abgeleitet. Sie ist machtvoll, um
das Wissen mitzuteilen, aber durchaus nicht unentbehrlich, um das Wissen zu
empfangen und zu besitzen.
Ein Bewußtsein, das sich auf Schau gründet, das
Bewußtsein des Sehers, ist für die Erkenntnis eine stärkere Macht als das
Bewußtsein des Denkers. Die wahrnehmende Macht innerer Schau ist größer und
unmittelbarer als die wahrnehmende Macht des Denkens. Sie ist ein spiritueller
Sinn, der etwas von der Substanz der Wahrheit erfaßt, und nicht nur ihr Abbild.
Sie umreißt zwar das Abbild, erfaßt aber auch die Bedeutung des Bildes. Sie kann
die Wahrheit in feiner und kühner offenbarender Darstellung, mit umfassenderem
Verständnis und mehr Kraft zur Ganzheit verkörpern, als es das gedankliche
Begreifen fertigbringt. So wie das Höhere Mental durch die spirituelle Idee und
ihre Wahrheits-Macht in das Wesen eine stärkere Bewußtseins-Frequenz bringt, so
bewirkt das Erleuchtete Mental ein noch höheres Bewußtsein durch Wahrheits-Schau
und Wahrheits-Licht und deren Macht, zu sehen und zu begreifen. Es kann eine mit
mehr Kraft aufgeladene Integration zustandebringen. Es erleuchtet das
Denk-Mental mit unmittelbarer innerer Schau und Inspiration. In das Herz bringt
es spirituelles Sehen und in sein Empfinden und Fühlen Licht und Kraft des
Geistes. Der Lebenskraft verleiht es einen spirituellen Auftrieb, eine
Wahrheits-Inspiration, die das Handeln mit Energien versorgt und die
Lebensregungen erhöht. In die Sinne läßt es eine unmittelbare und umfassende
Macht spirituellen Empfindens einströmen, so daß unser vitales und physisches
Wesen mit dem Göttlichen Wesen in allen Dingen ebenso intensiv in Berührung
kommen und ihm ebenso konkret begegnen kann, wie das Mental und das Gefühl es
begreifen und wahrnehmen können. Es bestrahlt das physische Mental mit einem
verwandelnden Licht, das seine Begrenzungen zerstört, seine konservative
Trägheit überwindet, seine enge Denk-Macht und seine Zweifel durch Schau ersetzt
und sogar bis in die Zellen des Körpers Erleuchtung und Bewußtsein eingießt. In
der Umwandlung durch das Höhere Mental könnte der spirituelle Weise seine
völlige und dynamische Erfüllung finden. In der Transformation durch das
Erleuchtete Mental würden der Seher, der erleuchtete Mystiker eine ähnliche
Erfüllung erleben, alle, in denen die Seele im Schauen und in unmittelbarer
Empfindung und Erfahrung lebendig ist: Denn von diesen
höheren Ursprüngen empfangen sie ihr Licht. Sich in dieses Licht zu erheben und
dort zu leben, wäre der Aufstieg der Seele in ihr heimatliches Reich.
Diese beiden Stufen des Aufstiegs können sich ihrer Autorität nur dann erfreuen und ihre vereinte Vollständigkeit erlangen, wenn sie sich auf eine dritte Stufe beziehen. Denn von den höheren Gipfeln her, wo das intuitive Wesen daheim ist, beziehen sie das Wissen, das sie in Denken und Schau verwandeln und uns zur Umwandlung des Mentals herabbringen. Intuition ist eine Bewußtseins-Macht, die dem ursprünglichen Wissen durch Identität nähersteht und mit ihm inniger verwandt ist. Sie ist immer etwas, das unmittelbar der verborgenen Identität entspringt. Wenn das Bewußtsein des Subjekts auf das Bewußtsein im Objekt trifft, es durchdringt und die Wahrheit dessen, das es berührt, sieht, fühlt und mit ihr schwingt, springt die Intuition wie ein Funke oder ein Blitz aus diesem Zusammenprall über. Es kann auch zu solchem Hervorbrechen eines intuitiven Lichtes kommen, wenn das Bewußtsein, auch ohne ein solches Zusammentreffen, in sich hineinschaut und unmittelbar und innig die Wahrheit oder die Wahrheiten fühlt, die es dort gibt; oder wenn es die Kräfte berührt, die hinter den äußeren Erscheinungen verborgen sind. Ferner wird der Funke, der Lichtstrahl oder das Aufflammen einer inneren Wahrheits-Wahrnehmung in ihren Tiefen entzündet, wenn das Bewußtsein der Höchsten Wirklichkeit oder der spirituellen Wirklichkeit von Dingen und Wesen begegnet und mit ihr durch innigen Kontakt Einung erfährt. Diese nahe Wahrnehmung ist mehr als ein Schauen, mehr als ein Begreifen. Sie ist das Ergebnis einer eindringenden und offenbarenden Berührung, die in sich als Teil ihrer selbst oder als natürliche Folge das Schauen und Begreifen enthält. Eine verborgene oder schlummernde Identität, die sich noch nicht ganz wiedergefunden hat, erinnert sich durch die Intuition an alles, was sie enthält, oder sie übermittelt uns ihre eigenen Inhalte, die innere Unmittelbarkeit ihres Selbst-Fühlens und ihrer Selbst-Schau der Dinge, ihr Licht der Wahrheit und ihre überwältigende automatische Gewißheit.
Im menschlichen Mental ist die Intuition eben solch
eine Wahrheits-Erinnerung und Wahrheits-Übermittlung, solch ein offenbarendes
Aufblitzen, solch lodernde Flamme, die in eine Masse von Unwissenheit oder durch
eine Hülle von Nichtbewußtheit eindringt. Wir haben aber gesehen, daß sie dort
eindringend einer Vermischung unterworfen oder vom Mental überkleidet oder
aufgefangen und durch dieses ersetzt wird. Auch
gibt es da vielfältig die Möglichkeit falscher Interpretation, die der Reinheit
und Fülle ihrer Aktivität entgegenwirkt. Außerdem treten auf allen Ebenen des
Wesens scheinbare Intuitionen auf, die eher Mitteilungen von außen sind als
Intuitionen; sie haben ganz anderen Ursprung, Wert und Charakter. Der
infrarationale selbst-ernannte “Mystiker” – denn für den wahren Mystiker reicht
es nicht aus, die Vernunft abzulehnen und sich auf Quellen für Denken und
Handeln zu verlassen, die man nicht verstehen kann – wird oft durch solche
Kommunikationen auf der vitalen Stufe aus einer finsteren und gefährlichen
Quelle inspiriert. Unter solchen Umständen werden wir dazu gezwungen, uns vor
allem auf die Vernunft zu verlassen, und neigen dazu, selbst die Eingebungen der
Intuition – oder der Pseudo-Intuition, die das häufigere Phänomen ist – zu
kontrollieren, indem wir sie mit der kritischen Intelligenz beobachten und
prüfen. Denn wir fühlen in unserem Intellekt, daß wir sonst nicht dessen sicher
sein können, was das wahre Wesen und was die vermischte oder verdorbene Sache
oder der falsche Ersatz ist. Das entwertet aber für uns weithin die Nützlichkeit
der Intuition: Denn auf diesem Gebiet ist die Vernunft kein verläßlicher
Schiedsrichter, da ihre Methoden anders, zögernd, unsicher, intellektuelles
Suchen sind. Obwohl sie sich für ihre Schlußfolgerungen in Wirklichkeit auf eine
getarnte Intuition verläßt – ohne diese Hilfe könnte sie ihren Weg nicht wählen
oder zu einem gesicherten Ziel gelangen –, verbirgt sie die Abhängigkeit vor
sich hinter dem Prozeß einer logischen Schlußfolgerung oder der Bestätigung
einer Vermutung. Muß sich aber eine Intuition der kritischen Nachprüfung durch
die Vernunft unterwerfen, hört sie auf, Intuition zu sein, und kann sich nur
noch auf die Autorität der Vernunft stützen, für die es keine unmittelbar
sichere Quelle gibt. Selbst wenn das Mental ein vorwiegend intuitives Mental
würde, das sich auf seinen Anteil an der höheren Begabung stützt, bliebe es
schwierig, seine Erkenntnisse und besonderen Fähigkeiten zu koordinieren, – denn
im Mental werden sie immer dazu neigen, als eine Reihe unvollkommen verbundener
blitzartiger Einfälle zu erscheinen, solange diese neue Mentalität noch keine
bewußte Verbindung mit ihrem suprarationalen Ursprung oder einen Zugang besitzt,
der sie auf eine höhere Bewußtseins-Ebene emporhebt, auf der intuitives Wirken
rein und ursprünglich ist.
Intuition ist immer
eine scharfe Schneide, ein Strahl oder der Ausbruch eines höheren Lichtes. Sie
wird in uns zu einer zustoßenden Klinge, zum Strahl oder zur Spitze eines weit
entfernten Lichtes des Supramentals, das über uns in eine Zwischen-Substanz von
Wahrheits-Mental eindringt, von dieser verändert wird und, so abgeschwächt,
weiter in unsere gewöhnliche oder unwissende Mental-Substanz eindringt und durch
diese reichlich erblindet. Auf jener höheren Ebene aber, auf der sie daheim ist,
ist ihr Licht unvermischt und darum völlig rein und wahrheitsgetreu. Ihre
Strahlen sind nicht vereinzelt, sondern miteinander verbunden oder als Masse in
einem Spiel von Wellen dessen zusammengefaßt, was man im Sanskrit poetisch etwa
einen Ozean oder eine Masse von “stabilen Blitzen” nennen könnte. Wenn diese
ursprüngliche oder echte Intuition als Antwort auf einen Aufstieg unseres
Bewußtseins zu ihrer Höhe oder als Ergebnis dessen, daß wir einen klaren Weg der
Kommunikation mit ihr gefunden haben, zu uns herabkommt, mag sie weiter,
isoliert oder in beständigem Wirken, als das Spiel aufleuchtender Blitze zu uns
kommen. Auf dieser Stufe wird jedoch das Urteil der Vernunft völlig unbrauchbar.
Sie kann nur als Beobachter und Registrator aktiv sein, der die lichtvolleren
Anregungen, Urteile und Unterscheidungen der höheren Macht versteht oder
vermerkt. Um eine isolierte Intuition, ihre Art, ihre Anwendung und ihre
Begrenzungen zu vervollständigen oder ihre Wahrheit zu erweisen, muß sich das
empfangende Bewußtsein auf eine andere, sie vervollständigende Intuition
verlassen oder fähig sein, eine massierte Intuition herabzurufen, die alles an
seinen rechten Platz stellen kann. Denn sobald der Prozeß der Umwandlung
begonnen hat, wird die vollständige Verwandlung des Stoffs und der Wirkweisen
des Mentals in Substanz, Form und Macht der Intuition zwingend. Solange der
Bewußtseins-Prozeß von der niederen Intelligenz abhängt, die der Intuition
dient, aushilft oder sie verwendet, kann sich daraus nur das Fortbestehen der
Vermischung von Wissen mit Unwissenheit ergeben, die von einem höheren Licht und
einer Kraft emporgehoben und unterstützt wird, die in ihren Schichten von Wissen
wirken.
Intuition besitzt eine vierfache Macht: die Macht
offenbarender Wahrheits-Schau; die Macht der Inspiration oder des
Wahrheits-Vernehmens; die Macht, die Wahrheit zu ergreifen oder unmittelbar ihre
Bedeutung zu erfassen, die der gewöhnlichen Art verwandt ist, wie sie in unsere
mentale Intelligenz eingreift; schließlich das Vermögen, die geordnete, exakte Beziehung von einer Wahrheit zur anderen wahrhaft und
automatisch zu unterscheiden, – das sind die vier wirksamen Mächte der
Intuition. Darum kann Intuition die gesamte Tätigkeit der Vernunft durchführen,
einschließlich der Funktion der logischen Intelligenz, die die richtige
Beziehung der Dinge untereinander und die rechte Beziehung von Idee zu Idee
auszuarbeiten hat. Sie tut das aber durch ihren eigenen höheren Prozeß und mit
Schritten, die weder versagen noch straucheln. Außerdem hebt sie empor und
verwandelt in die eigene Substanz nicht nur das Mental des Denkens, sondern auch
Herz, Leben, die Sinne und das physische Bewußtsein: Sie alle haben schon ihre
intuitiven Kräfte, die aus dem verborgenen Licht abgeleitet sind. Die von oben
herabkommende reinere Macht kann sie sämtlich in sich aufnehmen und jenen
tieferen Auffassungen des Herzens und Lebens und den Ahnungen des Körpers eine
höhere Vollständigkeit und Vollkommenheit verleihen. Sie kann so das ganze
Bewußtsein in den Stoff der Intuition umwandeln. Denn sie bringt ihre eigene
größere strahlende Bewegung hinein in den Willen, in die Gefühle, in die
Lebens-Impulse, die Bestätigung der Sinne und die Sinnlichkeit, in das
eigentliche Wirken des Körper-Bewußtseins. Sie prägt sie um in das Licht und die
Macht der Wahrheit und erleuchtet ihr Wissen und ihre Unwissenheit. So kann eine
gewisse Integration stattfinden. Ob das aber die totale Integration ist, hängt
davon ab, in welchem Maß das neue Licht fähig ist, das Unterbewußte emporzuheben
und in die fundamentale Unbewußtheit einzudringen. Hier mögen das intuitive
Licht und seine Macht an der Erfüllung ihrer Aufgabe dadurch behindert sein, daß
es nur der Rand eines delegierten und modifizierten Supramentals ist, aber nicht
in vollem Umfang die Fülle oder den Körper des Identitäts-Wissens mit sich
bringt. Die Basis des Unbewußten in unserer Natur ist zu riesig, zu tief und zu
fest, als daß sie völlig durchdrungen, in Licht umgewandelt und durch eine
niedere Macht der Wahrheits-Natur transformiert werden könnte.
Der nächste Schritt des Aufstiegs bringt uns zum
Übermental. Die Wandlung der Intuition kann nur Einführung zu dieser höheren
spirituellen Eröffnung sein. Wir haben aber gesehen, daß das Übermental, auch
wenn es selektiv und in seinem Wirken nicht total ist, dennoch eine Macht des
kosmischen Bewußtseins, ein Prinzip globalen Wissens ist, das ein delegiertes
Licht aus der supramentalen Gnosis in sich trägt. Darum ist es nur dann möglich,
daß wir in das Übermental aufsteigen und dieses zu uns herabkommt, wenn wir uns
in das kosmische Bewußtsein ausweiten. Es genügt
nicht, wenn sich der Einzelne intensiv nach diesen Höhen hin öffnet. Zum
vertikalen Aufstieg zu den Gipfeln des Lichts muß eine umfassende horizontale
Ausdehnung des Bewußtseins in die Totalität des Geistes hinzukommen. Zumindest
muß das innere Wesen durch seine tiefere und weitere Bewußtheit bereits das
vordergründige Mental und seinen begrenzten Horizont ersetzt haben. Es muß
gelernt haben, in einer weiten Universalität zu leben. Sonst werden die
Übermental-Schau der Dinge und die Übermental-Dynamik keinen Raum finden, in den
sie eingehen und in dem sie ihre dynamischen Maßnahmen wirksam machen können.
Kommt das Übermental herab, wird die Vorherrschaft des zentralisierenden
Ich-Sinnes völlig untergeordnet. Er geht in der großen Weite des Wesens verloren
und wird zuletzt ausgemerzt. An seine Stelle sind eine weite kosmische
Wahrnehmung und das Gefühl eines grenzenlosen universalen Selbsts und dessen
Bewegung getreten. Viele der vorherigen ego-zentrischen Regungen mögen noch
fortdauern; sie treten aber nur als Strömungen und Wellengekräusel in der
kosmischen Weite auf. Das Denken scheint zumeist nicht mehr individuell im
Körper oder in der Person zu entstehen, es manifestiert sich von oben her, oder
es kommt auf den kosmischen Mental-Wellen zu uns herein. Alle innere
individuelle Schau der Dinge oder die Intelligenz ist jetzt eine Enthüllung oder
Erleuchtung dessen, was gesehen oder begriffen wird. Der Ursprung des Enthüllten
liegt aber nicht in unserem abgesonderten Selbst, sondern im universalen Wissen.
Ähnlich werden die Gefühle, Emotionen, Sinnesempfindungen als Wellen derselben
kosmischen Unermeßlichkeit gefühlt, die sich an unserem subtilen oder
materiellen Körper brechen, auf die das individuelle Zentrum der Universalität
entsprechend reagiert. Denn der Körper ist nur ein kleiner Stützpunkt oder noch
weniger: ein Beziehungspunkt für eine ungeheure kosmische Instrumentation. Mag
sein, daß in dieser grenzenlosen Weite nicht nur das abgesonderte Ich, sondern
jedes Empfinden von Individualität, selbst von einer untergeordneten und
instrumentalen Individualität, gänzlich verschwindet. Übrig bleiben allein das
kosmische Sein, das kosmische Bewußtsein, die kosmische Seligkeit, das Spiel der
kosmischen Kräfte. Wird dann dort, wo das personale Mental, das Leben und der
Körper war, die Seligkeit oder das Zentrum der Kraft gefühlt, geschieht das
nicht mit dem Empfinden der Persönlichkeit. Vielmehr ist das ein Feld für
Manifestation. Dieses Empfinden tiefer Freude und des Wirkens der Kraft bleibt
nicht auf die
Person oder den Körper begrenzt,
sondern kann an allen Punkten in einem unbegrenzten Bewußtsein von Einheit
gefühlt werden, das überall hindringt.
Es kann viele Formulierungen des Übermental-Bewußtseins und seiner Erfahrung geben. Denn das Übermental ist ungemein formbar und ein Feld vielfacher Möglichkeiten. Anstelle des Empfindens, daß es sich ohne ein Zentrum und ohne Raumgebundenheit verstreut, können wir das Universum in uns selbst und als uns selbst erfahren. Aber auch hier ist das Selbst nicht das Ich. Es ist die Ausdehnung eines freien und rein wesenhaften Selbst-Bewußtseins. Oder es ist eine Identifizierung mit dem All. Diese Ausdehnung oder Identifizierung konstituiert ein kosmisches Wesen, ein universales Individuum. In dem einen Zustand des kosmischen Bewußtseins gibt es das Individuum, das in den Kosmos eingeschlossen ist, sich aber mit allem im Kosmos, mit den Dingen und Wesen, mit Denken und Empfinden, Freude und Kummer der anderen identifiziert. Im anderen Zustand schließen wir die Wesen in uns selbst und ihr Leben als einen Teil unseres eigenen Wesens ein. Oft gibt es keine Regel oder Lenkung der gewaltigen Bewegung, sondern ein freies Spiel der universalen Natur, auf das das frühere personale Wesen mit passiver Hinnahme oder dynamischer Identifizierung antwortet, während der Geist frei und unbeeinträchtigt bleibt von jedweder Gebundenheit an die Reaktionen dieser Passivität oder dieser universalen und apersonalen Identifizierung und dieses Mitempfindens. Wird aber der Einfluß des Übermentals stark und sein Wirken vollständig, kann integrales Empfinden einer Lenkung, einer völligen Unterstützung oder allbeherrschenden Gegenwart und Führung durch das kosmische Selbst, den ishvara, eintreten und normal werden. Es kann auch ein besonderes Zentrum offenbart und geschaffen werden, das dem physischen Werkzeug überlegen ist und es beherrscht. In der Tatsächlichkeit des Daseins ist es individuell, in unserem Fühlen ist es aber apersonal. Wir erkennen es als etwas, das dem Wirken eines Transzendenten und Allumfassenden Wesens als Werkzeug dient. Geht dieses zentralisierende Wirken bei seinem Übergang zum Supramental weiter, dann führt das zur Entdeckung des wahren Individuums, das das tote Ich ersetzt. Dieses Seiende ist in seinem Wesen eins mit dem Höchsten Selbst, in seiner Ausweitung eins mit dem Universum und doch kosmisches Zentrum und Peripherie für ein spiritualisiertes Wirken des Unendlichen.
Das sind die
allgemeinen ersten Ergebnisse. Sie schaffen die normale Grundlage für das
Übermental-Bewußtsein im entwickelten spirituellen Wesen. Doch sind seine
unterschiedlichen Formen und Entwicklungen unzählbar. Wir erfahren das so
wirkende Bewußtsein als ein Bewußtsein von Licht und Wahrheit; als Macht, Kraft
und Aktion voller Licht und Kraft; als Ästhetik, ein Empfinden von Schönheit und
Seligkeit, universal und vielfältig in Einzelheiten; als Erleuchtung im Ganzen
und in allen Dingen, in einer einzigen Bewegung und in allen Bewegungen; als
ständige Ausweitung und ein Spiel von Möglichkeiten, das unendlich, auch in
seiner Menge von Bestimmungen unendlich und unbestimmbar ist. Wenn die Macht
einer ordnenden Übermental-Gnosis eingreift, kommt es zu einer kosmischen
Struktur des Bewußtseins und Handelns. Sie gleicht aber nicht den starren
mentalen Strukturen. Sie ist plastisch, organisch, sie kann wachsen, sich
entfalten und bis ins Unendliche ausdehnen. Alle spirituellen Erfahrungen werden
mit emporgenommen. Sie werden für die neue Natur zur Gewohnheit und normal.
Emporgehoben werden auch alle wesenhaften Erfahrungen, die zum Mental, Leben und
Körper gehören. Sie werden spiritualisiert, umgewandelt und empfunden als Formen
von Bewußtsein, Wonne und Macht des unendlichen Seins. Intuition und das
erleuchtete Schauen und Denken weiten sich aus. Ihre Substanz wird zu etwas
Substantiellerem, zu einer Masse, zu einer Energie; ihr Verlauf ist mehr
allumfassend, global, mit vielen Facetten, weiter und stärker in seiner
Wahrheits-Kraft: Die ganze Natur, das Wissen, Schönheitsempfinden, Mitleiden,
Fühlen, die ganze Dynamik, werden immer mehr all-umfassend, all-verstehend,
all-umschließend, kosmisch, unendlich.
Die Umwandlung zum Übermental ist die letzte, alles
Bisherige über höhende Bewegung der dynamischen spirituellen Transformation. Es
ist die höchst-mögliche statisch-dynamische Stufe des Geistes auf der
spirituellen Mental-Ebene. Es nimmt den ganzen Inhalt der drei Stufen unter ihm
empor und erhebt ihre charakteristischen Wirkweisen zu ihrer höchsten und
weitesten Macht. Es verleiht ihnen dazu noch universale Ausdehnung von
Bewußtsein und Kraft, harmonischen Zusammenklang von Wissen und vielfältigere
Freude des Wesens. Gewisse Gründe, die in dem für es charakteristischen Zustand
und in seiner Macht liegen, verhindern aber, daß es die endgültige Möglichkeit
der spirituellen Evolution ist. Es ist eine, wenn auch die höchste, Macht der
niederen Hemisphäre. Ist seine Grundlage auch die kosmische Einheit, so ist sein Wirken doch ein Wirken von Zertrennung und gegenseitiger
Einwirkung, eine Aktivität, die vom Spiel der Vielzahl ausgeht. Sein Kräftespiel
ist, wie das von allem Mental, ein Spiel der Möglichkeiten. Wenn das Übermental
auch nicht mehr in der Unwissenheit, sondern in einem Wissen von den Wahrheiten
dieser Möglichkeiten handelt, so arbeitet es diese doch durch die unabhängige
Entwicklung ihrer Mächte aus. In jeder kosmischen Formel handelt es im Einklang
mit der fundamentalen Bedeutung dieser Formel; es ist keine Macht für eine
dynamische Transzendenz. Hier im Erden-Leben muß es aufgrund einer kosmischen
Formel wirken, deren Basis die völlige Nichtbewußtheit ist, die davon herrührt,
daß sich Mental, Leben und Materie von ihrer Quelle und ihrem höchsten Ursprung
getrennt haben. Das Übermental kann diese Zertrennung überbrücken bis zu dem
Punkt, da das separative Mental in das Übermental eingeht und zu einem Teil
seines Wirkens wird. Es kann das individuelle Mental mit dem kosmischen Mental
auf seiner höchsten Ebene vereinen. Es kann das individuelle Selbst mit dem
kosmischen Selbst gleichstellen und der Natur ein allumfassendes Wirken
verleihen. Es kann aber das Mental nicht über sich selbst hinausheben und in
dieser Welt der ursprünglichen Unbewußtheit nicht die Transzendenz kraftvoll
entfalten. Denn allein das Supramental ist das höchste, selbst-bestimmende
Wirken der Wahrheit und die unmittelbare Macht, die jene Transzendenz
manifestieren kann. Wenn also das Wirken der evolutionären Natur hier enden
würde, könnte das Übermental, das das Bewußtsein bis zu dem Punkt einer
unendlichen erleuchteten Universalität und eines organisierten Spiels dieser
weiten und machtvollen spirituellen Bewußtheit höchsten Seins, Kraft-Bewußtseins
und Entzückens emporgetragen hat, nur dadurch fortschreiten, daß es die Pforten
des Geistes in die obere Hemisphäre hinein öffnet und einen Willen aufbringt,
der es der Seele ermöglicht, aus ihrer kosmischen Gestaltung weiterzugehen zur
Transzendenz.
In der irdischen Evolution selbst könnte die Herabkunft
des Übermentals die Unbewußtheit nicht völlig transformieren. Es könnte allein
in jedem Menschen, den es berührt, dessen ganzes bewußtes inneres und äußeres,
personales und universal apersonales Wesen in die eigene übermentale Substanz
verwandeln und diese der Unwissenheit aufdrängen, um sie so in die kosmische
Wahrheit und Erkenntnis zu versetzen. Eine Basis von Nichtbewußtheit würde
jedoch bleiben. Das wäre, als ob die Sonne und ihr System in die ursprüngliche
Finsternis des Raumes hinausstrahlen und, soweit
ihre Strahlen reichen könnten, alles erleuchten sollte. Dann würden alle, die im
Licht wohnen, das Gefühl haben, es gebe in ihrer ganzen Daseins-Erfahrung keine
Finsternis. Außerhalb dieser Sphäre bzw. außerhalb des Bereiches dieser
Erfahrung würde aber die ursprüngliche Dunkelheit noch bestehen und könnte, da
in einer Übermental-Struktur alle Dinge möglich sind, wieder in die Insel des
Lichtes, die in ihrem Bereich erschaffen wurde, eindringen. Da aber das
Übermental mit verschiedenen Möglichkeiten umgeht, wäre es seiner Natur gemäß,
wenn es die gesonderte Möglichkeit einer, mehrerer oder zahlreicher dynamisch
spiritueller Ausdrucksformen bis zum äußersten entwickeln, verschiedene
Möglichkeiten kombinieren oder miteinander in Einklang bringen würde. Das würde
aber innerhalb der ursprünglich irdischen Schöpfung eine Schöpfung oder eine
Anzahl von Schöpfungen bedeuten, von denen jede in ihrem gesonderten Dasein
etwas Vollendetes wäre. Es gäbe den entwickelten spirituellen Einzelnen. Es
könnten sich auch eine spirituelle Gemeinschaft oder Gemeinschaften in der
gleichen Welt nebeneinander entwickeln wie der mentale Mensch und das vitale
Tierwesen. Beide würden aber ihre unabhängige Existenz in einer lockeren
gegenseitigen Beziehung innerhalb der irdischen Formel ausarbeiten. Dort wäre
noch nicht die höchste Macht des Prinzips der Einheit wirksam, das alle
Unterschiedlichkeiten zu sich empornimmt und nur als Teile der Einheit
beherrscht, wie es nach dem Gesetz des neuen evolutionären Bewußtseins sein muß.
Auch wäre durch eine nur so weit reichende Evolution noch keine Garantie gegen
den herabziehenden Zwang oder die Gravitation der Unbewußtheit gegeben, die alle
Gestaltungen auflöst, die Leben und Mental in ihr bilden. Sie verschlingt wieder
alle Dinge, die aus ihr entstehen oder ihr auferlegt sind, und zersetzt sie in
ihre ursprüngliche Materie. Die Befreiung von dem Herabziehen der Unbewußtheit
und eine sichere Grundlage für die fortdauernde göttliche oder gnostische
Evolution würde nur erlangt, wenn das Supramental in die irdische Formel
herabkommt, in sie das höchste Gesetz, das Licht und die Dynamik des Geistes
hineinbringt, sie mit ihm durchdringt und die Unbewußtheit der materiellen Basis
transformiert. Darum muß auf dieser Stufe der evolutionären Natur ein Übergang
vom Übermental zum Supramental und eine Herabkunft des Supramentals eingreifen.
Indem das Übermental und seine delegierten Mächte das
Mental sowie das vom Mental abhängige Leben und den Körper zu sich empornehmen und durchdringen, wollen sie das alles einem Verfahren zur Erhöhung
seiner Kräfte unterziehen. Auf jeder Stufe des Prozesses soll sich eine größere
Macht und ein höherer Grad von Gnosis etablieren, die immer weniger mit der
lockeren, verstreuten, vermindernden und verdünnenden Substanz des Mentals
vermischt ist. Alle Gnosis ist aber in ihrem Ursprung eine Macht des
Supramentals. Das würde also bedeuten, daß ein halb-verhülltes und mittelbares
supramentales Licht mit seiner Macht immer stärker in die Natur einströmt. Das
soll fortdauern, bis der Punkt erreicht ist, da das Übermental selbst anfängt,
in das Supramental verwandelt zu werden. Nun könnten das Bewußtsein und die
Kraft des Supramentals selbst die Transformation übernehmen. Sie würden dem
irdischen Mental, Leben und körperlichen Wesen ihre spirituelle Wahrheit und
Göttlichkeit enthüllen und schließlich in die ganze Natur das vollkommene
Wissen, die Kraft und den Sinn supramentalen Seins einströmen lassen. So würde
die Seele die Grenzen der Unwissenheit überschreiten und die Linie ihres
ursprünglichen Aufbruchs aus dem höchsten Wissen kreuzen. Sie würde in die
Vollständigkeit der supramentalen Gnosis eintreten. Die Herabkunft des
gnostischen Lichtes würde die vollständige Umwandlung der Unwissenheit bewirken.
Diesen oder einen noch umfassender angelegten Plan in
derselben Richtung könnte man als schematische, logische oder ideale Darstellung
der spirituellen Transformation ansehen, als eine Wegekarte für den Aufstieg zum
supramentalen Gipfel, den wir als eine Aufeinanderfolge gesonderter Stufen
ansehen, von denen jede vollendet sein muß, bevor der Übergang zur nächsten
erfolgt. Das wäre so, wie wenn die Seele eine organisierte natürliche
Individualität aus sich herausstellen würde, einen Wanderer, der die in der
universalen Natur ausgehauenen Stufen emporsteigt. Jedes Ansteigen bringt ihn in
seiner Ganzheit, als ein umgrenztes Vollständiges, als den gesonderten Körper
eines bewußten Wesens, von einem Zustand seines Daseins zu dem in der
Reihenfolge nächsten empor. Das ist insofern korrekt, als ausreichende
Einbeziehung in den einen Zustand vollendet sein muß, bevor ein Aufstieg zur
nächst-höheren Station völlig sicher sein kann. Eine solche klare
Aufeinanderfolge mag auch der Kurs sein, dem einige wenige, gerade in den frühen
Stufen dieser Evolution, folgten. Das mag auch zum natürlichen Prozeß werden,
nachdem die ganze Stufenfolge der Evolution ausgebaut und abgesichert ist. Die
evolutionäre Natur ist aber keine logische Reihe getrennter Abschnitte. Vielmehr
ist sie eine Ganzheit aufsteigender Mächte des
Wesens, die einander durchdringen, fest ineinander gefügt sind und bei ihrer
Einwirkung aufeinander gegenseitige Veränderung bewirken. Kommt das höhere
Bewußtsein in das niedere herab, so verändert es das niedere, wird aber auch
selbst von diesem gewandelt und herabgemindert. Steigt das niedere empor, so
wird es sublimiert, gibt aber zugleich auch der sublimierenden Substanz und
Macht etwas von seinen Eigenschaften ab. Diese gegenseitige Einwirkung erschafft
eine übergroße Zahl verschiedener Zwischengrade und ineinandergefügter Formen
von Kraft und Bewußtheit des Wesens. Das macht es aber auch schwierig, die
völlige Einbeziehung aller Kräfte unter der vollen Lenkung durch eine einzige
Macht zustandezubringen. Aus diesem Grunde gibt es in der Evolution des
Einzelnen in Wirklichkeit nicht eine Reihe von einfachen, klar getrennten und
einander folgenden Stufen. Statt dessen ist die Bewegung komplex und von einer
zum Teil bestimmten, zum Teil verworrenen Reichhaltigkeit. Man kann die Seele
durchaus als einen Wanderer oder Bergsteiger beschreiben, der Schritt für
Schritt zu seinem hohen Ziel empordringt. Er muß jede Stufe aushauen und
umfassend sichern, häufig wieder zurücksteigen, um die tragende Stufenfolge neu
auszubauen und abzusichern, damit nicht das Ganze unter ihm zerbröckelt. Die
Evolution des ganzen Bewußtseins gleicht aber eher der Strömung eines
anschwellenden Ozeans der Natur. Sie kann mit der Flut oder zunehmender Dünung
verglichen werden, deren oberster Kamm an die höheren Ränder einer Klippe oder
eines Hochufers prallt, während die übrigen Fluten in der Tiefe bleiben. Auf
jeder Stufe können die höheren Teile der Natur schon vorläufig, wenn auch noch
unvollständig, im neuen Bewußtsein organisiert werden. Die niederen befinden
sich aber noch im Zustand des Fließens oder der Formung. Sie bewegen sich
teilweise noch in ihrem alten Kurs, sind jedoch beeinflußt und fangen an, sich
zu wandeln; teilweise gehören sie schon zur neuen Art, die aber erst
unvollständig verwirklicht und in ihrer Umwandlung noch nicht gesichert ist. Ein
anderes Bild wäre das einer Armee, die in einzelnen Kolonnen vorrückt und neues
Gelände erobert, während die Hauptmacht noch hinten im überrannten Gebiet
bleibt, das aber zu groß ist, als daß es wirksam besetzt werden könnte. Darum
muß man öfters anhalten und zum Teil in die durchquerten Gebiete zurückkehren,
um sie zu konsolidieren und den Zugriff nach dem eroberten Land und die
Angleichung seiner Bevölkerung sicherzustellen. Eine rasche Eroberung könnte
wohl möglich
sein. Sie wäre aber nur etwas wie
der Bau von Zwingburgen, eine Zwangsherrschaft in einem fremden Land. So wäre
das auch hier kein völliges Emporheben, keine totale Angleichung, keine
Einbeziehung, wie sie für die vollständige supramentale Umwandlung notwendig
ist.
Das bedingt gewisse Konsequenzen, die zu einer
Abänderung der klaren Aufeinanderfolgen der Evolution führen und sie daran
hindern, dem deutlich festgelegten und sicher ausgebauten Kurs zu folgen, den
unsere logische Intelligenz zwar von der Natur verlangt, jedoch nur selten von
ihr bekommt. Bei dieser höheren Evolution der aufsteigenden Mächte des Geistes
geht es ebenso zu wie bei ihrem bisherigen Verlauf: Leben und Mental beginnen
erst dann, hervorzutreten, wenn die Organisation der Materie genügend
fortgeschritten ist, um sie zuzulassen; aber die komplexere und vollkommenere
Organisation der Materie kommt erst mit der Evolution von Leben und Mental.
Mental erscheint, sobald das Leben genügend organisiert ist, um eine entwickelte
Schwingung von Bewußtsein zu erlauben; das Leben bekommt aber seine volle
Organisation und Entwicklung erst dann, wenn das Mental auf es einwirken kann.
Die spirituelle Evolution beginnt, sobald der Mensch als Mental zu den Regungen
der Spiritualität fähig ist; aber das Mental erhebt sich erst dann zu seiner
höchsten Vollkommenheit, wenn Fülle und Helligkeit des Geistes in ihm zunehmen.
Sobald es zu einer ausreichenden spirituellen Entwicklung gekommen ist,
manifestieren sich immer mehr eine gewisse Intuition, eine Erleuchtung des
Wesens, die Bewegungen der höheren spirituellen Grade des Bewußtseins,-manchmal
die eine, manchmal die andere oder alle zusammen. Sie warten nicht darauf, daß
jede Macht in der Reihe sich zuerst vervollkommnet hat, bevor eine höhere Macht
in Aktion treten kann. Licht und Macht aus dem Übermental können irgendwie
herabkommen, eine Teilformation ihrer selbst im Wesen erschaffen und eine
führende Rolle spielen. Sie können überwachen oder lenkend eingreifen, während
das Intuitive und das Erleuchtete Mental sowie das Höhere Mental noch nicht voll
entfaltet sind. Diese würden dann weiter in dem Ganzen verbleiben und mit der
größeren Macht zugleich wirken. Oft würden sie von ihr durchdrungen oder
sublimiert sein oder sich zu ihr erheben, um eine höhere oder übermentale
Intuition, eine stärkere oder übermentale Erleuchtung oder ein umfassenderes
übermentales spirituelles Denken zu gestalten. Dieses ineinander verschlungene
Wirken findet deshalb statt, weil jede herabkommende Macht durch starken Druck
auf die Natur und durch ihr emporhebendes Wirken
höhere Mächte schon in das Wesen eindringen läßt, bevor die vorhergehende Macht
in ihrer Ausformung vollkommen ist. Es geschieht aber auch, weil das Werk, die
niedere Natur emporzuheben und zu transformieren, nur unter Schwierigkeiten
geleistet werden kann, wenn nicht ein Eingreifen aus immer größerer Höhe
stattfindet. Die Erleuchtung und das höhere Denken bedürfen der Hilfe der
Intuition. Die Intuition braucht die Unterstützung des Übermentals, um die
Finsternis oder die Unwissenheit zu bekämpfen, in der sie sich abmühen, und um
ihnen ihre Erfüllung zu geben. Doch können schließlich auch der Zustand und die
Einbeziehung des Übermentals nicht vollkommen sein, solange nicht das Höhere
Mental und das Erleuchtete Mental einbezogen und in die Intuition emporgehoben
sind und nicht zuletzt die Intuition selbst integriert und in die alles
ausweitende und sublimierende Übermental-Energie hineingenommen wurde. Dem
Gesetz der Stufenfolge muß auch in der Komplexität des Prozesses der
evolutionären Natur Rechnung getragen werden.
Eine weitere Ursache für die Komplexität entsteht aus
der Notwendigkeit der Einbeziehung selbst. Denn es handelt sich hier nicht nur
darum, daß die Seele zu einem höheren Zustand emporkommt; vielmehr soll das so
gewonnene höhere Bewußtsein die niedere Natur emporheben und transformieren.
Diese Natur besitzt jedoch die dichte Undurchdringlichkeit ihrer vorhergehenden
Gestaltung, die der Herabkunft widersteht und sie blockiert. Wir haben gesehen,
daß die Natur der Unwissenheit selbst dann, wenn die höhere Macht schon die
Sperre durchbrochen hat, herabgekommen und am Wirken ist, ihr Widerstand leistet
und sie behindert. Entweder bemüht sie sich, die Umwandlung gänzlich abzulehnen,
oder sie versucht, die neue Macht so zu verändern, daß sie irgendwie mit ihrem
eigenen Wirken übereinstimmt. Oder sie stürzt sich sogar selbst auf sie, um sie
zu packen, zu erniedrigen und unter ihrer Art von Wirken und ihren niederen
Zielen zu knechten. Bei ihrem Werk, diesen schwierigen Stoff der Natur
emporzuheben und zu assimilieren, kommen die höheren Mächte gewöhnlich zuerst in
das Mental herab und besetzen die Mental-Zentren, weil diese ihnen an
Intelligenz und Wissens-Macht am nächsten stehen. Kommen sie zuerst in das Herz
oder in das vitale Wesen von Kraft und Sinnlichkeit herab, wie sie es manchmal
tun, weil diese bei vielen Menschen offener sind und sie zuerst herbeirufen,
dann sind die Ergebnisse vermischter, zweifelhafter, unvollkommener und
unsicherer, als wenn die Dinge in der logischen
Ordnung geschehen. Aber die herabkommende Macht ist selbst dann, wenn sie in
ihrem normalen Wirken das Wesen Schicht um Schicht in der natürlichen Ordnung
der Herabkunft emporhebt, nicht fähig, jede vollkommen einzunehmen und zu
transformieren, bevor sie weitergeht. Sie kann diese nur ganz allgemein und
unvollkommen in ihren Besitz nehmen, so daß jede in ihrem Wirken noch teils von
der neuen höheren, teils von einer vermischten, teils von der alten
unveränderten niederen Ordnung ist. Das ganze Mental kann in seinem vollen
Umfang nicht auf einmal umgewandelt werden; denn die Mental-Zentren sind kein
Bereich, der vom übrigen Wesen isoliert wäre. Die mentale Aktion wird von der
Aktivität der vitalen und physischen Schichten durchdrungen. In diesen Schichten
befinden sich aber die niedrigeren Gestaltungen des Mentals selbst, das vitale
Mental und das physische Mental; diese müssen zuerst umgewandelt werden, bevor
es zu einer völligen Transformation des mentalen Wesens kommen kann. Die höhere
transformierende Macht muß deshalb, sobald es angeht, herabkommen, ohne auf eine
vollständige mentale Umwandlung zu warten: in das Herz, um die emotionale Natur
einzunehmen und zu verwandeln; danach in die niederen vitalen Zentren, um die
ganze vitale, bewegliche und sinnliche Natur in Besitz zu bekommen und zu
verändern; schließlich in die physischen Zentren, um die ganze körperliche Natur
zu erfassen und zu transformieren. Aber selbst dies ist nichts Endgültiges. Denn
übrig bleiben immer noch die unterbewußten Schichten und das unbewußte
Fundament. Diese Mächte und Schichten des Wesens wirken so stark ineinander und
sind so miteinander verwoben, daß man beinahe sagen kann, bei dieser Umwandlung
ist nichts vollendet, wenn nicht alles vollendet ist. Da gibt es Ebbe und Flut.
Die Kräfte der alten Natur ziehen sich zurück und besetzen zum Teil wieder ihre
alten Gebiete. Sie unternehmen einen langsamen Rückzug mit Nachhut-Gefechten.
Gegenangriffen und Aggressionen. Der höhere Einfluß besetzt jedesmal mehr
erobertes Gebiet, bleibt aber seiner Souveränität so lange ungewiß, als noch
etwas übrig bleibt, das nicht Teil seiner lichtvollen Herrschaft geworden ist.
Drittens macht die Bewußtseins-Macht den Vorgang noch
dadurch komplexer, daß sie gleichzeitig in mehr als einem Zustand leben kann. Im
besonderen wird eine Schwierigkeit dadurch geschaffen, daß unser Wesen in eine
innere und eine äußere oder vordergründige Natur zerteilt ist. Das wird noch
dadurch verwirrter, daß es ein verborgenes Umgebungs-
oder Umwelt-Bewußtsein gibt, in dem unsere unsichtbaren Verbindungen mit der
Welt außerhalb von uns entschieden werden. Wenn sich das erwachende innere Wesen
spirituell öffnet, empfängt es willig die höheren Einflüsse, assimiliert sie und
nimmt die höhere Natur an. Das äußere, vordergründige Selbst, das fast gänzlich
durch die Kräfte der Unwissenheit und Unbewußtheit geformt wird, erwacht
langsamer und empfängt und assimiliert auch langsamer. Darum gibt es hier eine
lange Periode, in der zwar das innere Wesen ausreichend umgewandelt ist, das
äußere jedoch noch in die vermischte und schwierige Bewegung einer
unvollkommenen Umwandlung verwickelt bleibt. Diese Ungleichmäßigkeit wiederholt
sich auf jeder Stufe des Aufstiegs. Denn bei jeder Umwandlung folgt das innere
Wesen bereitwilliger; das äußere hinkt widerstrebend hinterher, oder es bleibt
trotz seiner Aspiration und seines Wunsches unzulänglich. Das erfordert das
ständig wiederholte Bemühen, es emporzunehmen, anzupassen, zu orientieren. Diese
Arbeit wird in immer neuen Begriffen durchgeführt, bleibt aber im Prinzip immer
dieselbe. Selbst wenn auch die äußere und die innere Natur des Einzelnen in
einem harmonisierten spirituellen Bewußtsein geeint sind, verbleibt doch der
mehr äußerliche, ihm aber verborgene Teil, in dem sich sein Wesen mit dem Wesen
der Außenwelt vermischt und durch das die Außenwelt in sein Bewußtsein
eindringt, ein Feld der Unvollkommenheit. Notwendigerweise treffen hier
unterschiedliche Einflüsse aufeinander: Auf den inneren spirituellen Einfluß
stoßen die ganz entgegengesetzten Einflüsse, die für die Herrschaft über die
gegenwärtige Weltordnung maßgebend sind. Das neue spirituelle Bewußtsein muß den
Zusammenprall mit den vorherrschenden und etablierten, nicht-spiritualisierten
Mächten der Unwissenheit aushalten. Das schafft eine Schwierigkeit, die auf
allen Stufen der spirituellen Evolution und bei ihrem Drängen auf Umwandlung der
Natur von ausschlaggebender Bedeutung ist.
Man kann eine subjektive Spiritualität zuwege bringen,
die den Umgang mit der Welt ablehnt oder auf ein Minimum beschränkt oder damit
zufrieden ist, nur ein Beobachter ihrer Vorgänge zu sein, und darum die
andringenden Einflüsse zurück- oder hinauswirft, ohne sich auf eine Reaktion auf
sie einzulassen oder ihnen das Eindringen zu erlauben. Soll aber die innere
Spiritualität in einem freien Welt-Wirken objektiv gemacht werden und muß sich
der Einzelne hinaus in die Welt begeben und in gewissem Sinn die Welt in sich
hineinnehmen, dann kann dies in dynamischer
Weise nur dadurch geschehen, daß wir die Welt-Einflüsse in unserem Umkreis oder
in der Umwelt durch unser eigenes Wesen in uns hineinnehmen. Das spirituelle
innere Bewußtsein muß dann mit diesen Einflüssen derart umgehen, daß sie, sobald
sie sich nahen oder eindringen, entweder ausgelöscht werden und wirkungslos
bleiben oder gerade durch ihr Eintreten in die dem Wesen eigene Art und Substanz
umgewandelt werden. Es kann sie auch zwingen, den spirituellen Einfluß
anzunehmen und mit einer transformierenden Macht in die Welt, aus der sie
kommen, zurückzukehren; denn solch ein Bezwingen der niederen universalen Natur
ist Teil einer vollkommenen spirituellen Aktion. Dazu muß aber das der Umwelt
und Umgebung bewußte Wesen so tief in das spirituelle Licht und die spirituelle
Substanz eingetaucht sein, daß nichts hereinkommen kann, ohne daß es sich dieser
Verwandlung unterzieht. Die eindringenden äußeren Einflüsse dürfen absolut nicht
ihre niedere Bewußtheit, ihre niederen Anschauungen und ihre niedere Dynamik mit
hineinbringen. Das ist aber eine kaum zu erreichende Vollkommenheit, weil das
Umwelt-Bewußtsein gewöhnlich nicht nur unser eigenes geformtes und
verwirklichtes Selbst ist, sondern wir selbst plus der äußeren Welt-Natur. Aus
diesem Grund ist es immer leichter, die inneren selbst-genügsamen Schichten zu
spiritualisieren, als das äußere Wirken umzuwandeln. Die Vervollkommnung der
nach innen gekehrten, im Innern wohnenden oder subjektiven Spiritualität, die
erhaben über der Welt steht oder gegen sie abgeschirmt ist, ist leichter als die
Vervollkommnung der ganzen Natur in einer krafterfüllten, beweglichen
Spiritualität, die im Leben versachlicht wird, die Welt umfaßt, Meister ist über
ihre Umgebung und souverän im Umgang mit der Welt-Natur. Weil aber die
vollständige Umwandlung das dynamische Wesen gänzlich erfassen und das tätige
Leben und das Selbst der Welt draußen in sich aufnehmen muß, wird diese
vollständigere Umwandlung der sich entwickelnden Natur verlangt.
Die wesentliche Schwierigkeit liegt in der Tatsache,
daß die Substanz unseres normalen Wesens aus der Unbewußtheit gebildet wird.
Unsere Unwissenheit ist ein zunehmendes Wissen in einer Wesens-Substanz, die
nicht-bewußt ist. Das von ihr entwickelte Bewußtsein und das von ihr begründete
Wissen sind stets mit dieser Nichtbewußtheit verklammert, von ihr durchdrungen
und eingehüllt. Gerade diese Substanz der Nichtbewußtheit soll in eine Substanz
der Über-Bewußtheit umgewandelt werden, in der es stets Bewußtsein und ein
spirituelles Innesein gibt, selbst dann, wenn
sie nicht aktiv, nicht ausgedrückt und nicht in die Form von Erkenntnis geprägt
sind. Bis dahin dringt die Nichtbewußtheit ein oder umringt, ja, verschlingt und
absorbiert in der Finsternis ihres Vergessens alles, was in das Bewußtsein
eingeht. Sie zwingt das herabkommende Licht, mit dem minderen Licht, in das es
eintritt, einen Kompromiß zu schließen. So kommt es zu einer Vermischung,
Verminderung und Verdünnung des Lichtes, einer Herabsetzung, Veränderung,
mangelhaften Glaubwürdigkeit seiner Wahrheit und Macht. Zumindest begrenzt die
Nichtbewußtheit seine Wahrheit, engt seine Kraft ein, beschränkt seine
Anwendbarkeit und Reichweite. Seine grundsätzliche Wahrheit wird abgesperrt von
der vollen Wahrheit individueller Verwirklichung oder von der Verwendung der
schon erreichten kosmischen Wahrheit. So kann sich zwar Liebe als Lebensgesetz
eines innerlich aktiven Prinzips praktisch behaupten. Wenn sie aber nicht alle
Substanz des Wesens einnimmt, kann nicht alles individuelle Fühlen und Handeln
vom Gesetz der Liebe geprägt werden. Wird sie auch vom Einzelnen vollkommen
gelebt, so kann sie doch von der allgemeinen Nichtbewußtheit, die ihr blind und
feindlich gegenübersteht, zu etwas Einseitigem und so wirkungslos gemacht
werden; oder sie wird gezwungen, den Bereich ihrer kosmischen Anwendung
einzuschränken. Der menschlichen Natur ist ein vollständiges Wirken im Einklang
mit einem neuen Wesens-Gesetz immer schwierig. Denn in der Substanz der
Unbewußtheit herrscht zum Selbst-Schutz das Gesetz blinder, zwingender
Notwendigkeit, die das Spiel der Möglichkeiten, die aus ihr hervortreten oder in
sie eingehen, beschränkt und diese davon abhält, hier frei zu wirken und
erfolgreich zu sein oder ihre unbedingte Fülle zu verwirklichen. Was ihnen
allein zugestanden wird, ist ein vermischtes, relatives, gedrosseltes und
herabgemindertes Kräftespiel. Sonst würden sie den Rahmen des Unbewußten
sprengen und gewaltsam erschüttern, ohne die Basis der Welt-Ordnung wirkungsvoll
umzuwandeln. Denn keine von ihnen hat in ihrem mentalen oder vitalen Spiel die
göttliche Kraft, das finstere ursprüngliche Prinzip zu ersetzen und eine völlig
neue Welt-Ordnung aufzubauen.
Eine Transformation der menschlichen Natur kann nur
dann erreicht werden, wenn die Substanz des Wesens so tief in das spirituelle
Prinzip eingetaucht ist, daß alle seine Bewegungen eine spontane Dynamik und ein
harmonisierter Entwicklungsprozeß des Geistes sind. Denn gerade wenn die höheren
Mächte mit ihren intensiven Kräften in die Substanz
der Unbewußtheit kommen, tritt ihnen dort der Widerstand dieser blinden
Notwendigkeit entgegen und sie werden diesem einengenden und herabmindernden
Gesetz der nicht-bewußten Substanz unterworfen. Die Notwendigkeit tritt ihnen
mit ihren starken Privilegien eines unerschütterlichen und unerbittlichen
Gesetzes entgegen. Den Anspruch des Lebens beantwortet sie stets mit dem Gesetz
des Todes. Der Forderung des Lichtes stellt sie das Bedürfnis nach Erholung im
Schatten und in einem dunklen Hintergrund entgegen. Die Souveränität, die
Freiheit und Dynamik des Geistes bekämpft sie mit ihrer Kraft zur Angleichung
durch Begrenzung und zur Beschränkung durch Unfähigkeit und durch Zwang zur Ruhe
ursprünglicher Trägheit für die Energie. Hinter ihren Verneinungen steht eine
geheime Wahrheit. Dieser kann sich aber nur das Supramental annehmen, indem es
die Gegensätze in der ursprünglichen Wirklichkeit aussöhnt und so die
pragmatische Lösung des Rätsels entdeckt. Nur die supramentale Kraft kann die
Schwierigkeit der fundamentalen Unwissenheit völlig überwinden. Denn mit ihr
kommt eine entgegengesetzte, lichtvoll gebietende Notwendigkeit ins Bewußtsein,
die allen Dingen zugrundeliegt und die ursprüngliche und endgültige
selbst-bestimmende Wahrheits-Kraft des selbst-seienden Unendlichen ist. Diese
größere lichtvolle spirituelle Notwendigkeit und ihr souveränes Gebot kann
allein die blinde Notwendigkeit der Unbewußtheit verdrängen, völlig
durchdringen, in sich verwandeln und so ersetzen.
Eine supramentale Umwandlung der ganzen Substanz des
Wesens und darum notwendigerweise auch all seiner Eigenschaften, Mächte und
Regungen findet statt, wenn das der Natur involvierte Supramental hervortritt,
um mit dem supramentalen Licht und der supramentalen Kraft, die aus der
Übernatur herabkommen, zusammenzutreffen. Der Einzelne muß das Werkzeug und
erste Feld der Transformation sein. Eine isolierte individuelle Umwandlung
genügt aber nicht und könnte nicht völlig durchführbar sein. Selbst wenn sie
erreicht wird, kann die individuelle Umwandlung nur dann dauernde und kosmische
Bedeutung haben, wenn der Einzelne Zentrum und Zeichen dafür wird, daß sich die
supramentale Bewußtseins-Kraft als eine offen wirksame Macht in den irdischen
Aktivitäten der Natur sicher eingerichtet hat, – in derselben Art, wie das
denkende Mental durch die menschliche Entwicklung als offen wirkende Macht im
Leben und in der Materie eingeführt worden ist. Das würde bedeuten, daß in der
Evolution ein gnostisches Wesen, ein gnostischer
purusha, und eine gnostische prakriti, eine gnostische Natur, in
Erscheinung treten. Eine supramentale Bewußtseins-Kraft muß hervortreten,
freigesetzt und innerhalb des irdischen Ganzen aktiv werden; eine supramentale
Instrumentation des Geistes soll sich organisch im Leben und im Körper entfalten
– denn auch das Körper-Bewußtsein soll genügend erwacht sein, damit es ein
geeignetes Instrument für das Wirken der neuen supramentalen Kraft und ihrer
Ordnung ist. Bis dahin könnte jede Umwandlung in einen Zwischenzustand nur etwas
Partielles und Ungesichertes sein. Zwar könnte eine übermentale oder intuitive
Instrumentation der Natur entwickelt werden. Sie wäre aber nur eine der uns
umgebenden grundlegenden Unbewußtheit aufgenötigte lichtvolle Gestaltung. Erst
wenn das supramentale Prinzip und sein kosmisches Verfahren dauerhaft auf der
eigenen Basis eingerichtet sind, können die vorher auftretenden Mächte von
Übermental und spirituellem Mental sich mit Sicherheit darauf gründen und ihre
eigene Vollkommenheit erlangen. Im irdischen Dasein würden sie eine Hierarchie
von Zuständen des Bewußtseins bilden, die sich aus dem Mental und dem physischen
Leben bis zur höchsten spirituellen Ebene erhebt. Das Mental und die mentale
Menschheit würden als eine der Stufen in der spirituellen Evolution bestehen
bleiben. Aber andere höher gelegene Stufen würden dort gebildet und zugänglich
sein, auf denen das verkörperte mentale Wesen, sobald es dafür zubereitet ist,
in die Gnosis emporsteigen und sich in ein verkörpertes supramentales und
spirituelles Wesen verwandeln könnte. Auf dieser Basis würde das Prinzip des
göttlichen Lebens in der irdischen Natur geoffenbart. Selbst die Welt der
Unwissenheit und Unbewußtheit würden so ihr eigenes tief versunkenes Geheimnis
entdecken und dessen göttlichen Sinn auf jeder niederen Stufe zu erkennen
beginnen.
Kapitel XXVII. Der gnostische Mensch
Ein vollkommener Pfad
zur Wahrheit ist in das Seiende gekommen für unsere Fahrt ans andere Ufer
jenseits der Finsternis.
Rig Veda, I.46.11.
O Wahrheits-Bewußter, sei der Wahrheit bewußt; lasse hervorbrechen viele Ströme der Wahrheit;
Rig Veda, V. 12.2.
O Flamme, o Wein, deine Kraft ist bewußt geworden; du hast das Eine Licht entdeckt für die vielen.
Rig Veda, I. 93. 4.
Rein-Weiß und doppelt in ihrer Weite folgt sie wirksam, wie jemand der weiß, dem Pfad der Wahrheit und schmälert nicht seine Anweisungen.
Rig Veda, V. 80. 4, 5.
Durch die Wahrheit halten sie die Wahrheit, die alle hält, in der Macht des Opfers, im höchsten Äther.
Rig Veda, V. 15. 2.
O Unsterblicher, der du geboren wirst in Sterblichen in dem Gesetz der Wahrheit, der Unsterblichkeit, der Schönheit... Aus der Wahrheit geboren, wächst er durch die Wahrheit, – ein König, eine Gottheit, die Wahrheit, das Unermeßliche.
Rig Veda, IX. 110.4; 108. 8.
Sobald wir in unserem Denken die Grenzlinie erreichen,
an der die Entwicklung vom Mental zum Übermental fortschreitet als Entwicklung
vom Übermental zum Supramental, stoßen wir auf eine Schwierigkeit, die zu
überwinden fast unmöglich ist. Denn wir möchten nach einer genauen Idee, einer
klaren mentalen Beschreibung des supramentalen oder gnostischen Daseins suchen,
mit dem die evolutionäre Natur in der Unwissenheit in Wehen liegt. Mit
Überschreiten dieser äußersten Grenze des sublimierten Mentals verläßt aber das
Bewußtsein den Bereich mentalen Wahrnehmens und Wissens. Es wird umfassender als dessen bezeichnendes Wirken und entgeht dessen Herrschaft. Es ist wohl
deutlich, daß die supramentale Natur eine vollkommene Einbeziehung und der
Höhepunkt spiritueller Natur und Erfahrung sein muß. Sie müßte auch die völlige
Spiritualisierung der Welt-Natur aufgrund des wahren Charakters des
evolutionären Prinzips enthalten, obwohl dieses nicht auf diese Umwandlung
begrenzt wäre. Unsere Welt-Erfahrung würde auf diese Stufe unserer Evolution
emporgehoben und durch Umwandlung ihrer göttlichen Elemente und durch
schöpferische Zurückweisung ihrer Unvollkommenheiten und Verkleidungen eine
gewisse göttliche Wahrheit und Fülle erlangen. Das sind aber allgemeine Formeln;
sie geben uns keine genaue Vorstellung von dieser Umwandlung. Unsere normale
Auffassung, Idee oder Formulierung spiritueller Dinge ist mental. Bei der
gnostischen Umwandlung überschreitet aber die Evolution eine Grenze, hinter der
die höchste und radikale Umkehrung des Bewußtseins und der Wertmaßstäbe
eintritt. Formen von mentaler Erkenntnis reichen da nicht mehr aus. Dem mentalen
Denken ist es schwierig, die supramentale Natur zu verstehen und zu beschreiben.
Mentale Natur und mentales Denken gründen sich auf ein
Bewußtsein des Endlichen. Supramentale Natur ist im Kern ein Bewußtsein und eine
Macht des Unendlichen. Supramentale Natur sieht alles vom Standpunkt der Einheit
her und betrachtet alle Dinge, auch die größte Vielfalt und Verschiedenheit,
selbst das, was dem Mental als stärkster Widerspruch erscheint, im Lichte dieser
Einheit. Ihr Wille, ihre Gedanken, Gefühle, Sinnesorgane sind aus der Substanz
der Einheit geschaffen. Von dieser Grundlage geht ihr Wirken aus. Im Gegensatz
dazu denkt, sieht, will, fühlt und empfindet die mentale Natur vom Ausgangspunkt
der Zerteilung her und hat nur ein konstruiertes Verständnis von Einheit. Selbst
wenn sie die Einheit erfährt, muß sie doch von der Einheit aus auf der Grundlage
von Begrenzung und Verschiedenheit handeln. Das supramentale, das göttliche
Leben, aber ist ein Leben von wesenhafter, ungezwungener und innewohnender
Einheit. Für das Mental ist es unmöglich, im einzelnen vorauszusagen, was die
supramentale Umwandlung hinsichtlich Lebens-Aktion oder äußerem Verhalten sein
muß, oder festzulegen, was für Formen sie für das individuelle oder kollektive
Dasein erschaffen soll. Denn das Mental handelt aufgrund eines intellektuellen
Gesetzes oder Plans, durch eine vernünftig begründete Willensentscheidung,
infolge eines mentalen Impulses oder im Gehorsam gegen einen Lebens-Trieb. Die
supramentale Natur hingegen wirkt nicht aufgrund
einer mentalen Idee oder Regel, ist nicht einem niederen Trieb unterworfen.
Jeder ihrer Schritte wird von einer inneren spirituellen Schau diktiert; sie
dringt umfassend und genau in die Wahrheit aller Wesen und in die Wahrheit jeder
Sache ein. Sie handelt stets im Einklang mit der innewohnenden Wirklichkeit,
nicht aufgrund einer mentalen Idee, nicht im Gehorsam gegen ein aufgezwungenes
Verhaltensmuster, eine Gedanken-Konstruktion oder einen ausgedachten Plan. Ihre
Bewegung ist ruhig, selbstbeherrscht, freiwillig und formbar. Sie entsteht in
natürlicher Weise aus einer harmonischen Übereinstimmung mit der Wahrheit, die
man in der Substanz des bewußten Wesens fühlt, in einer spirituellen Substanz,
die allumfassend und deshalb zuinnerst eins ist mit allem, was in ihre
Seins-Erkenntnis einbezogen ist. Mentale Beschreibung könnte die supramentale
Natur entweder nur in Sätzen darstellen, die zu abstrakt sind, oder in mentalen
Bildern, die sie möglicherweise in etwas von ihrer Wirklichkeit ganz
Verschiedenes verwandeln. Darum scheint es unmöglich zu sein, daß das Mental
voraussehen oder andeuten könnte, was ein supramentales Wesen sein oder was es
wirken soll. Denn hier können mentale Ideen und Formulierungen nichts
entscheiden, zu keiner genauen Definition oder Bestimmung kommen, weil sie dem
Gesetz und der Selbst-Schau der supramentalen Natur nicht nahe genug sind.
Gerade aus dieser Tatsache der Verschiedenheit der Natur kann man zugleich auch
gewisse Schlüsse ziehen, die zumindest für eine allgemeine Beschreibung des
Übergangs vom Übermental zum Supramental gültig sein oder uns eine unbestimmte
Vorstellung vom ersten Zustand des evolutionären supramentalen Seins geben
könnten.
Dieser Übergang ist die Stufe, auf der die supramentale
Gnosis dem Übermental die Führung abnehmen und die ersten Fundamente für ihre
bezeichnende Manifestation und ihre unverhüllten Wirkweisen legen kann. Sie muß
deshalb durch einen entscheidenden, aber lange vorbereiteten Übergang von der
Entwicklung in der Unwissenheit zur stets fortschreitenden Entwicklung im Wissen
gekennzeichnet sein. Das absolute Supramental und das supramentale Wesen werden
sich nicht plötzlich offenbaren und so wirksam werden, wie sie es auf ihrer
eigenen Ebene sind. Es wird keine rasche Apokalypse eines wahrheitsbewußten
Daseins geben, das immer vom Selbst erfüllt und im Selbst-Wissen vollkommen ist.
Vielmehr wird es das Phänomen des supramentalen Wesens sein, das in die Welt
evolutionären Werdens herabkommt und sich hier
gestaltet, das die Mächte der Gnosis in der irdischen Natur entfaltet. Das ist
in der Tat das Prinzip alles irdischen Wesens. Ist doch der Prozeß des
Erden-Daseins das Spiel einer unendlichen Wirklichkeit, die sich zuerst in einer
Folge von dunkel begrenzten, undurchsichtigen, unvollständigen, halben
Gestaltungen verbirgt, die durch ihre Unvollkommenheit und die Art ihrer
Verkleidung die Wahrheit entstellen, die hervorzubringen sie sich müht. Sie
kommt aber danach immer mehr zu halb-erleuchteten Abbildungen ihrer selbst, die,
sobald die supramentale Herabkunft eintritt, zur wahren forschreitenden
Offenbarung werden. Die supramentale Gnosis kann den Schritt der Herabkunft aus
dem ursprünglichen Supramental und des Empornehmens des evolutionären
Supramentals sehr wohl unternehmen und zur Vollendung bringen, ohne daß sie
ihren wesenhaften Charakter ändert. Sie kann die Formel annehmen, daß ein
Wahrheits-bewußtes Dasein auf innere Selbst-Erkenntnis gegründet ist. Zugleich
kann sie die mentale Natur, die Natur von Leben und materiellem Körper zu sich
empornehmen. Denn als Wahrheits-Bewußtsein des Unendlichen hat das Supramental
in seinem dynamischen Prinzip die unendliche Macht zur freien Selbst-Bestimmung.
Es kann alles Wissen in sich besitzen und doch nur das gestaltet aus sich
herausstellen, was auf jeder Stufe der Evolution erforderlich ist. Es formuliert
all das, was mit dem Göttlichen Willen in der Manifestation und mit der Wahrheit
der Sache übereinstimmt, die manifestiert werden soll. Durch diese Macht kann
das Supramental sein Wissen zurückhalten, seinen Charakter und das Gesetz seines
Wirkens verbergen, das Übermental und unterhalb des Übermentals eine Welt der
Unwissenheit offenbaren, in der das Seiende einwilligt, an seiner Außenseite
unwissend zu sein und sich sogar unter die Herrschaft einer alles
durchdringenden Nichtbewußtheit zu stellen. Auf dieser neuen Stufe wird aber die
bisher angenommene Verhüllung aufgehoben. Nun will sich die Evolution bei jedem
Schritt in der Macht des Wahrheits-Bewußtseins vorwärts bewegen. Ihre
progressiven Entscheidungen werden von einem bewußten Wissen getroffen, nicht
mehr in den Gestaltungen von Unwissenheit und Unbewußtheit.
So wie auf Erden ein mentales Bewußtsein mit seiner
Macht begründet wurde, das eine Rasse mentaler Wesen bildete und die ganze für
die Umwandlung bereite Erden-Natur in sich hinein- und empornehmen, so Wird
jetzt auf Erden ein gnostisches Bewußtsein mit seiner Macht begründet, das eine
Rasse von gnostischen spirituellen Menschen bilden und
die ganze Erden-Natur in sich empornehmen wird, die für diese neue Umwandlung
zubereitet ist. Hierzu wird es von oben her, fortschreitend, aus seinem eigenen
Bereich des vollkommenen Lichtes, der Macht und Schönheit all das in sich
aufnehmen, was bereit ist, aus jenem Bereich in das Erden-Wesen herabzukommen.
Denn die Evolution vollzog sich in der Vergangenheit dadurch, daß auf jeder
kritischen Stufe eine verborgene Macht aus ihrer Involution in der Unbewußtheit
empordrang, daß aber auch von oben her, aus ihrer Ebene, diese Macht herabkam,
die in ihrem höheren natürlichen Reich bereits selbst-verwirklicht war. Auf all
diesen früheren Stufen gab es eine Trennung zwischen dem Selbst und Bewußtsein
der Außenseite und dem subliminalen Selbst und Bewußtsein. Das vordergründige
Wesen wurde vor allem durch den Druck der von unten empordringenden Kraft, durch
das Unbewußte, gebildet, das die Gestaltung einer verborgenen Kraft des Geistes
langsam hervortreten ließ. Das subliminale Wesen wurde teils auf dieselbe Weise,
hauptsächlich aber durch gleichzeitiges Einströmen derselben umfangreichen Kraft
von oben gebildet. Ein mentales oder ein vitales Wesen kam in die subliminalen
Wesensschichten herab und gestaltete von seinem verborgenen dortigen Posten aus
an der Außenseite eine mentale oder vitale Persönlichkeit. Bevor aber die
supramentale Umwandlung eintreten kann, muß bereits die verhüllende Trennung
zwischen den subliminalen und den äußeren Schichten niedergebrochen sein. Das
Einströmen, die Herabkunft, wird im Bewußtsein als einem Ganzen und nicht nur
teilweise hinter der Verhüllung stattfinden: Der Vorgang wird kein verborgener,
unklarer und zwiespältiger mehr sein, sondern ein offenbares Hervorblühen, das
vom ganzen Wesen bei seiner Unwandlung bewußt gefühlt und befolgt wird. In
anderer Hinsicht wird der Prozeß gleichartig sein – supramentales Einströmen von
oben, Herabkunft eines gnostischen Wesens in die Natur und Hervortreten der
verhüllten supramentalen Kraft von unten. Einströmen und Enthüllen werden
miteinander alles beseitigen, was von der Natur der Unwissenheit übrigblieb. Die
Herrschaft der Unbewußtheit wird verschwinden, denn die Unbewußtheit wird durch
den Ausbruch des größeren geheimen Bewußtseins in ihr, des verborgenen Lichtes,
in das verwandelt werden, was sie in Wirklichkeit immer gewesen ist, ein Meer
der geheimen Überbewußtheit. Die Folge davon ist eine erste Gestaltung von
gnostischem Bewußtsein und gnostischer Natur.
Die Erschaffung eines
supramentalen Wesens, einer supramentalen Natur und eines supramentalen Lebens
auf Erden wird nicht das einzige Ergebnis dieser Evolution sein. Sie wird auch
die höchste Entwicklung jener Stufen mit sich bringen, die zu ihr emporgeführt
haben. Denn sie wird bestätigen, daß das Übermental, die Intuition und die
anderen Grade der spirituellen Natur-Kraft in die irdische Natur hineingeboren
sind und diese besitzen. Sie wird eine Rasse gnostischer Wesen bilden und eine
Hierarchie aufrichten, eine leuchtende Leiter aufsteigender Stufen und
aufeinanderfolgender aufbauender Gestaltungen des gnostischen Lichtes und seiner
Macht in der Erden-Natur. Denn die Beschreibung als Gnosis trifft auf jedes
Bewußtsein zu, das auf der Wahrheit des Seienden und nicht auf der Unwissenheit
oder Nichtbewußtheit gegründet ist. Alles Leben und alle lebenden Wesen, die
bereit sind, über die mentale Unwissenheit emporzukommen, aber noch nicht reif
sind für den supramentalen Gipfel, würden so auf einer Art Stufenleiter oder
Skala mit überschneidenden Graden ihre sichere Grundlage finden, die
Zwischenstufen ihrer Selbst-Gestaltung, den Ausdruck der von ihnen
verwirklichten Fähigkeit spirituellen Seins auf dem Weg zur höchsten
Wirklichkeit. Wir dürfen aber auch erwarten, daß die Gegenwart des freigesetzten
und nun souveränen supramentalen Lichtes und seiner Kraft auf dem Gipfel der
evolutionären Natur ihre Auswirkungen auf die ganze Evolution zeitigen wird. Ein
Drängen, ein entscheidender Druck würden das Leben der niederen
Entwicklungsstufen beeinflussen. Ein wenig vom Licht und von der Kraft würde
nach unten hindurchdringen und überall in der Natur die verborgene
Wahrheits-Macht zu stärkerem Wirken erwecken. Dem Leben der Unwissenheit würde
sich ein bestimmendes Prinzip von Harmonie auferlegen. Zwietracht, blindes
Suchen, Zusammenprall im Widerstreit, abnormer Wechsel zwischen Maßlosigkeit und
Depression, das labile Gleichgewicht unsichtbarer Kräfte, die vermischt und
konfliktreich am Werk sind, würden das Einströmen fühlen. Sie würden einem
geordneteren Vorgehen und harmonischen Schritten der Entwicklung des Wesens,
einer mehr offenbarenden Gestaltung des fortschreitenden Lebens und Bewußtseins,
einer besseren Lebens-Ordnung ihren Platz einräumen. In das menschliche Leben
würde so ein freieres Spiel von Intuition, Mitempfinden und gegenseitigem
Verstehen kommen, ein klareres Empfinden für die Wahrheit des Selbsts und der
Dinge, ein eher erleuchteter Umgang mit den günstigen und schwierigen Umständen
des Daseins.
Die Evolution würde zu
einem stufenweisen Fortschreiten von einem schwächeren zu einem helleren Licht
werden anstelle eines ständigen vermischten und verworrenen Ringens zwischen dem
Wachstum von Bewußtsein und der Macht der Unbewußtheit, zwischen den Kräften des
Lichtes und den Kräften der Finsternis. Auf jeder ihrer Stufen würden die zu
dieser Stufe gehörenden bewußten Wesen auf die innere Bewußtseins-Kraft
antworten und ihr kosmisches Naturgesetz zur Möglichkeit einer höheren Stufe
dieser Natur ausweiten. Das ist zumindest eine hervorragende Möglichkeit, die
wir als die natürliche Folge des unmittelbaren Einwirkens des Supramentals auf
die Evolution ansehen können. Dieses Eingreifen kann das evolutionäre Prinzip
nicht aufheben. Denn das Supramental hat ebenso die Macht, seine Wissenskraft
zurückzuhalten oder in Reserve zu bewahren, wie das Vermögen, sie voll oder
teilweise im Wirken einzusetzen. Das würde aber den schwierigen und leidvollen
Vorgang des evolutionären Hervortretens harmonisieren, stetig machen,
erleichtern, beruhigen und in starkem Maße mit Freude erfüllen.
In der Natur des Supramentals selbst gibt es etwas, das
dieses wichtige Ergebnis unvermeidlich macht. In seinem Grundprinzip liegt ein
auf Einheit, Integration und Harmonie hinwirkendes Bewußtsein. Wenn es
herabkommt und in der Evolution auf die Verschiedenheiten des Unendlichen
einwirkt, wird es seine Tendenz zur Vereinigung, sein Drängen auf Einbeziehung
und seinen harmonischen Einfluß nicht verlieren. Das Übermental führt die
Verschiedenheiten und auseinanderstrebenden Möglichkeiten auf ihren je eigenen
divergierenden Bahnen durch. Es kann Widersprüche und Disharmonien zulassen. Es
macht aber aus ihnen Elemente eines kosmischen Ganzen, so daß sie, wenn auch
ohne ihr Wissen und gegen ihren Willen, gezwungen sind, ihren Anteil an seiner
Ganzheit beizutragen. Wir können auch sagen, das Übermental akzeptiert oder
ermutigt sogar die Widersprüche. Es verpflichtet sie aber dazu, sich gegenseitig
in ihrem Dasein so zu unterstützen, daß die Wege des Wesens, des Bewußtseins und
der Erfahrung wohl auseinanderstreben mögen, als ob sie von dem Einen und
voneinander wegführten, daß sie sich aber dennoch auf dem Weg zum Einssein
erhalten und jedes, auf seinem eigenen Pfad, wieder zur Einheit zurückführen.
Das ist der geheime Sinn selbst in unserer eigenen Welt der Unwissenheit, die
von der Unbewußtheit her, jedoch mit dem zugrundeliegenden kosmischen Bewußtsein
des Übermental-Prinzips, wirkt. In solch einer Schöpfung
besitzt aber der individuelle Mensch dieses geheime Prinzip in seiner Erkenntnis
nicht; er gründet auch sein Wirken nicht darauf. Ein Übermental-Mensch würde
dieses Geheimnis hier wahrnehmen. Er könnte aber nur im Einklang mit der
Inspiration, der dynamischen Kontrolle oder inneren Lenkung durch den Geist des
Göttlichen Wesens in seinem Innern auf der Grundlage seiner eigenen
Entwicklungslinie in der Natur und des Gesetzes seines Handelns, svabhava,
svadharma, wirken und würde die übrigen Menschen ihren eigenen
Entwicklungsbahnen innerhalb des Ganzen überlassen. So könnte eine
Übermental-Schöpfung in der Unwissenheit etwas von der umgebenden Welt der
Unwissenheit Abgesondertes sein. Sie wäre gegen diese durch die erleuchtete, sie
umhegende und von ihr trennende Mauer des eigenen Prinzips abgeschirmt. Im
Gegensatz dazu wird der supramentale gnostische Mensch seine ganze Lebensweise
nicht nur auf ein inniges Empfinden und eine effektive Verwirklichung der
harmonischen Einheit in seinem inneren und äußeren Leben sowie in seinem
Gruppenleben gründen, sondern er wird auch eine harmonische Einheit mit der
weiterlebenden mentalen Welt herstellen, selbst wenn diese Welt noch ganz und
gar eine solche der Unwissenheit bliebe. Denn das gnostische Bewußtsein in ihm
erkennt die sich entwickelnde Wahrheit und macht das in den Gestaltungen der
Unwissenheit verborgene Prinzip der Harmonie nach außen hin wirksam. Bei seinem
Empfinden für integrale Ganzheit ist das etwas Natürliches. Es liegt innerhalb
seiner Macht, diese Gestaltungen der Unwissenheit in einer wahren Ordnung mit
dem eigenen gnostischen Prinzip und mit der entwickelten Wahrheit und Harmonie
seiner höheren Lebens-Schöpfung zu verknüpfen. Das wäre aber ohne tiefgreifende
Umwandlung im Leben in der Welt unmöglich. Doch wäre ein solcher Wandel die
natürliche Folge des Erscheinens einer neuen Macht in der Natur und ihres
universalen Einflusses. In dem Hervortreten des gnostischen Menschen liegt also
die Hoffnung auf eine harmonischere evolutionäre Ordnung in der irdischen Natur.
Eine supramentale oder gnostische Menschenrasse wird
keine nach einem einzigen Typus gebildete, nach einem einzigen Muster
modellierte Rasse sein. Ist doch das dem Supramental zugrundeliegende Gesetz die
Einheit, die sich in der Verschiedenheit erfüllt. Darum wird es bei den
Manifestationen des gnostischen Bewußtseins unendliche Verschiedenheit geben,
obwohl dieses Bewußtsein in seiner Grundlage, in
seinem Aufbau und in seiner alles offenbarenden und alles vereinenden Ordnung
noch eines ist. Es leuchtet ein, daß sich der dreifache Zustand des Supramentals
in dieser neuen Manifestation nachvollzieht. Unterhalb von ihm, und dennoch zu
ihm gehörig, gibt es die Grade der übermentalen und der intuitiven Gnosis mit
den Seelen, die diese Grade des emporsteigenden Bewußtseins bereits realisiert
hatten. Beim weiteren Fortschreiten der Evolution im Wissen wird es aber auch
auf der höchsten Stufe individuelle Wesen geben, die über die supramentale
Gestaltung hinaus weiter emporsteigen und von der höchsten Höhe des Supramentals
aus die Gipfel einer unitarischen Selbst-Verwirklichung im Körper erreichen, die
der letzte und allerhöchste Zustand der Epiphanie der Schöpfung ist. In der
supramentalen Rasse selbst werden aber die Einzelnen unterschiedlichen Rang
einnehmen und nicht nach einer einzigen Art von Individualität geprägt sein.
Jeder Mensch ist dort vom anderen verschieden, ist eine einzigartige Gestaltung
des Wesens, obwohl er mit den übrigen im Fundament des Selbsts, des Empfindens
von Einheit und im Prinzip seines Wesens eins ist. Wir können nur versuchen, von
diesem allgemeinen Prinzip des supramentalen Seins uns eine, wenngleich durch
die Begrenzungen des mentalen Denkens und der mentalen Sprache unzulängliche,
Vorstellung zu machen. Allein das Supramental könnte ein lebendigeres Bild vom
gnostischen Wesen geben. Für das Mental sind nur einige abstrakte Umrisse
möglich.
Die Gnosis ist das wirkungsstarke Prinzip des Geistes,
die höchste Dynamik spirituellen Seins. Der gnostische Einzelne ist die höchste
Vollendung des spirituellen Menschen. Seine ganze Art zu sein, zu denken, zu
leben und zu handeln wird von der Macht einer allumfassenden Spiritualität
gelenkt. Für sein Selbst-Innesein werden alle Dreiheiten des Geistes wirklich;
sie werden in seinem inneren Leben verwirklicht: Sein ganzes Dasein ist in das
Einssein mit dem transzendenten und universalen Selbst und Geist verschmolzen.
Sein ganzes Handeln entstammt dem höchsten Selbst und Geist und gehorcht deren
göttlicher Lenkung der Natur. Das ganze Leben läßt ihn das Bewußte Wesen, den
purusha, im Innern empfinden und findet seinen Selbst-Ausdruck in der Natur.
Für ihn werden sein ganzes Leben und alle seine Gedanken, Gefühle und Handlungen
mit dieser Bedeutung erfüllt und auf dem Fundament der Geistes-Wirklichkeit
erbaut. Er fühlt die Gegenwart des Göttlichen Wesens in jedem Zentrum seines
Bewußtseins, in jeder Schwingung seiner
Lebens-Kraft, in jeder Zelle seines Körpers. Bei allem Wirken seiner Kraft in
der Natur wird der gnostische Mensch dessen innesein, daß die erhabene
Welt-Mutter, die Obernatur, am Werk ist. Sein natürliches Wesen wird er erkennen
als das Werden und die Manifestation der Macht der Welt-Mutter. In diesem
Bewußtsein wird er leben und wirken in transzendenter Freiheit, in erfüllter
Freude des Geistes, in voller Identität mit dem kosmischen Selbst und in
ungezwungenem Mitfühlen mit allen Wesen im Universum. Sie alle werden für ihn zu
seinem eigenen Selbst, alle Arten und Mächte von Bewußtsein zu Arten und Mächten
seiner eigenen Universalität. In dieser einbeziehenden Universalität könnte es
keine Gebundenheit an niedere Kräfte geben. Er würde nicht von seiner höchsten
Wahrheit abgelenkt werden. Denn diese Wahrheit schließt alle Wahrheit der Dinge
ein und erhält jede an ihrem Platz in einer Beziehung von unterschiedlicher
Harmonie. Diese läßt keine Verwirrung, keinen Zusammenstoß, keine
Grenzverletzung und keine Mißklänge in den verschiedenen Harmonien zu, die die
volle Harmonie bilden. Sein eigenes Leben und das der Welt werden für ihn zum
vollkommenen Kunstwerk. Das wäre wie die spontane Schöpfung eines kosmischen
Genies, das unfehlbar ist, wenn es seine vielfältige Ordnung ausarbeitet. Das
gnostische Individuum ist in der Welt und von der Welt; es überragt sie aber
auch in seinem Bewußtsein und lebt im transzendenten Selbst über ihr. Es wird
allumfassend, aber im Universum frei, individuell, aber nicht durch eine
gesonderte Individualität begrenzt sein. Die wahre Person ist nicht eine
isolierte Wesensgestalt. Ihre Individualität ist allumfassend. Denn sie
individualisiert das Universum. Sie tritt aber zugleich in einer spirituellen
Luft von transzendenter Unendlichkeit in göttlicher Weise hervor wie ein hoher,
über die Wolken herausragender Berggipfel. Denn die Person individualisiert die
Göttliche Transzendenz.
Drei Mächte stellen sich unserem Leben als die drei
Schlüssel zur Lösung seines Mysteriums dar: das Individuum, die kosmische
Wesenheit und die in beiden und jenseits von ihnen gegenwärtige Wirklichkeit. Im
Leben des supramentalen Menschen werden diese drei Mysterien des Seins eine
geeinte Erfüllung ihrer Harmonie finden. Er wird das vollkommene und vollendete
Individuum sein, das in seinem Wachstum zufrieden ist und im Ausdruck seines
Selbsts seine Erfüllung gefunden hat. Denn alle seine Elemente werden bis zu
einem höchsten Grad erhoben und in eine Art allumfassender Weite integriert. Um
was wir hier ringen, das ist dort Vollendung und
Harmonie. Worunter wir innerlich am meisten leiden, ist die Unvollkommenheit,
Unfähigkeit und Disharmonie in unserer Natur. Das rührt aber daher, daß wir in
unserem Wesen unvollendet, in unserer Selbst-Erkenntnis unvollkommen und im
Besitz unseres Selbsts und unserer Natur mangelhaft sind. Die Gabe der
supramentalen Gnosis ist vollkommene Selbst-Erkenntnis in allen Dingen und in
jedem Augenblick. Mit ihr erlangen wir die völlige Meisterschaft über uns
selbst, nicht nur im Sinne einer Lenkung der Natur, sondern im Sinne der Macht
eines vollkommenen Ausdrucks unseres Selbsts in der Natur. Jede Erkenntnis des
Selbsts, die dort möglich ist, wird vollkommen im Willen des Selbsts verkörpert,
und der Wille wird vollkommen im Handeln des Selbsts verkörpert. Das Ergebnis
ist die vollständige dynamische Gestaltung des Selbsts in seiner Natur. Bei den
niederen Graden des gnostischen Wesens ist der Ausdruck des Selbsts je nach
Verschiedenheit der Natur begrenzt. Die Vollkommenheit ist eingeschränkt, um ein
Nebenelement zu formulieren. Oder es werden Elemente zur Harmonie einer
göttlichen Symphonie kombiniert; dazu werden Mächte aus der kosmischen Gestalt
des unendlichen mannigfaltigen Einen ausgewählt. Im supramentalen Menschen wird
aber diese Notwendigkeit, um der Vollkommenheit willen zu begrenzen,
verschwinden. Die Verschiedenheit wird hier nicht durch Begrenzung gesichert,
sondern durch Unterschiede in der Macht und Färbung der Übernatur. Dasselbe
Ganze des Wesens und dasselbe Ganze der Natur bringen sich in einer unendlich
verschiedenen Art und Weise zum Ausdruck. Denn der supramentale Mensch erreicht
eine neue Ganzheit, Harmonie und Gleichheit mit dem Selbst des Einen Wesens. Was
an der Außenseite zum Ausdruck gebracht oder in einem gewissen Augenblick
zurückgehalten wird, hängt nicht von Fähigkeit oder Unfähigkeit ab, sondern von
der dynamischen Selbst-Entscheidung des Geistes: von seiner Lust am Ausdruck
seines Selbsts, von der Wahrheit des Göttlichen Willens, von seiner Freude über
sich selbst im Individuum, schließlich, nebenbei, auch von der Wahrheit dessen,
was durch den Einzelnen im Einklang der Ganzheit getan werden muß. Denn der
vollendete Einzelne ist das kosmische Individuum, da unsere Individualität nur
dann vollendet sein kann, wenn wir das Universum in uns hineingenommen – und
transzendiert – haben.
Da der supramentale Mensch in seinem kosmischen
Bewußtsein alles als sich selbst sieht und fühlt, wird er in diesem Sinne
handeln. Er wird in allumfassender Bewußtheit
und einer Harmonie seines individuellen Selbsts mit dem totalen Selbst, seines
individuellen Willens mit dem totalen Willen, seines individuellen Handelns mit
dem totalen Handeln wirken. Denn am meisten leiden wir in unserem äußeren Leben
und in dessen Rückwirkungen auf unser inneres Leben an der Unvollkommenheit
unserer Beziehungen zur Welt: daran, daß wir die anderen Menschen nicht
erkennen; an unserer Disharmonie mit dem Ganzen der Dinge; an unserer
Unfähigkeit, unsere Forderung an die Welt mit der Forderurig der Welt an uns zum
Ausgleich zu bringen. Da besteht ein Konflikt, für den es letztlich nur die eine
Lösung zu geben scheint, daß wir beidem, der Welt und uns selbst, entkommen, ein
Widerstreit zwischen der Durchsetzung unseres Selbsts und einer Welt, der wir
diese Durchsetzung aufzwingen wollen, die aber viel zu groß für uns zu sein
scheint und die gleichgültig unsere Seele, unser Mental, unser Leben und unseren
Körper mit ihrem Kurs auf ihr Ziel hin überrollt. Wir haben keinen Einblick in
die Beziehung zwischen unserem Kurs und Ziel und dem der Welt. Um uns damit in
Einklang zu bringen, müssen wir entweder uns ihr aufzwingen und sie uns
dienstbar machen, oder wir müssen uns selbst unterdrücken und ihr hörig werden.
Wir müssen, was schwierig ist, das Gleichgewicht dieser beiden Notwendigkeiten,
der Beziehung zwischen dem individuellen persönlichen Schicksal und dem
kosmischen Ganzen und seiner verborgenen Absicht, herstellen. Für den
supramentalen Menschen, der im kosmischen Bewußtsein lebt, wird eine solche
Schwierigkeit nicht bestehen, da er kein Ich mehr hat. Seine kosmische
Individualität erkennt die kosmischen Kräfte mit ihrer Bewegung und ihrer
Bedeutung als einen Teil seiner selbst. Das Wahrheits-Bewußtsein in ihm sieht
bei jedem Schritt die rechte Beziehung und findet den rechten dynamischen
Ausdruck für diese Beziehung.
Tatsächlich sind beide, Individuum und Universum,
gleichzeitiger und aufeinander bezogener Ausdruck des gleichen transzendenten
Wesens. Zwar gibt es in der Unwissenheit und unter ihrem Gesetz falsche
Anpassung und Konflikte. Es muß aber zwischen beiden auch die rechte Beziehung
und ein Ausgleich bestehen, zu dem alles hinführt. Wir verfehlen ihn nur durch
die Blindheit unseres Ichs und durch unseren Versuch, das Ich durchzusetzen,
nicht das Selbst, das in allen eines ist. Das supramentale Bewußtsein trägt
diese Wahrheit der Beziehung als sein natürliches Recht und Vorrecht in sich, da
allein es die kosmischen Beziehungen und die des Individuums zum Universum
bestimmt und frei und souverän als Macht der
Transzendenz über sie entscheidet. Im mentalen Menschen könnte nicht einmal der
Druck des kosmischen Bewußtseins, der das Ich überwältigt, und das Gewahrwerden
der transzendenten Wirklichkeit als solcher eine dynamische Lösung herbeiführen.
Denn es gäbe immer noch eine Unvereinbarkeit zwischen der befreiten spirituellen
Mentalität und dem dunklen Leben der kosmischen Unwissenheit, die aufzulösen
oder zu überwinden das Mental nicht die Macht besitzt. Im supramentalen Menschen
jedoch, der nicht nur statisch, sondern auch dynamisch bewußt ist und im
schöpferischen Licht und in der Macht der Transzendenz handelt, hat das
supramentale Licht, das Wahrheits-Licht, rtam jyotih, diese Macht. Denn
hier herrscht Einung mit dem kosmischen Selbst, nicht Gebundenheit an die
Unwissenheit der kosmischen Natur in ihrer niederen Formulierung. Im Gegenteil,
es gibt hier eine Vollmacht, im Licht der Wahrheit auf jene Unwissenheit
einzuwirken. Umfassende Universalität des Selbst-Ausdrucks, weite harmonische
Universalität des Welt-Wesens ist hier das eigentliche Kennzeichen der
supramentalen Person, des Menschen in seiner gnostischen Natur.
So stellt sich das Dasein des supramentalen Wesens dar
als das Spiel einer sich vielfältig und vielfach offenbarenden Wahrheits-Macht
des Eins-Seins und des Eins-Bewußtseins zur Freude des Eins-Seins. Der Sinn
gnostischen Lebens ist die tiefe Freude an der Manifestation des Geistes in
seiner Wahrheit des Seienden. Alle seine Bewegungen sind eine Darlegung der
Wahrheit des Geistes, aber auch der Freude des Geistes – eine Bestätigung des
spirituellen Seins, des spirituellen Bewußtseins, der spirituellen Freude am
Wesen. Trotz der zugrundeliegenden Einheit ist dies etwas anderes als die
Tendenz der Selbstbehauptung in uns. Sie ist irgendwie egozentrisch und
trennend, der Selbst-Behauptung anderer entgegengesetzt, gleichgültig und
ungenügend aufgeschlossen für deren Forderungen an das Dasein. Dagegen wird der
supramentale Mensch, im Selbst mit allen geeint, die Freude an der
Selbst-Offenbarung des Geistes in sich ebenso wie die Freude des Göttlichen
Wesens in allen suchen: Er wird die kosmische Freude besitzen. Er wird Macht
haben, die Wonne des Geistes und die Freude am Seienden anderen zu bringen. Denn
ihre Freude wird ein Teil seiner eigenen Daseins-Freude sein. Man hat es
beschrieben als ein Zeichen dafür, daß ein spiritueller Mensch befreit und zu
seiner Erfüllung gelangt ist, wenn er sich um das Gute für alle Wesen bekümmert
und sich Freude wie Kummer anderer zu eigen
macht. Der supramentale Mensch wird deshalb nicht altruistischer
Selbstentäußerung bedürfen, da solche längst zu seiner Selbst-Erfüllung und zur
Erfüllung des Einen in allen gehört. Darum kann es keinen Widerspruch, keine
Spannung geben zwischen dem, was für ihn selbst, und dem, was für die anderen
gut ist. Er braucht auch nicht erst allumfassendes Mitempfinden dadurch zu
erwerben, daß er die Freuden und Kümmernisse der noch in der Unwissenheit
lebenden Geschöpfe auf sich nimmt. Sein kosmisches Mitempfinden ist ein Teil der
ihm eingeborenen Wahrheit des Seienden und hängt nicht von persönlicher
Anteilnahme an minderer Lust und Leiden ab. Er transzendiert, was er umfaßt; in
diesem Überschreiten wird seine Macht liegen. Sein universales Fühlen und
Handeln wird stets eine spontane Haltung und natürliche Bewegung sein,
unwillkürlicher Ausdruck der Wahrheit und ein Akt der Freude des Selbst-Seins
des Geistes. Darin kann es keinen Raum geben für ein begrenztes Selbst oder für
ein Begehren, für die Befriedigung oder Enttäuschung des begrenzten Selbsts, für
die Befriedigung oder Enttäuschung von Begehren, keinen Raum für das relative,
vom Äußeren abhängige Glück und Leid, das unsere begrenzte Natur besucht oder
heimsucht. Denn diese Dinge gehören dem Ich und der Unwissenheit an, nicht aber
der Freiheit und Wahrheit des Geistes.
Das gnostische Wesen besitzt den Willen zum Handeln,
aber auch das Wissen von dem, was gewollt werden soll, und die Macht, sein
Wissen wirksam zu machen. Es wird nicht durch die Unwissenheit dazu verleitet,
das zu tun, was nicht getan werden darf. Außerdem geschieht sein Wirken nicht
aus einem Streben nach Ertrag oder Erfolg. Die Freude daran liegt im Sein und im
Tun, im reinen Zustand des Geistes, im reinen Handeln des Geistes, in der reinen
Wonne des Geistes. So wie sein statisches Bewußtsein alles in sich enthält und
darum für immer selbst-erfüllt ist, so wird die Dynamik seines Bewußtseins bei
jedem Schritt und bei jedem Tun spirituelle Freiheit und Selbst-Erfüllung
finden. Alles wird in seiner Beziehung zum Ganzen gesehen, so daß jeder Schritt
in sich erleuchtet, freudvoll und befriedigend sein wird, da er im Einklang
steht mit einer lichtvollen Ganzheit. Eigentliches Kennzeichen eines
supramentalen Bewußtseins, worin es sich von den unzusammenhängenden, ohne
Erkenntnis aufeinanderfolgenden Schritten unseres Bewußtseins in der
Unwissenheit unterscheidet, ist dieses Bewußtsein, dieses Leben in der
spirituellen Ganzheit und das Handeln aus ihr,
eine befriedete Ganzheit im Wesen des Seienden und eine befriedete Ganzheit in
der dynamischen Bewegung des Wesens; das Empfinden für die Beziehungen innerhalb
dieser Ganzheit, das jeden Schritt begleitet. Das gnostische Sein und die
Seins-Seligkeit ist ein allumfassendes Wesen und eine allumfassende Seligkeit.
In jeder gesonderten Bewegung gibt es die Gegenwart dieser Ganzheit und Allheit.
In einer jeden wird das Empfinden der ganzen Bewegung eines integralen Wesens
und der Gegenwart seiner völligen und integralen Seins-Seligkeit, ananda,
erfahren, anstelle einer partiellen Erfahrung des Selbsts oder nur eines
Bruchstücks seiner Freude. Das im Handeln selbst-verwirklichte Wissen des
gnostischen Menschen wird die Real-Idee des Supramentals, die Instrumentation
des wesenhaften Lichtes des Bewußtseins sein, nicht aber eine ideative
Erkenntnis. Es wird das Selbst-Licht aller Wirklichkeit des Seienden und
Werdenden sein, das sich ständig nach außen ergießt und jeden einzelnen Akt und
jede Tätigkeit mit dem reinen und vollen Entzücken seines Selbst-Seins erfüllt.
Ein unendliches Bewußtsein mit seinem Wissen durch Identität erlebt in jeder
Unterschiedlichkeit die Freude und Erfahrung des Identischen. In jedem Endlichen
fühlt es das Unendliche.
Die Evolution des gnostischen Bewußtseins bringt eine
Transformation unseres Bewußtseins von der Welt und unseres Handelns in der Welt
mit sich. Denn sie nimmt in die neue Bewußtheits-Macht nicht nur die innere
Erfahrung auf, sondern auch unser äußeres Wesen und unser Welt-Wesen. Beide
werden neu geschaffen; sie werden in Empfinden und Macht des spirituellen Seins
einbezogen. Bei dieser Umwandlung muß es bei uns sofort zu einer Umkehrung und
Zurückweisung unserer gegenwärtigen Seins-Weise und zur Erfüllung ihrer inneren
Richtung und Tendenz kommen. Denn wir stehen jetzt zwischen diesen beiden
Begriffen, einer äußeren Welt von Leben und Materie, die uns gestaltet hat, und
einer neuen Welt, die wir selbst im Sinne des sich entfaltenden Geistes
erschaffen. Unsere gegenwärtige Lebensweise ist zugleich Unterwerfung unter die
Lebens-Kraft und die Materie, aber auch ein Kampf mit dem Leben und mit der
Materie. Von Anfang an erschafft das äußere Dasein durch unsere Reaktionen auf
seine äußeren Erscheinungen ein inneres, mentales Sein. Wenn wir uns überhaupt
selbst gestalten, geschieht das bei den meisten Menschen weniger durch bewußten
Druck einer freien Seele oder Intelligenz von innen, als vielmehr durch Reaktion
auf unsere Umgebung und auf die Natur der Welt, die auf
uns einwirkt. Das Ziel aber, auf das wir uns bei Entwicklung unseres bewußten
Wesens hinbewegen, ist ein inneres Sein, das durch seine Erkenntnis und Macht
seine äußere Lebensform und die sein Selbst ausdrückende Lebens-Umwelt
erschafft. In der gnostischen Natur kommt diese Bewegung zu ihrem höchsten Ziel.
Unsere äußere Lebensweise erbaut dann ein vollendetes inneres Sein, dessen Licht
und Macht im äußeren Leben vollkommene Gestalt annehmen wird. Der gnostische
Mensch nimmt die Welt von Leben und Materie an. Er wird sie aber seiner Wahrheit
und dem Zweck seines Daseins anpassen. Er wird das Leben selbst nach seinem
eigenen spirituellen Bild umformen. Das kann er fertigbringen, weil er das
Geheimnis einer spirituellen Schöpfung besitzt und sich in Gemeinschaft und
Einheit mit dem Schöpfer in seinem Innern befindet. Zuerst wird es dadurch
wirksam werden, daß sich sein inneres und äußeres individuelles Dasein
umgestaltet. Dieselbe Macht und dasselbe Prinzip werden aber auch in jedem
gemeinsamen gnostischen Leben wirksam. Die Beziehungen zwischen gnostischen
Wesen werden Ausdruck ihres einen gnostischen Selbsts und der Übernatur sein,
die alles gemeinsame Dasein in eine bedeutungsvolle Macht und Form ihrer selbst
gestaltet.
In allem spirituellen Leben ist in erster Linie das innere Leben wichtig. Der spirituelle Mensch lebt stets in seinem Innern. In einer Welt der Unwissenheit, die ihre Umwandlung verweigert, muß er sich in gewissem Sinn von dieser absondern und sein inneres Leben gegen das Eindringen und den Einfluß der dunkleren Mächte der Unwissenheit schützen. Er steht außerhalb der Welt, selbst wenn er mitten in ihr ist. Wirkt er auf sie ein, so geschieht das von der Burg seines inneren spirituellen Wesens aus, wo er im innersten Heiligtum eins ist mit dem höchsten Sein, wo allein seine Seele und Gott beieinander sind. Das gnostische Leben ist ein inneres Leben, in dem der Gegensatz von innen und außen, von Selbst und Welt, versöhnt und überwunden sein wird. Das gnostische Wesen wird in Wahrheit ein inneres Sein besitzen, in dem es mit Gott allein ist, eins mit dem Ewigen, selbst-versunken in die Tiefen des Unendlichen, in Kommunion mit dessen Höhen und mit den erleuchteten Abgründen seines Geheimnisses. Nichts wird es in diesen Tiefen stören oder in sie eindringen können; nichts wird es von diesen Höhen herabziehen können, weder die Inhalte der Welt, noch sein Wirken, noch alles, was ihn umgibt. Das ist der Aspekt der Transzendenz spirituellen Lebens. Für die Freiheit des Geistes ist er notwendig.
Andernfalls wäre die
Identität mit der Natur in der Weit eine begrenzende Bindung und keine freie
Identität. Zugleich ist die Gottes-Liebe und die Seligkeit in Gott der Ausdruck
des Herzens für jene innere Gemeinschaft und Einheit. Und diese Freude und Liebe
wird sich ausdehnen und das ganze Dasein umfassen. Der Friede, Gottes im Innern
wird in der gnostischen Erfahrung des Weltalls zur universalen Ruhe, zu einem
nicht nur passiven, sondern kraftgeladenen gelassenen Gleichmut. Eine Stille von
Freiheit in Einheit herrscht über allem, was ihm begegnet: Sie wird alles
beruhigen, was in sie eintritt. Sie wird ihr Gesetz von Frieden den Beziehungen
des supramentalen Menschen mit der Welt auferlegen, in der er lebt. In all sein
Handeln begleitet ihn das innere Einssein, die innere Kommunion. Sie geht in
alle seine Beziehungen zu anderen Menschen ein, die nun für ihn nicht mehr die
Anderen sind, sondern Selbste seiner selbst, in dem einen Sein, in seinem
eigenen universalen Sein. Diese Gelassenheit und diese Freiheit im Geist werden
ihn befähigen, alles Leben in sich hineinzunehmen und doch das spirituelle
Selbst zu bleiben, selbst die Welt der Unwissenheit zu umfassen, ohne selbst in
die Unwissenheit hineingerissen zu werden.
Wird doch seine Erfahrung des kosmischen Daseins – durch dessen Naturgestalt und infolge seiner individuellen Zentrierung – diejenige eines Menschen sein, der im Universum lebt, zugleich aber auch die eines Menschen, der das Universum und alle seine Wesen in seinem Innern trägt, weil er sich in seinem Einssein selbst nach außen verstreut und ausdehnt. Dieser ausgeweitete Zustand des Wesens ist nicht nur eine Ausdehnung im Einssein des Selbsts oder nur eine solche in begrifflicher Idee und Schau, sondern eine Ausweitung des Einsseins im Herzen, in den Sinnen, in einem konkreten physischen Bewußtsein. Der gnostische Mensch hat kosmisches Bewußtsein, kosmischen Sinn und kosmisches Empfinden, durch die alles objektive Leben zu einem Teil seines subjektiven Daseins wird, so daß er das Göttliche Wesen in allen Gestaltungen erkennen, wahrnehmen, fühlen, sehen und hören kann. Alle Gestaltungen und Bewegungen werden von ihm erkannt, empfunden, gesehen, gefühlt, als ob sie in dem eigenen weiten Selbst seines Wesens stattfänden. Die Welt wird nicht nur mit seinem äußeren, sondern mit seinem inneren Leben verbunden. Er begegnet der Welt nicht nur in ihrer äußeren Gestalt durch äußeren Kontakt. Er steht auch innerlich mit dem inneren Selbst der Dinge und Wesen in Beziehung.
Er nimmt bewußt sowohl
ihre inneren wie ihre äußeren Reaktionen auf. Er nimmt wahr, was in ihrem Innern
ist, dessen sie selbst nicht bewußt sind. Er wirkt mit innerem Verständnis auf
alle ein und begegnet ihnen in vollkommenem Mitempfinden und dem Gefühl des
Einsseins, doch auch mit einer Unabhängigkeit, die durch keinen Kontakt
überwältigt wird. Sein Wirken auf die Welt ist zumeist inneres Wirken durch die
Macht des Geistes, durch die spirituell-supramentale Ideen-Kraft, die sich in
der Welt selbst ihre Form gibt: durch das geheime ungesprochene Wort, die Macht
des Herzens, dynamische Lebenskraft, durch die alles umhüllende und in alles
eindringende Macht des Selbsts, das eines ist mit allen Dingen. Das äußerlich
zum Ausdruck kommende sichtbare Handeln ist nur die Randerscheinung einer
äußersten Projektion dieser umfassenderen einzigen Ganzheit und Aktivität.
Zugleich bleibt aber das allumfassende innere Leben des Einzelnen nicht auf inneren Kontakt beschränkt, der die physische Welt durchdringt und einschließt. Der Einzelne dehnt ihn weiter aus, weil er die natürliche Verbindung seines subliminalen inneren Wesens mit anderen Ebenen des Seienden voll verwirklicht. Erkenntnis ihrer Mächte und Einflüsse wird zum normalen Element der inneren Erfahrung. Die Ereignisse dieser Welt werden nicht allein in ihrem äußeren Aspekt gesehen, sondern auch im Lichte all dessen, was hinter der physischen und irdischen Schöpfung und Bewegung verborgen ist. Der gnostische Mensch besitzt nicht nur eine der Wahrheit bewußte Beherrschung der erkannten Macht des Geistes über seine physische Welt, sondern auch die Vollmacht über die mentalen und vitalen Ebenen. Er kann ihre stärkeren Kräfte für die Vervollkommnung des physischen Daseins einsetzen. Dieses größere Wissen und diese umfassendere Macht über alles Dasein vermehrt erheblich die Herrschaft der Instrumentation des gnostischen Wesens über seine Umgebung und über die Welt der physischen Natur.
Im Selbst-Sein, dessen dynamisches Wahrheits-Bewußtsein
das Supramental ist, gibt es für das Wesen nur das eine Ziel, zu sein; für das
Bewußtsein nur das eine Ziel, des Wesens bewußt zu werden; für die
Seins-Seligkeit nur das eine Ziel, diese Wonne zu erfahren. Das All ist eine
Ewigkeit, die aus dem Selbst existiert, die im Selbst ihr Genüge hat. Die
Manifestation, das Werden, hat in ihrer ursprünglichen supramentalen Bewegung
denselben Charakter. Sie trägt und erhält in einem aus dem Selbst seienden und
im Selbst genügsamen Rhythmus eine Aktivität des
Wesens, die sich als vielfältiges Werden erkennt. Die Aktivität des Bewußtseins
nimmt die Form vielfältiger Selbst-Erkenntnis an; die Aktivität der Kraft des
bewußten Seins existiert für die Herrlichkeit und Schönheit ihrer vielfältigen
Wesens-Macht; die Aktivität der Seligkeit nimmt zahllose Formen von Freude an.
Sein und Bewußtsein des supramentalen Menschen hier in der Materie müssen im
wesentlichen von derselben Art sein. Doch kennzeichnen untergeordnete
Eigenschaften den Unterschied zwischen dem Supramental auf seiner eigenen Ebene
und einem Supramental, das im Erden-Dasein in seiner manifestierten Macht wirkt.
Denn hier wird es zu einem sich entwickelnden Wesen, zu einem sich entwickelnden
Bewußtsein, zu einer sich entwickelnden Seins-Seligkeit. Der gnostische Mensch
erscheint als Zeichen für eine Entwicklung aus dem Bewußtsein der Unwissenheit
in das Bewußtsein von saccidananda. Wir befinden uns in der Unwissenheit
hauptsächlich, um zu wachsen, um zu erkennen und zu handeln, oder genauer
gesagt, um in etwas hineinzuwachsen, um durch das Erkennen zu einem Ziel zu
gelangen, damit etwas getan wird. Da wir unvollkommen sind, finden wir in
unserem Wesen keine Befriedigung. Wir müssen unter innerem Zwang, unter Mühen
und Schwierigkeiten, darum ringen, in etwas hineinzuwachsen, das wir nicht sind.
Da wir unwissend und mit dem Bewußtsein unserer Unwissenheit belastet sind,
müssen wir zu einem Zustand gelangen, in dem wir fühlen, daß wir wissen.
Gefesselt an unsere Unfähigkeit, müssen wir nach Stärke und Einfluß jagen.
Gepeinigt vom Bewußtsein unserer Leiden, müssen wir versuchen, daß etwas
geschieht, durch das wir einige Lebensfreude erlangen oder eine
zufriedenstellende Lage des Lebens festhalten können. Das Dasein zu erhalten,
ist uns in der Tat erstes Bemühen und erste Notwendigkeit. Es ist jedoch nur
unser Ausgangspunkt; denn die bloße Erhaltung eines unvollkommenen, von Leiden
zerquälten Daseins kann nicht befriedigendes Ziel für unser Wesen sein. Der
instinktive Daseins-Wille, die Lust am Dasein, die alles ist, was die
Unwissenheit aus der dem Leben insgeheim zugrundeliegenden Macht und
Glückseligkeit, ananda, herausholen kann, muß durch das Bedürfnis ergänzt
werden, zu handeln und zu werden. Wir haben aber keine klare Erkenntnis davon,
was wir tun und was wir werden sollen. So raffen wir zusammen, was wir an
Wissen, Macht, Stärke, Reinheit, Frieden und Freude bekommen können. Wir werden
zu dem, was wir werden können. Aber all unser Streben und unser Bemühen, etwas
davon zu erlangen, und das wenige, das wir als unseren Gewinn
festhalten können, wandelt sich in Fangstricke, mit denen wir gefesselt werden.
Jene Dinge werden dann zu unserem Lebensziel: Aber unsere Seele zu erkennen und
unser Selbst zu sein, was doch die Zielrichtung für den wahren Weg unseres
Wesens sein müßte, ist ein Geheimnis, das uns völlig entgeht, da wir uns
vordringlich mit dem Erlernen äußerer Dinge, mit der Aufstellung äußerer
Erkenntnis-Konstruktionen, mit dem Erfolg in äußerem Wirken und mit Freude an
äußeren Dingen befassen. Der spirituelle Mensch dagegen hat seine Seele
entdeckt. Er hat sein Selbst gefunden und lebt darin. Er ist seines Selbsts
bewußt und hat seine Freude daran. Für die Vollkommenheit seines Daseins
benötigt er die äußeren Dinge nicht. Der gnostische Mensch, der von dieser neuen
Grundlage ausgeht, nimmt unser unwissendes Werden auf und wandelt es in ein
erleuchtetes Werden der Erkenntnis und erkannte Macht des Seienden um. Darum
bringt er all das, was wir in der Unwissenheit zu werden versuchen, im Wissen
zur Vollendung. Er verwandelt alle Erkenntnis in eine Manifestation des
Selbst-Wissens des Seienden. Alle Macht und alles Wirken macht er zu einer Macht
und zu einem Wirken der Selbst-Kraft des Seienden. Alle Lust erhöht er zur
universalen Seligkeit von Selbst-Sein. Jede Hörigkeit und Gebundenheit fällt
dann weg, da das Selbst-Sein bei jedem Schritt und in jedem Ding seine volle
Befriedigung findet, da sich das Licht des Bewußtseins selbst zur Erfüllung
bringt, da das Entzücken der Seins-Seligkeit sich selbst findet. Auf jeder Stufe
der Evolution im Wissen werden diese Macht, dieser Wille des Wesens und diese
Freude am Sein entfaltet. Das ist ein freies Werden, das durch das Empfinden des
Unendlichen, die Wonne des brahman und die erleuchtete Sanktion der
Transzendenz getragen und gefördert wird.
Die supramentale Transformation, die supramentale
Evolution muß eine Erhöhung von Mental, Leben und Körper mit sich bringen. Sie
werden aus sich heraus in eine höhere Art des Wesens emporgehoben, in der aber
ihre Eigentümlichkeiten und Mächte nicht unterdrückt oder beseitigt, vielmehr
durch dieses Emporkommen über sich selbst hinaus vervollkommnet und erfüllt
werden. In der Unwissenheit sind alle unsere Wege die Pfade des Geistes, auf
denen dieser blind oder mit zunehmendem Licht nach sich selbst sucht. Das
gnostische Wesen und Leben ist die Selbst-Entdeckung des Geistes. Nun schaut und
erreicht er die Ziele all dieser Pfade, jedoch in der höheren Art seiner
eigenen, jetzt geoffenbarten und bewußten
Wahrheit des Seienden. Das Mental sucht nach Licht, nach Erkenntnis, – nach
Wissen um die einzige Wahrheit, auf die sich alle Wahrheiten gründen; nach der
wesenhaften Wahrheit des Selbsts und der Dinge; aber auch nach dem, was aller
Wahrheit der Mannigfaltigkeit in diesem Einssein zugrundeliegt, all seinem
Detail und Umstand, der vielfältigen Art von Wirken und Form, von Gesetz,
Bewegung und Ereignis, der verschiedenen Manifestation und Schöpfung. Für das
denkende Mental besteht die Freude am Dasein im Entdecken und Durchdringen des
Mysteriums der Schöpfung, das wir mit der Erkenntnis erreichen. Das erfüllt die
gnostische Umwandlung in reichem Maße. Sie wird dem Erkennen aber einen neuen
Charakter geben. Die Erkenntnis arbeitet hier nicht durch die Entdeckung des
Unbekannten, sondern sie bringt das bereits Gewußte zum Vorschein. Alles wird
zum Finden “des Selbsts durch das Selbst im Selbst”. Denn das Selbst des
gnostischen Menschen ist nicht das mentale Ich, sondern der Geist, der eins ist
mit allen. Darum schaut der gnostische Mensch die Welt als Universum des
Geistes. Er findet in ihr die eine, allen Dingen zugrundeliegende Wahrheit: Das
Identische entdeckt überall Identität und identische Wahrheit; es entdeckt auch
die Macht, die Wirkweisen und Beziehungen dieser Identität. Die Offenbarung des
Details, des Umstands, der überreichen Arten und Formen der Manifestation ist
das Enthüllen der endlos reichen Fülle der Wahrheiten dieser Identität, der
Formen und Mächte des Selbsts, ihrer überraschenden Vielfalt und Menge der
Formen, die ihre Einheit auf unendliche Weise offenbar machen. Diese Erkenntnis
entwickelt sich dadurch weiter, daß das gnostische Wesen sich mit allen
identifiziert, in alle eingeht durch eine Berührung, die mit einem Sprung eine
höhere Selbst-Entdeckung und das Aufflammen von Einsichten einbringt, eine
Intuition in die Wahrheit, die größer und gesicherter ist, als das Mental sie
erreichen kann. Das führt auch zu einer Intuition in die Art und Weise, wie die
geschaute Wahrheit zu verkörpern und zu verwenden ist, zu einer
praktisch-brauchbaren Intuition in ihre dynamischen Prozesse, zur unmittelbaren
inneren Bewußtheit, die das Leben und die physischen Sinne bei jedem Schritt
ihres Wirkens und ihres Dienstes am Geist lenkt, wenn sie als Werkzeuge zur
erfolgreichen Durchführung eines Verfahrens in Leben und Materie eingesetzt
werden müssen.
Der Charakter jeder gnostischen Erkenntnisbewegung und
Wissensbetätigung äußert sich so: Das intellektuelle Suchen wird ersetzt durch
die supramentale Identität und die gnostische
Intuition der Inhalte der Identität. Der Geist ist mit seinem Licht überall
gegenwärtig und durchdringt den ganzen Erkenntnisprozeß und alle Verwendung des
Wissens, so daß es zu einer Vereinigung von Erkennendem, Erkenntnis und
erkannter Sache, von dem das Erkennen betätigenden Bewußtsein, seinen Werkzeugen
und der durchgeführten Angelegenheit kommt. Das einzelne Selbst wacht derweilen
über der integralen Bewegung und bringt sich innerlich in ihr zum Ausdruck. Es
macht sie zu einer makellosen Einheit von Selbst-Verwirklichung. Das
beobachtende und beurteilende Mental müht sich darum, sich von dem, was es zu
erkennen hat, zu distanzieren und es objektiv und wirklichkeitsgetreu zu sehen.
Es versucht, dieses als Nicht-Selbst, als eine unabhängige andersartige
Wirklichkeit zu erkennen, die vom Vorgang des persönlichen Denkens oder durch
die Gegenwart des Selbsts nicht beeinträchtigt wird. Das gnostische Bewußtsein
kann sofort, von innen her und genau, seinen Gegenstand durch
umfassend-verstehende und eindringende Identifikation mit ihm erkennen. Es geht
über das hinaus, was es zu erkennen hat, bezieht es aber ein. Es erkennt den
Gegenstand ebenso als einen Teil seiner selbst, wie es jede Seite oder Regung
seines Wesens erkennt, ohne daß es sich durch die Identifizierung einengt oder
sein Denken sich so in ihr verfangen läßt, daß es in seiner Erkenntnis gebunden
oder begrenzt wäre. Hier herrscht die unmittelbare Gewißheit, Genauigkeit, eine
Fülle unmittelbarer innerer Erkenntnis, weil das Bewußtsein einer
allumfassenden, nicht einer begrenzten und ich-gebundenen Person gehört. Es ist
nicht jene Selbst-Täuschung des persönlichen Mentals, durch die wir ständig
irren. Das führt weiter zu einer All-Erkenntnis, die nicht die eine Wahrheit der
anderen entgegenstellt, um zu sehen, weiche sich durchsetzen und überleben wird.
Vielmehr vervollständigt die eine Wahrheit die andere im Licht der alleinigen
Wahrheit, von der alle nur Aspekte sind. Jede Idee, Schau und Wahrnehmung trägt
diesen Charakter eines inneren Sehens, einer inneren ausgedehnten
Selbst-Wahrnehmung, einer umfassenden, vom Selbst her einbeziehenden Erkenntnis
eines unteilbaren Ganzen, das sich auswirkt, indem Licht in einer sich selbst
verwirklichenden Harmonie des Wahrheits-Wesens auf Licht einwirkt. Das ist eine
Entfaltung des Lichts, keine Entbindung von Licht aus Finsternis, vielmehr wie
eine Geburt von Licht aus sich selbst. Denn wenn ein supramentales Bewußtsein in
seiner Entwicklung einen Teil seiner Inhalte an Selbst-Erkenntnis in sich
zurückhält, tut es das
nicht als einen Schritt
oder Akt der Unwissenheit, sondern bringt es absichtsvoll etwas aus seinem
zeitlosen Wissen in den Ablauf der Zeit-Manifestation hervor. Die
Erkenntnis-Methode dieser evolutionären supramentalen Natur ist
Selbst-Erleuchtung, eine Offenbarung von Licht aus Licht.
So wie das Mental nach Licht sucht, um Wissen und
Meisterschaft durch Wissen zu entdecken, so sucht das Leben nach der Entfaltung
der eigenen Kraft und nach Meisterschaft durch Kraft. Sein Verlangen ist auf
Wachstum gerichtet, auf Macht, Eroberung, Besitz, Befriedigung, Schöpfung,
Freude, Liebe, Schönheit. Seine Daseins-Freude ist, sich ständig auszudrücken,
sich zu entwickeln, in mannigfaltiger Weise zu handeln, zu erschaffen, zu
genießen, in großer Fülle sich selbst und seine Macht zu erleben. Die gnostische
Evolution erhebt das zu seinem höchsten und vollsten Ausdruck. Sie handelt aber
nicht, um dem mentalen oder vitalen Ich Macht, Befriedigung und Genuß zu
verschaffen, den engen Besitz seiner selbst und Ausübung seiner gierigen,
ehrgeizigen Macht über andere Menschen und Dinge, damit es sich noch stärker
durchsetzt und sein aufgeblasenes Ich verkörpert. Läßt sich doch auf solche
Weise keine spirituelle Fülle und Vollkommenheit erreichen. Das gnostische Leben
existiert und wirkt für das Göttliche Wesen in ihm selbst und in der Welt und
für das Göttliche Wesen in allen. Für das gnostische Wesen ist es Sinn des
Lebens, daß das individuelle Wesen und die Welt immer mehr von der Göttlichen
Gegenwart, ihrem Licht, ihrer Macht, Liebe, Freude und Schönheit in Besitz
genommen wird. In der immer befriedigenderen Vervollkommnung dieser zunehmenden
Offenbarung findet auch der Einzelne seine Befriedigung. Seine Macht wird zur
Instrumentation der Macht der Obernatur, um jenes größere Leben und die höhere
Art in die Welt zu bringen und in ihr auszuweiten. Was das an Eroberung und
Abenteuer im Gefolge hat, dient nur jenem Ziel, nicht aber der Herrschaft
irgendeines individuellen oder kollektiven Ichs. Liebe ist für den gnostischen
Menschen Berührung, das Sichbegegnen, die Einung von Selbst mit Selbst, von
Geist mit Geist, eine Vereinigung des Wesens, die Macht, Freude, Innerlichkeit
und Nähe von Seele zu Seele, des Einen zum Einen; sie ist die Freude an der
Identität und an den Auswirkungen ihrer Mannigfaltigkeit. Für ihn liegt der
völlig offenbarte Sinn des Lebens in dieser Freude an einer innig verbundenen,
sich selbst offenbarenden Mannigfaltigkeit des Einen, an der vielfältigen
Einheit des Einen und an einer frohen gegenseitigen Einwirkung in der Identität. Denselben Sinn haben für ihn die Schöpfung, die
ästhetische oder dynamische Schöpfung, das mentale, vitale und materielle
Erschaffen, die Schönheit und Wahrheit der Formen und Körper des Ewigen, die
Schönheit und Wahrheit seiner Mächte und Eigenschaften, die Schönheit und
Wahrheit seines Geistes, seine gestaltlose Schönheit von Selbst und wesentlichem
Sein.
Als Folge der völligen Umwandlung und Umkehrung des
Bewußtseins, die eine neue Beziehung des Geistes zu Mental, Leben und Materie,
sowie eine neue Bedeutung und Vollkommenheit in dieser Beziehung herstellt,
kommt es auch zu einer Umkehrung, einer vervollkommnenden neuen Bedeutung der
Beziehung zwischen dem Geist und dem Körper, den er bewohnt. In unserer
gegenwärtigen Lebensweise drückt sich die Seele, so gut sie kann oder so
schlecht sie muß, durch das Mental und die Vitalität aus. Öfters aber konzediert
sie dem Mental und der Vitalität, selbst nur mit ihrer Unterstützung zu wirken:
Der Körper ist das Werkzeug dieses Wirkens. Aber auch wenn der Körper gehorcht,
begrenzt und bestimmt er den Selbst-Ausdruck von Mental und Leben durch die
beschränkten Möglichkeiten und den erworbenen Charakter seiner eigenen
physischen Instrumentierung. Außerdem hat er ein Gesetz für sein eigenes Wirken,
eine Bewegung und einen Willen, eine Kraft oder das Drängen einer Regung seiner
unterbewußten oder halb-hervorgetretenen bewußten Macht seines Wesens, das sie
nur zum Teil beeinflussen oder verändern können. Und selbst in diesem Teil
können sie mehr durch mittelbare als durch unmittelbare, und wenn unmittelbar,
mehr durch unterbewußte als durch gewollte und bewußte Einwirkung ausrichten.
Bei der gnostischen Art von Wesen und Leben muß aber der Wille des Geistes
unmittelbar die Bewegungen und das Gesetz des Körpers lenken und bestimmen. Denn
der Körper steht unter einem Gesetz, das vom Unterbewußten und Unbewußten her
wirkt. Im gnostischen Menschen ist indessen das Unterbewußte bewußt geworden und
der supramentalen Herrschaft untergeordnet; es wird von deren Licht und Wirken
durchdrungen. Die Grundlage der Unbewußtheit mit ihrer dunklen Zweideutigkeit,
ihrer Widersetzlichkeit oder trägen Reaktion wird durch das Hervortreten des
Supramentals in ein niederes oder unterstützendes Überbewußtsein umgewandelt.
Der Körper wird bereits im verwirklichten Wesen des Höheren Mentals, im
Intuitiven Mental sowie im Übermental genügend bewußt, so daß er auf den Einfluß
der Idee und der Willens-Kraft reagieren kann. Dadurch wird die Einwirkung des Mentals auf die physischen Seiten, die in uns rudimentär,
chaotisch und zumeist unwillkürlich ist, zu einer beträchtlichen Macht
entwickelt. Im supramentalen Menschen wird aber alles durch das Bewußtsein
beherrscht, das die Real-Idee in sich enthält. Diese Real-Idee ist eine
Wahrheits-Wahrnehmung, die sich selbst wirksam durchsetzt. Ist sie doch die Idee
und der Wille des Geistes in seiner unmittelbaren Aktion. Sie ruft eine Bewegung
in der Substanz des Wesens hervor, die sich unvermeidlich in Zustand und Handeln
des Menschen auswirken muß. Dieser dynamische unwiderstehliche spirituelle
Realismus des Wahrheits-Bewußtseins auf der höchsten Stufe seiner selbst ist
hier im entwickelten gnostischen Wesen bewußt und als solcher leistungsfähig
geworden. Es handelt nicht mehr, wie bisher, unverhüllt in scheinbarer
Unbewußtheit und durch das Gesetz des Mechanismus selbst-eingeschränkt, sondern
wirksam aus dem Selbst als die souveräne Wirklichkeit. Diese beherrscht das
Dasein mit ganzem Wissen und voller Macht und bezieht in ihre Herrschaft auch
die Funktionen und Tätigkeiten des Körpers mit ein. Durch die Macht des
spirituellen Bewußtseins wird der Körper in ein zuverlässiges, geeignetes und
völlig aufgeschlossenes Werkzeug des Geistes verwandelt.
Diese neue Beziehung zwischen Geist und Körper setzt – und ermöglicht
– an Stelle einer Zurückweisung die freie Annahme des Ganzen der
materiellen Natur. Nun ist nicht mehr geboten, daß wir uns aus ihr zurückziehen,
jede Identifikation mit ihr oder ihre Annahme verweigern, wie es zuerst
normalerweise zwingend für das spirituelle Bewußtsein um seiner Befreiung willen
ist. Die Identifizierung mit dem Körper aufzugeben und sich vom
Körper-Bewußtsein zu trennen, ist ein Schritt, der sowohl für die spirituelle
Befreiung wie für die spirituelle Vollkommenheit und Bemeisterung der Natur
anerkannt und für notwendig gehalten wurde. Wenn diese Befreiung aber wirksam
geworden ist, kann das spirituelle Licht mit seiner Kraft in den Körper
eindringen und ihn emporheben. Dann kann man die materielle Natur auf neue,
befreite und souveräne Weise annehmen. Das ist in der Tat nur dann möglich, wenn
die Gemeinschaft von Geist und Materie verwandelt wird, wenn es zu einer Lenkung
und Umkehrung des gegenwärtigen Kräfteverhältnisses kommt, das der physischen
Natur bisher erlaubte, den Geist zu verhüllen und ihre eigene Vorherrschaft
durchzusetzen. Im Licht umfassenden Wissens kann man auch die Materie als das
brahman ansehen, als eine von brahman aus sich herausgestellte
Selbst-Energie, als eine Form von Substanz des
brahman. Das gnostische Licht und seine Macht des geheimen Bewußtseins, die
im Innern der materiellen Substanz bewußt und in diesem umfassenderen Wissen
sicher sind, können sich mit der so geschauten Materie einen und sie als
Werkzeug zur spirituellen Offenbarung annehmen. Es ist sogar eine gewisse
Ehrfurcht vor der Materie und eine sakramentale Haltung bei allem Umgang mit ihr
möglich. So wie in der Gita vom Akt der Nahrungsaufnahme als einem materiellen
Sakrament, einem Opfer, einer Darbringung des brahman an brahman
durch brahman gesprochen wird, so können auch das gnostische Bewußtsein
und seine Sinne alle Formen der Einwirkung des Geistes auf die Materie als
dasselbe ansehen. Der Geist hat sich selbst zur Materie gemacht, um sich hier
darzubieten als Instrument für Wohlbefinden und Freude, yogaksema, der
erschaffenen Wesen, als Selbst-Opfer zu universalem physischen Nutzen und
Dienst. Wenn der gnostische Mensch die Materie verwendet, dies aber ohne
materiellen oder vitalen Hang, ohne ein Verlangen tut, wird er fühlen, daß er
den Geist in dieser Form seiner selbst mit dessen Zustimmung und Sanktion für
dessen eigenen Zweck gebraucht. In ihm wird es eine gewisse Achtung für
physische Dinge geben, ein Wahrnehmen des verborgenen Bewußtseins in ihnen,
ihres dumpfen Willens, nützlich und dienstbar zu sein. So wird er das Göttliche
Wesen, brahman, in allem verehren, was er verwendet. Er wird sein
göttliches Material sorgsam, vollkommen fehlerlos gebrauchen zum wahren
Rhythmus, rechter Harmonie und Schönheit im Leben der Materie und bei ihrer
Verwendung.
Im weiteren Verlauf dieser neuen Beziehung zwischen
Geist und Körper bewirkt die gnostische Evolution die Spiritualisierung,
Vervollkommnung und Erfüllung des physischen Wesens. Sie tut für den Körper
dasselbe wie wir für das Mental und das Leben. Neben dem, was im Körper dunkel,
schwach und begrenzt ist – was diese Umwandlung überwinden wird –, ist das
Körper-Bewußtsein ein geduldiger Diener. Mit seiner gewaltigen Reserve an
Möglichkeiten kann es zum machtvollen Instrument des individuellen Lebens
werden. Es verlangt nur wenig für seine eigenen Bedürfnisse. Es begehrt vor
allem Fortdauer, Gesundheit, Kraft, physische Vervollkommnung, körperliches
Glück, Befreiung vom Leiden, Ruhe. Diese Forderungen sind an sich nicht
verwerflich, niedrig oder rechtswidrig. Sie übertragen doch nur in die Begriffe
der Materie die Vervollkommnung von Gestalt und Substanz, Macht und Wonne, die
ganz natürlich aus dem Geist ausströmen und seine
ausdrucksvolle Offenbarung sind. Sobald die gnostische Kraft im Körper wirkt,
können diese Dinge dauerhaft wirksam werden. Denn das, was ihnen entgegengesetzt
ist, rührt von einem Druck äußerer Kräfte auf das physische Mental, auf das
nervliche und materielle Leben, auf den Organismus des Körpers und von einer
Unwissenheit her, die nicht weiß, wie sie diesen Kräften entgegentreten soll,
oder nicht fähig ist, ihnen richtig oder mit Macht zu begegnen. Dazu kommt eine
gewisse Verdunkelung, die den Stoff des physischen Bewußtseins durchdringt und
seine Reaktion verzerrt, so daß es darauf falsch antwortet. Eine supramentale
Bewußtheit und Erkenntnis, die vom Selbst her wirkt und sich selbst wirksam
macht, ersetzt diese Unwissenheit. Sie befreit die verdunkelten und verdorbenen
intuitiven Antriebskräfte im Körper, stellt sie wieder her, erleuchtet sie und
versorgt sie mit mehr bewußter Wirkkraft. Diese Umwandlung stellt her und
erhellt die rechte physische Wahrnehmung der Dinge, die rechte Beziehung zu
ihnen und die rechte Reaktion auf Gegenstände und Energien, sowie den rechten
Rhythmus von Mental, Nerven und Organismus. In den Körper bringt sie eine höhere
spirituelle Macht ein, sowie mehr Lebens-Kraft, die, vereint mit der universalen
Lebens-Kraft, fähig ist, von dorther Energie zu beziehen. Dazu erleuchtet sie
zur Harmonie mit der materiellen Natur und verleiht das weite, ruhige Eingehen
in die ewige Stille, die ihr göttliche Stärke und Beruhigung geben kann. Darüber
hinaus – und das ist die wichtigste und fundamentale Umwandlung – durchflutet
sie das ganze Wesen mit einer erhabenen Bewußtseins-Kraft, die alle Kräfte des
Daseins, die den Körper umgeben und Druck auf ihn ausüben, in sich hineinnimmt,
assimiliert und mit sich in Einklang bringt.
Die Unvollkommenheit und Schwäche der Bewußtseins-Kraft, die sich im mentalen, vitalen und physischen Wesen offenbart, ihre Unfähigkeit, die auf sie gerichteten Einwirkungen der universalen Energie willenhaft aufzunehmen oder zurückzuweisen oder, falls sie sie aufnimmt, zu assimilieren und zu harmonisieren, ist die Ursache von Schmerz und Leiden. Im Reich der Materie beginnt die Natur in völliger Unempfindlichkeit. Es ist eine bemerkenswerte Tatsache, daß sich entweder eine verhältnismäßige Unempfindlichkeit oder sehr geringe Empfindlichkeit oder, noch öfters, ein größeres Vermögen zum Aushalten von Leiden und eine härtere Haltung ihnen gegenüber in den Anfängen des Lebens, im Tier, im primitiven oder wenig entwickelten Menschen findet. In dem Maß, in dem der Mensch in der Evolution wächst, nimmt auch seine Empfindlichkeit zu.
Er leidet stärker in
Mental, Leben und Körper, denn das Wachstum in seinem Bewußtsein wird nicht
genügend von seinem Wachstum an Kraft unterstützt. Der Körper wird subtiler,
feiner, empfindsamer, in seiner äußeren Kraft aber weniger fest und
leistungsfähig. Darum muß der Mensch seinen Willen, seine mentale Macht zuhilfe
rufen, um sein nervliches Wesen zu stärken, zu korrigieren und zu kontrollieren.
Er muß es zu den anstrengenden Aufgaben zwingen, die er von seinen Instrumenten
verlangt. Er muß es gegen Leiden und Katastrophen stählen. Bei seinem
spirituellen Aufstieg vermehrt sich außerordentlich diese Macht des Bewußtseins
und sein Wille über die Werkzeuge, die Kontrolle des Geistes und des inneren
Mentals über die äußere Mentalität und das nervliche Wesen sowie über den
Körper. Ruhige und weite Gelassenheit des Geistes allen Erschütterungen und
Einwirkungen gegenüber tritt ein und wird zur gewohnten Haltung. Sie kann vom
Mental auf die vitalen Schichten übergehen und auch dort Kraft und Frieden
erheblich ausweiten und dauerhaft machen. Dieser Zustand kann sich sogar im
Körper bilden und von innen her den Erschütterungen von Kummer, Schmerz und
allen Arten von Leid begegnen. Es kann sogar zu einer Kraft gewollter physischer
Unempfindlichkeit kommen. Oder man kann die Fähigkeit erwerben, sich mental von
jeglicher Erschütterung und Verletzung zu lösen, was beweist, daß die
schwächliche Unterwerfung des körperlichen Ichs unter die gewöhnlichen
Reaktionen auf die materielle Natur nicht zwangsläufig und unabänderlich ist.
Noch bedeutungsvoller ist die auf der Ebene des spirituellen Mentals oder des
Übermentals hervortretende Macht, die uns die Schwingungen von Schmerzen in
solche von ananda umwandeln läßt. Wenn das auch nur bis zu einem gewissen
Punkt gelingt, weist es doch auf die Möglichkeit hin, die Gesetzmäßigkeit des
reagierenden Bewußtseins völlig umzukehren. Das kann auch mit einer Macht zur
Selbst-Verteidigung verbunden werden, die die Erschütterungen zurückweist, die
wir nur unter größeren Schwierigkeiten umwandeln oder aushalten könnten. Auf
einer gewissen Stufe muß die gnostische Entwicklung eine Vollkommenheit dieser
Zurückweisung und dieser Macht zur Selbst-Verteidigung bewirken, die den
Anspruch des Körpers auf Unverletzbarkeit und gelassene Freude erfüllt und in
ihm das Vermögen aufbaut, sich in vollem Maße am Dasein zu erfreuen. Ein
spirituelles ananda kann in den Körper einströmen und Zellen und Gewebe
durchfluten. Eine erleuchtete Materialisation dieses höheren ananda
könnte
von sich aus eine vollständige Umwandlung
der mangelhaften oder schädlichen Empfindlichkeiten der körperlichen Natur
zustandebringen. Insgeheim besteht zwar in der ganzen Anlage unseres Wesens ein
Streben, ein Verlangen nach der höchsten, vollkommenen Seins-Seligkeit, das aber
verhüllt ist durch die Absonderung der naturhaften Schichten unseres Wesens.
Deren unterschiedliches Drängen ist verdunkelt durch deren Unfähigkeit, mehr zu
begreifen oder zu fassen als oberflächliche Lust. Im Körperbewußtsein nimmt
dieses Verlangen die Gestalt eines Bedürfnisses nach körperlichem Glück an. In
den vitalen Schichten ist es Sehnsucht nach Lebens-Glück, eine stark schwingende
Reaktion auf vielseitige Freude, auf Entzücken und jede überraschende
Befriedigung. Im Mental gestaltet es sich zu einem bereitwilligen Empfangen
aller Formen mentaler Freude. Auf einer höheren Ebene erscheint es in dem Wunsch
des spirituellen Mentals nach Frieden und göttlicher Ekstase. Dieses Streben
gründet in der Wahrheit unseres Wesens. Denn ananda ist die wahre Essenz
von brahman; es ist die höchste Natur der allgegenwärtigen Wirklichkeit.
Das Supramental selbst geht auf den absteigenden Stufen der Manifestation aus
ananda hervor und im evolutionären Aufstieg wieder in ananda ein. In
Wirklichkeit ist es aber nicht in dem Sinne mit ihm verschmolzen, daß es
ausgelöscht und zunichte wird. Vielmehr ist es in ihm ursprünglich daheim,
ununterscheidbar vom Selbst der Bewußtheit und der selbst-wirksamen Kraft der
Seligkeit des Seienden. Sowohl bei seiner involutionären Herabkunft als auch bei
seiner evolutionären Rückkehr wird das Supramental von der ursprünglichen
Seins-Seligkeit unterstützt und trägt diese bei all seinen Betätigungen als
deren förderndes Wesen in sich. Denn im Geist ist Bewußtsein sozusagen die
Vater-Macht; aber ananda ist der spirituelle Mutter-Schoß, aus dem sich
das Supramental offenbart, und der es erhaltende Ursprung, in den es die Seele
bei ihrer Rückkehr in den Zustand des Geistes zurückbringt. Steigt die
supramentale Manifestation weiter hinauf, so erfährt sie als nächstfolgende
Stufe und höchsten Gipfel dessen, was das Selbst erreicht, eine Manifestation
der Seligkeit von brahman: Auf die Entwicklung des Wesens der Gnosis
folgt die Entwicklung des Wesens der Seligkeit. Als ihre Konsequenz wird die
Verkörperung des gnostischen Seins zu einer Verkörperung des glückseligen Seins
führen. Immer ist im Wesen der Gnosis und im Leben der Gnosis eine gewisse Macht
von ananda als unabtrennbares und durchdringendes Kennzeichen für die
supramentale
Selbst-Erfahrung vorhanden. Bei der
Befreiung der Seele aus der Unwissenheit ist die erste Grunderfahrung Friede,
Ruhe, das Schweigen und die Stille des Ewigen und Unendlichen. Eine noch höhere
Macht und größere Gestaltung des spirituellen Aufstiegs erhebt diesen Frieden
der Befreiung in die Seligkeit einer vollkommenen Erfahrung und Verwirklichung
der ewigen Glückseligkeit, zur Wonne des Ewigen und Unendlichen. Dieses
ananda ist dem gnostischen Bewußtsein als allumfassende Seligkeit innerlich
zu eigen und wird mit der Entwicklung der gnostischen Natur weiter wachsen.
Man hat gemeint, Ekstase sei nur ein niederer und
vergänglicher Übergang; der Friede des Erhabenen sei die höchste Verwirklichung,
die alles überhöhende, bleibende Erfahrung. Das mag auf der Ebene des
spirituellen Mentals wahr sein. Dort ist die erste erlebte Ekstase tatsächlich
eine spirituelle Entrückung. Diese kann aber häufig mit einem höchsten
Glücksgefühl der vitalen Schichten vermischt sein, die vom Geist ergriffen
werden. Begeisterung, Frohlocken, Erregung, intensivste Freude des Herzens und
die reine innere Empfindung der Seele können ein wunderbares
Durchgangs-Erlebnis, eine erhebende Kraft sein, sind aber keine letzte und
bleibende Grundlage. Auf den höchsten Erhebungen spiritueller Seligkeit fehlen
Begeisterung und Erregung. Statt dessen gibt es dort einen unermeßlich hohen
Grad der Teilnahme an einer ewigen Ekstase, die sich auf das ewige Sein und
darum auf glückselige Ruhe und ewigen Frieden gründet. Friede und Ekstase hören
dort auf, etwas Verschiedenes zu sein; sie werden eins. Das Supramental versöhnt
und verschmilzt ebenso alle Unterschiede wie alle Widersprüche; es bringt diese
Einheit zustande. Zu den ersten Stufen der Selbst-Verwirklichung gehören eine
umfassende Ruhe und eine tiefe Freude des All-Seins. Diese Ruhe und diese
Seligkeit sind aber ein einziger Zustand und erheben sich zusammen in eine
wachsende Kraftfülle, bis sie ihren Höhepunkt in der ewigen Ekstase, in der
Wonne erreichen, die das Unendliche ist. Im gnostischen Bewußtsein existiert
wohl stets auf jeder Stufe diese grundlegende spirituelle bewußte
Seins-Seligkeit bis zum gewissen Grad in der ganzen Tiefe des Wesens. Es werden
aber auch alle Bewegungen der Natur von ihr durchdrungen, ebenso alle Aktionen
und Reaktionen des Lebens und Körpers: Nichts kann sich dem Gesetz von ananda
entziehen. Einen Anfang dieser fundamentalen Ekstase des Wesens, die sich in
vielfältiger Schönheit und Seligkeit darstellt, kann es schon vor der
gnostischen Umwandlung geben. Sie überträgt sich
im Mental in die Stille einer starken Freude an spiritueller Wahrnehmung, Schau
und Erfahrung. Im Herzen bewirkt sie eine weite, tiefe oder leidenschaftliche
Wonne in universaler Einung, Liebe, Sympathie und Freude an den Wesen und an den
Dingen. Im Willen und in den vitalen Schichten fühlt man sie als die freudige
Energie einer göttlichen Lebens-Macht im Handeln oder als eine Glückseligkeit
der Sinne, die den Einen überall wahrnehmen und antreffen. Als ihre normale
ästhetische Empfindung der Dinge schauen sie die universale Schönheit und
geheime Harmonie der Schöpfung, von der unser Mental nur unvollkommene Ahnungen
oder ein seltenes übernormales Empfinden aufnehmen kann. Im Körper offenbart
sich ananda als ein Entzücken, das aus den Höhen des Geistes in ihn
einströmt, als Friede und Wonne eines reinen spiritualisierten physischen
Daseins. Die universale Schönheit und Herrlichkeit des Wesens manifestiert sich
immer mehr. Alle Gegenstände offenbaren verborgene Linien, Schwingungen, Mächte,
harmonische Bedeutungen, die vor dem normalen Mental und den physischen Sinnen
verborgen sind. In den Erscheinungen des Universums wird das ewige ananda
enthüllt.
Das sind die ersten größeren Ergebnisse der
spirituellen Transformation, die notwendigerweise aus der Natur des Supramentals
erfolgen. Wenn es aber nicht nur zu einer Vervollkommnung des inneren Seins, des
Bewußtseins einer inneren Seins-Seligkeit kommen soll, sondern zu einer
Vervollkommnung des Lebens und Handelns, erheben sich von unserer mentalen
Betrachtungsweise her zwei Fragen, die für unser Denken über unser Leben und
seine Dynamik beträchtliche, ja primäre Bedeutung haben. Die erste fragt nach
dem Ort der Persönlichkeit im gnostischen Menschen – ob der Zustand, die
Struktur des Menschen ganz anders sein werde als das, was wir als die Gestalt
und das Leben der Person erfahren, oder ob sie ihr ähnlich sind. Wenn es eine
Persönlichkeit gibt und diese irgendwie verantwortlich für ihre Handlungen sein
soll, erhebt sich hier die zweite Frage nach dem Ort des sittlichen Elements und
seiner Vervollkommnung und Erfüllung in der gnostischen Natur. Nach der
allgemeinen Annahme ist das separative Ich unser Selbst. Müsse das Ich in einem
transzendentalen oder universalen Bewußtsein verschwinden, dann müsse auch das
personale Leben und Handeln aufhören. Denn wenn das Individuum verschwinde,
könne es nur ein apersonales Bewußtsein, ein kosmisches Selbst, geben. Wenn aber
das Individuum völlig ausgelöscht werde, sei jede weitere Frage nach Personalität, Verantwortlichkeit oder sittlicher Vervollkommnung
gegenstandslos. Einer anderen Richtung zufolge bleibt die spirituelle Person
bestehen, sie ist jedoch befreit, geläutert in ihrer Natur und in einem
himmlischen Sein. Hier seien wir aber noch auf der Erde; darum werde vermutet,
die Ich-Personalität werde ausgelöscht und durch einen universalisierten
spirituellen Einzelnen ersetzt, der Zentrum und Macht des transzendenten Wesens
sei. Man könnte schließen, dieses gnostische oder supramentale Individuum sei
selbst ohne Persönlichkeit, es sei ein apersonaler purusha. Es könne zwar
viele gnostische Individuen geben, gebe aber keine Persönlichkeit; alle seien
dasselbe nach Wesen und Natur. Das würde wiederum die Vorstellung von einer
Leere oder dem Blanko eines reinen Wesens wachrufen, von dem die Aktivität und
Funktion eines erfahrenden Bewußtseins ausgehe, das aber selbst ohne die
Struktur einer solchen differenzierten Personalität wäre, wie wir diese jetzt
beobachten und in unserer äußeren Person für uns selbst halten. Das wäre jedoch
eher eine mentale als eine supramentale Lösung des Problems einer spirituellen
Individualität, die das Ich überlebt und in der Erfahrung weiterbesteht. Im
Supramental-Bewußtsein sind Personalität und Apersonalität keine
entgegengesetzten Prinzipien. Sie sind untrennbare Aspekte einer und derselben
Wirklichkeit. Diese Wirklichkeit ist nicht das Ich, sondern das Wesen, das im
Stoff seiner Natur apersonal und universal ist, aber aus ihm eine es zum
Ausdruck bringende Persönlichkeit bildet, die in den Wandlungen der Natur seine
Form des Selbsts ist.
Apersonalität ist in ihrem Ursprung etwas Fundamentales
und Universales. Sie ist ein Sein, eine Kraft, ein Bewußtsein, das verschiedene
Ausgestaltungen seines Wesens und seiner Energie annimmt. Jede solche Gestaltung
von Energie, Qualität, Macht oder Kraft wird, obwohl sie an sich noch allgemein,
apersonal und universal ist, vom individuellen Wesen als Material angenommen, um
aus ihm seine Persönlichkeit aufzubauen. So ist also in der ursprünglichen
undifferenzierten Wahrheit der Dinge die Apersonalität die reine Substanz der
Natur des Wesens, die Person. In der dynamischen Wahrheit der Dinge
differenziert sie ihre Mächte und leiht sie aus, um durch ihre Variationen die
Offenbarung der Persönlichkeit zu konstituieren. Liebe ist die Natur des
Liebenden, Mut ist die Natur des Kriegers. Liebe und Mut sind apersonale und
universale Kräfte oder Formulierungen der kosmischen Kraft. Sie sind Mächte des
Geistes, seines universalen Wesens und seiner
universalen Natur. Die Person ist das Wesen. Sie trägt und fördert das, was so
apersonal ist. Sie behält es in sich als ihr Eigenes, als die Natur ihres
Selbsts. Die Person ist das, was der Liebende, der Krieger eigentlich ist. Was
wir die Personalität der Person nennen, ist ihre Ausdrucksform im Natur-Zustand
und im Natur-Wirken. In ihrem Selbst-Sein ist sie ursprünglich und letztlich
viel mehr als das. Sie stellt eine Gestaltung ihres Selbsts heraus als ihr
manifestiertes, bereits entwickeltes natürliches Wesen oder als ihr Selbst in
der Natur. In dem gestalteten, begrenzten Individuum ist sie der personale
Ausdruck dessen, was apersonal ist. Wir können sagen, sie hat sich das Personale
angeeignet, um ein Material zu haben, mit dem sie ein bedeutungsvolles Abbild
ihrer selbst in der Manifestation herstellen kann. In ihrem ungeformten,
unbegrenzten Selbst, in ihrem wirklichen Wesen, in der wahren Person, dem
purusha, ist sie das nicht, sondern enthält sie unbegrenzte und universale
Möglichkeiten. Als das göttliche Individuum gibt sie ihnen aber ihre eigene
Richtung in der Manifestation, so daß jede unter den Vielen ein einzigartiges
Selbst des einen Göttlichen Wesens ist. Das Göttliche Wesen, das Ewige, stellt
sich nach außen dar als Sein, Bewußtsein, Seligkeit, Weisheit, Wissen, Liebe,
Schönheit. Wir können es uns als diese apersonalen und universalen Mächte seiner
selbst vorstellen, sie als die Natur des Göttlichen und des Ewigen ansehen. So
können wir sagen: Gott ist Liebe, Gott ist Weisheit, Gott ist Wahrheit oder
Gerechtigkeit: Er selbst ist aber nicht ein apersonaler Zustand oder ein
Abstraktum von Zuständen oder Eigenschaften. Er ist das Wesen, zugleich absolut,
universal und individuell. Wenn wir von dieser Grundlage aus die Dinge
betrachten, gibt es offensichtlich keinen Gegensatz, keine Unvereinbarkeit,
keine Unmöglichkeit einer Koexistenz oder einer einheitlichen Existenz des
Apersonalen und der Person. Jede ist auch die andere. Sie leben ineinander,
verschmelzen miteinander. Dennoch können sie irgendwie erscheinen, als seien sie
die verschiedenen Enden und Seiten derselben Wirklichkeit, ihre Vorderseite und
ihre Rückseite. Das gnostische Wesen ist von der Natur des Göttlichen Wesens.
Darum wiederholt es in sich selbst dieses natürliche Mysterium des Seins.
Ein supramentaler gnostischer Einzelmensch ist eine
spirituelle Person, aber keine Persönlichkeit nach dem Muster einer
feststehenden Kombination festliegender Eigenschaften, also kein festgelegter
Charakter. Er kann das nicht sein, da er ein bewußter Ausdruck des Universalen und Transzendenten ist. Sein Wesen kann aber auch kein
unverantwortliches apersonales Dahinfließen sein, das willkürlich Wellen
verschiedener Gestalt, Wogen der Persönlichkeit aufwirft, wenn es sich so durch
die Zeit ergießt. Etwas Ähnliches mag man bei Menschen fühlen, die in ihren
Tiefen keine starke zentralisierende Person haben, sondern aus einer Art
verworrener Multipersonalität, je nach dem Element handeln, das in ihnen zur
Zeit vordringlich wird. Das gnostische Bewußtsein ist aber ein Bewußtsein von
Harmonie, von Erkenntnis des Selbsts und von Meisterschaft aus dem Selbst; es
kann keine solche Unordnung hervorbringen. Gewiß gibt es verschiedene
Auffassungen über das, was eine Persönlichkeit und einen Charakter ausmacht.
Nach der einen Anschauung sieht man Persönlichkeit an als eine feststehende
Struktur von erkennbaren Eigenschaften, die eine Macht des Wesens ausdrücken.
Eine andere Auffassung unterscheidet Persönlichkeit und Charakter.
Persönlichkeit ist das Strömen eines das Selbst ausdrückenden oder empfindenden
oder reagierenden Wesens. Charakter ist geformte Festigkeit des Naturaufbaus.
Aber ein Strömen der Natur und eine Festigkeit der Natur sind zwei Aspekte, von
denen keiner allein und auch nicht beide zusammen eine Definition von
Persönlichkeit sein können. Gibt es doch in allen Menschen ein doppeltes
Element, das ungeformte, wenn auch begrenzte Strömen des Wesens oder der Natur,
aus dem die Persönlichkeit gestaltet wird; und die personale Formgestalt aus
diesem Strömen. Die Ausgestaltung mag starr werden oder verknöchern, sie mag
genügend formbar bleiben, um sich ständig zu wandeln und zu entwickeln. Sie
entwickelt sich aber aus dem gestaltungsfähigen Strömen, indem sie die
Persönlichkeit verändert oder ausweitet oder neu prägt. Gewöhnlich geschieht das
nicht durch Vernichtung einer bereits hergestellten Gestaltung oder indem diese
durch eine neue Form des Wesens ersetzt wird, – es kann nur bei abnormer
Wandlung oder übernormaler Bekehrung geschehen. Neben diesem Strömen und dieser
Verfestigung gibt es aber noch ein drittes, verborgenes Element: die Person im
Hintergrund, von der die Persönlichkeit ein Selbst-Ausdruck ist. Die Person
stellt die Persönlichkeit in den Vordergrund als ihre Rolle, ihren Charakter,
persona, im gegenwärtigen Akt des langen Dramas des manifestierten Daseins.
Die Person ist aber umfassender als ihre Persönlichkeit. So mag es sein, daß
dieses innere Übermaß in die vordergründige Gestaltung überströmt. Ergebnis ist,
daß sich das Wesen selbst in einer Weise zum Ausdruck bringt, die man
nicht länger mit festen Eigenschaften, normalen Äußerungen der
Stimmung oder exakten Umrissen beschreiben oder durch irgendwelche strukturellen
Begrenzungen markieren kann. Es ist aber auch kein Strömen ohne Unterschied, das
völlig gestaltlos und ungreifbar wäre: Obwohl das Wirken dieses Selbst-Ausdrucks
der Natur, jedoch nicht er selbst, charakterisiert werden kann, ist er doch
ausdrücklich fühlbar. Man kann ihn bei seinem Wirken verfolgen, man kann ihn
erkennen. Nur kann man ihn nicht leicht beschreiben. Ist er doch eher eine Macht
des Wesens als eine Struktur. Die gewöhnliche begrenzte Persönlichkeit kann man
durch eine Beschreibung der in ihrem Leben, Denken und Handeln ausgeprägten
Charaktereigenschaften, durch ihre ganz deutliche äußere Struktur und den
Ausdruck ihres Selbsts erfassen. Selbst wenn uns das, was nicht so deutlich
ausgedrückt ist, entgehen sollte, würde das doch offensichtlich unser im
allgemeinen angemessenes Verständnis nur wenig mindern, da das übersehene
Element gewöhnlich wenig mehr ist als ein gestaltloses Rohmaterial, der Teil des
Strömens, der nicht verwendet wurde, um einen bedeutungsvolleren Teil der
Persönlichkeit zu gestalten. Eine solche Beschreibung wäre aber jämmerlich
unangemessen, um der Person Ausdruck zu verleihen, sobald sich die Macht ihres
Selbsts im Innern in reicherem Maß manifestiert und die verborgene Macht ihres
(ihrer Göttlichkeit, d. Ü.) in die Zusammensetzung im Vordergrund und in das
Leben hervortreten läßt. Wir fühlen uns in der Gegenwart eines Lichtes von
Bewußtsein, einer Macht, eines Meeres von Energie. Wir können diese freien Wogen
von Aktivität und Qualität unterscheiden und beschreiben, die Gegenwart selbst
aber nicht deutlich fixieren. Und dennoch haben wir den Eindruck von
Persönlichkeit, von der Gegenwart eines machtvollen Wesens, von einem starken,
hohen und schönen erkennbaren Irgendwer, von einer Person, nicht von einem
begrenzten Geschöpf der Natur, sondern von einem Selbst, von einer Seele, von
purusha. Der gnostische Einzelmensch wird eine solche innere unverhüllte
Person sein, die beides in einem geeinten Selbst-Innesein umfaßt, die Tiefen – die sich nicht länger selbst verhüllen
– und das Vordergründige. Er ist nicht
eine nur äußere Persönlichkeit, die ein umfassenderes geheimes Wesen nur
teilweise zum Ausdruck bringt. Er ist nicht nur eine Welle, sondern er ist der
Ozean: Er ist der purusha, das selbstenthüllte innere bewußte Sein. Eine
künstlich geformte ausdrucksvolle Maske, die persona, hat er nicht mehr
nötig.
So ist also die Natur
der gnostischen Person ein unendliches und allumfassendes Wesen, das sein ewiges
Selbst durch bedeutungsvolle Form und in der individuellen und zeitlichen
Selbst-Manifestation sich ausdrückende Macht offenbart – oder unsere mentale
Unwissenheit ahnen läßt. Die Manifestation der individuellen Natur, ob in ihren
Umrissen scharf und unterscheidbar oder vielgestaltig, vielfältig, proteisch,
doch noch harmonisch, wäre vorhanden als Hinweis auf das Wesen, nicht als das
ganze Wesen: Man fühlt jenes Wesen dahinter. Es ist erkennbar, aber nicht
definierbar. Es ist unendlich. Auch das Bewußtsein der gnostischen Person ist
ein unendliches Bewußtsein. Es projiziert Gestaltungen, um sich auszudrücken. Es
bleibt aber immer seiner uneingeschränkten Unendlichkeit und Universalität inne.
Es überträgt Macht und Gefühl seiner Unendlichkeit und Universalität in die
Endlichkeit ihrer Ausdrucksformen – durch die es überdies nicht an der weiteren
Bewegung seiner Selbst-Offenbarung gehindert wird. Das ist aber noch kein
ungeregeltes, unkenntliches Strömen, sondern ein Prozeß der Selbst-Offenbarung,
der die innewohnende Wahrheit seiner Seins-Mächte im Einklang mit dem
harmonischen Gesetz sichtbar macht, das jeder Manifestation des Unendlichen
natürlich ist.
Aus dieser Art seiner gnostischen Individualität
entsteht nun, vom Selbst determiniert, der Charakter von Leben und Wirken des
gnostischen Menschen. In ihm kann es kein Sonderproblem ethischen oder anderen
Inhalts geben, keinen Konflikt zwischen Gut und Böse. Tatsächlich kann dort
überhaupt kein Problem entstehen, denn Probleme sind Schöpfungen mentaler
Unwissenheit, die nach Wissen sucht. Sie können nicht in einem Bewußtsein
existieren, in dem das Wissen entsteht, das aus dem Selbst geboren ist, und wo
das Handeln aus dem Wissen selbst geboren wird, aus einer präexistenten Wahrheit
des Wesens, das bewußt und des Selbsts inne ist. Eine wesenhafte und universale
spirituelle Wahrheit des Wesens manifestiert sich selbst. Sie bringt sich in
ihrer eigenen Art und ihrem das Selbst verwirklichenden Bewußtsein frei zur
Erfüllung. Das ist eine Wahrheit des Wesens, die in allen Menschen, selbst in
der unendlichen Verschiedenheit ihrer Wahrheit, eins ist und die alles als eines
fühlen läßt. Diese Wahrheit ist eigentlich ein wesenhaftes und universales
Gutes, das sich manifestiert, sich in seiner eigenen Natur und in dem das Selbst
wirksam machenden Bewußtsein zur Erfüllung bringt. Sie ist eine Wahrheit des
Guten, das in allen Menschen und für alle, sogar in der unendlichen Verschiedenheit ihres Guten, eins ist. Die Reinheit des ewigen
Selbst-Seins ergießt sich in alles Handeln und macht und erhält so alle Dinge
rein. Da könnte es keine Unwissenheit geben, die zu unrechtem Wollen und zu
fehlerhaften Schritten führt. Es ist auch kein trennender Egoismus möglich, der
durch seine Unwissenheit und seinen separaten Gegen-Willen sich selbst oder
anderen Schaden zufügt, der von seinem Ich getrieben wird, mit seiner eigenen
Seele, mit seinem Mental, Leben oder Körper in unrechter Weise umzugehen, oder
der auf Seele, Mental, Leben und Körper anderer Menschen falsch einwirkt. Das
alles ist die praktische Ursache alles Bösen unter den Menschen. Emporzukommen
in ein Jenseits von Tugend und Sünde, von Gut und Böse, ist ein wesentlicher
Teil der vedantischen Idee der Befreiung. Aus dieser Wechselbeziehung ergibt
sich eine von selbst einleuchtende Folge. Denn Befreiung bedeutet, daß wir in
die wahre spirituelle Natur des Wesens eintreten, wo jedes Wirken automatisch
Selbst-Ausdruck jener Wahrheit ist und es nichts anderes geben kann. In der
Unvollkommenheit und im Widerstreit unserer Wesensseiten zeigt sich ein Bemühen,
zum rechten Maßstab für unser Verhalten zu kommen und diesen zu beachten. Das
ist Ethik, Tugend, verdienstvolles Leben, punya. Anders zu handeln, ist
Sünde, nicht verdienstvoll, papa. Das ethische Mental proklamiert ein
Gesetz der Liebe, ein Gesetz der Gerechtigkeit, ein Gesetz der Wahrheit, Gesetze
ohne Zahl, schwer zu halten, schwierig miteinander in Einklang zu bringen. Ist
aber das Einssein mit den anderen Menschen, das Einssein mit der Wahrheit
bereits das Wesenhafte der erkannten spirituellen Natur, dann ist kein Gesetz
der Wahrheit und der Liebe mehr notwendig. Jetzt freilich muß noch das Gesetz,
der Maßstab für unser Verhalten, uns aufgezwungen werden, weil es in unserem
natürlichen Wesen noch eine Gegen-Macht der Absonderung gibt, eine Möglichkeit
der Feindschaft, eine Kraft der Zwietracht, des bösen Willens, des Streites.
Alle Ethik ist die Konstruktion eines Guten in einer Natur, die von den aus der
Finsternis geborenen Mächten der Unwissenheit mit dem Bösen heimgesucht wurde,
wie das in der alten Legende des Vedanta dargestellt wird. Wo aber alles durch
die Wahrheit des Bewußtseins und der Wahrheit des Wesens selbstbestimmt ist,
kann es keinen Standard des Guten, keinen Kampf, ihn einzuhalten, keine Tugend
oder Verdienste, keine Sünde oder Schuld in unserer Natur geben. Die Macht von
Liebe, Wahrheit und rechtem Willen wird hier herrschen, nicht als ein mental
konstruiertes Gesetz,
sondern als die
eigentliche Substanz und Konstitution unserer Natur. Sie werden durch die
Integration des Wesens auch mit Notwendigkeit zum eigentlichen Stoff und zur
konstituierenden Natur unseres Handelns. In diese Natur unseres wahren Wesens,
in die Natur der spirituellen Wahrheit und des Einsseins emporzuwachsen, ist die
Befreiung, die wir durch die Evolution des spirituellen Wesens erlangen: Die
gnostische Entwicklung verleiht uns die vollständige Dynamik, daß wir so zu uns
selbst zurückkehren können. Sobald das getan ist, verschwindet die Notwendigkeit
für Maßstäbe der Tugend, dharma. Hier gilt allein das Gesetz und die
Selbst-Ordnung der Freiheit des Geistes. Es kann hier kein von außen auferlegtes
oder konstruiertes Gesetz für das Verhalten, dharma, geben. Alles wird zu
einem Ausströmen aus dem Selbst der spirituellen Selbst-Natur, zum svadharma
des svabhava.
Hier kommen wir zum Kern des dynamischen Unterschieds
zwischen einem Leben in der mentalen Unwissenheit und einem Leben im gnostischen
Wesen und in der gnostischen Natur. Es ist der Unterschied zwischen einem
integrierten voll bewußten Menschen, der in vollem Besitz seiner eigenen
Seins-Wahrheit diese Wahrheit in seiner eigenen Freiheit ausarbeitet, frei von
allen selbst-konstruierten Gesetzen, während sein Leben dennoch eine Erfüllung
aller wahren Gesetze des Werdens in ihrer wesenhaften Bedeutung ist, und dem
Menschen in einem unwissenden, selbst-zerteilten Dasein, das nach seiner
Wahrheit sucht, um seine Ergebnisse in Gesetzen festzulegen und sein Leben nach
einem so hergestellten Muster zu gestalten. Jedes wahre Gesetz ist der rechte
Vorgang und Entwicklungsprozeß einer Wirklichkeit, einer Energie oder Macht des
Seienden in Aktion, das die ihm innewohnende Bewegung, die seiner Seins-Wahrheit
zugrundeliegt, zur Erfüllung bringt. Dieses Gesetz mag unbewußt sein, sein
Wirken mag als mechanisch erscheinen – bei dem Gesetz der materiellen Natur ist
das so oder scheint es zumindest so zu sein. Es kann auch eine bewußte Energie
sein, die in ihrem Wirken frei bestimmt wird vom Bewußtsein im Wesen, das seines
eigenen Wahrheits-Gebots und seiner formbaren Möglichkeiten zum Selbst-Ausdruck
dieser Wahrheit ebenso bewußt ist, wie es auch stets im ganzen und jeden
Augenblick im einzelnen der aktuellen Dinge inne ist, die es zu verwirklichen
hat: Das ist die Darstellung des Gesetzes des Geistes. Vollkommene Freiheit des
Geistes, eine völlig im Selbst seiende Ordnung, die aus dem Selbst erschafft,
aus dem Selbst wirksam und in der eigenen
natürlichen und unvermeidlichen Bewegung ihrer selbst sicher ist, das ist der
Charakter dieser Dynamik der gnostischen Übernatur.
Auf dem Höhepunkt des Wesens steht das Absolute mit
seiner absoluten Freiheit der Unendlichkeit, aber auch mit der absoluten
Wahrheit seiner selbst und der Macht dieser Wahrheit des Wesens. Diese beiden
Aspekte wiederholen sich im Leben des Geistes in der Übernatur. Dort ist alles
Wirken das Wirken des höchsten Selbsts, des höchsten ishvara, in der
Wahrheit der Übernatur. Es ist zugleich die Wahrheit des Wesens des Selbsts und
die mit dieser Wahrheit geeinte Wahrheit des Willens des ishvara – eine
zweieinige Wirklichkeit –, die sich in jedem individuellen gnostischen Wesen im
Einklang mit seiner Übernatur zum Ausdruck bringt. Die Freiheit des gnostischen
Einzelnen ist seine geistige Freiheit, die Wahrheit seines Wesens und die Macht
seiner Energie im Leben dynamisch zur Erfüllung zu bringen. Das heißt aber
zugleich, daß seine Natur der Wahrheit des Selbsts, die in seinem Sein
geoffenbart ist, und dem Willen des Göttlichen Wesens in ihm und in allen
gehorcht. Dieser All-Wille ist ein einziger in jedem gnostischen Einzelnen, in
vielen gnostischen Individuen und in dem bewußten All, das sie enthält und
besitzt. Dieser All-Wille ist in jedem gnostischen Menschen seiner selbst bewußt
und dort eins mit dessen eigenem Willen. Zugleich ist dieser Einzelne dessen
bewußt, daß der gleiche Wille, das gleiche Selbst und dieselbe Energie in allen
verschieden aktiv ist. Solch gnostisches Bewußtsein und solch gnostischer Wille,
der seines Einsseins in vielen gnostischen Individuen bewußt ist, der auch um
ihre übereinstimmende Ganzheit und die Bedeutung und Gemeinsamkeiten in ihrer
Verschiedenheit weiß, muß eine symphonische Bewegung, die Bewegung von Einheit,
Einklang und Gegenseitigkeit im Zusammenwirken des Ganzen sicherstellen.
Zugleich sichert er im Einzelnen Einheit und symphonische Übereinstimmung aller
Mächte und Bewegungen seines Wesens. Alle Energien des Wesens suchen ihren
Selbst-Ausdruck. In ihrer höchsten Entfaltung erstreben sie ihr Absolutes. Dies
finden sie im erhabenen Selbst. Zugleich entdecken sie dort ihr höchstes
Einssein, die Harmonie und Gegenseitigkeit eines geeinten und gemeinsamen
Selbst-Ausdrucks in seiner alles schauenden und alles vereinenden dynamischen
Macht von Selbst-Bestimmung und Selbst-Verwirklichung, die supramentale Gnosis.
Ein gesondertes selbstseiendes Wesen kann mit anderen separaten Wesen in
Spannungen leben, mit dem universalen All, in
dem sie zusammen existieren, in Widerstreit liegen und sich in einem Zustand von
Widerspruch befinden gegen jede höchste Wahrheit, die sich im Universum zum
Ausdruck bringen will. Das geschieht mit dem Einzelnen in der Unwissenheit, da
er seinen Standpunkt im Bewußtsein gesonderter Individualität einnimmt. Es kann
auch einen ähnlichen Konflikt, einen Zwist, eine Unvereinbarkeit geben zwischen
den Wahrheiten, Energien, Eigenschaften, Mächten und Wesensarten, die im
Einzelnen und im Universum als getrennte Mächte wirken. Eine Welt voller
Konflikt, ein Widerstreit in uns selbst, der Gegensatz des Einzelnen zu seiner
Umwelt sind normale und unvermeidliche Erscheinungen des trennenden Bewußtseins
der Unwissenheit und unseres schlecht harmonisierten Daseins. Im gnostischen
Bewußtsein kann das aber nicht geschehen, da dort jeder sein vollkommenes Selbst
findet und alle ihre Wahrheit und den Einklang ihrer verschiedenen Bewegungen in
Jenem entdecken, das sie alle überragt und dessen Ausdruck sie sind. Darum
herrscht im gnostischen Leben völliger Einklang zwischen dem freien
Selbst-Ausdruck des Wesens und seinem unwillkürlichen Gehorsam gegenüber dem
Gesetz, das der höchsten und universalen Wahrheit der Dinge innewohnt. Das sind
für ihn die miteinander verbundenen Seiten der einen Wahrheit. Das ist auch die
eigene höchste Wahrheit seines Wesens, die sich in der geeinten Wahrheit seiner
selbst und der Dinge in der einen Obernatur auswirkt. Dort gibt es auch völlige
Übereinstimmung zwischen den vielen und verschiedenen Mächten des Wesens und
ihres Wirkens. Denn auch die Mächte, die in ihrer hervortretenden Bewegung
widerspruchsvoll sind und, wenn wir sie mental erfahren, miteinander in Streit
zu liegen scheinen, fügen sich und ihr Wirken auf natürliche Weise ineinander,
da jede Macht ihre Wahrheit des Selbsts und die Wahrheit ihrer Beziehung zu den
anderen hat und diese in der gnostischen Übernatur im Selbst gegründet und aus
dem Selbst gestaltet wird.
Darum wird in der supramentalen gnostischen Natur nicht
mehr die starre Art und der harte Stil einer festen Regel, einer einschränkenden
Standardisierung, die Aufnötigung einer festgelegten Reihe von Prinzipien
notwendig sein. Man braucht das Leben nicht in ein System oder in ein Schema
hineinzuzwängen, das allein Geltung haben soll, weil es vom Mental als die
einzig richtige Wahrheit des Wesens und Verhaltens anerkannt wird. Denn solch
ein Maßstab kann nicht das Ganze des Lebens umschließen; solch eine Konstruktion
kann es nicht zu ihrem Inhalt machen. Es kann
sich auch nicht freiwillig dem Druck des All-Lebens oder den Notwendigkeiten der
evolutionären Kraft anpassen. Da muß das Leben sich selbst oder den von ihm
konstruierten Begrenzungen entfliehen, sei es durch seinen Tod, sei es durch
seinen Zerfall oder durch heftigen Konflikt und revolutionären Aufruhr. Das
Mental muß sein begrenztes Lebens-Gesetz und seine Lebensweise auf solche Weise
auswählen, weil es in sich selbst gebunden und in seiner Schau und Fähigkeit
begrenzt ist. Der gnostische Mensch aber nimmt das Ganze des Lebens und Daseins
in sich auf. Er erfüllt und verwandelt es in den harmonischen Selbst-Ausdruck
einer unermeßlichen Wahrheit, die eins und verschiedenartig, unendlich eins und
unendlich vielfältig ist. So werden Wissen und Wirken des gnostischen Menschen
die Weite und Vielgestaltigkeit unendlicher Freiheit haben. Dieses Wissen wird
seine Gegenstände zugleich mit seinem Eintreten in die umfassende Weite des
Ganzen erfassen. Es ist nur durch die integrale Wahrheit des Ganzen und die
vollständige und innerste Wahrheit des Gegenstandes gebunden, nicht aber durch
die gestaltete Idee oder durch festgelegte mentale Symbole, durch die das Mental
gefangen, festgehalten und eingesperrt wird, so daß es die Freiheit seines
Erkennens verliert. Auch wird seine ganze Aktivität nicht durch den Zwang
starrer Regeln gefesselt oder durch Verpflichtungen einem vergangenen Zustand
oder Wirken gegenüber oder durch dessen zwingende Folge, das karma. Sein
Handeln hat jene sich aus dem Unendlichen ergebende, jedoch vom Selbst gelenkte
und sich aus dem Selbst entwickelnde Formbarkeit, mit der das Unendliche
unmittelbar auf seine endlichen Gestaltungen einwirkt. Diese Bewegung verursacht
kein Dahinströmen, kein Chaos, sondern einen befreiten und harmonischen Ausdruck
der Wahrheit. Das ist freie Selbst-Bestimmung des spirituellen Wesens in einer
formbereiten, völlig bewußten Natur.
Im Bewußtsein des Unendlichen bricht die Individualität
nicht das kosmische Ganze auseinander und engt es nicht ein; und das Kosmische
widerspricht nicht der Transzendenz. Das gnostische Wesen, das im Bewußtsein des
Unendlichen lebt, erschafft sich seine Selbst-Manifestation als Individuum. Es
tut das aber als Mittelpunkt einer umfassenderen Universalität und zugleich als
Mittelpunkt der Transzendenz. Als allumfassendes Individuum wird es in all
seinem Handeln in Harmonie mit dem kosmischen Wirken sein. Hinsichtlich seiner
Transzendenz ist es aber nicht durch eine vorübergehende niedere Ausdrucksform
begrenzt oder sämtlichen kosmischen Kräften auf
Gnade und Ungnade ausgeliefert. Seine Universalität wird sogar die Unwissenheit
seiner Umgebung in sein umfassenderes Selbst einbeziehen. Doch würde es, da es
ihrer gründlich bewußt ist, nicht von ihr beeinträchtigt werden. Es wird dem
höheren Gesetz seiner transzendenten Individualität folgen und deren gnostische
Wahrheit in seiner Seins- und Wirkweise zum Ausdruck bringen. Sein Leben wird so
zu einem freien harmonischen Ausdruck des Selbsts. Da aber sein höchstes Selbst
eins ist mit dem Wesen des ishvara, wird die natürliche göttliche Lenkung
seines Selbst-Ausdrucks durch den ishvara, durch sein höchstes Selbst und
die Übernatur, die seine höchste Natur ist, in Wissen, Leben und Wirken
automatisch eine umfassende, unbegrenzte, aber vollkommene Ordnung bringen. Der
Gehorsam seiner individuellen Natur gegenüber dem ishvara und der
Übernatur wird zur natürlichen Übereinstimmung, der eigentlichen Voraussetzung
für die Freiheit des Selbsts. Denn es ist ein Gehorsam gegenüber seinem höchsten
Wesen, eine Antwort an den Ursprung seines Daseins. Die individuelle Natur ist
hier nichts Abgesondertes; sie ist eine Strömung aus der Ubernatur. Die
Antinomie von purusha und prakriti, diese eigentümliche Trennung
und Unausgewogenheit von Seele und Natur, unter der die Unwissenheit leidet, ist
hier völlig beseitigt. Denn nun ist die Natur das Ausströmen der Selbst-Kraft
der Person; die Person ist das Ausströmen aus der höchsten Natur, die
supramentale Macht des Wesens des ishvara. Es ist diese erhabene Wahrheit
seines Wesens, ein unendlich harmonisches Prinzip, das die Ordnung seiner
spirituellen Freiheit schafft, eine zuverlässige, unwillkürliche und formbare
Ordnung.
Im niederen Dasein ist die Gesetzmäßigkeit
unwillkürlich, bindet die Natur ohne Ausnahme, sind ihre Bahnen streng
festgelegt. Die kosmische Bewußtseins-Kraft entwickelt ein Schema der Natur und
deren gewohnheitsmäßiges Gepräge, ihre festgelegte Routine des Wirkens. Sie
zwingt das unterrationale Wesen, nach dem Schema, dem Gepräge oder der für es
geschaffenen Routine zu leben und zu handeln. Von diesem im voraus festgelegten
Schema, von dieser Routine, geht das Mental im Menschen aus. Im Gang seiner
Entwicklung erweitert es aber diesen Plan, vergrößert die Schablone und
versucht, dieses unbewußte oder halb-bewußte Gesetz des automatischen Ablaufs
durch eine Ordnung zu ersetzen, die sich auf Ideen, tiefere Bedeutungen und
angenommene Lebens-Motive gründet. Oder es versucht, durch die Intelligenz Maßstäbe aufzustellen, ein durch ein rationales Ziel, durch
Nützlichkeit oder Brauchbarkeit bestimmtes Rahmenwerk zu konstruieren. Doch gibt
es in den Wissens- oder Lebens-Strukturen des Menschen nichts wirklich Bindendes
oder Dauerhaftes. Er kann aber neue Maßstäbe für sein Denken, Erkennen, seine
Persönlichkeit, sein Leben und Verhalten setzen und, mehr oder minder bewußt und
vollständig, sein Dasein auf sie gründen oder zumindest versuchen, bestmöglich
sein Leben im gedanklichen Rahmen des von ihm angenommenen oder erwählten
Gesetzes, dharma, zu gestalten. Beim Übergang zum spirituellen Leben ist,
im Gegensatz hierzu, das höchste Ideal nicht mehr ein Gesetz, sondern Freiheit
im Geist. Der Geist bricht durch alle Formeln hindurch, um sein Selbst zu
finden. Muß er sich immer noch um Gestaltung nach außen kümmern, dann wird er
zur Freiheit eines uneingeschränkten und wahren, statt künstlichen Ausdrucks, zu
einer wahren und spontan spirituellen Ordnung kommen. “Gib jedes dharma,
alle Maßstäbe und Regeln für dein Leben und Wirken auf und nimm deine Zuflucht
allein zu Mir” (Gita, XVIII, 66). Das ist die höchste Regel für ein
vollkommenes Dasein, die dem Suchenden vom Göttlichen Wesen vorgehalten wird.
Wenn wir nach dieser Freiheit trachten, wenn wir loskommen wollen von einem
konstruierten Gesetz, um in das Gesetz des Selbsts und Geistes einzutreten, wenn
wir die mentale Lenkung zurückweisen, um sie durch die Lenkung durch die
spirituelle Wirklichkeit zu ersetzen, wenn wir die niedere konstruierte Wahrheit
des Mentals aufgeben und uns dafür der höheren essentiellen Wahrheit des Wesens
unterstellen, – können wir durch eine Stufe hindurchgehen, in der es zwar innere
Freiheit, aber auch Mangel an äußerer Ordnung gibt, ein im Fließen der Natur
dahintreibendes Handeln, kindisch und träge wie ein reglos und passiv am Boden
liegendes oder vom Winde verwehtes Blatt, oder ein Verhalten, das nach außen
sogar als unzusammenhängend oder überspannt erscheint. Man kann aber auch zu
einer vorübergehenden geordneten Art, das Selbst spirituell zum Ausdruck zu
bringen, gelangen, die für die Stufe ausreicht, die man in einer gewissen Zeit
oder in diesem Leben erreichen kann. Es kann eine personale Ordnung sein, das
Selbst auszudrücken, die mit der Norm dessen übereinstimmt, was man bis jetzt
von der spirituellen Wahrheit verwirklicht hat. Später ändert sich das in freier
Weise durch die Kraft der Spiritualität, um die noch umfassendere Wahrheit
auszudrücken, die man nun weiter zu verwirklichen hat. Der supramentale
gnostische Mensch befindet sich aber in einem Bewußtsein, in dem das
Wissen selbst-seiend ist und sich im Einklang mit der Ordnung manifestiert, die
vom Willen des Unendlichen in der Übernatur selbst-bestimmt ist. Diese
Bestimmung durch das Selbst im Einklang mit einem selbst-seienden Wissen ersetzt
den Automatismus der Natur und die Maßstäbe des Mentals durch die spontane
Unmittelbarkeit der Wahrheit, die im eigentlichen Kern des Seins selbst-bewußt
und selbst-handelnd ist.
Im gnostischen Menschen wird dieses selbst-bestimmende
Wissen, das freiwillig der Wahrheit des Selbsts und der ganzen Wahrheit des
Seienden zwanglos gehorcht, zum eigentlichen Gesetz seines Daseins. Wissen und
Wollen werden in ihm eins und können nicht in Widerstreit stehen. Wahrheit des
Geistes und des Lebens werden eins und können nicht gegensätzlich zueinander
sein. Wenn sein Wesen sich auswirkt, kann es keinen Streit, keine ungleiche oder
gegensätzliche Spannung zwischen dem Geist und den Gliedern geben. Im
Supramental-Bewußtsein sind die beiden Prinzipien von Freiheit und Gesetz, die
sich im Mental und Leben ständig als gegensätzlich oder unvereinbar darstellen – obwohl sie das nicht zu sein brauchen, wenn die Freiheit durch das Wissen
behütet und das Gesetz auf die Wahrheit des Wesens gegründet ist –, einander
nahe verwandt und eben fundamental eins. Das ist so, weil beide als die
untrennbaren Aspekte der inneren spirituellen Wahrheit und damit auch als ihre
Bestimmungen eins sind. Jede ist in der anderen innerlich gegenwärtig, denn
beide entstehen aus einer Identität und stimmen deshalb im Wirken gemäß
natürlicher Identität überein. Der gnostische Mensch fühlt in keiner Weise und
in keinem Grad seine Freiheit durch eine Zwangsordnung seines Denkens oder
seiner Handlungen beschränkt, da diese Ordnung eine innere und unwillkürliche
ist. Er empfindet die Freiheit und die Ordnung seiner Freiheit als eine einzige
Wahrheit seines Wesens. Seine Freiheit des Wissens bedeutet keineswegs, daß er
der Unwahrheit oder dem Irrtum folgen dürfte. Denn er muß ja nicht, wie das
Mental, durch die Möglichkeit von Irrtum hindurchgehen, um zu erkennen. Im
Gegenteil, bei jeder solchen Abweichung würde er aus der Fülle seines
gnostischen Selbsts herausfallen. Das wäre eine Minderung seiner
Selbst-Wahrheit, etwas, das seinem Wesen fremd und schädlich ist. Denn seine
Freiheit ist eine Freiheit des Lichts, nicht eine der Finsternis. Seine Freiheit
zu handeln ist nicht die Willkür, einem bösen Willen oder den Impulsen der Unwissenheit zu folgen. Denn auch das ist seinem Wesen fremd; es
würde dieses beschränken und mindern, nicht aber befreien. Er fühlt den Antrieb,
eine Unwahrheit oder einen bösen Willen auszuführen, nicht als eine zur Freiheit
führende Bewegung, sondern als eine Vergewaltigung, die der Freiheit des Geistes
zugefügt wird, als feindliches Eindringen und Zwang, als Angriff auf seine
Übernatur, als die Tyrannei einer fremden Natur.
Ein supramentales Bewußtsein muß in seiner Grundlage
ein Wahrheits-Bewußtsein, ein unmittelbares, innewohnendes Bewußtsein der
Wahrheit des Wesens und der Wahrheit der Dinge sein. Es ist eine Macht des
Unendlichen, das seine Endlichkeiten kennt und sie ausarbeitet. Es ist eine
Macht des Allumfassenden, das sein Einssein und die Einzelheiten, sein
kosmisches Sein und dessen Individualitäten kennt und ausarbeitet. In seinem
Selbst ist es im Besitz der Wahrheit. Es braucht nicht nach der Wahrheit zu
suchen oder unter dem Gefühl der Sorge zu leiden, daß es sie verfehlen könnte,
wie das beim Mental der Unwissenheit der Fall ist. Der entwickelte gnostische
Mensch ist in dieses Wahrheits-Bewußtsein des Unendlichen und Allumfassenden
eingegangen, und es bestimmt dann für ihn und in ihm all sein individuelles
Erkennen und Handeln. Er besitzt nun ein Bewußtsein von allumfassender Identität
und daraus folgend – oder eigentlich ihm eigen – ein Wahrheits-Wissen,
Wahrheits-Schauen, Wahrheits-Fühlen, Wahrheits-Wollen, eine Wahrheits-Vernunft
und Wahrheits-Dynamik des Handelns. Dies alles ist in seiner Identität mit dem
Einen enthalten oder entsteht selbsttätig aus seiner Identität mit dem All. Sein
Leben wird dadurch zu einem Vorwärtsgehen auf den Bahnen spiritueller Freiheit
und umfassender Weite. Es ersetzt das Gesetz der Mental-Idee und das Gesetz des
vitalen physischen Bedürfens, des Verlangens und der zwingenden Gewalt der
Lebensumwelt. So wird sein Leben und Wirken durch nichts anderes gebunden als
durch die Göttliche Weisheit und den Göttlichen Willen, die entsprechend seinem
Wahrheits-Bewußtsein auf ihn und in ihm wirken. Nun könnte man erwarten, im
Leben in der Unwissenheit könnte das Fehlen eines aufgezwungenen
Gesetzes-Systems zu einem Wirrwarr von Konflikten, zu Ausschweifung und
ichhafter Unordnung führen, weil sich das menschliche Ich verselbständigt hat
und zu kleinlich ist und den Drang fühlt, in das Leben anderer einzugreifen, es
in Besitz zu nehmen und für sich zu verwenden. Das alles kann aber im Leben des
gnostischen Menschen nicht existieren. Denn im gnostischen Wahrheits-Bewußtsein des supramentalen Wesens muß es notwendig eine
Wahrheit der rechten Beziehung aller Teile und Bewegungen des Wesens geben – sei
es des Wesens des Einzelnen oder des Wesens eines gnostischen Kollektivs –, ein
spontanes und erleuchtetes Einssein und Ganzsein in allen Bewegungen des
Bewußtseins und bei jedem Wirken im Leben. Hier kann es keinen Streit zwischen
den Gliedern geben. Denn es ist nicht nur das Bewußtsein des Wissens und Wollens
in diese vollständige Harmonie von Ganzheit und Einheit eingeschlossen, sondern
auch das Bewußtsein des Herzens, das Lebens-Bewußtsein und das
Körper-Bewußtsein, alles, was in uns die emotionalen, vitalen oder physischen
Seiten unserer Natur ausmacht. In unserer Sprache könnten wir sagen, der
supramentale Wissens-Wille des gnostischen Menschen übt eine vollkommene
Kontrolle aus über Mental, Herz, Leben und Körper. Diese Beschreibung könnte
aber nur für die Übergangsstufe gelten, wenn die Übernatur diese Wesensseiten in
ihre Art umprägt. Sobald dieser Übergang vollzogen ist, bedarf es keiner
Kontrolle mehr. Alles wird dann ein einziges geeintes Bewußtsein und ein Ganzes
in einer ungezwungenen integralen Einheit sein.
Im gnostischen Menschen kann es keinen Widerstreit
zwischen der Selbst-Behauptung des Ichs und einer Lenkung durch ein Über-Ich
geben. Denn da das gnostische Individuum mit seinem Handeln im Leben sich selbst
und die Wahrheit seines Wesens ausdrückt, zugleich aber auch den Göttlichen
Willen – da er das Göttliche Wesen als sein wahres Selbst und als den Ursprung
und die konstituierende Macht seiner spirituellen Individualität erkennt –, sind
diese beiden Triebfedern seines Verhaltens nicht nur in jeder einzelnen Aktion
gleichzeitig, sondern auch ein und dieselbe Antriebskraft. Diese Motiv-Macht
wirkt bei jeder Veranlassung im Einklang mit der Wahrheit des Umstandes; beim
Menschen im Einklang mit seinem Bedürfen, seiner Natur und seinen Beziehungen;
im Ereignis im Einklang mit dem, was der Göttliche Wille von diesem Ereignis
fordert. Denn hier ist alles das Ergebnis eines komplexen Zusammenwirkens und
einer engen Verknüpfung vieler Kräfte der einen Kraft. Das gnostische Bewußtsein
und der Wahrheits-Wille schauen die Wahrheit dieser Kräfte, einer jeden
einzelnen und aller zusammen. Sie üben die notwendige Einwirkung oder den
Eingriff auf den Kräfte-Komplex aus, um auszuführen, was nach jenem Willen durch
diesen getan werden soll, – allein dies und nichts mehr. Als Folge dieser
überall gegenwärtigen Identität, die alles lenkt
und alle Unterschiede harmonisiert, kann es für ein trennendes Ich, das auf
seine gesonderte Ich-Durchsetzung aus ist, keinen Spielraum geben. Der Wille des
Selbsts des gnostischen Menschen ist eins mit dem Willen des ishvara; er
ist kein trennender oder gegensätzlicher Ich-Wille mehr. Dieser Wille wird die
Freude am Handeln und an dessen Ergebnis haben, ist aber frei von allem
Ich-Anspruch, von aller Gebundenheit an das Handeln und von allem Verlangen nach
dessen Frucht. Er tut nur das, von dem er einsieht, daß es getan werden muß,
weil er zu diesem Tun innerlich veranlaßt ist. In der mentalen Natur kann es zu
Gegensätzlichkeit und Widerstreit zwischen der Anstrengung des Ichs und dem
Gehorsam gegenüber dem Höheren Willen kommen. Betrachtet sich hier doch das Ich
oder die Pseudo-Person als verschieden vom Höchsten Wesen, dem Willen und der
Person. Im gnostischen Menschen ist aber die Person ein Wesen aus dem Wesen.
Darum kann es zu keiner Opposition und zu keinem Widerstreit kommen. Das Wirken
der Person ist das Wirken des ishvara in der Person, des Einen in den
Vielen. Es kann keinen Grund geben für die abgetrennte Durchsetzung eines
Ich-Willens oder des Stolzes auf eigene Unabhängigkeit.
Auf diese Tatsache, daß das Göttliche Wissen und die
Göttliche Kraft, die erhabene Übernatur, durch den gnostischen Menschen mit
dessen voller Teilnahme handelt, gründet sich die Freiheit des gnostischen
Menschen. Diese Einheit gibt ihm seine Befreiung. Auf die Einheit seines Willens
mit dem Willen des Ewigen gründet sich die Unabhängigkeit des spirituellen
Menschen gegenüber dem Gesetz, einschließlich des moralischen Gesetzes, die so
häufig behauptet wird. Da müssen alle mentalen Maßstäbe verschwinden, da jede
Notwendigkeit für sie aufhört. Das höhere verbürgte Gesetz der Identität mit dem
Göttlichen Selbst und der Identität mit allen Wesen hat sie ersetzt. Dort wird
man auch nicht nach Selbstsucht und Altruismus fragen, nach dem eigenen Ich und
nach dem der anderen, da man alle als das eine Selbst sieht und fühlt und nur
das tut, was die höchste Wahrheit und die höchste Güte bestimmt. Beim Handeln
fühlt man, wie eine selbst-seiende allumfassende Liebe, ein Mitempfinden, ein
Einssein alles durchdringt. Aber dieses Fühlen dringt ganz und gar in das Wirken
ein, färbt und motiviert es, beherrscht und bestimmt es nicht nur von außen her.
Diese Liebe steht nicht für sich selbst da, in Opposition gegen die umfassendere
Wahrheit der Dinge. Sie diktiert auch nicht ein aus persönlichen Gründen
verursachtes Abweichen von der göttlich gewollten wahren Bewegung. Eine solche Opposition und Abweichung könnte nur in der
Unwissenheit geschehen, wo Liebe oder irgendein anderes starkes Prinzip der
Natur von der Weisheit ebenso abgesondert sein kann, wie sie von der Macht
geschieden ist. In der supramentalen Gnosis stehen aber alle Mächte einander
innig nahe und wirken als eine einzige Macht. In der gnostischen Person lenkt
und bestimmt das Wahrheits-Wissen; alle anderen Kräfte des Wesens wirken in
ihrer Aktion zusammen. Da gibt es keinen Raum für Disharmonie und Streit
zwischen den Mächten der Natur. In allem Wirken gibt es nur ein Gebot des Seins,
das erfüllt zu werden sucht. Eine noch nicht offenbar gewordene Wahrheit des
Seienden soll manifestiert werden. Eine sich manifestierende Wahrheit soll
entwickelt, weiter verfolgt und in der Manifestation vervollkommnet werden. Oder
sie soll, wenn ihr Ziel schon erreicht ist, die tiefe Freude an ihrem Wesen und
ihrer Selbst-Verwirklichung genießen. Im halben Licht und in der halben Nacht
der Unwissenheit bleibt dieses Gebot verborgen oder nur halb-offenbar. Der
Drang, es zu erfüllen, ist eine unvollkommene, ringende, zum Teil enttäuschte
Bewegung. Im gnostischen Menschen und seinem Leben werden die Gebote des Wesens
im Innern gefühlt, unmittelbar wahrgenommen und im Wirken entfaltet. Das ist ein
freies Spiel ihrer Möglichkeiten. Die Verwirklichung geschieht im Einklang mit
der Wahrheit der Umstände und der Absicht der Obernatur. All das wird im Wissen
geschaut und entfaltet sich im Handeln. Da gibt es kein unsicheres Kämpfen und
kein Sich-Quälen mit den zum Wirken eingesetzten Kräften. Es ist auch kein Raum
für Disharmonie des Wesens und für ein widersprüchliches Wirken des Bewußtseins:
Ganz überflüssig wird es, die äußerlichen Maßstäbe eines mechanischen Gesetzes
dort aufzuzwingen, wo es diese innewohnende Macht der Wahrheit und ihr spontanes
Wirken im Handeln unserer Natur gibt. Denn das Gesetz und das natürliche
Kräftespiel allen Seins besteht darin, daß wir durch harmonisches Wirken den
göttlichen Beweggrund ausarbeiten und die gebotene Wahrheit der Dinge ausführen.
Das Prinzip supramentalen Lebens ist das Wissen durch
Identität, das die Mächte des vervollständigten Wesens zur Bereicherung der
Instrumentation verwendet. Auf den anderen Stufen des gnostischen Wesens ist die
Instrumentation von anderer Ordnung; doch erfüllt sich auch hier eine Wahrheit
von spirituellem Wesen und Bewußtsein. So wirkt ein Höheres Mental durch die
Wahrheit des Denkens, die Wahrheit der Idee, und
bringt sie in der Lebens-Aktivität zur Vollendung. In der supramentalen Gnosis
jedoch ist das Denken eine abgeleitete Bewegung; es ist eine Ausdrucksform der
Wahrheits-Schau, nicht die bestimmende oder hauptsächliche Antriebs-Kraft.
Denken ist hier eher ein Werkzeug, um Erkenntnis auszudrücken, als um Erkenntnis
zu gewinnen oder um zu handeln. Es dringt in das Handeln nur als vorstoßende
Spitze vom Ganzen des Identitäts-Willens und Identitäts-Wissens ein. In gleicher
Weise sind im erleuchteten gnostischen Menschen die unmittelbare Berührung mit
der Wahrheit und die wahrnehmenden Wahrheits-Sinne hauptsächliche Triebfedern
des Handelns. Im Übermental verursacht das verstehende unmittelbare Erfassen der
Wahrheit der Dinge und des Wesensprinzips jedes Dinges mit all seinen
dynamischen Folgen die große Weite gnostischer Schau und gnostischen Denkens. Es
faßt sie zusammen und erschafft so ein Fundament für Wissen und Handeln. Diese
umfassende Weite von Wesen, Schau und Handeln ist das bunte Ergebnis eines
zugrundeliegenden Identitäts-Bewußtseins. Die Identität selbst tritt noch nicht
als der eigentliche Stoff des Bewußtseins oder als die wirkliche Kraft des
Handelns in den Vordergrund. In der supramentalen Gnosis kehrt aber alles
erleuchtete unmittelbare Erfassen der Wahrheit der Dinge, der Wahrheits-Sinn,
die Wahrheits-Schau und das Wahrheits-Denken, wieder in seinen Ursprung im
Identitäts-Bewußtsein zurück, um dort weiter zu bestehen als ein einziger Körper
seines Wissens. Das Identitäts-Bewußtsein lenkt nun und enthält alles. Es
manifestiert sich als Bewußtheit im Kern der Wesens-Substanz und offenbart die
ihm innewohnende, sich selbst erfüllende Kraft. Es bestimmt sich selbst
dynamisch in der Form von Bewußtsein und in der Form von Wirken. Die ihr
innewohnende Bewußtheit ist Ursprung und Prinzip des Wirkens der supramentalen
Gnosis. Sie könnte sich mit sich selbst begnügen und hätte es nicht nötig,
irgendetwas auszudrücken oder zu verkörpern. Aber das Spiel erleuchteter Schau,
das Spiel strahlenden Denkens, das Spiel aller anderen Bewegungen des
spirituellen Bewußtseins würde dabei nicht fehlen. Es gäbe eine freie
Instrumentation um ihres brillanten Wirkens willen, um einer göttlich reichen
Fülle und Verschiedenartigkeit willen, wegen der mannigfaltigen Freude an der
Selbst-Offenbarung und wegen der Freude an den Mächten des Unendlichen. In den
Zwischen-Stufen oder -Graden der Gnosis kann es die Offenbarung von
unterschiedlichen und getrennten Ausdrucksweisen für die Aspekte des göttlichen
Wesens und der göttlichen Natur
geben: eine
Seele und ein Leben von Liebe; eine Seele und ein Leben von göttlichem Licht und
Wissen; eine Seele und ein Leben von göttlicher Macht, von souveränem Wirken und
Erschaffen, sowie unzählige andere Formen göttlichen Lebens. Auf der
supramentalen Höhe wird dies alles in eine vielfältige Einheit, in eine höchste
Vervollständigung von Wesen und Leben emporgehoben. Erfüllung des Wesens in
einer erleuchteten und wonnevollen Vereinheitlichung seiner Zustandsformen und
Mächte, sowie ihres in sich ausgeglichenen dynamischen Wirkens ist der Sinn
dieses gnostischen Seins.
Alle supramentale Gnosis ist ein zweifaches Wahrheits-Bewußtsein: ein Bewußtsein der inneren Erkenntnis des Selbsts und, infolge der Identität von Selbst und Welt, ein Bewußtsein gründlicher Welt-Erkenntnis. Diese Erkenntnis ist das Kriterium, die charakteristische Macht der Gnosis. Das ist nicht rein ideative Erkenntnis, kein Bewußtsein, das Ideen beobachtet, sie gestaltet und dann versucht, sie auszuführen. Es ist ein wesenhaftes Bewußtseins-Licht, das Selbst-Licht aller Wirklichkeiten von Wesen und Werden, die Selbst-Wahrheit des Wesens, das sich selbst bestimmt, formuliert und wirksam macht. Zweck der Manifestation ist es, zu sein, nicht zu erkennen. Erkenntnis ist nur die Instrumentation für ein zum Wirken hervortretendes Bewußtsein des Wesens. So ist das gnostische Leben auf der Erde eine Manifestation oder ein Spiel des wahrheits-bewußten Wesens. Das Wesen ist seiner selbst in allen Dingen bewußt geworden. Es geht dem Bewußtsein seiner selbst nicht mehr verloren, ist nicht mehr tief hinabgesunken in ein Selbst-Vergessen oder Halb-Vergessen seines wirklichen Seins, das deshalb eintrat, weil es in Form und Handeln vertieft war. Vielmehr verwendet es nun Form und Handeln mit einer entbundenen spirituellen Macht, um sich frei und vollkommen auszudrücken. Nun sucht es nicht mehr nach seiner verlorenen, vergessenen oder verhüllten und verborgenen Bedeutung oder seinen Bedeutungen. Es ist nicht mehr gebunden, sondern erlöst aus Unbewußtheit und Unwissenheit. Es ist seiner Wahrheiten und Mächte innegeworden. Es bestimmt frei, in einer Bewegung, die sich in jeder Einzelheit stets in Übereinstimmung und Einklang befindet mit seiner höchsten und allumfassenden Wirklichkeit, seine Manifestation, das Spiel seiner Substanz, das Spiel seines Bewußtseins, das Spiel seiner Daseins-Kraft, das Spiel seiner Seins-Seligkeit.
In der gnostischen
Entwicklung wird es eine große Mannigfaltigkeit in Haltung, Zustand und
harmonisierten Wirkweisen von Bewußtsein, Kraft und Daseins-Freude geben.
Natürlicherweise zeigen sich im Lauf der Zeit viele Stufen weiteren Aufstiegs
des sich entfaltenden Supramentals zu seinen Gipfelhöhen. Alle haben aber die
gemeinsame Basis und das gemeinsame Prinzip. Bei seiner Manifestation ist der
Geist, das Seiende, obwohl er sein ganzes Selbst erkennt, nicht verpflichtet,
alles von sich in die aktuelle Außenseite von Gestaltung und Handeln
herauszustellen, die seine unmittelbare Macht und der Grad seines
Selbst-Ausdrucks sind. Der Geist kann einen vordergründigen Selbst-Ausdruck
herausstellen und alles übrige von sich in der unausgedrückten Seligkeit seines
Selbst-Seins zurückhalten. Jenes Alles im Hintergrund und seine Seligkeit finden
sich im Vordergründigen, erkennen sich darin selbst und halten hier ihren
Selbst-Ausdruck, ihre Manifestation, durch die eigene Gegenwart aufrecht und
durchtränken sie mit dem Gefühl für seine Ganzheit und Unendlichkeit. Diese
frontale Gestaltung ist wegen all dem übrigen hinter ihr und weil sie in der
Macht des Wesens festgehalten wird ein Akt der Selbst-Erkenntnis und nicht der
Unwissenheit. Sie ist ein erleuchteter Ausdruck der Überbewußtheit, kein
Aufwallen aus der Unbewußtheit. Große, abgestimmte Variation ist darum ein
Element in der Schönheit und Vollständigkeit der Entwicklung gnostischen
Bewußtseins und Seins. Gerade bei seinem Umgang mit dem Mental der Unwissenheit
in seiner Umgebung verwendet das supramentale Leben diese ihm eingeborene Macht
und Bewegung der Wahrheit seines Wesens ebenso wie bei seinem Umgang mit den
noch niederen Graden der gnostischen Entwicklung. Im Lichte dieser integralen
Wirklichkeit setzt es seine eigene Wahrheit des Wesens in Beziehung zu jener
Wahrheit des Wesens, die hinter der Unwissenheit steht. So gründet es alle
Beziehungen auf die gemeinsame spirituelle Einheit und nimmt es die
manifestierte Unterschiedlichkeit an, um sie in Einklang zu bringen. Das
gnostische Licht wird die rechte Beziehung, das rechte Handeln, die rechte
Reaktion eines jeden auf jeden anderen unter allen Umständen sicherstellen. Die
gnostische Macht, der gnostische Einfluß werden stets eine symphonische
Beziehung durchsetzen, die rechte Beziehung des entwickelteren zu dem weniger
entwickelten Leben sicherstellen und durch ihren Einfluß dem niederen Dasein
eine größere Harmonie vermitteln.
Soweit wir der
Evolution mit unserem mentalen Begreifen bis zu dem Punkt folgen können, wo sie
aus dem Übermental hervortritt und die Grenze zur supramentalen Gnosis
überschreitet, ist das die Art von Wesen, Leben und Wirken des gnostischen
Einzelnen. Dieser Charakter der Gnosis bestimmt offensichtlich alle Beziehungen
des Lebens oder Gruppen-Lebens gnostischer Menschen. Denn ein gnostisches
Kollektiv ist ebenso eine kollektive Seelen-Macht des Wahrheits-Bewußtseins, wie
der gnostische Einzelmensch eine individuelle Seelen-Macht aus ihm ist. Es muß
dieselbe Vereinigung von Leben und Handeln im Gleichklang sein, die gleiche
verwirklichte und bewußte Einheit des Wesens, die gleiche Ungezwungenheit haben
und das tiefe Gefühl des Einsseins, eine einzige und gegenseitige
Wahrheits-Schau und Wahrheits-Empfindung der einzelnen Selbste und der Selbste
miteinander, das gleiche Wahrheits-Wirken in der Beziehung eines jeden zu jedem
anderen und aller zu allen. Dieses Kollektiv ist keine mechanische, sondern eine
spirituelle integrale Einheit und handelt als solche. In ähnlicher Weise ist die
Einheit von Freiheit und Ordnung unvermeidliches Gesetz kollektiven Lebens. Die
Freiheit eines unterschiedlichen Spiels des Unendlichen in göttlichen Seelen,
eine Ordnung von bewußter Einheit der Seelen ist das Gesetz des supramentalen
Unendlichen. Unsere mentale Auffassung von Einheit unterstellt ihr das Gesetz
der Gleichheit. Ein durch die mentale Vernunft zustandegebrachtes Einssein
drängt auf eine durchgehende Standardisierung als sein einzig wirksames Mittel.
Nur geringfügige Andeutungen von Differenzierung können praktisch zugelassen
werden. Das Gesetz des gnostischen Lebens setzt aber die größte Verschiedenheit
im Selbst-Ausdruck des Einsseins voraus. Im gnostischen Bewußtsein führt
Unterschiedlichkeit nicht zu Zwist, sondern zur freiwilligen natürlichen
Anpassung, zum Empfinden des Sich-einander-Ergänzens zur Fülle, zur vielseitigen
Verwirklichung der Sache, die kollektiv erkannt, getan und im Leben
ausgearbeitet werden soll. Wird doch die Schwierigkeit in Mental und Leben vom
Ich dadurch geschaffen, daß es integral Zusammengehöriges in Teile zertrennt,
die sich als Gegensätze, Widersprüche und Grundverschiedenheiten darstellen.
Alles, worin sie sich unterscheiden, wird leicht empfunden, durchgesetzt und
betont. Das, worin sie sich begegnen, was ihre Unterschiedlichkeiten
zusammenhält, wird weithin verfehlt oder nur mit Schwierigkeiten entdeckt. Alles
muß dadurch getan werden, daß man durch eine konstruierte Einheit die
Unterschiede überwindet oder sie
einander
angleicht. Gewiß gibt es ein grundlegendes Prinzip von Einheit. Die Natur drängt
darauf, daß es in einer Konstruktion der Einheit zum Vorschein kommt. Denn die
Natur ist ebenso kollektiv und gesellschaftlich wie individuell und ichhaft. Sie
besitzt ebenso ihre Instrumentation der Vergesellschaftung, Sympathien,
gemeinsamen Bedürfnisse, Interessen, Anziehungen und Verwandtschaften, wie ihre
gewalttätigen Mittel, Einheit zu erzwingen. Aber ihre sekundär durchgesetzte und
so aufdringliche Basis von Ich-Leben und Ich-Natur überlagert die Einheit und
verdirbt alle ihre Konstruktionen durch Unvollkommenheit und Unsicherheit. Eine
weitere Schwierigkeit ist dadurch gegeben, daß Intuition und unmittelbare innere
Berührung fehlen oder sehr unvollkommen sind. Dadurch wird jeder Mensch zu einem
gesonderten Wesen und dazu gezwungen, nur unter Schwierigkeiten das Wesen und
die Natur des anderen kennenzulernen. Er muß äußerlich zu Verständnis,
Gegenseitigkeit und Einklang kommen, statt innerlich durch unmittelbares
Empfinden und Erfassen. So wird durch die Hülle von gegenseitiger Unkenntnis
jeder mentale und vitale Austausch behindert, vom Ich verfärbt oder zu
Unvollkommenheit und Unvollständigkeit verurteilt. Im kollektiven gnostischen
Leben wird das einbeziehende Wahrheits-Empfinden, die zur Eintracht strebende
Einheit der gnostischen Natur alle Unterschiedlichkeiten als eigenen Reichtum
enthalten. Sie wird ein vielfältiges Denken, Handeln, Fühlen in die Einheit
eines erleuchteten Lebens-Ganzen umwandeln. Das ist das offenkundige Prinzip des
Wahrheits-Bewußtseins, das unvermeidliche Ergebnis seines Charakters und seine
dynamische Verwirklichung der spirituellen Einheit alles Seienden. Diese
Verwirklichung, die Grundvoraussetzung für die Vervollkommnung des Lebens, die
man auf der mentalen Ebene so schwer erlangen kann und die, selbst wenn man sie
innerlich realisiert hat, nur schwer dynamisch durchzusetzen und zu organisieren
ist, wird in aller gnostischen Schöpfung und im gnostischen Leben zu etwas in
natürlicher Weise Dynamischem und spontan aus dem Selbst Organisiertem.
Das ist leicht zu verstehen, wenn wir die gnostischen
Wesen als solche ansehen, die ihr Leben ohne jede Berührung mit einem Leben der
Unwissenheit führen. Die gnostische Manifestation ist aber angesichts der
Tatsache, daß sich die Entwicklung hier vollzieht, nur ein Ereignis, wenn auch
ein ganz entscheidendes Ereignis im Ganzen. Die niederen Grade des Bewußtseins
und Lebens werden neben ihr weiterbestehen. Einige werden die Offenbarung in der
Unwissenheit festhalten. Andere werden eine
vermittelnde Stellung zwischen dieser und der Manifestation in der Gnosis
einnehmen. Diese beiden Formen von Wesen und Leben werden entweder Seite an
Seite nebeneinander existieren oder einander durchdringen. In beiden Fällen kann
man erwarten, daß das gnostische Prinzip, wenn auch nicht sofort, so doch
schließlich das Ganze beherrschen wird. Die höheren spirituell-mentalen Grade
stehen mit dem jetzt sie offen unterstützenden und zusammenhaltenden
supramentalen Prinzip in enger Berührung und werden von dem Zwang der
Unwissenheit und Unbewußtheit, der sie einst einengte, befreit. Als eine
Wahrheit des Seienden werden sie, wenn auch in eingeschränktem und vermindertem
Grad, all ihr Licht und ihre Energie aus der supramentalen Gnosis beziehen und
mit deren supramentalen Mächten in umfassender Berührung stehen. So werden sie
selbst zu bewußten Antriebskräften des Geistes. Sie werden, wenn auch noch nicht
im vollen Besitz der ganz verwirklichten spirituellen Substanz, doch nicht mehr
einer niederen Instrumentation unterworfen sein, die durch den Stoff der
Nichtbewußtheit bruchstückhaft, verdünnt, vermindert und verfinstert ist. Alle
Unwissenheit, die emporkommt oder eingeht in das Übermental, in das intuitive,
erleuchtete oder höher-mentale Wesen, hört auf, unwissend zu sein. Sie tritt ein
in das Licht. Sie realisiert in diesem Licht die Wahrheit, die sie mit ihrer
Finsternis überdeckt hatte. Sie erfährt eine Befreiung, eine Umwandlung, einen
neuen Zustand von Bewußtsein und Wesen. So wird sie diesen höheren Zuständen
angeglichen und für den supramentalen Zustand vorbereitet. Zugleich wird das
involvierte Prinzip der Gnosis jetzt als offene, nach außen gedrungene und
ständige Kraft wirken, nicht mehr nur als eine verborgene Macht mit einem
geheimen Ursprung, die die Dinge in verhüllter Form unterstützt oder nur
gelegentlich eingreift, ihrer einzigen Funktion. Nun kann sie etwas von ihrem
Gesetz der Harmonie der fortbestehenden Unbewußtheit und Unwissenheit
auferlegen. Denn die in diesen verborgene gnostische Macht wird nun mit
vergrößerter Stärke ihrer Hilfe und wirkenden Ursache, mit freierem und
machtvollerem Eingreifen aktiv sein. Die Menschen der Unwissenheit werden nun,
infolge ihrer Verbindung mit gnostischen Menschen, vom Licht der Gnosis
beeinflußt und infolge der entwickelten und wirksamen Gegenwart des
supramentalen Wesens und der supramentalen Macht in der Erden-Natur bewußter
sein und besser reagieren. In dem noch nicht transformierten Teil der Menschheit
kann sehr wohl eine neue und höhere Gemeinschaft mentaler
menschlicher Wesen entstehen. Denn nun kann jenes mentale Wesen
hervortreten, das unmittelbar intuitiv oder teilweise intuitiv geworden, aber
noch nicht gnostisch ist, ferner das unmittelbar oder teilweise erleuchtete
mentale Wesen und schließlich das mentale Wesen, das in unmittelbarer oder
partieller Kommunion mit der höheren Denk-Ebene steht: Diese Menschen werden
immer zahlreicher, immer mehr in ihrer Art entwickelt und immer sicherer. Sie
könnten sogar als Rasse eines höheren Menschseins existieren, die in wahrer
Brüderlichkeit, entstanden aus dem Empfinden für die Manifestation des einen
Göttlichen Wesens in allen Menschen, die weniger Entwickelten emporführt. Auf
diese Weise wird die Vollendung auf der höchsten Stufe auch eine minder hohe
Vollkommenheit auf seiner eigenen Stufe von dem bedeuten, was noch unten bleiben
muß. Am höheren Ende der Evolution werden sich die aufsteigenden Höhen und
Gipfel des Supramentals immer weiter erheben bis zu einer höchsten Manifestation
des reinen spirituellen Seins, des Bewußtseins und der Seins-Seligkeit von
saccidananda.
Man könnte noch die Frage aufwerfen, ob die gnostische
Umkehr, der Übergang in die gnostische Entwicklung und über sie hinaus, nicht
bedeutet, daß früher oder später die Evolution aus der Unbewußtheit aufhört, da
der Grund für diesen dunklen Anfang der Dinge hier unten nun wegfällt. Das hängt
aber von der weiteren Frage ab, ob die Bewegung zwischen der Überbewußtheit und
der Unbewußtheit, also zwischen den beiden Polen des Seins, ein ständiges Gesetz
der materiellen Manifestation oder nur ein vorläufiger Umstand ist. Letztere
Annahme läßt sich nur schwer aufrecht erhalten, weil das unbewußte Fundament,
das für das ganze materielle Universum gelegt wurde, mit so gewaltiger Kraft
alles durchdringt und fortdauert. Würde dieses erste evolutionäre Prinzip völlig
umgekehrt oder ausgeschaltet werden, so bedeutete das, daß sich das geheime
involvierte Bewußtsein gleichzeitig in jedem Teil dieser ungeheuren universalen
Unbewußtheit manifestieren würde. Eine Umwandlung in einem besonderen Ablauf der
Natur, wie es die Bahn der Erden-Entwicklung ist, würde keine solche alles
durchdringende Auswirkung haben: Die Manifestation in der Erden-Natur hat ihre
eigene Kurve. Die Vollendung dieser Kurve ist alles, was wir zu betrachten
haben. Hier kann man eine Aussage in dem Sinne wagen, daß im endgültigen
Ergebnis der sich offenbarenden Schöpfung oder in der Reproduktion der oberen
Hemisphäre des bewußten Wesens hier in der
niederen Dreifaltigkeit die Evolution zwar in ihren Graden und Stufen dieselbe
bleibt, aber dem Gesetz der Harmonie, dem Gesetz der Einheit in der
Verschiedenheit und der in der Verschiedenheit sich herausarbeitenden Einheit
unterworfen ist. Nur ist das nicht länger eine Evolution durch Kampf. Sie wird
eine harmonische Entwicklung von Stufe zu Stufe werden, von einem schwächeren zu
einem stärkeren Licht, von dem einen Typus der Macht und Schönheit eines sich
entfaltenden Seins zu einem höheren Typus. Das könnte nur anders sein, wenn aus
irgendeinem Grund das Gesetz von Kämpfen und Leiden noch für die weitere
Ausarbeitung jener geheimnisvollen Möglichkeiten im Unendlichen notwendig wäre,
dessen Prinzip dem Absturz in die Unbewußtheit zugrundeliegt. Diese
Notwendigkeit scheint aber für die Erden-Natur zu entfallen, sobald die
supramentale Gnosis aus der Unbewußtheit hervorgetreten ist. Mit ihrem
endgültigen Erscheinen fängt eine Umwandlung an. Diese Umwandlung erfährt ihre
höchste Vollendung, wenn die supramentale Entwicklung vollkommen geworden ist
und sich in die größere Fülle der höchsten Manifestation von
Sein-Bewußtsein-Seligkeit, von saccidananda, emporgehoben hat.
Kapitel XXVIII. Das Göttliche Leben
O sehende Flamme, du
trägst den Menschen der krummen Wege hinein in die bleibende Wahrheit und in das
Wissen.
Rig Veda, I.31.6.
Ich läutere Erde und Himmel durch die Wahrheit.
Rig Veda, I.133.1.
In dem, der sie festhält, setzt seine Ekstase die beiden Geburten in Bewegung, den Ausdruck des menschlichen und den des göttlichen Selbsts, und er bewegt sich zwischen ihnen.
Rig Veda, IX. 86.42.
Mögen die unüberwindlichen Strahlen seiner unmittelbaren Erkenntnis aufleuchten, nach der Unsterblichkeit suchen und beide Geburten durchdringen. Denn durch sie läßt er in einer einzigen Bewegung menschliche Kräfte und göttliche Dinge in Fluß geraten.
Rig Veda, IX. 70.3.
Laß sie alle deinen Willen annehmen, wenn du, ein lebender Gott, aus dem dürren Baum geboren wirst, damit sie Göttlichkeit erlangen und durch die Eile deiner Bewegung zum Besitz der Wahrheit und der Unsterblichkeit kommen.
Rig Veda, I.68.2.
Wir haben uns bemüht, zu entdecken, was Wirklichkeit
und Sinn unseres Daseins als bewußte Wesen im materiellen Universum ist und in
welcher Richtung und wie weit uns dieser Sinn, wenn wir ihn einmal entdeckt
haben, führt, zu welcher menschlichen oder göttlichen Zukunft. Gewiß könnte
unser Dasein hier eine bedeutungslose Laune der Materie selbst oder einer die
Materie aufbauenden Energie sein, es könnte einer unerklärlichen Laune des
Geistes entstammen. Andererseits könnte unser hiesiges Dasein der willkürlichen
Phantasie eines überkosmischen Schöpfers entstammen. In diesem Fall hätte es
keine wesenhafte Bedeutung. Es hätte überhaupt keine Bedeutung, wenn Materie
oder eine unbewußte Energie der phantasiereiche Baumeister wäre, denn dann würde
es bestenfalls die zufällige Darstellung einer wandernden
Spirale des Zufalls oder die starre Kurve blinder Notwendigkeit sein. Es könnte
nur illusorische Bedeutung haben, die sich, wenn sie einem Irrtum des Geistes
entstammt, in nichts auflöst. Ein bewußter Schöpfer mag sehr wohl unserem Dasein
einen Sinn zugrundegelegt haben, der aber durch eine Offenbarung seines Willens
entdeckt werden muß, da er nicht an sich in der Selbst-Natur der Dinge enthalten
und dort entdeckbar ist. Wenn es aber eine selbst-seiende Wirklichkeit gibt,
deren Ergebnis unser Dasein hier ist, dann muß es eine Wahrheit dieser
Wirklichkeit geben, die sich hier manifestiert, ausarbeitet und entwickelt;
diese wird der Sinn unseres Wesens und Lebens sein. Was jene Wirklichkeit auch
sein mag, sie ist etwas, das den Aspekt eines Werdens in der Zeit angenommen
hat, eines unteilbaren Werdens. Denn unsere Gegenwart und unsere Zukunft tragen,
umgewandelt und verändert, die Vergangenheit in sich, die sie erschuf. Und die
Vergangenheit und Zukunft enthielten bereits und enthalten jetzt für uns
unsichtbar, weil sie noch nicht manifestiert, noch nicht entwickelt ist, ihre
eigene Transformation in die noch unerschaffene Zukunft. Der Sinn unseres
hiesigen Daseins bestimmt unser Schicksal. Dieses Schicksal ist bereits in uns
als Notwendigkeit oder Möglichkeit vorhanden, als die Notwendigkeit der
verborgenen und hervortretenden Wirklichkeit unseres Wesens und als die Wahrheit
ihrer Möglichkeiten, die herausgearbeitet werden soll. Wenn beide auch noch
nicht verwirklicht wurden, sind sie doch schon jetzt in dem enthalten, was
bisher manifestiert worden ist. Wenn es ein Wesen gibt, das im Werden
hervortritt, eine Wirklichkeit des Seins, die sich in der Zeit entrollt, dann
ist das, was dieses Wesen, diese Wirklichkeit insgeheim sind, gerade das, was
wir werden sollen. So liegt der Sinn unseres Lebens im Werden.
Bewußtsein und Leben müssen die Schlüsselworte für das sein, was auf diese Weise in der Zeit herausgearbeitet wird. Denn ohne sie wären die Materie und die Welt der Materie ein sinnloses Phänomen, etwas, das sich eben durch Zufall oder durch eine unbewußte Notwendigkeit ereignet hat. Aber das Bewußtsein, wie es ist, und das Leben, wie es ist, können nicht das ganze Geheimnis sein. Denn beide sind ganz deutlich etwas Unvollendetes und befinden sich noch in einem Werde-Prozeß. Bewußtsein ist in uns das Mental. Unser Mental ist aber unwissend und unvollendet, eine vermittelnde Macht. Es ist zu etwas hingewachsen, das jenseits von ihm liegt. Es wächst noch weiter. Es gab niedrigere Bewußtseins-Stufen, die ihm vorausgingen, aus denen es sich erhob.
Ganz offensichtlich muß
es höhere Stufen geben, zu denen es sich erhebt. Vor unserem denkenden,
rationalen, reflektierenden Mental gab es ein noch nicht denkendes, jedoch
lebendiges und empfindendes Bewußtsein. Vor diesem war das Unterbewußte und das
Unbewußte. Wahrscheinlich wartet nach uns oder in unserem jetzt noch
unentwickelten Selbst ein höheres Bewußtsein, das aus sich selbst erhellt und
nicht vom konstruierenden Denken abhängig ist: Unser unvollkommenes und
unwissendes Denk-Mental ist gewiß nicht das letzte Wort des Bewußtseins, nicht
seine äußerste Möglichkeit. Denn das Wesentliche am Bewußtsein ist die Macht,
seines Selbsts und seiner Gegenstände innezusein. Ihrer wahren Art nach muß
diese Macht unmittelbar, selbsterfüllt und vollständig sein. Wenn das Bewußtsein
in uns mittelbar, unvollständig, in seinen Wirkweisen unerfüllt und von
konstruierten Werkzeugen abhängig ist, so deshalb, weil es hier aus einer
ursprünglichen verhüllenden Unbewußtheit hervortritt und noch mit der
anfänglichen Nichtbewußtheit belastet und von ihr umhüllt ist, die dem
Unbewußten angehört. Es muß aber die Macht haben, vollständig hervorzutreten.
Seine Bestimmung muß sein, daß es sich in seine eigene Vollkommenheit, die seine
wahre Natur ist, entwickelt. Völlig seiner Gegenstände bewußt zu sein, ist die
wahre Natur des Bewußtseins. Von diesen Gegenständen ist der erste das Selbst,
das Wesen, das hier sein Bewußtsein entfaltet. Alles übrige ist das, was wir als
das Nicht-Selbst ansehen. Wenn aber das Sein unteilbar ist, dann muß dieses
Nicht-Selbst in Wirklichkeit auch das Selbst sein. Es muß also Bestimmung des
sich entwickelnden Bewußtseins sein, in seiner Bewußtheit vollkommen zu werden,
seiner selbst völlig inne und all-bewußt. Dieser vollkommene und natürliche
Bewußtseins-Zustand ist für uns die Überbewußtheit; er liegt jenseits von uns.
Würde unser Mental plötzlich in ihn versetzt, es könnte zuerst nicht arbeiten.
Zu diesem Überbewußtsein hin muß sich aber unser bewußtes Wesen entwickeln.
Diese Evolution unseres Bewußtseins in die Überbewußtheit, in eine höchste Art
seiner selbst, ist aber nur möglich, wenn die Unbewußtheit, die hier unsere
Grundlage ist, In Wirklichkeit selbst eine involvierte Überbewußtheit ist. Denn
das, was im Werden der Wirklichkeit in uns sein soll, muß hier bereits in seinen
Anfängen involviert, also insgeheim vorhanden sein. Wir können sehr wohl das
Unbewußte als solch ein involviertes Wesen oder als solch eine Macht auffassen,
wenn wir die materielle Schöpfung der unbewußten Energie gründlich erforschen
und erkennen, wie sie mit erstaunlichem
Konstruieren
und unendlichem Planen das Werk einer unermeßlichen involvierten Intelligenz
auszugestalten sich bemüht; wenn wir ferner erkennen, daß wir selbst etwas von
dieser Intelligenz sind, die aus ihrer Involution die Entwicklung eines
Bewußtseins hervorbringt, dessen Hervortreten nicht unterwegs stillstehen kann,
bevor nicht das Involvierte entrollt ist und sich als höchste, völlig des
Selbsts und des Alls bewußte Intelligenz enthüllt. Dieser Intelligenz haben wir
den Namen Supramental oder Gnosis gegeben. Denn es muß offensichtlich das
Bewußtsein der Wirklichkeit, das Wesen, der Geist sein, der verborgen in uns da
ist und sich hier langsam manifestiert. Wir sind die Werdenden dieses Wesens und
müssen in seine Natur emporwachsen.
Wenn Bewußtsein das zentrale Geheimnis ist, dann ist Leben der äußere Hinweis auf es, die effektive Macht des Seienden in der Materie. Denn das Leben befreit das Bewußtsein. Es gibt ihm seine Form oder die Verkörperung seiner Kraft und macht es im materiellen Akt wirksam. Wenn es das höchste Ziel des sich entwickelnden Wesens bei seiner Geburt ist, daß es etwas von sich in der Materie offenbart oder bewirkt, dann ist Leben das äußere und kraftvolle Zeichen dafür; es weist auf die Offenbarung und das Bewirkte hin. Aber auch das Leben ist so, wie es jetzt ist, unvollkommen und in Entwicklung begriffen. Es entwickelt sich durch ein Wachsen von Bewußtsein, wie sich Bewußtsein durch eine höhere Organisation und Vervollkommnung des Lebens entwickelt: Ein höheres Bewußtsein bedeutet ein höheres Leben. Der Mensch, das mentale Wesen, hat deshalb unvollkommenes Leben, weil das Mental nicht die erste und höchste Macht des Bewußtseins des Wesens ist. Selbst wenn das Mental vollendet wäre, gäbe es immer noch etwas, das noch verwirklicht werden muß, noch nicht manifestiert ist. Denn was involviert ist und hervortritt, ist nicht ein Mental, sondern Geist. Und das Mental ist nicht die ursprüngliche Bewußtseins-Dynamik des Geistes. Seine ursprüngliche Dynamik ist das Supramental, das Licht der Gnosis. Wenn also Leben zu einer Manifestation des Geistes werden soll, muß es die schwere Aufgabe und Absicht der evolutionären Natur sein, in uns ein spirituelles Wesen und das göttliche Leben eines vollendeten Bewußtseins in der supramentalen oder gnostischen Macht des spirituellen Wesens zu manifestieren.
Seinem Prinzip nach ist alles spirituelle Leben ein
Hineinwachsen in eine göttliche Lebensweise. Es ist schwierig, die Grenze
festzulegen, wo das mentale Leben aufhört und
das göttliche beginnt; denn beide projizieren sich ineinander, und während eines
langen Zeitraums existieren beide miteinander vermischt. Man kann einen großen
Teil dieses Zwischenbereichs – falls sich das Drängen des Geistes nicht völlig
von der Erde oder der Welt abwendet – als den Prozeß ansehen, in dem ein höheres
Leben ausgestaltet wird. In dem Maß, wie Mental und Leben mit dem Licht des
Geistes erleuchtet werden, ziehen sie etwas an von der Göttlichkeit, der
verborgenen größeren Wirklichkeit, oder reflektieren sie. Das muß zunehmen, bis
dieser ganze Zwischenbereich durchquert und alles Dasein im vollen Licht und in
der Macht des spirituellen Prinzips geeint ist. Damit aber das Drängen der
Evolution gänzlich zur Erfüllung kommen kann, müssen diese Erleuchtung und
Umwandlung das ganze Wesen, Mental, Leben und Körper, empornehmen und neu
schaffen. Es darf nicht nur zu einer inneren Erfahrung des Göttlichen Wesens
kommen, vielmehr sollen beide, das innere und das äußere Dasein, durch seine
Macht neu geprägt werden. Es soll nicht nur im individuellen Leben Form
annehmen, es soll auch ein kollektives Leben gnostischer Individuen als höchste
Macht und Form des Werdens des Geistes in der Erd-Natur begründet werden. Um
dies zu ermöglichen, soll die spirituelle Wesenheit in uns ihre integral
gewordene Vollkommenheit nicht nur des äußeren Zustandes des Wesens, sondern
auch der nach außen wirkenden Macht des Wesens entwickelt haben. Zusammen mit
dieser Vervollkommnung und als eine Notwendigkeit ihres vollständigen Handelns
soll sie ihre eigene Dynamik und den Werkzeugcharakter des äußeren Daseins
entfaltet haben.
Zweifellos kann es ein inneres spirituelles Leben, ein
Himmelreich in unserem Innern, geben, das nicht abhängig ist von irgendeiner
Manifestierung oder Instrumentierung äußerer Art oder von einer Formel des
äußeren Wesens. Das innere Leben ist von höchster spiritueller Bedeutung, das
äußere besitzt seinen Wert nur in dem Maße, wie es den inneren Zustand zum
Ausdruck bringt. Der Mensch der spirituellen Verwirklichung lebt, handelt und
verhält sich bei allen Äußerungen seines Wesens und Handelns so, wie es in der
Gita heißt: “Er lebt und bewegt sich in Mir.” Er ist im Göttlichen Wesen daheim;
er hat das spirituelle Sein realisiert. Lebt der spirituelle Mensch in dem
Empfinden des spirituellen Selbsts, in der Verwirklichung des Göttlichen Wesens
in sich und überall, dann lebt er innerlich ein göttliches Leben. Dessen
Widerschein fällt auf die äußeren Handlungen seines Daseins, selbst wenn diese nicht
– oder scheinbar nicht – über die gewöhnliche
Werkzeugverwendung menschlichen Denkens und Handelns in dieser Welt, der
Erden-Natur, hinausgehen. Das ist die erste Wahrheit und das Wesentliche der
Sache. Doch wäre es, vom Gesichtspunkt einer spirituellen Evolution her gesehen,
nur eine individuelle Befreiung und Vervollkommnung innerhalb einer
unveränderten Umgebung im Dasein. In unserer Vorstellung von Gipfelhöhe, vom
göttlichen Ziel, müssen wir eine stärkere Umwandlung in der Erden-Natur selbst
ins Auge fassen, eine spirituelle Umwandlung des ganzen Prinzips und
Werkzeugcharakters von Leben und Handeln, sowie das Hervortreten einer neu
geordneten Gemeinschaft von Menschen und eines neuen Erden-Lebens. Hier wird die
gnostische Umwandlung primär bedeutsam. Man kann alles, was vorausgeht, als
Aufbau und Vorbereitung für diese Umwandlung der gesamten Natur ansehen, was
eine neue Mutation bedeutet. Denn das zur Erfüllung gekommene göttliche Leben
auf Erden muß eine gnostische Art dynamischer Lebensweise sein. Es soll eine
Lebens-Methode werden, die höhere Werkzeuge für die Welt-Erkenntnis und das
Wirken in der Welt zur Dynamisierung des Bewußtseins im physischen Dasein
entwickelt und die Werte einer Welt materieller Natur zu sich empornimmt und
umwandelt.
Immer jedoch muß, ihrer Natur gemäß, die ganze
Grundlegung des gnostischen Lebens etwas Innerliches, nichts Äußerliches sein.
Im Leben des Geistes ist es der Geist, die innere Wirklichkeit, die das Mental,
das vitale Wesen und den Körper zu ihrer Werkzeugverwendung aufgebaut hat und
einsetzt. Denken, Fühlen und Handeln existieren nicht für sich selbst; sie sind
nicht Zweck, sondern Mittel. Sie dienen dazu, die in unserem Innern
manifestierte göttliche Wirklichkeit zum Ausdruck zu bringen. Andernfalls, ohne
diese Innerlichkeit, ohne diese spirituelle Urheberschaft, ist ein höheres oder
göttliches Leben in einem allzu veräußerlichten Bewußtsein oder allein durch
äußere Mittel unmöglich. In unserem gegenwärtigen Leben in der Natur, in unserem
veräußerlichten vordergründigen Dasein, scheint es so, als ob die Welt uns
erschaffe. In der Umkehrung zum spirituellen Leben sind aber wir es, die wir uns
selbst und unsere Welt erschaffen müssen. In dieser neuen Schöpfungs-Formel ist
das innere Leben primär bedeutsam; alles übrige kann nur Ausdruck und Ergebnis
sein. Gerade das wird durch unser Ringen um Vollkommenheit ausgedrückt, um
Vollkommenheit unserer eigenen Seele, unseres Mentals und Lebens und um
Vollkommenheit des Lebens der Menschheit. Denn
wir sind in eine Welt versetzt worden, die dunkel, unwissend, materiell,
unvollkommen ist. Unser äußeres bewußtes Wesen wird geschaffen durch die Kräfte,
den Druck und die prägenden Einwirkungen dieser unermeßlichen stummen
Finsternis, durch die physische Geburt und unsere Umgebung, sowie durch die
Erziehung, die wir durch die Einflüsse und Erschütterungen des Lebens erhalten.
Dennoch sind wir uns in unbestimmter Weise dessen bewußt, daß etwas in uns ist,
oder zu sein sucht, das anders ist als das, was so geschaffen wurde: Geist, der
aus sich selbst existiert, sich selbst bestimmt und unser Wesen drängt, ein
Ebenbild seiner verborgenen Vollkommenheit oder eine Idee von Vollkommenheit zu
erschaffen. Es gibt etwas in uns, das auf dieses Verlangen antwortet und immer
stärker wird. Es ringt danach, das Ebenbild des göttlichen Etwas zu werden. Es
wird auch getrieben, auf die Außenwelt, die ihm gegeben ist, einzuwirken und
auch sie in ein höheres Ebenbild umzuformen, in ein Abbild des eigenen
spirituellen, mentalen und vitalen Wachstums. Es will unsere Welt zu etwas
umwandeln, das nach unserem Mental und unserem das Selbst begreifenden Geist
erschaffen ist, zu etwas Neuem, Harmonischem, Vollkommenem.
Aber unser Mental ist verdunkelt, in seinen
Erkenntnissen partiell, irregeleitet durch gegensätzliche, vordergründige
Erscheinungen und aufgeteilt auf verschiedene Möglichkeiten. Es wird nach drei
verschiedenen Richtungen hin angezogen und kann jede von ihnen bevorzugen. In
seinem Suchen nach dem, was sein soll, konzentriert sich unser Mental auf unser
inneres spirituelles Wachsen, auf unsere Vervollkommnung, auf unser eigenes
individuelles Wesen und inneres Leben. Oder es konzentriert sich ausschließlich
auf die individuelle Entwicklung unserer vordergründigen Natur, auf die
Vervollkommnung unseres Denkens und unserer äußeren dynamischen oder praktischen
Einwirkung auf die Welt, auf irgendeinen Idealismus unserer persönlichen
Beziehung zu unserer Umwelt. Oder das Mental konzentriert sich ganz auf die
äußere Welt: Es will sie besser und geeigneter machen für unsere Ideen und unser
Temperament oder für unsere Auffassung von dem, was sein sollte. Auf der einen
Seite fühlen wir den Ruf unseres spirituellen Wesens. Das ist unser wahres
Selbst, eine transzendente Wirklichkeit, ein Wesen des Göttlichen Wesens, das
nicht von der Welt erschaffen ist, das in sich selbst leben und sich aus der
Welt zur Transzendenz erheben kann. Auf der anderen Seite gibt es die Forderung unserer Umwelt an uns. Sie ist eine kosmische Gestaltung, ein Ausdruck
des Göttlichen Wesens, eine Macht der Wirklichkeit in Verkleidung. Dazu kommt
die zerteilte oder zweifache Forderung unseres der Natur angehörenden Wesens an
uns, das zwischen diesen beiden Begriffen steht, von ihnen abhängt und sie
verbindet. Denn dem äußeren Anschein nach ist es von der Welt erschaffen. Und
doch ist es -da sein wahrer Schöpfer in uns lebt und die Werkzeugausstattung der
Welt, die es zu bilden scheint, nur das zuerst verwendete Mittel ist -in
Wirklichkeit eine Form, eine verkleidete Manifestation eines größeren
spirituellen Wesens in unserem Innern. Diese Forderung vermittelt zwischen jener
Haltung, mit der wir ganz auf unsere innere Vollkommenheit oder unsere
spirituelle Befreiung drängen, und unserem ausschließlichen Interesse an der
äußeren Welt und ihrer Gestaltung. Sie drängt darauf, daß wir eine glücklichere
Beziehung zwischen den beiden Tendenzen finden, und sie erschafft das Ideal
eines besseren Menschen in einer besseren Welt. Jedoch müssen Wirklichkeit,
Ursprung und Grundlage eines vollendeten Lebens in uns selbst gefunden werden.
Keine äußere Gestaltung kann sie ersetzen: Wenn es zu dem wahren Leben kommen
soll, das in der Welt und in der Natur verwirklicht ist, muß das wahre Selbst in
uns selbst realisiert sein.
Bei unserem Hineinwachsen in ein göttliches Leben
müssen wir zuerst nach dem Geist trachten. Es ist offensichtlich, daß nur dann
eine göttliche Lebensweise nach außen hin möglich ist, wenn wir den Geist aus
seinen mentalen, vitalen und physischen Verhüllungen und Verkleidungen heraus
geoffenbart und in uns selbst entwickelt haben; wenn wir ihn mit Geduld, wie es
die Upanishad ausdrückt, aus unserem Körper herausgezogen haben; wenn wir
in uns selbst ein inneres Leben des Geistes erbauen. Zunächst ist es in der Tat
mentale oder vitale Göttlichkeit, die wir wahrnehmen und sein möchten. Aber
gerade dann muß das individuelle mentale Wesen oder das Wesen von Macht, vitaler
Kraft und Begehren in uns zu einer Gestalt dieser Göttlichkeit heranwachsen,
bevor unser Leben in jenem minderen Sinn göttlich sein kann wie das Leben des
infra-spirituellen Übermenschen, des mentalen Halbgottes oder des vitalen
Titanen, des Deva oder des Asura. Ist dieses innere Leben einmal erschaffen, muß
es unser weiteres Anliegen sein, unser gesamtes äußeres Wesen, unser Denken,
Fühlen, Handeln in der Welt, in eine vollkommene Macht dieses inneren Lebens
umzuwandeln. Nur wenn wir auf jene tiefere und höhere Art in unseren dynamischen Wesensseiten leben, kann dort eine Kraft wirken, die höheres Leben
erschafft. Nur so kann die Welt umgebildet werden, entweder in eine gewisse
Macht oder Vollkommenheit von Mental und Leben oder in die Macht und
Vollkommenheit des Geistes. Eine vollendete menschliche Welt kann nicht von
Menschen erschaffen werden oder aus Menschen zusammengesetzt sein, die selbst
unvollkommen sind. Auch wenn alle unsere Handlungen bis ins einzelne durch
Erziehung, Gesetz oder ein soziales oder politisches System geregelt sind, kommt
dabei nur eine schematische Regelung für mentale Wesen, ein modellartiges
Machwerk für Leben, ein künstlich geschaffenes Verhaltensmuster heraus. Eine
erzwungene Übereinstimmung dieser Art kann aber nicht den Menschen umwandeln.
Sie kann ihn nicht im Innern neu erschaffen, keine vollkommene Seele, keinen
vollkommenen denkenden Menschen, kein vollkommenes oder zur Vollkommenheit
heranwachsendes Wesen herausmeißeln oder modellieren. Denn Seele, Mental und
Leben sind Mächte des Wesens; sie können wachsen, aber sie können nicht
modelliert oder künstlich hergestellt werden. Ein äußerer Prozeß oder eine
äußere Gestaltung können zwar Seele, Mental und Leben helfen und sie zum
Ausdruck bringen, sie können sie aber nicht erschaffen oder entwickeln. Gewiß
kann man das Wachstum des Wesens unterstützen, doch nicht durch den Versuch, es
künstlich herzustellen, sondern dadurch, daß man es anregt und beeinflußt oder
ihm die eigenen Kräfte von Seele, Mental und Leben zur Verfügung stellt.
Trotzdem muß es aus seinem Innern wachsen. Es muß von dort und nicht von außen
her entscheiden, was aus diesen Kräften und Einflüssen gemacht werden soll. Das
ist die erste Wahrheit, die wir im schöpferischen Eifer und Streben zu lernen
haben. Sonst ist all unser Bemühen von vornherein dazu verurteilt, sich in einem
erfolglosen Kreislauf zu bewegen, und das Ergebnis, in dem es endet, ein
spektakuläres Versagen.
Die ganze Arbeit der Naturkraft ist darauf gerichtet,
daß wir etwas sind oder etwas werden, daß wir etwas ins Wesen bringen. Erkennen,
Fühlen, Handeln sind untergeordnete Energien, die ihren Wert besitzen, da sie
dem Wesen bei seiner partiellen Selbst-Verwirklichung helfen, das auszudrücken,
was es ist. Und sie unterstützen es auch in seinem Drang, darüber hinaus das
noch nicht Realisierte auszudrücken, nämlich das, was sein soll. Es kann aber
nicht das Wesentliche oder der Zweck des Lebens sein, zu erkennen, zu leben, zu
denken, zu handeln, sei es religiös, ethisch, politisch, sozial, ökonomisch,
utilitaristisch oder genießerisch, ob in
mentaler, vitaler oder physischer Form der Daseinskonstruktion. Denn das sind
nur Aktivitäten der Mächte des Wesens. Oder es sind die Mächte seines Werdens,
krafterfüllte Symbole seiner selbst, Schöpfungen des verkörperten Geistes,
dessen Mittel, das zu entdecken oder zu formulieren, was er zu sein sich bemüht.
Das physische Mental des Menschen ist geneigt, auf eine andere Art zu sehen und
die wahre Methode der Dinge auf den Kopf zu stellen. Nimmt es doch die
oberflächlichen Kräfte oder Erscheinungen der Natur als das Wesentliche und
Grundlegende. Was sie durch sichtbaren oder äußerlichen Prozeß schaffen, hält es
für das Wesentliche ihres Wirkens. Es erkennt nicht, daß das nur eine sekundäre
Erscheinung ist, die einen größeren geheimen Vorgang verdeckt. Denn der
verborgene Prozeß der Natur besteht darin, daß sie das Wesen offenbart, indem
sie dessen Mächte und Formen hervorbringt. Ihr äußerer Druck ist nur ein Mittel,
um das involvierte Wesen aufzuwecken, damit es die Notwendigkeit der Evolution,
der Gestaltung aus dem Selbst, erkennt. Sobald die Natur die spirituelle Stufe
ihrer Evolution erreicht hat, muß der bisher verborgene Vorgang den ganzen
Prozeß bestimmen. Nun wird es grundlegend wichtig, daß wir durch die Verhüllung
der Kräfte bis zu ihrem geheimen Ursprung durchbrechen, der der Geist selbst
ist. Das einzige, das getan werden muß, ist, daß wir wir selbst werden. Unser
wahres Selbst ist aber das, was in unserem Innern ist. Ober unser äußeres Selbst
des Körpers, Lebens und Mentals hinauszukommen, ist die Voraussetzung dafür, daß
wir dieses höchste Wesen werden, das unser wahres und göttliches Wesen ist,
damit wir als dieses offenbare Selbst handeln. Nur wenn wir im Innern wachsen
und im Inneren leben, können wir es finden. Das endgültige Ziel, das diese Kraft
der Natur uns gewiesen hat, ist, daß wir, sobald dies geschehen ist, von dorther
das spirituelle oder göttliche Mental, das entsprechende Leben und den
entsprechenden Körper bilden; daß wir mit diesen Werkzeugen eine Welt schaffen,
die die wahre Umgebung für eine göttliche Lebensweise ist. Dies also ist die
erste Notwendigkeit für uns, daß das Individuum, jeder Einzelne, den Geist, die
göttliche Wirklichkeit in seinem Innern, entdeckt und in seinem ganzen Wesen und
Leben zum Ausdruck bringt. Ein göttliches Leben muß zuerst und vor allem ein
inneres Leben sein. Denn da das Äußere der Ausdruck dessen sein muß, was im
Innern ist, kann es im äußeren Dasein keine Göttlichkeit geben, wenn es keine
Vergöttlichung des inneren Wesens gibt. Das
Göttliche
Wesen im Menschen wohnt verhüllt in seinem spirituellen Zentrum. Für den
Menschen kann es gar nicht möglich sein, über sich selbst hinauszukommen oder
ein höheres Ziel seines Daseins zu verwirklichen, wenn es nicht in seinem Innern
die Wirklichkeit eines ewigen Selbsts und des Geistes gibt.
Zu sein und in vollem Maße zu sein, ist die Absicht der
Natur in uns. Um aber in vollem Maße zu sein, muß man seines eigenen Wesens
völlig bewußt sein: Unbewußtheit, Halb-Bewußtheit oder eine mangelhafte
Bewußtheit ist ein Wesenszustand, in dem wir nicht im Besitz unseres Selbsts
sind. Es ist zwar Dasein, aber nicht die Fülle des Wesens. Im ganzen und
vollständig unseres Selbsts und der ganzen Wahrheit unseres Wesens innezusein,
ist die notwendige Voraussetzung dafür, daß wir unser Dasein wahrhaft besitzen.
Dieses Selbst-Innesein ist es, was man unter spirituellem Wissen versteht. Die
Essenz spirituellen Wissens ist ein inneres, aus dem Selbst seiendes Bewußtsein.
Seine ganze Ausübung von Wissen, eigentlich seine Aktivität jeglicher Art muß
dieses Bewußtsein sein, das sich jeweils formuliert. Alles andere Wissen ist ein
Bewußtsein, das sein Selbst vergessen hat und nun danach strebt, wieder zum
Bewußtsein seines Selbsts und dessen Inhalts zurückzukehren. Es ist eine
Unwissenheit des Selbsts, die sich bemüht, sich wieder zurückzuverwandeln in das
Wissen des Selbsts. Da aber Bewußtsein in sich die Kraft des Seins birgt, müssen
wir, um in vollem Maße zu sein, die innere und integrale Kraft unseres Wesens
haben. Das bedeutet, daß wir in den Besitz der vollen Kraft unseres Selbsts und
all ihrer Verwendung kommen sollen. Es wäre ein nur verstümmeltes oder
vermindertes Dasein, wenn wir bloß da sein würden, ohne daß wir die Kraft
unseres Wesens besitzen, oder nur eine halbe oder mangelhafte Kraft von ihm
hätten. Es wäre bloßes Existieren, aber nicht die Fülle unseres Wesens. Es ist
sicher möglich, nur statisch zu existieren, wobei die Kraft des Wesens in sich
selbst gesammelt und unbeweglich ist. Integrales Sein verlangt dagegen, daß wir
sowohl in der Dynamik wie in der Statik des Wesens sind: Macht des Selbsts ist
das Zeichen für die Göttlichkeit des Selbsts. Geist ohne Macht ist kein Geist.
Wie das spirituelle Bewußtsein etwas Inneres und Selbst-Seiendes ist, muß aber
auch diese Kraft unseres spirituellen Wesens etwas Innerstes sein, automatisch
in ihrem Wirken, aus dem Selbst seiend, das Selbst zur Erfüllung bringend. Jede
Werkzeugausrüstung, die es verwendet, muß ein Teil seiner selbst sein. Ja, jede
äußere Instrumentation, deren sich das
spirituelle Bewußtsein bedient, muß zu einem Teil seiner selbst und zu einer
Ausdrucksform seines Wesens gemacht werden. Die Kraft des Wesens in einer
bewußten Handlung ist Wille, Alles, was der bewußte Wille des Geistes ist, sein
Wille des Wesens und des Werdens, all das muß das ganze Dasein harmonisch zur
Erfüllung bringen können. Jedes Wirken, jede Energie des Wirkens, die diese
Souveränität nicht besitzt oder nicht Meister des Mechanismus ihres Wirkens ist,
trägt durch diesen Mangel das Zeichen der Unvollkommenheit der Wesenskraft, der
Zerteilung oder behindernden Aufspaltung des Bewußtseins, der Unvollständigkeit
in der Manifestation des Wesens an sich.
Letztlich soll das Bewußtsein, um vollständig zu sein, die volle Seins-Seligkeit besitzen. Wesen ohne Seins-Seligkeit, ohne volle innige Freude am eigenen Selbst und an allen Dingen ist etwas Neutrales und Herabgemindertes. Auch es ist ein Seiendes, aber nicht die Fülle des Seins. Auch diese Seligkeit soll eine innere, aus dem Selbst seiende, automatische sein. Sie darf nicht von Dingen außerhalb des Selbsts abhängen. Woran sie ihre tiefe Freude hat, das macht sie zu einem Teil ihrer selbst, sie hat ihre Lust daran als an einem Teil ihrer eigenen Universalität. Alle Un-Seligkeit, aller Schmerz und alles Leiden sind Zeichen von Unvollkommenheit, von Unvollständigkeit. Sie entstehen aus einer Zerteilung des Wesens, aus einer Unvollständigkeit des Bewußtseins des Wesens. Die göttliche Lebensweise besteht darin, daß wir vollkommen werden im Wesen, im Bewußtsein des Wesens, in der Kraft des Wesens, in der Seligkeit des Wesens und daß wir in dieser integrierten Vollständigkeit leben.
In vollem Maße zu sein, bedeutet aber weiter, daß wir
allumfassend sind. Wenn wir innerhalb der Begrenzungen des kleinen beschränkten
Ichs leben, existieren wir zwar auch; es ist aber eine unvollkommene Existenz.
Seiner wirklichen Natur nach bedeutet es ein Leben in einem unvollständigen
Bewußtsein und den Besitz einer unvollständigen Kraft und Seins-Seligkeit. Wir
sind dadurch weniger, als wir selbst eigentlich sind. Das bringt unvermeidlich
mit sich, der Unwissenheit, Schwäche und dem Leiden unterworfen zu sein. Selbst
wenn unsere Natur durch göttliche Zusammensetzung ihrer Art diese Dinge
ausschließen könnte, würden wir doch nur in einem beschränkten Horizont des
Daseins, in einem eingeengten Bewußtsein und in einer begrenzten Macht und
Freude am Sein leben. Alles Wesen ist ein einziges Wesen. In der Fülle leben heißt, in vollem Maße all das zu sein, was ist. So ist
notwendige Voraussetzung für eine integrale göttliche Lebensweise: im Wesen
aller zu sein und alle in unser eigenes Wesen einzubeziehen; des Bewußtseins
aller bewußt zu sein; mit unserer Kraft in die allumfassende Kraft integriert zu
sein; alles Handeln und alle Erfahrung in unserem Innern mitzutragen und als das
eigene Handeln und die eigene Erfahrung zu fühlen; alle Selbste als unser
eigenes Selbst zu erleben; alle Seins-Seligkeit als eigene Seins-Seligkeit zu
empfinden.
Um aber so in Fülle und Freiheit unserer Universalität
allumfassend sein zu können, müssen wir auch übernatürlich sein. Die spirituelle
Fülle des Wesens ist Ewigkeit. Wir besitzen nicht die Wirklichkeit des Selbsts
und nicht die Fülle unseres spirituellen Seins, wenn wir nicht das Bewußtsein
des zeitlos ewigen Wesens haben; wenn wir vom Körper, vom verkörperten Mental
oder vom verkörperten Leben abhängig sind; wenn wir abhängig sind von dieser
oder jener Welt, von dieser oder jener Bedingung des Wesens. Wir sind nur ein
Eintags-Geschöpf, wenn wir nur als ein Selbst des Körpers leben oder nur unser
Körper sind. Dann sind wir dem Tod, dem Begehren, Schmerz und Leiden, Verfall
und Dekadenz ausgeliefert. Es ist also erste Bedingung für eine göttliche
Lebensweise, daß wir das Körper-Bewußtsein transzendieren, über es hinauskommen;
daß wir nicht im Körper oder durch den Körper festgehalten werden; daß wir
vielmehr den Körper als Werkzeug behandeln, als eine mindere äußere Gestaltung
aus dem Selbst. Eine zweite Bedingung ist, daß wir nicht ein der Unwissenheit
und Bewußtseins-Beschränkung unterworfenes Mental bleiben; daß wir das Mental
transzendieren und als Werkzeug behandeln; daß wir es als eine äußere Gestaltung
des Selbsts beherrschen. Eine dritte Bedingung ist, daß wir durch das Selbst und
durch den Geist sind; daß wir nicht vom Leben abhängig sind und uns mit ihm
identifizieren; daß wir das Leben transzendieren, beherrschen und als Ausdruck
und Instrumentation des Selbsts verwenden. Auch das körperliche Leben besitzt
nicht sein Wesen vollständig, seiner Art gemäß, wenn das Bewußtsein nicht
umfassender ist als der Körper und wenn es nicht sein physisches Einssein mit
allem materiellen Dasein fühlt. Auch das vitale Leben besitzt nicht seine
Lebensfülle in ihrer Eigenart, wenn das Bewußtsein nicht über das begrenzte
Spiel individueller Vitalität hinauskommt und das universale Leben als das ihm
eigene ebenso fühlt wie sein Einssein mit allem Leben. Auch die Mentalität ist
kein vollbewußtes Dasein, keine Aktivität ihrer
Art, wenn man nicht über die individuellen mentalen Begrenzungen hinauskommt und
das Einssein mit dem allumfassenden Mental und mit dem Mental aller Menschen
fühlt und nicht seine Freude an der eigenen Bewußtseins-Vollständigkeit deshalb
hat, weil sie in reicher Mannigfaltigkeit zur Erfüllung kommt. Wir sollen aber
nicht nur die Formel des Geistes im Individuum, sondern auch die Formel des
Universums transzendieren. Nur so können beide, das individuelle und das
universale Dasein, ihr wahres Wesen und vollkommene Einstimmung finden. In ihrer
äußeren Formulierung sind beides unvollständige Begriffe der Transzendenz, doch
in ihrer Essenz sind sie vollständig. Nur indem das individuelle und das
universale Bewußtsein dieses Wesenhaften bewußt werden, können sie zu ihrer
eigenen Fülle und zur Freiheit der Wirklichkeit kommen. Sonst bleibt der
Einzelne der kosmischen Bewegung und deren Reaktionen und Begrenzungen
unterworfen und verfehlt dadurch seine vollkommene spirituelle Freiheit. Er muß
in die höchste göttliche Wirklichkeit eingehen, er soll sein Einssein mit ihr
fühlen, er soll in ihr leben, er soll ihr Geschöpf aus dem Selbst sein. Sein
Mental, sein Leben und seine Körperlichkeit sollen in Begriffe ihrer Übernatur
umgewandelt werden. Sein ganzes Denken, alle seine Gefühle und Handlungen sollen
durch die Übernatur bestimmt werden, als deren Selbst-Gestaltung existieren. Das
alles kann in ihm nur vollkommen werden, wenn er sich aus der Unwissenheit in
das Wissen und durch das Wissen in das höchste Bewußtsein mit seiner Dynamik und
Seins-Seligkeit entwickelt hat. Doch kann einiges Wesentliche dieser Dinge und
ihre ausreichende Versorgung mit Werkzeugen schon bei der ersten spirituellen
Umwandlung geschehen, was dann im Leben der gnostischen Übernatur seine höchste
Entfaltung findet.
Diese Dinge sind ohne ein nach innen gerichtetes Leben
unmöglich. Man kann sie nicht erlangen, wenn man im äußeren Bewußtsein
verbleibt, das stets nach draußen gerichtet ist und nur oder hauptsächlich im
Vordergründigen oder von dorther aktiv ist. Der individuelle Mensch muß sein
Selbst, sein wahres Sein finden. Das kann er nur, wenn er nach innen geht, wenn
er in seinem Innern und von dorther lebt. Denn das vordergründige, äußere
Bewußtsein oder Leben, das vom inneren Geist losgetrennt ist, wird zum Feld der
Unwissenheit. Es kann nur über sich selbst hinauskommen und die Unwissenheit
überwinden, indem es sich für die umfassende Weite des inneren Selbsts und
Lebens öffnet. Gibt es überhaupt ein Wesen der
Transzendenz in uns, dann muß es dort, in unserem geheimen Selbst sein. An
unserer Außenseite gibt es nur das Eintags-Wesen unserer Natur, das durch
Begrenzung und Umstände gebildet wird. Wenn sich in uns ein Selbst findet, fähig
zu umfassender Weite und Universalität, fähig, in ein kosmisches Bewußtsein
einzutreten, muß dieses auch in unserem inneren Wesen sein. Das äußere
Bewußtsein ist ein physisches Bewußtsein, das dreifach durch Mental, Leben und
Körper an seine individuellen Begrenzungen gebunden ist. Jeder vom äußeren
Bewußtsein her unternommene Versuch, zur Universalität zu kommen, kann nur zu
einer Aufblähung des Ichs oder zu einer Selbst-Entäußerung der Persönlichkeit
führen, indem diese in der Masse ausgelöscht oder der Masse unterjocht wird. Nur
wenn der Einzelne innerlich wächst, von innen her bewegt wird und handelt, kann
er sein Wesen frei und wirksam, allumfassend und übernatürlich machen. Für eine
göttliche Lebensweise muß es zu einer Verlegung des Zentrums und unmittelbaren
Ursprungs der dynamischen Wirkweisen des Wesens von außen nach innen kommen.
Denn dort ist der Sitz der Seele. Jetzt ist sie ganz oder halb verhüllt, darum
befindet sich unser unmittelbares Wesen und der Ursprung unseres Handelns an
unserer Außenseite. Die Upanishad sagt, der Selbst-Seiende habe in den
Menschen die Tore des Bewußtseins nach außen aufgestoßen. Einige wenige jedoch
wendeten das Auge nach innen. Und diese seien es, die den Geist sehen und
erkennen, die das spirituelle Wesen entfalten. So ist es für die Umwandlung
unserer Natur und für das göttliche Leben zuerst notwendig, daß wir in unser
Inneres schauen, unser Selbst sehen, in unser Inneres eingehen und in ihm leben.
Es ist eine schwierige Aufgabe, dem normalen Bewußtsein
des menschlichen Wesens diese Bewegung nahezulegen, nach innen zu gehen und im
Innern zu leben. Doch gibt es keinen anderen Weg, unser Selbst zu finden. Der
materialistische Denker stellt einen Gegensatz auf zwischen dem Extrovertierten
und dem Introvertierten. Er meint, man müsse die extrovertierte Haltung als die
einzige Sicherheit akzeptieren. Nach innen gehen bedeute, man trete in eine
Finsternis, eine Leere ein, oder man verliere das Gleichgewicht des Bewußtseins
und werde krank. Nur von außen her werde solch inneres Leben, soweit man es
konstruieren könne, entstehen. Unsere Gesundheit sei nur dadurch gesichert, daß
wir uns strikt auf ihre heilenden und nährenden äußeren
Quellen verlassen. Das Gleichgewicht des persönlichen Mentals und Lebens könne
nur dadurch gesichert sein, daß wir uns auf die äußere Wirklichkeit stützen;
denn die materielle Welt sei die einzige fundamentale Wirklichkeit. Das mag für
den physischen Menschen, für den geborenen Extrovertierten zutreffen, der sich
als Geschöpf der äußeren Natur fühlt. Durch sie gebildet, von ihr abhängig,
würde er sich selbst verlieren, wenn er nach innen ginge. Für ihn gibt es kein
inneres Wesen, kein inneres Leben. Aber auch der – nach dieser Unterscheidung – introvertierte Mensch besitzt nicht das innere Leben. Er ist kein Seher, der das
wahre innere Selbst und die inneren Dinge schaut. Er ist vielmehr der kleine
mentale Mensch, der nur oberflächlich in sich hineinschaut. Dort nimmt er nicht
sein spirituelles Selbst, sondern sein Lebens-Ich, sein Mental-Ich wahr. Nun
beschäftigt er sich in heilloser Weise mit den Regungen dieser kleinen,
armseligen Zwerg-Schöpfung. Die Vorstellung oder Erfahrung innerer Finsternis
ist, wenn er nach innen schaut, die erste Reaktion seiner Mentalität, die immer
nur an der Oberfläche gelebt und das innere Sein nie wirklich erfahren hat. Er
verfügt nur über eine konstruierte innere Erfahrung, die für die Materialien
ihres Wesens von der Außenwelt abhängt. Den Menschen jedoch, in deren Wesen die
Macht eines mehr verinnerlichten Lebens eingedrungen ist, bringt dieser Weg nach
innen und das Leben in der Innerlichkeit nicht Finsternis oder dumpfe Leere,
sondern umfassende Ausweitung. Eine neue Erfahrung bricht in ihnen auf. Es kommt
zu einer größeren Schau und mehr Fähigkeit. Das geweitete Leben wird unendlich
viel wahrer und vielseitiger als jenes erste kleinliche Leben, das nur um seiner
selbst willen von unserem normalen physischen Menschsein konstruiert war. Die
Freude des Wesens ist umfassender und reicher als jede Daseins-Lust, die der
äußere vitale Mensch oder der vordergründige mentale Mensch durch ihre
dynamische Vital-Kraft bzw. die Aktivität oder Subtilität und Ausweitung des
mentalen Daseins erwerben kann. Das Schweigen, das Eintreten in eine weite, ja
ungeheuere oder unendliche Leere ist ein Teil der inneren spirituellen
Erfahrung. Vor diesem Schweigen, vor dieser Öde hat das physische Mental eine
gewisse Angst. Das kleine oberflächlich aktiv denkende oder vitale Mental
schreckt davor zurück oder hat eine Abneigung dagegen, denn es verwechselt das
Schweigen mit mentaler oder vitaler Unfähigkeit und die Leere mit Stillstand
oder Nicht-Sein. Dieses Schweigen ist aber das Schweigen des Geistes. Es ist die
Voraussetzung
für höheres Wissen, für mehr Macht
und tiefere Freude. Durch diese Leere wird der Becher unseres natürlichen Wesens
ausgeleert. Er wird von seinen trüben Inhalten befreit, so daß er mit dem Wein
Gottes gefüllt werden kann. Das ist Übergang, aber nicht in das Nicht-Sein,
sondern in ein höheres Sein. Selbst wenn sich das Wesen dem Stillstand zuwendet,
ist das kein Ende in einem Nicht-Sein, sondern in einem unendlich weiten,
unaussprechlichen Sein des spirituellen Wesens: Wir versinken in die nicht
mitteilbare Überbewußtheit des Absoluten.
Tatsächlich bedeutet aber diese Hinwendung und Bewegung
nach innen nicht, daß wir in unser personales Selbst eingesperrt werden. Sie ist
vielmehr der erste Schritt zur Universalität. Sie vermittelt uns die Wahrheit
sowohl über unser äußeres Dasein als auch über unser inneres Sein. Denn dieses
innere Leben kann sich ausweiten und das universale Leben umfassen. Es kann viel
realer und dynamischer mit dem Leben aller in Berührung kommen, dort eindringen
und es umfassen, weit mehr als das in unserem vordergründigen Bewußtsein
überhaupt möglich ist. Auch wenn wir uns an unserer Außenseite weitmöglichst
allumfassend machen, ist das nur ein armseliges und hinkendes Bemühen, eine
Konstruktion, ein Vorwand, nicht die wirkliche Sache: Denn in unserem
vordergründigen Bewußtsein müssen wir vom Bewußtsein der anderen Menschen
getrennt sein und die Fesseln des Ichs tragen. Gerade hier wird unsere
Ich-Losigkeit zumeist zu einer subtilen Form von Ich-Haftigkeit und geeignet zu
einer noch stärkeren Durchsetzung unseres Ichs. Selbstzufrieden mit unserer Pose
von Altruismus, sehen wir nicht, daß das eine Verschleierung dessen ist, daß wir
anderen Menschen, die wir in unseren ausgeweiteten Umkreis einbeziehen, unser
individuelles Ich, unsere Ideen, unsere mentale und vitale Persönlichkeit und
unser Bedürfnis nach Ausweitung unseres Ichs aufnötigen. Insoweit wir wahrhaft
erfolgreich für andere Menschen leben, wird das durch die innere spirituelle
Kraft von Liebe und Mitempfinden getan. Doch sind das Vermögen und der
Wirkungsbereich dieser Kraft in uns unbedeutend. Die psychische Bewegung, die
das fördert, ist unvollkommen. Ihr Wirken vollzieht sich oft unwissend, weil es
hier zwar eine Berührung von Mental und Herz gibt, unser Wesen jedoch nicht das
Wesen der anderen Menschen in gleicher Weise umfaßt wie unser eigenes. Äußere
Einung mit anderen Menschen muß immer dazu führen, daß das Vordergründige des
Lebens der einen mit dem der anderen von außen
her miteinander verbunden wird. Das innere Ergebnis ist entsprechend gering.
Zwar binden sich unser Mental und Herz mit ihren Regungen an das gemeinsame
Leben und an die Menschen, mit denen wir hier zusammentreffen. Als Fundament
bleibt aber dieses gemeinsame äußerliche Leben bestehen. Die im Innern
konstruierte Einheit, oder was immer von ihr trotz gegenseitiger Unwissenheit,
disharmonischem Egoismus, dem Konflikt der Mentalitäten, Herzen, vitalen
Temperamente und Interessen überhaupt dauerhaft werden kann, ist nur ein
partieller und ungesicherter Überbau. Das spirituelle Bewußtsein, das
spirituelle Leben kehrt dieses Aufbau-Prinzip um. Es gründet sein Wirken im
kollektiven Leben auf innere Erfahrung; die anderen Menschen werden in unser
Wesen einbezogen. Es kommt zum inneren Empfinden und einer Wirklichkeit von
Einssein. Aus diesem Empfinden von Einssein handelt der individuelle spirituelle
Mensch. Das verschafft ihm die unmittelbare Erfahrung des Anspruchs, den das
eine Selbst an das andere stellt. Er kennt das Bedürfnis des Lebens, was gut
ist, das Werk von Liebe und Sympathie, das in Wahrheit geleistet werden kann.
Nur die Verwirklichung der spirituellen Einheit, eine Kraftaufladung des innigen
Bewußtseins, daß wir eins sind, daß in allen Menschen nur ein Selbst ist, kann
das göttliche Leben begründen und sein Wirken durch diese Wahrheit regieren.
Im gnostischen oder göttlichen Wesen, im gnostischen
Leben haben wir ein inniges und vollständiges Bewußtsein vom Selbst der anderen,
ein Bewußtsein ihres Mentals, Lebens, physischen Wesens; wir fühlen sie, als ob
sie unsere eigenen wären. Der gnostische Mensch handelt nicht aus einem
oberflächlichen Gefühl von Liebe und Sympathie oder einem ähnlichen Empfinden,
sondern aus diesem Bewußtsein enger Verbundenheit, aus diesem innigen Einssein.
All sein Wirken in der Welt wird durch eine Wahrheit erleuchtet, in der er
schaut, was getan werden soll. Er fühlt in sich den Willen der Göttlichen
Wirklichkeit, die auch die Göttliche Wirklichkeit in den anderen Menschen ist.
Er vollzieht diesen Willen für das Göttliche Wesen in den anderen Menschen und
für das Göttliche Wesen in allem. So erfüllt er den wahren Zweck des Alls, wie
er ihn im Licht des höchsten Bewußtseins, durch die Art und Weise und die
Schritte erkennt, durch die er in der Macht der Übernatur verwirklicht werden
muß. Der gnostische Mensch findet sein Selbst nicht nur in der eigenen
Erfüllung, die die Erfüllung des Göttlichen Wesens und Willens in ihm darstellt,
sondern auch in der Erfüllung der anderen
Menschen. Seine allumfassende Individualität wirkt sich in der Bewegung aus,
durch die das All in allen Menschen auf ein höheres Werden drängt. Er schaut
überall ein göttliches Wirken. Sein Handeln ist alles, was von ihm zur Summe
dieses göttlichen Wirkens beigetragen wird, von dem inneren Licht, dem Willen
und der Kraft, die in ihm wirken. Es gibt in ihm kein sich absonderndes Ich, das
selbst Urheber von irgendetwas sein will. Vielmehr bedient sich das
Transzendente, das Universale seiner allumfassend gewordenen Individualität, um
nach außen in die Aktion des Universums hineinzuwirken. So wie er nicht für sein
separates Ich lebt, so lebt er auch nicht für die Zwecke irgendeines kollektiven
Ichs. Er lebt im Göttlichen Wesen und lebt für das Göttliche Wesen, das in ihm
selbst, im Kollektiv und in allen Menschen ist. Diese Universalität in Aktion,
die von dem aussehenden Willen im Sinne verwirklichten Einsseins in allen
organisiert wird, ist das Gesetz seiner göttlichen Lebensweise.
Wenn wir vom göttlichen Leben sprechen, meinen wir
zuerst, daß dieser Drang nach individueller Vollkommenheit und nach innerer
Vollendung des Wesens spirituell zur Erfüllung kommen soll. Das ist die erste
wesentliche Voraussetzung für ein vollendetes Leben auf Erden. Wir tun deshalb
recht daran, wenn wir die äußerstmögliche individuelle Vollkommenheit zu unserem
ersten und höchsten Anliegen machen. Unser zweites wichtiges Anliegen ist die
Vollkommenheit der spirituellen und pragmatischen Beziehung des Einzelnen zu
allen Menschen seiner Umgebung. Die Lösung dieses zweiten Erfordernisses liegt
in der vollständigen Universalität und im Einssein mit allem Leben auf Erden.
Das ist das andere, damit zusammenhängende Ergebnis der Entwicklung zum
gnostischen Bewußtsein und zur gnostischen Natur. Doch bleibt als drittes
Erfordernis eine neue Welt, eine Umwandlung im Leben der ganzen Menschheit,
zumindest ein neues vervollkommnetes kollektives Leben in der Erden-Natur. Das
erfordert, daß nicht nur isoliert entwickelte Einzelwesen erscheinen, die in der
unentwickelten Masse wirken, sondern viele gnostische Einzelne eine neue Art
Mensch und ein neues Gemeinschaftsleben gestalten, das dem gegenwärtigen
individuellen und gemeinschaftlichen Dasein überlegen ist. Ein kollektives Leben
dieser Art muß sich offensichtlich nach demselben Prinzip aufbauen wie das Leben
des gnostischen Einzelnen. Es gibt in unserem gegenwärtigen menschlichen Dasein
eine physische Vergesellschaftung, die durch die gemeinsame physische
Lebens-Tatsache und durch all das
zusammengehalten wird, was aus ihr hervorgeht: eine Gemeinschaft der Interessen,
eine gemeinschaftliche Zivilisation und Kultur, ein gemeinsames Sozial-Gesetz,
gleichgeschaltete Mentalität, ökonomischer Zusammenschluß; und es sind die
Ideale, Gefühle und Bemühungen des kollektiven Ichs, die zusammen mit den
individuellen Bindungen und Verbindungen durch das ganze Gewebe hindurchgehen
und helfen, es zusammenzuhalten. Andererseits wird dort, wo es in diesen Dingen
Differenz, Opposition und Konflikt gibt, die praktische gegenseitige Anpassung
oder ein organisierter Kompromiß durch die Notwendigkeiten des Zusammenlebens
erzwungen. Eine natürliche oder eine künstliche Ordnung wird errichtet. Das ist
aber nicht die gnostische, göttliche Methode des kollektiven Zusammenlebens.
Denn das, was dort alle aneinander bindet und zusammenhält, ist nicht die
Tatsache, daß das Leben ein einigermaßen geeintes soziales Bewußtsein schaffen
soll. Vielmehr konsolidiert ein gemeinsames Bewußtsein das gemeinsame Leben. Die
Menschen werden durch die Entwicklung des Wahrheits-Bewußtseins in ihnen geeint.
In der veränderten Seins-Weise, die dieses Bewußtsein in ihnen zustandebringt,
fühlen sie sich als die Verkörperung eines einzigen Selbsts, als die Seelen
einer einzigen Wirklichkeit. Durch die grundlegende Einheit des Wissens
erleuchtet und bewegt, durch ein grundlegend geeintes Wollen und Fühlen
angetrieben, findet durch all das ein Leben, das die spirituelle Wahrheit
ausdrückt, seine natürlichen Werdeformen. Dort ist Recht und Ordnung vorhanden,
denn die Wahrheit des Einsseins erschafft ihre eigene Ordnung. Es mag ein oder
mehrere Gesetze des Zusammenlebens geben, sie sind aber vom Selbst bestimmt. Sie
sind Ausdruck der Wahrheit des spirituell geeinten Wesens und spirituell
geeinten Lebens. Die ganze Gestaltung des gemeinsamen Daseins kommt dadurch
zustande, daß die spirituellen Kräfte, die sich in solch einem Leben spontan
ausarbeiten müssen, sich selbst aufbauen. Diese Kräfte werden vom inneren Wesen
im Innern empfangen und in ursprünglicher Übereinstimmung von Idee, Aktion und
Zweck ausgedrückt oder selbstverwirklicht.
Die mentale Methode, um Übereinstimmung
sicherzustellen, besteht darin, daß die Mechanisierung vermehrt, für alles eine
gemeinsame Norm aufgestellt und alles nach einem gemeinsamen Modell festgelegt
wird. Das ist aber nicht das Gesetz der gnostischen Art zu leben. In ihr gibt es
beachtlich freie Mannigfaltigkeiten der verschiedenen gnostischen Gemeinschaften. Jede muß auf ihre Weise das spirituelle Leben
verkörpern. So bringen dann auch die Individuen einer einzelnen Gemeinschaft ihr
Selbst in beachtlicher Mannigfaltigkeit zum Ausdruck. Diese freie
Mannigfaltigkeit ist aber kein Chaos und schafft keinen Zwist. Denn die
Mannigfaltigkeit der einen Wahrheit des Wissens und der einen Wahrheit des
Lebens gründet sich auf Entsprechung und nicht auf Gegensatz. In einem
gnostischen Bewußtsein ist es unmöglich, daß das Ich auf seiner persönlichen
Idee beharrt, seinen persönlichen Willen und sein Eigeninteresse durchdrückt
oder lautstark erzwingt. Statt dessen gibt es das vereinende Gefühl für eine
gemeinsame Wahrheit in vielen Ausdrucksformen, für ein gemeinsames Selbst in
Bewußtsein und Körper vieler Menschen. Dort herrscht Universalität und
Formbarkeit, die den Einen schaute und in vielen Abbildungen seiner selbst
ausdrückt, die das Einssein in der Mannigfaltigkeit ausarbeitet als das
innewohnende Gesetz des Wahrheits-Bewußtseins und der Wahrheit seiner Natur.
Eine einzige Bewußtseins-Kraft, deren alle bewußt sind und als deren Werkzeuge
sie sich sehen, wirkt durch alle hindurch und bringt ihr Wirken in Einklang. Der
gnostische Mensch fühlt eine einzige harmonische Kraft der Übernatur, die in
allen wirkt. Er empfängt ihre Ausformung in sich selbst. Er gehorcht dem Wissen
und der Macht, die sie ihm für das göttliche Werk gibt. In ihm ist aber kein
Drang oder Zwang, die eigene Macht und Erkenntnis seines Innern der Macht oder
Erkenntnis anderer entgegenzusetzen oder sich selbst als ein Ich im Kampf gegen
das Ich anderer zu behaupten. Denn das spirituelle Selbst hat die eigene
unveränderliche Freude und Fülle, die in allen Lebensumständen unverletzlich
ist. Es hat die Unendlichkeit der Wahrheit seines Wesens: Stets fühlt es deren
Fülle, in welcher Formulierung sie auch hervortritt. Die Wahrheit des Geistes im
Innern hängt nicht von ihrer besonderen Ausdrucksform ab. Sie braucht darum auch
nicht um irgendeine besondere äußere Formulierung und Selbst-Bestätigung zu
kämpfen. Die Formen entstehen hier aus sich selbst gestaltet in der rechten
Beziehung zu anderen Formgebungen, und zwar jede an ihrem Ort in der
Gesamtgestaltung. Wenn sich die Wahrheit des gnostischen Bewußtseins und Wesens
irgendwo fest durchsetzt, kann sie die Harmonie mit jeder anderen Wahrheit des
Wesens in ihrer Umgebung finden. Ein spiritueller oder gnostischer Mensch fühlt
seinen Einklang mit allem gnostischen Leben ringsum, welche Stellung in dem
Ganzen er auch einnimmt. Je nach seinem Platz darin weiß er, wie
er zu lenken oder zu regieren, aber auch, wie er sich unterzuordnen
hat. In beiden findet er gleichmäßige Freude: Kann man doch die Freiheit des
Geistes, weil er ewig, selbst-seiend und unveränderlich ist, ebenso im Dienen,
in williger Unterordnung und Anpassung an das Selbst anderer finden, wie in
Macht und Lenkung. Innere spirituelle Freiheit kann ihren Platz ebenso in der
Wahrheit einer inneren spirituellen Hierarchie annehmen, wie in der mit ihr
nicht unvereinbaren Wahrheit von grundsätzlich spiritueller Gleichberechtigung.
In einem gemeinsamen Leben von verschiedenen Graden und Stufen des sich
entwickelnden gnostischen Wesens ordnet sich die Wahrheit auf diese Weise selbst
und existiert hier als eine natürliche Ordnung des Geistes. Einheit ist die
Grundlage des gnostischen Bewußtseins, gegenseitige Hilfe ist das natürliche
Ergebnis seines unmittelbaren Bewußtseins der Einheit in der Mannigfaltigkeit.
Harmonie ist die unvermeidliche Macht, in der ihre Kraft wirkt. Einheit,
Gegenseitigkeit und Harmonie müssen also das unausweichliche Gesetz eines
gemeinsamen oder kollektiven gnostischen Lebens sein. Welche Formen dieses
annimmt, hängt vom Willen der evolutionären Offenbarung der Übernatur ab; doch
dies ist sein allgemeiner Charakter und sein Prinzip.
Dies ist der ganze Sinn, das innewohnende Gesetz und
das Erforderliche beim Übergang vom rein mentalen und materiellen Wesen und
Leben zum spirituellen und supramentalen Wesen und Leben, daß der Mensch die
Befreiung, Vollkommenheit und Selbst-Erfüllung, nach der er in der Unwissenheit
strebt, nur erlangen kann, wenn er aus seiner jetzigen Natur der Unwissenheit
weitergeht in eine Natur spiritueller Selbst- und Welt-Erkenntnis. Diese höhere
Natur nennen wir Übernatur, weil sie jenseits der jetzt erreichten
Bewußtseins-Stufe und Begabung liegt. In Wirklichkeit ist es aber seine eigene
wahre Natur. Es ist ihre Höhe und Vollkommenheit, zu der er gelangen muß, wenn
er sein wahres Selbst und jede mögliche Entfaltung seines Wesens finden will.
Alles was sich in der Natur ereignet, muß das Ergebnis der Natur selbst sein,
die Auswirkung von etwas, was in sie einbezogen oder ihr eigen ist, als dessen
unvermeidliche Frucht und Konsequenz. Ist unsere Natur nur grundlegende
Unbewußtheit und Unwissenheit, die nur mit Mühe zu unvollkommener Erkenntnis, zu
unvollkommener Formgebung durch Bewußtsein und Wesen gelangt, dann müssen die
Ergebnisse in unserem Wesen, Leben, Handeln und Erschaffen das sein, was sie
jetzt sind: eine ständige Unvollkommenheit, ein ungesichertes halbes Resultat, eine unvollkommene Mentalität, ein unvollkommenes Leben, ein
unvollkommenes physisches Dasein. Wir versuchen, Systeme der Erkenntnis und
Systeme des Lebens zu errichten, um dadurch zu einer gewissen Vervollkommnung
unseres Daseins zu gelangen, zu einer gewissen Ordnung der rechten Beziehungen,
zur rechten Verwendung des Mentals, zum rechten Gebrauch, zu Glück und Schönheit
unseres Lebens, zur rechten Verwendung unseres Körpers. Was wir aber dadurch
erlangen können, ist nur etwas Konstruiertes und Halb-Richtiges, vermischt mit
viel Falschem, das nicht liebenswert ist und unglücklich macht. Weil in unseren
immer neuen Konstruktionen der tückische Fehler steckt, weil Mental und Leben
nirgendwo bei ihrem Suchen dauernde Ruhe finden können, sind sie der Zerstörung,
der Dekadenz und der Auflösung ihrer Ordnung ausgesetzt. Dann gehen wir von
ihnen zu anderen Konstruktionen weiter, die letztlich auch nicht erfolgreicher
und dauerhafter sind, selbst wenn sie nach der einen oder anderen Seite hin
reicher, erfüllter oder rational einleuchtender sein sollten. Das kann nicht
anders sein, da wir nichts konstruieren können, was über unsere Natur
hinausgeht. Wir sind unvollkommen, darum können wir keine Vollkommenheit
konstruieren, wie wundervoll uns auch der Mechanismus, den unsere mentale
Genialität erfindet, und wie erfolgreich nach außen er auch erscheinen mag. Da
wir unwissend sind, können wir kein System einer völlig wahren und
fruchtbringenden Erkenntnis des Selbsts und der Welt konstruieren. Unsere
Wissenschaft ist selbst eine Konstruktion, eine Masse von Formeln und
Erfindungen. In der Erkenntnis der Prozesse und im Erschaffen von geeigneten
Maschinen ist sie meisterhaft. Sie weiß aber nichts über die Grundlagen unseres
Wesens und des Wesens der Welt. Sie kann unsere Natur nicht vervollkommnen.
Darum kann sie auch nicht unser Leben zu etwas Vollkommenem machen.
Unsere Natur, unser Bewußtsein gehören Menschen, die
nichts voneinander wissen, die voneinander getrennt, in ihrem zerteilten Ich
verwurzelt sind. Sie müssen darum ringen, eine Art von Beziehung zwischen ihren
Verkörperungen der Unwissenheit herzustellen. Denn es herrschen in der Natur der
Drang zur Einung und die Kräfte, die auf Einung hinwirken. So werden für
Individuen und Gruppen Übereinstimmungen von relativer und bedingter
Vollkommenheit geschaffen, gesellschaftlicher Zusammenschluß wird erreicht. Im
allgemeinen sind aber die so gebildeten Beziehungen ständig beeinträchtigt durch
unvollkommenes Mitempfinden, unvollkommenes
gegenseitiges Verstehen, grobe Mißverständnisse, Streit, Zwietracht und
Unglücksfälle. Das kann nicht anders sein, solange es keine wahre Einung des
Bewußtseins gibt, die sich auf das Wesen der Selbst-Erkenntnis, des inneren
gegenseitigen Erkennens, auf die innere Verwirklichung der Einheit, auf die
Eintracht unserer inneren Wesens- und Lebens-Kräfte gründet. In unserem
gesellschaftlichen Aufbau mühen wir uns darum, eine gewisse Annäherung an
Einheit, Gegenseitigkeit und Gleichklang herzustellen, weil es ohne diese Dinge
kein vollkommenes gesellschaftliches Zusammenleben geben kann. Was wir hier
aufbauen, ist aber eine konstruierte Einheit, ein Zusammenschluß von Interessen
und Egos, der durch Gesetz und Sitte erzwungen wird und allen eine konstruierte
Ordnung aufnötigt, in der die Interessen der einen die der anderen überwiegen.
Das gesellschaftliche Ganze hält nur eine halbakzeptierte, halb-erzwungene,
halb-natürliche, halb-künstliche gegenseitige Angleichung in Gang. Von
Gemeinschaft zu Gemeinschaft gibt es noch viel weniger Anpassung. Ständig kehrt
der Kampf des einen kollektiven Ichs gegen das andere wieder. Das ist das Beste,
was wir zustandebringen. All unsere hartnäckigen Neu-Anpassungen in der
gesellschaftlichen Ordnung können uns nichts Besseres eintragen als eine
unvollkommene Lebensstruktur.
Nur wenn sich unsere Natur über sich selbst hinaus
entwickelt, wenn sie zu einer Natur von Selbst-Erkenntnis, gegenseitigem
Verstehen, von Einheit, wahrem Wesen und wahrem Leben wird, kann es zu einer
Vervollkommnung unserer selbst und unseres Daseins kommen, zu einem Leben wahren
Wesens, zu einem Leben von Einheit, Gegenseitigkeit und Gleichklang, zu einem
Leben wahren Glücks, zu einem harmonischen und schönen Leben. Bleibt aber unsere
Natur auf das festgelegt, was sie ist und was sie bisher geworden ist, dann ist
keine Vollkommenheit, kein wirkliches und dauerndes Glück im irdischen Leben
möglich. Dann brauchen wir überhaupt nicht danach zu suchen und müssen das
Bestmögliche aus unseren Unvollkommenheiten machen. Oder wir müssen die
Vollkommenheit anderswo, in einem überirdischen Jenseits suchen. Oder wir müssen
über all solches Suchen hinausgehen und das Leben überschreiten, indem wir
unsere Natur und unser Ich in einem Absoluten auslöschen, aus dem dieses unser
befremdendes und unbefriedigendes Wesen einst ins Dasein trat. Gibt es aber in
uns ein spirituelles Wesen, das bereit ist, hervorzutreten, während unser
gegenwärtiger Zustand nur ein unvollkommenes
oder halbes Hervortreten bedeutet, und ist das Unbewußte ein Ausgangspunkt, der
in sich die Machtfülle von Überbewußtheit und Übernatur enthält, die in der
Entwicklung offenbar werden muß, und ist er nur eine Verschleierung durch die
sichtbare Natur, in der jenes höhere Bewußtsein verborgen ist und aus der es
sich selbst zu entfalten hat, und ist die Evolution des Wesens das eigentliche
Gesetz, dann ist das, wonach wir suchen, nicht nur möglich, sondern ein Teil
dessen, was schließlich in der Notwendigkeit der Dinge liegt. Es ist unsere
spirituelle Bestimmung, daß wir jene Übernatur offenbaren und selbst zu ihr
werden, denn sie ist die Natur unseres wahren Selbsts, unser noch verborgenes,
weil unentwickeltes ganzes Wesen. Dann wird die Natur der Einheit unausweichlich
als Lebens-Ergebnis Einheit, Gegenseitigkeit und Harmonie erbringen. Ein inneres
Leben, das zum vollen Bewußtsein und zur umfassenden Macht des Bewußtseins
erwacht ist, wird dann unvermeidlich Frucht tragen in allen Menschen, die es
besitzen: Selbst-Erkenntnis, ein vollendetes Dasein, die Freude eines
zufriedenen Wesens, das Glück einer erfüllten Natur.
Ursprünglich eigen ist dem gnostischen Bewußtsein und
dem Werkzeugcharakter der Übernatur die Vollständigkeit von Betrachten und
Handeln; die Einheit von Wissen zu Wissen; die Aussöhnung zwischen allem, was in
unserer mentalen Betrachtung und Erkenntnis gegensätzlich zu sein scheint; die
Identität von Wissen und Wollen, die als eine einzige Macht in vollkommenem
Einklang mit der Wahrheit der Dinge wirken. Dieser angeborene Charakter der
Übernatur ist die Grundlage für die vollkommene Einheit, Gegenseitigkeit und
Harmonie ihres Wirkens. Im mentalen Wesen besteht ein Zwiespalt zwischen seiner
konstruierten Erkenntnis und der wirklichen oder der ganzen Wahrheit der Dinge,
so daß selbst das, was in ihr wahr ist, oft oder zuletzt, wirkungslos oder nur
zum Teil wirkungsvoll wird. Alles, was wir hier von der Wahrheit entdecken, wird
wieder umgestürzt, was wir mit Leidenschaft an Wahrheit verwirklicht haben, wird
zunichte gemacht. Oft wird das Ergebnis unseres Handelns zum Teil eines Plans,
der nicht in unserer Absicht lag. Oder es geschieht zu einem Zweck, dessen
Rechtmäßigkeit wir nicht anerkennen können. Oder die Wahrheit der Idee wird
durch das wirkliche Ergebnis ihres pragmatischen Erfolgs verfälscht. Und selbst
wenn die Idee erfolgreich verwirklicht worden ist, muß ihr Erfolg früher oder
später in Enttäuschung und neuem Bemühen enden, weil die Idee etwas Unvollständiges, eine isolierte Konstruktion des Mentals und losgelöst
ist von der einen und ganzen Wahrheit der Dinge. Weil eine Disharmonie besteht
zwischen unserer Anschauung und unseren Begriffen einerseits und der wirklichen
Wahrheit und der ganzen Wahrheit der Dinge andererseits und weil unser Mental in
seiner Parteilichkeit und Oberflächlichkeit täuschende Konstruktionen herstellt,
werden wir so tief enttäuscht. Es herrscht aber nicht nur ein Zwiespalt zwischen
der einen und der anderen Erkenntnis, sondern auch zwischen dem einen und dem
anderen Willen und zwischen der Erkenntnis und dem Willen im gleichen Menschen,
eine Zerteilung und Disharmonie in ihm, so daß dort, wo die Erkenntnis reif und
ausreichend ist, ein gewisses Wollen im Menschen ihr Widerstand leistet oder der
Wille ihr gegenüber versagt. Wo aber der Wille mächtig, stürmisch oder fest und
kraftvoll wirkt, fehlt es an der Erkenntnis, die ihn zu seiner rechten
Verwendung lenkt. Alle Arten von Unausgeglichenheit, falscher Anpassung,
Unvollständigkeit unserer Erkenntnis, unseres Wollens oder Vermögens, unserer
ausführenden Kraft oder deren Handhabung greifen ständig in unser Handeln, in
seine Auswirkung in unserem Leben ein. Sie sind eine überreiche Quelle von
Unvollkommenheit oder Untüchtigkeit. Diese Unordnungen, Mängel, Disharmonien
sind normal für Zustand und Energie der Unwissenheit. Sie können nur durch ein
Licht beseitigt werden, das größer ist als das der Mental-Natur oder das der
Lebens-Natur. Der ursprüngliche Charakter alles gnostischen Betrachtens und
Wirkens sind Identität, authentische Einheit und Harmonie von Wahrheit zu
Wahrheit. Sobald das Mental in die Gnosis emporwächst, sobald unser mentales
Betrachten und Handeln in das gnostische Licht emporgehoben oder von ihm besucht
und beherrscht wird, beginnt es, an diesem Charakter teilzuhaben. Selbst wenn es
noch beschränkt und begrenzt ist, muß es viel vollkommener und innerhalb dieser
Grenzen leistungsfähiger werden: Immer mehr vermindern sich die Ursachen unserer
Unfähigkeit und unseres Versagens; schließlich verschwinden sie. Es wird aber
auch ein umfassenderes Dasein mit seinen Machtvollkommenheiten aus einem höheren
Bewußtsein und einer größeren Kraft in unser Mental eindringen; sie werden neue
Mächte des Wesens zum Vorschein bringen. Wissen ist eine Macht und ein Akt des
Bewußtseins. Wille ist bewußte Macht und bewußter Akt der Kraft des Wesens. Im
gnostischen Menschen erlangen beide eine Größenordnung höherer Art, als wir
jetzt irgendwie an ihnen kennen, einen höheren Grad ihrer
selbst und eine reichere Versorgung mit Werkzeugen. Denn überall, wo
es einen Zuwachs an Bewußtsein gibt, vermehrt sich auch die potentielle und die
aktuelle Macht des Daseins.
In der irdischen Formulierung von Wissen und Macht wird
diese Entsprechung nicht voll ersichtlich, weil hier das Bewußtsein selbst in
der ursprünglichen Unbewußtheit verborgen ist. Darum sind seine natürliche
Stärke und der Rhythmus seiner Mächte bei ihrem Erscheinen herabgemindert und
durch die Disharmonien und Verhüllungen der Unwissenheit verwirrt. Das Unbewußte
ist hier die ursprüngliche, machtvolle und automatisch wirksame Kraft. Das
bewußte Mental ist nur ein kleiner, mühevoll arbeitender Agent. Der Grund dafür
ist, daß das bewußte Mental in uns nur einen begrenzten Aktionsradius hat, das
Unbewußte hingegen die ungeheuer starke Aktion eines universalen verborgenen
Bewußtseins ist: Die kosmische Kraft, als materielle Energie verkleidet,
verbirgt durch die aufdringliche Materialität ihres Verfahrens vor uns die
geheime Tatsache, daß das Wirken des Unbewußten in Wirklichkeit der Ausdruck
eines unermeßlichen, allumfassenden Lebens ist, ein verhülltes universales
Mental, eine getarnte Gnosis. Besäße sie nicht diese ihre ursprünglichen Mächte,
sie könnte keine Macht zum Handeln, keinen sie ordnenden Zusammenhang haben. Es
hat auch den Anschein, als ob die Lebens-Kraft in der materiellen Welt
dynamischer und wirksamer sei als das Mental. Unser Mental ist nur in seiner
Idee und Erkenntnis frei und uneingeschränkt mächtig: Seine Aktionskraft, seine
Macht, außerhalb des mentalen Gebiets effektiv zu wirken, ist gezwungen, mit dem
Leben und mit der Materie als ihren Werkzeugen zu arbeiten. Unter den unserem
Mental durch das Leben und die Materie aufgezwungenen Bedingungen wird sie
behindert und nur halb wirksam. Dabei sehen wir aber auch, daß die Natur-Kraft
im mentalen Menschen viel machtvoller bei seinem Umgang mit sich selbst, mit dem
Leben und der Materie ist, als die Natur-Kraft im Tier. Die größere Kraft von
Bewußtsein und Wissen, die hervorgetretene höhere Kraft von Wesen und Willen
begründen diese Überlegenheit. Im menschlichen Leben selbst scheint der vitale
Mensch wegen der Überlegenheit an kinetischer Lebens-Kraft eine stärkere Dynamik
in seinem Handeln zu haben als der mentale Mensch: Der intellektuelle Mensch
neigt dazu, im Denken tüchtig zu sein, aber untüchtig in seiner Macht über die
Welt, während der bewegliche vitale Aktions-Mensch das Leben beherrscht. Aber
gerade seine Verwendung des Mentals befähigt ihn, zu einer vollen Ausnutzung dieser Überlegenheit zu gelangen. Schließlich wird der mentale Mensch
durch seine Macht der Erkenntnis, durch seine Wissenschaft befähigt, die
Bemeisterung seines Daseins weit über das hinaus auszudehnen, was das Leben in
der Materie durch seine Funktionen oder was der vitale Mensch mit seiner
Lebens-Kraft und seinem Lebens-Instinkt ohne diesen Zuwachs an effektivem Wissen
fertigbringen kann. Eine unermeßlich größere Macht über das Dasein und über die
Natur muß kommen, wenn ein noch höheres Bewußtsein hervortritt und die
behinderten Maßnahmen der mentalen Energie in unserer zu stark
individualisierten und begrenzten Daseins-Kraft ersetzt.
Auch inmitten unserer höchsten mentalen Meisterschaft
gegenüber dem Selbst und den Dingen verbleibt doch eine gewisse grundsätzliche
Abhängigkeit des Mentals vom Leben und von der Materie. Das Mental erkennt seine
Unterlegenheit an. Es weiß sich unfähig, das mentale Gesetz unmittelbar
durchzusetzen und durch mentale Mächte die verständnislosen Gesetze und
Funktionen dieser untergeordneten Kräfte des Wesens umzuwandeln. Diese
Begrenzung ist aber nicht unüberwindlich. Die Vertiefung in die geheimen
Erkenntnisse zeigt uns – und eine dynamische Kraft spirituellen Wissens erbringt
uns dasselbe Zeugnis –, daß diese Unterwerfung des Mentals unter die Materie,
des Geistes unter ein minderes Gesetz des Lebens, nicht das ist, was es zuerst
zu sein scheint: Es ist kein grundlegender Zustand in den Dingen, kein
unverletzliches und unveränderliches Gesetz der Natur. Die größte,
bedeutungsvollste natürliche Entdeckung, die der Mensch machen kann, ist, daß
das Mental und noch mehr die Kraft des Geistes über Leben und Materie siegreich
bleiben und sie beherrschen können. Das ist durch viele erprobte und noch nicht
erprobte Wege nach allen Richtungen hin bewiesen, – und zwar durch ihre eigene
Natur und unmittelbare Macht, nicht nur durch Erfindungen und Apparaturen, wie
die von den Naturwissenschaften entdeckten überlegenen materiellen Werkzeuge. In
der Evolution der gnostischen Übernatur kommt diese unmittelbare Macht des
Bewußtseins, diese direkte Einwirkung der Kraft des Wesens, seine freie
Meisterschaft und Kontrolle über Leben und Materie zu ihrer höchsten Entfaltung
und erreicht ihren Gipfel. Denn das höhere Wissen des gnostischen Menschen ist
in der Hauptsache nicht von außen erworbenes und erlerntes Wissen, sondern das
Ergebnis einer Entwicklung des Bewußtseins und der Kraft des Bewußtseins. Es ist
eine neue Dynamisierung des Menschen. Als Folge davon wird er wach für viele Dinge, die jenseits von dem liegen, was er bisher erlangt hatte, und
besitzt sie nun: eine klare und vollständige Erkenntnis seines Selbsts,
unmittelbare Kenntnis der anderen, unmittelbares Wissen von verborgenen Kräften,
unmittelbare Einsicht in den geheimen Mechanismus von Mental, Leben und Materie.
Dieses neue Wissen und das Handeln aus diesem Wissen gründet in einem
unmittelbaren intuitiven Bewußtsein der Dinge und einer unmittelbaren intuitiven
Macht über sie. Eine aktiv wirksame Innenschau, die für uns jetzt etwas
Übernormales ist, wird zum normalen Arbeitsstil dieses Bewußtseins. Ein
integraler gesicherter Erfolg sowohl im Ganzen des Handelns wie in seinen
Einzelheiten ist das Ergebnis dieser Umwandlung. Denn der gnostische Mensch
steht im Einklang und in Übereinstimmung mit der Bewußtseins-Kraft, die allem
zugrundeliegt: Die supramentale Real-Idee, die sich selbst durchsetzende
Wahrheits-Kraft, verwendet sein Schauen und seinen Willen als ihren Kanal. So
wird sein Handeln zu einer freien Offenbarung der Macht und der Wirkweisen der
Ursprungs-Kraft des Seins, der Kraft eines alles bestimmenden bewußten Geistes,
dessen Formulierungen von Bewußtsein sich unfehlbar in Mental, Leben und Materie
auswirken. Wenn so der gnostische Mensch in seiner Entwicklung im Licht und in
der Macht des supramentalen Wissens handelt, wird er immer mehr zum Meister über
sich selbst, zum Herrn über die Kräfte des Bewußtseins, zum Beherrscher der
Energien der Natur und verfügt nun souverän über alle seine Instrumente von
Leben und Materie. In seinem niedrigeren Zustand, auf den Zwischenstufen oder in
den Mittelformen der sich entwickelnden gnostischen Natur, ist diese Macht noch
nicht in ihrer Fülle gegenwärtig, wenn auch in einem gewissen Grad ihrer
Wirkungen schon aktiv vorhanden. Sie ist in ihren Anfängen da und wächst mit dem
Aufstieg auf ihrer Stufenleiter. Sie ist die natürliche Begleiterin des
Wachstums von Bewußtsein und Wissen.
Eine neue Macht und neue Mächte des Bewußtseins werden
also unvermeidlich die Folge einer Entwicklung der Bewußtseins-Kraft sein, die
über das Mental hinaus zu einem höheren Prinzip der Erkenntnis und Dynamik
ansteigt. Ihrer wesenhaften Natur nach müssen diese neuen Mächte charakterisiert
sein durch die Herrschaft des Mentals über Leben und Materie, des bewußten
Lebens-Willens und der Lebens-Kraft über die Materie, des Geistes über Mental,
Leben und Materie. Bezeichnend für sie ist aber auch, daß sie die Schranken
zwischen Seele und Seele, Mental und Mental, Leben und Leben niederbrechen. Eine
solche Umwandlung ist für den Werkzeugcharakter
des gnostischen Lebens unerläßlich. Denn eine vollständige gnostische oder
göttliche Lebensweise umfaßt nicht nur das individuelle Leben des Menschen,
sondern auch das Leben anderer, die mit diesem Einzelnen in einem gemeinsamen,
sie vereinenden Bewußtsein eins geworden sind. Solch ein Leben muß als die
hauptsächliche, es bildende Macht unwillkürliche und angeborene Einheit und
Übereinstimmung besitzen, die nicht künstlich gemacht sind. Das kann nur
Zustandekommen, wenn in den Einzelnen eine größere Identität von Wesen und
Bewußtsein da ist. Sie sind geeint in ihrer spirituellen Substanz. Sie fühlen
sich als Selbste eines einzigen Selbst-Seins. Sie handeln in einer mehr einenden
Kraft von Wissen, in einer höheren Macht des Wesens. Es muß zu einer inneren,
unmittelbaren gegenseitigen Kenntnis kommen, die sich auf ein Bewußtsein von
Einssein und Identität gründet. Man wird sich des beiderseitigen Wissens,
Denkens und Fühlens, der inneren und äußeren Bewegungen bewußt. Es kommt zur
bewußten Kommunikation von Mental und Mental, zwischen den Herzen. So wirkt
bewußt das eine Leben auf das andere ein. Bewußter Austausch zwischen den
Kräften des einen Menschen und denen des anderen wird möglich. Fehlen aber
einige dieser Mächte und ihr intensives Leuchten oder sind sie mangelhaft, kann
es nicht zu einer wirklichen, vollständigen Einung kommen, scheidet aus, daß
sich Wesen, Denken, Fühlen sowie die inneren und äußeren Bewegungen jedes
Einzelnen genau in die der Individuen seiner Umgebung wirklich und ganz
einpassen. So wird das sich weiter entwickelnde Leben dadurch geprägt sein, daß
das Fundament und der Aufbau bewußter Einmütigkeit der Seelen – wie man das
nennen könnte -wachsen.
Die natürliche Ordnung des Geistes ist Harmonie. Sie
ist das innewohnenden Gesetz und die spontane Folge der Einheit in Vielfalt, der
Einheit in Verschiedenheit, einer Manifestation in vielen Variationen des
Einsseins. In einer reinen und leeren Einheit kann es gewiß keinen Raum für
Harmonie geben; denn hier gibt es nichts, was in Einklang zu bringen wäre. In
völliger oder überwiegender Mannigfaltigkeit muß es entweder Gegensätze geben,
oder man schaltet die Unterschiede in einer künstlich hergestellten
Übereinstimmung einander gleich. In der gnostischen Einheit in Vielfalt ist
jedoch die Harmonie als spontaner Ausdruck der Einheit da. Dieser spontane
Ausdruck setzt Gegenseitigkeit des Bewußtseins voraus: Man ist des anderen
Bewußtseins durch unmittelbaren inneren Kontakt
und Austausch inne. Im Leben unterhalb der Vernunft wird die Harmonie durch
instinktives Einssein von Natur aus durch Einheit im Zusammenwirken der Naturen
hergestellt. Es besteht eine instinktive Kommunikation, eine instinktive oder
unmittelbare Verständigung durch vital-intuitive Sinne, durch die die Einzelnen
einer Tier- oder Insekten-Gemeinschaft miteinander verkehren können. Im
menschlichen Leben wird das durch Verständigung mittels der Sinnen-Erkenntnis,
der mentalen Wahrnehmung, der Mitteilung von Ideen durch die Rede ersetzt. Doch
sind die verwendbaren Mittel unvollkommen, Harmonie und Zusammenarbeit
unvollständig. Im gnostischen Leben, einem Leben der Übervernunft und Übernatur,
ist die tief und weit reichende Wurzel des gegenseitigen Verstehens eine des
Selbsts bewußte spirituelle Einheit des Wesens, eine spirituell bewußte
Gemeinschaft und ein Austausch zwischen den Naturen. Dieses höhere Leben hat
neue und überlegene Mittel und Mächte entwickelt, die im Innern das eine
Bewußtsein mit dem anderen Bewußtsein einen. Der natürliche grundlegende
Werkzeugcharakter dieses höheren Lebens liegt in der unmittelbaren Innigkeit,
mit der ein Bewußtsein mit einem anderen Bewußtsein, Gedanke mit Gedanke, Vision
mit Vision, Sinne mit Sinnen, Leben mit Leben, Körper-Bewußtsein mit
Körper-Bewußtsein zuinnerst und unmittelbar kommunizieren. Alle diese neuen
Mächte nehmen die alten äußeren Werkzeuge zu sich empor und verwenden sie – als
untergeordnete Mittel – mit weit größerer Macht und zu umfassenderem Zweck. Sie
stellen sie in den Dienst des Geistes, der sich selbst in einer tiefen Einheit
von Wesen und Leben ausdrückt.
Nun erkennt das moderne Mental eine Entwicklung
angeborener und latenter und dennoch nicht entfalteter Mächte des Bewußtseins
nicht als vertretbar an, weil diese über unsere gegenwärtige Darstellung der
Natur hinausgehen. Unseren unwissenden, voreingenommenen Auffassungen, deren
Grundlage eine begrenzte Erfahrung ist, scheinen sie zum Übernatürlichen,
Wundersamen, Geheimen zu gehören. Gehen sie doch über das bekannte Wirken der
materiellen Energie hinaus, das man bisher gewöhnlich für die einzige Ursache
und Eigenschaft der Dinge und für die einzige Werkzeugausrüstung der Welt-Kraft
gehalten hat. Man akzeptiert jedoch als natürliche Tatsache, daß der bewußte
Mensch Wunder wirken kann, der eine Apparatur von materiellen Kräften entdeckt
und entwickelt, die über all das hinausgehen, was die Natur selbst organisiert
hat, und dadurch unserem Dasein fast unbegrenzte Zukunftsaussichten
eröffnet. Trotzdem wird behauptet, es sei unmöglich, daß der Mensch
Bewußtseins-Mächte und spirituelle, mentale und vitale Kräfte erwecken,
entdecken und als Werkzeuge verwenden könne, die über all das hinausgehen, was
die Natur oder der Mensch bisher organisiert hat. In solch einer Entwicklung
liegt aber nichts Übernatürliches oder Wundersames, es sei denn, insofern sie
ebenso für uns eine Übernatur oder eine höhere Natur ist wie die menschliche
Natur gegenüber der des Tiers, der Pflanze oder materieller Gegenstände. Unser
Mental und seine Mächte, unsere Verwendung der Vernunft, unsere mentale
Eingebung und Einsicht, die Sprache, die Möglichkeiten der philosophischen,
wissenschaftlichen und ästhetischen Entdeckung der Wahrheiten und
Entfaltungsmöglichkeiten des Wesens und die Herrschaft über seine Kräfte, – das
alles ist eine Entwicklung, die stattgefunden hat. Sie würde aber als ganz
unmöglich erscheinen, wenn wir uns auf den Standpunkt des begrenzten
Tier-Bewußtseins und seiner Fähigkeiten stellen würden. Denn dort ist nichts,
was einen so großartigen Fortschritt garantieren könnte. Dennoch gibt es auch im
Tier vage anfängliche Manifestationen, rudimentäre Elemente oder
steckengebliebene Möglichkeiten, zu denen sich unsere Vernunft und Intelligenz
mit ihren außerordentlichen Entwicklungen verhalten wie eine unvorstellbar
erfolgreiche Reise, die man von einem armen und verheißungslosen Ausgangspunkt
aus begann. Die Rudimente der spirituellen Mächte, die zur gnostischen Übernatur
gehören, sind in ähnlicher Weise gerade hier in unserer gewöhnlichen
Kräfte-Zusammensetzung aktiv, doch erscheinen sie nur gelegentlich und selten.
So ist die Annahme nicht unvernünftig, daß auf dieser viel höheren Stufe der
Evolution ein ähnlicher, doch größerer Fortschritt, von diesen rudimentären
Anfängen ausgehend, zu einer weiteren unermeßlichen Entfaltung und einem neuen
Weg in die Zukunft führen kann.
In der Erfahrung der Mystiker weiß man, daß sich neue
Mächte des Bewußtseins entwickeln, sei es sobald sich die inneren Zentren
öffnen, sei es auf andere Weise, spontan oder durch eigenes Wollen und Bemühen
oder entsprechend dem Verlauf des spirituellen Wachstums. Sie treten hervor, als
seien sie das automatische Ergebnis einer inneren Öffnung, oder sie kommen als
Antwort auf einen Anruf im Wesen. Aus diesem Grund hat man es für nötig
gehalten, dem Suchenden zu empfehlen, diesen Mächten nicht nachzujagen, sie gar
nicht anzunehmen und zu verwenden. Solche
Zurückweisung ist für Menschen folgerichtig, die sich aus dem Leben zurückziehen
wollen. Denn jede Annahme größerer Macht bindet sie an das Leben und ist eine
Belastung ihres bloßen und reinen Dranges nach Befreiung. Für den Gott-Liebenden
ist es natürlich, daß er allen anderen Zwecken und Zielen gleichgültig
gegenübersteht, da er ja Gott um Seiner Selbst willen sucht. Er will weder Macht
gewinnen noch anderen niederen Attraktionen folgen. Diesen verführerischen, oft
gefährlichen Kräften nachzustreben, ist ein Abweichen von seinem Ziel. Eine
ähnliche Zurückweisung ist für den unreifen Suchenden notwendige
Selbst-Beschränkung und spirituelle Selbstzucht, da solche Mächte eine große, ja
eine tödliche Gefahr sein können. Denn ihre übernormale Art mag leicht in ihm
eine abnorme Vergrößerung seiner Ichhaftigkeit nähren. Ein nach der
Vollkommenheit strebender Mensch mag sich vor der Macht an sich hüten, weil
Macht ebenso erniedrigen wie erhöhen kann; nichts kann mehr mißbraucht werden
als sie. Diese Einschränkung wird aber ungültig, wenn neue Fähigkeiten als ein
unvermeidliches Ergebnis unseres Hineinwachsens in ein höheres Bewußtsein und in
ein größeres Leben auftreten und wenn dieses Wachsen Teil des wahren Ziels des
spirituellen Wesens in uns ist. Denn ohne eine höhere Bewußtseins-Macht, eine
größere Macht für das Leben und die spontane Entwicklung der nötigen Werkzeuge,
die für die Erkenntnis und Kraft jener Übernatur normal sind, kann das Wesen
nicht in die Übernatur emporwachsen, kann sein Leben nicht in der Übernatur
verlaufen und in ihr vollkommen werden. In dieser zukünftigen Entwicklung des
Wesens gibt es nichts, was man als unvernünftig oder unglaublich ansehen könnte.
Das ist der notwendige Verlauf der Evolution des Bewußtseins und seiner Kräfte
beim Übergang von der mentalen zur gnostischen oder supramentalen Formgebung
unseres Daseins. Diese Wirkweise der Kräfte der Übernatur sind nur ein
natürliches, normales und spontan einfaches Betätigen des neuen höheren oder
größeren Bewußtseins, in das der Mensch im Laufe seiner Selbst-Entwicklung
weitergeht. Der gnostische Mensch, der das gnostische Leben annimmt, entwickelt
und verwendet die Mächte dieses größeren Bewußtseins ebenso, wie der Mensch die
Mächte seiner mentalen Natur entwickelt und verwendet.
Offenkundig ist eine solche Vermehrung der Macht oder
der Mächte des Bewußtseins nicht nur normal, sondern auch für ein höheres und
vollkommeneres Leben unentbehrlich. Soweit im menschlichen Leben eine teilweise Harmonie nicht nur durch ein festgelegtes Gesetz oder
eine Ordnung aufrechterhalten wird, die den Individuen, die die Gemeinschaft
bilden, teils zur freien Annahme überlassen, zum Teil aufgedrängt, zum Teil
aufgezwungen oder unausweichlich aufgenötigt wird, beruht diese Harmonie auf der
Zustimmung der erleuchteten oder interessierten Elemente in ihrem Mental, Herz
und Lebens-Empfinden. Es ist die Zustimmung zu einer aus gemeinsamen Ideen,
Wünschen, vitalen Befriedigungen, Daseinszielen zusammengesetzten mentalen
Verkörperung. Doch ist in der Masse derer, die die Gemeinschaft bilden, nur ein
unvollständiges Verstehen und Wissen von den Ideen, Lebenszielen, Lebensmotiven,
die sie angenommen haben. Unvollkommen ist auch ihre Macht, sie auszuführen, und
unvollkommen ihr Wille, sie stets uneingeschränkt aufrechtzuerhalten, sie voll
auszuführen oder das Leben zu einer höheren Vollkommenheit zu bringen. Darum
herrscht hier ein Element von Kampf und Zwietracht, vieles an unterdrückten oder
enttäuschten Wünschen und frustriertem Wollen; ein brodelndes verdrängtes
Unbehagen oder eine erwachte explosive Unzufriedenheit über ungleich erfüllte
Interessen. Neue Ideen und Lebens-Motive drängen heran und können nicht ohne
Aufruhr und Unruhe eingeordnet werden. In den menschlichen Wesen und ihrer
Umgebung wirken Lebens-Kräfte, die im Gegensatz stehen zu der Harmonie, die
konstruiert worden war. Noch ist nicht die volle Macht da, den Zwist und die
Veränderungen der Verhältnisse zu überwinden, die durch den Zusammenprall der
mannigfaltigen Kräfte in Mental und Leben und durch den Angriff der zersetzenden
Kräfte in der allumfassenden Natur geschaffen werden. Es fehlt an spirituellem
Wissen und an spiritueller Macht, einer Macht aus dem Selbst, einer aus der
inneren Einung mit den anderen Menschen geborenen Macht, einer Macht über die
uns umgebenden und in uns eindringenden Welt-Kräfte, und einer aus umfassender
Schau kommenden und voll ausgerüsteten Macht, das Wissen wirksam zu machen.
Diese Fähigkeiten, die zur eigentlichen Substanz des gnostischen Wesens gehören,
fehlen in uns oder sind nur mangelhaft, doch sind sie ursprünglich im Licht und
in der Dynamik der gnostischen Natur enthalten.
Neben der unvollkommenen gegenseitigen Anpassung von Mental, Herz und Leben jener Individuen, die eine menschliche Gemeinschaft bilden, werden aber auch Mental und Leben des einzelnen Menschen selbst von Kräften angetrieben, die miteinander nicht in Einklang stehen.
Unsere Versuche, sie in
Übereinstimmung zu bringen, sind unvollkommen. Noch unvollkommener ist unsere
Kraft, irgendeine von ihnen zu einer integralen, befriedigenden Betätigung im
Leben einzusetzen. So ist das Gesetz von Liebe und Sympathie für unser
Bewußtsein etwas Natürliches. Wenn wir geistig wachsen, nimmt auch seine
Forderung an uns zu. Da ist aber in uns auch das Verlangen des Intellekts, der
Druck der vitalen Kraft mit ihren Antrieben, der Anspruch und das Drängen von
vielen anderen Elementen, die nicht mit dem Gesetz von Liebe und Sympathie
übereinstimmen. Wir wissen nicht, wie wir sie alle in das Gesetz unseres Daseins
einpassen oder eine von ihnen oder alle richtig und voll wirksam oder zwingend
machen sollen. Damit wir sie im ganzen Wesen und im ganzen Leben übereinstimmend
und aktiv fruchtbar machen können, müssen wir selbst in eine vollständigere
spirituelle Natur emporwachsen. Durch dieses Wachsen sollen wir im Licht und in
der Kraft eines höheren, umfassenderen und vollständigeren Bewußtseins leben, in
dem Wissen und Macht, Liebe und Sympathie sowie das Spiel des Lebens-Willens die
natürlichen und immer gegenwärtigen anerkannten Elemente sind. Wir sollen uns
bewegen und handeln im Licht der Wahrheit, das intuitiv und spontan die Sache,
die getan werden soll, zugleich mit der Art ihrer Ausführung sieht und sich
intuitiv und spontan im Handeln und in der Kraft zur Erfüllung bringt, – indem
es die Fülle unserer Wesens-Kräfte in diese intuitive Spontaneität seiner
Wahrheit und in deren einfache und normale höchste Art empornimmt und alle
Schritte der Natur mit ihren in Einklang gebrachten Wirklichkeiten durchdringt.
Es dürfte klar sein, daß diese Fülle nicht dadurch in
Einklang oder Übereinstimmung gebracht werden kann, daß man die Teile rational
zusammenfügt oder mentale Konstruktionen erfindet. Es kann das nur Eingebung und
Selbst-Erkenntnis des erwachten Geistes tun. Von solcher Art ist die Natur des
entwickelten supramentalen Menschen und sein Dasein. Sein spirituelles Schauen
und seine Sinne nehmen in sein einendes Bewußtsein alle Kräfte des Wesens empor
und erheben sie in die Normalität eines einträchtigen Zusammenwirkens. Denn
dieser Einklang und diese Eintracht sind die wahre Richtschnur des Geistes.
Zwietracht und Disharmonie unseres Lebens und unserer Natur sind für diesen
abnorm, wenn auch für das Leben der Unwissenheit das Normale. Gerade weil sie
für den Geist nicht normal sind, bleibt ein Wissen in unserem Innern
unbefriedigt und ringt um eine höhere Harmonie in
unserem Dasein. Dieser Zusammenklang und diese Eintracht des ganzen Wesens, die
für den gnostischen Einzelnen natürlich ist, soll in gleicher Weise auch etwas
Natürliches für eine Gemeinschaft gnostischer Menschen sein. Denn sie ruht auf
einer Einung von Selbst mit Selbst im Licht einer gemeinsamen und gegenseitigen
Bewußtheit des Selbsts. Es ist richtig, daß innerhalb des totalen irdischen
Daseins, von dem das gnostische Leben ein Teil ist, immer noch ein Leben
weitergeht, das einer weniger entwickelten Ordnung angehört. Das intuitive und
gnostische Leben muß sich in dieses totale Dasein einpassen und in es soviel wie
möglich von seinem Gesetz der Einheit und Harmonie hineinbringen. Es könnte so
aussehen, als ob hier das Gesetz einer spontanen Harmonie unanwendbar sei, weil
die Beziehung des gnostischen Lebens zu dem unwissenden Leben seiner Umgebung
nicht auf die Gegenseitigkeit der Erkenntnis des Selbsts und auf das Empfinden
des einen Wesens und des gemeinsamen Bewußtseins gegründet ist. Das wäre mithin
die Beziehung eines Wirkens aus dem Wissen zu einem Wirken aus der Unwissenheit.
Diese Schwierigkeit braucht aber nicht so groß zu sein, wie sie uns jetzt
erscheint. Denn zum gnostischen Wissen gehört, daß es in sich ein vollkommenes
Verständnis für das Bewußtsein der Unwissenheit besitzt. Darum ist es für ein
gesichertes gnostisches Leben nicht unmöglich, sein Dasein mit dem jedes weniger
entwickelten Lebens in Einklang zu bringen, das mit ihm zusammen in der
Erden-Natur existiert.
Wenn das unsere Bestimmung in der Evolution ist, bleibt
uns zu erkennen, wo wir in dieser kritischen Wende des evolutionären
Fortschritts stehen – eines Fortschritts, der eher in Kreisen und Spiralen als
in einer geraden Linie verlief, der sich zumindest in einer Zickzack-Kurve
vorwärtsbewegte – und ob in naher oder absehbarer Zukunft Aussicht auf eine
Wendung zu einem entscheidenden Schritt besteht. In unserem menschlichen
Verlangen nach personaler Vollkommenheit und nach der Vollkommenheit des Lebens
der Menschheit werfen die Elemente der künftigen Evolution ihren Schatten
voraus. Wir ringen danach, tun das aber in der Verwirrung einer nur
halb-erleuchteten Erkenntnis. Es gibt eine Disharmonie zwischen den notwendigen
Elementen, eine Betonung des Gegensätzlichen, einen Überfluß an rudimentären,
unbefriedigenden und schlecht einander angepaßten Lösungen. Diese schwanken hin
und her zwischen den drei bevorzugten Lösungen unseres Idealismus: vollständige
und einzige Entfaltung des Wesens des Menschen
für sich selbst, die Vervollkommnung des Individuums; volle Entfaltung des
kollektiven Wesens, Vervollkommnung der Gesellschaft; schließlich, pragmatisch
mehr begrenzt, die vollkommenen oder bestmöglichen Beziehungen des Einzelnen zum
Einzelnen und zur Gesellschaft und von Gemeinschaft zu Gemeinschaft. Manchmal
wird ausschließlich oder vorherrschend Gewicht auf das Individuum gelegt,
manchmal auf das Kollektiv oder die Gesellschaft, manchmal auf die richtige und
ausgewogene Beziehung zwischen Individuum und kollektivem Ganzen der Menschheit.
Die eine Idee hält das Wachsen von Leben, Freiheit und Vollkommenheit des
menschlichen Individuums für das wahre Ziel unseres Daseins. Das Ideal kann
entweder nur freier Selbst-Ausdruck des persönlichen Wesens sein oder ein vom
Selbst beherrschtes Ganzes des völlig entfalteten Mentals, des verfeinerten
reichen Lebens und des vollkommenen Körpers oder die spirituelle Vollkommenheit
und Befreiung. Unter diesem Gesichtspunkt existiert die Gesellschaft nur als
Feld für Handeln und Wachsen des individuellen Menschen. Sie erfüllt ihre
Funktion am besten, wenn sie ihm möglichst weiten Raum, reiche Mittel, genügend
Freiheit oder Führung zur Entwicklung seines Denkens, Handelns, Wachsens und
seiner Möglichkeit zur vollen Entfaltung seines Wesens gewährt. Eine
entgegengesetzte Idee legt das meiste oder ausschließliche Gewicht auf das
kollektive Leben: Die Existenz und das Wachsen der Menschheit ist hier alles.
Der Einzelne soll für die Gesellschaft oder für die Menschheit leben. Oder er
gilt sogar nur als eine Zelle der Gesellschaft, das ist sein einziger Nutzen,
der Zweck seiner Geburt. Sein Dasein in der Natur hat keine andere Bedeutung,
keine andere Funktion. Oder man hält die Nation, die Gesellschaft, die
Gemeinschaft für ein kollektives Wesen, das seine Seele in seiner Kultur, in
seiner Lebens-Macht, seinen Idealen und Institutionen, in allen Weisen
offenbart, in denen es sein Selbst zum Ausdruck bringt. Das einzelne Leben soll
von dieser Kulturform geprägt sein, dieser Lebens-Macht dienen und dem
zustimmen, daß es nur als Werkzeug existiert, um das kollektive Dasein
aufrechtzuerhalten und wirksam zu machen. Einer anderen Vorstellung nach liegt
die Vollkommenheit des Menschen in seinen ethischen und sozialen Beziehungen zu
anderen Menschen. Er ist ein gesellschaftliches Wesen und soll für die
Gesellschaft, für die anderen, für seinen Nutzen zugunsten der Menschheit leben.
Auch die Gesellschaft ist dazu da, allen zu dienen, ihnen ihre rechte Beziehung
zueinander, ihre
Erziehung und Ausbildung, ihre
Chancen in der Wirtschaft und einen gerechten Rahmen für ihr Leben zu gewähren.
In den Kulturen des Altertums legte man das größte Gewicht auf die Gemeinschaft
und auf die Eingliederung des Einzelnen in die Gemeinschaft. Immer stärker wurde
aber die Idee einer Vervollkommnung des Einzelnen. Im alten Indien wurde die
Idee vom spirituellen Individuum vorherrschend. Die Gesellschaft war dabei
äußerst wichtig, weil der Einzelne in ihr und unter ihrem prägenden Einfluß
zuerst durch den sozialen Status des physischen, vitalen und mentalen Menschen
hindurchgehen mußte, der sein Interesse und Begehren befriedigt, sowie nach
Wissen und rechtem Leben strebt, bevor er die Stufe erreichen konnte, auf der er
für eine wahre Selbst-Verwirklichung und ein freieres spirituelles Dasein
geeignet war. In neueren Zeiten legt man alles Gewicht auf das Leben der
Gesellschaft. Man sucht nach der vollkommenen Gesellschaft. Zuletzt
konzentrierte man sich auch auf die richtige Organisation und die
wissenschaftliche Mechanisierung des Lebens der Menschheit als eines Ganzen. Man
neigt neuerdings dazu, den einzelnen Menschen nur als Mitglied des Kollektivs,
als eine Einheit innerhalb der menschlichen Rasse anzusehen, dessen Dasein den
gemeinsamen Zielen und dem totalen Interesse der organisierten Gesellschaft
untergeordnet werden muß. Man sieht in ihm viel weniger – oder gar nicht – ein
mentales oder spirituelles Wesen mit eigenem Anrecht auf Dasein und eigener
Verfügungsmacht darüber. Diese Tendenz hat noch nicht überall ihren Höhepunkt
erreicht. Sie wächst aber überall rapide und strebt nach Alleinherrschaft.
So wird in den Wandlungen des menschlichen Denkens der
Einzelne einerseits dazu gedrängt oder dazu eingeladen, die Bejahung seines
eigenen Selbsts, die Entfaltung des eigenen Mentals, Lebens und Körpers, seine
spirituelle Vollkommenheit zu entdecken und zu verfolgen. Andererseits fordert
man von ihm, er solle sich aufgeben und unterordnen; er solle die Ideen, Ideale,
den Willen, die Triebkräfte und Interessen der Gemeinschaft als die seinen
akzeptieren. Von der Natur wird er angetrieben, er solle für sich selbst leben;
von etwas, das tief in seinem Innern ist, wird er dazu gedrängt, seine
Individualität durchzusetzen. Die Gesellschaft und ein gewisser mentaler
Idealismus verlangen von ihm, er solle für die Menschheit oder für das höhere
Wohl der Gemeinschaft leben. Dem Prinzip des Ichs und seinem Interesse begegnet
das Prinzip des Altruismus und stellt sich entgegen. Der Staat errichtet seine Gottheit und verlangt vom Menschen Gehorsam,
Unterwerfung, Unterordnung, Selbst-Aufopferung. Der Einzelne muß gegen diesen
maßlosen Anspruch die Rechte seiner Ideale, seine Ideen, seine Persönlichkeit,
sein Gewissen behaupten. Offensichtlich ist dieser ganze Streit zwischen den
Normen ein unsicheres Tasten der mentalen Unwissenheit des Menschen, die ihren
Weg zu finden sucht und dabei verschiedene Seiten der Wahrheit anpackt, aber aus
Mangel an integraler Ganzheit in ihrer Erkenntnis unfähig ist, sie miteinander
in Einklang zu bringen. Nur Wissen, das vereinen und zur Übereinstimmung bringen
kann, findet den Ausweg. Diese Erkenntnis gehört aber einem tieferen Prinzip
unseres Wesens an, dem Einssein und Vollständigkeit ursprünglich eignen. Nur
wenn wir dieses Prinzip in uns selbst finden, können wir das Problem unseres
Daseins und damit auch das Problem der rechten Art individueller und
gemeinschaftlicher Lebensweise lösen.
Es gibt eine Wirklichkeit, eine Wahrheit alles Seins,
die größer und bleibender ist als alle ihre Gestaltungen und Offenbarungen. Es
muß das Geheimnis der Vollkommenheit sowohl des individuellen wie des
gemeinschaftlichen Menschen sein, daß er diese Wahrheit und Wirklichkeit findet,
in ihr lebt und ihre möglichst vollkommene Manifestation und Gestaltung erlangt.
Diese Wirklichkeit findet sich zuinnerst in jeder Sache; sie verleiht jeder
ihrer Ausgestaltungen ihre Wesens-Macht und ihren Wesens-Wert. Das Universum ist
eine Manifestation der Wirklichkeit. Es gibt eine Wahrheit des universalen
Seins, eine Macht des kosmischen Wesens, ein All-Selbst oder einen Welt-Geist.
Die Menschheit ist eine Gestaltung oder Manifestation der Wirklichkeit innerhalb
des Universums. Es gibt eine Wahrheit und ein Selbst der Menschheit, einen
menschlichen Geist, eine Bestimmung des menschlichen Lebens. Die Gemeinschaft
ist eine Gestaltung der Wirklichkeit, eine Manifestation des Geistes des
Menschen. Es gibt eine Wahrheit, ein Selbst, eine Macht des kollektiven Wesens.
Das Individuum ist eine Gestaltung der Wirklichkeit. Es gibt eine Wahrheit des
Individuums, ein Selbst, eine Seele oder einen Geist des Individuums, der sich
durch Mental, Leben und Körper des Einzelnen zum Ausdruck bringt. Er kann sich
aber auch in etwas ausdrücken, das über Mental, Leben und Körper hinausgeht, ja
durch etwas, das jenseits der Menschheit existiert. Denn unser Menschsein ist
nicht das Ganze der Wirklichkeit, auch nicht ihre bestmögliche Gestaltung und
der Ausdruck ihres Selbsts. Bevor der Mensch existierte,
hatte die Wirklichkeit eine unter-menschliche Gestaltung und Selbst-Schöpfung
angenommen. Sie kann auch nach ihm oder in ihm eine über-menschliche Gestaltung
und Selbst-Schöpfung annehmen. Der Einzelne ist als Geist oder als Wesen nicht
an die Grenzen seines Menschseins gebunden. Er ist weniger als das Menschliche
gewesen, er kann mehr werden als das Menschliche. Das Universum findet sein
Selbst durch ihn ebenso, wie er sein Selbst im Universum findet. Er ist aber
dazu fähig, mehr zu werden als das Universum, da er über es hinauskommen und in
ein Etwas jenseits von diesem in sich und in jenem eintreten kann, das absolut
ist. Er ist auch nicht innerhalb der Gemeinschaft eingegrenzt. Wenn auch sein
Mental und sein Leben in gewisser Weise Teile des gemeinschaftlichen Mentals und
Lebens sind, gibt es doch in ihm etwas, das über diese hinausgehen kann. Die
Gemeinschaft existiert durch das Individuum. Denn ihr Mental, Leben und Körper
werden durch Mental, Leben und Körper der Einzelnen gebildet, die sie
zusammensetzen. Würde sie vernichtet oder aufgelöst, dann würde zwar ihre eigene
Existenz vernichtet und aufgelöst. Doch würden sich Geist oder Macht von ihr
wieder in anderen Individuen neu gestalten. Der individuelle Mensch ist aber
nicht nur eine Zelle des kollektiven Daseins. Er würde nicht aufhören zu
existieren, wenn er von der kollektiven Masse getrennt oder von ihr ausgestoßen
würde. Denn das Kollektiv, die Gemeinschaft ist eben nicht das Ganze der
Menschheit, ist nicht die Welt. Der Einzelne kann auch anderswo in der
Menschheit existieren und sich selbst finden, und er kann für sich selbst in der
Welt leben. Auch wenn die Gemeinschaft ein Leben hat, mit dem sie das der
Einzelnen, die sie bilden, beherrscht, so macht sie doch nicht deren ganzes
Leben aus. Wie die Gesellschaft ihr Wesen besitzt, das sie durch das Leben der
Individuen durchzusetzen sucht, so hat auch der Einzelne sein eigenes Wesen, das
er im Leben der Gemeinschaft zu behaupten sucht. Er selbst ist aber nicht an sie
gebunden. Er kann sich auch in einem anderen gemeinschaftlichen Leben
bestätigen. Wenn er dazu nicht stark genug ist, kann er das Dasein eines Nomaden
führen oder sich in die Einsamkeit des Eremiten zurückziehen. Dort kann er auch,
wenn er nicht ein vollständiges materielles Leben führen oder erreichen kann,
doch spirituell existieren und die eigene Wirklichkeit und das innewohnende
Selbst seines Wesens finden.
Gewiß ist der Einzelne der Schlüssel, mit dem wir das
Geheimnis der evolutionären Bewegung erschließen. Denn es ist der Einzelne, der sein Selbst findet und der Wirklichkeit bewußt wird. Die Bewegung des
Kollektivs ist weithin eine unterbewußte Massenbewegung. Um bewußt zu werden,
muß es sich durch die Individuen Form geben und zum Ausdruck bringen. Sein
allgemeines Massen-Bewußtsein ist immer weniger entwickelt als das Bewußtsein
seiner am höchsten entwickelten Individuen. Es macht nur insofern Fortschritte,
als es ihre Einwirkung annimmt oder weiter entfaltet, was sie entwickeln. Der
Einzelne schuldet seine höchste Loyalität weder dem Staat, der ein Mechanismus
ist, noch der Gemeinschaft, die nur ein Teil des Lebens, nicht aber das Ganze
des Lebens ist. Seine Treue muß der Wahrheit gehören, dem Selbst, dem Geist, dem
Göttlichen Wesen, das in ihm und in allen gegenwärtig ist. Das wahre Ziel seines
Daseins muß für ihn sein, sich nicht der Masse zu unterwerfen, sich nicht in ihr
zu verlieren. Vielmehr soll er jene Wahrheit seines Wesens in sich selbst finden
und zum Ausdruck bringen. Und er soll der Gemeinschaft und der Menschheit bei
ihrem Suchen nach ihrer Wahrheit und nach der Fülle des Wesens helfen. Inwieweit
aber die Macht des individuellen Lebens oder der spirituellen Wirklichkeit im
Innern sich nach außen auswirkt, hängt von der eigenen Entwicklung ab: Solange
der Mensch noch unentwickelt ist, muß er in vielen Beziehungen sein
unentwickeltes Selbst allem unterordnen, was größer ist als dieses. Sobald er
sich entwickelt, nähert er sich der spirituellen Freiheit. Diese Freiheit ist
aber durchaus nichts völlig von dem All-Sein Gesondertes. Sie ist mit diesem
solidarisch verbunden, weil auch dieses das Selbst, der gleiche Geist ist.
Sobald er sich zur spirituellen Freiheit hinbewegt, nähert er sich auch dem
spirituellen Einssein. Der Mensch, der den Geist verwirklicht, der befreite
Mensch, ist, wie die Gita sagt, hauptsächlich mit dem beschäftigt, was
für alle Menschen das Gute ist. Buddha muß, nachdem er den Weg zum
nirvana entdeckt hat, wieder zurückkehren, um denen den Weg dorthin zu
öffnen, die noch unter der Täuschung ihres konstruierten Wesens, statt in ihrem
wahren Wesen-oder im Nicht-Wesen -leben. Vivekananda, vom Absoluten
angezogen, fühlt den Ruf der in das Menschsein verkleideten Göttlichkeit, vor
allem den Aufschrei der Gefallenen und der Leidenden, den Ruf des Selbsts an das
Selbst im dunklen Leib des Universums. Ist der Einzelne einmal zur
Verwirklichung der Wahrheit seines Wesens, zur inneren Befreiung und
Vollkommenheit erwacht, muß das sein primäres Suchen sein, – zunächst weil das
der Ruf des Geistes in seinem Innern ist; aber auch, weil der
Mensch nur dadurch, daß er die Wahrheit seines Wesens freisetzt,
vervollkommnet und verwirklicht, zur Wahrheit des Lebens gelangen kann. Auch
eine vollendete Gemeinschaft kann nur durch die Vollkommenheit ihrer Individuen
existieren. Und die Vollkommenheit kann nur dann kommen, wenn jeder im Leben
sein spirituelles Wesen entdeckt und behauptet und wenn alle ihre spirituelle
Einheit und die daraus folgende Einheit ihres Lebens entdecken. Für uns kann es
nur dann wirkliche Vollkommenheit geben, wenn unser inneres Selbst und die
Wahrheit des spirituellen Seins jegliche Wahrheit des instrumentalen Daseins in
sich empornehmen und ihm Einheit, Verbundenheit und Harmonie verleihen. Wie
unsere einzig wirkliche Freiheit darin besteht, daß wir in unserem Innern die
spirituelle Wirklichkeit entdecken und aus allen Bindungen befreien, so ist auch
unser alleiniges Mittel zur wahren Vollkommenheit, daß wir die spirituelle
Wirklichkeit in allen Elementen unserer Natur souverän und aus dem Selbst
wirksam machen.
Unsere Natur ist vielseitig. Wir müssen einen Schlüssel
zu ihrer völligen Einung und zu ihrer Fülle und Vielfalt finden. Ihre erste
Basis in der Evolution ist das materielle Leben. Mit ihm hat die Natur
angefangen. Auch der Mensch muß mit ihm beginnen. Er muß zuerst sein materielles
und vitales Dasein sichern. Würde er aber hier anhalten, könnte es für ihn keine
Evolution geben. Sein nächstes und höheres Streben muß darauf gerichtet sein,
sich als ein mentales Wesen innerhalb eines materiellen – sowohl individuellen
wie gesellschaftlichen -Lebens zu finden, das möglichst vollkommen ist. Die Idee
der Griechen wies die Zivilisation Europas in diese Richtung. Die Römer haben
sie verstärkt – oder geschwächt – durch das Ideal der organisierten Macht. Der
Kultus der Vernunft, die Interpretation des Lebens durch kritisches,
utilitaristisches, organisierendes und konstruierendes Denken und die
Beherrschung des Lebens durch die Wissenschaft sind das letzte Ergebnis dieser
Inspiration. In alten Zeiten bestand aber das höhere schöpferische dynamische
Element darin, daß man nach einer idealen Wahrheit, nach dem Guten und Schönen
strebte. Man prägte Mental, Leben und Körper durch dieses Ideal eine
Vollkommenheit auf. Sobald aber das Mental im Menschen ausreichend entwickelt
ist, erwacht in ihm, jenseits und oberhalb von diesem, sein wichtigstes
spirituelles Anliegen, das Selbst und die innerste Wahrheit des Seienden zu
entdecken. Er will Mental und Leben zur Wahrheit des Geistes befreien und durch die Macht des Geistes Solidarität, Einheit und
Gegenseitigkeit aller Menschen im Geist vervollkommnen. Das war das Ideal des
Ostens, das durch den Buddhismus und andere alte Disziplinen zu den Küsten
Asiens und Ägyptens getragen wurde und von dort durch das Christentum nach
Europa einströmte. Aber diese Antriebskräfte, die eine Zeitlang wie das Licht
schwach-leuchtender Fackeln Verwirrung und Finsternis erhellten, mit der die
alten Zivilisationen in der Barbaren-Flut untergingen, wurden vom modernen Geist
aufgegeben. Er hatte ein anderes Licht entdeckt, das Licht der Wissenschaft. Man
suchte jetzt nach der höchsten Vollkommenheit der ökonomischen Gesellschaft,
nach einer idealen materiellen Organisation von Zivilisation und Bequemlichkeit,
nach der Verwendung der Vernunft, Wissenschaft und Erziehung zur allgemeinen
Verbreitung einer utilitaristischen Rationalität, die das Individuum zu einem
vollkommen gewordenen sozialen Wesen in einer vollkommenen ökonomischen
Gesellschaft macht. Was vom spirituellen Ideal übrigblieb, war – eine Zeitlang – die mentalisierte und moralisierte humanitäre Haltung, die alle religiöse
Färbung und soziale Ethik abgelegt hatte. Man hielt das für völlig ausreichend,
um die religiöse und individuelle Ethik zu ersetzen. So weit war die Menschheit
gekommen, als sie fand, daß sie sich durch die Schnelligkeit ihrer eigenen
Bewegung in ein subjektives Chaos und in ein Chaos ihres Lebens gestürzt hatte,
in dem alle überkommenen Werte vernichtet waren und jeder gesicherte Boden unter
ihrer sozialen Organisation, ihrem Verhalten und ihrer Kultur zu schwinden
schien.
Denn dieses Ideal, das Gewicht bewußt auf das
materielle und ökonomische Leben zu legen, war in Wirklichkeit ein Rückfall der
Zivilisation in jenen ersten Zustand des Menschen, in seine frühere Barbarei,
als er sich hauptsächlich mit dem Leben und der Materie befaßte. Es ist ein
spiritueller Rückschritt, bei dem ihm die Hilfsmittel des Mentals einer
entwickelten Menschheit und eine voll entfaltete Wissenschaft zur Verfügung
stehen. Die Betonung eines vollendeten ökonomischen und materiellen Daseins hat
als Element in der ganzen Fülle menschlichen Lebens gewiß seinen Platz im
Ganzen. Wird aber das Hauptgewicht allein oder vorherrschend hierauf gelegt,
dann wird es für die Menschheit und für die Evolution an sich sehr gefährlich.
Die erste Gefahr ist, daß die alte vitale und materielle Barbarei in
zivilisierter Form wiederersteht. Die Mittel, die die Wissenschaft uns zur
Verfügung stellt, schalten zwar die Gefahr aus, daß eine kraftlos und senil gewordene Zivilisation von stärkeren primitiven Völkern unterhöhlt und
zerstört wird. Die Gefahr liegt aber darin, daß die Barbarei wieder in uns
selbst, im zivilisierten Menschen ersteht. Das ist es, was wir überall rings um
uns sehen. Denn das muß notwendig eintreten, wenn es kein hohes und strenges
mentales oder moralisches Ideal gibt, das den vitalen und physischen Menschen in
uns emporhebt, wenn ihn kein spirituelles Ideal von seinem Ich befreit und in
sein inneres Wesen führt. Vermeidet man einen solchen Rückfall, besteht noch
eine andere Gefahr. Denn eine andere mögliche Konsequenz ist, daß der Drang zur
Entwicklung nachläßt und das gesellschaftliche Leben sich in einem stabilen,
bequemen Mechanismus ohne Ideal oder höheren Ausblick auskristallisiert. Die
Vernunft an sich kann die Menschheit nicht lange in ihrem Fortschritt erhalten.
Sie kann das nur, solange sie eine Mittlerin zwischen Leben und Körper
einerseits und etwas Höherem und Größerem im Innern des Menschen andererseits
ist. Denn allein diese innere spirituelle Not, das Drängen aus Jenem her, das in
ihm noch unverwirklicht ist, hält im Menschen, wenn er einmal die Stufe des
Mentals erreicht hat, den evolutionären Druck, das Streben zum Geist lebendig.
Weist er das zurück, muß er entweder zurückfallen und alles von neuem beginnen.
Oder er muß, wie andere Formen des Lebens vor ihm, als ein Versager der
Evolution verschwinden, weil er unfähig ist, das Drängen der Entwicklung
durchzuhalten oder ihm zu dienen. Bestenfalls wird er dann irgendwie als Typus
mittelmäßiger Vollkommenheit steckenbleiben, wie das bei anderen Tierformen der
Fall ist, während die Natur ihren Weg über ihn hinaus zu einer höheren Schöpfung
fortsetzt.
Im Augenblick macht die Menschheit eine Krisis ihrer
Evolution durch, in der sich eine Entscheidung über ihr Schicksal verbirgt. Denn
sie hat eine Stufe erreicht, auf der das menschliche Mental in gewissen
Richtungen eine enorme Entwicklung vollzogen hat. In anderen bleibt sie verwirrt
stehen und kann ihren Weg nicht mehr finden. Des Menschen immer aktives Mental
und sein Lebens-Wille haben ein Gebäude des äußeren Lebens errichtet, eine
Konstruktion von nicht mehr zu bewältigender ungeheurer Größe und
Kompliziertheit. Diese soll seinen mentalen, vitalen und körperlichen Ansprüchen
und Forderungen dienen. Er hat einen komplizierten politischen,
gesellschaftlichen, administrativen, ökonomischen und kulturellen Apparat als
organisiertes kollektives Mittel, um seine intellektuellen, sinnlichen,
ästhetischen und materiellen Bedürfnisse zu
befriedigen. So hat der Mensch ein System der Zivilisation errichtet, das zu
groß geworden ist, als daß er es mit seinem beschränkten mentalen Vermögen und
Verständnis und seinen noch mehr begrenzten spirituellen und moralischen
Fähigkeiten verwenden und handhaben könnte. Er ist ein allzu gefährlicher Knecht
seines stümperhaften Ichs und seiner Gelüste geworden. Denn in seinem Bewußtsein
ist noch kein höheres schauendes Mental und keine intuitive Seele des Wissens
hervorgetreten, die aus einer solchen Lebensfülle an der Basis die Voraussetzung
schaffen könnte für das freie Wachsen von etwas, das mehr ist als das Mental.
Diese neue Fülle der Mittel des Lebens könnte für ihn durch ihre Macht, ihn von
dem unaufhörlichen, nie befriedigten Druck seiner ökonomischen und physischen
Bedürfnisse zu befreien, zu einer großen Hilfe werden, andere, höhere Ziele zu
verfolgen, die über das materielle Dasein hinausgehen. So könnte er eine höhere
Wahrheit, das Gute und die Schönheit entdecken. Er könnte einen höheren
göttlichen Geist neu gewahren, der eingreift und das Leben zur höheren
Vollendung des Wesens führt. Statt dessen wird aber die neue Fülle dazu
verwendet, neue Bedürfnisse zu wecken und das kollektive Ich in aggressiver
Weise auszudehnen. Zugleich hat ihm die Wissenschaft viele Möglichkeiten der
universalen Kraft zur Verfügung gestellt und das Leben der Menschheit materiell
zu einem einzigen gemacht. Der Träger aber, der diese universale Kraft
verwendet, ist ein kleines menschliches Individuum oder ein gesellschaftliches
Ich, das im Licht seiner Erkenntnis oder in seinen Bewegungen nichts
Allumfassendes besitzt. Dieser Mensch hat kein inneres Empfinden und keine
Macht, die in diesem physischen Schrumpfen der menschlichen Welt die wahre
Lebens-Einheit, mentale oder spirituelle Einheit bewerkstelligen könnte. Alles,
was sich hier abspielt, ist das Chaos zusammenprallender mentaler Ideen. Es ist
der vielfache Druck von individuellem und kollektivem physischen Mangel und
Bedürfen. Es sind vitale Ansprüche und Wünsche, die Triebe eines unwissenden
Lebens-Dranges, des Hungers und der Forderungen nach Lebens-Befriedigung für die
Einzelnen, die Klassen und Nationen. Das ist ein reicher Nährboden für
politische, soziale und ökonomische Quacksalbereien und Ideologien, ein
Durcheinander von Schlagwörtern und Allheilmitteln. Dafür sind die Menschen
bereit, zu unterdrücken und unterdrückt zu werden, zu töten und getötet zu
werden. Irgendwie wollen sie das durch die ungeheuren, schrecklichen Mittel,
die ihnen zur Verfügung stehen, anderen in dem Glauben aufzwingen,
dies sei der Ausweg zu etwas Idealem. Die Entwicklung des Mentals und des Lebens
der Menschen muß mit Notwendigkeit zu einer wachsenden Universalität führen.
Bleibt aber die Basis des Ichs und eines teilenden und zerschneidenden Mentals
bestehen, dann kann die Offenheit für das Allumfassende nur dazu führen, daß
unvereinbare Ideen und Impulse weiterwuchern und ungeheure Mächte und Wünsche
sich erheben. Eine chaotische Masse von unangeglichenem, vermischtem mentalen,
vitalen und physischen Material eines umfassenderen Daseins wallt auf, die sich,
da nicht von einem schöpferischen, harmonisierenden Licht des Geistes
emporgehoben, in einer allumfassend werdenden Verwirrung und einem Widerstreit
dahinwälzen muß, aus dem man unmöglich ein höheres harmonisches Leben aufbauen
kann. In der Vergangenheit hat der Mensch das Leben dadurch harmonisiert, daß er
es durch die Bildung von Ideen und die Festsetzung von Grenzen organisierte. Er
hat Gesellschaften geschaffen, die sich auf feste Vorstellungen und Gebräuche
gründeten, auf ein bestimmtes kulturelles System oder auf ein organisches
Lebens-System, von denen jedes seine eigene Ordnung besaß. All das wurde dann in
den Schmelzkessel eines sich immer mehr vermischenden Lebens geworfen. Immer
neue Ideen strömen ein. Motive, Tatsachen und Möglichkeiten verlangen ein neues
höheres Bewußtsein, um dieser potentiellen Seins-Kräfte Herr zu werden, sie in
Einklang zu bringen. Vernunft und Wissenschaft können nur dadurch helfen, daß
sie allgemeine Normen aufstellen, daß sie alles in einer künstlich arrangierten
und mechanisierten Einheit des materiellen Lebens festlegen. Ein größeres
Ganzheits-Wesen, Ganzheits-Wissen, mehr Ganzheits-Macht ist notwendig, um alles
in die größere Einheit eines Ganzheits-Lebens zusammenzuschweißen.
Die einzige Wahrheit des Lebens, die erfolgreich diese
unvollkommenen mentalen Konstruktionen der Vergangenheit ersetzen kann, ist ein
Leben von Einheit, Gegenseitigkeit und Harmonie, das aus der tieferen und
umfassenderen Wahrheit unseres Wesens geboren ist. Jene Konstruktionen waren
eine Kombination von Zusammenschluß und gelenktem Konflikt; eine Anpassung der
Egoitäten und der Interessen, die als Gruppen zusammengefaßt oder ineinander
verflochten wurden, um eine Gesellschaft zu bilden, die durch gemeinsame
allgemeine Lebens-Motive gefestigt wurde. Es war eine Einung durch innere Not
und den Druck des Kampfes mit den äußeren Kräften. Nach einer Umwandlung und Neugestaltung des Lebens beginnt die Menschheit in ihrer Blindheit
jetzt immer mehr zu suchen aus dem Gefühl, ihre ganze Existenz hänge davon ab,
daß sie den Weg dazu findet. Entwicklung des Mentals in seiner Einwirkung auf
das Leben hat eine Organisation mentaler Aktivität und Verwendung der Materie in
einem Ausmaß entfaltet, wie sie ohne innere Umwandlung mit den Fähigkeiten des
Menschen nicht länger durchgehalten werden kann. Es ist zwingend geworden, daß
die ego-zentrische menschliche Individualität, die auch in ihren
Zusammenschlüssen getrennt bleibt, einem Lebens-System angepaßt wird, das
Einheit, volle Gegenseitigkeit und Harmonie verlangt. Die Bürde aber, die damit
der Menschheit auferlegt wird, ist für die gegenwärtige dürftige menschliche
Persönlichkeit, für ihr beschränktes Mental und ihre schwachen Lebenstriebe zu
groß. Sie kann die notwendige Umwandlung nicht zuwege bringen. Sie verwendet
diesen neuen Apparat und diese Organisation zum Dienst am alten
unter-spirituellen und unter-rationalen Lebens-Ich der Menschheit. Aus diesen
Gründen scheint es, als rase das Schicksal des Menschengeschlechts in
gefährlicher Weise in eine sich lange hinziehende Verwirrung, in die gefährliche
Krise und Finsternis einer gewalterfüllten umwälzenden Unsicherheit hinein, als
ob es, ungeduldig und im Gegensatz zu sich selbst, unter dem Druck des vitalen
Ichs stünde, das von gewaltigen Kräften gepackt ist, die ebenso stark sind wie
die von ihm entwickelte gewaltige mechanische Organisation von Leben und
Wissenschaft, deren Übermacht durch Vernunft und Willen der menschlichen
Persönlichkeit nicht mehr bemeistert werden kann. Selbst wenn sich herausstellt,
daß das nur eine vorübergehende Phase oder Erscheinung ist, eine erträgliche
strukturelle Anpassung gefunden werden könnte, die es dem Menschen erlaubt, auf
seinem ungewissen Weg durch weniger schwere Katastrophen weiterzugehen, so kann
es doch nur eine Atempause sein. Denn das Problem ist fundamental. Wenn die
evolutionäre Natur das Problem im Menschen sich vergegenwärtigt, konfrontiert
sie sich einer kritischen Entscheidung, die eines Tages dem wahren Sinn der
Evolution entsprechend getroffen werden muß, wenn die Menschheit zum Ziel kommen
oder auch nur überleben will. Die Tendenz der Evolution drängt auf eine
Entfaltung der kosmischen Kraft im irdischen Leben, die zu ihrem Träger ein
stärkeres mentales und umfassenderes vitales Wesen benötigt, ein weniger
begrenztes Mental, eine höhere, weitere, bewußtere, einmütiger gewordene
Lebens-Seele, anima. Das
wiederum
erfordert, daß die sie tragende und fördernde Seele und das spirituelle Selbst
im Innern enthüllt werden, um jene zu unterstützen. Alles, was das moderne
Mental uns in dieser Krisis als Licht zu ihrer Lösung anbieten kann, ist eine
rationale und wissenschaftliche Formel des vitalistischen und materialistischen
menschlichen Wesens und seines Lebens, das Suchen nach einer vollendeten
ökonomischen Gesellschaft und den demokratischen Kultus des
Durchschnittsmenschen. Wenn diese Ideen auch eine Wahrheit stützt, so genügt sie
offensichtlich nicht, um das Bedürfnis einer Menschheit zu befriedigen, deren
Mission es ist, sich über sich selbst hinaus zu entwickeln, die jedenfalls, wenn
sie überhaupt am Leben bleiben will, in ihrer Entwicklung weit über das
hinausgehen muß, was sie jetzt ist. Ein Lebens-Instinkt hat im
Menschengeschlecht, und selbst im Durchschnitts-Menschen, die Unzulänglichkeit
gefühlt und drängt auf eine Umwertung der bisherigen Werte, auf die Entdeckung
neuer Werte und will das Leben auf eine neue Grundlage stellen. Das hat die Form
eines Versuches angenommen, eine einfache, fertige Grundlage für Einheit,
Gegenseitigkeit und Harmonie im Gemeinschaftsleben zu finden. Man will das
dadurch erzwingen, daß man den Zusammenstoß der ichhaften Kräfte im
Konkurrenzkampf unterdrückt und so für die Gemeinschaft zu einem Leben der
Übereinstimmung anstelle eines Lebens der Gegensätze gelangt. Um diese an sich
wünschenswerten Ziele zu verwirklichen, werden Mittel wie diese angewandt: Unter
Zwang setzt man mit Erfolg einige wenige beschränkte Ideen oder Schlagwörter
unter Ausschluß alles andern Denkens auf den Thron. Das Mental des Einzelnen
wird unterdrückt, und die Elemente des Lebens werden mechanisch zusammengepreßt.
Einheit und Triebkräfte der Lebens-Kraft werden mechanisiert. Der Mensch wird
durch den Staat vergewaltigt, und das individuelle Ich wird durch das
gesellschaftliche ersetzt. Man idealisiert dieses Gemeinschafts-Ich als die
Seele der Nation, der Rasse, der Gemeinschaft. Das ist aber ein gewaltiger
Irrtum, der sich als verhängnisvoll herausstellen kann. Die hier entdeckte
Formel ist eine erzwungene und aufgenötigte Einmütigkeit von Mental, Leben und
Handeln. Sie wird unter dem Druck von etwas, das man für das Größere hält, von
der kollektiven Seele und dem kollektiven Leben, zu ihrer höchsten
Kraft-Anspannung gesteigert. Dieses obskure kollektive Wesen ist aber nicht die
Seele oder das Selbst der Gemeinschaft. Es ist eine Vital-Kraft, die aus dem
Unterbewußten aufsteigt. Entzieht man ihr das Licht der Führung
durch die Vernunft, kann sie nur von finsteren massiven Kräften
getrieben werden, die mächtig, aber für die Menschheit verderblich sind, weil
sie der bewußten Evolution entgegenstehen, deren Sachwalter und Träger der
Mensch ist. Die evolutionäre Natur hat die Menschheit absolut nicht in diese
Richtung gewiesen. Das ist eine Rückkehr zu dem, was sie hinter sich gelassen
hat.
Eine andere Lösung, die man versucht, gründet sich noch
auf die materialistische Vernunft und die kollektive Organisation des
ökonomischen Lebens der Menschheit. Die angewandte Methode ist aber dieselbe:
Zwangs-Einengung des Lebens und aufgenötigte Einmütigkeit des Mentals, sowie
mechanische Organisation des gesellschaftlichen Daseins. Einmütigkeit dieser Art
kann nur durch Unterdrückung jeglicher Freiheit von Denken und Leben
aufrechterhalten werden. Das muß entweder zu der leistungstüchtigen Stabilität
einer Termiten-Zivilisation führen, oder es trocknen die Quellen des Lebens aus
und rasche oder langsame Dekadenz setzt ein. Durch das Wachsen von Bewußtsein
können die kollektive Seele und ihr Leben ihrer selbst innewerden und sich
entfalten. Das freie Spiel von Mental und Leben ist wesentlich für das Wachsen
von Bewußtsein. Denn Mental und Leben sind die einzige Werkzeugausrüstung der
Seele, bis sich höhere Instrumente herausgebildet haben. Diese dürfen in ihrer
Betätigung nicht behindert oder unbeweglich, starr und repressiv gemacht werden.
Die durch das Wachsen des individuellen Mentals und Lebens bewirkten
Schwierigkeiten oder Unordnungen können nicht durch Unterdrückung des
Individuums heilsam beseitigt werden. Zur wahren Heilung kann der Mensch nur
kommen, wenn er zu einem größeren Bewußtsein vorwärtsgeht und in diesem zu
seiner Erfüllung und Vollkommenheit kommt. Eine alternative Lösung ist die
Entwicklung einer erleuchteten Vernunft und eines erleuchteten Willens des
normalen Menschen, der einem neuen sozialisierten Leben zustimmt, in dem er sein
Ich zugunsten der rechten Gestaltung des Lebens der Gemeinschaft unterordnen
will. Forschen wir nach, wie diese radikale Umwandlung zustandegebracht wird, so
finden wir den Vorschlag von zwei Trägern für die Verwirklichung. Die eine
Institution soll ein umfassenderes und besseres mentales Wissen durch die
rechten Gedanken, richtige Information, rechte Erziehung des gesellschaftlichen
und bürgerlichen Individuums bewirken. Die andere Organisation will die
Schaffung eines neuen gesellschaftlichen Mechanismus, der alles durch das
Zaubermittel eines sozialen Mechanismus löst,
der die Menschheit in ein besseres Modell umprägt. In der Erfahrung findet man
aber nicht, was man einst erhofft hatte, daß Erziehung und intellektuelles
Training an sich schon den Menschen umwandeln können. Sie stellt dem
menschlichen Individuum und dem Kollektiv nur eine bessere Information und einen
wirkungsvolleren Apparat zur Verfügung, mit dem sie sich durchsetzen können. Sie
läßt aber in beiden das gleiche unveränderte menschliche Ich zurück. Auch lassen
sich Mental und Leben nicht mit Hilfe irgendeines sozialen Mechanismus in die
Vollkommenheit zurechtstanzen, nicht einmal in das, was man für Vollkommenheit
hielt, in ihren konstruierten Ersatz. Materie kann man auf diese Weise
zurechtschneiden; auch das Denken kann so gleichgeschaltet werden. In unserem
menschlichen Dasein sind aber Materie und Denken nur Werkzeuge der Seele und der
Lebens-Kraft. Mechanische Maßnahmen können die Seele und die Lebens-Kraft nicht
in genormte Formen zwingen. Sie können diese höchstens vergewaltigen, die Seele
und das Mental stumpf und statisch machen und allein die äußeren
Lebensbetätigungen regulieren. Wenn man das aber erfolgreich tun will, kann man
auf Zwang und Unterdrückung von Mental und Leben nicht verzichten. Das bedeutet
aber wieder fortschrittsfeindliche Statik und Verfall. Das rationalistische
Mental mit seinem Sinn für das Logische und Praktische hat keinen anderen Weg,
um aus den vieldeutigen und komplexen Bewegungen der Natur das Bestmögliche
herauszuholen, als daß es Mental und Leben reglementiert und mechanisiert.
Geschieht das, muß die Seele der Menschheit entweder dadurch ihre Freiheit
gewinnen und sich ihr Wachsen sichern, daß sie revoltiert und die Maschine
zerstört, in deren eiserne Räder sie gerissen wurde. Oder sie muß entkommen,
indem sie sich in sich selbst zurückzieht und das Leben ablehnt. Der wahre
Ausweg für den Menschen liegt darin, daß er seine Seele, die Kraft des Selbsts
und ihre Werkzeuge entdeckt und durch diese sowohl die Mechanisierung des
Mentals wie die Unwissenheit und Unordnung der Lebens-Natur ersetzt. Für eine
solche Bewegung, das Selbst zu entdecken und wirkungsvoll zu machen, ist aber in
einer eng reglementierten und mechanisierten Existenz wenig Raum und Freiheit.
Es besteht die Möglichkeit, daß das menschliche Mental
bei der Abkehr von der mechanistischen Auffassung von Leben und Gesellschaft
seine Zuflucht in der Rückkehr zur religiösen Idee und in einer von der Religion
regierten oder sanktionierten Gesellschaft sucht. Zwar kann die organisierte Religion Mittel liefern, den Einzelnen innerlich
emporzuheben. Sie kann in sich oder in dem, was hinter ihr wirkt, für ihn einen
Weg bewahren, durch den er sich für die spirituelle Erfahrung öffnet. Sie hat
jedoch das Leben und die Gesellschaft der Menschheit nicht verändert. Sie konnte
das nicht tun, weil sie, wenn sie die Gesellschaft leitete, mit den niederen
Seiten des Lebens Kompromisse eingehen mußte. Sie konnte darum nicht auf die
innere Wandlung des ganzen Wesens drängen. Sie konnte nur darauf bestehen, daß
ihre Glaubenslehren anerkannt werden, daß man formell ihre ethischen Maßstäbe
befolgt und der Institution, dem Zeremoniell und dem Ritual zustimmt. Eine so
aufgefaßte Religion kann eine religiös-ethische Färbung oder einen
oberflächlichen Firnis liefern. Manchmal kann sie auch, wenn sie einen starken
Kern innerer Erfahrung bewahrt, bis zu einem gewissen Grad eine unvollständige
spirituelle Tendenz allgemein verbreiten. Sie transformiert aber dadurch nicht
die Menschheit; sie kann kein neues Prinzip für das Dasein der Menschheit
schaffen. Nur eine allumfassende spirituelle Lenkung, die dem ganzen Leben und
der ganzen Natur zuteil wird, kann die Menschheit über sich selbst emporheben.
Eine andere, der religiösen Lösung verwandte Auffassung besteht darin: Menschen
von spiritueller Vollkommenheit, eine Bruderschaft oder Einheit Aller im Glauben
oder in einer spirituellen Disziplin lenken die Gesellschaft. Diese
Spiritualisierung von Leben und Gesellschaft hebt den alten Mechanismus des
Lebens in solch eine Vereinigung empor, oder man erfindet für sie einen neuen
Mechanismus. Auch diesen Versuch hat man früher ohne Erfolg unternommen. Das war
die ursprüngliche Idee bei der Gründung von mehr als nur einer Religion. Doch
waren das menschliche Ich und die vitale Natur zu stark, als daß die religiöse
Idee durch ihre Einwirkung auf das Mental oder durch dieses nach außen ihren
Widerstand überwinden konnte. Nur wenn die Seele völlig hervortritt, wenn das
ursprüngliche Licht und die Macht des Geistes voll herniederkommen und sie
dadurch unsere unzulängliche mentale und vitale Natur durch eine spirituelle und
supramentale Übernatur ersetzen oder transformieren und emporheben kann, wird
dieses Wunder der Evolution bewirkt.
Auf den ersten Blick könnte es so aussehen, als ob das
Drängen auf radikale Umwandlung unserer Natur alle Hoffnung der Menschheit in
eine ferne Zukunft der Evolution hinausschiebt. Scheint doch das Bemühen, unsere
normale menschliche Natur zu überschreiten, in ein Jenseits unseres mentalen, vitalen und physischen Wesens emporzukommen, für den
Menschen, wie er jetzt ist, zu hoch, zu schwer und unmöglich zu sein. Selbst
wenn das so wäre, bliebe es die alleinige Möglichkeit einer neuen Mutation des
Lebens. Ist es doch unvernünftig und unspirituell, auf eine wahre Umwandlung des
menschlichen Lebens zu hoffen, ohne daß die menschliche Natur umgewandelt wird.
Wir würden damit etwas Unnatürliches und Unwirkliches, ein unmögliches Wunder
verlangen. Was aber durch diese Umwandlung bewirkt werden soll, ist nicht etwas
völlig Fernliegendes, nichts, was unserem Sein fremd und für es radikal
unmöglich ist. Denn was so entwickelt werden soll, ist bereits in unserem Wesen
vorhanden; es ist nicht außerhalb von ihm. Worauf die evolutionäre Natur drängt,
ist, daß wir wach werden für die Erkenntnis unseres Selbsts, für die Entdeckung
des Selbsts, für die Offenbarung des Selbsts und des Geistes in unserem Innern,
und daß wir dessen Selbst-Wissen, Selbst-Macht und seine ihm innewohnende
Selbst-Instrumentierung sich frei entfalten lassen. Außerdem ist das ein
Schritt, auf den hin das Ganze der Evolution eine Vorbereitung ist. Bei jeder
Krisis im Schicksal der Menschheit kommt ihr Verlauf seinem Ziel näher, wenn die
mentale und vitale Evolution des Wesens zu einem Punkt führt, an dem Intellekt
und Vitalkraft einen gewissen Höhepunkt der Spannung erreichen und entweder
zusammenbrechen, in Stumpfsinn und Versagen zurücksinken oder zum Stillstand
kommen in einer Ruhe ohne weiteren Fortschritt oder sich ihren Weg erzwingen,
indem sie die Verhüllung zerreißen, gegen die sie ankämpfen. Notwendig dazu ist,
daß von einigen oder vielen in der Menschheit eine Umkehr zur Schau dieser
Umwandlung gefühlt wird; daß sie ihre zwingende Notwendigkeit empfinden; daß sie
auch der Möglichkeit dazu bewußt sind und den Willen haben, die Wandlung in sich
selbst zu ermöglichen und den Weg zu finden. Diese Tendenz fehlt nicht. Mit der
wachsenden Krisis im menschlichen Welt-Geschick muß sie zunehmen. Die
Notwendigkeit, entweder dem Problem zu entfliehen oder es zu lösen, und das
Gefühl, daß es keine andere als die spirituelle Lösung gibt, muß unter dem
Drängen der kritischen Umstände noch wachsen und immer zwingender werden. Wenn
dieses Verlangen im Wesen der Menschen aufsteigt, muß darauf stets eine Antwort
in der Göttlichen Wirklichkeit und in der Natur erfolgen.
In der Tat könnte die Antwort eine nur individuelle
sein. Das könnte zu einer Vermehrung der spiritualisierten Individuen führen
oder auch, was vorstellbar, wenn auch nicht
wahrscheinlich ist, dazu, daß eines oder mehrere gnostische Individuen isoliert
in der nicht spiritualisierten Masse der Menschheit leben. Solche isolierten
verwirklichten Wesen müssen sich entweder in ihr verborgenes göttliches Reich
zurückziehen und sich in spiritueller Einsamkeit sichern. Oder sie müssen mit
ihrem inneren Licht auf die Menschheit einwirken, um auf das Wenige hinzuwirken,
das unter solchen Verhältnissen um einer glücklicheren Zukunft willen
vorbereitet werden kann. Die innere Umwandlung kann erst dann in kollektiver
Form Gestalt annehmen, wenn der gnostische Einzelne andere Menschen findet, die
dieselbe Art eines inneren Lebens führen wie er selbst, und wenn er mit diesen
eine Gruppe bilden kann, die ihr autonomes Dasein führt. Oder es muß sich eine
besondere Gemeinschaft, ein Orden von Menschen aufgrund eigenen Lebensgesetzes
bilden. Dieser innere Drang nach einem abgesonderten Leben mit eigener
Lebensregel, die der inneren Macht oder Motiv-Kraft spirituellen Seins
entspricht und eine eigene Atmosphäre entstehen läßt, hat sich in der
Vergangenheit in der Bildung des Klosterlebens oder in Versuchen verschiedener
Art ausgedrückt, ein neues getrenntes, selbst-regiertes kollektives
Zusammenleben zu gestalten, das in seinem spirituellen Prinzip anders war als
das gewöhnliche Leben. Das Klosterleben ist seiner Natur nach eine Vereinigung
von Suchenden nach einer anderen Welt, von Menschen, deren ganzes Streben darauf
gerichtet ist, die spirituelle Wirklichkeit zu finden, sie in sich zu
verwirklichen und das gemeinsame Dasein durch Lebensregeln zu formen, die bei
diesem Bemühen helfen. Gewöhnlich herrscht hier nicht das Bemühen, eine neue
Lebensgestaltung zu bilden, die über die gewöhnliche menschliche Gesellschaft
hinausgeht, und eine neue Welt-Ordnung zu schaffen. Es kann sein, daß eine
Religion ein solches Zukunftsziel aufstellt oder einen ersten Versuch macht, ihm
näher zu kommen. Es kann auch ein mentaler Idealismus einen solchen Versuch
unternehmen. Alle diese Bemühungen sind aber stets an der Unbewußtheit und
Unwissenheit unserer jetzigen menschlichen vitalen Natur gescheitert. Denn diese
Natur ist ein Hindernis, dessen gewaltige Widersetzlichkeit kein bloßer
Idealismus, kein unvollkommenes spirituelles Streben auf die Dauer beherrschen
kann. Entweder versagt ein solches Bemühen infolge seiner eigenen
Unvollkommenheit, oder die Unvollkommenheit der umgebenden Welt dringt in es
ein. Dann sinkt es von der leuchtenden Höhe seines Strebens auf die gewöhnliche
menschliche Stufe herab und wird
zu etwas
Vermischtem und Minderwertigem. Wenn ein gemeinsames spirituelles Leben das
spirituelle Wesen, und nicht nur das mentale, vitale und physische, ausdrücken
soll, muß es sich auf Werte gründen und diese durchhalten, die höher sind als
die mentalen, vitalen und physischen der gewöhnlichen menschlichen Gesellschaft.
Steht das Streben nicht auf solchem Fundament, so wird daraus nur die übliche
menschliche Gesellschaft in einer gewissen Abwandlung. Damit das neue Leben
sichtbar hervortreten kann, ist ein völlig neues Bewußtsein in vielen Einzelnen
nötig, das ihr ganzes Wesen transformiert und ihr mentales, vitales und
physisches Natur-Selbst umwandelt. Nur eine solche Umwandlung der allgemeinen
Natur von Mental, Leben und Körper kann ein neues kollektives Dasein
hervorbringen, das lebenswert ist. Die Tendenz der Entwicklung darf nicht nur
darauf gerichtet sein, einen neuen Typus mentaler Wesen hervorzubringen.
Vielmehr soll es eine Art von Menschen sein, die ihr ganzes Dasein aus unserer
gegenwärtigen mentalisierten Tierhaftigkeit auf eine umfassendere Ebene der
Erden-Natur emporgehoben haben.
Jede solche vollständige Transformation des
Erden-Lebens kann sich nicht auf einmal in einer nennenswerten Zahl von Menschen
durchsetzen. Selbst wenn der Wendepunkt erreicht und die entscheidende Linie
überschritten ist, muß das neue Leben in seinen Anfängen noch durch eine Periode
von Bedrängnis und mühevoller Entwicklung hindurchgehen. Der notwendige erste
Schritt ist eine allgemeine Umwandlung aus dem alten Bewußtsein heraus. Durch
diesen Schritt nehmen wir alles Leben in das spirituelle Prinzip empor. Die
Vorbereitung dazu mag lange dauern. Die einmal begonnene Transformation selbst
mag nur stufenweise vorwärtskommen. An einem gewissen Punkt mag sie im Einzelnen
auch rasch erfolgen und sich sogar durch einen Sprung, einen Aufschwung der
Entwicklung vollziehen. Eine individuelle Transformation bedeutet aber noch
nicht, daß ein neuer Menschen-Typus oder ein neues kollektives Leben erschaffen
wurde. Man kann sich eine Anzahl einzelner Menschen vorstellen, die sich
getrennt voneinander, inmitten des alten Lebens, entwickeln und später
miteinander vereinigen, um den Kern des neuen Daseins zu bilden. Es ist aber
nicht wahrscheinlich, daß die Natur auf diese Weise vorgeht. Es wäre auch für
den einzelnen Menschen schwierig, eine vollständige Umwandlung zu erlangen,
solange er noch in das Leben der niederen Natur eingeschlossen ist. Auf einer
gewissen Stufe der Entwicklung mag es nötig sein, die
uralte Methode zu befolgen und sich in einer gesonderten Gemeinschaft
zusammenzuschließen in der doppelten Absicht: nur zuerst für sich eine
gesicherte Atmosphäre zu schaffen, einen Ort und ein Leben, in dem sich das
Bewußtsein des Einzelnen auf seine Entwicklung in einer Umgebung konzentrieren
kann, in der alles auf dieses einzige Bemühen eingestellt und in ihm zentriert
ist. Ferner, wenn diese Dinge dazu reif sind, um das neue Leben in dieser
Umgebung und in dieser vorbereiteten spirituellen Atmosphäre auszudrücken und zu
entfalten. Es mag sein, daß sich bei einer solchen Konzentration des Bemühens
alle Schwierigkeiten der Umwandlung mit gesammelter Kraft einstellen. Denn jeder
Suchende trägt in sich die Möglichkeiten, aber auch die Unvollkommenheiten einer
Welt, die transformiert werden soll. Somit bringt er nicht nur seine positiven
Fähigkeiten mit, sondern auch seine Schwierigkeiten und die Widerstände seiner
alten Natur. Vermischt in dem begrenzten Kreis eines kleinen engen
Gemeinschaftslebens können diese an Zerstörungskraft beträchtlich zunehmen, was
der gesteigerten Macht und Konzentration der Kräfte, die auf die Evolution
hinwirken, entgegenarbeitet. Das ist eine Schwierigkeit, die in der
Vergangenheit alle Bemühungen des mentalen Menschen vereitelt hat, etwas
Besseres, Wahreres und Harmonischeres als das gewöhnliche mentale und vitale
Leben zu entfalten. Wenn aber die Natur bereit ist, wenn sie die Entscheidung
für die Evolution getroffen hat, wenn die aus den höheren Ebenen
herniederkommende Macht des Geistes stark genug ist, wird diese Schwierigkeit
überwunden und eine erste Gestaltung – oder Gestaltungen – dieser Evolution
möglich.
Wenn wir uns darauf verlassen dürfen, daß das Gesetz
der Evolution durch das führende Licht, den Willen und einen leuchtenden
Ausdruck der Wahrheit des Geistes im Leben bestimmt wird, setzen wir eine
gnostische Welt voraus, eine Welt, in der das Bewußtsein aller Wesen auf diese
Basis gegründet ist. Man darf annehmen, daß dort der Lebens-Austausch der
gnostischen Individuen in einer gnostischen Gemeinschaft oder in Gemeinschaften
seiner Natur nach in gegenseitigem Verstehen und Harmonie vor sich geht. Jetzt
und hier verläuft aber tatsächlich ein Leben gnostischer Menschen noch innerhalb
des Lebens von Menschen in der Unwissenheit oder Seite an Seite mit diesen. Es
versucht, in ihm oder aus ihm hervorzutreten. Es scheint, als seien die Gesetze
dieser zwei Lebensformen konträr und einander widerstreitend. Es könnte also
naheliegend sein, daß sich das Leben einer spirituellen Gemeinschaft gänzlich aus dem Leben der Unwissenheit zurückzieht und
von ihm trennt. Sonst wäre ein Kompromiß zwischen beiden Lebensformen notwendig.
Mit dem Kompromiß entsteht aber die Gefahr, daß das höhere Dasein verdorben oder
unvollkommen wird. Da kommen zwei verschiedenartige und miteinander
unverträgliche Daseins-Prinzipien miteinander in Berührung. Obwohl das höhere
Prinzip das niedere Dasein beeinflußt, wirkt das niedere auch auf das höhere
ein, da eine solche wechselseitige Einwirkung das Gesetz aller gegenseitiger
Berührung und jeden Austausches ist. Man kann sogar die Frage erheben, ob nicht
Konflikt und Zusammenstoß ihre Beziehung in erster Linie regelt, da sich im
Leben der Unwissenheit stets der schreckliche Einfluß der Kräfte jener
Finsternis, die das Böse und die Gewalttätigkeit unterstützen, vorfindet und
aktiv ist. Ihr Interesse ist darauf gerichtet, alles höhere Licht, das in das
Dasein der Menschen eindringt, zu verdunkeln und zu zerstören. Es war in der
Vergangenheit häufig so, daß sich gegen alles, was neu ist oder sich über die
geltende Ordnung der menschlichen Unwissenheit zu erheben oder aus ihr
auszubrechen sucht, Opposition und Intoleranz, sogar Verfolgung erhebt. Ist das
Neue siegreich, drängen sich die niederen Kräfte in es ein. Wenn die Welt das
Neue akzeptiert, ist es gefährlicher, als wenn sie sich ihm widersetzt. Am Ende
wird dann das neue Prinzip des Lebens ausgelöscht, entwertet oder verdorben.
Diese Opposition kann noch viel gewalttätiger werden. Ein enttäuschender Ausgang
ist dann noch wahrscheinlicher, wenn ein neues Licht oder eine neue Macht die
Erde grundsätzlich als ihr angestammtes Erbe beanspruchen. Wir dürfen aber davon
ausgehen, daß das neue und vollkommenere Licht auch eine neue und vollkommenere
Macht mit sich bringt. Es mag gar nicht notwendig sein, daß es sich völlig
absondert. Es kann sich in so vielen Inseln festsetzen und von dort aus seine
Einflüsse und Infiltrationen in alles alte Leben hineingießen, um es zu
durchstrahlen. Dadurch gewinnt es die Überhand und bringt Hilfe und Erleuchtung.
Ein neues emporstrebendes Bemühen in der Menschheit versteht diese mit der Zeit
immer besser und heißt sie willkommen.
Das sind aber offensichtlich Probleme des Übergangs in
der Evolution, bevor die volle und siegreiche Umwandlung durch die sich
offenbarende Kraft stattgefunden hat und bevor das Leben des gnostischen
Menschen ebenso zu einem festgegründeten Teil der irdischen Welt-Ordnung
geworden ist wie das des mentalen Menschen. Gehen wir davon
aus, daß das gnostische Bewußtsein im Erden-Bewußtsein auf sichere Fundamente
gestellt werden soll, müssen auch die ihm zur Verfügung stehende Macht und sein
Wissen viel größer sein als Macht und Wissen des mentalen Menschen. Dann ist das
Leben einer Gemeinschaft gnostischer Menschen, angenommen es verläuft getrennt
für sich, gegen einen Angriff ebenso gesichert, wie es das organisierte Leben
gegen einen Angriff einer niederen Gattung gewesen ist. Genauso aber, wie dieses
Wissen und das eigentliche Prinzip der gnostischen Natur eine erleuchtete
Einheit im gemeinsamen Leben gnostischer Menschen sicherstellt, reicht es auch
dazu aus, eine überlegene Harmonie und aussöhnende Verständigung zwischen den
beiden Typen des Lebens sicherzustellen. Der Einfluß des supramentalen Prinzips
auf die Erde wirkt sich auf das Leben der Unwissenheit aus und legt ihm
innerhalb seiner Grenzen Harmonie auf. Es ist vorstellbar, daß dabei das
gnostische Leben noch für sich gesondert bleibt. Es wird aber sicherlich all das
vom menschlichen Leben außerhalb in seinen Bereich aufnehmen, was der
Spiritualität zugewandt ist und zu ihren Höhen vorwärtsgeht. Der Rest mag sich
vor allem aufgrund des mentalen Prinzips auf seinen alten Fundamenten
organisieren. Da ihm aber nun vonseiten eines erkennbaren höheren Wissens Hilfe
und Einfluß zuströmt, tut es das voraussichtlich in den Grundzügen einer
vollkommeneren Harmonisierung, deren das menschliche Kollektiv bis jetzt nicht
fähig ist. Auch hier kann indessen das Mental nur Wahrscheinlichkeiten und
Möglichkeiten voraussagen. Das Supramental-Prinzip in der Übernatur wird selbst
im Einklang mit der Wahrheit der Dinge über das Gleichgewicht einer neuen
Welt-Ordnung entscheiden.
Eine gnostische Übernatur transzendiert alle Werte
unserer normalen unwissenden Natur. Unsere Maßstäbe und Werte sind von der
Unwissenheit erschaffen und können deshalb nicht das Leben der Übernatur
bestimmen. Zugleich ist aber unsere gegenwärtige Natur aus der Übernatur
abgeleitet. Sie ist keine reine Unwissenheit, sondern ein Halbwissen. Darum darf
man vernünftigerweise annehmen, daß jedwede spirituelle Wahrheit, die in oder
hinter ihren Normen und Werten existiert, in dem höheren Leben wieder erscheinen
wird. Nur treten sie hier nicht als Maßstäbe auf, sondern als umgewandelte
Elemente, die aus der Unwissenheit emporgehoben und in die wahre Harmonie eines
erleuchteteren Daseins versetzt sind. Wie der universal gewordene spirituelle
Einzelmensch die begrenzte Personalität des Ichs abwirft, sobald er sich über das Mental zum vollkommenen Wissen in der Übernatur
erhebt, so müssen die widersprüchlichen Ideale des Mentals von ihm abfallen. Was
aber hinter ihnen wahr ist, bleibt im Leben der Übernatur erhalten. Das
gnostische Bewußtsein ist ein Bewußtsein, in dem alle Widersprüche aufgehoben
oder ineinander verschmolzen werden in einem höheren Licht des Betrachtens und
Seins und in einer vereinten Erkenntnis des Selbsts und der Welt. Der gnostische
Mensch erkennt die Ideale und Normen des Mentals nicht an. Seine Beweggründe
sind nicht, für sich, für sein Ich, für die Menschheit, für andere Menschen, für
die Gemeinschaft oder für den Staat zu leben. Denn er ist einer höheren Wahrheit
als dieser Halb-Wahrheiten inne: der Göttlichen Wirklichkeit. Für sie lebt er
nun, für das, was sie in ihm und in allen will, im Geist der Universalität, im
Lichte dessen, was die Transzendenz will. Aus demselben Grunde kann es im
gnostischen Leben keinen Widerstreit zwischen Ich-Behauptung und Altruismus
geben. Denn das Selbst des gnostischen Menschen ist eins mit dem Selbst aller.
Es gibt keinen Konflikt zwischen dem Ideal des Individualismus und dem
kollektiven Ideal, denn beide Ideale sind Begriffe einer höheren Wirklichkeit.
Für den Geist des gnostischen Menschen können sie nur insofern von Wert sein,
als beide die Wirklichkeit zum Ausdruck bringen oder ihre Erfüllung dem Willen
der Wirklichkeit dient. Zugleich wird aber in seinem Dasein all das erfüllt, was
in den mentalen Idealen wahr und in ihnen schattenhaft vorgebildet ist. Denn
während einerseits sein Bewußtsein so weit über die menschlichen Werte
hinausgeht, daß er Gott nicht ersetzen kann durch die Menschheit, die
Gemeinschaft, den Staat, die anderen Menschen oder durch sich selbst, ist es
doch andererseits Teil seines Handelns im Leben, daß er das Göttliche Wesen in
sich selbst anerkennt, ein Empfinden hat für das Göttliche Wesen in den anderen
Menschen, ein Gefühl des Einsseins mit der Menschheit, mit allen anderen Wesen,
mit der ganzen Welt, weil das Göttliche Wesen in ihnen ist. Das führt ihn zu
einer stärkeren und besseren Bejahung der immer stärker erkannten Wirklichkeit
in ihnen. Denn alles, was er tun soll, wird von der Wahrheit des Wissens und des
Willens in ihm, von einer ganzen und unendlichen Wahrheit entschieden. Sie wird
nicht durch ein einzelnes mentales Gesetz oder eine Norm festgelegt. Vielmehr
handelt er in Freiheit innerhalb der ganzen Wirklichkeit, mit Achtung vor jeder
Wahrheit an ihrem Ort, in klarer Erkenntnis der Kräfte, die am Werk sind, und
der Absicht des sich offenbarenden Göttlichen
Schöpferwillens
bei jedem Schritt der kosmischen Evolution und in jedem Ereignis und Umstand.
Für das vollkommen gewordene spirituelle oder
gnostische Bewußtsein muß alles Leben die Offenbarung der verwirklichten
Wahrheit des Geistes sein: Nur dem, der sich umwandeln, in jener größeren
Wahrheit sein spirituelles Selbst finden kann und in ihre Harmonie einschmelzen
läßt, kann die Aufnahme in jenes Leben gewährt werden. Was überleben wird, kann
das Mental nicht entscheiden. Denn die supramentale Gnosis will selbst ihre
Wahrheit zu uns herabbringen. Diese Wahrheit nimmt alles, was vorher von ihr in
unsere Ideale und Verwirklichungen des Mentals, Lebens und Körpers hineingegeben
worden ist, zu sich empor. Die Formen, die sie hier angenommen hat, können nicht
überleben. Denn sie sind wahrscheinlich für das neue Dasein nicht geeignet, ohne
gewandelt oder ersetzt zu werden. Was aber in ihnen oder auch in ihren Formen
wirklich und bleibend ist, wird sich der zum Überleben notwendigen
Transformation unterziehen. Dabei wird vieles, was für das menschliche Leben
normal ist, verschwinden. Die vielen mentalen Idole, Prinzipien und Systeme,
einander widerstreitenden Ideale, die der Mensch in allen Bereichen seines
Mentals und Lebens geschaffen hat, können im Licht der Gnosis keine Anerkennung
und Verehrung verlangen. Aussicht, als Element einer auf viel umfassenderer
Grundlage gegründeten Harmonie Eingang zu finden, kann – falls sie existiert – nur die Wahrheit haben, die verborgen hinter diesen vieldeutigen Bildern steht.
Krieg könnte offensichtlich in einem Leben, das vom gnostischen Bewußtseins
regiert wird, keine Seins-Grundlage haben mit seinem Geist der Gegensätzlichkeit
und Feindschaft, seiner Brutalität, Zerstörung und ignoranten Gewalttätigkeit,
dem politischen Kampf mit seinem ständigen Konflikt, seiner häufigen
Unterdrückung, den Unehrlichkeiten, schimpflichen Handlungen, egoistischen
Interessen, mit Unwissenheit, Unfähigkeit und Chaos. Die Künste und Handwerke
bestehen weiter, aber nicht für minderwertiges mentales oder vitales Vergnügen,
zur Freizeit-Unterhaltung und Lusterregung, sondern als Ausdrucksformen und
Mittel der Wahrheit des Geistes, um der Schönheit und Freude am Sein willen.
Leben und Körper sind nicht mehr die tyrannischen Herren, die neun Zehntel
unseres Daseins zu ihrer Befriedigung verlangen. Vielmehr sind sie Mittel und
Mächte, den Geist auszudrücken. Da Materie und Körper voll anerkannt sind, ist
zugleich auch die Beherrschung und rechte Verwendung der physischen Dinge ein Teil des verwirklichten Lebens des Geistes in seiner Manifestation
in der Erden-Natur.
Man nimmt fast allgemein an, spirituelles Leben müsse notwendig ein Leben in asketischer Dürftigkeit sein, man müsse alles verwerfen, was nicht für die bloße Erhaltung des Körpers notwendig sei. Das ist zwar gültig für ein spirituelles Leben, das seiner Natur und Absicht nach ein Leben der Abkehr vom Leben ist. Und auch abgesehen von diesem Ideal könnte man denken, die Hinwendung zum Geist erfordere immer äußerste Einfachheit, da alles übrige ein Leben des vitalen Verlangens und der Selbst-Befriedigung in körperlicher Lust sei. Von einem umfassenderen Gesichtspunkt her gesehen ist das aber ein mentaler Maßstab, der sich auf das Gesetz der Unwissenheit gründet, deren Motiv das Begehren ist. So kann als gültiges Prinzip der Grundsatz auftreten, man müsse, um die Unwissenheit zu überwinden und das Ich auszulöschen, nicht nur das Begehren selbst vollständig zurückweisen, sondern auch alle Dinge, die das Begehren befriedigen können. Eine solche Norm ist aber wie jeder mentale Maßstab keineswegs absolut und ebensowenig als Gesetz für jenes Bewußtsein bindend, das sich über das Begehren erhoben hat. Zum Wesenskern einer solchen Natur gehört völlige Reinheit und Meisterschaft aus dem Selbst. Sie bleibt dieselbe in Armut und in Reichtum. Wäre sie doch nicht wirklich oder vollständig, wenn sie durch beides erschüttert oder befleckt werden könnte. Die einzige Regel für unser gnostisches Wesen ist, daß wir durch unser Selbst den Geist, den Willen des Göttlichen Wesens zum Ausdruck bringen. Dieser Wille, dieser Selbst-Ausdruck kann sich ebenso durch äußerste Einfachheit wie durch äußerste Vielfalt und Üppigkeit des Lebens oder durch natürliche Ausgewogenheit offenbaren – denn Schönheit und Fülle, die verborgene Süße und das Lächeln in den Dingen, der Sonnenschein und die Freude am Leben sind ebenfalls Mächte und Ausdrucksformen des Geistes. Nach allen Richtungen hin bestimmt der Geist, der im Innern das Gesetz unserer Natur lenkt, auch den Rahmen des Lebens, seine Einzelheiten und seine Umstände. In allem herrscht dasselbe formbare Prinzip. So notwendig die Geltung strenger Normen für eine Ordnung der Dinge durch das Mental ist, so kann dies doch nicht das Gesetz spirituellen Lebens sein. Hier wird sich vielmehr eine große Mannigfaltigkeit und Freiheit des Ausdrucks des Selbsts zeigen, die ihre Basis in der zugrundeliegenden Einheit hat. Und doch gibt es dabei überall Harmonie und eine Ordnung aus der Wahrheit.
Ein Leben gnostischer
Menschen, das die Evolution zu einem höheren, supramentalen Zustand emporträgt,
mag man zutreffend als ein göttliches Leben charakterisieren. Denn es ist ein
Leben im göttlichen Wesen, des Hervorbrechens eines spirituellen göttlichen
Lichtes mit seiner in der materiellen Natur geoffenbarten Macht und Freude. Man
könnte es auch als das Leben eines spirituellen und supramentalen
Über-Menschentums beschreiben, da es über die mentale menschliche Ebene
hinausgeht. Man darf das aber nicht mit vergangenen oder gegenwärtigen
Vorstellungen von Übermenschentum verwechseln. Denn in der mentalen Vorstellung
besteht das Übermenschentum darin, daß ein Mensch über die normale menschliche
Stufe hinauskommt, und zwar nicht durch eine höhere Art, sondern nur durch einen
höheren Grad derselben Art: durch ausgeweitete Persönlichkeit, ein vergrößertes
und übertriebenes Ich, vermehrte Macht des Mentals, erhöhte Vital-Kraft und
verfeinerte oder verdichtete und massive Übertreibung der Kräfte der
menschlichen Unwissenheit. Sie enthält auch, und das wird allgemein dabei
vorausgesetzt, die Idee einer gewalttätigen Beherrschung der Menschheit durch
den Übermenschen. Das wäre ein Übermenschentum vom Typus Nietzsches. Im
schlimmsten Fall ist es die Herrschaft der “blonden” oder der dunklen oder
irgendeiner und jeder “Bestie”, eine Rückkehr zu brutaler Gewalt, Rohheit und
Kraft. Es wäre keine Evolution, sondern ein Rückfall in die alte
verbissen-gewalttätige Barbarei. Oder es könnte bedeuten, daß der Rakshasa oder
Asura aus dem eifrigen, aber in der verkehrten Richtung angelegten Bemühen der
Menschheit hervorgeht, über sich selbst hinauszukommen und sich zu
transzendieren. Ein gewalttätiges und turbulentes übertriebenes vitales Ich, das
sich durch eine höchst tyrannische oder anarchische Kraft der
Selbst-Durchsetzung befriedigt, ist der Typus eines übermenschlichen Rakshasa.
Aber der Riese, das Ungeheuer, das die Menschen und die Welt verschlingt, dieser
Rakshasa gehört, auch wenn er noch überlebt, zum Geist der Vergangenheit. Würde
dieser Typus wieder in größerer Zahl hervortreten, so wäre auch das eine
rückwärts gerichtete Entwicklung. Der Typus des Asura stellt seine
überwältigende Kraft zur Schau. Er ist selbstbeherrscht, verhalten, unter
Umständen gar von asketisch gebändigter Mentalität und Lebens-Macht. Er kann
stark, ruhig, kalt, in seiner gesammelten Vehemenz furchtbar, dabei subtil,
herrschsüchtig und zugleich eine Sublimierung des mentalen und vitalen Ichs
sein. Die Erde hat aber in ihrer Vergangenheit genug von dieser Art. Wenn
sie sich wiederholt, verlängert sie nur die alten Entwicklungslinien.
Für ihre Zukunft kann die Erde vom Titan, vom Asura keinen wahren Nutzen haben
und nicht die Möglichkeit gewinnen, über sich selbst hinauszukommen. Selbst wenn
diese Typen in sich eine große oder übernormale Macht besäßen, würde das die
Erde nur auf weiteren Kreisen ihres alten Umlaufs forttragen. Was jetzt
hervortreten muß, ist etwas viel Schwierigeres und zugleich etwas viel
Einfacheres. Es ist ein Wesen, das sein Selbst verwirklicht; es baut auf das
spirituelle Selbst auf; die Seele wird stärker, und es wächst ihr Drängen; ihr
Licht, ihre Macht und ihre Schönheit werden entbunden und gewinnen an
Souveränität. Das ist kein ichhaftes Übermenschentum, das sich durch mentale und
vitale Herrschaft über die Menschheit durchsetzt, sondern die Souveränität des
Geistes gegenüber seinen eigenen Werkzeugen. Dieses Übermenschentum besitzt sein
Selbst und sein Leben in der Macht des Geistes. In einem neuen Bewußtsein findet
die Menschheit den Weg, über sich hinauszukommen und sich selbst zu erfüllen
durch die Enthüllung des Göttlichen, das in ihr auf seine Geburt drängt. Das ist
die einzige wahre Art Übermenschentum. Das ist die einzig wahre Möglichkeit für
einen Schritt nach vorn in der evolutionären Natur.
Dieser neue Zustand ist in der Tat eine Umkehrung des
gegenwärtigen Gesetzes des menschlichen Bewußtseins und Lebens. Es kehrt das
Prinzip des Lebens in der Unwissenheit um. Von der Seele kann man sagen, sie ist
in die Unbewußtheit herabgekommen, um die Unwissenheit, ihre Überraschung und
ihr Abenteuer zu genießen. Sie hat die Verkleidung der Materie angenommen, um
das Abenteuer und die Freude am Erschaffen und Entdecken zu genießen, ein
Abenteuer des Geistes, ein Abenteuer von Mental und Leben und die gefährlichen
Überraschungen ihres Wirkens in der Materie. Sie sucht das Neue und Unbekannte
zu entdecken und zu erobern. Aus all diesem besteht das Abenteuer des Lebens. Es
scheint nun, dies alles könnte aufhören, wenn die Unwissenheit aufhört. Das
Leben des Menschen besteht aus Licht und Finsternis, aus Gewinnen und Verlusten,
Schwierigkeiten und Gefahren, den Freuden und Leiden der Unwissenheit. Das ist
das Spiel von Farben, das sich auf dem Boden einer allgemeinen Neutralität der
Materie vollzieht, die das Nicht-Bewußte und die Empfindungslosigkeit des
Unbewußten zur Grundlage hat. Für das normale Lebens-Wesen mag ein Dasein ohne
die Reaktionen von Erfolg und Enttäuschung, ohne vitale Freude und Traurigkeit,
Gefahr und Leidenschaft, Lust und Schmerz, ohne
die Wechselfälle und Ungewißheiten des Schicksals, ohne den Kampf, die Schlacht
und die Anstrengung, ohne Freude an der Neuerung und Überraschung und ohne
schöpferisches Tun, das sich ins Unbekannte projiziert, als öde, ohne
Abwechslungen und darum auch ohne vitale Würze erscheinen. Darum hält der
normale Mensch jedes Leben, das über diese Dinge hinausgeht, für etwas
Gestaltloses, Ödes oder unveränderlich Eintöniges. Die Vorstellung des
menschlichen Mentals vom Himmel ist eine unablässige Wiederholung ewiger
Monotonie. Das ist aber eine falsche Auffassung. Denn wenn wir ins gnostische
Bewußtsein eintreten, gehen wir ins Unendliche ein. Das ist eine Schöpfung des
Selbsts, die das Unendliche auf unendliche Weise in die Formen des Seienden
einbringt. Der Reiz des Unendlichen ist viel größer und vielseitiger, auch in
unvergänglicher Weise freudvoller, als der Reiz des Endlichen. Die Evolution im
Wissen ist eine schönere und herrlichere Manifestation mit viel weiteren
Ausblicken, die sich immer neu entfalten und in jeder Weise stärker sind als
jede Entwicklung in der Unwissenheit. Die Wonne des Geistes ist immer neu. Die
von ihm gewählten Formen der Schönheit sind unzählig. Seine Göttlichkeit ist
immer jung. Der Geschmack der Seligkeit, rasa, des Unendlichen ist ewig
und unerschöpflich. Die gnostische Manifestation des Lebens ist erfüllter und
trägt reichere Frucht. Ihr Reiz ist intensiver als der schöpferische Reiz der
Unwissenheit. Sie ist ein größeres, froheres ständiges Wunder.
Gibt es eine Evolution in der materiellen Natur und ist
sie eine Evolution des Wesens, deren zwei Schlüssel-Begriffe und Mächte
Bewußtsein und Leben heißen, dann muß diese Fülle des Wesens, diese Fülle des
Bewußtseins, diese Fülle des Lebens das Ziel der Entwicklung sein, dem wir
zustreben und das sich auf einer früheren oder späteren Stufe unserer Bestimmung
manifestieren wird. Das Selbst, der Geist, die aus der ersten Unbewußtheit von
Leben und Materie sich enthüllende Wirklichkeit wird ihre vollständige Wahrheit
von Wesen und Bewußtsein in diesem Leben hier und in dieser Materie entfalten.
Die Wahrheit wird zu sich selbst zurückkehren – sollte es ihre Absicht sein, daß
das Individuum ins Absolute heimkehrt, kann sie auch diese Rückkehr vollziehen – nicht durch eine Enttäuschung am Leben, sondern durch ihre spirituelle
Vollkommenheit im Leben. Unsere Entwicklung in der Unwissenheit mit ihrer bunten
Mischung von Freude und Schmerz bei unserer Entdeckung des Selbsts und der Welt,
mit ihren halben Erfüllungen, ihrem ständigen
Finden und Verlieren, ist nur ein erster Zustand. Sie muß unausweichlich zu
einer Entwicklung im Wissen führen: Der Geist findet sich selbst und entfaltet
sich selbst. Das Göttliche Wesen offenbart sich selbst in den Dingen in jener
wahren Macht seiner selbst in einer Natur, die für uns jetzt noch die Übernatur
ist.
ENDE
BUCH 2
1 ein Name für Vishnu, der als der Gott im Menschen ständig mit nara, dem menschlichen Wesen, in zweifacher Einung verbunden lebt.
2 Eine andere Upanishad verwirft die Geburt des Seienden aus dem Nicht-Seienden als Unmöglichkeit. Sie sagt, Seiendes könne nur aus Seiendem geboren werden. Wenn wir aber Nicht-Seiendes nicht als ein nichtexistentes Nihil sondern als ein “x” nehmen, das über unsere Idee oder Erfahrung des Daseins hinausgeht – eine Bedeutung, die auf das absolute brahman des advaita ebenso anwendbar ist wie auf die Leere oder die Nulldimension der Buddhisten –, verschwindet die Unmöglichkeit. Denn Jenes mag sehr wohl der Ursprung des Seienden sein: ob durch eine empfangende oder formgebende maya, durch Manifestation oder durch Schöpfung aus sich selbst.
3 Ich verwende hier das Wort “Intuition” in Ermangelung eines besseren. In Wahrheit ist es ein Notbehelf und für den von ihm verlangten Begriffsinhalt unzulänglich. Dasselbe muß auch von dem Wort “Bewußtsein” und von vielen anderen gesagt werden, die wir mangels besserer gezwungen sind, in ihrer Bedeutung ungebührlich auszuweiten.
4 Unteilbar in der Totalität der Bewegung. Jeder Augenblick von Zeit und von Bewußtsein mag als gesondert von seinem Vorgänger und Nachfolger angesehen werden, jede auf die vorhergehende folgende Aktion von Energie als ein neues Quantum oder als eine neue Schöpfung. Das hebt aber die Kontinuität nicht auf, ohne die es keine Dauer in der Zeit und keinen Zusammenhang des Bewußtseins gäbe. Ob ein Mensch geht, rennt oder Sprünge macht, seine Schritte sind zwar stets voneinander getrennt, aber es ist etwas vorhanden, das die Schritte unternimmt und die Bewegung zusammenhängend macht.
5 Gegenwärtig ist die merkwürdige Spekulation verbreitet, das Leben auf der Erde sei nicht aus einer anderen Welt, sondern von einem anderen Planeten gekommen. Für unser Denken würde das nichts erklären. Die wesentliche Frage ist: Wie kommt Leben überhaupt in die Materie? und nicht: Wie ist es in die Materie eines bestimmten Planeten gekommen?
6 Ich übernehme den Ausdruck aus dem Rig Veda, rta-cit, in der Bedeutung: Bewußtsein der wesenhaften Wahrheit des Seienden ( satyam ), der geordneten Wahrheit des aktiven Seienden ( rtam ) und des unendlichen Selbstinneseins ( brhat ), in dem allein dieses Bewußtsein möglich ist.
7 Ein vedischer Ausdruck: Die Götter handeln im Einklang mit den ersten Gesetzen, ursprünglich und darum erhaben, denn diese sind das Gesetz der Wahrheit der Dinge.
8 Diese aus neuesten wissenschaftlichen Untersuchungen abgeleiteten Erwägungen werden hier nicht angeführt als Illustration oder Beweis für die Natur und den Prozeß von Leben in Materie, wie sie hier entwickelt werden. Naturwissenschaft und Metaphysik (ob gegründet auf rein intellektuelle Spekulation oder, wie in Indien, letztlich auf eine spirituelle Schau und Erfahrung der Dinge) haben jede ihren eigenen Bereich und ihre eigene Forschungsmethode. Naturwissenschaft kann ihre Ergebnisse ebensowenig der Metaphysik diktieren, wie Metaphysik ihre Schlußfolgerungen der Naturwissenschaft aufzwingen kann. Wenn wir aber die vernünftige Annahme akzeptieren, daß das Seiende und die Natur in allen ihren Zuständen ein System von Entsprechungen besitzen, das eine ihnen zugrundeliegende gemeinsame Wahrheit ausdrückt, ist es erlaubt zu vermuten, Wahrheiten des physischen Universums könnten ebenso einiges Licht auf den Charakter wie die Abläufe jener Kraft werfen, die im Universum aktiv ist, zwar kein vollständiges Licht, denn Naturwissenschaft ist hinsichtlich der Reichweite ihrer Forschung notwendigerweise nicht vollständig und besitzt auch keinen Zugang zum Verständnis der okkulten Bewegungen der Kraft.
9 Geborenwerden, Wachsen und Sterben von Leben sind in ihrem vordergründigen Aspekt derselbe Prozeß von Ansammlung, Gestaltung und Auflösung, wenn sie auch in ihrem inneren Ablauf und in ihrer Bedeutung mehr als das sind. Selbst die Beseelung des Körpers durch das psychische Wesen folgt, wenn die okkulte Schau dieser Dinge korrekt ist, einem ähnlichen äußeren Vorgang. Denn die Seele zieht als Kern für das Geborenwerden die Elemente ihrer mentalen, vitalen und physischen Umhüllungen mit deren Inhalten an sich und fügt sie zusammen, weitet diese Formationen im Leben aus und läßt sie beim Weitergehen fallen; sie löst die Aggregate wieder auf und zieht ihre inneren Mächte in sich selbst zurück, bis sie in der Wiedergeburt den ursprünglichen Vorgang wiederholt.
10 Hier wird vom Mental so gesprochen, wie es unmittelbar im Leben, im vitalen Wesen, durch das Herz wirkt. Liebe (als das relative, nicht als das absolute Prinzip) ist ein Prinzip des Lebens, nicht des Mentals; es kann aber nur dann im Besitz seines Selbsts sein und sich auf beständige Dauer hin entwickeln, wenn es vom Mental in dessen Licht emporgehoben wird. Was im Körper und in den vitalen Schichten Liebe genannt wird, ist meist eine Form von Hunger ohne Dauer.
11 Das wirkliche Unterbewußte ist ein niederes herabgemindertes Bewußtsein, dem Unbewußten nahe. Das Subliminale ist ein umfassenderes Bewußtsein als das unseres vordergründigen Daseins. Beide gehören aber zum inneren Bereich unseres Wesens, dessen unser vordergründiges Dasein nicht gewahr ist. Darum werden die beiden in unserer gewöhnlichen Auffassung und Sprechweise durcheinandergebracht.
12 Das Wort “psychisch” wird in unserem gewöhnlichen Sprachgebrauch häufiger in bezug auf diese Begehren-Seele verwendet als für das wahre psychische Wesen. Noch ungenauer wird es für psychische und andere Phänomene eines unnormalen oder übernormalen Charakters gebraucht, die in Wirklichkeit mit dem inneren Mental, dem inneren Vital und dem subtilen physischen Wesen verbunden sind, das in uns subliminal und absolut kein direktes Wesen der Psyche ist. Auch solche Phänomene wie Materialisation und Dematerialisation werden in den Begriff “psychisch” einbezogen, obwohl sie, wenn sie tatsächlich erwiesen sind, offensichtlich keine Seelenaktion darstellen und kein Licht auf Art oder Existenz der psychischen Wesenheit werfen würden, vielmehr unnormales Wirken einer okkulten subtilen physischen Energie wären, die in den gewöhnlichen Status des groben Körpers der Dinge eingreift, ihn erst zurück in seinen eigenen subtilen Zustand verwandelt und ihn dann wieder in den Begriffen der groben Materie rekonstruiert.
13 Das Mental, wie wir es kennen, erschafft nur in einem relativen, instrumentalen Sinn. Es hat unbegrenzte Macht zur Kombination, aber seine schöpferischen Motive und Formen kommen zu ihm von oben: Alle geschaffenen Formen haben ihre Basis im Unendlichen, oberhalb von Mental, Leben und Materie. Sie werden hier aus dem Infinitesimalen repräsentiert, rekonstruiert – gewöhnlich stark miß-konstruiert. Ihre Wurzeln sind oben, ihre Verzweigungen gehen nach unten, sagt der Rig Veda. Das überbewußte Mental, von dem wir sprechen, sollte man eher ein Übermental nennen. Es nimmt in der hierarchischen Ordnung der Mächte des Geistes eine Zone ein, die direkt vom supramentalen Bewußtsein abhängt.
14 Mental wird hier in seinem weitesten Sinn gebraucht und schließt auch das Wirken einer Übermental-Macht ein, die dem supramentalen Wahrheits-Bewußtsein am nächsten steht und die erste Quelle für die Erschaffung der Unwissenheit ist.
15 In einer gegebenen Welt brauchte es keine Involution zu geben, sondern alle übrigen Prinzipien könnten einem einzigen untergeordnet oder in ihm enthalten sein. In einer solchen Weltordnung ist Evolution nicht notwendig.
16 Prajna der Mandukya Upanishad: das Selbst, in einem tiefen Schlaf befangen, ist der Herr und Schöpfer aller Dinge.
17 In der buddhistischen Theorie ist Wiedergeburt nur deshalb zwingend, weil das karma sie erfordert. Nicht eine Seele, sondern das karma ist das Verbindungsglied für ein dem Schein nach fortdauerndes Bewußtsein, denn das Bewußtsein ändert sich von Augenblick zu Augenblick: Es gibt diese scheinbare Kontinuität von Bewußtsein, aber es gibt keine wirkliche, unsterbliche Seele, die die Geburt auf sich nimmt und durch den Tod des Körpers hindurchgeht, um in einem anderen Körper wiedergeboren zu werden.
18 In dieser Anschauung ist das Selbst Eines; es kann nicht viele sein oder sich vervielfältigen. Darum kann es auch kein wahres Individuum geben, sondern höchstens das eine Selbst, das allgegenwärtig ist und jedes Mental und jeden Körper mit der Idee des “Ich” beseelt.
19 Dr. Schweitzer behauptet in seinem Buch über das Denken Indiens, daß dies der wirkliche Sinn der Lehre der Upanishaden gewesen und daß Wiedergeburt eine spätere Erfindung sei. Aber es gibt zahllose wichtige Stellen in fast allen Upanishaden, die positiv die Wiedergeburt behaupten. Und auf alle Fälle erkennen die Upanishaden das Überleben der Personalität nach dem Tod und ihren Übergang in andere Welten an, was mit jener Interpretation nicht vereinbar wäre. Wenn es ein Überleben in anderen Welten und auch eine endgültige Bestimmung zur Befreiung in das brahman für die hier verkörperten Seelen gibt, dann zwingt sich die Wiedergeburt von selbst auf. Es gibt keinen Grund für die Annahme, das sei eine spätere Theorie. Der Schreiber war offensichtlich durch Anknüpfung an westliche Philosophie geneigt, in den eher subtilen und komplexen Gedanken des alten Vedanta einen rein pantheistischen Sinn hineinzulesen.
20 Gewisse Ausdrücke im Rig Veda scheinen diese Auffassung zum Inhalt zu haben. Von der Erde, dem materiellen Prinzip, wird als der Grundlage all dieser Welten gesprochen, oder die sieben Welten werden als die sieben Ebenen der Erde beschrieben.
21 Unter “irdisch” verstehen wir nicht diese eine Erde und den Zeitablauf ihrer Dauer, sondern wir verwenden “Erde” in der umfassenderen Bedeutung der Wurzel des vedantischen prthvi, das Erd-Prinzip, das für die Seele Wohnstätten für ihre physische Gestalt erschafft.
22 Handeln, karma. Nach der in diesem Vers der Upanishad ausgedrückten Anschauung wird das karma oder das Wirken dieses Lebens durch das Leben in der jenseitigen Welt, in der seine Ergebnisse zur Erfüllung kommen, erschöpft, die Seele kehrt für ein neues karma zur Erde zurück. Die Ursache für die Geburt in dieser Welt, für karma, für das Weitergehen der Seele zu einem Dasein in einer anderen Welt und für ihre Rückkehr hierher, ist ganz und gar das eigene Bewußtsein der Seele, ihr Wille und ihr Begehren.
23 Selbst wenn die Wissenschaft – Naturwissenschaft oder okkulte Wissenschaft -die notwendigen Voraussetzungen oder Mittel für ein unbegrenztes Überleben des Körpers entdeckte, würde die Seele einen Weg finden, den Körper aufzugeben und zu einer neuen Inkarnation weiterzugehen, wenn der Körper sich nicht so anpassen könnte, daß er zum tauglichen Instrument würde, um das innere Wachsen der Seele auszudrücken. Die materiellen oder physischen Ursachen des Todes sind nicht dessen einzige oder wahre Ursache. Sein wahrer innerster Grund ist die spirituelle Notwendigkeit der Entwicklung eines neuen Wesens.
24 Das ist das Wesentliche des spirituellen Ideals und der Verwirklichung, auf die uns die Gita hinweist.
25 So die Gita. Die buddhistische Hochschätzung des allumfassenden Mitleidens, karuna, und des Mitgefühls mit allen (“Die ganze Erde ist meine Familie.”), vasudhaiva kutumbakam, als des höchsten Grundsatzes für das Handeln, sowie die Betonung der Liebe durch das Christentum beweisen diese kraftvolle Seite spirituellen Wesens.
26 Das psychische und das spirituelle Sich-öffnen können mit ihren Erfahrungen und Folgen vom Leben weg- oder zu einem nirvana hinführen. Wir betrachten sie hier aber einzig und allein als Stufen einer Transformation der Natur.
27 Das Wort, das die Idee ausdrückt, besitzt dieselbe Macht, wenn es mit spiritueller Macht aufgeladen ist. Das ist der Grund für die indische Verwendung des mantra.