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Sri Aurobindo

Briefe über den Yoga

Band 1

INTEGRALER YOGA UND ANDERE WEGE

I. Shankara und Mayavada

II. Buddhismus

III. Die Gita

IV. Tantrismus und Okkultismus

V. Vishnuismus (Vaishnavismus)

VI. Integraler Yoga

I. Shankara und Mayavada

Ich stimme1 mit der Ansicht, die Welt sei eine Lüge, mithyā, nicht überein. Brahman ist ebenso hier wie im überkosmischen Absoluten. Das zu Überwindende ist die Unwissenheit, die uns blind macht, die uns daran hindert, Brahman in der Welt und im Jenseits sowie die wahre Natur des Daseins zu erkennen.

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Shankaras Erkenntnis ist, wie dein Guru ausführte, nur eine Seite der Wahrheit; sie ist das Erkennen des Höchsten, wie er vom spiritualisierten Mental im statischen Schweigen des reinen Daseins erfahren wird. Da Shankara diesem Weg folgte, konnte er den Ursprung des Universums weder akzeptieren noch erklären, es sei denn als Illusion als eine Schöpfung der Maya. Man muss den Höchsten sowohl in seinem dynamischen als in seinem statischen Aspekt erkennen, sonst vermag man weder den wahren Ursprung der Dinge noch die ebenbürtige Wirklichkeit eines aktiven Brahman zu erfahren. Die Shakti, die Macht des Ewigen, wird dann lediglich zu einer Macht der Illusion, und die Welt wird unbegreiflich, ein Mysterium kosmischen Wahnsinns, ein ewiges Delirium des Ewigen. Welche verbale oder gedankliche Logik man auch immer anwendet, diese Art das Universum zu sehen führt zu keinerlei Verstehen; sie, wäre nichts als eine mentale Formulierung des Unerklärlichen. Nur wenn du dich dem Höchsten in seinem zweifachen Aspekt, nämlich dem des reinen Seins und dem der Bewusstseins-Kraft, Sat und Chit-Shakti, näherst – zweifach, doch untrennbar –, kann sich der inneren Erfahrung die gesamte Wahrheit der Dinge offenbaren. Diese andere Seite wurde von den Shakta-Tantrikern entwickelt. Beide zusammen, die Wahrheit des Vedanta und des Tantrismus, können zu einem integralen Wissen gelangen.

Darauf läuft die Lehre deines Gurus vom philosophischen Standpunkt hinaus, und sie enthält offensichtlich eine vollständigere Wahrheit und ein weiteres Wissen, als in der Darlegung des Shankara enthalten ist. Es wird bereits in der Lehre der Gita vom Purushottama und der Parashakti (Adya Shakti), die zum Jiva werden und das Universum aufrechterhalten, angedeutet. Es ist klar, dass Purushottama und Parashakti beide ewig sind, untrennbar und wesenseins; die Parashakti manifestiert das Universum, sie manifestiert ebenfalls das Göttliche im Universum als den Ishvara und erscheint an seiner Seite als Ishvari-Shakti. Wir können es aber auch so ausdrücken, dass es die Höchste Bewusste Macht des Höchsten ist, die sich manifestiert oder als Ishvara-Ishvari hervortritt, als Atma-Shakti als Purusha-Prakriti, als Jiva Jagat. Das ist die Wahrheit in ihrer Vollständigkeit, insoweit das Mental sie formulieren kann. Im Supramental erheben sich solche Fragen nicht, denn das Mental ist es, das Probleme schafft, indem es einen Gegensatz zwischen den Aspekten des Göttlichen errichtet, die tatsächlich keine Gegensätze sind, sondern eins und untrennbar.

Das supramentale Wissen wurde noch nicht erreicht, da das Supramental selbst noch nicht erreicht wurde; doch seine Spiegelung ist hier im intuitiven spirituellen Bewusstsein zu finden, und diese war es offensichtlich, die dein Guru in seiner Erfahrung verwirklichte und in dem zitierten Abschnitt ausdrückte. Es ist möglich, sich einer Erkenntnis zu nähern, indem man mit der Erfahrung der Auflösung im Einen beginnt, doch nur unter der Bedingung, dort nicht haltzumachen und dies als die höchste Wahrheit anzusehen, sondern weiterzugehen, um diesen selben Einen als die höchste Mutter, die Bewusstseins-Kraft des Ewigen zu erkennen. Wenn du dich andererseits über die Höchste Mutter annäherst, wird sie dir sowohl zur Befreiung im schweigenden Einen verhelfen als auch zur Verwirklichung des dynamischen Einen. Daher ist dieser Weg der einfachere, um zu jener Wahrheit zu gelangen, in welcher beide eins und untrennbar sind. Gleichzeitig wird die Kluft, die das Mental zwischen dem Höchsten und Seiner Schöpfung schafft, überbrückt, und es gibt keine Spaltung der Wahrheit mehr, die alles unverständlich macht. Wenn du das, was dich dein Guru lehrte, in diesem Lichte siehst, wirst du erkennen, dass es das gleiche in einer weniger metaphysischen Sprache ist.

Was den göttlichen Befehl, den ādeśa, anbelangt, so reden die Menschen darüber ohne zu unterscheiden, doch ist diese Unterscheidung notwendig. Das Göttliche spricht auf vielerlei Weise zu uns und nicht immer in Form eines befehlenden ādeśa. Und wenn, dann ist er eindeutig, ein Widerstand ist nicht möglich, das Mental hat zu gehorchen; die Frage, ob dieser Befehl den vorgefassten Ideen des mentalen Verstandes widerspricht, erhebt sich gar nicht. Einen solchen ādeśa erhielt ich als ich nach Pondicherry ging. Doch häufiger besteht er in einer Andeutung oder sogar in noch weniger, in einem bloßen Zeichen, dem das Mental unter Umständen nicht folgt, da es von seiner fordernden Unumgänglichkeit nicht beeindruck ist. Es ist etwas, das angeboten, jedoch nicht auferlegt wird, vielleicht nicht einmal angeboten, sondern lediglich von der Wahrheit darüber vorgeschlagen.

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Wenn Shankaras Auffassung des unterschiedslosen, reinen Bewusstseins als Brahman deiner Vorstellung entspricht, dann solltest du diesen Yoga hier nicht wählen; denn hier ist die Verwirklichung des reinen Bewusstseins und Seins nur ein erster Schritt und nicht das Ziel. In einem unterschiedslosen Bewusstsein kann es ein inneres, schöpferisches Streben nicht geben, da alle Tätigkeit und Schöpfung ihm notwendigerweise fremd sein müssen. Ich gründe meinen Yoga nicht auf der unzureichenden Grundlage, dass das Selbst (nicht die Seele) ewig frei ist. Diese Behauptung führt zu nichts oder könnte, benutzt man sie als Ausgangspunkt, ebensogut zu der Schlussfolgerung führen, dass Tat und Schöpfung weder Bedeutung noch Wert haben. Es erhebt sich jedoch die Frage nach der Bedeutung der Schöpfung, ob es einen Höchsten gibt, der nicht nur ein unterschiedsloses Bewusstsein und Sein ist” sondern auch die Quelle und Stütze der dynamischen Energie in der Schöpfung, und ob das kosmische Dasein für Ihn Sinn und Wert hat. Diese Frage kann durch metaphysische Logik, die sich in Worten und Ideen ausdrückt, nicht gelöst werden, sondern allein durch spirituelle Erfahrung, die das Mental überschreitet und in spirituelle Wirklichkeiten eindringt. Jedes Mental findet in seinen eigenen Schlussfolgerungen Genüge, doch für spirituelle Zwecke haben diese keine Gültigkeit, es sei denn als Anzeichen dafür, wie weit und in welcher Richtung im Bereich spiritueller Erfahrung jeder zu gehen bereit ist. Wenn deine Schlussfolgerungen dich zu Shankaras Vorstellung des Höchsten führen, kann dies als Anzeichen dafür gelten, dass der Advaita Vedanta (Mayavada) dein Weg des Vorankommens ist.

Dieser Yoga anerkennt den Wert des kosmischen Daseins und betrachtet dieses als Realität; sein Ziel ist es, in ein höheres Wahrheits-Bewusstsein oder in ein Göttliches supramentales Bewusstsein einzutreten, in welchem Tat und Schöpfung nicht Ausdruck der Unwissenheit und Unvollkommenheit sind, sondern der Wahrheit, des Lichtes, des Göttlichen Ananda. Hierfür ist jedoch die Hingabe des vergänglichen Mentals, Lebens und Körpers an jenes Höhere Bewusstsein unerlässlich, da es für das sterbliche menschliche Wesen zu schwierig ist, durch die eigene Kraft zu einem supramentalen Bewusstsein jenseits des Mentals zu gelangen, in welchem die Dynamik nicht länger vom Mental geprägt wird, sondern von einer ganz anderen Macht herrührt. Nur jene, die dem Ruf zu solcher Veränderung Folge leisten können, sollten diesen Yoga annehmen.

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Ich weiß nicht, ob es dir viel nützt, wenn ich die Fragen deines Freundes beantworte. Ich kann lediglich meinen eigenen Standpunkt hinsichtlich dieser Dinge darlegen.

1. Shankaras Erklärung des Universums

Es ist heutzutage schwer zu sagen, welcher Art Shankaras Philosophie tatsächlich war, denn es gibt zahllose Exponenten und keiner stimmt mit dem anderen überein. Ich habe von vielen seiner Anhänger Berichte gelesen, und jeder folgte seiner eigenen Auffassung. Einige behaupten sogar, dass er, obwohl er immer als bedeutender Repräsentant der Maya-Theorie galt, gar kein Mayavadin gewesen ist, sondern vielmehr der größte Realist in der philosophischen Geschichte. Ein berühmter Anhänger Shankaras erklärte sogar, dass meine Philosophie und die von Shankara identisch seien, eine Behauptung, die mir beinahe den Atem nahm. Man ist gewöhnt, Shankaras Philosophie so zu verstehen, dass die Höchste Wirklichkeit ein raum– und zeitloses Absolutes ist (Parabrahman, jenseits von jedem Merkmal, jeder Eigenschaft, und dass die Welt eine Schöpfung der Maya ist, nicht absolut unwirklich, doch wirklich nur in der Zeit und solange man in der Zeit lebt; sind wir einmal zu einer Erkenntnis der Wirklichkeit gelangt, dann sehen wir, dass Maya und die Welt und alles in ihr ohne bleibendes oder wahres Dasein sind. Sie ist, wenn auch nicht unwirklich, so doch falsch, jaganmithyā; sie ist ein Irrtum des Bewusstseins, sie ist und ist nicht; sie ist in ihrem Ursprung ein irrationales und unerklärliches Mysterium, obgleich wir ihr Geschehen wahrnehmen können oder zumindest die Art, wie dieses sich unserem Bewusstsein darbietet. Brahman wird in der Maya als Ishvara erkannt, der die Werke der Maya aufrechterhält, und die scheinbar individuelle Seele ist tatsächlich Brahman selbst. Letzten Endes jedoch scheint all dies hier eine Erfindung der Maya zu sein, mithyā, und nichts ist wirklich wahr. Sollte dies Shankaras Philosophie sein, dann ist sie für mich unannehmbar und unglaubhaft, wie glanzvoll und sinnreich sie auch sein mag und wie kühn und nachdrücklich begründet; sie befriedigt weder meinen Verstand, noch stimmt sie mit meiner Erfahrung überein.

Ich weiß nicht genau, was mit diesem yuktivāda (logische Argumentation) gemeint ist. Wenn diese lediglich den Zweck hat, die Gegenpartei mit Argumenten zu besiegen, dann hat dieser Teil der Philosophie keine grundlegende Bedeutung; Shankaras Theorie macht sich selbst zunichte. Entweder er kann damit das Universum ausreichend erklären oder nicht; und wenn er dies kann, gibt es keinen Grund, sie als yuktivāda zu verwerfen. Ich verstehe jene tiefschürfende Behauptung des Mayavadin , die ganze Frage bestünde nicht eigentlich zu Recht, da Maya und die Welt nicht wirklich seien; tatsächlich ist die Frage, wie die Welt entstand, lediglich ein Teil der Maya, sie ist wie die Maya, unwirklich und erhebt sich im Grunde nicht; doch wenn eine Erklärung abgegeben werden soll, muss es eine wirkliche, gültige und befriedigende Erklärung sein. Wenn es zwei Ebenen gibt und wir diese beiden Ebenen in der Fragestellung vermengen, kann ein Argument nur von Wert sein, wenn beide Ebenen eine Art Realität besitzen und Begründung und Erläuterung auf der niederen Ebene zutreffen, doch für ein Bewusstsein, das dieser nicht mehr angehört, keine Bedeutung mehr haben.

2. Advaita [Ein-Sein]

Die Menschen neigen zu der Annahme, der Advaita sei mit dem Mayavada Monismus identisch, was sie auch vom Vedanta annehmen; das ist nicht der Fall. Es gibt verschiedene Richtungen in der indischen Philosophie, die sich auf der Einen Wirklichkeit gründen, doch diese anerkennen ebenfalls die Wirklichkeit der Welt, die Wirklichkeit der Vielen, die Wirklichkeit der Verschiedenheit der Vielen sowie die Gleichheit des Einen (bheda-abheda). Doch die Vielen bestehen in dem Einen und durch den Einen und die Verschiedenheiten in der Manifestation sind nichts als Veränderungen dessen, das grundsätzlich immer gleich ist. Und dies sehe ich tatsächlich als das Universale Gesetz des Daseins an, nämlich das Einssein als Grundlage einer endlosen Vielheit und Verschiedenheit im Einssein; so gibt es zum Beispiel eine Menschheit, doch viele Arten von Menschen, es gibt etwas, das Blatt oder Blume genannt wird, doch viele Formen, Muster, Farben des Blattes oder der Blume. Und hierin können wir eines der grundlegenden Geheimnisse des Daseins erblicken, jenes Geheimnis, das in der einen Wirklichkeit selbst enthalten ist. Das Einssein des Unendlichen ist nicht etwas Begrenztes, an seine Einheit Gebundenes; es ist vielmehr einer unendlichen Vielfalt fähig. Die Höchste Wirklichkeit ist eine Absolutheit, weder durch das Einssein noch durch die Vielfalt begrenzt, sondern gleichzeitig beider fähig; denn beides sind ihre Aspekte, wobei das Einsseins grundlegend ist und die Vielfalt auf dem Einssein beruht.

Sowohl ein realistischer als auch ein illusionistischer Advaita ist möglich. Die Philosophie des “The Life Divine” ist solch ein realistischer Advaita. Die Welt ist eine Manifestation des Wirklichen und ist daher selbst wirklich. Die Wirklichkeit ist das unendliche und ewige Göttliche, das unendliche und ewige Sein, die Bewusstseins-Kraft und Seligkeit. Dieses Göttliche hat durch seine Macht die Welt erschaffen oder besser gesagt sie in seinem eigenen, unendlichen Sein manifestiert. Doch hier in dieser stofflichen Welt oder an ihrem Grunde hat es sich in dem, was sein Gegenteil zu sein scheint, verborgen, im Nicht-Sein, in Unbewusstheit und Fühllosigkeit. Dies wird heutigentags das Unbewusste genannt, das durch seine unbewusste Energie das stoffliche Universum erschaffen zu haben scheint; doch dies scheint nur so, denn letzten Endes erkennen wir, dass alle Ordnung dieser Welt allein durch das Wirken einer höchsten geheimen Vernunft entstanden sein kann. Das Sein, verborgen in einer scheinbar unbewussten Leere, taucht auf Erden zuerst in der Materie auf, dann im Leben, dann im Mental und schließlich als Spirit. Die scheinbar unbewusste, erschaffende Energie ist tatsächlich die Bewusstseins-Kraft des Göttlichen; ihr Bewusstseins-Aspekt, in der Materie noch verborgen, beginnt im Leben aufzutauchen, gelangt zu einer weiteren Selbstfindung im Mental und findet schließlich ihr wirkliches Selbst in einem spirituellen und zuletzt einem supramentalen Bewusstsein; durch diese gelangen wir zur Wahrnehmung der Wirklichkeit, wir werden ihrer inne und werden eins mit ihr. Das ist es, was wir Evolution nennen, eine Evolution des Bewusstseins und eine Evolution des Spirits in den Dingen und nur äußerlich eine Evolution der Arten. Auf diese Weise also taucht die Wonne des Daseins aus der ursprünglichen Fühllosigkeit auf, zuerst in den gegensätzlichen Formen von Freude und Schmerz, um sich dann in der Seligkeit des Spirits zu finden oder, wie es in den Upanishaden heißt, in der Seligkeit des Brahman. Dies ist die zentrale Idee, die der Erklärung des Universums in dem Buch “The Life Divine” zugrundeliegt.

3. Nirguna und Saguna [Das Unpersönliche und das Persönliche]

In einem realistischen Advaita ist es nicht notwendig, das Persönliche, saguṇa, als eine Schöpfung des Unpersönlichen, nirguṇa, zu betrachten oder gar als zweitrangig oder ihm untergeordnet: beide sind gleichartige Aspekte der einen Wirklichkeit sowohl in ihrem Zustand des Schweigens und der Ruhe als auch in ihrem Zustand der Tat und dynamischen Kraft; das Schweigen einer ewigen Ruhe und eines ewigen Friedens ist die Grundlage einer ewigen Tat und Bewegung. Die eine Wirklichkeit, das Göttliche Wesen, ist durch keinen gebunden, da es durch nichts begrenzt ist; es besitzt beide. Es gibt nichts Unvereinbares zwischen den beiden, ebensowenig wie zwischen den Vielen und dem Einen, der Gleichheit und der Verschiedenheit. Alle sind die ewigen Aspekte des Universums, das nicht bestehen könnte, wenn einer von ihnen eliminiert würde; es ist daher anzunehmen, dass beide von der gleichen Wirklichkeit, die das Universum manifestierte, stammen und dass beide wirklich sind. Von dem scheinbaren Widerspruch – der kein echter Widerspruch ist, sondern lediglich ein natürliches Nebeneinanderbestehen – kann man sich erst dann befreien, wenn man einen von beiden als Illusion betrachtet. Doch wir können kaum annehmen, dass die ewige Wirklichkeit das Dasein einer ewigen Illusion zulässt, mit der sie nichts zu tun hat, oder aber, dass sie dem Sein eine leere kosmische Illusion auferlegt und diese stütze, ohne die Macht für ein anderes oder reales Wirken zu haben. Die Kraft des Göttlichen ist immer vorhanden sowohl im Schweigen als auch in der Tat, passiv im Schweigen, aktiv in der Schöpfung. Es ist kaum vorstellbar, dass die Göttliche Wirklichkeit keine Macht oder Kraft besitzt oder dass ihre einzige Macht darin besteht, eine universale Täuschung zu schaffen, eine kosmische Lüge – mithyā.

4. Verbindung und Desintegration

Kein Zweifel, alle Verbindungen, die in sich nicht vollständig sind, sondern Integrationen, können sich auflösen. Auch für das Leben, obwohl es keine physische Verbindung ist, trifft zu, dass es einer Kurve der Geburt oder Integration folgt und, nachdem es einen gewissen Punkt erreicht hat, einer Kurve der Desintegration, des Verfalls oder Todes. Doch können solche Ideen oder dieses Gesetz des Daseins nicht mit Sicherheit auf die Dinge als solche angewendet werden. Die Seele ist keine Verbindung, sondern ein Ganzes, etwas in sich; sie löst sich nicht auf, sondern tritt bestenfalls in die Manifestation ein und verläßt diese wieder. Dies trifft sogar auf Formen zu, die keine konstruierten physischen Formen oder konstruierten Lebensformen sind; sie lösen sich nicht auf, sondern kommen und gehen oder verschwinden aus der Manifestation. Das Mental selbst, im Gegensatz zu bestimmten Gedanken, ist etwas Essentielles und Dauerndes, es ist eine Macht des Göttlichen Bewusstseins; desgleichen das Leben im Gegensatz zn den geformten lebenden Körpern; ich glaube also, dass das, was wir die stoffliche Energie nennen – in Wirklichkeit die Kraft einer essentiellen Substanz in Bewegung –, eine Macht des Spirits ist. Gedanken, Leben, stoffliche Gegenstände sind Gestaltungen dieser Energie, zusammengefügt oder lediglich manifestiert nach Art des Spiels der betreffenden Energien. Was nun die Elemente anbelangt, was ist der reine, natürliche Zustand eines Elementes? Der modernen Wissenschaft zufolge erwiesen sich die sogenannten Elemente als eine Verbindung, und der reine, natürliche Zustand – insofern es diesen überhaupt gibt – muss ein Zustand reiner Energie sein; dieser reine Zustand ist es, in den sich Verbindungen einschließlich dessen, was wir Elemente nennen, auflösen müssen, wenn sie durch Desintegration in den nirvāṇa-Zustand übergehen.

5. Nirvana

Was aber ist nirvāṇa? Im orthodoxen Buddhismus bedeutet es Desintegration, nicht der Seele – denn das gibt es nicht sondern einer mentalen Verbindung oder eines Stroms von Assoziationen oder saṃskāra, die wir fälschlicherweise als unser Selbst ansehen. Im illusionistischen Vedanta hat es nicht die Bedeutung einer Desintegration, sondern vielmehr die der Auflösung eines falschen und unwirklichen individuellen Selbst in dem einen wirklichen Selbst oder Brahman; auf diese Weise schwindet die Vorstellung und Erfahrung einer Individualität – wir können es auch so formulieren: ein falsches Licht wird im wahren Licht ausgelöscht (nirvāṇa). In spiritueller Erfahrung verliert sich manchmal jedes Gefühl der Individualität in einem grenzenlosen kosmischen Bewusstsein; das, was die Individualität war, bleibt lediglich als Zentrum oder Kanal für den Strom eines kosmischen Bewusstseins, einer kosmischen Kraft und Tat bestehen. Oder aber es [nirvāṇa] kann die Erfahrung des Verlustes der Individualität in einem transzendenten Sein und Bewusstsein bedeuten, in dem sowohl die Wahrnehmung des Kosmos als auch der Individualität schwindet. Oder es kann in einer Transzendenz stattfinden, die sich des kosmischen Wirkens bewußt ist und dieses stützt. Doch was meinen wir mit Individualität? Das, was wir meist so bezeichnen, ist das natürliche Ego, ein Entwurf der Natur, der ihr Wirken in Mental und Körper zusammenhält. Dieses Ego muss ausgelöscht werden, da sonst keine vollständige Befreiung möglich ist; doch das individuelle Selbst oder die Seele sind nicht dieses Ego. Die individuelle Seele ist das spirituelle Wesen, das manchmal als ein ewiger Teil des Göttlichen beschrieben wird, aber ebenso als das Göttliche selbst beschrieben werden kann, das seine Manifestation als die Vielen aufrechterhält. Dies ist die echte spirituelle Individualität, die in ihrer vollkommenen Wahrheit erscheint, sobald wir uns vom Ego befreien, von unserem falschen, trennenden Gefühl der Individualität, wenn wir unser Einssein mit der Transzendenz und dem kosmischen Göttlichen und mit allen Wesen verwirklichen. Dadurch wird das Göttliche Leben möglich. Nirvana ist ein Schritt in dieser Richtung: das Verschwinden der falschen, trennenden Individualität ist eine notwendige Voraussetzung, um unser wahres, ewiges Wesen zu verwirklichen und darin zu leben, um göttlich im Göttlichen zu leben. Doch dies können wir in der Welt und im Leben tun.

6. Wiedergeburt

Wenn Evolution eine Wahrheit ist– nicht nur eine physische Evolution der Arten, sondern eine Evolution des Bewusstseins –, dann muss sie eine spirituelle und kann nicht nur eine physische Tatsache sein. In diesem Falle ist es die Individualität, die sich entfaltet und in ein immer weiter entwickeltes und vollkommenes Bewusstsein wächst, und dies kann offensichtlich nicht im Laufe eines einzigen kurzen menschlichen Lebens geschehen. Wenn es die Evolution einer bewussten Individualität gibt, dann muss es eine Wiedergeburt geben. Wiedergeburt ist eine logische Notwendigkeit und eine spirituelle Tatsache, die wir erfahren können. Beweise von Wiedergeburt, manchmal von überwältigend überzeugender Natur, fehlen nicht, doch wurden sie bislang noch nicht sorgfältig erfasst und gesammelt.

7. Evolution

In meiner Erläuterung des Universums habe ich die wichtige Tatsache einer spirituellen Evolution als Grundlage unseres Daseins hervorgehoben. Sie besteht aus einer Reihe von Anstiegen, vom physischen Wesen und Bewusstsein zum Vital, dann zum Lebens-Selbst, von dort weiter zum mentalen Wesen, das im vollentwickelten Menschen verwirklicht wird, und weiter von dort zu einem vollkommenen Bewusstsein jenseits des Mentals, nämlich in das supramentale Bewusstsein und supramentale Wesen, das Wahrheits-Bewusstsein, welches das integrale Bewusstsein des spirituellen Wesens ist. Das Mental kann nicht unsere letzte bewusste Ausdrucksform sein, denn grundsätzlich besteht es aus Unwissenheit, die nach Wissen sucht; allein das supramentale Wahrheits-Bewusstsein kann uns das wahre und ganze Selbst-Erkennen und Welt-Erkennen bringen; nur durch dieses können wir zu unserem wahren Wesen gelangen und unsere spirituelle Evolution vollenden.

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Der Satz2 ist in seiner Formulierung etwas unklar. Er bedeutet nicht, dass Maya die Freiheit Brahmans ist, sondern dass “die Lehre von der Maya darauf hinausläuft, dass Brahman frei ist von den Gegebenheiten, durch die Er Sich ausdrückt”. Dieses begrenzte Spiel hier ist nicht Er, denn Er ist unbegrenzt; es ist nichts als eine bedingte (teilweise) Schöpfung, doch Er ist durch die Gegebenheiten nicht eingeschränkt, so wie das Spiel eingeschränkt ist. Die Welt ist Form von etwas, das Er selbst ist, das Er hervorgebracht und in ihr verankert hat, doch Er ist mehr als diese Form: Die Welt ist nicht unwirklich oder illusorisch, sondern die Art, wie wir sie gegenwärtig sehen, unser Bewusstsein von ihr ist unwissend, und dies ist der Grund, warum die Welt, wie sie von uns gesehen wird, als Illusion beschrieben werden kann. Soweit ist die Vorstellung von der Maya richtig. Doch wenn wir die Welt sehen, wie sie wirklich ist, eine teilweise und sich entwickelnde Manifestation des Brahman, dann kann sie nicht länger als Illusion beschrieben werden, sondern vielmehr als das Spiel, die līlā. Er aber ist mehr als sein Spiel; Er ist in ihm und es ist in Ihm; es ist keine Illusion.

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Über Nirvana

Was ich in der Zeitschrift “Arya” schrieb, war eine Erläuterung der Dinge, wie sie sich vom Bereich des Obermentals dem Mental darbieten, abgefasst in mentalen Darlegungen und daher unter Anwendung der Logik. Denn in einer derartigen Arbeit, die zwischen dem Intellekt und dem Überintellektuellen vermittelt, hat die Logik ihren Platz, obwohl natürlich keinen vorrangigen, wie etwa in den rein mentalen Philosophien. Selbst der Mayavadin versucht, seinen Standpunkt oder seine Erfahrung durch eine unerbittlich logische Beweisführung zu erhärten. Nur wenn er die Maya erklären soll, kann er ähnlich dem Naturwissenschaftler lediglich seine Vorstellung über den Ablauf dieser universalen Täuschung ordnen und gliedern; er kann nicht erklären, wie oder warum seine illusorische, trügerische Maya entstand. Er kann lediglich feststellen: Nun gut, sie ist eben vorhanden.

Natürlich ist sie vorhanden. Doch die Frage lautet zunächst, was ist sie? Ist sie wirklich eine täuschende Macht und nichts anderes, oder ist etwa des Mayavadins Vorstellung von ihr eine irrige, vorschnelle Auffassung, eine mentale, unvollständige Deutung oder gar selbst eine Illusion? Und als nächstes: Ist Illusion die einzige oder höchste Macht, die dem Göttlichen Bewusstsein oder Überbewusstsein innewohnt? Das Absolute ist absolute Wahrheit, frei von Maya, andernfalls wäre Befreiung nicht möglich. Besitzt also die höchste und absolute Wahrheit keine andere wirkende Macht als die der Falschheit und ohne Zweifel mit ihr – denn beide gehören zusammen – die Macht, diese Falschheit aufzulösen und zu entkräften, die aber dennoch ewig besteht? Ich finde, dass dies ein wenig seltsam klingt. Doch seltsam oder nicht, es mag so sein, – denn es kann, wie du ausführst, das Unsägliche nicht den Gesetzen der Logik unterworfen werden. Doch wer soll entscheiden, dass es so ist? Du wirst erwidern: “Jene, die dorthin gelangen”. Doch wohin gelangen? Zum Vollendeten und Höchsten, pūrṇaṃ param? Ist das eigenschaftslose Brahman des Mayavadins dieses Vollendete und Vollkommene, – ist es wirklich das Höchste? Gibt es nicht oder kann es nicht ein Höheres als jenes Höchste geben, parātparam? Das ist keine Frage der Logik, es ist die Frage einer spirituellen Tatsache, einer höchsten und vollständigen Erfahrung. Die Lösung dieser Frage sollte sich nicht auf der Logik gründen, sondern auf einer wachsenden, sich stets erhöhenden und weitenden spirituellen Erfahrung – einer Erfahrung, die natürlich Maya und nirvāṇa miteinbezieht oder durch diese hindurchgegangen sein muss, denn andernfalls wäre sie nicht vollständig und hätte keinen entscheidenden Wert.

Nirvana zu erreichen war das erste radikale Ergebnis meines eigenen Yoga. Es versetzte mich plötzlich in einen Zustand jenseits des Denkens, ohne Denken, unberührt von jeglicher mentalen und vitalen Regung; es gab kein Ego, keine wirkliche Welt – nur wenn man durch die unbewegten Sinne blickte, erkannte man ein Etwas eine Welt leerer Formen, zu Materie gewordener Schatten ohne echte Substanz, oder trug diese auf seiner absoluten Stille. Es gab weder den Einen noch die Vielen, es gab nur Das, eigenschaftslos, beziehungslos, rein, unbeschreibbar, undenkbar, absolut und dennoch zuhöchst und allein wirklich. Dies war weder eine mentale Verwirklichung noch etwas, das man irgendwo undeutlich erschaut hatte, es war auch nichts Abstraktes – es war positiv, die einzig positive Wirklichkeit; und dennoch war es keine räumliche, stoffliche Welt, die diesen äußeren Anschein einer stofflichen Welt durchdrang und einnahm oder vielmehr sie überflutete und ertränkte und keinen Platz oder Raum für eine andere Wirklichkeit außer ihrer eigenen ließ und die nicht zugab, dass etwas anderes real, positiv oder substantiell erscheinen konnte. Ich kann nicht behaupten, dass etwas Erhebendes oder Begeisterndes in jener Erfahrung lag – (die Erfahrung des unsäglichen Ananda hatte ich Jahre später) –, doch sie brachte unbeschreiblichen Frieden, eine machtvolle Stille, unendliche Erlösung und Freiheit. Ich lebte in jenem nirvāṇa-Zustand Tag und Nacht, bevor er andere Dinge in sich einzulassen begann oder sich veränderte; doch der innere Kern der Erfahrung, ein fortwährendes Erinnern sowie die Macht zurückzukehren blieben bestehen, bis er in einem größeren Überbewusstsein darüber sich aufzulösen begann. Doch bis dahin reihte sich Verwirklichung an Verwirklichung und verschmolz mit dieser ursprünglichen Erfahrung. Bereits in einem frühen Stadium wich der Aspekt einer illusorischen Welt einem anderen, in dem die Illusion3 lediglich ein kleines Oberflächen-Phänomen darstellte, mit einer ungeheuren Göttlichen Wirklichkeit dahinter und einer höchsten Göttlichen Wirklichkeit darüber und einer innigsten Göttlichen Wirklichkeit im Herzen von allem, das zu Beginn nur eine flüchtige Form, ein flüchtiger Schatten gewesen zu sein schien. Dies aber war keine Wieder-Einkerkerung in den Sinnen, keine Minderung der Höchsten Erfahrung oder ein Abgleiten, es war vielmehr eine ständige Erhöhung und Weitung der Wahrheit; es war der Spirit – nicht die Sinne –, der die Dinge sah; und immer blieben der Frieden, das Schweigen, die Freiheit in der Unendlichkeit erhalten, während die Welt oder alle Welten lediglich ein immerwährender Ablauf in der zeitlosen Ewigkeit des Göttlichen waren.

Nun, das ist die Schwierigkeit in meiner Annäherung an Mayavada. In meinem befreiten Bewusstsein erwies sich nirvāṇa als der Anfang meiner Verwirklichung, ein erster Schritt zu etwas Vollkommenem, nicht aber als die einzig mögliche und wahre Erreichung oder gar als ein kulminierendes Finale. Es kam ungebeten und ohne dass ich danach suchte, doch war es sehr willkommen. Ich hatte zuvor nicht die geringste Vorstellung davon, keine Sehnsucht danach, und tatsächlich richtete sich mein Streben auf etwas ganz Gegenteiliges, nämlich spirituelle Macht zu erlangen, um der Welt zu helfen und meine Arbeit in ihr zu tun – und dennoch kam es, sogar ohne anzuklopfen. Es geschah ganz einfach und festigte sich wie für alle Ewigkeit oder als ob es tatsächlich immer dagewesen wäre. Und dann wuchs es langsam in etwas, das nicht geringer, sondern größer als seine erste Erscheinungsform war. Wie also könnte ich Mayavada akzeptieren oder versuchen, mich gegen die Wahrheit abzuschirmen, die mir von [einem Bereich] oberhalb Shankaras Logik auferlegt wurde?

Ich bestehe jedoch nicht darauf, dass jeder meine Erfahrung zu teilen hat oder der Wahrheit folgt, was sich daraus ergäbe. Ich habe gegen niemanden etwas einzuwenden, der Mayavada als die Wahrheit seiner Seele oder seines Mentals annimmt oder als einen Ausweg aus der kosmischen Schwierigkeit. Ich sträube mich lediglich dagegen, wenn jemand versucht, ihn mir oder der Welt als die einzig mögliche, befriedigende und allumfassende Erklärung der Dinge aufzuerlegen; er ist ganz und gar nicht befriedigend, denn letzten Endes erklärt er nichts; er schließt alles aus und ist keineswegs allumfassend– und er hat so zu sein, wenn er sich nicht von seiner eigenen Logik entfernen will. Doch das ist gut so. Eine Theorie mag zwar falsch oder zumindest einseitig und unvollständig sein, kann sich aber dennoch als äußerst praktisch und nützlich erweisen. Dies zeigt sich besonders in der Geschichte der Wissenschaft. Tatsächlich ist eine Theorie, ob philosophisch oder wissenschaftlich, nichts anderes als eine Stütze für das Mental, eine praktische Vorrichtung, ihm zu helfen, mit seinem Objekt umzugehen, ein Stab, um es zu stützen und mit mehr Vertrauen vorwärtsschreiten zu lassen, damit es auf seiner schwierigen Wanderung vorankomme. Gerade die Ausschließlichkeit und Einseitigkeit des Mayavada machen ihn zu einem festen Stab und kraftvollen Impuls für spirituelles Bemühen, dessen eigentlicher Sinn es ist, einseitig, radikal und ausschließlich zu sein. Er stützt die Bestrebungen des Mentals, sich von sich selbst und dem Leben mit Hilfe einer Abkürzung in das Überbewusste abzulösen. Oder vielmehr, es ist der Purusha im Mental, der aus den Begrenzungen des Mentals und Lebens in ein überbewusstes Unendliches zu entkommen trachtet. In der Theorie [des Mayavada] besteht der Weg für das Mental darin, seine Wahrnehmungen sowie alle Neigungen des Vitals zu leugnen, sie als Illusion zu betrachten und zu behandeln. In der Praxis tritt das Mental, sobald es sich von sich selbst zurückzieht, leicht in einen beziehungslosen Frieden ein, in dem nichts mehr zählt – denn in dieser Absolutheit gibt es keine mentalen oder vitalen Werte – und von dem aus es sich sehr rasch der großen Abkürzung zum Überbewussten nähern kann, zur “mentalfreien” Trance, suṣupti. Im Verhältnis zur Vollständigkeit jener Bewegung wird alle Wahrnehmung, die es zuvor akzeptierte, unwirklich – Illusion, Maya. Es ist auf dem Weg des Eintauchens.

Mayavada in seiner ausschließlichen Betonung von nirvāṇa dient, abgesehen von seinen Unzulänglichkeiten als mentale Theorie der Dinge, einem großen spirituellen Ziel und kann als Pfad sehr hoch und weit führen. Und wenn das Mental das letzte Wort wäre und es nichts mehr über ihm gäbe als den reinen Spirit, hätte ich nichts dagegen, es [Mayavada] als den einzigen Ausweg anzuerkennen. Denn was das Mental mit seinen Vorstellungen und das Vital mit seinen Begierden aus dem Leben dieser Welt gemacht haben, ist ein tieftrauriges Durcheinander, und wenn man auf nichts Besseres hoffen könnte, dann wäre der kürzeste Weg hinaus das Beste. Doch meine Erfahrung ist, dass es etwas jenseits des Mentals gibt; das Mental ist nicht das letzte Wort des Spirits. Das Mental ist ein Unwissenheits-Bewusstsein, und seine Vorstellungen können nur falsch, vermischt oder unvollkommen sein – und, selbst wenn sie wahr sind, nur eine teilweise Spiegelung der Wahrheit und nicht die eigentliche Substanz der Wahrheit selbst. Es gibt aber ein Wahrheits-Bewusstsein, das nicht nur statisch und nach innen gerichtet, sondern auch dynamisch und schöpferisch ist; ich ziehe es vor, zu diesem zu gelangen und zu erfahren, was es über die Dinge weiß und mit ihnen tut, statt die Abkürzung zu wählen, die von den Dingen wegführt und von der Unwissenheit als Ziel angeboten wird.

Und dennoch würde ich nichts einwenden, wenn dein Hang nach nirvāṇa nicht nur eine Laune des Mentals und Vitals wäre, sondern auch Anzeichen für den wahren Pfad des Mentals und den Ausweg der Seele. Es sieht aber so aus, als würde sich nur dein Vital in äußerster Bitterkeit von seinen vereitelten Wünschen zurückziehen und nicht die Seele sich glücklich ihrem wahren Pfad zuwenden. Dieser Ekel vor der Welt, vairāgya, ist als solcher eine vitale Regung; vitales vairāgya it die Kehrseite von vitalem Begehren – natürlich muss auch das Mental seine Begründung und Zustimmung erteilen. Doch selbst vairāgya, sofern es einsinnig und ausschließlich ist, kann nirvāṇa führen oder diese Richtung einschlagen. Es gibt jedoch viele Seiten in deiner Persönlichkeit oder besser gesagt viele Persönlichkeiten in dir; ihre unharmonischen Bewegungen, die einander behindern wenn das äußere Mental ihnen Ausdruck verleiht, stehen tatsächlich deiner Sadhana im Weg. Da ist zunächst die vitale Persönlichkeit, die dem Erfolg und Vergnügen zugewandt war und beides auch erhielt und die so weitermachen wollte, doch das übrige Wesen nicht dazu bewegen konnte, ihr zu folgen. Dann gibt es jene vitale Persönlichkeit, die eine Freude tieferer Art wollte und der anderen [Persönlichkeit] vorschlug, sie könnte diese unbefriedigenden Dinge sehr wohl aufgeben und durch ein Feenland höherer Freuden ersetzen. Weiterhin gibt es die seelisch-vitale Persönlichkeit, den Vaishnava in dir, die nach dem Göttlichen Krishna verlangt, nach bhakti und Ananda. Und es gibt die Persönlichkeit in dir, die der Dichter und Musiker ist und die Schönheit in den Dingen sucht; dann die mental-vitale Persönlichkeit, die, als sie sich durch das Vital behindert fand, auf einem verbissenen Ringen der tapasyā bestand und die ohne Zweifel ebenfalls vairāgya und nirvāṇa will; und ferner die physisch-mentale Persönlichkeit in dir, den Russellianer4, den extrovertierten Zweifler. Und schließlich gibt es noch eine mental-emotionale Persönlichkeit, deren Vorstellungen sich ganz auf den Glauben an das Göttliche richten, auf Yoga, bhakti, Guruvada. Auch das seelische Wesen ist vorhanden, das dich auf den Weg der Sadhana trieb und auf seine Stunde des Hervortretens wartet.

Was also willst du mit all diesen Leuten tun? Wenn du nirvāṇa erreichen willst, musst du sie entweder hinauswerfen oder unterdrücken oder in einen Dämmerzustand versetzen. All jene, die es wissen müssen, versichern uns, dass das ausschließliche nirvāṇa äußerst schwer zu erreichen ist – duhkhaṃ dehavadbhiḥ, sagt die Gita –, und dein eigener Versuch, sie [die Persönlichkeiten] zu unterdrücken, war nicht gerade ermutigend; deinem eigenen Bericht zufolge ließ es dich so trocken und dürr werden wie eine ausgepresste Orange, in der kein Saft zurückblieb. Wenn die Wüste dein Weg zum verheißenen Land ist, dann ist es in Ordnung. Doch ist dies nicht der Fall, nun, dann gibt es einen anderen Weg, und der besteht, wie wir es nennen, in der Integration, der Harmonisierung des Wesens. Diese aber kann nicht von außen erfolgen, sie kann nicht vom mentalen oder vitalen Wesen durchgeführt werden – denn man darf mit Sicherheit annehmen, dass es die Sache verpfuschen würde. Es kann allein von innen geschehen, durch die Seele, durch den Spirit, welcher der zentralisierende Faktor und selbst das Zentrum dieser Radien ist. Jede einzelne dieser Persönlichkeiten enthält eine Wahrheit, die mit der Wahrheit der anderen übereinstimmen kann. Denn in nirvāṇa ist Wahrheit – und nirvāṇa ist nichts anderes als der Friede und die Freiheit des Spirits, der in sich selbst zu bestehen vermag, ob es eine Welt gibt oder nicht, eine Weltordnung oder eine Weltunordnung. Bhakti und des Herzens Ruf nach dem Göttlichen enthalten eine Wahrheit – es ist die Wahrheit der göttlichen Liebe und des Anandas. Der Wille nach tapasyā birgt eine Wahrheit – es ist die Wahrheit der Herrschaft des Spirits über seine Glieder. Der Musiker und der Dichter stehen für eine Wahrheit, der Wahrheit des Spirits, sich durch die Schönheit auszudrücken. Und es steht eine Wahrheit hinter dem geistig Bejahenden und sogar – wenn auch weit hinter ihm – eine Wahrheit hinter dem geistigen Zweifler, dem Russellianer, nämlich die Wahrheit, die falsche Form abzulehnen. Selbst hinter den beiden vitalen Persönlichkeiten steht eine Wahrheit, die Wahrheit der Besitzergreifung der inneren und äußeren Welten, nicht durch das Ego, sondern durch das Göttliche. Das ist die Harmonisierung, für die unser Yoga steht – doch kann sie nicht durch eine äußere Ordnung erreicht werden, sondern nur dadurch, dass man sich nach innen wendet und von der Seele, dem spirituellen Zentrum her sieht und will und handelt. Denn dort liegt die Wahrheit des Wesens und auch das Geheimnis der Harmonie.

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Man kann sich des essentiellen statischen Selbstes bewusst sein, das ohne Beziehung zum Spiel des Kosmos ist. Man kann sich ebenfalls des universalen statischen Selbstes bewusst sein, das all-gegenwärtig in jedem Ding ist, ohne dabei fortschreitend für die Bewegung der dynamischen Weltnatur, viśva-prakṛti, offen zu sein. Die anfängliche Verwirklichung des Selbstes oder Brahman besteht häufig in einer Verwirklichung von etwas, das von aller Form verschieden ist, von Namen, Tätigkeit, Bewegung, das nur in sich selbst besteht und den Kosmos lediglich als eine Masse bewegter Umrisse sieht, ohne Substanz und bar der Wirklichkeit. So war meine eigene vollständige Verwirklichung von nirvāṇa im Selbst. Das bedeutet keinen Wall zwischen dem Selbst und Brahman, sondern eine Trennung zwischen dem essentiellen Selbst-Bestehen und der manifestierten Welt.

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Ich vermute, dass der Advaitin Gott lediglich als Spiegelung Brahmans in der Maya sieht, und so wie Brahman äußerlich als die Welt aufgefasst wird, die nur eine praktische, aber keine reale Wirklichkeit besitzt, so wird Brahman subjektiv als Gott gesehen, als Bhagavan, als Ishvara, doch wäre auch dies nur eine praktische und keine reale Wirklichkeit; diese kann einzig das beziehungslose Brahman sein, allein für sich in einer weltlosen Ewigkeit. Das wenigstens ist es, was ich gelesen habe – ich weiß nicht, ob es Shankara selbst gesagt hat. Man bekommt von den modernen Advaitins immer wieder gesagt, dass Shankara etwas anderes zum Ausdruck bringen wollte als das, was die Leute meinen, und man muss daher vorsichtig sein, ihm eine Meinung zu unterschieben.

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Sie wollen beweisen, dass Shankara kein so wilder Illusionist war, wie er dargestellt wird – dass er der Welt eine gewisse zeitweilige Wirklichkeit zuschrieb, dass er die Shakti anerkannte, usw. Diese Zugeständnisse (vorausgesetzt, dass er sie überhaupt machte) stimmen mit der Logik seiner Philosophie jedoch nicht überein, welche besagt, dass allein Brahman besteht und alles übrige Unwissenheit und Illusion sei. Dieses übrige besitzt nur eine zeitweilige und daher illusorische Wirklichkeit in der Maya. Er behauptete weiterhin, Brahman könne durch Werke nicht erreicht werden. Wenn dies nicht seine Philosophie war, möchte ich gern wissen, was seine Philosophie tatsächlich war. Auf jeden Fall wurde er so von den Leuten verstanden. Da sich nun die allgemeine Richtung vom strengen Illusionismus abwendet, wollen viele Advaitins sich nicht mehr festlegen und erklären, auch Shankara habe sich nicht festgelegt. Vivekananda nahm Shankaras Philosophie mit Abänderungen an; eine der wichtigsten ist das daridra-nārāyaṇa-sevā, eine Art Mischung aus buddhistischen Mitleid und moderner Philanthropie.

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Natürlich muss Shankara Mayavada gemeint haben. Es ist kaum möglich, dass jedermann seine Ideen so lange missverstanden haben sollte (die nicht im geringsten verschleiert oder rätselhaft waren), bis seine modernen Interpreten entdeckten, wie sie wirklich gemeint waren.

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Shankara steht und fällt auf jeden Fall mit Mayavada. Selbst das Bahaja-Govindam-Gedicht ist seinem Gehalt nach Mayavada. Die anderen Schriften kenne ich nicht so gut – es ist daher schwierig für mich, über diese Seite der Frage etwas zu sagen.

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Cittaśuddhi, die Läuterung des allgemeinen mentalen Bewusstseins citta, gehört zum Raja-Yoga. Im reinen Advaita besteht die Methode eher darin, mit Hilfe von vicāra und viveka zur Loslösung zu gelangen und jenes “Ich bin nicht das Mental, ich bin nicht das Leben, usw.” zu verwirklichen. In diesem Falle wäre die Läuterung, śuddhi, nicht notwendig – das Selbst würde sich von der Natur, ob gut oder schlecht, ablösen und diese als eine Art Mechanismus betrachten, der mit dem Körper von ihm abfiele, sobald dieser nicht mehr vom Atman gestützt würde. Natürlich kann man auch zu cittaśuddhi seine Zuflucht nehmen, doch mit dem Ziel, dass die verschiedenen Tätigkeiten des Bewusstseins, cittavṛtti, aufhören, doch nicht, um sie für eine bessere Dynamik als Instrument des Göttlichen einzusetzen. Shankara betont nachdrücklich, dass alles karma abfallen muss, bevor man befreit werden kann – die Seele muss sich als akartā, die Nicht-Handelnde, verwirklichen, und eine Lösung in den Werken oder durch die Werke gibt es im reinen Yoga des Wissens nicht. Wie also hätte Shankara eine Dynamik anerkennen können? Selbst wenn er cittaśuddhi als notwendig erachtet, kann es nur als Vorbereitung sein, sich vom karma zu befreien, und für nichts anderes.

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Der eigentliche “Ich”-Sinn schwindet, sobald eine feste Verwirklichung des einen universalen Selbstes in allen stattgefunden hat und dies in jedem Augenblick und unter allen Bedingungen und Umständen anhält. Meist geschieht es zuerst im Purusha-Bewusstsein ohne unmittelbare Auswirkung auf die Bewegungen der Prakriti. Doch selbst wenn “Ich”-Regungen in den Reaktionen der Prakriti vorhanden sind, betrachtet sie der innere Purusha als den noch andauernden Ablauf eines alten Mechanismus, der ihn nicht betrifft. Die meisten Anhänger des Vedanta machen hier halt, da sie der Meinung sind, dass diese Reaktionen beim Tod von einem abfallen und alles sich in dem Einen auflöst. Doch um die Natur zu verändern ist es notwendig, dass die Erfahrung und Schau des Purusha sich in allen Teilen ausbreiten, im Mental, im Vital, im Physischen, im Unterbewussten. Die Ego-Bewegungen der Prakriti werden dann ebenfalls allmählich aus einem Bereich nach dem anderen verschwinden bis keiner mehr übrig ist. Hierfür ist vollkommener Gleichmut, samatā, notwendig, selbst in den Zellen des Körpers und in jeder Schwingung des Wesens – samaṃ hi brahma. Dann wird man auch in den Werken weitgehend frei von den Ego-Regungen werden. Die Individualität bleibt bestehen, doch ist diese dann nicht das kleine, trennende Ego, sondern eine Form, eine Macht des Universalen, die sich mit allen Wesen eins fühlt und die ein wirkendes Zentrum und Instrument der Universalen Transzendenz ist, voller Ananda der Gegenwart und Tat, jedoch nicht eigenmächtig denkt oder sich bewegt oder um ihrer selbst willen handelt. Das kann nicht Egoismus genannt werden. Das Göttliche kann man nur dann als ein Ego bezeichnen, wenn es eine getrennte Person ist, die durch ihr Getrenntsein von Gott – wie in der christlichen Idee – begrenzt ist. (Das esoterische Christentum anerkennt diese Begrenzungen allerdings nicht.) Ein “Ich”, das auf diese Weise nicht getrennt ist, ist ganz und gar kein “Ich”.

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Ich bezweifle, ob der erwähnte Zustand der eines Vedanta-Anhängers ist, der die Verwirklichung erreicht hat – ausgenommen natürlich der Verlust des Gefühls für die Personalität oder die Nicht-Identifikation mit dem Begehren und den Bewegungen der Prakriti. Doch vielleicht gleicht ihm der Zustand des jaḍavat paramahaṃsa. Die Theorie des prārabdha karma geht darüber hinaus – sie nimmt an, dass es zwar vitale Regungen gibt, diese aber nur eine Fortsetzung des Mechanismus der Prakriti sind und beim Tod abfallen. Dies mag so sein – vielleicht. Ich gründe die Lehre der Umwandlung der Natur nicht auf der Unmöglichkeit, eine statische Erlösung als etwas Endgültiges hinzunehmen. Die statische Erlösung ist notwendig, doch ich glaube nicht, dass es das Ziel des Geborenwerdens im Welt-Dasein ist, diese als etwas Endgültiges anzusehen. Ich bin vielmehr der Ansicht, dass die statische Erlösung lediglich ein Anfang ist, ein erster Schritt im Göttlichen. Wenn jemand mit dem ersten Schritt als allem innerhalb seiner Möglichkeiten liegenden zufrieden ist, habe ich nichts dagegen einzuwenden, dass er die Sache so sieht.

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Dein Einwand ist richtig. Das Bild von der Schlange und dem Seil kann nicht verwendet werden, um das Nicht-Sein der Welt zu veranschaulichen; es würde lediglich bedeuten, dass wir die Welt nicht so sehen, wie die Welt wirklich ist. Die Vorstellung der vollkommenen Illusion würde besser durch das Bild des Gauklers, der das Seil erklimmt, dargestellt, wobei es kein Seil gibt und keinen, der etwas erklimmt – und man dennoch überzeugt ist, sie seien vorhanden.

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Die Metaphern des Illusionismus halten alle nicht stand, wenn du sie genau untersuchst – sie sind selbst Illusion. Die Identifizierung mit dem Körper ist ein Irrtum, keine Illusion. Wir sind nicht der Körper, dennoch ist der Körper ein Teil von uns. Mit der Verwirklichung schwindet diese irrige Identifizierung – in gewissen Erfahrungen wird das Dasein eines Körpers überhaupt nicht gefühlt. In der vollen Verwirklichung ist der Körper in uns und nicht wir in ihm, er wird zu einem instrumentalen Gebilde unseres weiter gewordenen Wesens – unser Bewusstsein überschreitet und durchdringt ihn – er kann aufgelöst werden, ohne dass wir aufhören, das Selbst zu sein. Das ist ungefähr alles.

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Es ist die vedantische Advaita-Erfahrung von laya, der Auflösung. Sie ist nur ein Teil der Erfahrung, nicht die ganze oder höchste Wahrheit des Göttlichen.

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Der Hang nach laya, der Auflösung, ist eine Schöpfung des Mentals und nicht die einzig mögliche Bestimmung der Seele. Wenn das Mental seine eigene Unwissenheit zunichte machen will, findet es keinen anderen Ausweg als laya; der Grund hierfür ist die Annahme, es gäbe kein höheres Prinzip kosmischen Seins jenseits seiner selbst – jenseits seiner selbst sei nur der reine Spirit, das absolute, unpersönliche Göttliche. Doch jene, die den Weg über das Herz wählen (Liebe, bhakti), akzeptieren laya nicht, sondern glauben an einen jenseitigen Zustand ewigen Verbundenseins mit dem Göttlichen oder an ein Verweilen im Göttlichen ohne laya. All dies hat nichts mit der Supramentalisierung zu tun. Was wird also aus deinem Argument, dass laya das unumgängliche Schicksal der Seele sei und dass allein die persönliche Herabkunft des Avatars diese vor dem unvermeidlichen laya, der Auflösung, rette?

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Es gab zwei irrige Punkte in deinen Ausführungen: 1. Dass früher die einzige Möglichkeit der Seele, die einmal das Göttliche erreicht hatte, im laya, der Auflösung, bestand. – Es hätte andere Möglichkeiten gegeben, zum Beispiel das Eingehen in einer höhere Ebene, das Leben im Göttlichen oder in der Gegenwart des Göttlichen. Beides bedeutet die Abkehr vom Geborenwerden und das Verlassen des Spiels, der līlā, auf Erden. 2. Dass die Seele laya nur deshalb aufgab, um mit dem inkarnierten Göttlichen zu leben, wenn dieses auf die Erde herabkam. – Der wichtigste Punkt ist die Supramentalisierung des menschlichen Wesens, der Göttliche Zweck der Evolution auf Erden, der unweigerlich erfüllt werden wird. Die Herabkunft oder Inkarnation des Göttlichen ist nur ein Hilfsmittel für diesen Zweck. Deine Äußerung erweist sich daher wegen ihrer Unvollständigkeit als falsch.

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Sie [die Anhänger des Mayavada] hatten keine klare Wahrnehmung dieser Dinge [Obermental, Supramental], da sie bestenfalls im spiritualisierten höheren Mental lebten und im übrigen von der Obermental-Ebene die Dinge empfingen – sie konnten aber diese, außer im tiefen samadhi-Zustand, suṣupti, nicht erreichen, und Prajna und der Ishvara waren für sie der Herr des suṣupti.

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II. Buddhismus

In unserem Yoga ist nirvana der Beginn der höheren Wahrheit, es ist auch ein Übergang von der Unwissenheit zur höheren Wahrheit. Die Unwissenheit muss ausgelöscht werden, damit sich die Wahrheit manifestieren kann.

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Ich glaube nicht, dass ich es geschrieben habe, doch gesagt habe ich einmal, dass Seelen, die in den nirvāṇa-Zustand eingetreten sind, zurückkehren können (nicht “müssen”), um die größere Aufwärtskurve zu vollenden. Ich glaube, ich habe irgendwo geschrieben, dass für diesen Yoga (man könnte hinzufügen, in der natürlichen, vollständigen Ordnung der Manifestation) die Erfahrung von nirvāṇa nur ein Stadium oder Übergang zu einer vollständigen Verwirklichung sein kann. Ich habe ebenfalls gesagt, dass es viele Pforten gibt, durch die man in die Verwirklichung des Absoluten (Parabrahman) eintreten kann, und nirvāṇa eine von ihnen ist, doch unter keinen Umständen die einzige. Du wirst dich an Ramakrishnas Ausspruch erinnern, der besagt, dass der Jivakoti die Stufen emporzusteigen, jedoch nicht zurückzukehren vermag, während der Ishvarakoti nach Belieben auf– und absteigt. Wenn dem so ist, dann wären die Jivakoti jene, die nur die Kurve von der Materie über das Mental in das schweigende Brahman durchlaufen, und die Ishvarakoti jene, die zur integralen Wirklichkeit gelangen und daher den Aufstieg mit dem Abstieg verbinden und die “zwei Enden” des Daseins in ihrem einen Wesen enthalten können.

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Die Verwirklichung dieses Yoga [des Integralen Yoga] ist nicht geringer, sondern höher als nirvāṇa oder nirvikalpa samādhi.

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Wenn der Buddha tatsächlich alle vedantischen Auffassungen des Selbstes bekämpfte und ablehnte, kann es nicht stimmen, dass er sich aller metaphysischen Spekulationen oder klaren Äußerungen über die Natur der höchsten Wirklichkeit enthielt. Deine Ansicht von seiner Deutung des nirvāṇa scheint mit derjenigen des Mahayana-Buddhismus und dessen Auffassung des Bleibenden, dhruvam, übereinzustimmen; dem könnte man entgegenhalten, dass diese einer späteren Entwicklung angehört, genau wie die gegenteilige nihilistische Auffassung von śūnyam [der Leere, die alles enthält]. Die Lehre des Buddha bestand mit ziemlicher Sicherheit darin, dass die Welt das Nicht-Selbst ist und dass die Individualität kein echtes Dasein hat, da das, was in der Welt besteht, ein Bewusstseins-Strom ist, der sich von Augenblick zu Augenblick verändert; die individuelle Person aber wird scheinbar aus einem Bündel von saṃskāras gebildet und kann durch die Auflösung dieses Bündels aufgelöst werden. Dies stimmt mit der vedantisch-monistischen Ansicht überein, dass es keine wahre, für sich bestehende Individualität gibt. Was die andere vedantische Auffassung des einen Selbstes anbelangt, das unpersönlich, universal und transzendent ist, so scheint der Buddha sich nicht klar und unmissverständlich über abstrakte und metaphysische Fragen geäußert zu haben; doch wenn die Welt oder alles in der Welt Nicht-Selbst, anātman, ist, kann es für ein universales Selbst keinen Platz mehr geben, höchstens für ein transzendentes Wirkliches Wesen. Er fasste nirvāṇa als etwas auf, das über das Universum hinausreicht, doch definierte er nicht, was es sei, da er an abstrakten Spekulationen über die Wirklichkeit nicht interessiert war; er muss diese für überflüssig und unanwendbar gehalten haben und nur dazu geeignet, vom wahren Ziel abzulenken. Seine Erklärung der Dinge war eine psychologische und nicht eine metaphysische, und auch seine Methoden waren alle psychologisch, nämlich das Aufbrechen von falschen Bewusstseins-Assoziationen, die das Fortbestehen von Begehren und Leiden aufrechterhalten, um auf diese Weise vom Strom der Geburt und des Todes in einer bloßen Welt der Erscheinungen frei zu werden (nicht in einer unwirklichen Welt); auch die Methode, durch welche diese Befreiung bewirkt werden sollte, war eine psychologische, nämlich der achtfache Pfad, der das rechte Verstehen und das rechte Tun entwickelt. Sein Ziel war pragmatisch und äußerst zweckmäßig, und genauso waren seine Methoden; metaphysische Spekulationen hätten das Mental nur von der einen notwendigen Sache abgelenkt.

Was die Haltung des Buddha zum Leben anbelangt, so sehe ich nicht ganz ein, wie “Dienst an der Menschheit” oder irgendein Ideal der Weltverbesserung Teile seines Ziels hätten sein können; sein Ziel war vielmehr, aus dem Leben in eine Transzendenz zu entweichen. Sein achtfacher Pfad war das Mittel zu diesem Zweck und nicht ein Ziel als solches oder überhaupt ein Ziel. Wenn das rechte Verstehen und die rechte Tat zur allgemeinen Regel des Lebens würden, ergäbe dies zweifellos eine große Verbesserung in der Welt, doch für den Zweck des Buddha konnte dies nur ein beiläufiges Ergebnis sein und ganz und gar nicht ein Teil seines eigentlichen Zieles. Du behauptest, der Buddha selbst hätte die Notwendigkeit betont, der Menschheit zu dienen, und sein Ideal sei es gewesen, “ein Bewusstsein der inneren Ewigkeit zu erlangen und dann eine Quelle lichthaften Einflusses und lichthafter Tat zu sein”. Doch wann und wo sagte der Buddha solche Dinge und gebrauchte diese Worte und formulierte derartige Ideen? “Dienst an der Menschheit” klingt nach einer sehr modernen europäischen Vorstellung; es erinnert mich an einige europäische Auslegungen der Gita als reine Lehre unbeteiligter Pflichterfüllung oder an jene Bemerkung, die ganze Idee der Gita beruhe auf “Dienen”. Die ausschließliche Betonung oder Überbetonung von Menschheit oder Menschlichkeit ist ebenfalls europäisch. Der Mahayana-Buddhismus betont das Mitleid, das Gefühl der Freundschaft mit allen, vasudhaiva kuṭumbakam, ebenso wie die Gita von dem Gefühl des Einsseins mit allen Wesen spricht und vom Einsatz für das Wohl aller Wesen, sarvabhūtahite rataḥ; doch dies bezieht sich nicht allein auf die Menschheit, sondern auf alle Wesen, denn vasudhā bedeutet das ganze Erden-Leben. Gibt es eine Äußerung des Buddha, welche die Behauptung rechtfertigt, das Ziel oder ein Ziel bei der Erlangung von nirvāṇa sei, eine Quelle lichthaften Einflusses und lichthafter – Tat zu werden? Das Bewusstsein der inneren Ewigkeit mag dieses Ergebnis haben, doch können wir wirklich sagen, dass es das Ideal des Buddha war, das Ziel,welches er im Auge hatte oder für das er gekommen war?

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Es gibt keinen Grund, warum die Stelle über den Buddhismus ausgelassen werden sollte. Sie gibt eine Seite der buddhistischen Lehre wieder, die nicht sehr bekannt ist oder häufig nicht beachtet wird; denn diese Lehre wird meist als die des nirvāṇa (Sunyavada) beschrieben und als humanitäre Spiritualität. Problematisch ist, dass diese Seiten besonders in den modernen Deutungen des Buddhismus betont werden, und irgendwelche kritische Bemerkungen, die ich gemacht haben mag, waren im Hinblick auf diese Auslegung und einseitige Betonung. Ich bin mir natürlich bewusst, dass es entgegengesetzte Richtungen im Mahayana-Buddhismus und im japanischen Kult des Amitabha-Buddha gibt, der ein Kult der bhakti ist. Man behauptet heutzutage sogar von Shankara, dass seine Lehre eine andere Seite hatte, doch seine Anhänger machten ihn zum alleinigen Repräsentanten der Idee der “Großen Illusion”, der Zweitrangigkeit von bhakti,der Nutzlosigkeit von karma – der Weltlüge, jaganmithyā.

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Man darf nicht vergessen, dass der Buddha sich immer weigerte, über das, was jenseits der Welt ist, zu sprechen. Doch aus dem wenigen, was er sagte, geht hervor, dass er sich eines Bleibenden im Jenseits bewusst war, das gleichbedeutend mit dem vedischen Para-Brahman ist, doch das zu beschreiben er nicht willens war. Die Ableugnung, dass es irgend etwas jenseits der Welt gäbe außer einem negativen Zustand von nirvāṇa, gehört einer späteren Lehre an, nicht der des Buddha.

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Das nirvāṇa des Buddhisten und das mokṣa des Advaitin sind dasselbe. Sie stimmen mit einer Verwirklichung überein, in der man sich nicht länger als Individualität mit diesem Namen und in jener Gestalt empfindet, sondern als unendliches, ewiges Selbst, raumlos (selbst im Raum), zeitlos (selbst in der Zeit). Beachte, dass man in diesem Zustand sehr wohl zu handeln vermag und ihn nicht nur über den samadhi-Zustand erreicht.

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Das nirvāṇa des Buddha ist das gleiche wie das brahmanirvāṇa der Gita. Nur beschreibt es die Gita als nirvāṇa in Brahman, während der Buddha es vorzog, dem, worin das nirvāṇa stattfand, keinen Namen zu geben und nichts darüber auszusagen. Einige spätere buddhistische Schulen definierten es als śūnya, die Leere, eine Entsprechung des chinesischen Tao, das als ein Nichts, das Alles ist, beschrieben wird.

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Es gibt viele Arten von Buddhismus, und die gänzlich nihilistische ist nur eine davon. Die meisten Buddhisten anerkennen ein Bleibendes jenseits des Bereiches von karma und der saṃskāras. Selbst das śūnya der Sunyapanthis wird wie das Tao des Lao Tse als ein Nichts beschrieben, welches Alles ist. Auch ein dem Mental übergeordneter Zustand wird anerkannt, den man mit Hilfe einer strengen Bewusstseins-Disziplin zu erreichen versucht, die als Spiritualität bezeichnet werden kann.

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Der Eine [der Buddhisten] wird auf verschiedene Weise gedeutet. Ich habe gerade irgendwo gelesen, dass der buddhistische Eine ein Über-Buddha sei, von dem alle Buddhas stammen – doch scheint mir dies ein Wiederaufwärmen des Buddhismus in Ausdrücken des Vedanta zu sein, die einem modernen Geist entstammen. Das Bleibende des Buddhismus wurde immer als überkosmisch und unsagbar angesehen – das ist der Grund, warum der Buddha es nie zu erklären versuchte; denn wie könnte man, logisch betrachtet, über das Unsagbare etwas aussagen? Es hat mit dem Kosmos, der aus saṃskāras und karma besteht, wirklich nichts zu tun.

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Die Eindrücke, wenn man sich der Unendlichkeit annähert oder darin eingeht, sind nicht immer ganz die gleichen; viel hängt von dem Weg ab, den das Mental wählt. Sie wird von einigen als eine Unendlichkeit über ihnen empfunden, von anderen als umhüllende Unendlichkeit, in welche das Mental (als eine Energie) eintaucht, indem es seine Begrenzungen verliert. Einige empfinden diese Absorption der Mental-Energie im Unendlichen nicht, sondern ein völliges Untätig-Werden; andere empfinden sie als einen Sprung oder ein Verschwinden der Energie in das reine Dasein. Einige fühlen die Unendlichkeit zunächst als ein weites Dasein, in das alles sinkt oder verschwindet, andere – wie du es beschreibst – als einen unendlichen Ozean aus Licht über ihnen, andere wiederum als einen unendlichen Ozean aus Macht über ihnen. Wenn gewisse buddhistische Schulen sie in ihrer Erfahrung als grenzenloses śūnya fühlten, so sehen sie wiederum die Vedanta-Anhänger als unbedingtes Selbst-Bestehen, eigenschaftslos und absolut. Kein Zweifel, in den verschiedenen Philosophien wurden verschiedenartige Erfahrungen niedergelegt, und jede hielt ihre Auffassung für die allein gültige; doch hinter jeder Auffassung stand eine Erfahrung. Was du als eine vollkommen leer gewordene Substanz des Mentals beschreibst, ohne Energie oder Licht, vollkommen träge, ist der Zustand eines neutralen Friedens, einer leeren Stille, die ein Stadium der Befreiung sein kann oder ist. Dann jedoch kann man fühlen, wie sie sich mit unendlichem Dasein füllt, mit Bewusstsein (das Energie in sich birgt) und schließlich mit Ananda.

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Die Stelle5 aus “The Yoga and lts Obiects” ist vom Standpunkt des spiritualisierten Mentals aus geschrieben, das sich der höchsten Wahrheit direkt nähert, ohne die Ebene des Supramentals zu durchqueren oder sich in ihr aufzulösen. Das Mental spiritualisiert sich, indem es sein eigenes Wirken und Gestalten abstreift und alles auf ein reines Dasein zurückführt, sad-ātman, aus dem alle Dinge und Tätigkeiten hervorgehen und das alles stützt. Wenn es darüber hinausgehen will, geschieht es durch eine weitere Negation, wobei es zu einem asat, Nicht-Sein, gelangt, welches die Verneinung dieses gesamten Daseins ist und dennoch etwas Unbegreifliches für das Mental, die Rede oder die sich ausdrückende Erfahrung bleibt. Es ist das schweigende Unerkennbare, das turīya oder eigenschaftslose und beziehungslose Absolute des monistischen Vedanta, das śūnyam der nihilistischen Buddhisten, das Tao oder allgegenwärtige und transzendente Nichts der Chinesen, das undefinierbare und unsagbare Bleibende des Mahayana-Buddhismus. Auch viele christliche Mystiker sprechen von der Notwendigkeit eines vollkommenen Nichtwissens, um zur höchsten Erfahrung zu gelangen, und sprechen zudem von der göttlichen Finsternis; sie meinen das Ablegen allen mentalen Wissens, das Mental leer zu machen und es in das Nichtmanifeste zu versenken , das param avyaktam. All dies ist der Weg des Mentals, sich dem Höchsten anzunähern, denn jenseits des avyaktam, des Nichtmanifesten, jenseits der Finsternis, tamasaḥ parastāt, ist der Höchste, der Purushottama der Gita, der Parapurusha der Upanishaden. Er ist ādityavarṇa – von der Farbe der Sonne –, im Gegensatz zur Finsternis des Nichtmanifesten; dies ist eine Metapher, doch wiederum keine reine Metapher, denn es ist auch ein Symbol, das visuell von der sūkṣma dṛṣṭi, der inneren Schau, gesehen wird; und es ist wiederum mehr als nur ein Symbol, nämlich eine Tatsache spiritueller Erfahrung. Die Sonne im Yoga ist das Symbol des Supramentals und das Supramental ist die erste Macht des Höchsten, der man jenseits der Grenze begegnet, an der die Erfahrung des spiritualisierten Mentals aufhört und das unmodifizierte göttliche Bewusstsein beginnt, der Bereich der höchsten Natur, parā prakṛti. Es ist jenes Licht, von dem die vedischen Mystiker eine Ahnung hatten, und es ist das Gegenteil jener dazwischenliegenden Finsternis christlicher Mystiker, denn das Supramental ist nur Licht und keine Finsternis. Für das Mental ist der Höchste avyaktāt param avyaktam, doch wenn wir dem Weg zum Supramental folgen, sehen wir, dass er eher aus einer zunehmenden Bejahung als aus einer zunehmenden Verneinung besteht.

Licht wird im Yoga mit dem inneren Auge gesehen, doch auch mit dem äußeren; es gibt aber viele Arten von Licht; nicht alle sind und nicht alle kommen vom höchsten Licht, paraṃ jyotiḥ.

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Das Universum ist nur eine teilweise Manifestation, und Brahman als seine Grundlage ist das sat. Doch es gibt auch das Nichtmanifeste, jenseits der Manifestation, was nicht in der Grundlage der Manifestation enthalten ist. Die Buddhisten und andere bildeten daraus ihre Auffassung des asat als dem höchsten Ding.

Eine andere Bedeutung ist: sat = das Ewige, asat = das Vergängliche und Unwirkliche.

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Das Gefühl des Selbstes als einer weiten, friedvollen Leere, einem Freiwerden vom Dasein, wie wir es kennen, ist etwas, das man immer erreichen kann, ob man Buddhist ist oder nicht. Es ist der negative Aspekt von nirvāṇa – für das Mental ist es etwas ganz Natürliches, wenn es der negativen Bewegung des Sich-Zurückziehens folgt, um zuerst dorthin zu gelangen; und wenn du dich daran klammerst und dich weigerst weiterzugehen, wenn du mit diesem befreiten Nicht-Sein zufrieden bist, dann wirst du wie die Buddhisten folgern, dass śūnya die ewige Wahrheit ist. Lao Tse war scharfsinniger, als er davon als dem Nichts, das Alles ist, sprach. Natürlich haben viele die positive Erfahrung des ātman zuerst, nicht als einer Leere, sondern als reines, beziehungsloses Dasein oder als das eine Seiende.

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Sie [welche die nirvāṇa-Erfahrung erlangen] haben nicht die Empfindung, als hätten sie irgendein Dasein. Im buddhistischen nirvāṇa verliert man die Empfindung davon überhaupt, es gibt nur eine unendliche Null ohne Form. Im Advaita nirvāṇa wird allein ein Weites Dasein gefühlt, und nirgendwo ist ein für sich bestehendes Wesen erkennbar. Es gibt natürlich Formen, doch sind es eben nur Formen, keine getrennten Wesen. Das Mental ist still, das Denken hat aufgehört – Begierden, Leidenschaften, vitale Regungen gibt es nicht. Es gibt ein Bewusstsein, doch nur ein formloses, elementares Bewusstsein ohne Grenzen. Der Körper bewegt sich und handelt, doch man empfindet den Körper nicht. Manchmal ist allein das Bewusstsein des reinen Daseins vorhanden, manchmal nur ein reines Bewusstsein, manchmal ist alles ein grenzenloser Ananda. Ob das übrige tatsächlich aufgelöst oder nur zugedeckt wird, sei dahingestellt, doch auf jeden Fall ist die Erfahrung die einer Auflösung.

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Das Ego und seine Kontinuität, sagen sie [die Buddhisten], sei eine Illusion, das Ergebnis eines fortgesetzten Fließens von Energien und Ideen in einem vorherbestimmten Strom. Es gibt kein wirkliches Ego. Was die Befreiung anbelangt, so ist es eine Befreiung von duḥkha usw., dem leidvollen Fließen von Energien, deren Kontinuität man aufbrechen muss, um sich vom Leid zu befreien. Das ist soweit in Ordnung, doch wie hat es angefangen, wie soll es enden und wie soll die Befreiung jemandem nützen, da es doch niemanden gibt, außer einer Anhäufung von Idee und Tat, – dies sind alles unlösbare Rätsel. Doch hat nicht der Mayavadin die gleiche Schwierigkeit, da es in Wirklichkeit keinen Jiva gibt, sondern nur Brahman, doch Brahman ist aufgrund seiner Natur ewig frei und ungebunden? Wie also entstand die ganze absurde Geschichte von Maya, und wer wird befreit? Das ist es ja auch, was die alten Weisen sagen: “Es gibt keinen, der gebunden ist, keinen, der befreit wird, keinen, der danach sucht, befreit zu werden”. Also war alles ein Irrtum – und zudem ein ziemlich lang anstehender. Die Buddhisten könnten vermutlich das gleiche sagen.

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Gemäß Buddha und Shankara bedeutet Befreiung die Auflösung, laya, der Individualität in einem transzendenten Bleibenden, das nicht individualisiert ist – logisch betrachtet würde also ein Glaube an die individuelle Seele die Befreiung verhindern, während das Gefühl des Elends in dieser Welt zu dem Versuch zu entkommen führen müsste.

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Der Ausdruck “weitergehen”6 zeigt, dass eine Evolution gemeint ist, die nicht auf Erden, sondern irgendwo im Jenseits stattfindet, weiß Gott wo. In diesem Fall wäre nirvāṇa ein Ort oder eine Welt auf dem Weg zu anderen Welten, und die Seele würde sich von einer Welt in eine andere fortentwickeln, zum Beispiel von der Erde in das nirvāṇa und vom nirvāṇa in etwas jenseits davon. Dies ist eine völlig europäische Auffassung, und es ist höchst unwahrscheinlich, dass sie von den Buddhisten vertreten wurde. Die indische Vorstellung ist die, dass die Evolution hier stattfindet und selbst die Götter, wenn sie ihre Gottheit überschreiten und die Befreiung erlangen wollen, auf die Erde herabkommen müssen. Es sind die westlichen Spiritualisten und andere, die glauben, dass die Geburt auf Erden ein Stadium des Fortschritts von einem niedrigeren Ort als die Erde sei; und war man einmal auf Erden, kehrt man nicht zurück, sondern geht in eine andere Welt ein und bleibt dort solange, bis man in eine weitere, noch bessere Welt “weitergehen” kann, usw. usw.... Und auch diese “vollkommene soziale Ordnung auf Erden” ist zweifellos keine buddhistische Idee – die Buddhas träumten nie von etwas Derartigem –, ihr Anliegen war, den Menschen zum nirvāṇa zu verhelfen, nicht zu einer vollkommenen Ordnung auf Erden. All dies steht in reinem Widerspruch zum Buddhismus.

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nirvāṇa kann nicht das Ende eines Pfades sein, nach dem es nichts mehr zu erforschen gibt, und gleichzeitig nur ein Aufenthaltsort oder vielmehr der Beginn des Höheren Pfades, bei dem noch alles zu entdecken ist... Die Lösung könnte darin bestehen, dass es das Ende des niederen Pfades durch die niedere Natur und der Beginn der Höheren Evolution ist. In diesem Fall würde dies genau mit der Lehre unseres Yoga im Einklang stehen.

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Auf welche Weise unterscheidet sich dieses Absolute7 vom Absoluten des Vedanta? Oder diese Befreiung von der mukti des Vedanta? Wenn dies der Fall wäre, hätte es den ganzen Streit zwischen Buddhismus und den vedantischen Schulen nie gegeben. Es muss sich um eine neue Version des Buddhismus handeln oder aber um eine spätere Entwicklung, in welcher der Buddhismus sich auf die Advaita-Lehre zurückführte.

Doch ist diese Höhere Evolution wirklich eine buddhistische Idee oder nur eine europäische Version von nirvāṇa?

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Es besteht kein Unterschied zwischen dieser Beschreibung8 und dem, was mit der Seele gemeint ist, außer dass es als “unpersönlich” bezeichnet wird – doch wird offensichtlich hier das Unpersönliche als Gegenteil von dem verstanden, das von Name, Körper und Form abhängig ist und die Persönlichkeit genannt wird. Besonders Europäer, aber auch Leute ohne philosophische Kenntnisse können leicht diese äußere Persönlichkeit mit der Seele verwechseln und würden dann den Ausdruck Seele nicht der ungeborenen und ewig bestehenden Wesenheit zuerkennen. Würden sie diese dann als Spirit oder Selbst – als ātman betrachten? Die Schwierigkeit aber ist, dass die alten Buddhisten die Auffassung vom ātman ebenfalls ablehnten. Damit wäre also alles offen. Die nihilistisch-buddhistische Lehre ist einfach und verständlich, nämlich, dass es keine Seele gibt, lediglich ein Bündel oder einen Strom von kontinuierlichen saṃskāras, der sich ständig erneuert. Doch diese Mahayana-Geschichte scheint eine Art freier und geraffter Kompromiss mit dem Vedanta zu sein.

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In den meisten Yogasystemen gibt es Elemente, die auch in diesem Yoga vorkommen, daher ist es nicht überraschend, wenn wir auch etwas im Buddhismus finden. Doch solche Vorstellungen wie eine Höhere Evolution jenseits von nirvāṇa, scheinen mir nicht buddhistisch zu sein, es sei denn, es handelt sich um eine Seitenlinie des Buddhismus, die etwas entwickelte, das von ihrem Urheber so interpretiert wurde. Ich habe nie von etwas Derartigem als Bestandteil der Lehre des Buddha gehört – er sprach immer von nirvāṇa als dem Ziel und lehnte metaphysische Diskussionen darüber ab.

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Die Jain-Philosophie befasst sich mit der individuellen Vervollkommnung. Unsere Bemühung ist von ganz anderer Art. Wir wollen das Supramental als eine neue Macht herabbringen. So wie das Mental ein dauernder Zustand im Menschheits-Bewusstsein der Gegenwart ist, wollen wir eine Menschheit erschaffen, in welcher das Supramental ein bleibender Bewusstseinszustand sein wird.

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III. Die Gita

Es stimmt nicht, dass die Gita die ganze Grundlage der Botschaft Sri Aurobindos enthält, denn sie scheint der Beendigung des Geborenwerdens in der Welt als höchstem Ziel oder zumindest als letztem Höhepunkt des Yoga zuzustimmen; sie misst der Idee einer spirituellen Evolution keine Bedeutung bei, ebensowenig der Idee der höheren Ebenen und des supramentalen Wahrheits-Bewusstseins sowie seines Herabbringens als Mittler der vollständigen Umwandlung des Erdenlebens.

Die Idee des Supramentals, des Wahrheits-Bewusstseins, kommt gemäß Sri Aurobindos Interpretation bereits im Rig-Veda vor und an einer oder zwei Stellen der Upanishaden; doch in den Upanishaden findet man sie lediglich als Keim in der Auffassung des Erkenntnis-Wesens, vijñānamaya puruṣa, welches das mentale, vitale und physische Wesen übersteigt; im Rig-Veda ist die Idee zwar im Prinzip enthalten, jedoch nicht entwickelt, und in der hinduistischen Tradition ist selbst das Prinzip nicht mehr zu finden.

Dies ist unter anderem, verglichen mit der hinduistischen Tradition, das Neue in der Botschaft Sri Aurobindos, nämlich die Vorstellung, dass die Welt weder eine Schöpfung der Maya ist, noch lila, ein Spiel des Göttlichen, noch ein Geburtenkreislauf in der Unwissenheit, dem wir zu entkommen haben, sondern ein Bereich der Manifestation; in diesem findet eine fortschreitende Evolution der Seele und der Natur in der Materie statt und von der Materie durch Leben und Mental zu dem, was sich jenseits des Mentals befindet, bis sie die vollständige Enthüllung von Sachchidananda im Leben erreicht hat. Dies ist die Grundlage dieses Yoga, die dem Leben neuen Sinn gibt.

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Dies ist kein eigentlicher Widerspruch; die beiden Stellen9 weisen auf zwei verschiedene Bewegungen im Yogasystem der Gita hin, deren krönende Bewegung die vollständig Hingabe ist. Man hat zuerst die niedere Natur zu erobern, das Selbst der niederen Bewegung mit Hilfe des höheren Selbstes zu befreien, das sich in die göttliche Natur erhebt, gleichzeitig bringt man all sein Tun einschließlich des inneren Yoga-Wirkens dem Purushottama, dem transzendenten und immanenten Göttlichen, als Opfer dar. Sobald man sich in das höhere Selbst erhoben hat, sobald man das Wissen erlangt hat und frei ist, vollzieht man die vollständige Hingabe an das Göttliche, lässt jedes andere dharma hinter sich und lebt allein durch das göttliche Bewusstsein, den göttlichen Willen und die göttliche Kraft, den göttlichen Ananda.

Unser Yoga ist mit dem Yoga der Gita nicht identisch, obwohl er alles enthält, was im Yoga der Gita wesentlich ist. In unserem Yoga beginnen wir mit der Idee der vollständigen Hingabe und dem Willen und Streben danach; gleichzeitig müssen wir die niedere Natur zurückweisen, unser Bewusstsein von ihr befreien, das Selbst, das in die niedere Natur verstrickt ist, mit Hilfe jenes Selbstes befreien, das sich zur Freiheit in der höheren Natur erhebt. Wenn wir dieser doppelten Bewegung nicht folgen, laufen wir Gefahr, eine tamasische und damit unwirkliche Hingabe zu vollziehen, ohne Bemühung, ohne tapas und daher ohne Fortschritt; oder wir vollziehen eine rajasische Hingabe, und zwar nicht an das Göttliche, sondern an eine selbstgeformte, falsche Idee oder an ein Bildnis des Göttlichen, hinter dem sich unser rajasisches Ego verbirgt oder noch etwas Schlimmeres.

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Diese Welt ist, wie sie die Gita beschreibt, anityam asukham [vergänglich und leidvoll], solange wir im gegenwärtigen Weltbewusstsein leben; allein indem wir uns von ihr abkehren, uns dem Göttlichen zuwenden und in das Göttliche Bewusstsein eintreten, kann man das Ewige auch durch die Welt besitzen.

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Die Lehre der Gita scheint sich in vielen Fällen zu widersprechen, da sie offensichtlich zwei einander widersprechende Wahrheiten zulässt und versucht, diese miteinander in Einklang zu bringen. Sie stimmt dem Ideal der Abkehr vom saṃsāra und der Hinwendung zu Brahman als einer Möglichkeit zu; gleichzeitig jedoch bestätigt sie die Möglichkeit, frei im Göttlichen zu leben (in Mir, wie es heißt) und in der Welt als Jivanmukta zu handeln. Auf diese letztere Lösung legt sie das größte Gewicht. Auch Ramakrishna stuft die “Göttlichen Seelen” (Ishvarakoti), welche die Leiter sowohl herab– als auch hinaufsteigen können, höher ein als die Jiva (Jivakoti), die, wenn sie einmal den Aufstieg vollzogen haben, nicht die Kraft besitzen, für die göttliche Arbeit wieder herabzukommen. Die volle Wahrheit liegt im supramentalen Bewusstsein und in der Macht, von dort auf Leben und Materie einzuwirken.

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Die Gita kann man nicht als eine ausschließliche Lehre der Liebe bezeichnen. Was sie entwickelt, ist ein Yoga des Wissens, der Hingabe und der Werke, der sich auf einem spirituellen Bewusstsein gründet und auf der Verwirklichung des Einsseins mit dem Göttlichen und des Einsseins aller Wesen im Göttlichen. Bhakti, Hingabe und Liebe zu Gott, welche die Einung mit allen Wesen und die Liebe zu allen Wesen mit einbezieht, wird große Wichtigkeit beigemessen, doch immer in Verbindung mit Wissen und Werken.

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Du darfst nicht vergessen, dass die Gita von dem, der sie schrieb, nicht als Allegorie gedacht war – man könnte allerdings, wenn du so willst, sagen, dass wir jetzt das alte Kampf-Motiv fallen lassen sollten, indem wir es als eine Art Allegorie interpretieren. Die Gita ist Yoga – spirituelle Wahrheit angewandt im äußeren Tun und Leben –, doch dies bezieht jegliches Tun mit ein, nicht nur eines, das dem der Gita gleicht. Das Prinzip des im Tun verwirklichten spirituellen Bewusstseins ist es; das bewahrt werden muss – das besondere Beispiel der Gita kann als etwas angesehen werden, das einer vergangenen Welt angehört.

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Die Gita spricht nicht ausdrücklich von der Göttlichen Mutter; sie spricht immer von der Hingabe an den Purushottama – sie erwähnt sie lediglich als Para Prakriti, die zum Jiva wird, das heißt, die das Göttliche in der Vielheit manifestiert und durch die all diese Welten vom Höchsten erschaffen werden und in die er selbst als Avatar herabkommt. Die Gita folgt der Überlieferung des Vedanta, welcher sich gänzlich auf den Ishvara-Aspekt des Göttlichen stützt und wenig von der Göttlichen Mutter spricht, da es sein Ziel ist, sich von der Welt-Natur zurückzuziehen und zur höchsten Verwirklichung jenseits von ihr zu gelangen; die tantrische Tradition betont den Shakti– oder Ishvari-Aspekt und macht alles von der Göttlichen Mutter abhängig, da es ihr Ziel ist, die Welt-Natur zu besitzen und zu beherrschen und durch sie zur höchsten Verwirklichung zu gelangen. Dieser Yoga besteht auf beiden Aspekten; die Hingabe an die Göttliche Mutter ist wesentlich, denn ohne sie kann das Ziel des Yoga nicht erreicht werden.

Im Hinblick auf den Purushottama ist die Göttliche Mutter das höchste göttliche Bewusstsein und die höchste göttliche Macht über den Welten, Adya Shakti; sie trägt den Höchsten in sich und manifestiert das Göttliche in den Welten durch akṣara und kṣara, das Unveränderliche und das Veränderliche. Im Hinblick auf das akṣara ist sie die gleiche Para Shakti, die den Purusha reglos in sich birgt, und auch sie ist reglos im Hintergrund aller Schöpfung in ihm. Im Hinblick auf das kṣara ist sie die bewegte kosmische Energie, die alle Wesen und Kräfte manifestiert.

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Es ist mir nicht bekannt, dass es ein Purushottama-Bewusstsein gibt, welches vom menschlichen Wesen erreicht oder für sich verwirklicht werden kann; denn in der Gita ist der Purushottama der Höchste Herr, das Höchste Wesen, der sich jenseits des Unveränderlichen und des Veränderlichen befindet und beides, den Einen und die Vielen, enthält. Der Mensch, sagt die Gita, kann das Brahman-Bewusstsein erlangen und sich als ewigen Teil des Purushottama verwirklichen und im Purushottama leben. Das Purushottama-Bewusstsein ist das Bewusstsein des Höchsten Wesens, und der Mensch kann in ihm durch Überwindung des Egos und Verwirklichung seiner wahren Essenz leben.

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Zur Zeit der ṛṣis und sogar davor waren Sankya– und Vedanta-Elemente im spirituellen Denken Indiens immer verbunden. Die Sankya-Auffassung vom Aufbau des Wesens (Purusha, Prakriti, die Elemente, Indriyas, Buddhi usw.) wurde allgemein anerkannt, und Kapila wurde überall mit Verehrung erwähnt. In der Gita wird er als einer der großen vibhūtis genannt; Krishna sagt: “Ich bin Kapila unter den Weisen”.

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IV. Tantrismus und Okkultismus

Veda und Vedanta sind eine Seite der Einen Wahrheit; der Tantra mit seiner Betonung der Shakti ist die andere; in diesem Yoga werden alle Seiten der Wahrheit aufgegriffen, nicht in der systematischen Art von früher, sondern in ihrer Essenz, und sie werden ihrem höchsten und vollsten Sinn zugeführt. Der Vedanta behandelt mehr die Prinzipien und Grundlagen göttlichen Wissens, und daher wurde ein Großteil seiner spirituellen Erkenntnis und Erfahrung als ganzes im ”Arya” aufgenommen. Der Tantra behandelt mehr die Formen, Vorgänge und die gelenkten Mächte, doch konnte all dies nicht so übernommen werden wie es war, denn der integrale Yoga muss seine eigenen Formen und Vorgänge entwickeln; doch das Aufsteigen des Bewusstseins durch die Zentren und anderes tantrisches Wissen stehen hinter dem Vorgang der Umwandlung, dem ich so große werden kann, außer durch die Kraft der Mutter.

Der Vorgang des Aufsteigens der erwachten Kundalini durch die Zentren gehört ebenso wie die Läuterung dieser Zentren tantrischem Wissen an. In unserem Yoga gibt es keinen gewollten Prozess der Läuterung und Öffnung der Zentren und ebenfalls kein Aufsteigen der Kundalini mit Hilfe eines festgelegten Vorgangs. Eine andere Methode wird angewandt, doch gibt es den Aufstieg des Bewusstseins von den verschiedenen Ebenen und durch diese hindurch, um sich mit dem höheren Bewusstsein darüber zu verbinden; es gibt das Öffnen der Zentren und der Ebenen (mental, vital, physisch), die diese Zentren regieren; es gibt ebenfalls die Herabkunft, welche der hauptsächliche Schlüssel der spirituellen Umwandlung ist. Auf diese Weise steht, wie ich bereits sagte, tantrisches Wissen hinter dem Vorgang der Umwandlung in diesem Yoga.

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In unserem Yoga gibt es kein gewolltes Öffnen der cakra, diese öffnen sich von selbst durch das Herabkommen der Kraft. In den tantrischen Disziplinen öffnen sie sich von unten nach oben, zuerst das mūlādhāra;in unserem Yoga öffnen sie sich von oben nach unten. Doch der Aufstieg der Kraft vom mūlādhāra findet ebenfalls statt.

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Im Tantra werden durch einen besonderen Vorgang die Zentren geöffnet; die Kundalini wird erweckt und ihr Aufsteigen in der Wirbelsäule gefühlt. Hier [in diesem Yoga] ist es ein Druck der Kraft von oben, der die Kundalini weckt und die Zentren öffnet. Ein Aufsteigen des Bewusstseins findet statt, bis es sich mit dem höheren Bewusstsein darüber verbindet. Dies wiederholt sich (manchmal wird auch ein Herabkommen gefühlt), bis alle Zentren geöffnet sind und das Bewusstsein sich über den Körper erhebt. In einem späteren Stadium bleibt es darüber und weitet sich ins kosmische Bewusstsein und in das universale Selbst. Das ist der normale Verlauf, doch manchmal geht es schneller, und ein plötzliches und entscheidendes Öffnen darüber findet statt.

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Das Aufsteigen und Herabkommen der Kraft vollzieht sich in diesem Yoga auf die ihm eigene Art und Weise, ohne irgendeine notwendige Nachahmung der in den tantrischen Büchern festgelegten Einzelheiten. Viele werden sich der Zentren bewusst, andere fühlen lediglich das Aufsteigen oder Herabkommen in allgemeiner Weise, aber eher von Ebene zu Ebene als von Zentrum zu Zentrum – d.h. sie fühlen die Kraft zuerst zum Kopf herabkommen, dann zum Herzen, dann zum Nabel und noch weiter abwärts. Es ist durchaus nicht notwendig, sich der Gottheiten in den Zentren bewusst zu werden, wie es im Tantra beschrieben wird, doch fühlen manche die Mutter in den verschiedenen Zentren. In diesen Dingen klammert sich unsere Sadhana nicht an Bücherwissen, sondern hält sich an die zentrale Wahrheit dahinter und verwirklicht diese unabhängig von den alten Formen und Symbolen. In unserem Yoga werden die Zentren anders gedeutet als in den tantrischen Büchern.

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Ja, Ziel unseres Yoga ist es, direkten Kontakt mit dem Göttlichen darüber herzustellen und das göttliche Bewusstsein von darüber in alle Zentren herabzubringen. Okkulte Mächte, die den mentalen, vitalen und feinstofflichen Ebenen angehören, sind nicht unser Ziel. Man kann auf dem Weg mit verschiedenen Göttlichen Kräften und Persönlichkeiten in Berührung kommen, es ist aber nicht notwendig, sie in den Zentren zu verankern, obwohl dies manchmal im Verlauf der Sadhana und über eine gewisse Zeitspanne hin automatisch geschieht (wie zum Beispiel mit den vier Personalitäten der Mutter). Dies ist aber nicht die Regel. Unser Yoga soll plastisch sein und allem notwendigen Wirken der Göttlichen Macht stattgeben in dem Maße, wie es die menschliche Natur erlaubt; dies kann jedoch in Einzelheiten und bei jedem einzelnen verschieden sein.

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Okkultismus ist das Wissen von den verborgenen Kräften der Natur und ihr rechter Gebrauch.

Okkulte Kräfte sind diejenigen, die nur erkannt werden können, indem man hinter den Schleier der scheinbaren Phänomene sieht – es sind besonders die Kräfte der feinstofflichen und überstofflichen Ebenen.

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Meist werden die mehr innerlichen und die anomalen psychologischen Erfahrungen mit “seelisch” bezeichnet. Ich gebrauche das Wort “seelisch” in Zusammenhang mit der Seele und zum Unterschied von Mental und Vital. Alle Regungen und Erfahrungen der Seele würden in diesem Sinne seelisch genannt werden, also jene, die sich aus dem seelischen Wesen erheben oder es direkt berühren; wo hingegen Mental und Vital das Übergewicht haben, würde man die Erfahrung als psychologisch bezeichnen (oberflächlich oder verborgen). “Spirituell” bezieht sich nicht notwendigerweise auf das Absolute. Natürlich, die Erfahrung des Absoluten ist spirituell. Alle Kontakte mit dem Selbst, dem höheren Bewusstsein, dem Göttlichen darüber sind spirituell. Es gibt andere, die nicht so klar eingereiht oder gegeneinander abgegrenzt werden können.

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Die spirituelle Verwirklichung ist von vordringlicher Wichtigkeit und unumgänglich. Ich halte es für das beste, wenn die spirituelle und seelische Entwicklung zuerst stattfinden, und zwar voll und ganz, bevor man in die okkulten Bereiche eintritt. Jene, die dort zuerst eintreten, laufen Gefahr, ihre spirituelle Verwirklichung stark zu verzögern; andere geraten in die labyrinthischen Fallen des Okkulten und können sich in diesem Leben nicht daraus befreien; wiederum andere können ohne Zweifel beides, das Okkulte und das Spirituelle miteinander verbinden, damit diese sich gegenseitig stützen; doch der von mir vorgeschlagenen Weg ist sicherer.

Der Spirit und das seelische ‚Wesen, geeint mit dem Göttlichen, müssen für uns die entscheidenden Faktoren sein – okkulte Gesetze und Erscheinungen muss man kennen, doch nur als Mittel, nicht als leitendes Prinzip. Das Okkulte ist ein weites, verschlungenes Feld und nicht ohne Gefahren. Man braucht sich von ihm nicht abzuwenden, doch sollte ihm keine vorrangige Bedeutung beigemessen werden.

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Eine Tätigkeit der astralen Ebene in Verbindung mit astralen Kräften, begleitet von einem Verlassen des Körpers, ist kein spirituelles Ziel, sondern gehört in den Bereich des Okkulten. Sie hat mit dem Yoga nichts zu tun. Auch Fasten ist im Ashram nicht erlaubt, da es dem spirituellen Bestreben häufig mehr schadet als nützt.

Das Ziel, das dir vorgeschlagen wurde, scheint dem Suchen nach okkulten Kräften anzugehören; ein derartiges Suchen wird jedoch von den meisten spirituellen Lehrern Indiens mit Missfallen betrachtet, da es auf einer niedrigeren Ebene steht und den Suchenden meist auf einen Pfad drängt, der ihn sehr weit vom Göttlichen fortführen kann. Besonders ein Kontakt mit Kräften und Wesen der astralen (oder, wie wir sie nennen, der vitalen) Ebene ist mit großen Gefahren verbunden. Die Wesen dieser Ebene stehen häufig dem wahren Ziel des spirituellen Lebens feindlich gegenüber; sie nehmen Kontakt mit dem Suchenden auf, bieten ihm Mächte und okkulte Erfahrungen an, doch nur, um ihn weit vom spirituellen Pfad fortzuführen oder ihre eigene Herrschaft über ihn zu gewinnen oder für ihre eigenen Zwecke von ihm Besitz zu ergreifen. Häufig stellen sie sich als göttliche Mächte dar, führen ihn durch falsche Beeinflussungen und Anregungen in die Irre und entstellen das innere Leben. Es gibt viele, die, angezogen von diesen Mächten und Wesen der vitalen Ebene, in einem endgültigen spirituellen Zusammenbruch oder in mentaler und physischer Verirrung und Zerrüttung endeten. Man kommt unweigerlich mit der vitalen Ebene in Berührung, man betritt sie in dem geweiteten Bewusstsein, das aus dem inneren Sich-Öffnen herrührt, doch sollte man sich nie in die Hände dieser Wesen und Kräfte geben oder sich von ihren Vorschlägen und Impulsen leiten lassen. Dies ist eine der Hauptgefahren des spirituellen Lebens, und vor ihr auf der Hut zu sein, ist für den Suchenden, der sein Ziel erreichen will, unbedingt erforderlich. Es ist richtig, viele überstoffliche oder übernatürliche Fähigkeiten stellen sich mit der Bewusstseinsausweitung im Yoga ein; es ist für einen Yogi etwas durchaus Übliches, sich aus dem Körperbewusstsein zu erheben oder mit Hilfe feinstofflicher Mittel auf der überphysischen Ebene zu wirken usw. Diese Fähigkeiten werden jedoch nicht gesucht, sondern kommen ganz natürlich und haben keinen astralen Charakter. Sie dürfen auch nur im ausschließlich spirituellen Bereich gebraucht werden, d. h. durch den Göttlichen Willen und die Göttliche Kraft, als ein Instrument, doch niemals als Handhabung für die Kräfte und Wesen der vitalen Ebene. Diese um Hilfe für derartige Fähigkeiten anzugehen, ist ein großer Fehler.

Anhaltendes Fasten kann zu einer Reizung des Nervensystems führen und wird oft von lebhaften Einbildungen und Halluzinationen begleitet, die man für wahre Erfahrungen hält. Ein solches Fasten wird häufig von vitalen Wesenheiten suggeriert, da es das Bewusstsein aus dem Gleichgewicht bringt, was ihren Plänen förderlich ist. Dies ist der Grund, weshalb wir es nicht gerne sehen. Die zu befolgende Regel ist in der Gita festgelegt und lautet: “Yoga taugt nicht frir einen, der zuviel isst, oder für einen, der gar nicht isst”; das bedeutet also ein vernünftiges Maß an Essen, das ausreicht, um die Gesundheit und die Kraft des Körpers aufrechtzuerhalten.

Eine Bruderschaft in der Art, wie du sie beschreibst, gibt es in Indien nicht. Es gibt Yogis, die okkulte Mächte zu erlangen und anzuwenden suchen, doch sind es einzelne, die von einem bestimmten Meister unterwiesen werden. Okkulte Gemeinschaften, Logen, Bruderschaften, wie sie von europäischen Okkultisten beschrieben werden, sind in Asien nicht bekannt.

Was die Geheimhaltung anbelangt, so ist ein gewisses Maß an Diskretion oder ein gewisses Stillschweigen über die Anweisungen des Gurus und die eigenen Erfahrungen ratsam, doch ist keinesfalls eine absolute Geheimhaltung oder Geheimnistuerei geboten. Ist einmal ein Guru gewählt, darf nichts vor ihm verborgen werden. Die Suggerierung der völligen Geheimhaltung ist jedoch oft ein Trick astraler Mächte, die das Suchen nach Erleuchtung und Beistand verhindern wollen.

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All diese deine “Experimente” gründen in der vitalen Natur und dem Mental, das mit ihr in Verbindung steht; auf dieser Grundlage aber ist man vor Falschheit und elementarem Irrtum nicht sicher. Die sich entfaltenden Mächte – ob groß oder klein – sind keine Bürgschaft gegen eine Abkehr von der Wahrheit; und wenn du den Stolz, die Arroganz, das Zur-Schau-Stellen von Macht sich einschleichen und von dir Besitz ergreifen lässt, wirst du mit Sicherheit in die Irre gehen und der Macht der rajasischen Maya und Avidya zum Opfer fallen. Unser Ziel ist nicht, Mächte .zu erlangen, sondern zum göttlichen Wahrheits-Bewusstsein aufzusteigen und seine Wahrheit in die niederen Wesensteile herabzubringen. Mit der Wahrheit werden sich alle erforderlichen Mächte einstellen, nicht als eigene, sondern als die des Göttlichen. Der Kontakt mit der Wahrheit kann nicht durch rajasisch-mentale und vitale Selbstanmaßung wachsen, sondern allein durch seelische Reinheit und Hingabe.

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Die aṣṭasiddhis, die okkulten Mächte, wie sie im gewöhnlichen Yoga erlangt werden, sind vitale Mächte oder, wie im Raja-Yoga, mentale siddhis. Ihre Anwendung ist gewöhnlich unsicher und gefährlich, da sie von der Aufrechterhaltung des Vorganges abhängig sind, durch den sie erlangt wurden.

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Mit der “physischen Natur” ist nicht allein der Körper gemeint; dieser Ausdruck umfasst vielmehr die Umwandlung des gesamten physischen Mentals, Vitals und der physischen Natur – nicht indem sie ihnen siddhis [außergewöhnliche oder okkulte Mächte] auferlegt, sondern indem sie eine neue physische Natur schafft, welche die Bleibe des supramentalen Wesens in einer neuen Evolution sein wird. Es ist mir nicht bekannt, dass dies durch einen Vorgang des Hatha-Yoga oder irgendeinen anderen Vorgang erreicht wurde. Mentale oder vitale okkulte Macht kann lediglich die siddhis der höheren Ebenen in das individuelle Leben herabbringen – so wie es das Beispiel des sannyāsin zeigt, der Gift unbeschadet nehmen konnte, doch schließlich an einem Gift starb, als er vergaß, die Bedingungen der siddhis einzuhalten. Das Wirken der erwarteten supramentalen Macht besteht nicht in einem Einfluss auf den Körper, der ihm anomale Fähigkeiten verleiht, sondern darin, dass diese in ihn eindringt, ihn durchdringt, wodurch er ganz und gar in einen supramentalen Körper gewandelt wird. Ich entnahm diese Idee nicht dem Veda oder den Upanishaden und weiß auch nicht, ob es irgend etwas dieser Art dort gibt. Was ich über das Supramental empfing, war ein direktes, kein abgeleitetes Wissen; erst später fand ich gewisse bestätigende Enthüllungen in den Upanishaden und dem Veda.

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Es gibt viele Yogis der vedantischen Schule, die sowohl die siddhis als auch die letzte Befreiung anstreben – ich vermute, sie würden sagen, sie nehmen die siddhis mit auf den Weg zum nirvāṇa. Die Harmonisierung liegt im Supramental – in der Göttlichen Wahrheit, die statisch und zugleich dynamisch ist, in einem Zurückweichen und Verlöschen der Unwissenheit, in einer neuen Schöpfung im Göttlichen Wissen.

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Ich habe das “Yoga Vasista” nicht selbst gelesen, doch nach dem, was ich darüber hörte, muss es ein Buch sein, das jemand mit bemerkenswertem okkulten Wissen schrieb.

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V. Vishnuismus10 (Vaishnavismus)

Mir scheint, diese unterschiedliche Bewertung stammt von einem Geist, der die eine oder andere Seite der Annäherung an das Göttliche betont oder einen Aspekt der Verwirklichung einem anderen vorzieht. Findet die Annäherung über das Herz statt, über Liebe und bhakti, dann ist der höchste Gipfel ein transzendenter Ananda, eine unsagbare Wonne oder Seligkeit der Einung mit dem Göttlichen durch Liebe. Die Schule von Chaitanya legte besonderen, ja tatsächlich den alleinigen Nachdruck auf diesen Weg und machte ihn zur einzigen Wirklichkeit des Krishna-Bewusstseins. Doch der transzendente Ananda steht dort am Anfang und Ende allen Daseins und dies ist nicht der einzige Weg dorthin und kann es nicht sein. Man kann ihn ebenfalls über das Vasudeva-Bewusstsein erreichen, das eine umfassendere, mehr mentale Annäherung ist – ähnlich derjenigen der Gita, wo Wissen, Werke, bhakti alle in Krishna dem Einen, dem Höchsten, dem Alleinigen, wurzeln und man über das kosmische Bewusstsein zu einer leuchtenden Transzendenz gelangt. Es gibt auch einen Weg, der in der Taittiriya-Upanishad beschrieben ist und die vedantische Lehre der Seligkeit darstellt. All diese kann man mit Sicherheit als umfassendere Methoden bezeichnen, denn sie führen das gesamte Dasein in allen Teilen und auf allen Wegen des Wesens zum Göttlichen. Wenn sie an ihrem Ausgangspunkt auch weniger intensiv und in ihrer Bewegung umfassender und langsamer sind, gibt es doch keinen Grund zur Annahme, dass sie auf den Höhepunkten ihres Ziels weniger machtvoll seien. Es ist die gleiche Transzendenz, zu der alle gelangen: entweder in einer großen Bewegung, die alles Spirituelle in uns zusammensammelt, um es in einer weiten Sublimierung dorthin zu führen, oder aber in einer einzelnen kraftvollen Erhebung eines Wesensteils, einer einzelnen Erhöhung, die alles übrige beiseite lässt. Doch wer vermag zu sagen, was von beiden das vollkommenere ist. Konzentrierte Liebe hat ihre eigene Tiefe, die nicht gemessen werden kann; konzentrierte Weisheit hat eine umfassendere Tiefe, doch wer wollte entscheiden, welche die tiefere ist.

Die kosmischen Werte sind lediglich Spiegelungen der transzendenten Wahrheit, übertragen auf eine kleinere Wahrheit der Zeiterfahrung, welche trennt und die tausend Aspekte des Einen einzeln sieht. In dem Maße, wie man sich über das Mental oder irgendeinen Teil des manifestierten Wesens erhebt, kann sich der eine oder andere dieser Aspekte mehr und mehr verfeinern und seiner höchsten transzendenten Intensität zustreben; und welcher Aspekt auch immer derart erfahren wird, wird vom spiritualisierten mentalen Bewusstsein als das Höchste angesehen. Doch wenn man das Mental überschreitet, sublimiert sich nicht nur alles, sondern es schmilzt zusammen, bis die getrennten Aspekte ihre ursprüngliche Einheit entdecken, die in der Absolutheit von allem, das eins wurde, unteilbar ist. Das Mental kann das Dasein ohne Bewusstsein oder Ananda erkennen oder erfahren; dies zeigt sich am deutlichsten in der Unbewusstheit, die der Materie zugeschrieben wird. Ebenso kann es sich Ananda oder Liebe als ein getrenntes Prinzip vorstellen; es kann sogar fühlen, wie sich Bewusstsein und Dasein in einer Ekstase der Liebe oder Ananda verlieren. Auf gleiche Weise verliert sich die begrenzte Personalität in der unbegrenzten Person, verliert sich der Liebende im höchsten Geliebten oder auch das Persönliche im Unpersönlichen – der Liebende fühlt, wie er in der transzendenten Wirklichkeit der Liebe und im Ananda eintaucht und darin aufgeht. Das Persönliche und Unpersönliche werden vom Mental als getrennte Wirklichkeiten gesehen und erfahren, und sowohl das eine wie das andere wird als das Höchste betrachtet; es kann sich also das Persönliche im Unpersönlichen auflösen oder aber das Unpersönliche in der absoluten Wirklichkeit der höchsten und göttlichen Person eintauchen – das Unpersönliche ist von diesem Standpunkt aus nur ein Attribut oder eine Macht des persönlichen Göttlichen. Doch am Gipfel der spirituellen Erfahrung, die das Mental überschreitet, beginnt man das Zusammenschmelzen all dieser Dinge in eins zu fühlen. Bewusstsein, Dasein, Ananda kehren in ihre untrennbare Einung zurück, Sachchidananda. Das Persönliche und Unpersönliche werden unwiderruflich eins, so dass eines dem anderen gegenüberzustellen als Akt der Unwissenheit erscheint. Diese Tendenz zur Einung ist die Grundlage des supramentalen Bewusstseins und der supramentalen Erfahrung; im Hinblick auf kosmische oder schöpferische Zwecke kann das Supramental durchaus einen Aspekt hervorheben, wo es notwendig erscheint, doch ist es sich all des übrigen hinter ihm oder in ihm bewusst und läßt in seiner Schau nirgendwo eine Trennung oder Gegensätzlichkeit zu. Aus diesem Grund wäre eine supramentale Schöpfung eine vielfältige Harmonie, kein trennender Vorgang, der den Einen in Teile teilt oder ihn analysiert und diese Teile einander überordnet oder sich gegenüber stellt, um sie danach in einer Synthese zusammenzufügen, damit man zr einer Harmonie gelangt, oder aber den einen Teil oder alle Teile ausschließt, um den unteilbaren Einen zu verwirklichen.

Du sprichst von der Vaishnava-Schule, welche die persönliche Glückseligkeit betont, und sagst, dass dies kurze und schnelle Gefühle [bhāva] seien, die der Weite und Fülle entbehrten. Dies stimmt ohne Zweifel, wenn sie zuerst gefühlt werden und wie sie vom begrenzten Bewusstsein in seiner gewöhnlichen Aktivität und Bewegung empfunden werden; der Grund hierfür liegt jedoch darin, dass das menschliche Emotional mit dem Körper als unvollkommenem Instrument hinter sich, sobald es sich sublimieren will, meist in unregelmäßiger Intensität tätig ist und weder die Kontinuität noch das Ausmaß noch die sublimierten Steigerungen dieser Dinge aufrechterhalten kann. Doch in dem Maße, wie die Individualität kosmisch wird (die Universalisierung des einzelnen als göttlichem Zentrum ohne Verlust seiner höheren Individualität ist einer jener Vorgänge, die zur supramentalen Wahrheit führen), beginnt diese Unzulänglichkeit zu schwinden. Die Wahrheit, die dāsya oder madhura, “dem süßen Geheimnis zwischen dem Liebenden und dem Geliebten” zugrundeliegt oder irgendeinem anderen Gefühl oder einer Verschmelzung von Gefühlen, wird zu einem weiten und vollen, andauernden Zustand; wenn sie gelegentlich ihre kurzen Intensitäten durch diese ihre Ausdehnung einbüßen, gewinnen sie sie tausendfach zurück in der Bewegung der universalisierten Individualität zur Transzendenz hin. Eine immer größere Erfahrung stellt sich ein, welche die Elemente der spirituellen Verwirklichung erfasst; und in diesem erhebenden und umwandelnden Vorgang verändern sich diese, werden größer als sie waren und erhalten schließlich ihren Platz durch Sublimierung zuerst im spirituellen Kosmischen und dann im allumfassenden, transzendenten Ganzen.

Die Meinungsverschiedenheiten über Krishna zwischen Shankara und Ramanuja einerseits und Chaitanya andererseits haben ihre Ursache in der Art ihrer Erfahrung. Krishna war den einen nur ein Aspekt Vishnus, da für sie jene ekstatische Form der Liebe und bhakti, die man mit Krishna verband, nicht das Ganze war. Die Gita betrachtet Krishna – ähnlich wie Chaitanya, doch von einem anderen Standpunkt aus – als das Göttliche schlechthin. Für Chaitanya verkörperte er Liebe und Ananda, und da Liebe und Ananda ihm als höchste transzendente Erfahrung galten, musste für ihn auch Krishna der Höchste sein. Für den, der die Gita schrieb, war Krishna die Quelle von Wissen, Macht und Liebe, der Zerstörer, Erhalter und Schöpfer in einem, und daher war auch Vishnu notwendigerweise nur ein Aspekt dieses universalen Göttlichen. Im Mahabharata erscheint Krishna tatsächlich als Inkarnation Vishnus, doch dies kann man auch dahingehend auffassen, dass er sich äußerlich in seinem Vishnu-Aspekt manifestierte; denn dass die größere Gottheit sich später manifestieren kann als die anderen, ist logisch, sofern wir die Manifestation als progressiv betrachten – genau wie Vishnu im Veda ein jüngerer Indra ist, Upendra, der seinen älteren besiegt und in der Folge den Platz über ihm im Trimurti einnimmt.

Über die Vaishnava-Idee der Krishna-Gestalt kann ich wenig sagen. Die Form ist das grundlegende Instrument der Manifestation, und ohne sie wäre die Manifestation etwas Unvollständiges. Das Formlose geht logischerweise der Form voran, und dennoch kann man annehmen, dass die Form dem Formlosen innewohnt und bereits in mystischer Latenz besteht – wie könnte sie sonst manifestiert werden? Denn jeder andere Vorgang wäre die Erschaffung des Nicht-Existenten und keine Manifestation. In diesem Falle wäre es gleicherweise logisch anzunehmen, dass es eine ewige Form Krishnas gibt, einen Geist-Körper. Was die höchste Wirklichkeit anbelangt, so ist sie zweifellos ein Absolutes Sein, doch ist sie nur das? Absolutes Sein als Abstraktion kann alles andere ausschließen und auf eine Art sehr positiver Null hinauslaufen; doch Absolutes Sein als Wirklichkeit – wer vermöchte zu bestimmen und zu sagen, was in seinen unergründlichen Tiefen, in seinem grenzenlosen Mysterium enthalten ist oder nicht? Das Mental vermag das Absolute Sein nur als Negation seiner eigenen räumlichen, zeitlichen oder anderen Vorstellungen aufzufassen. Doch kann es nicht wissen, was sich am Grunde der Manifestation befindet, was die Manifestation ist oder warum es überhaupt eine Manifestation dieser positiven Null gibt – und die Vaishnavas, das dürfen wir nicht vergessen, stimmen dieser Auffassung als absoluter und ursprünglicher Wahrheit des Göttlichen nicht zu. Es ist daher strenggenommen nicht unmöglich, dass das, was wir als räumliche Form auffassen und wahrnehmen, mit einer Macht des raumlosen Absoluten korrespondiert. Ich behaupte dies nicht als letzte Definition der Wahrheit, ich versuche lediglich darzulegen, dass der Standpunkt der Vaishnavas weit davon entfernt ist, logisch oder metaphysisch zu sein.

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Die Vaishnavas anerkennen die Welt als līlā, doch die wahre līlā ist woanders, im ewigen Brindavan. Alle Religionen, die an eine persönliche Gottheit glauben, betrachten das Universum als Wirklichkeit, als līlā oder Schöpfung, die durch den Willen Gottes entstand, doch auf Zeit und nicht auf ewig. Das Ziel ist der ewige Zustand darüber.

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Die Vorstellung eines zeitweiligen Königreichs des Himmels auf Erden ist in den Puranas enthalten und wurde von einigen Vaishnava-Heiligen oder Dichtern übernommen; das ist aber eine Vorstellung des Glaubens, die einer philosophischen Grundlage entbehrt. Ich glaube, die tantrische Überwindung der Unvollkommenheit ist eine individuelle und keine kollektive Verwirklichung.

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Du beschreibst das reiche, menschlich egoistische Leben, das du hättest führen können, und sagst “nicht gerade ein armseliges Leben, wie du zugeben wirst”. Auf dem Papier, so wie du es beschreibst, klingt es sehr erhebend und befriedigend. Doch es enthält keine echte oder endgültige Befriedigung, außer für jene, die zu gewöhnlich oder unbedeutend sind, um etwas anderes zu suchen, und selbst sie sind nicht wirklich zufrieden oder glücklich – und schließlich erschöpft es sich und wird schal. Sorge und Krankheit, Zusammenstöße und Streit, Enttäuschung, Desillusionierung und alle Arten menschlicher Leiden stellen sich ein und lassen des Lebens Glanz verblassen – und am Ende dann Verfall und Tod. Dies ist das vitale, egoistische Leben, das der Mensch in allen Zeitaltern vorfand und dem ein Teil deines Vitals nachtrauert. Du legst soviel Wert auf das Wünschenswerte eines rein menschlichen Bewusstseins und übersiehst, dass Leid sein Kennzeichen ist. Wenn sich das Vital der Wandlung vom menschlichen ins göttliche Bewusstsein widersetzt, dann verteidigt es sein Recht, sich zu sorgen und zu leiden und all das übrige, das zweifellos in einigen vitalen oder mentalen Vergnügungen und Befriedigungen seine Abwechslung und Erleichterung findet, doch nur eine sehr teilweise Erleichterung auf beschränkte Sicht. In deinem eigenen Fall begann es bereits schal zu werden, und das ist der Grund, weshalb du dich davon abwandtest. Kein Zweifel, da waren die Freuden des Intellektes und des künstlerischen Schaffens, doch ist ein Mensch nicht nur Künstler, sondern in ihm ist auch der äußere, ganz menschlich niedere vitale Teil, und in allen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, ist er der ungestümste und beharrlichste. Doch was in dir war unbefriedigt? Es war vor allem die innere Seele und durch sie das höhere Mental und Vital. Warum also beschuldigst du das Göttliche, dich in die Irre geführt zu haben, als sie [die Seele] sich dem Yoga zuwandte und dich hierher brachte? Du folgtest einfach der Forderung deines inneren Wesens und höheren Teils deiner Natur. Deine Schwierigkeit und Rastlosigkeit rühren daher, dass du noch immer gespalten bist und etwas in deinem niederen Vital dem nachtrauert, was es verloren hat; und als sofort zu entrichtenden Preis für seine Einwilligung oder als Gegenleistung fordert es etwas Ähnliches oder Gleichwertiges im spirituellen Leben. Dein niederes Vital weigert sich, daran zu glauben, dass es eine größere Entschädigung gibt, ein größeres vitales Leben, das auf es wartet, etwas Sicheres, in dem es nicht die alte Unzulänglichkeit und Unruhe und zuletzt Unzufriedenheit gibt. Die Torheit liegt nicht bei der göttlichen Führung, sondern in dem unvernünftigen und hartnäckigen Widerstand dieses verworrenen, dunklen Teils in dir gegen die Forderung, die nicht nur dieser Yoga, sondern alle Yogasysteme erheben – gegen die Bedingungen, die erforderlich sind, damit die Sehnsucht deiner Seele und höheren Natur befriedigt werde.

Das “menschlich” vitale Bewusstsein bewegte sich immer zwischen diesen beiden Polen, dem gewöhnlichen vitalen Leben, das nicht befriedigen kann, und der Abkehr davon, der Askese. Indien ist voll durch dieses Auf und Ab gegangen, Europa beginnt wieder einmal, nach schwerer Prüfung das Versagen eines rein vitalen, egoistischen Lebens zu empfinden. Die traditionellen Yogasysteme, auf welche du anspielst, gründen auf dieser Bewegung zwischen den beiden Polen. Einerseits gehen Shankara und Buddha und die meisten anderen wenn auch nicht den gleichen Weg, so doch in diese Richtung; andererseits sind Vaishnavismus oder Tantrismus Richtungen, die Asketentum mit einer Sublimierung des vitalen Impulses zu verbinden suchen. Und wo enden sie alle? Sie fallen zum anderen Pol zurück, zu einer Überflutung durch das Vital, ja zu einer Entartung und einem Verlust ihres Geistes. Die allgemeine Tendenz heutzutage läuft auf den Versuch hinaus, einen Ausgleich zu schaffen: du hast einige Male auf die Vertreter solcher Versuche angespielt und mich dabei um meine Meinung befragt und zum Ausdruck gebracht, dass die deine ungünstig sei. Doch diese Menschen sind nicht reine Scharlatane, und wenn mit ihnen etwas nicht in Ordnung ist (was ich nicht behaupten will), dann nur dies, dass sie nicht fähig sind, dem magnetischen Sog des unteren Pols der egoistisch-vitalen Begierden-Natur nr widerstehen. Und sie sind deshalb nicht fähig zu widerstehen, da sie die wahre Kraft nicht gefunden haben, die nicht nur diesen Sog neutralisieren und Verfall und Niedergang verhindern könnte, sondern die auch die Lebenskraft und die Verkörperung in der Materie, statt sie zu zerstören und wegzuwerfen, in ihre tiefere Wahrheit umwandelte, sie nutzbar machte und ihr Genüge täte; denn dies kann nur durch die Macht des Supramentals geschehen und durch keine andere. Du spielst auf die vaishnavisch-tantrischen Traditionen an; auf Chaitanya, Ramprasad, Ramakrishna. Ich kenne sie recht gut, und wenn ich nicht versucht habe, sie nachzuahmen, dann nur, weil ich bei ihnen jene Lösung, jenen Ausgleich nicht finde, den ich suche. Dein Zitat von Ramprasad hilft mir nicht im geringsten, und es stützt auch deine These nicht. Ramprasad spricht nicht von einem verkörperten, sondern von einem körperlosen und unsichtbaren Göttlichen – oder sichtbar nur der inneren Erfahrung in feinstofflicher Form. Wenn er davon spricht, seine Forderung oder Klage der Mutter gegenüber aufrechtzuerhalten, bis sie ihn in ihren Schoß nehme, meint er keinen äußeren vitalen oder physischen Kontakt, sondern eine innere, seelische Erfahrung; genau gesagt, protestiert er dagegen, dass sie ihn in der äußeren vitalen und physischen Natur belässt, und beharrt darauf, sie müsse ihn auf die seelisch-spirituelle Ebene, in die spirituelle Einung mit ihr erheben.

All das ist gut und schön, doch es ist nicht genug; die Einung muss tatsächlich zuerst in der inneren seelisch-spirituellen Erfahrung verwirklicht werden, denn ohne sie kann nichts Vernünftiges oder Dauerndes geschehen; es muss aber auch eine Verwirklichung des Göttlichen im äußeren Bewusstsein und Leben stattfinden, auf den vitalen und physischen Ebenen, in ihrem spezifischen Ausgerichtetsein. Dies ist es, worum du bittest, ohne dass dein Mental es versteht oder weiß, wie es geschehen soll – und ebenso ich; allein ich erkenne die Notwendigkeit der vitalen Umwandlung an, während du zu denken und zu fordern scheinst, dass es ohne radikale Umwandlung geschehen soll und man das Vital belassen kann, wie es ist. Am Anfang, bevor ich das Geheimnis des Supramentals entdeckte, versuchte ich, den Ausgleich durch eine Verbindung des spirituellen Bewusstseins mit dem Vital zu finden, doch meine Erfahrung und jede Erfahrung zeigt, dass dies zu nichts Gesichertem und Endgültigem führt – es endet, wo es begann, auf halbem Weg zwischen den beiden Polen der menschlichen Natur. Eine Verbindung ist nicht genug, eine Umwandlung ist unerlässlich.

Die Tradition der späteren Vaishnava-Lehre der bhakti besteht in dem Versuch, die vitalen Impulse durch Liebe zu verfeinern, durch die Hinwendung der menschlichen Liebe zum Göttlichen. Es war eine starke und innige Bemühung mit vielen reichen und schönen Erfahrungen; doch ihre Schwäche bestand darin, dass sie nur als innere Erfahrungen in der Hinwendung zum inneren Göttlichen Gültigkeit hatten; an diesem Punkt machten sie jedoch halt. Chaitanyas Liebe, prema, war eine seelisch-göttliche Liebe mit einer sehr verfeinerten vitalen Manifestation. Doch in dem Augenblick als der Vaishnavismus vor oder nach Chaitanya den Versuch einer weiteren Veräußerlichung machte, gab es vitalen Niedergang, viel Entartung und Verfall. Du kannst Chaitanyas Beispiel nicht gegen seelische oder göttliche Liebe anführen; denn seine Liebe war nicht nur etwas vitales menschliches; sie war in ihrer Essenz, doch nicht in ihrer Form, durchaus der erste Schritt zu jener Umwandlung, die wir vom Sadhak fordern, damit dessen Liebe eine seelische werde und sein Vital nicht um seiner selbst willen, sondern als Ausdruck der Seelen-Verwirklichung gebraucht würde. Es ist der erste Schritt, und für manche mag er genügen, denn wir erwarten nicht von jedermann, supramental zu werden; doch für eine volle Manifestation auf der physischen Ebene ist das Supramental unerlässlich.

Die Sadhana der späteren Vaishnava-Tradition verläuft derart, dass die menschliche vitale Liebe in ihren hauptsächlichen Formen dem Göttlichen zugewandt wird; viraha, die Abwesenheit des Göttlichen Geliebten oder abhimāna, der verletzte Stolz, sogar eine völlige Trennung (wie Krishnas Abreise nach Mathura) werden zu den hauptsächlichen Elementen dieses Yoga gemacht. Doch all dies war nur (in der Sadhana als solcher, nicht in den Vaishnava-Gedichten) als ein Durchgang gedacht, der in milana oder der vollkommenen Einung endet; doch die Betonung der unerfreulichen Elemente schien Kampf und Trennung und abhimāna geradezu zum eigentlichen Mittel, ja zum Ziel dieser Art prema-yoga zu machen. Nochmals, dieser Weg war jedoch nur auf ein inneres, nicht ein physisch-verkörpertes Göttliches gerichtet und bezog sich auf gewisse Stadien und Reaktionen des inneren Bewusstseins in seinem Suchen nach dem Göttlichen. In den Beziehungen zur verkörperten Göttlichen Manifestation oder, wie ich vielleicht hinzufügen sollte, des Schülers zum Guru können gewisse Dinge als Ergebnis menschlicher Unvollkommenheit aufkommen, doch sind sie in der Theorie dieser Beziehungen nicht enthalten. Ich glaube nicht, dass sie zu den üblichen und befugten Beziehungen des bhakta zum Guru gehören. Im Gegenteil, die Beziehungen des Schülers zum Guru im Guruvada sollen immer die der Verehrung, des Respektes, des vollkommenen glücklichen Vertrauens, einer bedingungslosen Annahme der Führung sein. Ungewandelte vitale Beziehungen zum verkörperten Göttlichen [dem Guru] aufrechtzuerhalten, hat zu Bewegungen geführt, die dem Fortschritt im Yoga nicht förderlich sind.

Auch Ramakrishnas Yoga war nur einer inneren Verwirklichung des inneren Göttlichen zugewandt – nichts Geringerem, doch auch nichts Größerem. Ich glaube, mit Ramakrishnas Satz über den Anspruch des Sadhaks auf das Göttliche, dem er alles opfert, ist ein innerer, nicht ein äußerer Anspruch gemeint und ebenso das innere und nicht das physisch verkörperte Göttliche; es ist ein Anspruch auf die volle spirituelle Einung des Gottliebenden, der das Göttliche sucht, und ebenfalls des Göttlichen, das sich ihm gibt und ihm begegnet. Dagegen ist nichts einzuwenden; einen derartigen Anspruch stellen alle, die das Göttliche suchen, doch hat die Art und Weise dieser göttlichen Begegnung keine weitere Bedeutung für uns. Mein Ziel ist in jedem Fall eine Verwirklichung auf der physischen Ebene und nicht, Ramakrishna nur zu wiederholen. Ich glaube auch, mich zu erinnern, dass er lange Zeit in sich zurückgezogen lebte und nicht sein ganzes Leben mit seinen Schülern verbrachte. Er erlangte vielmehr seine siddhi zuerst in der Abgeschiedenheit, und als er diese aufgab und jedermann empfing, zehrte dies seinen Körper in ein paar Jahren aus. Es war ihm vermutlich gleichgültig. Er behauptete sogar als Keshav Chandra starb, dass spirituelle Erfahrung zwangsweise den Körper auszehrt. Doch als man ihn nach der Krankheit in seinem Hals fragte, antwortete er wiederum, dass es die Sünden seiner Schüler seien, die sie auf ihn geworfen hätten und die er zu schlucken habe. Da auch er mit einer bloßen inneren Befreiung nicht zufrieden war, kann ich diese Ideen oder Ergebnisse nicht hinnehmen, denn sie klingen mir nicht nach einem glücklichen Treffen des Göttlichen mit dem Sadhak auf der physischen Ebene, wie erfolgreich sie auch für das innere Leben gewesen sein mögen. Krishna tat große Dinge und war mit Sicherheit eine Manifestation des Göttlichen. Ich erinnere mich jedoch an eine Stelle im Mahabharata, wo er sich über das unruhige Leben beklagte, das seine Jünger und Bewunderer ihm verursachten, über ihre fortwährenden Forderungen und Vorwürfe, und dass sie ihre ungeläuterte vitale Natur auf ihn werfen würden. Und in der Gita spricht er von dieser menschlichen Welt als vergänglich und leidvoll und scheint trotz seiner Lehre vom göttlichen Tun beinahe zuzugeben, dass die Abkehr vom Leben schließlich die beste Lösung sei. Die Überlieferungen der Vergangenheit bedeuten viel für ihre Zeit, also für die Vergangenheit, doch sehe ich nicht ein, warum wir sie lediglich nachahmen und nicht über sie hinausgehen sollten. In der spirituellen Entwicklung des Erdbewusstseins sollte der großen Vergangenheit eine größere Zukunft folgen.

Ein Gesetz scheint ihr alle völlig zu übersehen, nämlich die Schwierigkeiten der physischen Verkörperung und der göttlichen Verwirklichung auf der physischen Ebene. Für die meisten scheint es eine einfache Alternative zwischen zwei Dingen zu sein, entweder kommt das Göttliche in seiner vollen Macht herab, und die Sache geschieht, es gibt keine Schwierigkeit, keine erforderliche Bedingung, kein Gesetz, keinen Ablauf, nur Wunder oder Magie – oder aber, dies kann nicht das Göttliche sein. Und ihr besteht alle (oder beinahe alle) darauf, dass das Göttliche Mensch werde, ein menschliches Bewusstsein annehme, und ihr protestiert gegen jeden Versuch, den Menschen göttlich zu machen. Auf der anderen Seite aber der Aufschrei der Enttäuschung, Verwirrung, des Misstrauens, gar des Unwillens, sobald es menschliche Schwierigkeiten gibt, einen angestrengten Körper, einen schwankenden Kampf mit feindlichen Mächten, mit Hindernissen, Herausforderungen und Krankheit, und manche sagen bereits: “Oh, es gibt nichts Göttliches hier”! – als könne man vital und physisch im ungewandelten individuellen menschlichen Bewusstsein bleiben, in ständig gleichbleibendem Kontakt mit ihm, seine Forderungen befriedigen und dennoch in allen Umständen und unter allen Bedingungen gegen Anstrengung, Krankheit und Kampf gefeit sein. Wenn ich das menschliche Bewusstsein vergöttlichen will, also das Supramental, das Wahrheits-Bewusstsein, das Licht und die Kraft in das Physische herabbringen will, um es umzuwandeln, um dort eine große Fülle von Wahrheit, Licht und Macht, von Wonne und Liebe zu schaffen, so ist die Reaktion Widerwille, Furcht oder Abneigung – oder auch Zweifel, ob es überhaupt möglich ist. Einerseits wird der Anspruch erhoben, dass Krankheit und das übrige unmöglich sein sollen, andererseits aber die einzige Bedingung, unter der diese Dinge unmöglich werden können, heftig zurückgewiesen. Ich weiß, dies ist die natürliche Inkonsequenz des menschlich-vitalen Mentals, das zwei entgegengesetzte und unvereinbare Dinge vereinen will; das jedoch ist ein Grund, warum es notwendig ist, den Menschen umzuwandeln und durch etwas ein wenig Lichtvolleres zu ersetzen.

Ist denn das Göttliche etwas so Schreckliches, Furchtbares oder Abstoßendes, dass die Vorstellung seines Eintritts in das Physische, die Vergöttlichung des Menschen ein derartiges Zurückweichen, eine derartige Ablehnung, Aufruhr oder Furcht erzeugt? Ich kann verstehen, dass das ungeläuterte Vital, das seinen kleinen Leiden und Freuden und dem kurzen, unwissenden Spiel des Lebens verhaftet ist, vor etwas zurückweicht, das es verändern will. Doch warum sollte ein Gott-Liebender, ein Gott-Suchender, ein Sadhak die Vergöttlichung des Bewusstseins fürchten? Warum sollte er etwas dagegen einwenden, in seiner Natur eins zu werden mit dem, den er sucht, warum sollte er vor der sādṛśya mukti [der Befreiung durch die Ähnlichkeit mit dem Göttlichen] zurückschrecken? Diese Furcht hat meist zwei Ursachen: zuerst die Ahnung des Vitals, dass es aufhören muss, dunkel zu sein, roh, schmutzig, egoistisch, spirituell ungeläutert, voller erregender Begierden, kleiner Freuden und interessanter Leiden (und es schreckt sogar vor dem Ananda zurück, der all dies ersetzen wird); und dann das Mental, das vermutlich aufgrund der asketischen Überlieferung die dunkle, unwissende Vorstellung hat, die göttliche Natur sei etwas Kaltes, Bloßes, Leeres, Strenges und Fernes und entbehre der herrlichen Fülle des egoistischen, menschlich-vitalen Lebens. Als ob es kein göttliches Vital gäbe und als ob jenes göttliche Vital nicht selbst, sobald es die Mittel erhält, sich zu manifestieren, das Leben auf Erden auch unendlich reicher an Schönheit, an Liebe, Glanz und Wärme, an Feuer, Intensität und göttlicher Leidenschaft, reicher an Aufnahmefähigkeit für die Wonne machen würde als jene gegenwärtige unfähige und leidende, durch Geringes und Vergängliches erregbare und rasch ermüdete Vitalität der noch immer so unvollkommenen menschlichen Schöpfung.

Doch, wirst du sagen, es ist nicht das Göttliche, vor dem du zurückweichst, im Gegenteil, du nimmst es an und bittest um es (vorausgesetzt, es ist nicht zu göttlich); doch du wendest dich gegen das Supramental – groß, fern, unfassbar, unnahbar, eine Art strenges, formloses nirākāra brahman. Das Supramental, auf diese Weise gesehen, ist ein Alp, der von einem Teil deines vitalen Mentals geschaffen wird, damit es sich erschrecken und seine Haltung rechtfertigen kann. Hinter dieser eigenartigen Beschreibung scheint die Vorstellung zu stehen, das Supramental sei eine neue Version des vedantischen eigenschaftslosen und unbeschreiblichen Parabrahman, weit, groß, kalt, leer, fern, herrlich, überwältigend – vielleicht nicht ganz so, da es herabzukommen vermag, doch für alle praktischen Zwecke mindestens ebenso unbrauchbar. Es ist eigenartig, dass du einerseits zugibst, nichts über das Supramental zu wissen, andererseits aber, sobald du diese Stimmung hast, nicht nur kategorisch verkündest, was es sei, sondern ausdrücklich meine diesbezügliche Erfahrung zurückweist als etwas ohne praktische Gültigkeit und für niemanden von Nutzen außer für mich selbst. Ich bin nicht darauf eingegangen und habe nur gelegentlich geantwortet, da ich zum jetzigen Zeitpunkt von dir nicht erwarte, nicht-menschlich oder göttlich zu sein, viel weniger supramental; doch da du immer wieder auf diesen Punkt zurückkommst, wenn du diese Anfechtungen hast, und ihn zum Kern oder zumindest zur Hauptstütze deiner Niedergeschlagenheit machst, bleibt mir nichts anderes übrig als darauf einzugehen. Das Supramental ist nicht groß, fern, kalt und streng; es steht weder im Gegensatz zu einer vollen vitalen und physischen Manifestation noch ist es unvereinbar mit ihr; im Gegenteil, es birgt in sich die einzige Möglichkeit der vollen Fülle vitaler Kraft und physischen Lebens auf Erden. Dies ist eine Tatsache, die mir enthüllt wurde, und deshalb bin ich ihr nachgegangen und habe ausgehalten, bis ich in Kontakt mit dem Supramental kam und fähig war, seine Macht und seinen Einfluss zu empfangen. Mein Anliegen ist die Erde, sind nicht jenseitige Welten um ihrer selbst willen; es ist eine Verwirklichung auf Erden, die ich suche, und keine Flucht zu fernen Gipfeln. Jeder andere Yoga betrachtet dieses Leben als Illusion oder als vorübergehenden Zustand; allein der supramentale Yoga betrachtet es als etwas, das vom Göttlichen für eine progressive Manifestation geschaffen wurde und die Vollendung von Leben und Körper zum Ziel hat. Das Supramental ist das Wahrheits-Bewusstsein und bringt mit seiner Herabkunft die volle Wahrheit des Lebens, die volle Wahrheit des Bewusstseins in der Materie mit sich. Man hat tatsächlich zu hohen Gipfeln aufzusteigen, um es zu erreichen, doch je höher man aufsteigt, desto mehr kann man herabbringen. Kein Zweifel, Leben und Körper dürfen nicht die unwissenden, unvollkommenen und unfähigen Instrumente bleiben, die sie jetzt noch sind; doch warum sollte eine Wandlung in vollere Lebensmacht, in vollere Körpermacht als etwas Fernes, Kaltes und Unerwünschtes erscheinen? Der äußerste Ananda, deren Körper und Leben jetzt fähig sind, ist eine kurze Erregung des vitalen Mentals, der Nerven oder Zellen, unvollkommen und schnell vergänglich; mit der supramentalen Wandlung können sich alle Zellen, Nerven, vitalen Kräfte, alle verkörperten mentalen Kräfte mit tausendfachem Ananda füllen, können einer intensiven Wonne fähig werden, die jede Beschreibung übersteigt und nicht zu verblassen braucht. Wie fern, abstoßend und unerwünscht! Die supramentale Liebe bedeutet eine innige Einheit von Seele mit Seele, von Geist mit Geist, von Leben mit Leben und ein gänzliches Überfluten des Körperbewusstseins mit der physischen Erfahrung des Einsseins, der Gegenwart des Geliebten in jedem Teil, in jeder Zelle des Körpers. Ist auch dies etwas Fernes und Großes und Unerwünschtes? Mit der supramentalen Wandlung wird genau das, worauf du bestehst, nämlich die Möglichkeit einer freien physischen Begegnung des verkörperten Göttlichen mit dem Sadhak ohne Widerstreit von Kräften und ohne unerwünschte Reaktionen möglich und gewiss und frei. Auch das ist, wie ich vermute, etwas Fernes und Unerwünschtes. Ich könnte so weitermachen, seitenlang, doch genug für heute!

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Im Supramental ist vollkommene Stille die Grundlage, und wie intensiv die Göttliche Liebe auch immer dort ist, sie stört diese Stille nicht, sondern macht ihre Tiefe tiefer. Chaitanyas Erfahrung war nicht die des Supramentals, sondern die der Liebe und Ananda, die in das Vital herabgebracht wurden – die Reaktion des vitals aber ist äußerste Leidenschaft und der höchste Jubel einer auf Gott gerichteten Liebe, eines Ananda, und von daher stammen diese Entstellungen, vikāra. Chaitanya forderte für die Radha-Erfahrung diesen Vorrang, da der Ananda über der Erfahrung des spirituellen Mentals steht; den Upanishaden gemäß ist Ananda die höchste Ebene der Erfahrung. Doch dies ist eine logische Folgerung, die nicht voll und ganz akzeptiert werden kann – man muss durch das Supramental hindurch, um zum höchsten Ananda zu gelangen, und im Supramental findet eine Einung und Harmonisierung aller göttlichen Mächte statt, sowohl von Wissen als auch von Liebe und Ananda. Verschiedene Sadhaks heben den einen oder anderen Aspekt als den höchsten hervor, die Einung aller aber muss die wahre Grundlage höchster Verwirklichung und Erfahrung sein.

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Es ist nicht notwendig, die vergangenen Formen [des Bhakti-Yoga] zu wiederholen; in unserer Sadhana besteht der eigentliche Weg darin, die bhakti des seelischen Wesens hervortreten zu lassen und ihr diejenige Form zu geben, die in der Entwicklung auf natürliche Weise erscheint.

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Es war nicht nur ich, der etwas getan hat, was die vedischen ṛṣis nicht taten. Chaitanya und die anderen entwickelten eine Intensität der Liebe, bhakti, die im Veda nicht zu finden ist – und viele andere könnten als Beispiele angeführt werden. Warum sollte die Vergangenheit die Grenze spiritueller Erfahrung darstellen?

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Nun, ich glaube nicht, dass die neue Rasse mit Hilfe oder gemäß den Richtlinien einer Logik geschaffen werden kann oder dass irgendeine Rasse es jemals wurde. Doch warum sollte die Idee der Gründung einer neuen Rasse unlogisch sein? Was die vergangenen Seher anbelangt, so stören diese mich nicht. Wenn es etwas so Erschreckendes ist, über die Erfahrungen vergangener Seher und Weiser hinauszugehen, dann hatte jeder neue Seher oder Weise dieses Erschreckende zu tun – Buddha, Shankara, Chaitanya, alle begingen diese schreckliche Tat. Und aus welchem Grund hätten sie sonst neue Philosophien, Religionen und Yogasysteme errichten sollen? Hätten sie das Leben und die Erfahrungen vergangener Seher und Weiser lediglich bestätigen und sanftmütig wiederholen sollen, ohne der Welt etwas Neues zu bringen – wozu dann all diese Aufregung? Du wirst sagen, sie erklärten einfach die alte Wahrheit in der richtigen Weise, doch würde dies bedeuten, dass sie zuvor von niemandem richtig erklärt oder verstanden wurde. Oder du kannst sagen, dass jeder der neuen Weisen (zu ihrer jeweiligen Zeit gehörten sie nicht zu X‘s geschätzten Alten), zum Beispiel Shankara, Ramanuja, Madhva, lediglich die gleiche gute alte Sache wiederholte, die all die vergangenen Seher und Weisen in unermüdlicher Monotonie vor ihnen wiederholt hatten. Nun gut, doch warum es auf solche Weise wiederholen, dass jeder “die Lüge den anderen weitergibt”? Also, diese gewaltige Ehrfurcht vor der Vergangenheit ist eine seltsame und fürchterliche Angelegenheit. Schließlich ist das Göttliche unendlich, und das Entfalten der Wahrheit kann ein unendlicher Vorgang sein oder zumindest einen gewissen Spielraum für neue Entdeckung und neue Betrachtung lassen, vielleicht sogar für neue Verwirklichung; es [das Göttliche] ist nicht in einer Nussschale eingeschlossen, die ein für alle mal vom ersten Seher aufgebrochen und ihres Inhaltes beraubt wurde, während die anderen die gleiche Nuss ehrfürchtig immer wieder knacken müssen, jeder vor Angst zitternd, dass er die “früheren” Seher und Weisen einer Lüge bezichtigt.

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Sri Krishna hatte sich nie eine physische Umwandlung zum Ziel gesetzt, daher konnte sie auch nicht von ihm erwartet werden.

Weder Buddha noch Shankara noch Ramakrishna hatten eine Vorstellung von einer Umwandlung des Körpers. Ihr Ziel war spirituelle mukti, Befreiung, und nichts sonst. Krishna lehrte Arjuna, wie er durch Werke zur Befreiung gelangen könne, doch sprach er nie von einer physischen Umwandlung.

Ich weiß nicht, ob wir dies [Yudhistiras leiblichen Eintritt in das himmlische Königreich im Himalaya] als historische Tatsache ansehen können. Svarga ist nicht irgendwo im Himalaya, es ist eine andere Welt auf einer anderen Ebene des Bewusstseins und der Substanz. Was immer diese Geschichte bedeuten mag, sie hat mit der Frage der physischen Umwandlung auf Erden nichts zu tun.

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Ramakrishna dachte nie an eine Umwandlung und versuchte auch nie, diese zu erreichen. Alles, was er erstrebte, war bhakti, Liebe ftir die Mutter, und über diese Liebe erhielt er alles Wissen von ihr und tat, was immer sie ihn tun hieß. Er [sein Bewusstseinszustand] war von Anfang an intuitiv und seelisch und wurde es im Maße seines Fortschreitens immer mehr. Für ihn bestand keine Notwendigkeit einer Umwandlung, wie wir sie suchen; denn wenn er auch vom göttlichen Menschen sprach (Ishvarakoti), der die Stufen sowohl herabsteigt als auch emporsteigt, dachte er weder an ein neues Bewusstsein noch an eine neue Rasse noch an die göttliche Manifestation in der Erd-Natur.

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Was immer auch Chaitanya oder Ramalingam erlebten, durch welche physische Umwandlung auch immer sie gegangen sein mögen, für das Ziel, den Körper zu supramentalisieren, ist das belanglos. Ihr neuer Körper war entweder ein nicht-physischer oder ein feinstofflicher Körper und für das Leben auf Erden nicht geeignet. Wäre dies nicht der Fall gewesen, dann wären sie nicht einfach verschwunden. Das Ziel der Supramentalisierung ist ein Leib, der geeignet ist, das physische Bewusstsein auf Erden zu verkörpern und auszudrücken solange man sich im physischen Leben befindet. Sie ist ein Schritt in der spirituellen Evolution auf Erden und nicht ein Schritt auf dem Weg zu einer überphysischen Welt. Die Supramentalisierung ist der schwierigste Teil der Wandlung, die der supramentale Yoga zu erreichen hat, und alles hängt davon ab, ob eine ausreichende Veränderung im gegenwärtigen Bewusstsein für einen solchen Schritt möglich ist; die Art des Schrittes aber ist von derjenigen, auf die andere Yogasysteme zielen, verschieden. Daher haben solche Diskussionen keinen großen Wert. Zuerst müssen das Mental, das Vital und das physische Bewusstsein im allgemeinen supramentalisiert werden, dann kann man an die Supramentalisierung des Körpers denken. Als erstes muss die seelische und spirituelle Umwandlung erfolgen, und dann erst hat es Wert oder Nutzen, die Supramentalisierung des ganzen Wesens bis hinab in den Körper zu erörtern.

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Mit göttlicher Verwirklichung meine ich die spirituelle Verwirklichung, die Verwirklichung des Selbstes, Bhagvan oder Brahman, auf der mental-spirituellen Ebene oder aber der obermentalen Ebene. Dies ist etwas (zumindest das Mental-Spirituelle), das Tausende erreichten. Es ist also ganz offensichtlich einfacher zu erlangen als das Supramental. Es kann auch niemand die supramentale Verwirklichung erlangen, der nicht die spirituelle erlangte. Es stimmt, dass keine von beiden wirkungsvoll erreicht werden kann, wenn nicht das ganze Wesen diesem Ziel voll zugewandt ist, wenn nicht ein wahrhafter und sehr ernsthafter Geist und eine dynamische Realität der Sadhana zugrundeliegen... Es stimmt, ich will das Supramental nicht für mich, sondern für die Erde und die Seelen hier auf Erden, und aus diesem Grund habe ich natürlich nichts dagegen einzuwenden, wenn jemand das Supramental erreichen will. Doch es gibt Bedingungen. Zuerst muss man den göttlichen Willen annehmen, man muss die Hingabe der Seele und die spirituelle Verwirklichung (durch Werke, bhakti, Wissen, Selbst-Vervollkommnung) wollen.

Die innere Aufrichtigkeit ist das erste, und sie genügt zur Unterstützung des Strebens; zur Erfüllung des Strebens aber ist eine totale Wahrhaftigkeit erforderlich...

Es gibt verschiedene Stadien des Göttlichen Bewusstseins (avasthā). Es gibt ebenfalls verschiedene Stadien der Umwandlung. Zuerst findet die seelische Umwandlung statt, in der über das individuelle seelische Bewusstsein alles in Fühlung mit dem Göttlichen ist. Das nächste ist die spirituelle Umwandlung, in der alles im kosmischen Bewusstsein mit dem Göttlichen verschmilzt. Das dritte ist die supramentale Umwandlung, in der alles im göttlich-gnostischen Bewusstsein supramentalisiert wird. Erst in letzterem kann die vollkommene Umwandlung von Mental, Leben und Körper beginnen – so wie ich Vollkommenheit auffasse.

Du bist in zweierlei Hinsicht im Irrtum. Erstens, die Bemühung um dieses Ziel ist nicht neu; einige Yogis haben es erreicht – ich bin jedenfalls dieser Meinung –, doch nicht in der Weise, wie ich es will. Sie erreichten es als persönliche Vollendung, siddhi, mit Hilfe der durch den Yoga gewonnen okkulten Macht, Yoga-siddhi, und nicht als dharma der Natur. Zweitens, die supramentale Umwandlung ist nicht das gleiche wie die spirituell-mentale. Es ist eine Wandlung von Mental, Leben und Körper, welche durch die mentale und obermental-spirituelle nicht erreicht werden kann. Alle, die du erwähnst, waren auf verschiedene Weise spirituell. Krishnas Mental zum Beispiel war ein obermentales, Ramakrishnas ein intuitives, Chaitanyas Mental war spirituell-seelisch, Buddha besaß ein erleuchtetes höheres Mental. Über B. G. weiß ich nicht Bescheid, er scheint zwar brillant, doch ziemlich chaotisch gewesen zu sein. Alles dies ist vom Supramental ganz verschieden. Oder nimm zum Beispiel das Vital der paramahaṃsa, jener, die Befreiung fanden. Man sagt, ihr Vital sei entweder das eines Kindes (Ramakrishna) gewesen oder das eines Verrückten, eines Dämons, oder aber stumpf. Nun, in all dem ist nichts Supramentales.

Man kann ein geeignetes Instrument des Göttlichen in jeder der Umwandlungen sein. Die Frage ist, ein Instrument für welchen Zweck?

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Der paramahaṃsa ist ein bestimmter Grad der Verwirklichung, es gibt andere darüber oder darunter. Ich habe dort, wo sie hingehören, nichts gegen sie einzuwenden. Doch muss ich dich daran erinnern, dass in meinem Yoga alle vitalen Regungen unter den Einfluss der Seele und der spirituellen Stille, des spirituellen Wissens und Friedens zu kommen haben. Denn wenn diese mit der seelischen oder spirituellen Kontrolle in Widerspruch stehen, stören sie das Gleichgewicht und verhindern, dass sich die Grundlage der Umwandlung bildet. Möglicherweise ist Unausgeglichenheit für andere Pfade das Richtige; dies ist Sache derer, die ihnen folgen. Für meinen Weg ist sie nicht geeignet.

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Ich kenne außer einigen wirklich großen Yogis keinen, der seine äußere Natur tatsächlich verändert hätte. In allen Ashrams, die ich sah, waren die Menschen genau wie andere, mit Ausnahme einer gewissen moralischen Kontrolle, die einem bestimmten äußeren Tun auferlegt wurde (Nahrung, Geschlechtstrieb usw.), doch war die menschliche Natur die allgemeine Natur (wie in der Geschichte von Narad und Janaka). Es gibt in alten Yoga-Systemen sogar eine Theorie, dass die Kraft der alten Impulse, prārabdha karma, und notwendigerweise mit ihnen die bleibenden Elemente des äußeren Charakters sich nicht verändern – man erreicht lediglich die innere Verwirklichung und löst sich von ihnen ab, so dass sie beim Tode wie ein beschmutztes Gewand abfallen und der Spirit frei in das nirvāṇa eintreten kann. Unser Ziel ist eine spirituelle Wandlung, nicht eine ethische Kontrolle; dies jedoch kann allein durch innere spirituelle Zurückweisung und dann durch eine supramentale Herabkunft erfolgen.

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Ich weiß nicht, ob einige [vedische ṛṣis] in unserer Zeit zu neuer Geburt gelangten. Nach der Überlieferung der Puranas muss es viele ṛṣis gegeben haben, die weit davon entfernt waren, die Sinne und den Ärger besiegt zu haben, jitendriya jitakrodha. Es gibt aber auch viele Yogis, die sich mit der inneren Erfahrung des Selbstes begnügen und gleichzeitig den Regungen des rajas und tamas an der Oberfläche stattgeben, da sie der Meinung sind, diese werden mit dem Körper abfallen.

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Wunderbar! Die Verwirklichung des Selbstes, welche die Befreiung vom Ego mit einbezieht, das Bewusstsein des Einen in allen, die erreichte und vollzogene Transzendenz aus der universalen Unwissenheit, die feste Einung des Bewusstseins mit dem Höchsten, dem Unendlichen und Ewigen sind nichts, das zu tun lohnte oder das jemandem zu empfehlen wäre – “ist kein sehr schwieriges Stadium”.

Nichts Neues! Warum sollte etwas neu sein? Das Ziel spirituellen Suchens ist, das ewig Wahre zu finden, nicht etwas, das neu in der Zeit ist.

Wie kamst du zu dieser merkwürdigen Haltung gegenüber den alten Yogasystemen und Yogis? Ist denn die Weisheit des Veda und Tantrismus eine geringfügige, unbedeutende Sache? Haben denn die Sadhaks unseres Ashrams die Selbstverwirklichung erreicht, sind sie befreite jīvanmuktas, frei von Ego und Unwissenheit? Wenn nicht, warum sagst du dann “kein sehr schwieriges Stadium” und “es ist solch langer Prozess”?

Ich habe gesagt, dieser Yoga sei “neu”, da er auf die Integration des Göttlichen in dieser Welt, und nicht nur jenseits von ihr, und auf eine supramentale Verwirklichung ausgerichtet ist. Rechtfertigt dies jedoch eine hochmütige Verachtung der spirituellen Verwirklichung, welche so sehr das Ziel dieses Yoga wie jedes anderen ist?

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Alte Yogasysteme als etwas Einfaches, Unwichtiges und Wertloses zu verachten, oder Buddha, Yajnavalkya und andere große spirituelle Gestalten der Vergangenheit zu verachten, ist ein Absurdität.

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Warum sollte die Mutter den Yoga des Wissens ablehnen? Die Verwirklichung des Selbstes und des kosmischen Seins (ohne welche die Verwirklichung des Selbstes unvollständig ist) sind ein wesentlicher Schritt in unserem Yoga; andere Yogasysteme enden hier – für unseren Yoga ist es gleichsam erst der Anfang, das heißt, dass hier erst seine eigenen charakteristischen Verwirklichungen beginnen.

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VI. Integraler Yoga

Mit Umwandlung meine ich nicht irgendeine Umwandlung der menschlichen Natur – zum Beispiel meine ich nicht Heiligkeit oder ethische Vervollkommnung oder yogische siddhis (wie die der Tantriker) oder einen transzendenten Körper (cinmaya). Ich gebrauche das Wort Umwandlung in einem ganz bestimmten Sinne, nämlich dem einer radikalen und vollständigen Bewusstseinsveränderung, die gewissermaßen so speziell ist, dass sie einen kraftvollen und sicheren Schritt nach vorne in der spirituellen Evolution des [menschlichen] Wesens herbeiführen wird; dieser Schritt wird von größerer und höherer Art sein und ein weiteres Maß, eine umfassendere Vollständigkeit haben als jener, der getan wurde, als ein mentales Wesen erstmals in einer vitalen und stofflich-tierischen Welt erschien. Wenn etwas Geringeres als das stattfindet oder zumindest wenn ein wirklicher Beginn auf dieser Grundlage nicht gemacht wird, ein grundlegender Schritt nach vorne auf diese Vollendung zu, dann ist mein Ziel nicht erreicht. Eine teilweise Verwirklichung, etwas Vermischtes und nicht Überzeugendes entspricht nicht der Forderung, die ich an das Leben und den Yoga stelle.

Licht der Verwirklichung ist nicht das gleiche wie Herabkunft. Verwirklichung als solche wandelt nicht notwendigerweise das menschliche Wesen als Ganzes; sie vermag lediglich ein Öffnen, Erhöhen oder Weiten des Bewusstseins in seiner höchsten Erhebung herbeizuführen und auf diese Weise etwas im Purusha-Teil verwirklichen, ohne radikale Veränderung in den Teilen der Prakriti. Man kann ein Licht der Verwirklichung im spirituellen Höhepunkt des Bewusstseins erlangen, doch bleiben die Teile darunter unverändert. Ich kenne jede Menge Beispiele dieser Art. Es muss ein Herabkommen des Lichtes stattfinden, nicht nur in das Mental oder einen Teil des Mentals, sondern in das ganze Wesen bis hinunter in das Physische und darunter, bevor eine wirkliche Umwandlung stattfinden kann. Ein Licht im Mental mag spiritualisieren oder das Mental oder einen Teil des Mentals in dieser oder jener Weise wandeln, doch es muss nicht die vitale Natur verändern; ein Licht im Vital mag die vitalen Regungen läutern und weiten oder auch das vitale Wesen ruhig und reglos werden lassen, doch den Körper und das physische Bewusstsein belassen, wie sie waren, oder sie sogar träge machen und ihr Gleichgewicht stören. Und die Herabkunft des Lichtes ist nicht genug, es muss die Herabkunft des gesamten höheren Bewusstseins sein, sein Frieden, seine Macht, sein Wissen, seine Liebe, sein Ananda. Überdies, die Herabkunft mag zur Befreiung ausreichen, aber nicht zur Vervollkommnung, oder sie mag ausreichen, um eine große Veränderung im inneren Wesen herbeizuführen, während das äußere ein unvollkommenes Instrument bleibt, schwerfällig, krank und ausdruckslos. Letztlich kann die durch die Sadhana ausgelöste Umwandlung nicht vollständig sein, wenn es nicht eine Supramentalisierung des Wesens ist. Die Durchseelung ist nicht genug, sie ist nur ein Beginn; die Spiritualisierung und die Herabkunft des höheren Bewusstseins sind nicht genug, sie sind nur ein mittlerer Weg; die höchste Vollendung erfordert das Wirken des supramentalen Bewusstseins, der supramentalen Kraft. Etwas Geringeres als dies kann vom einzelnen sehr wohl als ausreichend empfunden werden, doch genügt es nicht für den entscheidenden Schritt vorwärts, den das Erd-Bewusstsein in dieser oder einer anderen Zeit tun muss.

Ich habe niemals behauptet, dass mein Yoga in all seinen Elementen etwas völlig Neues ist. Ich habe ihn den integralen Yoga genannt, was bedeutet, dass er die Essenz und viele Vorgänge alter Yogasysteme in sich aufnimmt – das Neue liegt in seinem Ziel, seinem Ausgangspunkt und der Vollständigkeit seiner Methode. In den frühen Stadien, mit denen ich mich hauptsächlich in Büchern wie “The Riddle of the World” oder “Lights on Yoga” oder in dem neuen, noch zu erscheinenden Buch11 befasse, gibt es nichts, das ihn von alten Yogasystemen unterscheiden würde, außer dem Ziel, das seiner Weite zugrundeliegt, dem Geist seiner Bewegungen und der höchsten Bedeutung, die ihm innewohnt – und auch dem Schema seiner Psychologie und ihres Wirkens; doch nachdem das in diesen Briefen weder schematisch noch systematisch entwickelt werden konnte, wurde es von jenen nicht erfasst, die nicht schon damit vertraut waren dadurch dass sie sich mental oder durch ein gewisses Maß an Praxis damit auseinandergesetzt haben. Über die Einzelheiten oder die Methode der späteren Stadien des Yoga, die in wenig bekannte oder betretene Regionen führen, habe ich nichts veröffentlicht und beabsichtige gegenwärtig auch nicht, dies zu tun.

Ich weiß sehr wohl, dass es scheinbar ähnliche Ideale und Erwartungen gab – die Vervollkommnung der Menschheit, gewisse tantrische Sadhanas, die Bemühung um vollkommene physische siddhi bestimmter Yoga-Schulen usw. Ich habe diese Dinge erwähnt und dabei die Ansicht vertreten, dass die spirituelle Vergangenheit der Menschheit eine Vorbereitung der Natur nicht nur zur Erlangung des Göttlichen jenseits der Welt gewesen ist, sondern ebenfalls auf diesen nach vorwärts gerichteten Schritt, den die Evolution des Erdbewusstseins noch zu machen hat. Es interessiert mich aus diesem Grund nicht im geringsten – obwohl diese Ideale bis zu einem gewissen Grad den meinen gleichen, wenn sie auch nicht mit ihnen identisch sind –, ob dieser Yoga, sein Ziel und seine Methode als etwas Neues angesehen werden oder nicht; das ist als solches unbedeutend. Das einzig Wichtige ist, dass er in sich als wahr von denjenigen erkannt wird, die ihn annehmen oder ausüben oder selber durch ihre Verwirklichung wahr machen; es spielt keine Rolle, ob er als neu bezeichnet wird oder als Wiederbelebung und Wiederholung des alten, das vergessen war. Ich habe ihn in einem Brief an einige Sadhaks als neu bezeichnet, um ihnen zu erklären, dass eine Wiederholung des Ziels und der Idee alter Yogasysteme in meinen Augen nicht genüge, weshalb ich etwas zu Erreichendes aufgezeigt habe, das bislang noch nicht erreicht und noch nicht klar erkannt wurde, obwohl es das Natürliche, wenn auch noch verborgene Ziel des ganzen vergangenen Strebens gewesen ist.

Mein Yoga ist, verglichen mit alten Yogasystemen, insofern neu:

1) Weil er nicht auf eine Abkehr von der Welt und dem Leben um des Himmels und nirvāṇa willen zielt, sondern auf eine Wandlung des Lebens und Daseins, und dies nicht als etwas untergeordnetes oder Zufälliges, sondern als deutliches und im Mittelpunkt stehendes Ziel. Wenn es ein Herabkommen in anderen Yogasystemen gibt, so ist dies lediglich ein Zufall auf dem Weg oder etwas, das sich aus dem Aufsteigen [des Bewusstseins] ergibt – das Aufsteigen jedoch ist [dort] das Ziel. Hier ist das Aufsteigen der erste Schritt, es ist ein Hilfsmittel für das Herabkommen. Stempel und Siegel dieser Sadhana ist das Herabkommen des neuen Bewusstseins, das durch das Aufsteigen erreicht wird. Selbst Tantrismus und Vishnuismus enden in der Befreiung vom Leben; hier ist das Ziel die göttliche Erfüllung des Lebens.

2) Weil das Ziel, nach dem gesucht wird, nicht eine individuelle Verwirklichung des Göttlichen zum Heile des einzelnen ist, sondern etwas, das für das Erdbewusstsein hier gewonnen werden muss, eine kosmische, nicht allein eine überkosmische Verwirklichung. Das zu Gewinnende ist das Einbringen einer neuen Bewusstseins-Macht (der des Supramentals), die bislang noch nicht in der Erdnatur geformt und direkt tätig wurde, nicht einmal im spirituellen Leben, die also noch geformt und unmittelbar wirksam gemacht werden muss.

3) Weil eine Methode zur Erreichung dieses Ziels erarbeitet wurde, die so total und umfassend ist, wie dieses Ziel selbst, nämlich die gänzliche und integrale Wandlung des Bewusstseins und der [menschlichen] Natur; sie greift zwar alte Methoden auf, doch nur als Teilaspekt und augenblickliche Unterstützung anderer [Methoden], die sich von diesen unterscheiden. Ich habe in alten Yogasystemen diese Methode (in ihrer Ganzheit) oder etwas Ähnliches weder verkündet noch verwirklicht gesehen. Wäre dem nicht so, hätte ich meine Zeit nicht damit vergeudet, in dreißigjähriger Suche und innerer Schöpfung einen Pfad auszuhauen, wenn ich statt dessen sicher zu meinem Ziel hätte heimeilen können, leichten Galopps, auf Wegen, die bereits gebahnt wurden, ausgetreten, kartographiert, asphaltiert, gesichert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Unser Yoga ist kein alter Pfad, sondern ein spirituelles Abenteuer.

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Ich meinte damit das Herabkommen des supramentalen Bewusstseins auf die Erde; alle Wahrheiten unterhalb des Supramentals (selbst jene der höchsten spirituellen auf der mentalen Ebene, welche die höchste ist, die sich bislang manifestierte) sind teilweise oder relative Wahrheiten oder auf andere Weise ungenügend und nicht fähig, das Erdenleben umzuwandeln; sie können es bestenfalls modifizieren oder beeinflussen. Das Supramental ist das weite Wahrheits-Bewusstsein, von dem die alten Seher sprachen; zuweilen gelang es, einen Schimmer von ihm zu erhaschen, sei es als indirekte Einwirkung oder als Druck, doch wurde es nicht in das Erdbewusstsein herabgebracht und dort gefestigt. Es daher herabzubringen, ist das Ziel unseres Yoga.

Es ist besser, keine unfruchtbaren intellektuellen Diskussionen zu beginnen. Das intellektuelle Mental kann sich nicht einmal vorstellen, was das Supramental ist; warum also sollte man es über etwas diskutieren lassen, das es nicht kennt? Nicht durch Argumentation, sondern durch ununterbrochene Erfahrung, durch Wachsen des Bewusstseins, durch Weiten in das Licht vermag man jene höheren Bewusstseinsebenen über dem Verstand zu erreichen, von denen man dann zur Göttlichen Gnosis aufblicken kann. Diese Ebenen sind noch nicht das Supramental, doch können sie etwas von seinem Wissen empfangen.

Die vedischen rsis erlangten das Supramental niemals für die Erde oder versuchten es vielleicht gar nicht einmal. Sie versuchten, einzeln die supramentale Ebene zu erreichen, doch sie brachten diese nicht herab, um sie zu einem dauernden Bestandteil des Erdbewusstseins zu machen. Es gibt sogar Verse in den Upanishaden, in denen angedeutet ist, dass es unmöglich sei, die Pforten der Sonne (Symbol des Supramentals) zu durchschreiten und dennoch den Erdkörper zu bewahren. Dieses Misslingen war der Grund, weshalb das spirituelle Streben Indiens im Mayavada gipfelte. Unser Yoga besteht aus einer doppelten Bewegung, dem Aufsteigen und dem Herabkommen; man erhebt sich zu immer höheren Ebenen des Bewusstseins, doch zur gleichen Zeit bringt man ihre Macht nicht nur in Mental und Leben herab, sondern schließlich sogar in den Körper. Die höchste dieser Ebenen, diejenige, die unser Ziel ist, ist das Supramental. Erst wenn diese herabgebracht werden kann, ist eine göttliche Umwandlung im Erdbewusstsein möglich.

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Ich weiß nicht, ob einige von ihnen [den vedischen ṛṣis] die supramentale Ebene erreichten, doch war der Aufstieg dorthin ihr Ziel. Svar bedeutet offensichtlich die erleuchteten Bereiche des Mentals zwischen dem Supramental und dem menschlichen Verstand, die von den Strahlen der Sonne gebildet werden. Wie es in den Upanishaden heißt, kehren jene, die in die Strahlen der Sonne aufsteigen, zurück, doch jene, die in die Sonne selbst aufsteigen, kehren nicht zurück. Man sah also einen Aufstieg zum Supramental als möglich an, doch sein Herabkommen und seine Formung auf Erden wurden nicht erwogen. Die Wiedergeburt jener ṛṣis soll nicht unsere Sorge sein; ich vermute, sie werden wiederkommen, wenn sie gebraucht werden.

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Es ist durchaus möglich, dass sich der śloka auf ein Aufsteigen in höhere Welten der Glückseligkeit und des Lichtes bezieht, und dies kann man eine Befreiung oder Erlösung nennen. In späterer Zeit setzte sich die Vorstellung durch, dass die Rückkehr aus all diesen höheren Welten unvermeidlich sei und nur die Erlösung vom kosmischen Dasein zur mukti führe. Die vedischen ṛṣis scheinen einen Aufstieg in eine lichthafte Welt oder einen Zustand jenseits von Falschheit und Unwissenheit als möglich erkannt zu haben. In den Upanishaden ist die Sonne das Symbol der supramentalen Wahrheit, und man sagt, dass jene, die in sie eingehen, zurückkehren können, doch jene, die durch die Pforten der Sonne selbst schreiten, nicht zurückkehren; möglicherweise bedeutet dies, dass ein Aufsteigen in das Supramental, das über dem goldenen Lid des Obermentals liegt, die endgültige Befreiung ist. Der Veda spricht von der Wahrheit, die von einer Wahrheit verhüllt wird, dort wo die Sonne die Pferde von ihrem Wagen abschirrt und Myriaden von Strahlen in einen zusammenfließen – und dies wurde als das Ziel erkannt. Die Isha-Upanishad spricht ebenfalls vom goldenen Lid, welches das Gesicht der Wahrheit verbirgt und durch dessen Beseitigung das Gesetz der Wahrheit erkannt wird; das höchste Wissen, in welchem man den einen Purusha (so‘hamasmi) erkennt, wird als die “kalyāṇatama” – Form der Sonne beschrieben. All dies scheint sich auf die supramentalen Bereiche zu beziehen, deren Symbol die Sonne ist.

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Die vedischen ṛṣis waren Mystiker des althergebrachten Typs, die überall, in Indien, Griechenland, Ägypten und anderswo die geheimen Wahrheiten und Methoden, die sie kannten, als etwas sehr Heiliges und Geheimes bewahrten, als etwas dem Unberufenen nicht zu Offenbarendes, der es missverstehen, falsch anwenden und missbrauchen und dadurch das Wissen mindern würde. Ihre Schriften waren aus diesem Grunde so verhüllt, dass sie in ihrer geheimen Bedeutung allein dem Eingeweihten verständlich waren, niṇyā vacāṃsi nivacanāni (Rig Veda IV.3.16) – verschlüsselte Worte, deren Bedeutung nur der Seher erkennt. Sie hatten eine sichtbare, äußerliche und religiöse Bedeutung für das Volk, für die Eingeweihten dagegen waren sie esoterisch, okkult und spirituell. Es war Absicht, dass die Menschen die eigentliche Wahrheit nicht erkennen sollten, sondern nur die äußeren Wahrheiten, für die sie reif waren.

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Der grundlegende Unterschied liegt in der Lehre, dass es eine dynamische göttliche Wahrheit gibt (das Supramental), die in die gegenwärtige Welt der Unwissenheit herabkommen, ein neues Wahrheits-Bewusstsein schaffen und das Leben vergöttlichen kann. Die alten Yogasysteme erreichten das absolute Göttliche direkt vom Mental und betrachteten das ganze dynamische Sein als Unwissenheit, als Illusion oder līlā; wenn du in die statische und unveränderliche Göttliche Wahrheit eintrittst, so sagen sie, verläßt du das kosmische Dasein.

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Dieser Yoga hat eine bewusste Einung mit dem Göttlichen im Supramental und die Umwandlung der menschlichen Natur zum Ziel. Die gewöhnlichen Yogasysteme erreichen direkt vom Mental aus einen eigenschaftslosen Zustand kosmischer Stille und versuchen, sich nach oben im Höchsten zu verlieren. Das Ziel dieses Yoga ist, das Mental zu übersteigen und in die sowohl statische als auch dynamische Göttliche Wahrheit des Sachchidananda einzutreten und schließlich das ganze Wesen zu jener Wahrheit zu erheben.

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Göttliche Einung, ja – doch für die Schulen der Asketen war es die Einung mit dem eigenschaftslosen Brahman, dem Unerkennbaren jenseits des Daseins, oder, falls es die Einung mit dem Ishvara war, dann mit dem Ishvara in einem überkosmischen Bewusstseins. Aus dieser Sicht gesehen besteht Patanjalis Aphorismus zu Recht (yogaścittavṛttinirodhaḥ12). Wenn er Yoga sagt, meint er das Ziel, das im Verlauf des Yoga-Vorgangs im Auge behalten werden muss – denn durch die Beendigung der cittavṛtti erreicht man den samādhi-Zustand, und samādhi ist die einzige Möglichkeit der alleinigen und vollständigen Einung mit dem Brahman jenseits des Daseins.

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In früheren Yogasystemen war die Erfahrung, die gesucht wurde, die des Spirits, der immer frei und eins mit dem Göttlichen ist. Die menschliche Natur hatte sich nur genügend zu wandeln, damit sie für jenes Wissen und jene Erfahrung kein Hindernis darstellte. Die vollkommene Veränderung bis hinunter ins Physische wurde nur von wenigen gesucht und dann hauptsächlich als siddhi, nicht als Manifestation einer neuen Natur im Erdbewusstsein.

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Es gibt viele Ebenen über dem menschlichen Mental – das Supramental ist nicht die einzige –, und auf allen kann das Selbst verwirklicht werden, denn alle sind spirituelle Ebenen.

Mental, Vital und das Physische sind im Oberflächenbewusstsein unentwirrbar miteinander verflochten – das innere Mental, das innere Vital, das innere Physische hingegen sind voneinander getrennt. Diejenigen, die das Selbst mit Hilfe der alten Yogasysteme suchen, lösen sich vom Mental, Leben und Körper ab und verwirklichen das Selbst als etwas von diesen Dingen Verschiedenes. Es ist durchaus möglich, das Mental, das Vital und das Physische ohne Hilfe des Supramentals voneinander zu trennen. Dies geschieht durch die üblichen Yogasysteme. Der Unterschied zwischen unserem Yoga und den alten Yogasystemen besteht nicht darin, dass jene unzulänglich oder unfähig wären diese Dinge durchzuführen – sie sind hierzu durchaus in der Lage –, sondern dass sie von der Verwirklichung des Selbstes zum nirvāṇa fortschreiten oder zu irgendeinem Himmel und sich vom Leben abwenden, während dieser Yoga sich vom Leben nicht abwendet. Das Supramental ist für die Umwandlung des Lebens und Seins der Erde erforderlich, aber nicht um nur das Selbst zu erreichen. Zuerst hat man das Selbst zu verwirklichen, dann kann man das Supramental verwirklichen.

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Man kann die Erfahrung jeder Sadhana als einen Teil unserer Sadhana haben.

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Die Verwirklichung des Spirits findet lange vor der Entfaltung des Obermentals oder Supramentals statt; zu allen Zeiten erreichten Hunderte von Sadhaks die Verwirklichung des Atman auf den höheren mentalen Ebenen, buddheḥ parataḥ, doch nicht die supramentale Verwirklichung. Man kann eine teilweise Verwirklichung des Selbstes oder Spirits oder des Göttlichen auf jeder Ebene erlangen, sowohl der mentalen, vitalen als sogar auch der physischen; aber sobald man sich über die gewöhnliche mentale Ebene des Menschen in ein höheres und weiteres Mental erhebt, beginnt das Selbst sich in seiner ganzen bewussten Weite zu zeigen.

Ist man einmal voll in diese Weite des Selbstes eingetreten, wird die Beendigung der mentalen Aktivität möglich; man erlangt die innere Stille. Diese innere Stille kann dann anhalten selbst bei jeder Art von Tätigkeit; das Wesen bleibt innerlich still, die Tätigkeit nimmt ihren Fortgang in den Instrumenten, und alle erforderliche Anweisung und Durchführung einer Tat, sei es mental, vital oder physisch, empfängt man von einem höheren Ursprung, ohne dass der grundlegende Frieden und die Stille des Spirits gestört werden.

Die obermentalen und supramentalen Stadien sind etwas noch Höheres als dies; doch bevor man sie verstehen kann, muss man erst zur Selbst-Verwirklichung gelangen, zur vollen Tätigkeit des spiritualisierten Mentals und Herzens, zum seelischen Erwachen, zur Befreiung des gefesselten Bewusstseins, zur Läuterung und völligen Öffnung des ādhāra. Denke jetzt nicht an derartige höchste Dinge (Obermental, Supramental), sondern erreiche erst diese Grundlagen einer befreiten Natur!

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Spiritualisierung bedeutet die Herabkunft des höheren Friedens, der Kraft, des Lichtes, des Wissens, der Reinheit, des ānanda usw., die auf jeder der höheren Ebenen, vom Höheren Mental bis zum Obermental, zu finden sind, denn auf jeder von ihnen kann das Selbst verwirklicht werden. Dies führt zu einer subjektiven Umwandlung; die instrumentale Natur wird nur insoweit umgewandelt, dass sie zu einem Instrument des Kosmisch-Göttlichen wird, damit eine Arbeit geschieht; doch das Selbst zuinnerst bleibt ruhig und frei und mit dem Göttlichen geeint. Doch dies ist eine unvollkommene, individuelle Umwandlung – die volle Umwandlung der instrumentalen Natur kann erst mit der supramentalen Wandlung stattfinden. Bis dahin bleibt die menschliche Natur mit vielen Unvollkommenheiten behaftet, doch das Selbst auf den höheren Ebenen nimmt sie nicht wahr, da es in sich frei und unberührt ist. Auch das innere Wesen bis hinunter zum inneren Physischen kann frei und unbeeinflussbar werden. Das Obermental ist noch an Begrenzungen in der Ausübung eines wirksamen Wissens gebunden, an Begrenzungen im Wirken der Macht und abhängig von einer teilweisen und begrenzten Wahrheit usw. Erst im Supramental tritt das volle Wahrheits-Bewusstsein in Erscheinung.

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Im wahren Bewusstsein zu leben heißt, in einem Bewusstsein zu leben, in dem man sich auf die eine oder andere Weise spirituell im Einssein mit dem Göttlichen befindet. Doch so zu leben heißt nicht, dass man damit die vollständige, genaue und untrügliche Wahrheit allen Tuns, aller Dinge und aller Personen besitzt.

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Das Göttliche kann auf jeder Ebene entsprechend ihren Möglichkeiten verwirklicht werden, denn das Göttliche ist überall. Yogis und Heilige verwirklichen das Göttliche auf der spiritualisierten Mental-Ebene; das bedeutet aber nicht, dass sie supramental werden.

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Reicht die Tatsache, dass er ein bedeutender Mann ist, dazu aus, dass alles, was er denkt und sagt, richtig ist? Oder bist du der Meinung, da er im Licht lebt, müsse dieses Licht absolut und vollständig sein? Das “Wahrheits-Bewusstseins” ist ein Ausdruck, den ich für das Supramental benütze. X hat das Supramental nicht erreicht. Er mag ein wahres Bewusstsein haben oder hat es sogar – doch das ist etwas anderes.

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Vielleicht bist du der gleichen Meinung wie X: “Das Göttliche ist hier;warum sollte es von irgendwoher herabkommen?” ! Das Göttliche mag hier sein, doch hat es sein Licht hier mit der Finsternis der Unwissenheit und seinen Ananda mit Leiden verhüllt, und ich möchte meinen, dass dies einen großen Unterschied für die [Erd-] Ebene ausmacht, und selbst wenn man in jenes versiegelte Licht einzutreten vermag, ist es zwar von großer Bedeutung für das Bewusstsein, jedoch nicht für die Energie, die auf dieser [Erd-] Ebene wirkt und die einen dunklen und vermischen Charakter behält.

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Die Göttliche Kraft kann auf jeder Ebene wirken, sie ist nicht an die supramentale Kraft gebunden. Das Supramental ist nur ein Aspekt der Macht des Göttlichen.

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Der Sadhak des integralen Yoga, der bei der Verwirklichung des Unpersönlichen halt macht, ist nicht länger ein Sadhak des integralen Yoga. Die Verwirklichung des Unpersönlichen ist die Verwirklichung des schweigenden Selbstes, des reinen Daseins, Bewusstseins und der Seligkeit ohne Wahrnehmung eines Daseienden, Bewussten, Seligen. Aus diesem Grund führt sie zu nirvāṇa der integralen Erkenntnis ist die Verwirklichung des Selbstes und des unpersönlichen Sachchidananda nur ein Schritt, obwohl ein sehr wichtiger Schritt – oder sie ist ein Teil der integralen Erkenntnis. Sie ist der Beginn, doch nicht das Ende der höchsten Verwirklichung.

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Diese Gefühle kennzeichnen die übliche Haltung des sich selbst überlassenen physischen Bewusstseins gegenüber dem Göttlichen – vollkommener Agnostizismus und keiner Erfahrung fähig.

Die Erkenntnis des unpersönlichen Göttlichen als solches berührt nicht die stofflichen Dinge der Erde oder braucht sie zumindest nicht zu berühren. Sie bringt lediglich eine subjektive Wandlung im Wesen selbst zustande und, wenn sie vollständig ist, auch eine neue Sicht und Einstellung gegenüber allen Dingen, unstofflich oder stofflich. Die vollkommene Erkenntnis des Göttlichen jedoch kann eine Veränderung in den stofflichen Dingen bewirken, denn sie setzt eine Kraft in Tätigkeit, die am Ende auf diese stofflichen Dinge einwirkt, die dem physischen Bewusstsein als so absolut, unüberwindlich und unwandelbar erscheinen.

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Warum sollte man es [das Kosmische und Transzendente Göttliche] nicht lieben oder erfahren können? Viele haben es getan. Und warum nimmst du an, Es sei reglos, schweigend und fern? Das Kosmische Göttliche kann einem so nahe sein wie das eigene Selbst und das Transzendente so vertraut wie der nächste Freund oder Liebende. Nur für das physische Bewusstsein besteht einige Schwierigkeit, dies zu erkennen.

Die Jain-Verwirklichung einer individuellen Gottheit ist, so weit sie reicht, in Ordnung – ihr Mangel ist, dass sie zu individuell und isoliert ist.

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Ich habe niemals gehört, dass in anderen Yogasystemen die Stille herabkommt – das Mental tritt vielmehr in die Stille ein. Seit ich jedoch über ein Aufsteigen und ein Herabkommen schrieb, wurde mir immer wieder mitgeteilt, dass es in meinem Yoga nichts Neues gäbe. Ich frage mich daher, ob die Menschen dieses Aufsteigen und Herabkommen erlebten, ohne es zu erkennen oder zumindest ohne den Vorgang zu bemerken. Genauso war es mit dem Aufsteigen des Bewusstseins über den Kopf und seiner Verankerung dort, das ich und andere in diesem Yoga erfuhren. Als ich zuerst davon sprach, wunderten sich die Menschen und dachten, es sei Unsinn. Die Weite muss auch in den alten Yogasystemen gefühlt worden sein, sonst hätte man das Universum nicht in sich wahrnehmen oder sich vom Körperbewusstsein lösen oder sich mit dem Unendlichen Brahman – anantaṃ brahma – einen können. Allgemein aber spricht man wie im tantrischen Yoga von dem Bewusstsein, das zum brahmarandhra aufsteigt, zum höchsten Punkt des Kopfes. Der Rajayoga hingegen betont den samādhi-Zustand als Mittel der höchsten Erfahrung. Doch ganz offensichtlich hat, solange man nicht brāhmī sthiti – den Brahmanzustand – im Wachen erreicht hat, keine vollständige Verwirklichung stattgefunden. Die Gita spricht deutlich von samāhita (welches dem samādhi-Zustand entspricht) und brāhmī sthiti als einem Wachzustand, in dem man lebt und alle Tätigkeit tut.

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Ich erkläre mir die fehlende Erfahrung des Herabkommens damit, dass die alten Yogasysteme hauptsächlich auf die seelisch-spirituell-okkulte Erfahrungsebene begrenzt waren – auf welcher die höheren Erfahrungen in das stille Mental oder das gesammelte Herz durch eine Art Filtrierung oder Widerspiegelung gelangten – der Bereich dieser Erfahrung erstreckt sich vom brahmarandhra abwärts. Die Menschen haben sich nur im samādhi-Zustand darüber erhoben oder in einem Zustand statischer mukti, wobei jede dynamische Herabkunft fehlte. Alles Dynamische fand im Bereich des spiritualisierten Mentals und des vital-physischen Bewusstseins statt. In diesem Yoga erhebt sich das Bewusstsein (nachdem der untere Bereich durch eine gewisse seelisch-spirituell-okkulte Erfahrung vorbereitet wurde) über den brahmarandhra zu den Bereichen darüber, die dem eigentlichen spirituellen Bewusstsein angehören, und anstatt nur von dort zu empfangen, muss es dort leben und von dort das untere Bewusstsein insgesamt verändern. Denn dort gibt es eine Dynamik des spirituellen Bewusstseins, dessen Natur Licht ist, Macht, Ananda, Frieden, Wissen, unendliche Weite; und all das muss erlangt werden und in das ganze Wesen herabkommen; andernfalls kann man wohl mukti erreichen, doch nicht Vervollkommnung oder Umwandlung (eine entsprechende seelisch-spirituelle Wandlung ausgenommen). Wenn ich dies nun ausspreche, wird sich ein großes Geschrei erheben gegen die unverzeihliche Anmaßung, ein Wissen zu beanspruchen, das die alten Weisen und Heiligen nicht besessen haben sollen, und vorzugeben, sie zu übertreffen. In diesem Zusammenhang möchte ich erwähnen, dass in den Upanishaden (besonders der Taittiriya) Andeutungen dieser höheren Ebenen und ihrer Natur zu finden sind sowie der Möglichkeit, das gesamte Bewusstsein in ihnen zu sammeln und in sie aufzusteigen. Doch dies wurde später vergessen, und man sprach nur noch von der buddhi als dem Höchsten mit dem Purusha oder Selbst unmittelbar darüber, aber eine klare Vorstellung von diesen höheren Ebenen gab es nicht. Ergo, ein Aufstieg zu unbekannten und unbeschreiblichen himmlischen Regionen im samādhi-Zustand ist möglich, doch kein Herabkommen – daher von dort auch keine Hilfe und keine Möglichkeit der Umwandlung auf Erden; nur Flucht aus dem Leben und mukti in Goloka, Brahmaloka, Sivaloka oder im Absoluten.

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Es ist durchaus möglich, dass Menschen das Herabkommen empfangen können ohne zu bemerken, dass es ein Herabkommen ist, da sie nur das Resultat wahrnehmen. Der übliche Yoga geht über das spirituelle Mental nicht hinaus – man fühlt am höchsten Punkt des Kopfes die Einung mit dem Brahman, doch ein Bewusstsein über dem Kopf nimmt man nicht wahr. In gleicher Weise fühlt man im üblichen Yoga das Aufsteigen des erwachten niederen Bewusstseins (Kundalini) zum brahmarandhra, wo die Prakriti sich mit dem Brahman-Bewusstsein verbindet, doch fühlt man kein Herabkommen. Manche mögen diese Dinge erlebt haben, doch weiß ich nicht, ob sie deren Natur, Prinzip oder Stellung in einer vollständigen Sadhana erkannten. Zumindest habe ich nie über diese Dinge von anderen gehört, bevor ich sie in meiner eigenen Erfahrung entdeckte. Der Grund hierfür ist, dass die alten Yogis, sobald sie sich über das spirituelle Mental erhoben, in den samādhi-Zustand eintraten, was bedeutet, dass sie keinen Versuch machten, auf diesen höheren Ebenen bewusst zu sein; ihr Ziel war, in das Überbewusste einzutreten und nicht das Überbewusste in das Wachbewusstsein herabzubringen, welches das Ziel meines Yoga ist.

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Im Veda gibt es nicht die Vorstellung oder Erfahrung einer persönlichen Emanation oder Inkarnation eines der vedischen Götter. Wenn die ṛṣis von Indra oder Agni oder Soma im Menschen sprechen, dann meinten sie Gott in seiner kosmischen Gegenwart, Macht oder Funktion. Das geht deutlich aus dem Gesagten selbst hervor, nämlich wenn sie von Agni als dem Unsterblichen in den Sterblichen sprechen, vom unsterblichen Licht im Menschen, vom inneren Krieger, vom Gast im menschlichen Wesen. Ebenso ist es mit Indra oder Soma. Das Erschaffen der Götter im Menschen bedeutet ein Hervorbringen göttlicher Mächte in der menschlichen Natur, zum Beispiel Indra, die Macht des Lichts, Soma, die Macht des Ananda.

Kein Zweifel, die ṛṣis fühlten die unmittelbare Gegenwart der Götter über sich, ganz nahe, um oder in sich, doch war dies eine allgemeine Erfahrung aller, nicht etwas Besonderes und Persönliches, nicht eine Emanation oder Inkarnation. Man kann die Gegenwart des Göttlichen, eine göttliche Macht über dem Kopf oder im Herzen sehen oder fühlen, oder man kann die Gegenwart in einem oder allen Zentren fühlen, die lebendige Form dort sehen; man kann davon in seinem ganzen Tun, in seinen Gedanken und Gefühlen gelenkt werden; man kann seine gesonderte Personalität in ihr verlieren, kann sich mit ihr identifizieren oder mit ihr verschmelzen. Doch all dies macht keine Inkarnation oder Emanation des Göttlichen oder der Macht aus. Solche Dinge sind universale Erfahrungen, die jeder Yogi erreichen kann; einen solchen Zustand im Hinblick auf das Göttliche zu erlangen ist sogar ein allgemeines Ziel des Yoga.

Eine Inkarnation ist etwas mehr, etwas Spezielles und Individuelles für ein individuelles Wesen. Es ist die Ersetzung der menschlichen Person durch die Person eines göttlichen Wesens und sein Eindringen in alle Regungen, wodurch diese und die gesamte menschliche Natur eine dynamisch-persönliche Wandlung erfahren; und zwar nicht nur eine Wandlung des Bewusstseins-Charakters oder eine allgemeine Überantwortung, sondern eine subtile, innere, persönliche Wandlung. Doch sogar bei einer Inkarnation von Geburt an müssen die menschlichen Elemente mit einbezogen werden, bei einem Herabkommen jedoch findet eine totale, bewusste Ersetzung statt.

Dies ist ein langer, subtiler und anhaltender Vorgang. Die sich inkarnierende Person wirft ihre Schatten zunächst als Einfluss, dann tritt sie in die Zentren, eines nach dem anderen ein, manchmal in der gleichen Form, manchmal in verschiedenen Formen, und erfasst dann die gesamte Natur und ihre Tätigkeiten. Was du beschreibst, stimmt mit diesem Vorgang nicht überein; es scheint sich um ein Bemühen zu handeln, die Götter im vedischen Sinn und auf die vedische Weise in dir zu formen. Das kann, wenn es Erfolg hat, ihre Macht und eine Empfindung ihrer Gegenwart mit sich bringen, doch kann es keine Inkarnation herbeiführen. Eine Inkarnation ist vorherbestimmt, für dich erwählt; die menschliche Person kann eine Inkarnation weder wählen noch durch ihren persönlichen Willen für sich erschaffen. Dies zu versuchen hieße, eine spirituelle Katastrophe herbeizuführen.

Eines muss gesagt werden – eine Inkarnation ist nicht das Ziel dieses Yoga; sie ist lediglich eine Gegebenheit oder ein Mittel zum Zweck Das eine und einzige Ziel, das wir vor uns haben, ist, das supramentale Bewusstsein und die supramentale Wahrheit in die Welt herabzubringen; die Wahrheit und nichts als die Wahrheit ist unser Ziel, und wenn wir die Wahrheit nicht verkörpern können, zählen hundert Inkarnationen nicht. Doch das wahre Supramental herabzubringen und allem mentalen Wirrwarr zu entkommen, ist nicht einfach. Das reine Herabkommen der Sonnen in die Zentren, selbst aller sieben Sonnen in alle sieben Zentren ist nur ein Anfang; es ist nicht die vollbrachte und beendete Sache selbst. Man mag das Herabkommen der Sonnen fühlen, man mag eine Inkarnation versuchen oder beginnen und doch am Ende scheitern, wenn sich ein Makel in der Natur findet oder man im Bestehen von Prüfungen und in der Erfüllung all der harten Bedingungen für einen vollkommenen spirituellen Erfolg versagt. Nicht nur die ganze mentale, vitale und physische Natur des unwissenden menschlichen Wesens muss überwunden und gewandelt werden, sondern auch die drei Bereiche des mentalen Bewusstseins, die zwischen dem menschlichen und supramentalen Bewusstsein liegen und die, wie das gesamte Mental, große und entscheidende Fehler zulassen können. Bis dahin mag der supramentale Einfluss herabkommen, das Licht, die Macht, der Ananda, doch die supramentale Wahrheit kann nicht in Besitz genommen und geordnet und in die gesamte menschliche Natur gebracht werden. Zuvor aber ist nicht einmal daran zu denken, das Supramental zu besitzen, denn das wäre eine Täuschung und würde die Erfüllung verhindern.

Und noch eines: je intensiver die Erfahrungen sind, je höher die Kräfte, die herabkommen, umso größer werden die Möglichkeiten des Abweichens und Irrens. Denn gerade die Intensität und Höhe der Kräfte erregen und vergrößern die Bewegungen der niederen Natur und lassen alle widersetzlichen Elemente sich in ihrer vollen Stärke erheben, häufig in der Verkleidung der Wahrheit und die Maske einer einleuchtenden Rechtfertigung tragend. Große Geduld wird benötigt, Besonnenheit, Ernsthaftigkeit, Gleichgewicht, ein unpersönliches Losgelöstsein und eine Wahrhaftigkeit, die frei von jedem Makel durch das Ego oder persönliches, menschliches Begehren ist. Es darf kein Verhaftetsein mit einer eigenen Idee geben, mit einer Erfahrung, mit irgendeiner Einbildung, mit einem mentalen Gerüst oder einem vitalen Begehren; der Lichtstrahl der Unterscheidung muss immer spielen, um diese Dinge aufzudecken, wie richtig und einleuchtend sie auch erscheinen mögen. Andernfalls wird sich die Wahrheit in ihrer Reinheit in der menschlichen Natur nicht festigen können.

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Die beschriebenen Methoden sind die gut fundierten Methoden des Jnana-Yoga. 1. Eingleisige Konzentration, der die Loslösung vom Denken folgt, 2. die Methode, das wahre Selbst zu unterscheiden oder zu entdecken, indem man es vom Mental, Leben und Körper trennt und zu dem reinen “Ich” dahinter gelangt; dieses [Selbst] kann auch in das unpersönliche Selbst eingehen. Das normale Ergebnis ist ein Eintauchen im Atman oder Brahman – womit vermutlich das Überselbst gemeint ist, denn Brahman ist das tatsächliche Überselbst. Dieser Brahman oder ātman ist überall, alles ist in ihm, er ist in allem, doch nicht als individuelles Wesen, sondern in allen gleich – so wie der Äther in allem ist. Wenn das Eintauchen im Überselbst vollendet ist, gibt es kein Ego mehr, kein erkennbares Ich, keine geformte, gesonderte Person oder Personalität. Alles ist unteilbares und nicht unterscheidbares Einssein, entweder ohne jede Gestaltung oder alle Gestaltung in sich bergend, ohne von ihr berührt zu sein. Man kann es auf beide Arten verwirklichen. Es gibt eine Verwirklichung, in der das eine Selbst alle Dinge enthält, und dieses Selbst ist unveränderlich in allen Wesen; es gibt eine andere, vollständigere und durchgreifendere Verwirklichung, in der nicht nur dies enthalten ist, sondern in der alles als das Selbst, das Brahman, das Göttliche dynamisch erkannt wird. In der ersteren kann man alle Wesen als Gebilde der Maya von sich weisen, was dann einzig das eine Selbst als wahr zurücklässt – in der anderen Verwirklichung ist es einfacher, sie [alle Wesen] als wirkliche Manifestationen des Selbstes zu betrachten, nicht als Illusionen. Doch man kann auch alle Wesen als Seelen ansehen, als unabhängige Wirklichkeiten einer ewigen Natur, die auf dem einen Göttlichen beruht. Dies sind die charakteristischen Verwirklichungen des Überselbstes im Vedanta. Andererseits aber sagst du, dass dieses Überselbst als im Herz-Zentrum befindlich verwirklicht wird, und es wird als etwas Verborgenes beschrieben, das, sobald es sich manifestiert, als der wahre Denker erscheint, die Quelle allen Tuns, jedoch Gedanken und Tat in der Wahrheit lenkend. Nun, die erste Beschreibung trifft auf den Purusha im Herzen zu, der von der Gita als der im Herzen wohnende Ishvara beschrieben wird und von den Upanishaden als der Purusha Antaratman; die zweite Beschreibung könnte man für den mentalen puruṣa, manomayaḥ prāṇa-śarīra-netā der Upanishaden anwenden, das mentale Wesen oder der mentale Purusha, der Leben und Körper leitet. Deine Frage stimmt also mit den gegebenen Tatsachen und Erfahrungen überein, doch ist alles durcheinander geworfen, ohne genügende Unterscheidung oder Abstufung, ohne notwendige Differenzierung zwischen den verschiedenen Aspekten des einen Wesens. Es gibt tausend Wege, sich dem Göttlichen zu nähern und es zu verwirklichen, und jeder Weg hat seine Erfahrungen mit eigenen Wahrheiten, die im wesentlichen eine Grundlage haben, in ihren Aspekten aber vielfältig sind, das heißt allen gemeinsam, doch nicht von allen auf die gleiche Weise ausgedrückt. Es hat nicht viel Sinn, diese Unterschiede zu diskutieren; wichtig ist, seinem eigenen Weg richtig und ernsthaft zu folgen. In diesem Yoga kann man das seelische Wesen als Teil des Göttlichen im Herzen verwirklichen – dieses seelische Wesen nimmt sich der Sadhana an und wendet die gesamte Natur dem Göttlichen und der Wahrheit zu, was Folgen im mentalen, vitalen und physischen Bewusstsein zeitigt, auf die ich hier nicht einzugehen brauche – das ist die erste Umwandlung. Als nächstes erkennen wir das eine Selbst, Brahman, das Göttliche, nicht mehr allein im Herzen, sondern über dem Körper, dem Leben und dem Mental; es stützt sie und ist einerseits als statisches Selbst frei und ungebunden über ihnen und in allem, andererseits dynamisch als das aktive Göttliche Wesen, die Göttliche Macht, Ishvara-Shakti, die sowohl die Welt in sich enthält und durchdringt als auch übersteigt und alle kosmischen Aspekte manifestiert. Doch was das Wichtigste für uns ist, sie manifestiert sich als Licht, Wissen, Macht, Reinheit, Frieden, als Ananda der Transzendenz, deren wir uns bewusst werden und die in das Wesen herabkommen und in zunehmendem Maße das gewöhnliche Bewusstsein durch ihre eigenen Bewegungen ersetzen – das ist die zweite Umwandlung. Wir verwirklichen also das Bewusstsein als nach oben steigend durch viele Ebenen, der physischen, vitalen, mentalen, obermentalen bis zur supramentalen und Ananda-Ebene. Das ist nichts Neues; in der Taittiriya-Upanishad werden fünf Purushas aufgezählt, der physische, vitale, mentale, der Wahrheits-Purusha (supramentale) und der Seligkeits-Purusha; es heißt dort, dass man das physische Selbst in das vitale Selbst zu ziehen habe, das vitale in das mentale, das mentale in das Wahrheits-Selbst, das Wahrheits-Selbst in das Seligkeits-Selbst, und so die Vollkommenheit erlangt. Doch in diesem Yoga werden wir uns nicht nur dieses Aufnehmens bewusst, sondern auch eines Herabfließens der Macht des höheren Selbstes, so dass die Möglichkeit eines Herabkommens des supramentalen Selbstes, der supramentalen Natur hinzukommt, damit sie unsere gegenwärtige menschliche Natur beherrschen und ändern und diese Natur der Unwissenheit in die Natur des Wahrheits-Wissens umwandeln kann (und über das Supramental in die Natur des Ananda) – dies ist die dritte oder supramentale Umwandlung. Es geht nicht immer in dieser Reihenfolge, denn für viele beginnt das spirituelle Herabkommen in unvollkommener Weise, bevor die Seele hervortreten und die Leitung übernehmen kann. Die seelische Entwicklung muss zuerst erfolgen, bevor ein vollkommenes und ungestörtes spirituelles Herabkommen,stattfinden kann, und die letzte oder supramentale Wandlung ist unmöglich, solange die beiden ersten nicht vollzogen sind. Das ist die ganze Angelegenheit, so kurz wie möglich dargestellt.

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Was du von mir verlangst, heißt nicht einen Brief, sondern ein ganzes Buch zu schreiben – zumal dies Dinge sind, von denen die Menschen so gut wie nichts wissen und daher nichts verstehen oder alles missverstehen würden. Eines Tages, glaube ich, werde ich etwas darüber schreiben, doch erträgt es das Supramental im Augenblick nicht, dass man von ihm spricht. Ich werde dir etwas über die spirituelle Umwandlung schreiben und den Brief mit diesem Thema beenden.

Ich möchte nicht weiter auf die Frage von M.‘s Verwirklichung eingehen. Ich sagte bereits, Vergleiche sind ohne Wert; jeder Pfad hat sein eigenes Ziel, seine Richtung und Methode, und die Wahrheit des einen entwertet nicht die Wahrheit des anderen. Das Göttliche (oder wenn du so willst das Selbst) hat viele Aspekte und kann auf vielen Wegen verwirklicht werden – diese Unterschiede hervorzuheben bringt uns nicht weiter und ist nutzlos.

Umwandlung [transformation] ist ein Wort, das von mir stammt (wie Supramental), um gewisse spirituelle Vorstellungen und Tatsachen des integralen Yoga zu formulieren. Die Menschen aber übernehmen und gebrauchen sie in einem Sinn, der nichts mit der Bedeutung zu tun hat, die ich ihnen gab. Die Läuterung der Natur durch den “Einfluss” des Spirits ist nicht das, was ich mit Umwandlung bezeichne; Läuterung ist nur ein Teil der seelischen oder einer seelisch-spirituellen Wandlung – außerdem hat das Wort viele Bedeutungen, oft mit moralischem oder ethischem Sinn, der nichts mit meinem Ziel zu tun hat. Was ich mit spiritueller Umwandlung meine, ist etwas Dynamisches (nicht nur die Befreiung des Selbstes oder die Verwirklichung des Einen, was sehr wohl ohne jedes Herabkommen erreicht werden kann). Es ist ein Annehmen des spirituellen Bewusstseins, sowohl dynamisch als auch statisch, in jedem Teil des Wesens bis hinunter ins Unterbewusste. Dies kann nicht durch den Einfluss des Selbstes geschehen, welches das Bewusstsein grundsätzlich so belässt wie es ist, wenn auch geläutert und mit einem erleuchteten Mental und Herzen und einem beruhigten Vital. Es bedeutet ein Herabbringen des Göttlichen Bewusstseins, statisch und dynamisch, in all diese Teile und die völlige Ersetzung des gegenwärtigen Bewusstseins durch jenes. Es befindet sich unverhüllt und rein über dem Mental, Leben und Körper. Die unleugbaren Erfahrungen vieler bestätigen, dass dieses herabzukommen vermag, und meine Erfahrung ist, dass nichts Geringeres als die volle Herabkunft jenen Schleier, jenes Gewirr beseitigen und die volle spirituelle Umwandlung bewirken kann. Kein metaphysisches oder logisches Schlussfolgern im Leeren, was der Atman tun muss oder kann, was er soll oder nicht soll, trifft hier zu oder hat irgendwelchen Wert. Ich möchte hinzufügen, dass diese Umwandlung nicht das eigentliche Ziel anderer Pfade ist, so wie in meinem Yoga. Diese anderen Yogasysteme verlangen nur so viel Läuterung und Wandlung, wie für die Befriedung und das jenseitige Leben notwendig sind. Der Einfluss des Atman vermag dies ohne Zweifel – und für eine spirituelle Flucht aus dem Leben ist das volle Herabkommen eines neuen Bewusstseins in die ganze menschliche Natur von oben bis unten zur Umwandlung des Lebens auf Erden ganz und gar nicht nötig.

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Das Herz, r,on dem in den Upanishaden die Rede ist, stimmt mit dem physischen Herzzentrum überein; es ist das hṛdpadma der Tantriker. Als feinstoffliches Zentrum, cakra, hat es vermutlich seinen Scheitelpunkt auf der Wirbelsäule und weitet sich nach vorne aus. Wo der eine oder andere es genau fühlt, ist nicht so wichtig; die Hauptsache ist, es zu fühlen und von ihm gelenkt zu werden. Ich vermag nicht zu sagen, was M. verwirklicht hat – doch was als das Selbst beschrieben wird, ist sicherlich dieser Purusha Antaratma, der hier jedoch eher auf mukti und ein befreites Tun ausgerichtet ist als auf die Umwandlung der Natur. Was die seelische Verwirklichung tatsächlich mit sich bringt, ist eine seelische Wandlung der Natur, die diese läutert und insgesamt dem Göttlichen zuwendet. Danach oder gleichzeitig damit erfolgt die Verwirklichung des kosmischen Selbstes.

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Diese beiden Dinge sind es, die von den alten Yogasystemen mit einbezogen wurden und mit deren Hilfe sie mokṣa, nirvāṇa oder den Eintritt in eine Art himmlischer Transzendenz erreichten. Der Yoga, der hier ausgeübt wird, umfasst sowohl die Befreiung als auch die Transzendenz, doch betrachtet er die Befreiung und selbst eine Art nirvāṇa, sofern sich dies einstellt, als einen ersten Schritt und nicht als den letzen seiner siddhi. Welchen Durchbruch zur oder auf die Transzendenz hin er auch immer erreicht, es ist ein Aufstieg, begleitet von einem Herabkommen der Macht, des Lichtes, eines erlangten Bewusstseins, und durch solche Herabkünfte kommt die spirituelle und supramentale Umwandlung hier zustande. Dies scheint in M.‘s Denken keine Zustimmung zu finden, und er sieht die Herabkunft als überflüssig und logisch unmöglich an. “Das Göttliche ist hier, von woher will es herabkommen?” ist sein Argument. Doch das Göttliche ist überall, es ist über uns und in uns, es hat viele Wohnungen, und der Bogen seiner Macht hat viele Saiten, es gibt viele Ebenen seines dynamischen Bewusstseins, und jede hat ihr eigenes Licht und ihre eigene Kraft. Es ist nicht auf seinen Ort im Herzen beschränkt oder auf ein einzelnes Wort seelisch-spiritueller Verwirklichung. Seine supramentale Bleibe ist auch über dem Herz– und Mental-Zentrum, und es kann von dort herabkommen, wenn es dies will.

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Ich glaube, Ramatirthas Verwirklichungen waren mehr mentaler Art. Sein höheres Mental hatte sich geöffnet, und er erlebte dort eine Verwirklichung des kosmischen Selbstes, doch finde ich keinen Beweis eines umgewandelten Mentals und Vitals; eine derartige Umwandlung ist weder das Ergebnis noch das Ziel des Yoga des Wissens. Die Verwirklichung des Yoga des Wissens besteht darin zu fühlen, wie man in der Weite von etwas Schweigendem lebt, etwas Eigenschaftslosem und Universalem (das Selbst genannt) und alles übrige nur als Formen und Namen erkennt; allein das Selbst und nichts anderes ist wirklich. Die Verwirklichung von “mein Selbst in anderen Formen” ist ein Teil hiervon oder ein erster Schritt, doch sollte in der vollen Verwirklichung das “mein” verschwinden, so dass es nur noch das eine Selbst gibt oder besser noch nur Brahman. Denn das Selbst ist nichts als ein subjektiver Aspekt des Brahman, so wie der Ishvara sein objektiver Aspekt ist. Das ist vedantisches “Wissen”. Sein Ergebnis ist Friede, Schweigen, Befreiung. Was die tätige Prakriti anbelangt (Mental, Vital, Körper), so ist es kein Ziel des Yoga des Wissens, diese umzuwandeln – das wäre nutzlos, da man glaubt, dass nach der Befreiung mit dem Tode alles abfallen würde. Die einzige gewünschte Veränderung ist, sich von der Vorstellung des Ego zu befreien und nur das höchste Selbst, Brahman, als wahr zu erkennen.

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Ich habe R.‘s Bücher nicht gelesen und weiß weder etwas über seine Person noch über die Ebene seiner Erfahrungen. Die Worte, die du von ihm zitierst, könnten sowohl Ausdruck eines einfachen Glaubens als auch einer pantheistischen Erfahrung sein; es ist ersichtlich, dass sie, falls sie besagen oder die These aufstellen wollen, das Göttliche sei überall und alles und dass daher alles gut, da göttlich sei, für diesen Zweck sehr unzulänglich sind. Doch als Erfahrung ist dieses Gefühl oder diese Verwirklichung etwas sehr Allgemeines in der Sadhana des Vedanta, ja es gäbe in der Tat ohne diese Erfahrung keine vedantische Sadhana. Ich selbst hatte sie auf verschiedenen Ebenen des Bewusstseins und in zahlreichen Formen, und ich kenne eine große Anzahl von Menschen, die sie in sehr überzeugender Form hatten – nicht als intellektuelle Theorie oder Wahrnehmung, sondern als spirituelle Wirklichkeit; zu konkret, um sie in Abrede zu stellen, angesichts der Widersprüche die sie für den gewöhnlichen Verstand mit sich bringen mag.

Natürlich heißt dies nicht, dass alles hier gut sei oder dass in der Einschätzung der Werte ein Bordell nicht schlechter als ein Ashram sei; es heißt vielmehr, dass alle ein Teil der einen Manifestation sind und dass sowohl im inneren Herzen der Dirne als auch des Weisen oder Heiligen das Göttliche wohnt. Und weiterhin besteht die Erfahrung darin, dass es Eine Kraft ist, die in der Welt sowohl im Guten als auch im Bösen wirkt – eine Kosmische Kraft; diese wirkt im Erfolg (oder Misserfolg) des Ashrams und im Erfolg (oder Misserfolg) des Bordells. Die Dinge dieser Welt geschehen durch die Anwendung der Kraft, doch die Art der Anwendung ist abhängig von der Natur des Anwendenden – der eine gebraucht sie für die Werke des Lichtes, der andere für die Werke der Finsternis und wieder ein anderer für beides. Ich glaube nicht, dass irgendein Vedanta-Anhänger (außer vielleicht ein sehr moderner) behaupten würde, auf Erden sei alles gut – vielmehr besteht die orthodoxe vedantische Vorstellung darin, dass alles hier ein unentwirrbares Gemisch von Gut und Böse ist, ein Spiel der Unwissenheit und daher ein Spiel der Dualitäten. Die christlichen Missionare nahmen vermutlich an, alles, was Gott tut, sei moralisch gut, so dass sie entsetzt waren über die taoistischen Priester, welche die Arbeit des Bordells durch ihre Riten stützten. Doch waren es nicht christliche Priester, die Gottes Hilfe für die Vernichtung von Menschen in der Schlacht anriefen, und sangen nicht einige das Te Deum anlässlich eines Sieges, der durch das Hinmorden von Menschen und den Hungertod von Frauen und Kindern errungen wurde? Der Taoist, der nur an das Unpersönliche Tao glaubt, ist folgerichtiger; und der Vedantin, der glaubt, der Höchste sei zwar jenseits von Gut und Böse, doch die Kosmische Kraft hier, die aus dem Höchsten stammt, wirke durch die Dualitäten und daher im Guten und im Bösen, in Freude und in Leid, dieser Vedantin hat eine Theorie, die zumindest den beiden tatsächlichen Erfahrungen des Höchsten hinreichend Rechnung trägt: einerseits Ganz Licht, Ganz Seligkeit, Ganz Schönheit, andererseits eine Welt, in der Licht und Finsternis vermischt sind, Freude und Leid, das Schöne und das Hässliche. Der Vedantin sagt, die Dualitäten kämen durch eine trennende Unwissenheit zustande, und solange du diese trennende Unwissenheit hinnimmst, vermagst du dich von ihr nicht zu befreien; es ist jedoch möglich, sich durch die Erfahrung von ihr zu lösen und die Verwirklichung des Göttlichen in allem und überall zu haben, und dann beginnst du, das Licht zu erkennen, die Seligkeit, die Schönheit hinter allem, und dies ist das einzig Wesentliche, das zu geschehen hat. Du beginnst auch, die eine Kraft zu erkennen, und kannst sie gebrauchen oder dich gebrauchen lassen für das Anwachsen des Lichtes in dir und in anderen – und nicht länger zur Befriedigung des Egos und für die Werke der Unwissenheit und Dunkelheit.

Was das Dilemma hinsichtlich der Grausamkeit der Dinge anbelangt, so weiß ich nicht, welche Antwort R. geben würde. Eine Antwort darauf wäre vielleicht, dass das Göttliche zuinnerst durch das seelische Wesen gefühlt wird und die Natur dieses seelischen Wesens die des Göttlichen Lichtes, der Harmonie, der Liebe ist, dass es aber durch das mentale und trennende vitale Ego verhüllt wird; und hieraus entstehen Kampf und Hass und Grausamkeit. Daher ist es etwas ganz Natürliches, in der Freundlichkeit die Berührung des Göttlichen zu fühlen, während Grausamkeit als Entstellung oder Perversion der Natur empfunden wird; dies jedoch würde denjenigen, der die Verwirklichung erlangt hat, nicht daran hindern, das Göttliche hinter der Verkleidung zu fühlen und zu finden. Mir sind sogar Fälle bekannt, in denen die Wahrnehmung des Göttlichen in allem, begleitet von einer intensiven Erfahrung universaler Liebe oder von einer weiten Erfahrung innerer Harmonie, die außergewöhnliche Wirkung hatte, alles umher freundlich und hilfreich zu machen, selbst das Gröbste und Härteste und Grausamste. Vielleicht ist eine derartige Erfahrung in R.‘s Behauptung über die Freundlichkeit zu suchen. Was das Göttliche Tun anbelangt, so besteht die Verwirklichung des Vedanta-Anhängers darin, dass hinter dem wirren Durcheinander von Gut und Böse etwas tätig ist, das er als das Göttliche erkennt; und zurückblickend sieht er, was jeder Schritt in seinem Leben, ob glücklich oder unglücklich, für sein Vorankommen bedeutete und wie er schließlich zum Wachsen seines Spirits führte. Dies tritt natürlich voll in Erscheinung, sobald die Verwirklichung fortschreitet; vorher bedarf er des Glaubens, und es mag sein, dass er oft seinen Glauben wanken sah und sich eine Zeitlang dem Schmerz, dem Zweifel und der Mutlosigkeit hingegeben hat.

Was meine Schriften anbelangt, so weiß ich nicht, ob sie die Schwierigkeit beheben würden. Du würdest in ihnen meist die Darlegung der vedantischen Erfahrung finden, denn diese ist es, durch die ich zuerst zu gehen hatte zu etwas, das jenseits davon liegt; und nun, nachdem ich zu diesem “Jenseits davon” gelangt bin, scheint sie mir die gründlichste und radikalste Vorbereitung für all dies Jenseitige zu sein, wobei ich aber nicht behaupten will, dass sie unerlässlich ist. Wie immer die Lösung auch sei, der Vedanta-Anhänger ist vermutlich im Recht, wenn er, um nach dort zu gelangen, auf der Anerkennung der beiden Tatsachen besteht, nämlich einerseits das Überwiegen des Bösen und des Leidens hier und andererseits die Erfahrung dessen, was frei davon ist – und nur durch eine wachsende Erfahrung kann man zu einer Lösung gelangen, sei es durch einen Ausgleich, durch eine überwältigende Herabkunft oder durch Weltflucht. Wenn wir hingegen von der grundsätzlichen Annahme ausgehen, das Überwiegen des Leidens und des Bösen in der gegenwärtigen harten äußeren Wirklichkeit der Dinge, würde all das widerlegen, was von Weisen und Mystikern erfahren wurde, nämlich das zu verwirklichende Göttliche, dann scheint eine Lösung nicht möglich zu sein.

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Nein, ich meinte natürlich nicht, dass der Anhänger des Vedanta, der ein größeres Wirken hinter den Erscheinungsformen der Welt sieht, in einer anderen als dieser stofflichen Welt lebt – hätte ich dies gemeint, wäre alles, was ich schrieb, ohne Bedeutung oder Sinn gewesen. Ich meinte einen Vedanta-Anhänger, der in dieser Welt mit all ihrem Leid, ihrer Unwissenheit, ihren Widerwärtigkeiten, ihrem Bösen lebt und dem ein volles Maß all dieser Dinge zuteil wurde, Verrat und Treulosigkeit der Freunde, Misslingen der äußeren Ziele und Wünsche im Leben, Angriff und Verfolgung, sich häufende Krankheiten, unentwegte Schwierigkeiten, Kämpfe und das Versagen auf dem Yogaweg. Nicht, dass er in einer anderen Welt leben würde, doch seine Art, die Prüfungen, Schläge und Gefahren dieser Welt zu tragen, ist eine andere. Er sieht sie als die Natur der Welt an, als Ergebnis des Ego-Bewusstseins, in dem er lebt, und versucht daher, in ein anderes Bewusstsein zu wachsen, in welchem er spürt, was sich hinter den äußeren Erscheinungen befindet; und in dem Maße, wie er in dieses größere Bewusstsein hineinwächst, beginnt er, mehr und mehr das Wirken dahinter zu fühlen, das ihm hilft, im Spirit zu wachsen, und das ihn zur Meisterung und Befreiung von Ego und Unwissenheit führt, bis er erkennt, dass alles auf dieses Ziel gerichtet war. Solange er dieses Bewusstsein mit seiner größeren Erkenntnis der Dinge nicht erreicht hat, muss er im Glauben wandern, und dieser Glaube mag ihn manchmal im Stich lassen, doch wird er immer wiederkehren und ihn durch alle Schwierigkeiten tragen. Nicht jeder muss diesen Glauben und dieses Bewusstsein annehmen, doch hinter ihnen steht etwas Großes und Wahres für das spirituelle Leben.

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Ich habe das Gefühl, dass ich etwas zu deiner Äußerung über die Seele Indiens sagen muss und zu dieser “Betonung der Diesseitigkeit bis zum Ausschluss der Jenseitigkeit”, die X bemerkt haben will. Ich verstehe nicht ganz, in welchem Zusammenhang seine Bemerkung gemacht wurde oder was er mit Diesseitigkeit meinte, doch ich erachte es als notwendig, meinen Standpunkt in dieser Sache darzulegen. Mein eigenes Leben und mein Yoga waren, seit ich nach Indien kam, sowohl diesseitig als auch jenseitig, ohne jede Ausschließlichkeit nach einer Seite. Alle menschlichen Interessen sind vermutlich diesseitig, und die Mehrzahl von ihnen hat meinen Gesichtskreis berührt, während andere, wie die Politik, sogar in mein Leben eingetreten sind; in dem Augenblick, da ich meinen Fuß am Apollo-Bunder in Bombay auf indischen Boden setzte, begann ich, spirituelle Erfahrungen zu haben, doch waren diese von der Welt nicht getrennt, sondern hatten einen inneren und unendlichen Bezug zu ihr, wie zum Beispiel das Gefühl des Unendlichen, das den stofflichen Raum durchdringt, und des Immanenten, das in den stofflichen Gegenständen und Körpern wohnt. Gleichzeitig sah ich mich überphysische Welten und Ebenen betreten, welche die stoffliche Ebene beeinflussen und auf sie einwirken, so dass ich keine scharfe Trennung machen oder einen unüberbrückbaren Gegensatz feststellen konnte zwischen dem, was ich die beiden Enden des Daseins nenne, und allem was dazwischenliegt. Für mich ist alles Brahman, und ich erkenne das Göttliche überall. Jeder hat das Recht, sich vom Diesseitigen abzuwenden und das Jenseitige zu wählen, und wenn er Frieden in dieser Wahl findet; umso besser. Für mich selbst bestand diese Notwendigkeit nicht, um zum Frieden zu gelangen. Überdies bewegte mich der Wunsch, in meinen Yoga beide Welten in mein Gesichtsfeld einzubeziehen – die spirituelle und die materielle – und zu versuchen, das Göttliche Bewusstsein und die Göttliche Macht im Herzen der Menschen und im Leben der Erde zu errichten, nicht allein mit dem Ziel einer persönlichen Erlösung, sondern für ein göttliches Leben hier. Dies scheint mir ein ebenso spirituelles Ziel wie jedes andere zr sein, und die Tatsache, dass sich dieses Leben weltlichem Treiben und weltlichen Belangen widmet, kann, glaube ich, seine Spiritualität weder verdecken noch seinen indischen Charakter ändern. Dies jedenfalls ist immer meine Ansicht, meine Erfahrung der Wirklichkeit und der Natur der Welt, der Dinge und des Göttlichen gewesen – es schien mir zutiefst ihre integrale Wahrheit zu sein, und ich habe daher das Streben danach den integralen Yoga genannt. Es ist jedermanns eigene Sache, diese Art Integralität abzulehnen und nicht daran zu glauben oder an die spirituelle Unerlässlichkeit einer absoluten Jenseitigkeit zu glauben, doch würde das die Durchführung meines Yoga unmöglich machen. Mein Yoga kann tatsächlich eine volle Erfahrung anderer Welten mit einbeziehen sowie ihre möglichen Auswirkungen auf unser Leben und die materielle Welt; doch ist es ebenfalls durchaus möglich, allein die Verwirklichung des Höchsten Wesens oder Ishvara anzustreben, sogar in nur einem Aspekt als Shiva oder Krishna, als Herr der Welt, als unser und unserer Werke Meister, oder aber den Universalen Sachchidananda, und dabei die wesentlichen Ergebnisse dieses Yoga zu erreichen; dann kann man zu den integralen Resultaten fortschreiten, sofern man das Ideal eines göttlichen Lebens akzeptiert und das einer stofflichen Welt, von welcher der Spirit Besitz ergreift. Diese Ansicht und Erfahrung der Dinge und der Wahrheit des Daseins befähigten mich, “The Life Divine” und “Savitri” zu schreiben. Die Verwirklichung des Höchsten, des Ishvara, ist sicher das Wesentliche; doch ebenfalls wesentlich auf dem Pfad des integralen Yoga ist es, sich Ihm mit Liebe und Hingebung und bhakti zu nähern, Ihm mit Werken zu dienen und Ihn zu erkennen, nicht notwendigerweise in intellektueller Erkenntnis, sondern in spiritueller Erfahrung. Wenn du dem Drängen von K. nachgeben willst, dass dieser und kein anderer dein Pfad zu sein hat, dann hast du dies zu erreichen und zu verwirklichen; eine ausschließliche Jenseitigkeit kann dann dein Weg nicht sein. Ich glaube, du wärest durchaus fähig, dorthin zu gelangen und das Göttliche zu verwirklichen; ich konnte niemals deine ewigen Zweifel an deiner Fähigkeit teilen, und ihre beharrliche Wiederkehr ist kein gültiger Grund anzunehmen, sie könnten nicht überwunden werden. Solche beharrlichen Rückfälle prägen die Sadhana von vielen, bis sie sie endlich überwanden und ihr Ziel erreichten; selbst die Sadhana sehr großer Yogis wurde von solchen heftigen und fortwährenden Rückfällen nicht verschont, und gerade sie waren manchmal besonders ausgesucht e Ziele derartig hartnäckiger Angriffe; ich habe dies in “Savitri” an mehreren Stellen angedeutet, und das beruht auf meinen eigenen Erfahrungen. Es liegt in der Natur dieser Rückfälle, dass sie meist aus einer ständigen Wiederkehr der gleichen widrigen Erfahrungen bestehen, aus dem selben feindlichen Widerstand, aus Gedanken, die allen Glaubens und Vertrauens, aller Zuversicht in die Zukunft der Sadhana entbehren, aus enttäuschten Zweifeln an dem, was man als die Wahrheit erkannte, aus dem Impuls, sich vom Yogaweg abzuwenden, oder anderen unheilvollen Eingebungen der decheance. Der Verlauf, den diese Angriffe nehmen, ist sicher nicht für alle gleich, doch alle haben eine starke Familienähnlichkeit. Man kann ihrer schließlich Herr werden, sobald man die Natur und Quelle solcher Angriffe zu erkennen beginnt und die Fähigkeit erlangt, sie zu beobachten, sie zu ertragen, ohne in sie verwickelt oder von ihrem Abgrund verschlungen zu werden; schließlich wird man dann zu ihrem Beobachter, man versteht sie und verweigert die Zustimmung des Mentals, selbst wenn das Vital in dem Wirbel noch umhergeworfen wird und das zumeist nach außen gerichtete physische Mental die feindlichen Vorschläge noch immer erwägt. Am Ende verlieren diese Angriffe ihre Kraft und lassen von der menschlichen Natur ab; wenn sie wiederkommen, sind sie schwach und haben nicht mehr die Kraft, sich festzusetzen; sie können sogar, sofern die innere Loslösung stark genug ist, frühzeitig oder gleich eliminiert werden. Die wirksamste Einstellung ist, diese Dinge als das zu betrachten, was sie tatsächlich sind, Einfälle dunkler Kräfte von außerhalb, die sich eine gewisse Bereitschaft im physischen Mental oder im vitalen Teil zunutze machen;sie gehören uns aber nicht wirklich an und sind keine echten Formungen der eigenen Natur. Die bevorzugte Methode dieser Angreifer ist es, Verwirrung und Finsternis im physischen Mental zu schaffen und falsch verstandene Ideen, dunkle Gedanken, unrichtige Eindrücke in dieses zu werfen oder in ihm zu erwecken; sobald sie dann von diesem [physischen] Mental in seinem übergroßen Vertrauen in die eigene Tadellosigkeit oder die natürliche Richtigkeit seiner Eindrücke und Folgerungen unterstützt werden, haben sie einen Festtag – bis das wahre Mental sich wieder behauptet und die Wolken zerstreut. Eine weitere Methode ist die, verletzten oder grollenden Kummer in den niederen Teilen zu wecken und sie solange wie möglich in diesem Zustand zu belassen. In diesem Fall hat man die gewissen Öffnungen seiner Natur zu entdecken und zu lernen, wie man sie für immer jenen Angriffen verschließen oder die Eindringlinge sofort oder schnellstens hinauswerfen kann. Ein Rückfall ist kein Beweis für eine grundlegende Unfähigkeit; sobald man die rechte innere Haltung einnimmt, kann er und wird er überwunden werden. Man muss Glauben an den Herrn unseres Lebens und unserer Werke haben, selbst wenn Er Sich für lange Zeit verbirgt; in dem von Ihm gewählten Augenblick wird Er Seine Gegenwart enthüllen.

Du hast dich immer an Guruvada gehalten. Ich bitte dich daher, Glauben an den Guru und die Führung zu haben, dich zur Erfüllung auf den Ishvara zu verlassen, meiner dauernden Liebe und Zuneigung zu vertrauen, an die Zuneigung und das göttliche Wohlwollen der Mutter zu glauben und standhaft gegen alle Angriffe zu sein, auszuharren und ausdauernd vorwärtszuschreiten dem spirituellen Ziel entgegen sowie der alles erfüllenden, alles befriedigenden Berührung durch den All-Seligen, den Ishvara.

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Ich schicke dir heute den versprochenen Brief; du wirst sehen, dass ich weniger auf die genauen Themen deines Briefes eingegangen bin, sondern vielmehr “die Lehre von der Vergöttlichung des Lebens” gegen die Kritik des Mentals (oder mehr noch des Vitals) verteidigt habe, die es entweder missversteht oder vor der es zurückschreckt, oder aber sie missversteht, weil es zurückschreckt, und auch zurückschreckt, weil es sowohl mein Ziel als auch meine Methode missversteht. Es ist keine regelrechte Verteidigung, ich gehe vielmehr nur hier und dort auf eine hauptsächliche Frage ein oder beantworte sie. Das übrige dann später.

Doch alle Worte können missverstanden werden; daher will ich lieber gewisse Dinge klarstellen oder versuchen, sie klarzustellen.

Ich habe die göttlichen Dinge hervorgehoben, um einer übermäßigen entgegengesetzten Betonung der menschlichen Dinge zu begegnen, doch darf dies nicht dahingehend gedeutet werden, dass ich alles Menschliche in diesem Yoga ablehne – sei es menschliche Liebe oder Anbetung oder irgendeine andere hilfreiche Form menschlicher Hinwendung. Ich habe dies nie getan, andernfalls könnte der Ashram nicht bestehen. Die Sadhaks, die den Yoga aufnehmen, sind menschliche Wesen, und würde man ihnen zu Beginn und lange Zeit nachher eine menschliche Hinwendung nicht erlauben, wären sie nicht fähig, den Yoga aufzunehmen oder ihn fortzusetzen. Die Frage entsteht nur deshalb, weil das Wort “menschlich” in der Praxis als identisch sowohl mit dem menschlichen Vital (oder dem nach außen gerichteten Mental) als auch mit gewissen Formen der menschlich-vitalen Ego-Natur benützt wird. Doch das menschliche Vital enthält auch vieles andere und steckt voll von hervorragendem Stoff. Das einzige, was der Yoga fordert, ist, diesen Stoff in der rechten Weise zu nutzen, in der rechten spirituellen Einstellung, und außerdem die menschliche Hinwendung zum Göttlichen nicht fortwährend in menschlichen Aufruhr und Vorwurf gegen das Göttliche zu verkehren. Und selbst das fordern wir nur um des Erfolgs der Hinwendung willen und nur von jenen Menschen, die sich tatsächlich hinwenden.

Vergöttlichung bedeutet nicht die Zerstörung der menschlichen Elemente; es bedeutet vielmehr, diese aufzunehmen und ihnen den Weg zur Vollkommenheit zu weisen, sie durch Läuterung und Vervollkommnung zu ihrer vollen Macht und Ananda zu erheben – das heißt die Erhebung des gesamten Erdenlebens zu seiner vollen Macht und Ananda. Wenn es nicht den Widerstand in der vitalen menschlichen Natur gäbe, einen Druck von Kräften, die der Veränderung entgegenwirken, Kräfte, die sich an Unvollkommenheit, ja an Perversion entzücken, würde sich diese Veränderung mühelos in einem natürlichen und schmerzlosen Aufblühen vollziehen; dies zeigt dein eigenes Beispiel, wie deine Fähigkeiten zu dichten und zu musizieren hier unter dem Licht und dem Regen eines spirituellen und seelischen Einflusses voller Leichtigkeit sich entfalteten, da alles in dir diese Veränderung wollte und dein Vital bereit war, die Unvollkommenheiten zu erkennen und jede falsche Einstellung aufzugeben – wie zum Beispiel den Wunsch nach bloßem Ruhm – und pflichtbewusst und vollkommen zu sein. Die Vergöttlichung des Lebens bedeutet tatsächlich eine höhere Kunst des Lebens; gegenwärtig ist die Lebenskunst, die von Ego und Unwissenheit geprägt ist, etwas verhältnismäßig Gemeines, Rohes und Unvollkommenes (ähnlich den niederen Formen der Kunst, der Musik und Literatur, die dennoch eine große Anziehungskraft für die gewöhnliche menschliche Mentalität und Vitalität haben); ihre wahre Vollkommenheit muss sie erst durch ein spirituelles und seelisches Öffnen und Verfeinern erreichen. Dies kann aber nur geschehen, indem man sie in das göttliche Licht, die göttliche Flamme taucht, wo ihr Stoff von allen schweren Schlacken befreit und in das echte Metall verwandelt wird.

Doch unglücklicherweise ist ein Widerstand vorhanden, ein sehr dunkler und hartnäckiger Widerstand. Dies macht ein negatives Element im Yoga notwendig, ein Element der Zurückweisung von Dingen, die im Wege stehen, und auch einen Druck auf jene Erscheinungen, die roh und nutzlos sind, damit sie sich auflösen, sowie auf jene, die zwar nützlich, doch unvollkommen oder entstellt sind, damit sie ihre wahre Bewegung zurückerhalten oder wiederentdecken. Für das Vital ist dieser Druck schmerzhaft, erstens, da es dunkel ist und nicht versteht, und zweitens, da es Teile gibt, die ihre Rohheit beibehalten und sich nicht ändern wollen. Daher ist der Einfluss der Seele so hilfreich. Denn die Seele besitzt das glückliche Vertrauen, das bereitwillige Verstehen und Reagieren, die spontane Hingabe; sie weiß, die Berührung durch den Guru soll helfen und nicht verletzen, sie weiß – wie Radha in dem Gedicht –, was auch immer der Geliebte tut, dazu dient, zum Göttlichen Entzücken zu führen.

Und dennoch darfst du den Yoga nicht von der negativen Seite her beurteilen, sondern von seiner positiven, denn die negative Seite ist etwas Vorübergehendes, ein Übergang, sie wird schwinden; und allein die positive zählt für das Ideal und die Zukunft. Wenn du die Umstände, die zur negativen Seite, zu einer Art Übergangsbewegung gehören, als das Gesetz der Zukunft und als Merkmal des Yogaweges ansiehst, beurteilst du die Dinge ganz falsch und unterliegst einem schwerwiegenden Irrtum. Dieser Yoga besteht nicht aus einer Zurückweisung des Lebens oder einer Zurückweisung der Nähe und Intimität zwischen dem Göttlichen und dem Sadhak. Sein Ideal ist die größtmögliche Nähe, das größtmögliche Einssein sowohl auf der physischen als auch auf anderen Ebenen, es ist auf die göttlichste Weite und Fülle und Freude des Lebens ausgerichtet.

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Sri Aurobindo hat nichts zu Huxleys13 Kommentar zu bemerken, mit dem er völlig übereinstimmt. Doch in der Formulierung “seine Höhen können wir immer erreichen” bezieht sich das “wir” ganz offensichtlich nicht auf die Menschheit im allgemeinen, sondern auf jene, die genügend entwickeltes inneres, spirituelles Leben besitzen. Es ist anzunehmen, dass Sri Aurobindo dabei an seine eigene Erfahrung dachte. Nach drei Jahren spiritueller Bemühung mit nur unbedeutenden Ergebnissen wurde ihm von einem Yogi der Weg gewiesen, sein Mental zum Schweigen zu bringen. Dies gelang ihm völlig innerhalb von zwei oder drei Tagen, indem er der angewiesenen Methode folgte. Es trat eine absolute Stille des Denkens und Fühlens und all der üblichen Bewusstseinsregungen ein, ausgenommen das Wahrnehmen und Erkennen der Dinge ringsum, was aber von keinerlei Vorstellungen oder sonstigen Reaktionen begleitet wurde. Das Gefühl des Egos verschwand, und sowohl die Bewegungen des gewöhnlichen Lebens als auch Rede und Tat wurden allein als eine Art gewohnheitsmäßiger Tätigkeit der Prakriti fortgesetzt, die er als nicht zu sich gehörend empfand. Die verbleibende Wahrnehmung erkannte alle Dinge als etwas völlig Unwirkliches, und diese Empfindung der Unwirklichkeit war überwältigend und allumfassend. Als wahr erkannt wurde lediglich eine unbestimmbare Wirklichkeit, jenseits von Raum und Zeit und ohne Verbindung zu einer kosmischen Aktivität, doch überall gegenwärtig, wohin man sich auch wandte. Dieser Zustand hielt unverändert mehrere Monate an, und selbst als das Gefühl der Unwirklichkeit schwand und das Teilhaben am Weltbewusstsein zurückkehrte, blieben der innere Friede und die innere Freiheit, die aus dieser Verwirklichung hervorgingen, ständig hinter allen Oberflächenregungen bestehen, und das Wesentliche der Verwirklichung als solcher ging nicht verloren. Gleichzeitig kam noch eine Erfahrung hinzu: etwas anderes als er selbst nahm seine dynamische Aktivität auf und sprach und handelte durch ihn, doch ohne jeden persönlichen Gedanken, ohne persönliche Initiative. Was dieses “andere” war, blieb unerkannt, bis Sri Aurobindo zur Verwirklichung der dynamischen Seite des Brahman, des Ishvara, gelangte und sich durch diese in seiner ganzen Sadhana und Tätigkeit bewegt fühlte. Diese und andere darauffolgende Verwirklichungen, wie diejenige des Selbstes in allen und aller im und als Selbst, das Göttliche in allem und alle im Göttlichen, sind jene Höhen, auf die Sri Aurobindo sich bezieht und von denen er sagt, wir können immer zu ihnen aufsteigen; denn für ihn bedeuteten sie keine große oder hartnäckige Schwierigkeit. Die einzig wirkliche Schwierigkeit, die Jahrzehnte spiritueller Anstrengung bedurfte, um sie einigermaßen vollständig auszuarbeiten, war, diese spirituelle Erkenntnis gänzlich auf die Welt sowie auf das oberflächlich-psychologische und äußere Leben anzuwenden und seine Umwandlung herbeizuführen, und zwar sowohl auf den höheren Ebenen der Natur als auch auf den gewöhnlichen mentalen, vitalen und physischen Ebenen bis hinunter ins Unterbewusste und tiefste Unbewusste und hinauf bis zum höchsten Wahrheits-Bewusstsein oder Supramental, in welchem allein die dynamische Umwandlung voll und integral und absolut sein kann.

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Ich kann in diesen Auszügen die wahre Natur jener Umwandlung, die ich meine, nicht erkennen. Es scheint etwas Mentales und Moralisches verbunden mit der Liebe zu Gott zu sein und eine Art Einung, die durch diese göttliche Liebe als spiritualisierendes Element herbeigeführt wird.

Liebe zu Gott und die Einung im Getrenntsein durch diese Liebe sowie eine Umwandlung der menschlichen Natur durch die Verwirklichung gewisser mentaler, ethischer und emotionaler, vielleicht sogar physischer Möglichkeiten (die Vaishnavas sprechen von einem neuen cinmaya-Körper) ist das Prinzip des Vaishnava-Yoga. Es gibt hier also nichts, das nicht bereits in dieser Richtung des asiatischen Mystizismus vorhanden war, der eine Persönliche Gottheit anerkennt und ein ewiges vorgeburtliches und nachgeburtliches Dasein des individuellen Wesens betont. Ein spirituelles Erhöhen der menschlichen Natur zu ihren höchsten Möglichkeiten ist dagegen Bestandteil der tantrischen Disziplin – also auch dies fehlt im indischen Yoga nicht. Der Verfasser scheint, ähnlich den meisten europäischen Autoren, lediglich den Illusionismus und Buddhismus zu kennen und sie als die ganze Weisheit Asiens zu betrachten (sagesse asiatique); doch selbst ihre Idee und Erfahrung deutet er falsch. Der Advaita zielt nicht einmal in seiner übertriebensten Form auf das Verlöschen des Daseins und das Annehmen des Nicht-seins, auf das Ende des Wesens und die Zerstörung der Essenz. Dies hat lediglich ein gewisser nihilistischer Buddhismus zum Ziel, und selbst hier wird das andere Ende des Nichts, śūnya, als das Bleibende beschrieben, Worauf diese Disziplinen abzielen, ist ein Übergang von der Zeit zur Ewigkeit, ein Ablegen des Endlichen und Annehmen des Unendlichen, ein Abwerfen der Ego-Fesseln und von dem, was mit ihnen verbunden ist, wie Begehren, Leid, ein entstelltes Dasein, um im wahren Selbst zu leben. Diese Darstellungen des christlichen Autors verraten eine völlige Unkenntnis der Verwirklichung, die er herabsetzt, ihrer Unendlichkeit und Freiheit, ihres überwältigenden Friedens und der Ekstase des Brahmananda. Sie besteht aus einem Verlöschen der begrenzten individuellen Personalität und aus einer Befreiung in das kosmische und dann in das transzendente Bewusstsein – ein Verlöschen des Denkens und Lebens in einem unbegrenzten Bewusstsein und Wissen und Sein. Die Persönlichkeit ist ausgelöscht, doch in etwas Größerem, nicht in etwas Kleinerem oder in einem bloßen “neant” [Nichts]. Wenn behauptet wird, dass dies eine Negierung des Erdenlebens sei, so kann man das auch vom christlichen Ideal behaupten, denn es zielt auf das Erlangen eines himmlischen Daseins jenseits dieses Erdenlebens (jenseits dieses einen Erdenlebens, denn eine Wiedergeburt wird nicht anerkannt), das ein einziges Jammertal und eine Prüfung sei, die vorübergehe. Es betont die Erhaltung der spirituellen Personalität, doch tun dies Vaishnavismus und Shivaismus und andere “asiatische” Schulen ebenfalls. Des Autors Unkenntnis der Vielseitigkeit asiatischer Weisheit macht seine Kritik wertlos.

Die Formulierungen, die in deinen Augen wenigstens oberflächlich unserem Ideal der Umwandlung zu gleichen scheinen, haben allgemeinen Charakter und könnten ohne Bedenken von beinahe jeder spirituellen Disziplin akzeptiert werden; selbst der Illusionismus wäre willens, sie als ein gewisses Stadium oder als Erfahrung auf dem Weg anzunehmen. Alles hängt davon ab, welchen Inhalt du den Worten gibst, welche tatsächliche Veränderung des Bewusstseins und des Lebens sie bezeichnen sollen. Wenn es die Umwandlung “von der Sünde zur Heiligkeit” durch die Einung der Seele mit Gott ist, “in einem intellektuellen Licht voller Liebe” – das ist die genaueste Aussage in diesen Auszügen –, dann ist sie ganz und gar nicht identisch damit, was ich mit Umwandlung bezeichne, sondern vielmehr sehr weit davon entfernt. Denn die Umwandlung, die ich meine, ist nicht diejenige von der Sünde zur Heiligkeit, sondern von der niederen Natur der Unwissenheit zur Göttlichen Natur des Lichtes, des Friedens, der Wahrheit, der Göttlichen Macht und Seligkeit jenseits der Unwissenheit. Sie ist auf ein höchstes, selbstbestehendes Gutes gerichtet und lässt die begrenzte, schwerfällige menschliche Vorstellung von Tugend und Sünde hinter sich; die Sonne ihres Strebens ist kein intellektuelles Licht, sondern ein spirituelles, überintellektuelles, supramentales Licht; nicht Heiligkeit ist ihr Höhepunkt, sondern das göttliche Bewusstsein oder – wenn du so willst – die Seelen-heit, die Spirit-heit, die bewusste Selbst-heit, die Göttlich-keit. Daher besteht zwischen diesen beiden Arten oder Graden der Umwandlung ein gewaltiger Unterschied.

I. “C‘est un abandon heroique ou l‘ame parvient au sommet de I‘activite libre, ou la personne se transforme, ou ses facultes sont epurees, deifiees par la grace, sans que son essence soit detruite.”14

Was ist mit “freier Aktivität” gemeint? Für mich besteht Freiheit im Freisein von Dunkelheit, Begrenzung, Irrtum, Leiden, von der Vergänglichkeit der unwissenden niederen Natur, doch ebenfalls in einer vollkommenen Hingabe an das Göttliche. Freies Wirken ist das Wirken des Göttlichen in uns und durch uns; keine andere Tätigkeit kann frei sein. Das scheint in II und III akzeptiert zu werden; doch diese Erkenntnis, diese Auffassung ist so alt wie spirituelles Wissens selbst – es ist keine besondere Eigenart des Katholizismus. Und wiederum, was ist gemeint mit der Läuterung und Vergöttlichung der Fähigkeiten durch die Gnade? Sofern eine ethische Läuterung gemeint ist, so ist dies ein sehr kleiner Weg, der nicht zur Vergöttlichung führt. Und wiederum, wenn die Vergöttlichung durch das intellektuelle Licht begrenzt ist, kann sie auch nur eine ziemlich unbedeutende Angelegenheit sein. Es gab ein ähnliches Ziel in der alten indischen Spiritualität, doch hatte es einen größeren Maßstab und mehr Höhe als dies. Keine spirituelle Disziplin zielt auf Läuterung oder Vergöttlichung durch die Zerstörung der Essenz – etwas Derartiges kann es nicht geben, und die Formulierung als solche ist sinnlos und widerspricht sich selbst. Die Essenz des Wesens ist unzerstörbar. Selbst die strengste Advaita-Disziplin zielt auf keine derartige Zerstörung; ihr Ziel ist die reinste Reinheit des essentiellen Selbstes. Umwandlung zielt auf diese essentielle Reinheit des reinen Spirits, doch fordert sie ebenfalls die Reinheit und Göttlichkeit der höchsten Natur; nicht die Essenz unseres Wesens, sondern die Zufälligkeiten unserer unentwickelten, unvollkommenen Natur werden zerstört und durch die Manifestation der göttlichen Natur ersetzt. Der monistische Advaita hat die Auflösung des Ego zum Ziel und nicht die der Essenz der Person; er erreicht diese Auflösung durch Identität mit dem Einen, durch Auflösung des von der Natur geformten Ego in der Wirklichkeit des ewigen Selbstes, denn dieses und nicht das Ego – sagt er – ist die Essenz der Person, so-ham tat tvam asi. Auch in unserer Auffassung der Umwandlung gibt es die Zerstörung des Egos, seine Auflösung im kosmischen und göttlichen Bewusstsein, doch durch diese Zerstörung erlangen wir die wahre oder spirituelle Person, die ein ewiger Teil des Göttlichen ist.

lI. “La contemplation du Chretien est inseparable de l‘etat de la Grace15 et de vie divine. S‘il doit s‘aneantir, c‘est encore sa personnalite qui triomphe en se laissant arracher a tout ce qui n‘est pas elle, en brisant tous les liens qui I‘unissent a son individu de chair, afin que le Dieu vivant puisse s‘en saisir, l‘assumer, I‘habiter.”16

III. “Liberte consiste d‘abord a subordonner ce qui est inferieur dans sa nature a ce qui lui est superieur.”17

Diese Stellen kann man im obigen Sinn auffassen und als eine Annäherung an unser Ideal betrachten; doch die Verwirrung hier entsteht durch den Gebrauch des Wortes “Person”. Die Person ist ein zeitweiliges Gebilde, sie unsterblich zu machen hieße, Unwissenheit und Begrenzung unsterblich zu machen. Das wahre “Ich” ist nicht das mentale Ego oder die gegenwärtige Person, die nichts als Maske ist, sondern das ewige “Ich”, das verschiedene Personalitäten in verschiedenen Leben annimmt. Die Ursache dieses Irrtums ist die christliche und europäische Vorstellung eines einmaligen Lebens auf Erden, da sie uns unsere gegenwärtige Person als unser ganzes Selbst erscheinen läßt... Und wiederum, es ist nicht allein die physische Individualität, die uns an die Unwissenheit bindet, sondern auch die mentale und vitale Individualität. All diese Fesseln müssen zerbrochen werden, die unvollkommenen Formen des Mentals und Lebens müssen zurückgelassen, das Mental in etwas jenseits des Mentals, das Leben in ein göttliches Leben umgewandelt werden, wenn die Umwandlung eine wirkliche sein soll und nicht nur ein neues Gestalten oder Erhöhen der Lichter der Unwissenheit.

IV. “Cette solitude de l‘ame (de l‘ascete asiatique) . . . n‘est pas le vrai loisir spirituel, la solitude active ou s‘opere la transformation du peche en saintete par I‘union de l‘ame avec Dieu dans une lumiere intellectuelle toute pleine d‘amour.”18

Ich habe diese Beschreibung der zu erzielenden Umwandlung bereits kommentiert und nur noch einen Vorbehalt hinzuzufügen. Die Einsamkeit des Selbstes im Göttlichen muss ohne Zweifel sowohl aktiv als auch passiv und statisch sein; denn einer, der nicht das Schweigen und die regungslose Stille des ewigen Selbstes erlangt hat, kann nicht die freie und integrale Aktivität der höheren göttlichen Natur besitzen. Wirken gründet sich auf Schweigen und ist durch Schweigen frei.

V. “... la vie chretienne – mystique progressive qui est un enrichissement, un elargissement infini de la personne humaine.”19

Dies ist nicht unsere Vorstellung der Umwandlung, denn die menschliche Person ist das mentale Wesen, das von Leben und Körper begrenzt ist. Ihre Bereicherung und Erhöhung vermögen nicht die äußerste Grenze ihrer Gegebenheiten zu überschreiten, sondern nur ihre gegenwärtige Armut und Enge zu weiten und zu schmücken. Sie kann nicht aus der mentalen Unwissenheit in eine größere Wahrheit, ein größeres Licht aufsteigen oder sie in ihrer Fülle in die Erd-Natur herabbringen, welches das Ziel der Umwandlung ist, wie wir sie auffassen.

VI. “Pour I‘asiatique la personnalite est la chute de I‘homme; pour le chretien, c‘est le dessein meme de Dieu, le principe de l‘union, le sommet naturel de la creation, qu‘il appelle tout entiere d la Grace.”20

Die Personalität dieses einzigen Menschenlebens ist eine Schöpfung der Unwissenheit und daher ein Fall; sie kann nicht der Höhepunkt des Daseins sein. Wir gestehen ihr nicht einmal zu, der Gipfel der natürlichen Schöpfung zu sein, sondern sind der Meinung, dass es höhere Gipfel zu erklimmen gibt, deren Mächte in der Erd-Natur zu enthüllen sind. Die natürliche Schöpfung ist eine Evolution des verborgenen Göttlichen Bewusstseins in der Natur, das vor allem durch die Unwissenheit begrenzt und verhüllt ist. Sie hat diese Unwissenheit zu überschreiten und jenseits der menschlichen Person zur göttlichen Person zu gelangen. In dieser spirituellen Evolution weist der Göttliche Plan seine zentrale und kennzeichnende Richtung auf und ruft die gesamte Schöpfung zur krönenden Gnade.

Du wirst daher erkennen, dass eine Ähnlichkeit der Umwandlung mit unserem Ideal nur an der Oberfläche besteht, in den Worten, nicht im Inhalt der Worte, der viel begrenzter ist und einer anderen Kategorie angehört. Wenn wir Übereinstimmung und Gleichartigkeit antreffen, dann deshalb, da dort etwas enthalten ist, was allen spirituellen Disziplinen gemein ist (eine Art Bewusstseins-Veränderung); denn alle, sowohl im Osten als auch im Westen, haben einen gemeinsamen Kern der Erfahrung – es ist die Art ihrer Entwicklung, ihrer Reichweite, ihrer Hinwendung zu diesem oder jenem Aspekt der Wahrheit oder auch ihres Strebens nach der Totalität der Wahrheit, worin sie sich unterscheiden.

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Es besteht kein Zusammenhang zwischen der christlichen Auffassung (des Himmlischen Königreiches) und der Vorstellung der supramentalen Herabkunft. Die christliche Auffassung spricht von einem Zustand der Dinge, der durch religiöses Gefühl und moralische Läuterung entsteht; doch all dies, welchen Wert es auch immer für den einzelnen haben mag, kann die Welt ebensowenig verändern wie geistiger Idealismus oder irgendeine andere Kraft, auf die man sich bislang für diesen Zweck berief. Der Christ will das Ego des rajas und tamas durch das religiöse Ego des sattva ersetzen; doch obwohl dies als individuelle Vollendung durchaus möglich wäre, hat es in der Masse nie Erfolg gehabt und wird nie Erfolg haben. Es hat keine höhere spirituelle oder psychologische Erkenntnis hinter sich und missachtet die Grundlage des menschlichen Charakters und den Ursprung des Problems – nämlich die Dualität von Mental, Leben und Körper. Wenn nicht die Herabkunft einer neuen Bewusstseins-Macht stattfindet, die den Dualitäten nicht unterworfen, aber dennoch dynamisch ist, und durch sie eine neue Grundlage und ein Erheben des Bewusstseins-Zentrums über das Mental geschaffen wird, kann das Königreich Gottes auf Erden lediglich ein Ideal sein, aber keine Wirklichkeit gewordene Tatsache im allgemeinen Erdbewusstsein und Erdenleben.

 

1 Shankara ist einer der großen indischen Philosophen, dessen Mayavada-Theorie (die Welt als Illusion) jahrhundertelang großen Einfluss auf das indische Denken und Leben ausübte. [Einfügung des Übersetzers

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2 Maya ist nichts anderes als Brahman, frei von den Umständen, durch die er sich ausdrückt. Sri Aurobindo: The Yoga and its Objects, 1968, S. 39.

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3 Es ist tatsächlich keine Illusion in dem Sinne, dass dem Bewusstsein etwas Grundloses und Unwirkliches auferlegt wird, sondern eine Fehldeutung durch das bewusste Mental und die Sinne und ein verfälschender Missbrauch des manifestierten Daseins.

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4 Sri Aurobindo bezieht sich hierauf Bertrand Russell, den bekannten englischen Philosophen und Empiriker.

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5 “Denn hinter dem sad-ātman, dem Selbst als reinem Daseins, ist das Schweigen des asat, welches die buddhistischen Nihilisten als śūnyam, die Leere, erkannten, und jenseits dieses Schweigens ist der parātpara puruṣa, der höchste puruṣa”. Sri Aurobindo, The Yoga and lts Obiects, 1968, S. 12-13 (vgl. S. 50)

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6 “Die Großen... entsagen ihrem Recht, zu einer noch Höheren Evolution weiterzugehen, und bleiben innerhalb des Kosmos zum Wohle aller fühlenden Wesen. . . Diese Bodhi-Kräfte sind es, welche die Menschheit... zu einer vollkommenen sozialen Ordnung auf Erden führen werden.” W. Y. Evans-Wentz. Tibetian Yoga and Secret Doctrines (vgl. S. 50)

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7 Auf diese Weise setzt die Lehre von shunyata, die dem ganzen Prajna-Paramita zugrundeliegt, ein Absolutes als der Erscheinungswelt innewohnend voraus, denn das Absolute ist der Ursprung und die Grundlage der Erscheinungen. ...und in der letzten Analyse der Dinge durch das Bodhi-erleuchtete Mental, das von der Unwissenheit befreit ist, verschwindet die Dualität und nichts bleibt als der Eine in Allen und Alle im Einen. Ibid.

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8 Die mikrokosmische Darstellung des Makrokosmischen besteht als unpersönliches Prinzip in allem Dasein oder in Zuständen von bedingtem Sein innerhalb des saṃsāra (das gewöhnliche Leben in der Unwissenheit)... Doch das unpersönliche Bewusstseinsprinzip kann in keiner Weise mit der Persönlichkeit identifiziert werden, die durch einen Namen, eine körperliche Form oder ein saṃsāra-Mental vertreten wird.. es gehört selbst nicht dem saṃsāra an, da es unerschaffen, ungeboren, ungeformt ist, jenseits menschlicher Vorstellung und Bestimmung und daher Raum und Zeit übersteigend... es ist anfangslos und endlos. Ibid.

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9 “Befreie das Selbst mit Hilfe des Selbstes” (Gita VI-5) und “Lass alles dharma hinter dir” Ibid. XVIII, 66 (vgl. S. 73, ) + 3)

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10 Vishnuismus :Eine Sekte von Anhängern des Gottes Vishnu, die besonders den bhakti-Weg bevorzugt. Im folgenden wird sowohl der im Deutschen übliche Ausdruck Vishnuismus verwendet als auch das Wort Vaishnavismus, das Sri Aurobindo gebraucht.

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11 “Bases of Yoga”

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12 Yoga ist die Beherrschung mentaler Regungen

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13 Dieser Brief wurde von Sri Aurobindo diktiert und bezog sich auf die Formulierung “seine Höhen können wir immer erreichen” aus dem Werk “The Life Divine” , die von Aldous Huxley zitiert und kommentiert wurde in seinem Buch “The Perennial Philosophy” (1946, 5. 7 4).

Das Zitat lautete: “Die Berührung der Erde stärkt immer wieder den Sohn der Erde, selbst wenn er überphysisches Wissen sucht. Es kann sogar gesagt werden, dass das Überphysische in seiner Fülle wirklich nur dann gemeistert werden kann – seine Höhen können wir immer erreichen –, wenn wir mit den Füßen fest im Physischen stehen. “Die Erde ist Sein Halt”, sagt die Upanishad, wann immer sie sich auf das Selbst bezieht, das sich im Universum manifestiert.”

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14 Es ist heroische Hingabe, in welcher die Seele den Höhepunkt der freien Aktivität erreicht, in welcher die Person sich umwandelt, in welcher ihre Fähigkeiten durch die Gnade geläutert und vergöttlicht werden, ohne die Zerstörung ihrer Essenz.

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15 Gnade ist keine Vorstellung, die der christlichen spirituellen Idee eigentümlich ist, es gibt sie im Vaishnavismus, Shivaismus, in der Shakta-Religion – dieser Begriff ist so alt wie die Upanishaden selbst.

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16 Für den Christen ist die Kontemplation untrennbar mit dem Zustand der Gnade und des göttlichen Lebens verbunden. Wenn er sich auszulöschen hat, so ist es dennoch seine Person, die triumphiert, indem diese sich entreißen lässt, was nicht zu ihr gehört, indem sie alle Bande zerschneidet, die sie mit ihrer inkarnierten Individualität verbinden, damit der lebende Gott von ihr Besitz ergreifen, sie annehmen und bewohnen kann.

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17 Freiheit besteht vor allem darin, das Niedere der eigenen Natur dem Höheren unterzuordnen.

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18 Diese Einsamkeit der Seele (des asiatischen Asketen)... ist nicht die wahre spirituelle Muße, jene aktive Einsamkeit, in der sich die Umwandlung von der Sünde zur Heiligkeit vollzieht durch die Einung der Seele mit Gott in einem intellektuellen Licht voll Liebe.

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19 ...das christliche Leben – mystisch, progressiv – das eine unendliche Bereicherung und Erhöhung der menschlichen Person ist.

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20 Für den Asiaten ist die Personalität des Menschen sein Fall; für den Christen ist sie das eigentliche Ziel Gottes, das Prinzip der Einung, die natürliche Krönung der Schöpfung, die er insgesamt zur Gnade ruft.

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