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Mutters

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ersten Band

Ohne Datum 1956

(Brief von Satprem an Mutter)

Pondicherry, 1956

Jede künstlerische Schöpfung entspringt einer Frage, einem Konflikt, einem Mißverhältnis mit sich selbst, den Menschen oder dem Kosmos. Welcher Maler, welcher Dichter, welcher Schriftsteller schöpfte nicht das Beste seiner Kunst aus diesem Konflikt, von Michelangelo zu Goya, Van Gogh, Rodin, von Villon zu Rimbaud, Baudelaire oder Dostojewsky? Und das Kunstwerk – Bild, Roman oder Gedicht – ist eine Harmonie, die der Disharmonie entrissen wurde, ein Sieg über ein Chaos, eine Antwort auf eine Frage, die vom Menschen gestellt wurde – eine Metamorphose.

Die künstlerische Kreativität stützt sich auf das ganz Besondere des Menschen, das, was den anderen gegenüber am unnachgiebigsten ist, und durch diese unnachgiebige Besonderheit vollzieht der Künstler seine Metamorphose, seine Neu-Schaffung der Welt; durch sie sucht er seine Vereinigung mit den anderen und sich selbst und der Welt.

Das Yoga versucht aber, den Konflikt, das Problem oder die Frage zu unterdrücken. Der Mensch soll sich im Yoga vergessen, soll aufhören, ein Fragezeichen zu sein.

Wenn nun auf diese Weise alle Fragen eine Antwort erhalten haben, welcher Platz bleibt dann für das Kunstwerk? Wenn alles durch Transzendenz verwandelt wurde, welcher Platz bleibt für die künstlerische Metamorphose? Und wenn alles höchste Harmonie ist, kann sich diese Harmonie anders ausdrücken als durch ein Schweigen, ein Lächeln, ein Strahlen oder durch eine "inspirierte" Poesie – für die Sri Aurobindo das einzige Beispiel ist, auch wurde seine Poesie nicht dem Menschlichen entrissen, sie ist über-menschlich, sie kommt von anderswoher.

Muß künstlerische Schöpfung aufhören, menschlich zu sein, sich auf das Menschliche zu stützen? Das bedeutet, sehr große Maler, Dichter oder Schriftsteller abzulehnen. Muß man warten, bis man für die Ebene des supramentalen Bewußtseins offen ist, bevor man Yoga und künstlerisches Schaffen vereinigen kann, wenn sie überhaupt vereinbar sind, und bis dann alles unterdrücken, was den künstlerischen Elan unterstützt, das heißt das Individuum, den Konflikt, diesen Teil von sich selbst, den jeder Schöpfende als den reinsten menschlichen Teil empfindet? Muß man in sich dieses Spiel von Schatten und Licht auslöschen, aus dem die Kunst ihre höchsten Akzente schöpft?

Bernard

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