Mutters
Agenda
ersten Band
2. Mai 1956
Auszug aus der Mittwochsklasse.
Mutter, Du hast gesagt: "Das Supramental ist auf die Erde herabgekommen". Was bedeutet das genau? Du hast auch gesagt: "Die Versprechungen sind erfüllt worden". Was sind diese Versprechungen?
Ah! da, die Unwissenheit! Seit langer Zeit wurde es versprochen, seit langem wurde es gesagt – nicht nur hier: seit dem Anfang der Erde. Es gab die verschiedensten Voraussagungen, die verschiedensten Propheten; sie sagten: "Es wird neue Himmel geben und eine neue Erde, eine neue Rasse wird geboren, die Erde wird transformiert..." Die Propheten in allen Überlieferungen sprachen davon.
Du hast gesagt: "Sie sind erfüllt worden."
Ja. Und?
Wo ist die neue Rasse?
Die neue Rasse? Warte etwa... einige Tausend Jahre, und du wirst sie sehen!
Als das Mental auf die Erde herabkam, verging ungefähr eine Million Jahre zwischen dem Augenblick, wo das Mental sich in der irdischen Atmosphäre manifestierte, und dem Erscheinen des ersten Menschen. Jetzt wird es schneller gehen, denn der Mensch ist in Erwartung, er hat eine unbestimmte Idee; er erwartet in irgendeiner Weise die Ankunft des Übermenschen. Die Affen hingegen erwarteten sicher nicht die Geburt des Menschen, sie dachten nie daran. Aus dem guten Grunde, daß sie wahrscheinlich nicht viel denken! Aber der Mensch hat daran gedacht und erwartet es, da wird es schneller gehen. Aber schneller, das bedeutet wahrscheinlich noch Tausende von Jahren. Wir werden in einigen Jahrtausenden wieder davon sprechen!
(Schweigen)
Die Menschen, die innerlich bereit sind, die offen sind und eine Beziehung zu den höheren Kräften haben, die Menschen, die eine mehr oder weniger direkte Berührung mit dem supramentalen Licht und dem supramentalen Bewußtsein erfahren haben, die können den Unterschied in der irdischen Atmosphäre fühlen.
Aber dafür... Nur Gleiches kann Gleiches erkennen. Nur das Supramentale Bewußtsein in einem Individuum kann das Supramental wahrnehmen, das in der irdischen Atmosphäre wirkt. Jene, die aus irgendeinem Grunde diese Wahrnehmung entwickelt haben, können es sehen. Aber die, welche nicht einmal bewußt sind, sei es auch nur eines geringfügig innerlichen Wesens, und die große Schwierigkeiten hätten zu sagen, wie ihre Seele beschaffen ist, die sind gewiß nicht bereit, den Unterschied in der irdischen Atmosphäre wahrzunehmen. Dazu haben sie noch einen langen Weg vor sich. Denn für die, deren Bewußtsein mehr oder weniger ausschließlich im äußeren Wesen konzentriert ist – im mentalen, vitalen und physischen Wesen –, müssen Dinge einen widersinnigen und unerwarteten Anschein haben, damit sie sie erkennen können. Dann nennen sie es Wunder.
Aber das ständige Wunder der eingreifenden Kräfte, die die Umstände und die Naturen ändern und die eine sehr verbreitete Wirkung haben, das nennt ihr nicht Wunder, weil ihr gerade nur die Erscheinung seht, und das scheint euch vollkommen natürlich. Aber in Wahrheit, wenn ihr auch nur über das geringste der Ereignisse nachdächtet, müßtet ihr sagen, daß es wunderbar ist.
Das ist einfach weil ihr nicht darüber nachdenkt, weil ihr die Dinge nehmt, wie sie sind, für das, was sie sind, ohne zu fragen, andernfalls würdet ihr täglich sehr viele Gelegenheiten haben zu sagen: "Halt! Aber das, das ist ganz erstaunlich. Wie ist das gekommen?"
Einfach die Angewohnheit eines rein oberflächlichen Sehens.
Liebe Mutter, welche Haltung sollten wir gegenüber diesem Neuen Bewußtsein einnehmen?
Das hängt davon ab, was ihr damit tun wollt.
Wenn ihr es wie eine Kuriosität anschauen wollt, dann müßt ihr nur schauen und versuchen zu verstehen.
Wenn ihr wollt, daß es euch selbst ändert, dann müßt ihr euch öffnen und eine Anstrengung des Fortschritts machen.
Werden wir kollektiv oder individuell von dieser neuen Manifestation profitieren?
Warum stellt ihr diese Frage?
Weil viele Leute hier ankommen und fragen: "Wie können wir davon profitieren?"
Oh!
Und warum sollten sie davon profitieren? Welchen Anspruch haben sie, zu profitieren? Nur weil sie einen Zug genommen haben, um herzukommen?
Ich kannte Leute, die hierher kamen, das ist sehr, sehr lange her (oh! ich erinnere mich nicht mehr, aber sehr lange, gewiß mehr als zwanzig Jahre), und als das erste Mal jemand im Ashram starb, zeitigten sie eine beträchtliche Unzufriedenheit und sagten: "Aber ich bin hierhin gekommen, weil ich dachte, daß dieses Yoga mich unsterblich macht! Doch wenn man hier sterben kann, warum bin ich gekommen?!"
Nun, es ist das gleiche. Die Leute nehmen den Zug, um herzukommen – beinahe hundertfünfzig Leute mehr kamen als die anderen Male 1, einfach weil sie "profitieren" wollen. Aber vielleicht haben sie gerade deswegen nicht davon profitiert! Es ist nämlich nicht gekommen, um den Leuten auch nur den geringsten Vorteil zu bringen.
Sie fragen, ob es leichter sein wird, ihre inneren Schwierigkeiten zu überwinden.
Ich wiederhole dasselbe. Welchen Anspruch und welches Recht haben sie, Erleichterung zu verlangen? Was haben sie selbst auf ihrer Seite getan? Warum sollte es leichter sein? Um die Trägheit und Gleichgültigkeit der Leute zu befriedigen – oder wofür?
Weil man immer, wenn etwas Neues kommt, die Idee hat, davon zu profitieren.
Nein! Nicht nur, wenn etwas Neues kommt: in allen Fällen und immer hat man die Idee zu profitieren. Aber das, das ist die beste Art, nichts zu bekommen.
Wen will man hier täuschen? Das Göttliche?... Das ist kaum möglich. So geht es auch mit denen, die um eine Unterredung bitten. Ich sage ihnen: "Hört, ihr seid in großer Zahl gekommen, und wenn jeder mich um eine Unterredung bittet, werde ich in allen Tagen zusammen nicht genug Minuten haben, um jeden zu sehen. In der Zeit, die ihr hier seid, werde ich nicht einmal eine Minute haben." Dann sagen sie: "Oh! ich habe mir SOVIEL Mühe gemacht, ich bin von SO WEIT hergekommen, ich bin vom hohen Norden hierhin gekommen, ich habe so viele Reisestunden auf mich genommen – und ich habe nicht das Recht auf eine Unterredung?" Ich antworte: "Ich bedaure, aber Sie sind nicht der einzige, der so ist."
So ist das: es heißt geben-geben, ein Kuh-Handel. Wir sind kein Geschäftsunternehmen, wir haben gesagt, wir treiben keinen Handel.
Die Zahl der Schüler wächst jetzt von Tag zu Tag, was bedeutet das?
Aber natürlich wird sie mehr und mehr anwachsen! Und deshalb kann ich nicht das tun, was ich tat, als hundertfünfzig Personen im Ashram lebten. Wenn sie nur ein klein wenig Vernunft hätten, würden sie verstehen, daß ich jetzt nicht die gleichen Beziehungen mit den Leuten haben kann (diese Tage waren es 1800, meine Kinder!), so kann ich nicht die gleichen Beziehungen mit 1845 Personen haben (ich glaube das ist die Zahl) wie mit dreißig oder selbst mit hundert. Das scheint mir eine leicht verständliche Logik zu sein. Aber sie wollen, daß alles so bleibt, wie es war, und daß, wie ihr sagt, es ihnen als erste "zugute kommt".
Mutter, als das Mental in die irdische Atmosphäre herabkam, machte der Affe keine Anstrengungen, um sich in einen Menschen zu verwandeln, die Natur erbrachte die Anstrengung. Aber jetzt...
Aber es ist nicht der Mensch, der daran geht, sich in den Übermenschen zu verwandeln!
Nein?
Versuche es ein wenig! (Lachen)
Es ist "Das", etwas anderes, das arbeiten wird.
Dann sind wir...
Nur – ja, es gibt ein "nur", ich will nicht so grausam sein: JETZT KANN DER MENSCH MITARBEITEN. Das heißt, er kann sich dem Prozeß hingeben, willig, mit Aspiration, er kann zu seinem besten Vermögen helfen. Und deshalb sagte ich, daß es schneller gehen wird. Ich hoffe, daß es VIEL schneller gehen wird.
Aber dennoch, selbst viel schneller braucht es noch ein wenig Zeit!
(Schweigen)
Hört. Ihr alle habt darüber sprechen gehört, nicht einmal, sondern vielleicht hundertmal; ihr habt selbst darüber gesprochen, ihr habt darüber nachgedacht, ihr habt es erhofft, ihr habt es gewollt (manche Leute sind dafür hergekommen, mit diesem Bestreben, die supramentale Kraft zu empfangen und sich in den Übermenschen zu verwandeln, das war ihr Ziel...) Aber wie kann es geschehen, daß ihr ALLE dieser Kraft so fremd wart, daß ihr sie nicht einmal gefühlt habt, als sie kam?!
Könnt ihr mir dieses Problem lösen? Wenn ihr die Lösung dieses Problems habt, dann habt ihr die Lösung der Schwierigkeit.
Ich spreche nicht über die Leute von außen, die nie daran dachten, die sich nie damit beschäftigten und die nicht einmal wissen, daß man so etwas wie ein Supramental empfangen kann. Ich spreche von den Leuten, die ihr Leben auf diese Aspiration ausgerichtet haben (und ich zweifle nicht eine Minute an ihrer Aufrichtigkeit), die während dreißig, fünfunddreißig Jahren, manche mehr, manche weniger, daran gearbeitet haben, ständig mit den Worten: "Wenn das Supramental kommt... Wenn das Supramental kommt..." Das war der Refrain: "Wenn das Supramental kommt..." Folglich waren sie in der bestmöglichen Verfassung, man kann von keiner besseren Verfassung träumen. Wie kann die innere Vorbereitung so (sagen wir einfach) unvollkommen gewesen sein, daß sie es nicht unmittelbar fühlten, als die Vibration kam, durch den Schock des Erkennens?
Das Ziel eines jeden war, sich individuell vorzubereiten, in eine mehr oder weniger enge individuelle Beziehung mit dieser Kraft zu treten, um zu helfen, oder, wenn sie nicht helfen konnten, wenigstens bereit zu sein, wenn diese Kraft sich manifestierte, um sie zu erkennen und sich ihr zu öffnen. Anstatt nun ein fremdes Element in einer Welt zu sein, in der das, was ihr in euch tragt, nicht manifestiert ist, werdet ihr Das mit einem Schlage, ihr steht auf der Ebene dieser Atmosphäre und geht direkt in sie ein: diese Kraft ist hier, umgibt euch, durchdringt euch.
Wenn ihr einen kleinen inneren Kontakt hättet, würdet ihr sie unmittelbar wiedererkannt haben, oder?
Das ist jedenfalls bei denen geschehen, die einen kleinen inneren Kontakt hatten: sie erkannten es, sie fühlten es, sie sagten: "Ah! jetzt ist es gekommen." Aber wie kann das sein: soviele Hundert Leute, ohne von der Handvoll zu sprechen, die wahrhaft nur das wollten, nur an das dachten, ihr ganzes Leben darauf ausgerichtet hatten, wie kann es sein, daß sie nichts fühlten? Was kann das bedeuten?
Selbstverständlich kann nur das Gleiche das Gleiche erkennen. Das ist eine offensichtliche Tatsache.
Es bestand die Möglichkeit, individuell in Kontakt mit Dem zu kommen – es war sogar das, was Sri Aurobindo als den notwendigen Vorgang beschrieb: eine gewisse Anzahl von Leuten treten durch ihre innere Anstrengung und ihre Aspiration in Beziehung mit dieser Kraft. Wir nannten das den Aufstieg zum Supramental. Und selbst wenn es durch einen inneren Aufstieg wäre (das heißt, indem sie sich vom materiellen Bewußtsein lösten), wenn sie das Supramental in einem inneren Aufstieg berührt hätten, müßten sie es NATÜRLICH erkannt haben, sobald es kam. Aber es war unerläßlich, daß sie einen vorherigen Kontakt hatten: wenn sie es nicht berührt hatten, wie könnten sie es wiedererkennen!
Die universelle Bewegung verläuft so (ich habe es euch vor einigen Tagen vorgelesen): gewisse Individuen, die Pioniere, die Vorhut, treten durch die innere Anstrengung und durch einen inneren Fortschritt in Verbindung mit der neuen Kraft, die sich manifestieren soll, und sie empfangen sie in sich. Und weil es diese Aufrufe gibt, wird "Es" möglich, und das Zeitalter, die Epoche, der Augenblick der Manifestation kommt. Auf diese Weise geschah es – und die Manifestation kam zustande. Aber alle, die bereit waren, hätten sie erkennen müssen.
Ich betone, daß manche es erkannten, aber... Doch jene, die Fragen stellen und die dann auch kamen, die den Zug nahmen, um das aufzusaugen, wie man ein Glas Sirup trinkt, die überhaupt keine Vorbereitung hatten, wie konnten sie irgend etwas fühlen? Und sie sprechen schon von Nutzen: "Wir wollen davon profitieren..." Es ist schließlich gut möglich (ich mache mich lustig), wenn sie auch nur ein klein wenig Aufrichtigkeit in sich haben (nicht zuviel, denn das ist anstrengend!), ein ganz klein bißchen Aufrichtigkeit, dann würde es ihnen ein paar kräftige Stöße versetzen, damit sie schneller vorankommen! Das ist möglich. Ich denke, es wird tatsächlich so geschehen.
Aber diese Haltung... diese ein wenig zu geschäftliche Haltung ist meistens nicht sehr gewinnbringend. Wenn die Aspiration wirklich aufrichtig ist und ihr Schwierigkeiten habt, werden sie vielleicht weniger. Hoffen wir es.
(Sich an den Schüler wendend:) Das könnt ihr ihnen also sagen: seid aufrichtig, dann wird euch geholfen.
Mutter, eine Erklärung war hier kürzlich im Umlauf, die sagt: "Dieser Sieg der jetzt errungen wurde, ist keine Herabkunft, sondern eine Manifestation. Und es ist kein individuelles Geschehnis mehr: das Supramental ist in das universelle Spiel gesprungen."
Ja-ja! Das habe ich wirklich gesagt, ich kenne es. Und?
Es heißt: "Das supramentale Prinzip ist am Werke..."
Aber ich habe euch das gerade ausführlich erklärt! (Mutter lacht) Es ist schrecklich!
Was ich eine Herabkunft nenne ist dies: am Anfang steigt das Bewußtsein empor, ihr erhascht "Das" dort oben, ihr kommt damit herab. Das ist ein INDIVIDUELLES Ereignis.
Wenn dieses individuelle Ereignis sich genügend verbreitet hat, um eine allgemeinere Möglichkeit zu ergeben, dann ist es keine Herabkunft mehr, sondern eine "Manifestation".
Was ich als Herabkunft bezeichne, ist die individuelle Bewegung in einem individuellen Bewußtsein. Und wenn eine neue Welt sich in einer alten Welt manifestiert – wie zum Beispiel als das Mental sich auf der Erde ausbreitete – dann nenne ich das eine Manifestation.
Ihr könnt es nennen wie ihr wollt, das ist mir gleich, aber man muß sich verständigen können.
Was ich eine Herabkunft nenne, das vollzieht sich im individuellen Bewußtsein. Ebenso das, was man einen Aufstieg nennt (es gibt keinen eigentlichen Aufstieg: es gibt weder oben noch unten noch Richtung, das ist eine Redeweise), ihr sprecht von Aufstieg, wenn ihr den Eindruck habt, euch zu etwas hin zu erheben; und ihr nennt es Herabkunft, wenn ihr es erlangt habt und es dann in euer Inneres herabbringt.
Wenn aber die Tore offen sind und es hereinströmt, könnt ihr das nicht eine Herabkunft nennen: das ist eine Kraft, die sich ausbreitet. Verstanden?... Ah!
Mir ist gleich, welche Worte man dafür gebraucht. Ich lege nicht viel Wert auf meine Worte, aber ich erkläre sie euch und es ist besser, sich zu verstehen, andernfalls nehmen die Erklärungen kein Ende.
Jetzt könnt ihr den Leuten, die euch diese hinterlistigen Fragen stellen, antworten, daß die beste Art, irgend etwas zu empfangen, nicht darin besteht zu zerren, sondern zu geben. Wenn sie sich dem neuen Leben hingeben wollen, gut, dann wird das neue Leben in sie kommen.
Aber wenn sie das neue Leben in sich zerren wollen, werden sie ihre Tore mit ihrem Egoismus versperren. Das ist alles.
1 Es handelt sich um das Darshan vom 24. April 1956. Viermal im Jahr zogen die Schüler und Besucher während der "Darshans" hintereinander an Mutter (und früher Sri Aurobindo) vorbei, um ihren Blick zu empfangen.