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Mutters

Agenda

ersten Band

Ohne Datum 1958

(Einige Tage nach der Erfahrung vom 3. Februar hatte Mutter weitere Erfahrungen, die wie eine Fortsetzung davon sind:)

Jeder trägt mit sich, in seiner Atmosphäre, das, was Sri Aurobindo die "Kritiker" nannte; sie sind eine Art ständiger Abgesandte der feindlichen Kräfte. Ihre Rolle besteht darin, unbarmherzig jede Handlung, jeden Gedanken, die geringste Bewegung des Bewußtseins zu kritisieren und euch vor die verborgensten treibenden Kräfte eures Verhaltens zu stellen, die geringste niedere Vibration zu offenbaren, die eure scheinbar reinsten, höchsten Gedanken oder Handlungen begleitet.

Hier geht es nicht um Moral. Diese Herren sind keine moralisierenden Kräfte, obwohl sie sich sehr wohl der Moral zu bedienen wissen! Und wenn sie es mit einem ängstlichen, zweifelnden Bewußtsein zu tun haben, dann können sie es ohne Gnade schinden, jede Minute ihm einflüstern: "Du hättest dies nicht tun sollen, du hättest das nicht tun sollen, du hättest vielmehr jenes tun, das sagen sollen, jetzt hast du alles verdorben, du hast einen unheilbaren Schaden angerichtet, sieh, wie durch deinen Fehler alles unrettbar verloren ist." Manches Bewußtsein kann sogar von ihnen besessen wurden: ihr verjagt den Gedanken und hopp! zwei Minuten danach ist er wiedergekommen; ihr verjagt ihn wieder und er ist immer da, um euch zu behämmern.

Jedesmal wenn ich diesen Herren begegne, bereite ich ihnen einen warmen Empfang, denn sie verpflichten euch zu vollkommener Aufrichtigkeit, sie spüren die subtilste Heuchelei auf und stellen euch in jedem Augenblick den geheimsten Vibrationen gegenüber. Und sie sind intelligent! Von einer Intelligenz, die bei weitem die unsere übertrifft: sie wissen alles. Mit einer wahrhaft bewundernswerten Feinheit verstehen sie es, den geringsten Gedanken, die geringste Begründung, die geringste Handlung gegen euch zu wenden. Nichts entschlüpft ihnen. Was diesen Wesen aber eine widrige Färbung gibt, ist, daß sie zuerst und vor allem Defätisten sind. Sie stellen euch das Bild immer im schlechtesten Licht dar, notfalls entstellen sie eure eigenen Absichten. Sie sind wahrhaft Instrumente der Aufrichtigkeit. Aber eines vergessen sie immer, willentlich, weisen es weit von sich, als ob es nicht existiere: das ist die göttliche Gnade. Sie vergessen das Gebet, dieses spontane Gebet, das plötzlich wie ein eindringlicher Ruf aus der Tiefe des Wesens hervorquillt und die Gnade herabkommen läßt, und das den Lauf der Dinge verändert.

Und jedesmal wenn ihr einen Fortschritt errungen habt, wenn ihr auf eine höhere Ebene gekommen seid, dann stellen sie euch alle Handlungen eures vergangenen Lebens vor Augen, und in einigen Monaten, einigen Tagen oder einigen Minuten lassen sie euch alle eure Prüfungen von neuem durchmachen, auf einer höheren Ebene. Und es genügt nicht, den Gedanken zu verdrängen, zu sagen: "Oh! ich weiß" und einen kleinen Mantel darüber zu werfen, um nicht zu sehen. Man muß dem gegenübertreten und siegen, sein Bewußtsein voll Licht bewahren, ohne das geringste Zittern, ohne ein Wort zu sagen, ohne die geringste Vibration in den Zellen des Körpers, dann löst sich der Angriff auf.

Neulich in deiner supramentalen Erfahrung sagtest du auch, daß die moralischen Werte ihren Sinn völlig verloren hätten.

Aber unsere Auffassungen von Gut und Schlecht sind derart lächerlich! Derart lächerlich unsere Idee, was dem Göttlichen nahe ist und was dem Göttlichen fern ist! Die Erfahrung von neulich [3. Februar] war eine Entdeckung für mich, sie veränderte mich von Grund auf. Plötzlich verstand ich vieles aus der Vergangenheit, Handlungen, Teile meines Lebens, die unerklärt blieben – in Wahrheit ist der kürzeste Weg von einem Punkt zum anderen nicht die gerade Linie, die die Menschen sich einbilden!

Und während der gesamten Dauer dieser Erfahrung, eine ganze Stunde (eine Stunde der Zeit dort, das ist lang), lebte ich in einem Zustand außerordentlicher Heiterkeit, fast in einem Rausch... Der Unterschied zwischen den beiden Bewußtseinsarten ist so groß, daß, wenn man in dem einen Bewußtsein ist, das andere unwirklich erscheint, wie ein Traum. Als ich zurückkam, war ich zunächst betroffen über die Nichtigkeit des Lebens hier: unsere kleinen Auffassungen von unten erscheinen so lächerlich, so komisch... Wir sagen von gewissen Leuten, daß sie Narren sind, aber ihre Narrheit ist vielleicht eine große Weisheit vom supramentalen Gesichtspunkt aus, und ihr Verhalten ist vielleicht sehr nahe der Wahrheit der Dinge – ich spreche nicht von den dunklen Narren, die einen Gehirnschaden erlitten haben, sondern von den vielen anderen unverständlichen Narren, den leuchtenden Narren: sie wollten die Grenze zu schnell überschreiten und der Rest konnte nicht folgen.

Wenn man die Welt der Menschen vom supramentalen Bewußtsein aus betrachtet, ist das vorherrschende Merkmal ein Gefühl der Entfremdung, der Künstlichkeit – eine unsinnige Welt, weil sie künstlich ist. Diese Welt ist falsch, weil ihre materielle Erscheinung in keiner Weise die tiefe Wahrheit der Dinge ausdrückt. Es ist wie eine Verschiebung zwischen der äußeren Erscheinung und dem Inneren. So kann ein Mensch, der in seiner Tiefe eine göttliche Kraft besitzt, sich auf der äußeren Ebene in der Lage eines Sklaven befinden. Das ist unsinnig! In der supramentalen Welt hingegen ist es der Wille, der direkt auf die Substanz wirkt, und die Substanz gehorcht diesem Willen. Ihr wollt euch bedecken: die Substanz, in welcher ihr lebt, nimmt unmittelbar die Form eines Kleides an, um euch zu bedecken. Ihr wollt euch von einem Platz zu einem anderen bewegen: euer Wille genügt, um euch zu befördern, ohne daß ihr ein Fahrzeug oder etwas Künstliches braucht. So wie das Schiff meiner Erfahrung keinerlei Maschinen benötigte, um sich fortzubewegen: der Wille formte die Substanz gemäß seinen Bedürfnissen. Als wir landen mußten, formte sich die Landebrücke von selbst. Als ich die Gruppen an Land gehen ließ, wußten es jene, die gehen sollten, automatisch, ohne daß ich ein Wort sagen mußte, und sie kamen der Reihe nach. Alles geschah schweigend, es war nicht nötig zu sprechen, um sich verständlich zu machen; aber das Schweigen selbst machte an Bord des Schiffes nicht diesen künstlichen Eindruck, den es hier macht. Wenn man hier Stille will, muß man schweigen: die Stille ist das Gegenteil von Lärm. Dort ist die Stille vibrierend, lebend, aktiv und verstehend, verständlich.

Die Unsinnigkeit hier, das sind alle die künstlichen Mittel, derer man sich bedienen muß. Irgendein Schwachsinniger hat mehr Macht, wenn er mehr Mittel besitzt, um die nötigen Künstlichkeiten zu erwerben. Hingegen in der supramentalen Welt hat der Wille um so mehr Macht über die Substanz, je bewußter man ist und je mehr man in Beziehung mit der Wahrheit der Dinge steht. Die Autorität ist eine wahre Autorität. Wenn ihr ein Kleid haben wollt, müßt ihr die Kraft haben, es zu formen, eine wahre Kraft. Habt ihr diese Kraft nicht, nun, dann bleibt ihr nackt. Da gibt es kein künstliches Mittel, um den Mangel an Kraft zu ersetzen. Hier ist Autorität nicht einmal unter einer Million der Ausdruck von etwas Wahrem. Alles ist ungeheuer dumm.

Als ich wieder herunterkam ("herunter", das ist eine Redensart, denn es ist weder oben noch unten, weder innen noch außen, es ist... irgendwo), brauchte ich eine gewisse Zeit, um mich wieder zurechtzufinden. Ich erinnere mich sogar, zu jemandem gesagt zu haben: "Jetzt fallen wir in unsere gewohnte Dummheit zurück." Aber ich verstand viele Dinge und kehrte von dort mit einer entscheidenden Kraft zurück. Jetzt weiß ich, daß unsere Weise hier, die Dinge zu bewerten, unsere kleine Moral, in keiner Beziehung zu den Werten der supramentalen Welt steht.

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