Mutters
Agenda
ersten Band
17. Juni 1959
(Brief von Satprem an Mutter)
Rameswaram, 17. Juni 1959
Liebe Mutter,
Ich erhielt Deine Karte vom 13. Ich wage nicht zu schreiben, denn alles, was die sofortigen Tatsachen angeht, ist zu verworren.
Das einzige, was sich mit Gewißheit und stetig wachsender Kraft bestätigt, ist meine Seele. An sie klammere ich mich mit aller Kraft. Sie ist meine einzige Zuflucht. Hätte ich nicht das, würde ich mein Leben in die Luft gehen lassen, denn das äußere Leben und die nächste Zukunft erscheinen mir unmöglich, unerträglich.
Dein Segen für Sujata und mich berührt mich. Aber dort liegt eine weitere Unmöglichkeit.
In den letzten Tagen mußte ich erkennen, daß es vielleicht eine zu starke Vereinfachung bedeutet, alle meine "Krisen" den gegnerischen Kräften anzulasten. Ich sehe immer mehr – weil ich in meinem Leiden nur meine Seele habe und mich ihr anvertraue, sonst könnte ich nie all das ertragen, was ich durchgemacht habe und durchmache – und ich sehe, daß auch eine Kraft der Wahrheit mich periodisch drängte fortzugehen, die Wahrheit meiner Bestimmung, die im Ashram nicht ihre Erfüllung findet.
Mutter, ich habe in letzter Zeit so sehr gelitten und so sehr gebetet, es kann unmöglich meiner Seele nicht gelingen, die Umstände so einzurichten, daß ich endlich lebe – daß ALLES wirklich in Einklang gebracht wird: nicht später oder "eines Tages", denn das kann nicht mehr so weitergehen, ich bin am Ende – und sehr bald.
Mutter, ich bete mit solcher Wahrheit im Herzen, daß ich sicher bin, die Götter werden zu Hilfe kommen, und Du wirst mir auch helfen. Ich denke nicht nur an Sujata, ich denke an all diese Bestimmungen in mir, die ersticken.
Dein Kind,
Satprem
P.S. Ja, ich bin auch sicher, das "große Geheimnis ist, sich zu geben", aber vielleicht führt dieses Wort leicht zu Mißverständnissen, denn ich glaube nicht "sich zu geben" bedeutet sich zu verstümmeln. Darüberhinaus gehört mein Leben offensichtlich Dem und hat nur für Das einen Sinn.
Kannst Du mir sagen, ob ich wirklich meiner Mutter schreiben soll, daß ich sie besuche?