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Mutters

Agenda

zweiten Band

18. April 1961

Das Unterbewußte ist in großer Aufruhr...

Wir werden sehen.

Und du?

Gestern oder vorgestern fiel mir ein Text von Sri Aurobindo unter die Augen. Das stellt ein ziemlich bedeutendes Problem vom okkulten Gesichtspunkt, und ich hätte gerne etwas mehr Klarheit über diese Aussage: "The man who slays is only an occasion, the instrument by which the thing done behind the veil becomes the thing done on this side of it." ["Der Mensch, der tötet, ist nur ein Anlaß, das Instrument, durch welches die Tat, die hinter dem Schleier bereits vollendet ist, auf dieser Seite desselben ausgeführt wird." – The Ideal of the Karmayogin]

Das bedeutet genau folgendes (ich gehe zum vorherigen Satz zurück): Der, den Gott bereits tötete, wer kann ihn beschützen? 1 Er wurde bereits von Gott getötet. Das heißt, wenn Gott entschieden hat, daß jemand getötet werden soll, kann nichts dies verhindern und ihn beschützen. Und Sri Aurobindo fügt hinzu: der Mensch, der tötet (denn Gott tötet nicht direkt, er bedient sich des Menschen zur Ausführung), ist nur der Anlaß, dessen Gott sich bedient, um zu töten – er ist das Instrument, durch welches die von Gott hinter dem Schleier entschiedene Sache hier materiell ausgeführt wird.

Dies sind philosophische Texte aus der Revolutionszeit. Es war in Bezug auf die Attentate, als sie Bomben auf die Engländer warfen. Und er sagt: jenen, den Gott beschützt, kann niemals jemand berühren, ihr könnt es versuchen, soviel ihr wollt, ihr werdet ihn nicht umbringen. Aber der, den Gott bereits getötet hat, wer kann verhindern, daß er getötet wird? Er wurde bereits von Gott getötet. Und der Mensch ist nur das Instrument, dessen Gott sich bedient, damit das, was dort ausgeführt wurde (es wurde BEREITS ausgeführt), hier getan wird. Das ist sehr einfach.

Ja, das verstehe ich gut, aber heißt das, daß im allgemeinen alles irgendwie schon auf der anderen Seite entschieden wurde und es danach hier abläuft? Das ist ein okkultes Problem, und dann das Problem der Freiheit.

Meiner Erfahrung nach sind beide Dinge sozusagen simultan. Wir sind es, die den Begriff der Zeit einführen, aber auf der anderen Seite existiert der Zeitbegriff nicht.

Wenn man mich zum Beispiel fragte, wie lange es dauert, bis eine dort entschiedene Sache hier verwirklicht wird, würde ich antworten, daß es völlig unbestimmt ist. Das ist meine Erfahrung. Ich gebe immer dieses Beispiel, weil es so deutlich ist: ich sah das freie Indien, fünfunddreißig Jahre bevor es befreit wurde. Es war bereits getan. Ich sah aber auch Dinge, die für uns fast augenblicklich sind: etwas wird dort entschieden, und es verwirklicht sich fast augenblicklich hier. Zwischen den beiden Extremen gibt es alle Möglichkeiten, denn der Zeitbegriff ist überhaupt nicht derselbe, und deshalb kann man es nicht einschätzen. Es ist sehr angenehm zu sagen: was Sie dort sehen, wird hier in einem Jahr geschehen, oder in acht Tagen, in einer Stunde – das ist völlig unmöglich. Das hängt von den Fällen ab und von bestimmten Faktoren, die Teil der Gesamtheit der Sache sind.

In einem Kapitel in The Synthesis of Yoga sagt Sri Aurobindo, daß es einen bestimmten Bewußtseinszustand gibt, in dem alles seit aller Ewigkeit besteht – alles, alles, was sich hier manifestieren wird...

In seinen Einzelheiten?

In einem bestimmten Bewußtseinszustand (ich weiß nicht mehr, wie er ihn nennt, ich glaube es ist im "Yoga der Selbst-Vervollkommnung") da ist man vollkommen mit dem Höchsten vereinigt (nicht in seinem statischen sondern in seinem dynamischen Zustand, das heißt im Werden), und in diesem Zustand besteht alles bereits seit aller Ewigkeit. Dennoch gibt es uns hier den Eindruck des Werdens – aber dort ist es schon. Und Sri Aurobindo sagt, wenn man fähig ist, diesen Zustand zu bewahren, 2 dann weiß man alles: alles was war, alles was ist, alles was sein wird, absolut gleichzeitig.

Aber man muß einen soliden Kopf haben! Beim Lesen mancher dieser Kapitel der "Selbst-Vervollkommnung" dachte ich, es wäre besser, das fällt nicht in die Hände aller Leute.

Dort verschwindet jeglicher Eindruck von Ungewißheit (er erklärt das auch sehr gut).

Wir denken, WEIL wir dies tun, geschieht jenes (und wie häufig! die ganze Zeit wird geschrieben, gesagt: tut dies, dann wird jenes geschehen), aber die Tatsache, daß der eine dies sagt und der andere es tut, war auch absolut vorherbestimmt.

Wenn es uns gelänge, das zu verstehen, würde der Kopf wahrscheinlich ins Schwimmen geraten.

Es kann absolut nichts an dem ändern, was ist. Diese Erfahrung hatte ich sehr deutlich: die Absolutheit von allem, was materiell besteht, und alles, was wir zu tun glauben oder zu tun hoffen, kann absolut nichts daran ändern. Aber ich war sehr angespannt, um zu verstehen, was der Unterschied zwischen dem wahren und dem lügenhaften Zustand wäre, WEIL MATERIELL ALLES GENAU SO IST, WIE ES SEIN SOLL (wir glauben, die Dinge wären so oder so wegen bestimmten Reaktionen, aber unsere Reaktionen selber sind ebenso absolut vorherbestimmt wie die betroffene Sache). Und dennoch...

Ich hatte diese Erfahrung, sie dauerte sogar mehrere Tage, ich erinnere mich: ich sah alle materiellen Umstände wie eine Absolutheit – eine Absolutheit, die wir wie einen Ablauf sehen, aber sie ist eine ewig bestehende Absolutheit. Diese Erfahrung hatte ich. Gleichzeitig hatte ich die sehr deutliche Wahrnehmung dessen, was die Falschheit, die Lüge war (was Sri Aurobindo vom Sanskrit übersetzt crookedness 3 nennt), auf der psychologischen, mentalen Ebene. Wir schreiben den Ablauf der Umstände bestimmten psychologischen Reaktionen zu – und in der Tat, weil alles bewußt oder unbewußt zusammenarbeitet, werden sie vorübergehend verwendet, damit die Dinge so werden, wie sie sein müssen –, aber die Dinge könnten auch ohne Eingreifen dieser Lüge so werden, wie sie sein müssen. Einige Tage lebte ich in diesem Bewußtsein, und da war sichtbar, was die Lüge von der Wahrheit trennte. In diesem Zustand von Bewußtseins-Wissen war man fähig, zwischen Wahrheit und Lüge zu unterscheiden. Und in der Wahrheit betrachtet, verändern die materiellen Umstände ihre Beschaffenheit.

Jetzt habe ich die Erfahrung nicht mehr, sie ist nur noch eine Erinnerung, deshalb kann ich es nicht genau beschreiben. Was aber sehr klar war, und was äußerst häufig kommt, ist die Wahrnehmung einer Überlagerung von Lüge über einer wirklichen Tatsache (das bringt uns zurück zu dem, was ich dir neulich sagte 4, daß alles in seiner Wahrheit sehr einfach ist und nur das menschliche Bewußtsein all die Komplikationen verursacht). Aber hier war es noch umfassender.

Das ist sehr interessant in Bezug auf den Tod. Ich sah es so deutlich im Augenblick, wo jemand seinen Körper verließ (ich erinnere mich nicht mehr, wer es war). Da erschien das Wort "Tod" und all die menschlichen Reaktionen so verrückt! So völlig sinnlos, unwissend, dumm – lügenhaft, ohne Realität. Es war einfach etwas, das sich bewegt (Mutter zeichnet eine Kurve zur Andeutung einer Verlagerung des Bewußtseins von einer Seinsart in eine andere), und nur wir, in unserem lügenhaften Bewußtsein, machten ein Drama daraus – es ist einfach etwas, das seiner Evolution folgt (selbe Geste).

Dazu fällt mir etwas ein, das erst kürzlich geschah: E schickte mir ein Telegramm, daß sie einen Darmbruch habe (aber es muß etwas anderes gewesen sein, denn man operierte sie erst einige Tage später, was bei einem Darmbruch tödlich gewesen wäre). Jedenfalls war es sehr ernsthaft, und sie stand am Rande des Todes, das ist gewiß. Am Vorabend der Operation schrieb sie mir einen Brief (interessanterweise erinnert sie sich nicht einmal, was sie mir schrieb), einen wunderbaren Brief! Darin sagte sie, sie wäre sich der Göttlichen Gegenwart und des Göttlichen Plans bewußt: "Morgen operiert man mich. Ich bin mir absolut bewußt, daß diese Operation BEREITS geschehen ist, eine vollendete Tatsache des Göttlichen Willens ist – eine Operation, die sonst eine tödliche Qual wäre." Sie sagte, sie hätte in einem vollkommenen Frieden das Bewußtsein, daß die Operation durch den Höchsten Willen geschehen sei. Ein wunderbarer Brief. Und alles geschah fast wie durch ein Wunder, sie erholte sich auf so wunderbare Weise, daß der Chirurg ihr sogar gratulierte: "Ich muß Ihnen gratulieren!" Worauf sie antwortete: "Das ist aber überraschend! Sie haben doch die Operation gemacht!" Da erklärte er ihr: "Wir haben die Operation durchgeführt, aber Ihr Körper heilte sich, wollte heilen, und für diesen Willen Ihres Körpers gratuliere ich Ihnen." Natürlich schrieb sie mir, sie wisse, wer dort zugegen war und dafür sorgte, daß alles gut ging. Dieses Gefühl, daß die Sache bereits vollzogen ist, ist ein Anfang dieses Bewußtseins, von dem Sri Aurobindo im Yoga der Selbst-Vervollkommnung spricht, wo man zugleich dort und hier ist. Denn Sri Aurobindo sagt, völlig dort zu sein, das haben Leute schon verwirklicht, aber was er als "Verwirklichung" bezeichnet, besteht darin, zugleich dort und hier zu sein.

Offensichtlich könnte man sich fragen, wenn alles schon dort oben geschehen ist, auf der okkulten Ebene, was ist dann der Sinn dieser Sache hier? Wenn alles schon vollendet ist und wir es einfach nur wiederholen.

Nein, nein!

Wir sind wie Marionetten!

Aber nein! Das ist gerade unsere Lüge! Was wir sehen, ist nicht DIE SACHE, sondern eine Spiegelung, ein entstelltes Bild in unserem Bewußtsein. Doch die Sache existiert unabhängig von dieser Spiegelung, und so, wie sie existiert, hat sie nicht die Beschaffenheit, die wir ihr zuschreiben. Wenn es einem gelingt, das zu erfassen, dann versteht man, wie man das lösen kann. Sonst kann man es nicht lösen!

Es gibt eine universelle Entfaltung, das ist die wahre Entfaltung: der höchste Herr, der sich selbst betrachtet (das ist die beste Art, es auszudrücken), der sich entfaltet. Aber aus irgendeinem Grund kam es zu einer Entstellung im Bewußtsein, durch die wir dieses Entfalten als etwas Getrenntes betrachten, das ein mehr oder weniger adäquater Ausdruck des göttlichen Willens ist. Aber das ist nicht so! Es ist das Entfalten des Göttlichen in sich selbst – in sich selbst, von sich selbst, für sich selbst. Und nur unsere Lüge macht etwas Getrenntes daraus... Bereits die Tatsache der Objektivierung (was WIR "Objektivierung" nennen) ist eine Lüge. 5

Ich hatte dieses Bewußtsein in blitzartigen Augenblicken. Die Schwierigkeit besteht darin, daß wir, um sie zu beschreiben, all unsere mentalen Mittel verwenden, die selber lügenhaft sind – wir sind cornered [in der Klemme]. Verfolgt man es nämlich bis ans Ende... Alles, was man sagt: "Wenn es so ist, wenn dies, wenn jenes...", all das ist Teil unserer allgemeinen Idiotie. Und wenn man bis ans Ende geht, dann ist man plötzlich so: ah! (man kann nichts mehr darüber sagen), es gibt nichts mehr zu tun, keine Bewegungen mehr zu machen.

Nur, wie gesagt, vom praktischen Standpunkt kann diese Erfahrung gefährlich sein. Als ich sie hatte, erlebte ein Teil von mir die Erfahrung und ein anderer Teil war noch nicht bereit für sie. Ich war wach genug, um mir zu sagen: "Der Teil, der die Erfahrung hat, überwiegt genügend im Wesen, daß alles ruhig bleibt, aber wenn die Vorbereitung unzureichend wäre, könnte es eine Unausgewogenheit verursachen." Wenn jemand unglücklicherweise fähig wäre, etwas davon zu erwischen, ohne genügend stark zu sein, dann würde er den Kopf verlieren.

Das machte mir klar (ich sah es deutlich), daß manche Dinge den einen erleuchten können, während sie andere völlig verrückt machen, sie völlig ihres Gleichgewichts beraubt. Du wirst mir sagen: das ist, weil sie verrückt werden mußten! – Das ist offensichtlich.

Selbst wenn man es absolut setzt, bleiben die Beziehungen dieselben. 6 Der erste Impuls ist zu sagen: was nützt es dann, irgend etwas zu tun? – Pardon! Die eigentliche Tatsache, daß ihr etwas tun wolltet, ist Teil des allgemeinen Determinismus. Nur weil wir immer etwas zurückhalten, weil wir es nicht in seiner Gesamtheit zulassen, sonst... Es gibt keinen Ausweg, es ist einfach so.

Sri Aurobindo erklärt das auf so vollständige, umfassende, gebündelte Weise, daß man erkennt, es gibt nicht den geringsten Winkel, durch den man entwischen könnte. Diese Unfähigkeit oder angebliche Unfähigkeit, aus seiner Trennung herauszukommen, wird dann zu etwas Falschem.

Man muß einen soliden Kopf haben. Man muß sich stets auf DAS beziehen können (Geste nach oben), und das Schweigen (Mutter berührt ihre Stirn): Frieden-Frieden-Frieden, alles anhalten, alles anhalten. Bloß nicht versuchen zu verstehen! Oh! Es gibt nichts gefährlicheres, als zu verstehen versuchen – wir versuchen, mit einem Instrument zu verstehen, das nicht zum Verstehen geeignet ist, das unfähig ist zu verstehen.

Für deine Frage ist es jedenfalls sehr einfach, wir brauchen nicht zu solchen Extremen gehen!

Nein, ich stellte mir diese Frage nicht vom metaphysischen Standpunkt, sondern auf der okkulten Ebene... Als würde das Spiel im Okkulten gespielt und wir führen es materiell aus.

Für uns erscheint es so.

Es erscheint so... heißt das, Er selber spielt in sich selber?

Das ist eine andere Art, es auszudrücken!

(Schweigen)

Einmal versuchte ich, das auf dem Sportplatz zu erklären, an einem Tag, als ich mich in Gegenwart desselben Problems befand: was IST wirklich? Und es ist völlig offensichtlich, daß es unmöglich ist, mit dem Mental zu verstehen. Aber ich hatte eine Vision von einer Art unendlichen Ewigkeit, in der das Bewußtsein reist 7, und den Weg dieses Bewußtseins nennen wir "die Manifestation". Diese Vision erklärte die absolute Freiheit – sie erklärte, daß beide Dinge absolut zusammen bestehen können: die absolute Freiheit und der absolute Determinismus. Das Bild meiner Vision war eine ewige Unendlichkeit, in der das Bewußtsein wandert – man kann nicht einmal sagen, "frei wandert", denn "frei" würde implizieren, daß es anders sein könnte.

All jene, die die Erfahrung hatten, sagen, die erste Bewegung der Manifestation oder der Schöpfung (Schöpfung, Manifestation, Objektivierung: alle Worte sind unvollkommen), die erste Bewegung war CHIT, das heißt, Bewußtsein, welches Macht wird. Folglich ist es Bewußtsein, das im SAT wandert, im Sein – statisch, ewig, unendlich, und zwangsläufig ohne Raum und ohne Zeit. Diese Bewegung des Bewußtseins läßt in der Unendlichkeit Zeit und Raum entstehen. 8 Und dort versteht man, daß es zugleich absolut frei und absolut determiniert sein kann.

Ich hatte diese Vision. Für jemand anderen ist sie wertlos, aber mir gab sie eine Art Befriedigung, einen Frieden (vorübergehend).

(langes Schweigen)

Ich lese weiter im Veda. Ich sehe, wie schön das ist und wie wirksam das für diese Leute gewesen sein muß, welche Verwirklichungsmacht diese Hymnen haben mußten! Aber für mich...

Dennoch stand ich während einer Zeit in Beziehung mit all diesen Göttern und Dingen, und das hatte eine völlig konkrete Wirklichkeit für mich. Aber jetzt... Ich lese und verstehe, aber ich kann es nicht leben. Ich weiß nicht warum. Es löste noch nicht die Erfahrung aus. Für mich ist die Erfahrung – die konstante, totale, permanente Erfahrung –, daß... es gibt nur den Höchsten. Die alleinige Existenz des Höchsten, allein der Höchste existiert. Da erzählen sie von Agni, Varuna, Indra... Ich empfinde das nicht. (Was der Veda aber zum Beispiel sehr gut erreicht, ist, euch die Erkenntnis eurer Schwäche, eurer Unfähigkeit, unseres beklagenswerten gegenwärtigen Zustands zu geben, das macht er bestens!) Und gestern war es die Inbrunst der Flamme – alles zu verbrennen, um alles aufzuopfern. Es war absolut konkret, mit einer Intensität der Vibrationen: ich sah die Vibrationen. Alle Bewegungen der Düsternis, der Unwissenheit wurden dort hineingestürzt. Ich erinnere mich, es gab eine Zeit, als ich diese Hymnen an Agni mit Sri Aurobindo übersetzte, da besaß Agni eine Realität für mich – gestern war es das nicht, es war nicht der Gott Agni, sondern es war ein ZUSTAND. Ein Zustand des Höchsten. Auf diese Weise war es nah, deutlich, intensiv, vibrierend, lebendig.

(Schweigen)

Nur nachts (ganz am Ende der Nacht, gegen zwei Uhr morgens) steigt dieses ganze Unterbewußte hoch, um wiedererlebt zu werden. Mit einer so neuen Wahrnehmung, so unerwartet!... Unglaublich! Unglaublich, wie es alle Werte und alle Beziehungen und alle Reaktionen verändert (Mutter bezeichnet große Bewegungen von Kräften, die sich verlagern), all das ist wie ein Schachbrett... völlig unerwartet!

Und ich sehe eine sehr stetige, beharrliche und regelmäßige Aktion, um die Moralwerte zu beseitigen. Oh, mein ganzes Leben litt ich unter diesen Moralwerten! Alles wurde augenblicklich in eine Skala von Moralwerten eingestuft, nicht die normale Moralität, weit davon entfernt! Aber das Gefühl, was zu unterstützen ist, und was zu verhindern ist: alles wurde augenblicklich mit diesem Willen zum Fortschritt betrachtet – alles, alle Umstände, alle Reaktionen, alle Bewegungen, alles übersetzte sich in das. Und jetzt pflügt einen die Wirkung dieses aufsteigenden Unterbewußten dahinein! Wie eine Lehre, um euch zu sagen: sieh, was eure Begriffe von Fortschritt wert sind! Sie basieren alle auf Illusionen – eine allgemeine Lüge. Die Dinge waren überhaupt nicht, wie sie erschienen, sie hatten nicht die Wirkung, die sie zu haben schienen, nicht das Ergebnis, das man wahrnahm – bei allem, allem, allem! Oh, Herr!

(Schweigen)

Um das berühren und manifestieren zu können, was die Leute im Veda "die Wahrheit" nennen, habe ich offensichtlich noch viele, viele, viele Dinge zu ändern... sehr viele.

Dennoch, und das ist eine Tatsache, bin ich in diesem Zustand, wo nichts mehr existiert außer dem Göttlichen, dem Höchsten – der Höchste in allen Vibrationen, in allem, was ich tue, allem, was ich fühle. Aber in meinem Bewußtsein scheint sich das noch irgendwie abzuschwächen, denn... denn es ist noch nicht DIE Wahrheit.

(langes Schweigen)

Es tut etwas darin (Mutter berührt ihren Kopf), es formt etwas, arbeitet... Zweimal jeden Tag sage ich dem Herrn in meiner langen Evokation-Invokation-Aspiration (oder Gebet, wenn man will): "Nimm dieses Gehirn in Besitz" – ich meine nicht "das Denken", sondern das (Mutter berührt ihren Kopf), diese Art Substanz, die darin steckt. "Nimm das in Besitz!"

Eine Nacht wanderte ich in diesem Kopf herum. Manche Zellen hatten noch ganz frische Eindrücke, die sich im Laufe des Tages eingeprägt hatten, und diese Eindrücke hatten aus irgendeinem Grund noch nicht Zeit gehabt, ins Ganze eingebunden zu werden, deshalb standen sie wie kleine, sehr klare Eindrücke hervor (winzige Dinge, völlig bar jeder gedanklichen Bewegung, jeder psychologischen Bewegung: einfach wie ein kleines fotografisches Bild). Drei oder vier solche Dinge waren geblieben, und sie waren in dieser Gegenwart so schockierend. Als ich das sah, fragte ich mich plötzlich: "Bin ich dabei, verrückt zu werden?!" So schockierend. Ich mußte den Frieden herbeiführen – nicht diese Bewegung des Besitzergreifens einstellen, aber sie gleichzeitig mit einem ungeheuren Frieden begleiten, um mir nicht sagen zu müssen: "Du bist dabei zu entgleisen", so bestürzend war es.

Ein winzig kleines Bild, ganz und gar wie ein kleiner fotografischer Abdruck, so deutlich! Alles andere befand sich in seiner Vibration der Transformation, prächtig!

Weißt du, mein Kind, man muß die Füße fest auf dem Boden haben, solide sein, sehr ausgewogen, und sich nicht fortreißen lassen!

Aber du scheinst zu sagen, daß die Ideen, die unseren Fortschritt bestimmen oder unterstützen, mehr oder weniger falsche moralische Begriffe sind. Was soll dann unseren Fortschritt unterstützen? Was soll uns das Gefühl geben: dies ist gut oder nicht gut, dies ist nützlich oder nicht nützlich für den Fortschritt?

Das ist nicht notwendig, das ist es ja gerade!

Jetzt weiß ich, daß dies überhaupt nicht notwendig ist. Die Aspiration muß einfach die ganze Zeit so sein (Geste einer aufsteigenden Flamme). Aspiration bedeutet, man weiß, was man will: man will. Aber man kann dem keine bestimmte Form geben; denn Sri Aurobindo benutzte bestimmte Worte, wir benutzen andere Worte und andere benutzen wieder andere Worte, und all das bedeutet nichts, es sind einfach Worte. Aber es gibt etwas jenseits aller Worte... Für mich ist das einfachste (die einfachste Ausdrucksweise): "Der Wille des Höchsten".

Und es ist nur "der Wille des Höchsten" FÜR DIE ERDE, denn das ist etwas ziemlich Besonderes: im Moment bin ich in einem universellen Bewußtsein, und die Erde erscheint mir als ein winzig kleines Ding (Mutter malt eine kleine Kugel in den Raum), das dabei ist, sich zu transformieren. Aber das ist eine andere Angelegenheit, das ist der Standpunkt der Arbeit.

Doch für jene, die hier sind, kann man sagen: "Was der höchste Herr für die Erde vorbereitet." Er sandte Sri Aurobindo, um es vorzubereiten, und Sri Aurobindo nannte das "die supramentale Verwirklichung". Wir können zur leichteren Verständigung dieselben Worte verwenden. Diese Bewegung (Geste der aufsteigenden Flamme) zu Dem muß konstant sein – konstant –, total. Alles andere ist nicht unsere Angelegenheit. Je weniger wir uns mental einmischen, um so besser ist es. Aber DAS, diese Flamme, ist unerläßlich. Und wenn sie verlischt: sie wieder entfachen; wenn sie sich zerstreut: sie wieder sammeln – die ganze Zeit, die ganze Zeit, die ganze Zeit, die ganze Zeit, wenn man schläft, wenn man läuft, wenn man liest, wenn man sich bewegt, wenn man spricht, wenn man... die-ganze-Zeit.

Alles andere hat keine Bedeutung: man kann alles beliebige tun (das hängt von den Leuten und ihren Gedanken ab). Frag Leute wie X, und sie werden dir sagen, daß man alles beliebige tun kann, das hat absolut keine Bedeutung, man darf es nur nicht als sich selbst empfinden, das ist alles: es muß etwas sein, das die Natur tut (aber ich kann nicht sagen, daß ich dieses System gutheiße).

Das Wichtige ist diese Flamme.

(Schweigen)

Gerade in diesen Szenen des Unterbewußten, die sich nachts präsentierten, gab es Dinge, die ich in meinem Leben für schädlich gehalten hatte – plötzlich sah ich, oh, mit welcher Macht und welcher Intensität die Schwingung dieser Aspiration sogar DORT aufstieg! Ich sagte mir: Wie man sich doch täuscht!

Und diese Aspiration hängt weder von eurem Gesundheitszustand ab noch von... Sie ist absolut unabhängig von allen Umständen – ich fühlte diese Aspiration in den Zellen meines Körpers in Zeiten höchster Störung, wo vom normalen medizinischen Standpunkt die Krankheit schwerwiegend war. Und die Zellen SELBER haben die Aspiration. Sie muß überall sein, das ist es.

Wenn man in diesem Zustand ist, braucht man sich keine Sorgen zu machen: alles andere hat keinerlei Bedeutung. (Mutter lacht sehr herzlich)

 

1 "Wer kann den töten, den Gott schützt? Wer kann den schützen, den Gott tötete?" The Ideal of the Karmayogin, S. 354.

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2 Satprem hatte angenommen, dieser Bewußtseinszustand wäre nur in einer Art Trance oder Samadhi zugänglich, und daß Mutter mit "bewahren" ausdrücken wollte, daß man ihn hier in das wache Bewußtsein zurückbringen müsse. Mutter berichtigte: "Das ist ein Zustand, in dem es kein "hier" oder "dort" gibt. Ich hatte diese Erfahrung im wachenden Bewußtsein, und beide Wahrnehmungen waren gleichzeitig (die wahre und die falsche)."

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3 Wörtlich: das, was verdreht ist. Die Rishis unterschieden zwischen dem "geraden" Bewußtsein (fast im optischen Sinne: das die Strahlen gerade durchläßt) und dem verdrehten.

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4 Agenda I, 31.12.1960.

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5 Als Satprem bemerkte, dieser Satz könnte in einer "illusionistischen" Bedeutung verstanden werden (im Sinne, daß die Objektivierung der materiellen Welt eine Lüge wäre), antwortete Mutter: "Nein, die Objektivierung ist keine Lüge, sondern unsere Auffassung der Objektivierung als etwas Getrenntem von DEM. Wenn wir sagen: "Er objektiviert sich", dann denken wir etwas, das nicht die Wahrheit ist – das nicht mehr die Wahrheit ist."

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6 Später erläuterte Mutter diesen Satz folgendermaßen: "Wir halten immer einen Teil von uns zurück, der zuschaut und beobachtet; aber wenn man fähig ist, alles ohne Ausnahme teilnehmen zu lassen, dann bleiben alle Beziehungen dieselben – diese Erfahrung hatte ich. Bleiben dieselben? Dieselben, wie wir haben, aber ohne die Lüge. Zur Illustration gibt es diese bekannte Geschichte des Mannes, der sich weigert, dem Elefanten aus dem Weg zu gehen, unter dem Vorwand, er wäre Brahman und Brahman sage ihm zu bleiben. Worauf der Elefantenführer erwidert: "Aber mir sagt Brahman, daß Sie weggehen sollen, um den Elefanten Brahman vorbeizulassen." In kindlicher Weise vereinfacht ist dies dasselbe. Das ist, weil wir auf die eine Weise schauen, ohne gleichzeitig auf die andere zu sehen, und überhaupt, weil wir nicht ALLES zugleich sehen. Von der Minute, wo wir in unserer Wahrnehmung umfassend sein können, wären alle Beziehungen dieselben, doch anstatt in einem Zustand der Unwissenheit zu sein, hätten wir sie im Wissen. "Wären dieselben", heißt das, sie wären physisch dieselben wie jetzt, aber mit einer anderen Sichtweise? So ist es. Ich weiß nicht, ob es je gelingen wird, sich mit diesen Worten auszudrücken!... Wir brauchen eine andere Sprache!"

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7 Entretien vom 5.2.1958, die "große Reise des Höchsten".

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8 Wieder überschneidet sich Mutters Erfahrung mit der modernen Physik, die zu entdecken beginnt, daß Raum und Zeit keine festen und unabhängigen Größen sind, wie wir es seit den Griechen und bis Newton gewohnt waren zu glauben, sondern ein vierdimensionales System (3 Raumkoordinaten + Zeit), abhängig von den physischen Ereignissen, die sich darin entwickeln. Derart ist die Beschaffenheit des "Riemann Raumes", dessen Einstein sich in seiner allgemeinen Relativitätstheorie bedient. So ist eine Flugbahn (also eine im Prinzip feststehende Entfernung) abhängig von der benötigten Zeit der Durchquerung: es gibt keine eindeutige gerade Linie zwischen zwei Punkten, oder die "gerade" Linie hängt von der Geschwindigkeit ab, mit der man sie durchläuft. Es gibt keine "fixe" Menge von Raum, sondern Geschwindigkeiten, die ihren eigenen Raum festlegen (oder ihr eigenes Maß des Raumes). Raum-Zeit ist folglich keine feste Größe mehr, sondern, sagt die Wissenschaft, das Produkt... von was? – Von einer bestimmten Geschwindigkeit der Abläufe? Aber was läuft ab? Die Rakete, ein Zug, die Muskeln?... Oder ein gewissen Hirn, das immer perfektioniertere Instrumente ausklügelt, die seiner eigenen Seinsweise angepaßt sind, wie ein fliegender Fisch, der immer weiter (schneller) fliegen kann, aber immer schließlich wieder in sein eigenes aquatisches Goldfischglas zurückfällt? Doch was wäre dieses Raum-Zeit-Gefüge für eine andere Art Fischglas oder einen anderen Bewußtseinsmodus: das supramentale Bewußtsein zum Beispiel, das sich augenblicklich in jedem beliebigen Punkt des "Raumes" befinden kann – es gibt keinen Raum mehr, keine Zeit mehr! Es gibt keine "Flugbahn" mehr: die Flugbahn ist in sich selbst enthalten. Das Goldfischglas wurde durchbrochen, wie alle die aufeinanderfolgenden kleinen Glaswände der Evolution. Wie Mutter sagt, Raum und Zeit sind ein "Produkt der Bewegung des Bewußtseins". Eine Raum-Zeit-Variable, die sich nicht nur in Funktion unserer mechanischen Mittel verändert, sondern entsprechend dem Bewußtsein, das die mechanischen Mittel benützt und das schließlich nur noch sich selbst benützt: am Ende der evolutionäre Kurve ist das Bewußtsein sein eigenes Mittel und die einzige Mechanik des Universums geworden.

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