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Mutters

Agenda

zweiten Band

7. Juli 1961

(Mutter gibt Satprem eine weiße Zinnie, die sie "integrale Ausdauer" nannte, sowie eine Allamanda, "Sieg", und eine Blüte des "Supramentalen Sieges")

Hier ist ein integraler Sieg. Aber... der Sieg – der Sieg. Und das ist der Supramentale Sieg, das heißt der Sieg in ALLEN Einzelheiten.

Sie wachsen in großen Büscheln, viele-viele Blüten zusammen.

Ich lese weiter...

"On Himself"?

Ja, die Erläuterung seines Yogas und was er will, daß wir verwirklichen sollen. Als ich das gestern abend las, sagte ich ihm: "Wie kannst du hoffen, daß wir es hierdrin erreichen!" (Mutter deutet lachend auf ihren Körper) Da antwortete er: "Nein, nein, nein! So ist das nicht zu verstehen!... Wir müssen jetzt lernen, durchzuhalten. In zwei- oder dreihundert Jahren reden wir wieder darüber." Ah! (lachend) "Gut!" Er sagte: "Wir müssen lernen, durchzuhalten."

Also werden wir lernen, durchzuhalten.

Deshalb gab ich dir diese "Integrale Ausdauer": das ist seine Botschaft.

(Schweigen)

Man kann wirklich nur durchhalten, wenn man den Dingen gegenüber ABSOLUT gleichgültig bleibt – das ist völlig offensichtlich. Man muß absolut so sein (Geste wie ein stilles Meer). Plötzlich erreicht man einen bestimmten Zustand, wo man den Eindruck hat: das kann für immer so währen – es hat keinerlei Bedeutung, das geht weiter und weiter und weiter und weiter... (Mutter breitet ihre Arme aus, als schwebe sie auf einem unermeßlichen Meer ins Endlose) für immer. Diesen Zustand hatte ich sehr oft. Dort spürt man wirklich... Doch man muß das HIER haben, hierdrin (Mutter klopft auf ihre Knie), nicht im Kopf (im Kopf ist es sehr leicht), der Körper muß das finden. Wenn der Körper das erlangt, dann empfindet er nichts mehr als angenehm oder als unangenehm – er verspürt keinen Genuß, keine Abscheu, kein Unbehagen, nichts: er ist in einem Zustand, oh!... (selbe Geste wie ein stiller Ozean)

Das ist sehr interessant.

Das geschieht sehr häufig beim Balkondarshan, denn dort konzentriere ich mich auf... das herabkommende Licht; deshalb wird der Körper oft völlig unbewegt.

Auf die Weise kann man durchhalten.

Gut, an die Arbeit.

(Mutter nimmt den Text von "Thoughts and Aphorisms")

Hast du eine Frage mitgebracht?

Ja.

Ah, ich sah T, und sie erklärte mir, sie fände es zu schwer [Fragen über Sri Aurobindos Aphorismen zu stellen], weil es ihr immer als dasselbe erschien! Deshalb hat sie keine Fragen. Also entschieden wir, daß sie mir keine Fragen mehr stellt, außer wenn zufällig irgend etwas einmal eine Frage in ihr weckt. Sonst wird sie keine Fragen mehr stellen. (Mutter seufzt erleichtert)

63 – Gott ist groß, sagen die Mohammedaner. Ja, Er ist so groß, daß Er es sich leisten kann, schwach zu sein, wenn auch das nötig sein sollte.

64 – Oft versagt Gott in seinem Wirken; dies ist das Zeichen Seiner grenzenlosen Gottheit.

65 – Weil Gott unbesiegbar groß ist, kann Er es sich leisten, schwach zu sein; weil Er unwandelbar rein ist, kann Er unbescholten der Sünde frönen; Er kennt ewig alle Wonne, deshalb schmeckt Er auch die Wonne des Schmerzes; Er ist unveräußerlich weise, deshalb versagt Er sich nicht die Torheit.

Läßt sich wirklich sagen, daß Gott schwach sei oder daß Gott versagt? Geschieht das wirklich? Oder ist das nur sein Spiel?

So ist das nicht, mein Kind! Das ist ja gerade die Entstellung der modernen westlichen Haltung, im Gegensatz zur Haltung der Antike – nicht der Antike, aber die Haltung der Gita. Dem westlichen Geist fällt es äußerst schwer, in lebendiger und konkreter Weise zu begreifen, daß ALLES das Göttliche ist. Sie sind so sehr durchdrungen von der christlichen Einstellung des "Schöpfergottes": die Schöpfung steht auf der einen Seite und Gott auf der anderen! Wenn man es nähert ansieht, muß man das verwerfen, aber... es hat die Gefühle, die Empfindungen durchdrungen. Deshalb verleiht man Gott spontan, instinktiv, fast unbewußt all jene Eigenschaften, die man für die besten, die schönsten hält, und insbesondere jene, die man selber erreichen und verwirklichen möchte (natürlich verändert jeder den Gehalt seines Gottes entsprechend seinem eigenen Bewußtsein, doch es ist immer das, was er für das Beste hält). Genauso instinktiv und spontan und unterbewußt schockiert einen da der Gedanke, daß die Dinge, die man nicht mag oder nicht gutheißt oder die einem nicht als das Beste erscheinen, auch Gott seien.

Ich drücke es absichtlich etwas kindlich aus, um es klar verständlich zu machen, aber so ist es. Ich bin mir sicher, weil ich es LANGE Zeit an mir selber beobachtete, und ich mußte... Wegen der ganzen unterbewußten Bildung der Kindheit, wegen dem Milieu, der Erziehung, usw., muß man all dem (Mutter berührt ihren Körper) das Bewußtsein der Einheit EINHÄMMERN: die absolute, AUSSCHLIESSLICHE Einheit des Göttlichen – ausschließlich im Sinne, daß nichts existiert außer in dieser Einheit, sogar die scheinbar abstoßendsten Dinge.

Auch Sri Aurobindo mußte dagegen ankämpfen, weil auch er diese christliche Erziehung erhielt. Diese Aphorismen sind das Ergebnis – wie das Erblühen einer Blume – der Notwendigkeit, gegen eine unterbewußte Formation zu kämpfen. Und das führt zu diesen Fragen (Mutter nimmt einen empörten Ton an): "Wie kann Gott schwach sein? Wie kann Gott ein Narr sein? Wie..." – Es gibt aber nichts anderes außer Gott! Nichts existiert als Er, außer Ihm gibt es nichts. Und wenn uns etwas häßlich erscheint, dann einfach weil Er nicht mehr will, daß es sei: Er ist dabei die Welt darauf vorzubereiten, daß es nicht mehr manifestiert sei, daß die Manifestation von diesem Zustand zu etwas anderem übergehe; alles in uns, was aus der aktiven Manifestation ausscheiden soll, verwerfen wir natürlich mit Heftigkeit. Es entsteht eine Bewegung der Zurückweisung.

Aber das ist Er. Es gibt nichts anderes als Ihn! Das ist es, man müßte es von Morgen bis Abend wiederholen, von Abend bis Morgen, weil man es jede Minute wieder vergißt.

Es gibt nur Ihn, es gibt nichts anderes als Ihn – nichts existiert als Er, es gibt keine Existenz ohne Ihn, es gibt nur Ihn!

(Schweigen)

Etwas später kommen einige Reflexionen... (Mutter blättert weiter und hält beim folgenden Aphorismus inne)... oh! Er sagt so schöne Dinge:

68 – Das Gefühl der Sünde war notwendig, damit dem Menschen seine eigene Unvollkommenheit zuwider werde. Es war Gottes Gegenmittel zum Egoismus. Doch des Menschen Egoismus begegnet Gottes Mittel, indem er sich nur sehr unterschwellig für seine eigenen Sünden interessiert, aber sehr heftig für die der anderen.

(Mutter lacht) Wunderbar!

Doch die Tatsache bleibt. Eine solche Frage zu stellen heißt noch, die Einstellung jener anzunehmen, die eine Trennung zwischen göttlichen Dingen und nicht-göttlichen Dingen bilden, oder anders gesagt zwischen dem, was Gott ist, und dem, was nicht Gott ist. "Wie kann Er schwach sein?..." – So eine Frage kann ich einfach nicht stellen.

Das verstehe ich gut. Aber man redet von Lila, vom göttlichen Spiel, das heißt doch, daß Er irgendwie Abstand nimmt, daß er nicht wirklich "teilnimmt" – daß er nicht am Spiel teilnimmt, sondern es beobachtet.

Doch-doch, Er ist es! Er ist es völlig. Das Spiel ist er selber.

Wir sagen Gott, aber wir müssen im Auge behalten, daß es all die verschiedenen Bewußtseinsebenen gibt, und wenn wir von Gott und von seinem Spiel reden, meinen wir Gott in seinem transzendenten Zustand, außerhalb von allem, außerhalb aller Grade der Materie, und wenn wir vom Spiel reden, meinen wir Gott in seinem materiellen Zustand. Folglich sagen wir: Gott als Transzendenter beobachtet und spielt (in sich, für sich und mit sich selber) sein materielles Spiel.

Aber die Sprache – jegliche Sprache – ist eine Sprache der Unwissenheit. Unsere gesamte Ausdrucksweise, alles, was wir sagen, und die Art, wie wir es sagen, gehört unumgänglicherweise der Unwissenheit an. Deshalb ist es ja so schwierig, etwas auszudrücken, das konkret wahr wäre; es würde Erklärungen erfordern, die wiederum voller Falschheit wären (natürlich) und die jedenfalls äußerst langwierig wären. Deshalb sind Sri Aurobindos Sätze auch manchmal sehr lang, eben weil er aus dieser unwissenden Sprache herauszukommen versucht.

Die Art zu denken ist falsch!

Alle Gläubigen, alle Getreuen (besonders die des Westens) denken, wenn sie von Gott sprechen, daß Er "etwas Anderes" ist. Sie meinen, daß Er nicht schwach, häßlich, unvollkommen sein kann, daß Er etwas Makelloses ist – sie denken falsch: sie teilen und trennen. Das unterbewußte Denken (mit unterbewußtem Denken meine ich ein unüberlegtes Denken: man ist es gewohnt, so zu denken, also denkt man so) verbindet mit dem Wort "Vollkommenheit" im allgemeinen das Gefühl oder die Vorstellung oder das Konzept von allem, was man für tugendhaft, göttlich, schön, bewundernswert hält – aber das stimmt überhaupt nicht! Die Vollkommenheit bedeutet etwas, in dem nichts fehlt. Die göttliche Vollkommenheit bedeutet eine Gesamtheit. Die göttliche Vollkommenheit ist die Gesamtheit des Göttlichen, von dem nichts entfernt wurde – das ist genau das Gegenteil! Für die Moralisten besteht die göttliche Vollkommenheit in all den Tugenden, die sie vertreten!

Aus der wahren Sicht ist die göttliche Vollkommenheit das Ganze (umfassende Geste), und die Vollkommenheit besteht gerade darin, daß in diesem Ganzen nichts fehlen darf. 1 Folglich läßt sich sagen, daß jedes Ding an seinem Platz ist, genau das, was es sein soll, und daß die Beziehungen zwischen den Dingen auch genau so sind, wie sie sein sollen.

Aber die Vollkommenheit stellt nur eine Annäherungsweise an das Göttliche dar, die Einheit ist eine andere. Mit der Vollkommenheit wählt man einen umfassenden Standpunkt: alles ist darin enthalten und alles ist, wie es sein soll – "sein soll" heißt, der vollkommene Ausdruck des Göttlichen (man kann nicht einmal sagen "seines Willen", denn "sein Wille" wäre wieder etwas außerhalb von Ihm!).

Man könnte es folgendermaßen ausdrücken (aber auch das ist noch sehr reduziert): Es ist, was Es ist, und genau so, wie Es sein will (mit dem "wie Es sein will" sind wir schon etliche Stufen abgesunken!). Aber das vermittelt diesen Aspekt der "Vollkommenheit".

Die göttliche Vollkommenheit bedeutet das Unendliche und die Ewigkeit, das heißt, daß alles außerhalb von Zeit und Raum koexistiert.

(Schweigen)

Während ich in meinem Zimmer auf und ab schritt, kam mir eine Reihe von Invokationen oder Gebeten 2 (ich wählte sie nicht, sie wurden mir eingegeben), in denen ich den Herrn anflehe, seine Vollkommenheit zu manifestieren (ich sehe durchaus die Torheit meiner Ausdrucksweise, aber sie entspricht einer Aspiration 3). Mit "manifestieren" meine ich, die Vollkommenheit in dem zu manifestieren, was uns als materielle, physische Welt erscheint, das heißt, diese Welt zu transformieren. Bei jeder dieser Invokationen kommt im Augenblick, wo ich sie ausspreche, das entsprechende Gefühl der Annäherungsweise, deshalb kann ich jetzt diese Rede über die Vollkommenheit halten, denn die Vollkommenheit ist eine dieser Annäherungsweisen. Ich sage Ihm: "Manifestiere dies, manifestiere das, manifestiere Deine Vollkommenheit..." (das ist eine ganze Liste, ich brauche eine ganze Weile dazu), und jedesmal, wenn ich sage: "Manifestiere Deine Vollkommenheit", habe ich eine Art bewußte Vergegenwärtigung, was diese Vollkommenheit ist: etwas Umfassendes.

Ähnlich ist es mit dem Wort "Reinheit" – ich könnte endlose Reden halten über den Unterschied zwischen der göttlichen Reinheit und dem, was die Leute Reinheit nennen. Die göttliche Reinheit bedeutet (ganz unten in der Skala), nur einen einzigen Einfluß zuzulassen: den Göttlichen Einfluß. Das ist ganz unten. (Aber auch das ist bereits eine schreckliche Entstellung.) Die göttliche Reinheit heißt: es gibt nur das Göttliche, nichts anderes; es ist vollkommen rein, es gibt nichts anderes als Ihn.

Und so geht es weiter.

Dies ist das dritte Jahr [von Mutters Japa] – jetzt fängt es an, sehr klar zu werden.

*
*   *

Was wollen wir jetzt tun?

Sprich über deine Erfahrung.

Ich könnte mich leicht wiederholen.

Nein, niemals! Es ist jedesmal eine neue Erfahrung – niemals dasselbe.

Ja, ich bewundere die Leute, die dieselbe Erfahrung mehrmals machen – ich konnte das nie. Eine Zeitlang versuchte ich es, aber dann erkannte ich, daß das idiotisch ist, deshalb lasse ich es. Ich konnte nie zweimal dieselbe Erfahrung machen – nie. Ich bewundere die Leute sehr, die etwas verwirklichen und es bewahren, aber ich konnte das nie.

Die Erfahrung, die ich dir erzählte, als ich dir sagte: "Ich habe dir etwas zu sagen" [vom 24.1.61], war wirklich sehr erfreulich, und ich versuchte, sie wiederzubekommen – es gelang nicht. Wenn ich es versuche (wenn etwas in mir darauf beharrt, die Erfahrung wiederzufinden), sehe ich jedesmal ein großes Lächeln und etwas sagt mir: "Nein, nein! Laß los! Du wirst sehen, du wirst sehen..." – Dann lasse ich mich gehen.

Gut, das reicht. Reicht dir das?!

Und du, was tust du?

Ich lese wieder "Savitri".

Du Glücklicher! Ich würde es auch gerne wieder lesen.

Je weiter man darin liest, um so wunderbarer wird es.

 

1 Später erläuterte Mutter: Es kann unmöglich etwas fehlen, weil es unmöglich irgend etwas geben kann, das nicht Teil dieser Gesamtheit ist. Nichts kann sein, das nicht dieser Gesamtheit angehört. Ich nehme dies in seiner höchsten Bedeutung. Laß es mich erklären: In einem gegebenen Universum kann es vorkommen, daß nicht alles darin enthalten ist, weil ein Universum nur eine Art der Manifestation ist. Aber es gibt alle möglichen Universen. Deshalb kehre ich immer wieder zum selben Punkt zurück: es kann nichts geben, das nicht Teil dieses Ganzen ist. Geben wir diesem Ganzen zum Beispiel den Namen "Gott", dann kann es nichts geben, das nicht Teil von Ihm wäre. Die Worte sind sehr beschränkt. (Geste auf Bodenhöhe)

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2 Siehe "Die Gebete des Zellbewußtseins", Agenda Bd. 1, S. 307

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3 Nachdem Mutter gesagt hatte: "alles ist, wie es sein soll... das Göttliche ist, was Es ist, und genau so, wie Es sein will", sollte es eigentlich nicht nötig sein, Ihn "anzuflehen", seine Vollkommenheit zu manifestieren.

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