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Mutters

Agenda

dritten Band

13. Mai 1962

(Dies ist das erste Gespräch mit Mutter seit zwei Monaten. Sie liegt noch auf ihrer Chaiselongue. Sie sieht sehr blaß und zerbrechlich aus, beinahe durchscheinend. Hier gibt sie weitere Erläuterungen der Erfahrung, die sie vor einem Monat, am 13. April hatte. Der folgende Text wurde nicht auf Band aufgezeichnet, sondern aus dem Gedächtnis niedergeschrieben und dann Mutter vorgelesen.)

Ich war am Ursprung – ich WAR der Ursprung. Während mehr als zwei Stunden, bewußt auf diesem Bett hier, war ich der Quell. Es waren wie Wogen – große Wogen, die schließlich brachen. Jede dieser Wogen kam einer Zeitspanne des Universums gleich.

Es war die Liebe in ihrer höchsten Essenz, aber es hat nichts mit dem zu tun, was man unter diesem Wort versteht.

Jede Woge dieser puren Liebe breitete sich aus, indem sie sich teilte. Es waren keine Kräfte, es ging weit über Kräfte und all das hinaus: Das Universum, so wie wir es kennen, existierte nicht mehr, es war eine sonderbare Illusion, ohne Beziehung zu DEM. Es gab nur die Wahrheit des Universums mit diesen großen Farbwogen – sie waren farbig, große Farbwogen mit etwas, das der Essenz der Farbe gleichkommt.

Es war ungeheuer. Ich durchlebte mehr als zwei Stunden auf diese Weise, bewußt.

Dann war da eine Stimme, die mir alles erklärte (nicht genau eine Stimme sondern etwas, das der Ursprung von Sri Aurobindo war, wie die letzte Woge des Ursprungs). Nacheinander erklärte sie mir jede Woge, jede Zeitspanne des Universums und schließlich, wie alles zu dem geworden ist (Geste der Umkehr): die Entstellung des Universums. Ich fragte mich, wie es in diesem höchsten Bewußtsein möglich war, mit dem gegenwärtigen entstellten Universum in Beziehung zu treten. Wie nur läßt sich die Verbindung herstellen, ohne dieses Bewußtsein zu verlieren? – Eine Beziehung zwischen den beiden schien unmöglich zu sein. Da erinnerte mich die Stimme an mein Versprechen: daß ich versprochen hatte, die Arbeit auf dieser Erde zu tun, und daß sie getan werden würde. "Ich habe versprochen, die Arbeit zu tun, und sie wird getan werden."

Dann begann der Prozeß des Abstiegs 1, und die Stimme erklärte ihn mir – ich erlebte das in allen Einzelheiten, es war nicht angenehm. Der Wechsel von diesem wahren Bewußtsein zum individuellen Bewußtsein dauerte ganze anderthalb Stunden. Denn während der vollen Dauer der Erfahrung existierte diese Individualität hier, dieser Körper, nicht mehr; es gab keine Grenzen mehr, ich war nicht mehr da – nur DIE PERSON war da. Es dauerte anderthalb Stunden, um zum Körperbewußtsein zurückzukehren (nicht zum physischen Bewußtsein sondern zum Bewußtsein des Körpers), zum individuellen Körperbewußtsein.

Erstes Anzeichen der Rückkehr der Individualität war ein Schmerz, ein Punkt (Mutter umschreibt mit ihren Fingern einen winzigen Punkt ihres Wesens). Ja, denn ich habe eine Wunde, eine Wunde an einer ziemlich unangenehmen Stelle, und das tut weh 2 (Mutter lacht). So fühlte ich den Schmerz: er stand für die zurückkommende Individualität. Ansonsten gab es nichts mehr, keinen Körper, kein Individuum, keine Grenzen mehr. Aber es ist seltsam, ich machte eine merkwürdige Entdeckung 3, denn ich nahm an, es sei das Individuum (Mutter berührt ihren Körper), das den Schmerz, die Gebrechlichkeiten, alle Mißgeschikke des Menschenlebens fühlt, doch jetzt erkannte ich, daß nicht das Individuum und mein Körper diese Mißgeschicke spüren, sondern daß jedes Mißgeschick, jeder Schmerz, jede Gebrechlichkeit sozusagen eine eigene Individualität aufweist, und daß jede dieser Individualitäten ein Schlachtfeld darstellt.

Mein Körper ist eine Welt der Schlachten.

Er ist das Schlachtfeld.

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(Als dieser Text Mutter vorgelesen wurde, brachte sie folgende Änderung an:)

Ich zöge dem Wort "Abstieg" ein anderes Wort vor, weil es keinerlei Empfindung oder Vorstellung eines Abstiegs gab... Man könnte es als "Materialisierungs"- oder "Individualisierungs"-Prozeß bezeichnen – "Bewußtseinstransformation" wäre noch genauer. Es ist der Prozeß des Übergangs vom wahren Bewußtsein zum entstellten Bewußtsein – so ist es genau.

Du sagst es: der Übergang vom wahren Bewußtsein zum gewöhnlichen Bewußtsein.

Genau das ist es. "Abstieg" entspricht überhaupt nicht meiner Empfindung. Es gab kein Gefühl eines Abstiegs. Keines. Weder Auf- noch Abstieg. In keiner Weise. Diese schöpferischen Wogen wiesen innerhalb der Schöpfung keine POSITION auf. Es war... es gab NUR DASNUR DAS existierte, sonst nichts.

Alles spielte sich in Dem ab.

Es war wirklich... Es gab weder oben noch unten, weder innen noch außen – nichts von alledem: das existierte nicht mehr. Es gab nur noch DAS.

Es war... ein "Etwas", das sich ausdrückte, das sich durch diese Wogen manifestierte und das ALLES war. Es gab wirklich nichts außer dem, es gab nichts mehr als DAS. Folglich ergeben die Worte "hoch", "niedrig", "Abstieg" überhaupt keinen Sinn mehr.

Wenn du willst, könnte man es als "den Prozeß der Rückkehr" umschreiben?

Der Rückkehr zum Körperbewußtsein.

Oder der Materialisierung.

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(Kurz danach geht es um ein früheres Entretien vom 22. August 1956, das im nächsten Bulletin veröffentlicht werden soll und in dem Mutter sagt: "Wenn ihr imstande seid, es zu empfangen, empfangt ihr vom Göttlichen die TOTALITÄT der Beziehung, die zu haben euch MÖGLICH ist. Dabei handelt es sich weder um eine Aufteilung noch einen Anteil noch eine Wiederholung, sondern einzig und allein um die Beziehung, die jeder zum Göttlichen haben kann. Somit ist man vom psychologischen Standpunkt aus gesehen DER EINZIGE mit dieser direkten Beziehung zum Göttlichen." Mutter fügt nun in einer Stimme, die von sehr weit herzukommen scheint, hinzu:)

Man ist ganz allein mit dem Höchsten.

 

1 Das Wort "Abstieg" ist nicht das richtige Wort, wie man nachher sehen wird.

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2 Mutter sollte noch beinahe zwölf Jahre an dieser selben Wunde leiden.

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3 Später betonte Mutter: "Es handelt sich nicht um eine Entdeckung von allgemeiner Bedeutung: sie betraf nur meinen Körper. Ich sage nicht, daß alle Körper so sind, sondern daß mein Körper – was aus meinem Körper geworden ist – so ist.

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