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Mutters

Agenda

dritten Band

25. Juli 1962

(Satprem liest Mutter einen Abschnitt aus seinem Manuskript über Sri Aurobindo vor, der das mentale Schweigen betrifft.)

Das ist sehr gut.

Es ist grau.

Ist es das Ende des Kapitels?

Und das folgende?

Das weiß ich eben nicht.

Du weißt es nicht?

Eigentlich wollte ich zuerst vom Bewußtsein sprechen (sagen, was das Bewußtsein ist), dann merkte ich, daß es besser ist, vorher über das Vital zu sprechen, denn das Vital... man muß es beruhigen, bevor man irgend etwas erreichen kann.

Nicht unbedingt.

Ich glaube, ich würde beim Bewußtsein anfangen und das Vital nachher behandeln.

Aber wenn ich vom Bewußtsein spreche, muß ich vom Aufstieg des Bewußtseins sprechen und folglich vom Überbewußten. Kann ich denn von all dem sprechen, bevor ich das Vital behandle?

Ja.

(Schweigen)

In der Tat, wenn ich die Reihenfolge meines Yogas betrachte... Als ich fünf war (ich muß vorher begonnen haben, aber die Erinnerung ist etwas vage, es gibt nichts Präzises), aber von fünf Jahren an habe ich im Bewußtsein... keine mentale Erinnerung, aber wie soll ich sagen? Es ist vermerkt, einen Vermerk. Ich begann mit dem Bewußtsein. Ohne überhaupt zu wissen, was es war, wohlverstanden. Die erste Erfahrung war die des Bewußtseins hier (Geste über dem Kopf), ich spürte es dort wie ein Licht und eine Kraft (dieselbe Geste), mit fünf Jahren.

Es war eine sehr angenehme Empfindung: Ich setzte mich auf einen kleinen Stuhl, der eigens für mich angefertigt worden war, ich war ganz allein im Zimmer... und (ich wußte nicht, was es war, überhaupt nichts, verstandesmäßig null) ich hatte eine SEHR ANGENEHME Empfindung von etwas sehr Starkem und Lichtvollem. Es war dort (über dem Kopf): das Bewußtsein. Der Eindruck war: Das muß ich leben, das muß ich sein – natürlich nicht mit all diesen Worten, aber... (Mutter macht eine Bewegung der Aspiration nach oben) und dann zog ich es herab, denn das bedeutete den wirklichen Seinsgrund für mich.

Das ist meine erste Erinnerung: mit fünf. Es wirkte mehr in ethischem als in intellektuellem Sinn. Aber auch in intellektueller Weise, denn zum Beispiel... Äußerlich war ich ein Kind wie alle anderen, außer daß ich, wie es schien, schwierig war – schwierig, das heißt: nicht interessiert am Essen, nicht interessiert an gewöhnlichen Spielen. Ich wollte nicht zu Freunden gehen, um zu naschen, denn ich war ganz und gar nicht daran interessiert, Kuchen zu essen. Es war unmöglich, mich zu bestrafen, denn es war mir völlig egal: Wenn man mir den Nachtisch versagte, war es eher eine Erleichterung. Aber ich lehnte es völlig ab, Lesen zu lernen, ich weigerte mich zu lernen. Auch was das Waschen angeht, denn ich war in den Händen einer Engländerin. Sie wollte mir kalte Bäder geben, die mein Bruder akzeptierte, aber ich schrie! Später erwies es sich – denn der Arzt sagte es –, daß es nicht gut für mich war, aber das war viel später. So sah es also aus. Aber wenn mit Verwandten, mit Kameraden, mit Freunden Schwierigkeiten auftraten und ich all die Gemeinheit oder den bösen Willen fühlte – vielerlei mißliche Dinge, die hervortraten –, so war ich recht empfindlich, hauptsächlich weil ich instinktiv ein Ideal von Schönheit und Harmonie in mir trug, das von all den Dingen des Lebens erschüttert wurde. Wenn ich dann Kummer hatte, hütete ich mich wohl, über irgend etwas zu meiner Mutter oder meinem Vater zu sprechen, denn meinem Vater war es völlig egal und meine Mutter schalt mich – das war immer das erste, was sie tat. So ging ich in mein Zimmer und setzte mich auf meinen kleinen Stuhl. Dort konzentrierte ich mich und versuchte zu verstehen – auf meine Art. Ich erinnere mich, daß nach einigen wahrscheinlich unfruchtbaren Versuchen das Ergebnis folgendermaßen war. Ich sprach oft zu mir selbst (ich weiß nicht wie und warum, aber ich sprach immer zu mir selbst, wie ich zu anderen sprach), und ich sagte mir: "Also gut, du hast Kummer, weil jemand dir etwas wirklich Abscheuliches gesagt hat. Warum bringt dich das zum Weinen? Warum hast du Kummer? Er tat doch etwas Unrechtes, er sollte weinen. Du hast ihm nichts Böses getan... Hast du ihm etwas Gemeines gesagt? Hast du dich mit ihr geschlagen? oder mit ihm? – Nein, du hast doch nichts getan, oder? Also gut, da du nichts getan hast, mußt du keinen Kummer haben. Nur wenn du etwas Schlechtes getan hättest, müßtest du Kummer haben, aber ..." Das wirkte sehr gut: ich weinte niemals. Mit einer ganz kleinen Bewegung dort innen oder mit diesem kleinen Etwas, das sagte: "Du hast nicht Schlechtes getan", gab es keinen Kummer.

Das Gegenstück war auch da: der gleiche "Jemand" war in zunehmendem Maße gegenwärtig, beobachtete mich und sprach zu mir, sobald ich ein Wort zuviel sagte, eine Geste zuviel machte oder einen kleinen falschen Gedanken hatte oder meinen Bruder hänselte oder egal was, beim geringsten Anlaß: "Siehst du, paß auf!" (Mutter nimmt einen ernsten Tonfall an). Zuerst jammerte ich, dann lehrte es mich: "Man soll nicht klagen, sondern in Ordnung bringen, wiedergutmachen." Wenn es wiedergutzumachen war, tat ich es, und fast immer war es wiedergutzumachen – all das im Ausmaß der Intelligenz eines Kindes von fünf bis sieben Jahren.

Folglich war es das Bewußtsein.

Danach folgte die ganze Phase, in der man lernt und sich entwickelt, aber all das auf der gewöhnlichen mentalen Ebene, das heißt die Studien 1 . Aus Neugier wollte ich lesen lernen. Vielleicht habe ich dir schon erzählt, wie es sich ereignete?... Mein Bruder kam von der Schule zurück (er muß ungefähr sieben oder etwas jünger als sieben gewesen sein – er war anderthalb Jahre älter als ich), er kam mit diesen großen Bildern zurück, die man noch heute anfertigt (weißt du, Zeichnungen für Kinder, darunter steht etwas Kurzes geschrieben). Er kam zurück und gab mir eins. Ich fragte ihn: "Was ist da geschrieben?" Er antwortete: "Lies doch!" Ich erwiderte: "Kann ich nicht." – "Lern es!" Ich antwortete ihm: "Gut, gib mir die Buchstaben". Er brachte mir ein Buch mit Buchstaben, um das Alphabet zu lernen. In zwei Tagen kannte ich sie, und am dritten Tag begann ich zu lesen. So lernte ich es. "Ach!" sagten sie mir, "das Kind ist zurückgeblieben. Sechs Jahre, und sie kann noch nicht lesen, wie empörend!" Die ganze Familie beklagte sich. Aber es traf sich, daß ich innerhalb von acht Tagen alles wußte, das zu lernen ich sonst Jahre gebraucht hätte – das gab ihnen etwas zum Nachdenken.

Danach die Studien. Ich war immer eine sehr aufgeweckte Schülerin – aus demselben Grund: ich wollte verstehen. Da, wo die anderen auswendig lernten, interessierte es mich nicht – ich wollte verstehen. Und ich hatte ein Gedächtnis! Ein hervorragendes Gedächtnis für Laute und Bilder. Es genügte, daß ich am Abend ein Gedicht laut las: am Morgen wußte ich es noch. Wenn ich ein Buch studierte oder las und man mich danach fragte, sagte ich: "Oh, ja! Das steht auf dieser Seite" – ich fand die Seite wieder. Es war noch nicht verblaßt, es war noch klar. Aber das ist ja auch das normale Lernalter.

Dann fing ich sehr früh an zu malen (um die acht, zehn Jahre herum) – ich setzte meine Studien fort und begann zu malen. Mit zwölf fertigte ich schon Gemälde an: Porträts. Eine große Wißbegierde und Interesse für alle Dinge der Kunst, der Schönheit: Musik, Malerei. In diesem Abschnitt meines Lebens fand eine intensive Entwicklung des Vitals statt, aber eine Entwicklung im selben Sinn wie zu der Zeit, als ich sehr klein war, mit einer Art innerem Lehrer. Alles war ein Studium: Erforschung der Empfindungen, Erforschung der Beobachtungen, Erforschung der Ausführungen, Vergleiche usw. und sogar Erforschung des Geschmacks, des Geruchs, des Gehörs, mit einer ganzen Gamme von Beobachtungen. Das heißt eine Art Klassifikation der Erfahrungen. Das setzte sich bei allen Ereignissen des Lebens fort, bei allen Erfahrungen, die das Leben geben kann, alles, alles, all die Erfahrungen – Unglück, Freuden, Schwierigkeiten, Leiden, alles, alles – ach, ein breites Feld! Aber immer mit "Dem" darinnen, das beurteilt, entscheidet, einordnet, organisiert und eine Art System einrichtet.

Dann setzte durch die Begegnung mit Théon plötzlich der bewußte Yoga ein, da war ich wohl einundzwanzig. Das bedeutete eine Veränderung der Lebensausrichtung, eine ganze Reihe von Erfahrungen mit interessanten okkulten Ergebnissen der vitalen Entwicklung.

Dann folgte die intensive Entwicklung des Mentals, die vollständigste nur mögliche Entwicklung des Mentals: Studium aller Philosophien, aller Ideenspiele, bis ins geringste Detail – die Systeme durchdringen, sie verstehen. So vergingen zehn Jahre intensiver mentaler Studien, und sie führten mich zu... Sri Aurobindo.

Ich hatte also diese ganze Vorbereitung. Ich erzähle dir diese Details, um dir zu sagen, daß es mit dem Bewußtsein begann – ich wußte sehr genau, daß es das Bewußtsein war, auch wenn ich kein Wort oder keine Ideen hatte, es zu erklären –, das Bewußtsein und seine Macht: seine Handlungsmacht, seine Wirkungsmacht. Danach die vollständigste nur mögliche Entwicklung des Vitals, mit sehr detaillierten Studien. Dann die Entwicklung des Mentals bis zu seinen äußersten Grenzen, hoch oben, wo man mit allen Ideen jongliert, das heißt eine mentale Entwicklung, wo man bereits verstanden hat, daß alle Ideen wahr sind und eine Synthese zu machen ist und daß es etwas Leuchtendes und Wahres jenseits der Synthese gibt. Hinter all dem setzte sich das Bewußtsein fort. In diesem Zustand kam ich hier an: mit einer Welt von Erfahrungen und bereits mit der bewußten Vereinigung mit dem Göttlichen oben und innen – all das war bewußt verwirklicht und notiert, als ich zu Sri Aurobindo kam.

Aus Sicht der Shakti ist das der normale Verlauf: Bewußtsein, Vital, Mental, Spiritualität.

Nun ist es für einen Mann vielleicht anders? Ich weiß es nicht. Denn Sri Aurobindo war ein sehr spezieller Fall, und außer ihm sehe ich niemanden, der ein überzeugendes Beispiel geben könnte... Aber bei Männern ist gewöhnlich das physische Bewußtsein und dann das mentale Bewußtsein am weitesten entwickelt. Das Vital ist meist sehr impulsiv und sehr wenig beherrscht. Das ist meine Erfahrung bei all den Hunderten und Aberhunderten von Leuten, denen ich begegnet bin. Im Normalfall haben sie einerseits eine physische Kraft, entwickelt durch Spiele, Übungen usw., und zugleich eine mehr oder weniger hohe Entwicklung im Mental, aber sehr mental. Das Vital bleibt sehr impulsiv und sehr wenig geordnet, außer bei Künstlern, und selbst da... Ich lebte zehn Jahre mit Künstlern, und ich stellte fest, daß es großenteils ein Brachland war. Ich begegnete all den großen Künstlern der Epoche, ich war bei weitem die Jüngste (es war die Jahrhundertwende, mit der Weltausstellung 1900 und den künstlerischen Meistern der Epoche), ich war viel jünger als sie. Sie hatten die Dreißig, Fünfunddreißig, Vierzig erreicht, und ich war neunzehn, zwanzig. Sogar in ihren eigenen Gebieten war ich viel weiter fortgeschritten als sie – nicht in meinem Schaffen (ich war eine sehr gewöhnliche Künstlerin), aber im Hinblick auf das Bewußtsein: die Beobachtungen, Erfahrungen, Studien.

Ich weiß nicht, aber mir scheint, das Problem des Bewußtseins muß vorher kommen.

So fing ich an.

Ich glaube, so ist es richtig. Der Ablauf meines Lebens war äußerst logisch (nicht ich entschied: mit fünf Jahren entscheidet man ja nicht), äußerst logisch. Jeder Schritt wurde durch den vorhergehenden eingeleitet.

Aber was ist das Bewußtsein, das man als Kraft in sich spürt? Zum Beispiel während der Meditation steigt es manchmal auf und ab, es ist nicht festgesetzt. Was ist dieses Bewußtsein?

Das ist die Shakti!

Manche empfangen sie von oben. Bei anderen steigt sie von unten auf (Geste zur Wurzel der Wirbelsäule). Ich sagte dir einmal, daß all die alten Systeme immer von unten nach oben fortschritten, während Sri Aurobindo das Bewußtsein von oben nach unten zog. In den Meditationen wird das sehr deutlich (jedenfalls im Yoga, in den Erfahrungen): in den traditionellen Systemen erwacht immer die Wurzel der Kundalini und steigt von Zentrum zu Zentrum, von Zentrum zu Zentrum, bis zum "Erblühen" hier (Geste zur Schädelspitze mit ein wenig Ironie über das "Erblühen"). Bei Sri Aurobindo kommt es so (Bewegung der herabsteigenden Kraft), und es richtet sich dort ein (über dem Kopf), es tritt ein, und von da steigt es herab, immer tiefer, überall, bis nach unten, bis unter die Füße, ins Unterbewußte, und noch tiefer, ins Unbewußte.

Das ist die Shakti. Er sagt (ich übersetze das gerade), wenn man die Shakti unten erfaßt, wie es individuell geschieht, ist es eine Shakti, die sozusagen schon verschleiert ist (sie hat ihre Macht, ist aber verschleiert). Ergreift man sie hingegen oben, ist es die REINE Shakti. Wenn man sie mit genügend Vorsicht und langsam genug herabsteigen läßt, damit sie (wie soll ich sagen?) nicht verunreinigt wird oder jedenfalls während ihres Eintritts in die Materie nicht getrübt wird, so ist das Ergebnis sofort sehr viel besser. Beginnt man hingegen mit dem Gefühl einer großen Macht in sich (denn überall, wo sie erwacht, ist es stets eine große Macht), besteht immer die Gefahr der Vermischung mit dem Ego, wie er erklärte. Wenn sie aber in ihrer Reinheit kommt und wenn man darauf bedacht ist, sie rein zu erhalten, das heißt die Bewegung nicht übereilt, damit sie einen in dem Maße reinigt, wie sie herabkommt, ist die Hälfte der Arbeit bereits vollbracht.

Das ist ein Problem. Wenn man mit dem Überbewußten in Kontakt kommt und hier auf der Höhe des Kopfes austritt, steigt es dennoch von unten auf. Handelt es sich in diesem Fall um eine andere Bewegung, eine aufsteigende Bewegung?

Das ist das Bewußtsein des Jiva [Seele]. Es ist das persönliche, individuelle Bewußtsein.

Es ist etwas, das wächst...

Es ist das individuelle Bewußtsein. In der Aspiration ist es gewöhnlich ein Ausdruck des psychischen Wesens, das heißt dessen, was sich um das göttliche Zentrum gesammelt hat, um die kleine göttliche Flamme, die im Innern des Menschen liegt – in jedem menschlichen Wesen gibt es diese göttliche Flamme, und Schritt für Schritt, durch alle Inkarnationen und das ganze Karma und all das, bildet sich ein Wesen, das Théon das "psychische Wesen" nannte. Wenn das psychische Wesen seine volle Entwicklung erreicht hat, bildet es sozusagen eine Hülle, ein Art körperliche oder jedenfalls individuelle Hülle der Seele, die ein Teil des Höchsten ist – der Jiva ist die individuelle Form des Höchsten. Wie es nur einen Höchsten gibt, so gibt es auch nur einen Jiva aber in Millionen individuellen Formen. Um diesen Jiva, der zunächst ein göttlicher Funke ist – unbewegt, ewig, auch unendlich (unendlich in seinen Möglichkeiten, mehr als in seiner Dimension) –, kristallisiert sich durch alle Inkarnationen Schritt für Schritt all das heraus, was den göttlichen Einfluß empfangen hat und auf den göttlichen Einfluß antwortet. Er wird zugleich immer bewußter und immer geordneter. Am Ende wird es ein völlig bewußtes individuelles Wesen, Meister seiner selbst und ausschließlich durch den göttlichen Willen bewegt. Es wird ein individueller Ausdruck des Höchsten. Das bezeichnen wir dann als das "psychische Wesen".

Gewöhnlich haben jene, die Yoga betreiben, entweder ein völlig entwickeltes, unabhängiges psychisches Wesen, das wieder ins Leben trat, um die Arbeit des Göttlichen zu verrichten, oder ein psychisches Wesen, das in seiner letzten Inkarnation steht und das seine Formation vollenden will, sich verwirklichen will.

Dieses psychische Wesen hat die Aspiration und den Kontakt.

Wenn man nun sagt: "Werdet euch eures psychischen Wesens bewußt", geschieht das, damit das Wesen, das von der äußeren Natur geformt wurde, durch das psychische Wesen mit der göttlichen Gegenwart Kontakt aufnimmt. Dann übernimmt das psychische Wesen die Herrschaft über den Menschen, und das ist im Grunde der innere Lehrer... Als ich ganz klein war, war diese "Person" (es war keine Person sondern ein Bewußtsein und ein Wille, die sich ausdrückten) wirklich die psychische Gegenwart – bei mir stand etwas anderes dahinter, aber das ist ein besonderer Fall. Was sich für mich ereignete, geschieht jedoch für alle, die ein psychisches Wesen haben, das sich willentlich inkarniert hat. Das psychische Wesen übernimmt die Führung des Lebens, und wenn ihr es handeln laßt, ordnet es ALLE Umstände – das ist wunderbar!... Ich sah es (nicht nur für mich sondern für viele Leute, die auch bewußte psychische Wesen hatten): alles ordnet sich – keineswegs für eure egoistische, persönliche Befriedigung sondern für euren endgültigen Fortschritt, eure letzte Verwirklichung. Alle Lebensumstände, selbst solche, die ihr als katastrophal bezeichnet, sind derart beschaffen, um euch so schnell wie möglich dorthin zu führen, wo ihr hingehen müßt.

Bei dir ist es mehr als ein psychisches Wesen: Das psychische Wesen ist, wie ich dir sagte, von etwas begleitet, das mit einem speziellen Ziel kam und das aus Regionen stammt, die Sri Aurobindo Overmind [Übermental] nennt, die Bereiche oberhalb des Mentals, mit einer besonderen intellektuellen Macht – einer besonderen leuchtenden, bewußten Macht – für eine besondere Aufgabe. Das liegt hier (Geste, die den Kopf und die Brust umfaßt), und mit dem Psychischen versucht es, alles anzuordnen. Und das spürst du in deinem Psychischen. Das muß eine große Macht haben, du mußt eine Art leuchtender Kraft spüren, oder?

Oh ja, ich fühle es!

Ja, das ist es.

Deshalb kann ich die Kraft, die von oben kommt, nicht von derjenigen unterscheiden, die von innen kommt.

Von einem bestimmten Punkt an trifft man keine Unterscheidung mehr 2 .

Deshalb fällt es mir schwer, darüber zu sprechen, denn ich weiß nicht, was von oben und was von unten kommt.

Sprechen...

Alles, was ich dir sagte... Weißt du, es ist... Man hat immer den Eindruck "kurz davor zu stehen", es "beinahe" oder "fast" zu sein. Etwas liegt an der Grenze, tangentiell zur Wahrheit – es erreicht niemals den Punkt, es bleibt immer daneben. Sobald man spricht, ist es ungefähr.

Man müßte alles zugleich sagen.

Ja, das ist es. Das ist ja der Grund! Man müßte alles zugleich sagen, wie kann man das? Genau so ist es.

Ich sehe wohl, um zu schreiben... müßte es eine globale Ausdrucksweise geben.

Aber Sri Aurobindo sagte das immer. Sobald man anfängt zu beschreiben, ist es so (Geste eines schrittweisen Voranschreitens), und sobald das passiert, ist es nicht mehr das.

Darüber muß man sich klar sein.

Nein, schreiben ist nicht befriedigend, weißt du, es ist kein Ausdrucksmittel... Die Musik?

Nicht viel besser.

Die Malerei ist schlechter.

Nein...

(Schweigen)

Ich fragte mich: Vielleicht käme ein menschliches Wesen, das ein außergewöhnlich mächtiges Stimmorgan entwickelt hätte, der Wahrheit am nächsten. Es könnte das, was es sagen will oder was sich ausdrücken will, einfach mit dem Stimmorgan verbinden und es dann unter diesem Einfluß herauskommen lassen.

Ich erlebte kurze Augenblicke von solchen Erfahrungen, aber selbst da erschien es mir armselig – armselig, weil ein ganzer Bereich unzugänglich bleibt... Ich erinnere mich an die Zeit, wo ich mich am 31. Dezember um Mitternacht an die Orgel setzte, ohne im mindesten zu wissen, was ich spielen oder singen würde. Ich ließ die Kraft kommen – sie spielte, und dann kamen der Ton, die Stimme, und mit der Stimme die Worte. Ich schrieb nichts im voraus. Nur weil die Leute sich daran machten zu notieren, was ich sagte (und natürlich falsch notierten), ging ich dazu über, es aufzuschreiben. Aber erst sehr viel später, als ich nicht mehr um Mitternacht hinging, begann ich, im voraus zu schreiben. Die ersten Male (Sri Aurobindo war da, das ist schon lange her) war es so: ich wußte weder was ich spielen noch was ich sagen würde. Erst kam der Ton, dann die Stimme und mit der Stimme die Worte. Es war etwas, das sich sammelte, konkretisierte.

Es war machtvoll genug, aber unvollkommen. Unvollkommen.

(Schweigen)

Vielleicht müßte man die Musik durch Spiele aus Licht ergänzen können. Aber keine künstlichen Spiele.

(langes Schweigen)

Die bewußte und willentliche Handhabung gewisser lichtvoller Vibrationen zum Ton hinzufügen.

Aber der Gedanke (der Gedanke, wie wir ihn jetzt verstehen) ist im Vergleich viel materieller. Der Gedanke, die Formulierung in Worten liegt viel weiter unten auf der Skala.

Es gibt Gedanken... Sind es Gedanken? Es ist viel höher als die Idee, viel höher als der Gedanke... Es ist die VISION DES WISSENS, in einem äußerst lichtvollen Bereich, in dem die Schwingungen sehr genau und sehr stark sind, und sie überträgt sich offensichtlich beim Herabstieg durch Töne und Worte (aber das liegt viel weiter unten). Wenn man ihr eine Form gäbe, die dem Ursprung am nächsten kommt, wären es lichtvolle Schwingungen.

Doch der menschliche Verstand bemächtigt sich aller Dinge und kopiert sie. Er macht eine Kopie: all diese Lichtspiele, alles, was man jetzt tut... Wie die Vorliebe fürs Theater und den Film... Dennoch hat es eine Wirkung, oder? Aber es ist eine Kopie.

Wir sind Affen.

(Schweigen)

Mein Kind, ich glaube, ich täusche mich nicht: Fange mit dem Bewußtsein an!

Und laß es dir nicht einfallen, all dies aufzuschreiben, es ist nicht der Mühe wert!

Aber doch, es ist interessant! Ich tue es nachmittags, und morgens arbeite ich.

Um interessant zu sein, muß es systematisch sein, mit Beispielen. Aber das wäre eine endlose Geschichte...

Jedenfalls waren die Lebensabschnitte so klar wie nur möglich, genau abgegrenzt, und sie bereiteten alles für meine Ankunft hier vor.

Viele, viele Dinge verschwanden völlig aus meinem Leben – ich kenne sie nicht mehr, sie sind aus dem Bewußtsein verschwunden: alles, was unnütz war. Aber die Vision von allem, was den Jiva für seine hiesige Aktion vorbereitete, ist sehr klar. Schon bevor ich herkam und Sri Aurobindo traf, verwirklichte ich alles, was ich verwirklichen mußte, um seinen Yoga beginnen zu können. Alles war bereit und geordnet, organisiert – großartig! Mit einem wunderbaren Gedankengebäude. In fünf Minuten zerschmetterte er es!

Ach, wie glücklich ich war! uff!... Das war wirklich die Belohnung für all meine Anstrengungen.

Nichts! Ich wußte nichts mehr, ich verstand überhaupt nichts mehr, es gab keine einzige Idee mehr in meinem Kopf! Alles, was ich durch all meine Erfahrungen während so vieler Jahre erarbeitet hatte (ich muß schon über fünfunddreißig gewesen sein), durch bewußten Yoga, unbewußten Yoga, Leben, gelebte, organisierte, eingestufte Erfahrungen (was für ein Aufbau!), pluff! alles am Boden. Das war phantastisch. Ich hatte ihn nicht einmal darum gebeten.

Ich hatte versucht, das totale mentale Schweigen zu erlangen – diese mentale Ruhe, von der er spricht (wenn man sie erlangt hat, kann alles durch euren Kopf gehen, nichts bewegt sich, wie du es gerade beschrieben hast 3) –, es gelang mir nicht. Ich hatte es vergeblich versucht. Wenn ich still sein wollte, konnte ich es. Sobald ich aber nicht mehr ausschließlich darauf konzentriert war und nur das wollte, kam eine Invasion. Ich mußte die ganze Arbeit erneut beginnen.

Ich erzählte ihm das lediglich (nicht in vielen Einzelheiten, nur mit wenigen Worten). Dann setzte ich mich in seine Nähe, und er begann, mit Richard zu sprechen: über die Welt, den Yoga, die Zukunft, allerlei Dinge, über alles, was sich ereignen würde. Er wußte, daß der Krieg ausbrechen würde. Es war 1914, der Krieg brach im August aus, und er wußte es schon Ende März, Anfang April. Die beiden sprachen also – über große Spekulationen. Mich interessierte das überhaupt nicht, ich hörte nicht zu. Es waren alles Dinge, die der Vergangenheit angehörten, die ich selber auch schon gesehen hatte (ich hatte selber Visionen und mein eigenes Wissen). Ich saß einfach neben ihm auf dem Boden (er saß auf einem Stuhl an einem Tisch, gegenüber von Richard, und sie sprachen). Ich saß einfach dort und hörte nicht zu. Ich weiß nicht, wie lange sie sich unterhielten, aber plötzlich fühlte ich eine große Kraft in mich kommen – einen solchen Frieden! Ein Schweigen! Machtvoll! Es kam, machte so (Mutter wischt über ihre Stirn), kam so herab und hörte dort auf (Geste bis zur Brust) 4 . Als sie ihr Gespräch beendet hatten, erhob ich mich und ging. Da merkte ich, daß ich keinen einzigen Gedanken mehr hatte – daß ich nichts mehr wußte, nichts mehr verstand, in einer völligen LEERE war. Ich sagte dem Herrn Dank und dankte Sri Aurobindo in meinem Herzen.

Ich traf alle Vorkehrungen, nichts zu stören. Ich bewahrte es so (acht bis zehn Tage lang, ich erinnere mich nicht mehr genau). Nichts, keine Idee, kein Gedanke, gar nichts – eine vollständige LEERE. Vom äußeren Standpunkt war es die totale Verdummung.

Ich weilte in meiner inneren Freude – rührte mich nicht, bewegte nichts. Ich sprach so wenig wie möglich, und es war wie eine Mechanik, es war nicht ich. Langsam, langsam, als sammelte es sich wie Tropfen, bildete sich dann wieder etwas. Aber es hatte keine Grenzen, keine... es war weit wie das Universum und wunderbar still und lichtvoll. Hier (im Kopf) nichts, aber von DA (oberhalb des Kopfes) begann es, alles zu sehen.

Das verließ mich nie wieder – als Beweis für Sri Aurobindos Kraft ist das unvergleichlich! Ich glaube nicht, daß er je ein anderes Beispiel (wie soll ich sagen?) eines so vollkommenen Erfolges hatte – ein Wunder. Das verließ mich NIEMALS. Ich reiste nach Japan, tat zahllose Dinge, hatte alle möglichen Abenteuer, sogar äußerst unangenehme, aber das verließ mich nie mehr – ruhig, ruhig, ruhig...

Er bewirkte das, er allein. Ich bat ihn nicht einmal darum, ich hatte kein besonderes Verlangen danach (es gab die vorangegangenen Bemühungen, ich wußte, daß es kommen mußte, das war alles), aber an dem Tag sagte ich ihm nichts davon, ich dachte nicht daran, tat nichts, ich saß nur dort. Äußerlich schien er ganz vertieft in sein Gespräch über dies und jenes, über die kommenden Ereignisse in der Welt, und so weiter...

So verstehe ich die Dinge.

Aber ich konnte es niemals auf diese Art für andere tun – auf diese Weise, mit dieser Fülle, niemals, niemals... Das ist phantastisch! Das war ungeheuerlich... Man kann wirklich sagen, daß nur der Herr so etwas tun kann, nur Er – ohne die geringste Anstrengung, ohne auch nur den Anschein... er erweckte nicht einmal den Anschein, konzentriert zu sein, nichts, einfach so.

Du hast ihn nie getroffen?

Doch, ich hatte ein "Darshan".

Ach! Du hast ihn gesehen.

Dann hatte ich eine Erfahrung, im ersten Jahr meines Aufenthaltes (ich wußte übrigens nicht, daß es eine Erfahrung war...)

Ja?

Im ersten Jahr meines Aufenthaltes kam er eine Nacht und legte seine Hand auf mein Herz. Ich weinte, weinte, weinte – im Traum... Nachher sagte ich mir: "Welch eine komische Einbildung hatte ich da!" Ich hielt es für eine Einbildung.

Oh, mein Kind, aber das ist wunderbar!

Er legte seine Hand auf mein Herz, und ich weinte, weinte in meinem Traum, wie ich nur konnte.

Das ist psychisch. Das ist der psychische Kontakt.

Oh, dann wird es nicht schwierig sein!

Gut.

Es macht doch einen Unterschied, ihn gesehen zu haben.

Ich sah ihn einmal, 1948 hatte ich ein Darshan.

Das war ja, als Baron 5 da war!

Sieh an, das ist interessant. 1948... Ja! Es ging ihm noch gut. Er hatte sein Bein gebrochen.

Wie lange bist du das erste Mal hiergeblieben?

Ich glaube bis 1949.

Ach! Dann wußte er also auch, daß du vorbestimmt warst. Wenn er dich gesehen hat, wußte er es.

Das ist gut.

Es ist gut, mein Kind, es ist gut, sorge dich nicht! (Mutter lacht)

Es ist spät.

Möchtest du etwas Käse mitnehmen?

Nein danke, du hast mir schon welchen gegeben, ich habe noch reichlich davon.

Ich sage dir das, weil es alles ist, was ich habe. (Mutter lacht)

Also bis Samstag, mit dem "Bewußtsein"!

Gut, vielleicht.

 

1 Mutter präzisierte: "In der Tat war das Lernstadium auch noch eine Entwicklung des Bewußtseins: Ich lernte nicht auswendig, sondern wollte verstehen, und wenn ich etwas verstand, wußte ich es. Das heißt, das gesamte Lernstadium fällt in die Kategorie der Entwicklung des Bewußtseins, denn es war noch nicht intellektuell."

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2 Natürlich! Man kann sie berühren, indem man den Kopf hineintaucht oder die Fußspitzen, dennoch badet alles in demselben Kraftstrom (außer den Mauern unseres Mentals). Es gibt Augenblicke oder Stellen, wo man weniger hart ist, und dort kommt es auf natürliche Weise "herein". Da sagt man: Das ist die Shakti von "oben" oder die Shakti von "unten" oder von "innen". Wenn die Mauern aber gefallen sind, gibt es weder oben noch unten, man steht mitten im Strom.

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3 Mutter bezieht sich auf einen Brief Sri Aurobindos, den Satprem in seinem Manuskript erwähnte: "... in einem ruhigen Geist ist die Substanz des geistigen Wesens ruhig, so ruhig, daß es durch nichts gestört wird. Wenn Gedanken oder Beschäftigungen kommen, steigen sie ganz und gar nicht vom Mental auf, sondern sie kommen von außen und durchziehen den Geist, wie ein Vogelzug den Himmel in windstiller Luft durchzieht. Sie ziehen vorüber, stören nichts, hinterlassen keine Spur. Sogar wenn tausend Bilder oder äußerst heftige Ereignisse sie durchziehen, bleibt die ruhige Stille, als wäre die eigentliche Beschaffenheit des Mentals eine Substanz ewigen und unzerstörbaren Friedens. Ein Geist, der diese Ruhe erlangt hat, kann sogar intensiv und kraftvoll handeln, aber er wird seine fundamentale Stille bewahren – er bringt nichts aus sich selbst hervor, sondern empfängt von oben und gibt dem eine geistige Form, ohne selbst etwas hinzuzufügen, ruhig, leidenschaftslos und dennoch mit der Freude der Wahrheit und der glücklichen Macht und dem Licht seines Kommens." (Cent. Ed. XXIII, 637).

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4 Mutter präzisierte: "Es umfaßte die drei Zentren des aktiven Mentals (hinter der Stirn, zwischen den Brauen und an der Kehle)."

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5 Der frühere Gouverneur des "französischen Indiens", bei dem Satprem einen Posten in der Regierung von Pondicherry angetreten hatte. Tatsächlich glaube ich, daß es 1946 und nicht 1948 war, als ich Sri Aurobindo begegnete.

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