Mutters
Agenda
dritten Band
(Für das neue Buch über Sri Aurobindo sieht Mutter voraus, daß noch viele Kürzungen erforderlich sein werden und daß es im Grunde hauptsächlich darum geht zu verhindern, daß der Verleger das Buch irgendwelchen Ignoranten anvertraut. Sie fügt hinzu:)
...Aber du verstehst doch, daß diese Leute das nicht begreifen können, sie sind eine verschlossene Wand. Nicht einmal ein Bronzetor: aus Ziegeln und Zement gemauert – nichts kann hindurchdringen.
Armer Sri Aurobindo!
Aber das, was sich hier in Pondicherry ereignete, braucht man nicht lange zu beschreiben. Denn von dem Moment an, wo er sich zurückzog (genau genommen war es von dem Moment an, als er von dort hierher zog 1), gehörte sein Leben nicht mehr der Allgemeinheit. Was sich dann ereignete... ja, das wird in hundert Jahren interessant sein. Nicht jetzt.
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* *
(Dann spricht Mutter über die gemeinsame Meditation am 15. August anläßlich von Sri Aurobindos 90. Geburtstag:)
Mein Kind, am 15. hielten wir um zehn Uhr eine Meditation ab 2 . Seit Viertel vor zehn saß ich in vollkommenem Schweigen am Tisch hier. Und... ich kann nicht sagen, Sri Aurobindo sei "gekommen", denn er ist immer hier, aber er manifestierte sich auf eine besondere Art... Im Subtilphysischen wurde er konkret so groß, daß er mit gekreuzten Beinen auf dem ganzen compound [Gebäudekomplex] saß. Er ragte etwas darüber hinaus, aber er saß buchstäblich auf dem Gebäude. Das bewirkte, daß alle meditierenden Leute, wenn sie nicht verschlossen waren, in ihm waren. Er saß da (nicht auf ihrem Kopf!), und ich fühlte (ich war hier), ich fühlte die REIBUNG seiner Gegenwart im Subtilphysischen, eine absolut physische Reibung. Ich sah ihn, denn du weißt wohl, daß ich nicht dort drinnen bin [im Körper], ich sah ihn sehr groß, in vollkommenen Proportionen, sitzend, und dann kam er ganz sanft, ganz sanft, ganz sanft herab. Dieser Herabstieg verursachte die Reibung – sehr sanft, um den Leuten keinen Schrecken einzujagen –, ganz sanft, ganz sanft. Dann ließ er sich nieder und blieb mehr als eine halbe Stunde da, ein bißchen länger, einige Minuten länger, einfach so, völlig unbewegt, aber sehr konzentriert auf alle Leute, die da waren – sie waren in ihm.
Ich saß da, lächelnd, fast... fast lachend: Man fühlte ihn überall, überall (Mutter berührt ihren ganzen Körper). Aber in einem solchen Frieden – ein Friede! Eine Kraft! Eine Macht! Das Gefühl der Ewigkeit, der Unermeßlichkeit, des Absoluten. Eine Empfindung des Absoluten, als sei alles vollbracht, als lebte man in der Ewigkeit.
Es war compelling [unwiderstehlich]. Man mußte völlig verschlossen sein, um das nicht zu fühlen.
Ich bestreite nicht, daß es viele verschlossene Leute gab. Das weiß ich nicht (lachend), ich fragte sie nicht nach ihrer Meinung.
Danach verschwand er nicht plötzlich: es geschah langsam, ganz langsam, wie etwas, das sich verflüchtigt. Dann ging alles wieder seinen gewohnten Gang, mit Konzentrationen hier und Aktivitäten dort.
Ich glaube, manche Leute müssen es gefühlt haben (vielleicht verstanden sie es nicht im vollen Ausmaß, denn sie hatten nicht die Schau des Ganzen), aber sie fühlten vielleicht, wie er in sie herabkam. Denn am Nachmittag, als alles wieder in seine gewohnte Ordnung zurückgekehrt war, kam es wie eine Welle des Bedauerns, als ob man sagte: "Ach, diese schöne Erfahrung ist vorbei." (Er ist natürlich immer da, aber nicht auf diese Weise! Er ist immer da.) Das ging durch die Atmosphäre: "Ach, jetzt ist der 15. August vorbei. Dieser schöne Anlaß ist vorbei." Aber so war es... mehr als konkret, ich weiß nicht, wie ich es sagen soll, es kam... mit einer Absolutheit.
Ich sah ihn sehr oft in seinem supramentalen Licht. Sehr oft kam er (als ich auf dem Balkon war, kam er – manchmal war er über dem Samadhi, er kam sehr oft), aber das... vor allem war das Ausmaß ungeheuer, denn, wie ich dir sagte, überragte er sitzend das Gebäude, und dann materialisierte er sich auf PHYSISCH fühlbare Weise. Es brachte eine solche Zuversicht, eine solche Freude, eine solche Gewißheit, ein solches Vertrauen. Alles war so sicher, so absolut gewiß, als sei alles vollbracht worden. Es herrschte nicht mehr diese Angst oder Spannung, die Dinge zu vollbringen.
Das dauerte ungefähr eine Dreiviertelstunde. Danach kehrten die Dinge in ihre gewohnte Ordnung zurück.
(Schweigen)
Es war der schönste 15. August, den wir je hatten.
Es dauerte eine Dreiviertelstunde.
(Schweigen)
Das einzige... (er hatte mir sein Vorhaben nicht angekündigt) aber als man mir sagte, daß man sich versammeln wolle, um eine halbe Stunde zu meditieren, nahm etwas in mir das sehr ernst: "Also gut!" Ich bereitete alles für die Meditation vor. Ich setzte mich an den Tisch (ungefähr Viertel vor zehn) – und dann begann es. Es brauchte ungefähr fünf Minuten, um sich zu bilden. Ah! Dann verstand ich.
Er machte uns ein schönes Geschenk.
All seine Milde, all seine Größe, all seine Macht, all seine Ruhe, all das war da. Sogar viel stärker und viel klarer als zu der Zeit, wo er in seinem Körper war!
Ich hatte immer diesen Eindruck – in seinem Zimmer war es immer so. Wann immer ich ihn traf, hatte ich diesen Eindruck. Selbst während der ganzen Zeit, als ich arbeitete, hatte ich den Eindruck, daß er hinter mir stehe und alle Dinge verrichte. Aber dies war sehr viel stärker. Viel stärker... Man wurde erfaßt, und dann gab es kein Entrinnen mehr. So war es. Es war etwas ABSOLUTES.
Ich fragte niemanden, sagte niemandem etwas, sprach nicht darüber, sagte kein Wort – du bist der erste. Nur Pavitra fragte ich gestern mit einem Lächeln, ob er eine gute Meditation hatte. Er antwortete mir: "Ja." Dann sagte ich ihm: "Nun, tatsächlich saß Sri Aurobindo auf dir!" (Mutter lacht) Er antwortete mir: "Ich saß hier unten in Sri Aurobindos Zimmer." Und ich erwiderte: "Da war er auch!" (Mutter lacht)
Ich war wie stillgelegt. Ich hatte die Erfahrung, völlig stillgelegt zu sein.
Ach!
Wirklich, die halbe Stunde ging vorbei, ich bewegte mich nicht, nichts bewegte sich.
Das ist es.
Nichts, alles war absolut... aufgehoben.
Das ist gut, du hast vollen Nutzen daraus gezogen.
Diese Empfindung hatte ich noch nie. Manchmal war ich ruhig, aber diesmal war ich wie stillgelegt.
Ja, stillgelegt, das ist es. Das ist sehr gut. So ist es.
Gut, mein Kind.
Dann verstehst du, daß du nur eines zu tun hast, und zwar dein Buch zu beenden.
Ja! Ach, ich wollte einen so schönen Sri Aurobindo schreiben, aber dann...
Die Dinge lösen sich sehr...
Du hast noch etwas zu viel von deiner alten Denkweise in dir, und das quält dich die ganze Zeit. Etwas quält dich die ganze Zeit, und das ist völlig unnütz – wenn man sich quält, vergeudet man nur seine Zeit.
1 Sri Aurobindo zog sich 1926 zurück, aber 1928 verließ er den linken Flügel des Ashrams, um sich endgültig im rechten Gebäudeteil niederzulassen.
2 Es sei bemerkt, daß seit Mutters "Krankheit" im März 1962 bis Februar 1963 kein Darshan mehr stattfinden sollte.