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Mutters

Agenda

vierten Band

27. März 1963

(Manchmal entwich Mutter ein Aufschrei:)

I am fed up! [Ich habe es satt!]

(langes Schweigen)

Vor einiger Zeit erzählte ich dir eine Erfahrung, in der ich erkannte, daß jedesmal, wenn eine göttliche Manifestation stattfand (was man einen Avatar nennt), es immer unter einem bestimmten "Blickwinkel des Suchens" geschah, das heißt, ein bestimmtes intensives BEDÜRFNIS drängt die Menschen auf dem Weg der Evolution zum Ziel und zur Transformation. Jeder sah es unter seinem besonderen Blickwinkel im Glauben, dies sei das Ziel 1 . Damals erkannte ich, daß die vedischen Rishis von der Suche nach Unsterblichkeit angetrieben wurden. Gestern fiel mir das wieder ein, und ich schrieb es auf:

(Mutter liest eine handgeschriebene Notiz)

Die vedischen Rishis dürsteten nach Unsterblichkeit,

Buddha suchte die Dauerhaftigkeit...

Dann betrachtete ich das und fragte mich: "Was war demnach der Weg von Christus?"... Im Grunde hieß es immer: "Liebet einander", das heißt die Brüderlichkeit (dies ist jedoch eine moderne Übersetzung). Für ihn war es die Idee des Mitgefühls, der Nächstenliebe (die Christen sprechen vom "Gesetz der Liebe", aber wir sind noch nicht soweit – das wird erst viel später kommen). Also schrieb ich:

Jesus predigte das Mitgefühl...

Daraufhin dachte ich: jetzt zu Sri Aurobindo. Da ist es sehr offensichtlich: für ihn war es die Vollkommenheit. Vollkommenheit nicht im Sinne eines Höhepunktes, sondern einer Gesamtheit, in der alles vorhanden ist, und zwar alles an seinem rechten Platz. Und ich sah, daß diese Vollkommenheit sich in Etappen vollziehen muß. Er verkündete etwas, dessen Verwirklichung sich über Jahrtausende erstrecken wird. Es kann nur in Etappen geschehen. Dabei erscheint mir eines wesentlich und unerläßlich... (alles ist da, und alles nimmt seinen Platz ein, aber eines bleibt wie eine Angst, keine persönliche Angst sondern eine weltweite Besorgnis), und zwar die Sicherheit. Das Bedürfnis nach Sicherheit – was immer wir tun, was immer wir suchen, selbst die Liebe, selbst die Vollkommenheit, bedarf der Sicherheit. Nichts kann geschehen, solange wir unter dem Eindruck stehen, daß alle gegnerischen Kräfte daherkommen und es wegfegen können. Wir müssen den Punkt finden, wo es nicht mehr getroffen, zerstört oder unterbrochen werden kann. Folglich geht es um die Sicherheit, das eigentliche Wesen der Sicherheit. So schrieb ich:

Sri Aurobindo versprach die Vollkommenheit,
und um sie zu erreichen,
ist die erste Notwendigkeit,
das erste Bedürfnis der Menschen heute,
die Sicherheit.

Alle weltweiten Tendenzen, die auf die eine oder andere Weise den "Frieden begründen" wollen, verdeutlichen dies, dieses Bedürfnis nach Sicherheit. Und meine eigene Erfahrung ist die einer Super-Sicherheit, die sich nur in der Vereinigung mit dem Höchsten wirklich finden läßt – nichts, aber auch gar nichts auf der Welt könnte einem diese Sicherheit geben außer: die Vereinigung, die Identifikation mit dem Höchsten. Dies führt auf das zurück, was ich dir damals sagte: Solange Sri Aurobindo in seinem Körper hier war, hatte ich den Eindruck einer vollkommenen Sicherheit – etwas ganz Außerordentliches! Nichts, nichts, nichts konnte sie erschüttern – nichts. Sein Weggehen war wie... wie eine Vernichtung dieser Erfahrung 2 . Vom höchsten Standpunkt aus gesehen war das vielleicht die eigentliche Ursache für sein Weggehen... Nur scheint mir das eine sehr kleine Ursache für ein sehr großes Ereignis zu sein... Aber als sich diese Sicherheit in der Erfahrung immer mehr festigte und ausbreitete... 3 Wahrscheinlich war der Augenblick nicht gekommen. Ich weiß es nicht. Wie gesagt, in universaler und everlasting [immerwährender] Hinsicht (ich kann es nicht ewig nennen) scheint es mir eine kleine Ursache für ein großes Ergebnis zu sein... Man könnte sagen, daß es wahrscheinlich EINER der Gründe war, die sein Weggehen erforderlich machten.

Nach der Erfahrung der letzten Tage stellt diese Suche nach Sicherheit folglich nur einen ersten Schritt zur Vollkommenheit hin dar. Er kam, um anzukündigen (ich schrieb absichtlich "versprach"), er kam, um die Vollkommenheit zu VERSPRECHEN, zwischen diesem Versprechen und der Verwirklichung liegen aber viele Schritte. Nach meiner Erfahrung ist dies der erste Schritt: die Suche nach Sicherheit. Das entspricht recht genau dem gegenwärtigen irdischen Geisteszustand.

(Schweigen)

Die verschiedenen Staaten rechtfertigen ihren zerstörerischen Aufrüstungswahn mit der Behauptung, die Aufrüstung sei ein Abschreckmittel, um die Zerstörung zu verhindern – das taugt nichts. Als Argument ist dies wertlos, aber in ihrer Vorstellung verhält es sich so. Das ist Teil dieses gleichen Durstes, des gleichen Bedürfnisses nach Sicherheit: nichts läßt sich erreichen außer im Frieden, nichts kann gefunden werden außer im Frieden, nichts kann verwirklicht werden außer im Frieden – wir brauchen Frieden, individuell, kollektiv und global. Und nun stellt man schreckliche Zerstörungswaffen her, damit die Menschen eine solche Angst haben, daß nichts passiert – was für eine kindische Folgerung! Aber dies ist ihre Geisteshaltung. Es ist wieder eines der... auf englisch sagt man device, es ist kein "Trick", sondern ein Mittel, etwas zwischen Trick und Mittel, um die menschliche Rasse ihrem evolutionären Ziel entgegenzutreiben. Und dafür müssen wir uns an den Höchsten halten – es ist also ein Mittel, den Höchsten zu erfassen. Denn es gibt nichts, absolut nichts vom Standpunkt der Sicherheit als den Höchsten. Wenn man der Höchste IST, das heißt, das höchste Bewußtsein, die höchste Macht, die höchste Existenz, dann bedeutet das Sicherheit – außerhalb dessen existiert sie nicht, denn alles ist in ewiger Bewegung. Was in einem der "Zeitmomente" geschieht, von denen Sri Aurobindo spricht (die Zeit ist eine ununterbrochene Folge von "Augenblicken"), was in einem Moment ist, ist im nächsten Moment nicht mehr, folglich: keinerlei Sicherheit. Unter einem anderen Blickwinkel betrachtet, ist es dieselbe Erfahrung, die auch Buddha zur Auffassung bewegte, daß nichts von "Bestand" sei. Die Rishis sahen die Sache im Grunde nur unter dem Blickwinkel der menschlichen Existenz, und deshalb suchten sie die Unsterblichkeit. Alles kommt auf dasselbe hinaus.

(Mutter verbleibt in Kontemplation)

*
*   *

Etwas später

Auf mich regnet eine Flut mentaler Fragen nieder... flach, oberflächlich – alle wollen, daß ich antworte, um meine Antworten zu veröffentlichen! Das verweigere ich. G schickte mir fünf oder sechs Fragen über das Supramental für seine Zeitschrift, eine mentaler und dümmer als die andere. Ich soll sagen, ob es "so" ist oder "so" – lauter Fragen, die man einem guten Schüler stellt, um zu sehen, ob er seine Lektion auch brav gelernt hat.

Anscheinend schickte er seine Fragen schon letztes Jahr zur selben Zeit, die ich dann zurückgehen ließ. Damals erklärte man alles durch meine sogenannte Krankheit. Jetzt, wo ich wieder "ansprechbar" bin, schickt er mir dieselben Fragen wieder. Ich gebe sie ihm mit derselben Antwort zurück: ich kann nicht. Neulich scherzten wir, Nolini las mir ein paar Fragen vor, und auf jede Frage antwortete ich (Ton eines schuldbewußten Schülers): Don't know, don't know... [weiß nicht, weiß nicht...]

(Mutter lacht)

 

1 Siehe Agenda vom 27. November 1962, Band 3, Seite 417.

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2 Siehe Agenda vom 30. November 1962, Band 3, Seite 421.

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3 Mutter vervollständigte und erklärte diesen Abschnitt im nächsten Gespräch.

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