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Mutters

Agenda

vierten Band

3. Juni 1963

(Mutter beginnt, einen Brief von Sri Aurobindo auf englisch vorzulesen, der hier in deutscher Übersetzung wiedergegeben wird:)

Verstehst du, wenn ich lese?

Ich verstehe sehr gut! Aber es wird dich anstrengen...

Nein, es ermüdet mich nicht.

(Mutter liest)

Das Körpermental

Es gibt auch ein dunkles Mental des Körpers, ja sogar der Zellen, der Moleküle und Elementarteilchen. Haeckel, der deutsche Materialist, sprach irgendwo vom Willen im Atom, und die moderne Wissenschaft, die sich mit den unvorhersehbaren individuellen Abweichungen in der Bewegung der Elektronen beschäftigt, nähert sich der Erkenntnis, daß dies keine Metapher ist, sondern der Schatten einer verborgenen Wirklichkeit. Dieses Körpermental ist eine sehr faßbare Wirklichkeit. Aufgrund seiner Unklarheit und seines mechanischen Festhaltens an vergangenen Bewegungen, seines leichten Vergessens und seiner Abwehr des Neuen finden wir in ihm das Haupthindernis für das Eindringen der supramentalen Kraft und für die Transformation der Körperfunktionen. Andererseits wird es, einmal wirksam umgewandelt, eines der wertvollsten Instrumente für die Stabilisierung des supramentalen Lichts und der supramentalen Kraft in der materiellen Natur sein.

(XXII.340)

Das entspricht ganz meiner Erfahrung.

Das Mental der Zellen bemächtigt sich eines Mantras oder Japas und wiederholt es schließlich automatisch, mit einer solchen Beharrlichkeit, UNUNTERBROCHEN. Das will Sri Aurobindo ausdrücken, wenn er sagt, es könne helfen: es bewirkt, daß die Dinge unbegrenzt fortdauern (Mutter schließt ihre Faust mit einer unerschütterlichen Bewegung).

Vor ein paar Tagen, nach einer bestimmten Tätigkeit oder Situation, die eine Anstrengung, fast einen Kampf erforderte, hörte ich seltsamerweise die Zellen mein Mantra wiederholen. Es glich einem Chor, und jede einzelne Zelle wiederholte es automatisch... Ich war völlig verblüfft. Bald darauf, am nächsten oder übernächsten Morgen, brachte man mir diesen Brief.

Das ist erstaunlich wahr.

Ich hörte sie – ich hörte DIE ZELLEN: die Zellen wiederholten es! Angesichts einer Schwierigkeit (das war der Anlaß) wiederholten sie automatisch das Mantra. Es glich einem Chor, einem riesigen Chor in einer Kirche, ganz erstaunlich. Eine Vielzahl kleiner Stimmen, unzählige kleine Stimmen wiederholten immer wieder denselben Ton. Ich hatte den Eindruck eines Chors in einer Kirche mit vielen, vielen Sängerkindern – mit ganz feinen Stimmen. Aber der Klang war sehr klar, ich war verblüfft: der Ton des Mantras.

Ist dies das Mental, dessen sich auch die Tantriker bedienen? Wenn du zum Beispiel von diesem "dunkelblauen Licht" des physischen Mentals sprichst, meinst du dann dasselbe Mental der Zellen?

Ich glaube nicht.

Die Macht der Tantriker wirkt doch auch durch das Japa, die Mantras, durch das Erwachen des physischen Bewußtseins.

Ich glaube, ihre Macht stammt aus einer höheren Schicht (höher als das Mental der Zellen). Ihre Aktion ist sehr zerebral: Sie wirkt immer hier (Geste zur Stirn und an die Schläfen), sie setzt hier an (dieselbe Geste) – es schmerzt sogar!

Aber wie wirkt diese Macht in der Materie? Denn sie haben ja eine Macht über die Materie.

Weil es sehr materiell ist – das Gehirn ist materiell! Es ist nur ein klein bißchen weniger mechanisch als das Mental der Zellen. Aber es ist materiell. Sicherlich ist es nicht das höhere Mental: dieses Mental ist an den Körper gebunden (dieselbe Geste zu den Schläfen). Das Mental, von dem ich spreche, das körperliche Mental, ist jedoch ÜBERALL, in allen Zellen: jede Zelle hat es in sich. Während das, womit die Tantriker arbeiten, speziell im Gehirn lokalisiert ist. Es handelt sich um eine sehr zerebrale Tätigkeit, die die Stirn und den unteren Teil des Gesichts umfaßt und nicht einmal bis zur Kehle hinabreicht.

*
*   *

Geht es gut mit deinem "Schreiben" [das Yantra]?

Ja, ich bin nicht mehr so müde wie vorher, aber... Dieser Bereich erscheint mir so mechanisch!

Dabei habe ich Kraft hineingegeben.

Ich gab deinem Yantra Kraft, denn ich kann es SEHEN (Mutter schließt die Augen und wiederholt mit lauter Stimme:) 6-12-30...

Ich sehe es, es existiert.

Jetzt hat es eine Realität.

Es hat einen Rhythmus – einen sehr guten Rhythmus: 6-12-30-48...

Spürst du ihn, wenn ich es ausspreche?

Es ist wirklich geworden, das kann ich dir versichern.

*
*   *

Etwas später

Gestern sah ich ein sieben Monate altes Baby... es ist schon ein Weiser.

Es schaut mit seiner Seele. Als ich es ansah, leuchteten seine Augen auf.

Weint nicht, spricht nicht, aber es brachte einen Ton hervor – erst streckte es die Arme zu mir aus, als ob es "Aaah!" sagte. Dann nahm ich es in meine Arme, und es legte seinen Kopf hierhin, an mein Herz – ohne die Augen zu schließen, wurde es ekstatisch.

Außergewöhnlich! So etwas habe ich noch nie gesehen, ich sah das zum ersten Mal.

Champaklal, der mir den Kleinen gebracht hatte, wollte nicht, daß er wegging, ohne meine Füße berührt zu haben (ich dachte, das würde eine Katastrophe auslösen): er setzte ihn auf den Boden und beugte seinen Kopf – sobald er meine Füße sah, ergriff er sie mit beiden Händen, eine Hand auf jeden Fuß!

Sieben Monate!

Und kein Laut, nur das "Aaah!"

Er hatte Champaklal nie zuvor gesehen; Champaklal nahm ihn, er machte keinen Mucks, protestierte nicht: er blieb ganz aufrecht auf seinem Arm sitzen.

Und was für Augen! Augen, die schon nach innen blicken. Als ich ihm in die Augen blickte, kam sofort die Antwort – eine Antwort, wie ich sie sogar von den Erwachsenen hier selten erhalte.

Danach verlangte er nichts mehr, er war zufrieden. Und plötzlich dieses "Aaah!" Ich nahm ihn in die Arme: sofort legte er seinen Kopf hierhin, an mein Herz, und rührte sich nicht mehr.

Ich weiß nicht, wer er ist.

Ich dachte, ich würde es nachher wissen, aber bis jetzt erfuhr ich nichts. Ich weiß es nicht. Ich habe nur eine Art Wissen im Hintergrund, daß es keine vollständige Person ist sondern eine Emanation von jemandem, der bewußt in ihn eintrat. Aber es ist jemand... ich wäre nicht einmal erstaunt, wenn man mir sagte, es sei Sri Aurobindo. Als hätte Sri Aurobindo eine Emanation von sich geschaffen und sie in ihn gebracht (ich sage es nicht, denn ich weiß es nicht). Aber es ist keine x-beliebige Person. 1

Entweder ist es eines der nicht inkarnierten Wesen, oder Sri Aurobindo erlaubt sich diesen Scherz!

Er ist ganz klein, und er hat auch keinen großen Kopf mit einem kleinen Körper: er ist wohlproportioniert. So klein. Sieben Monate alt.

Aber sehr gut geformt: niedliche Hände, niedliche Arme, niedliche Füße. Sehr schön geformt.

Das ist etwas Neues, noch nie habe ich ein solches Baby gesehen, nie.

Es kam in Amerika zur Welt (das ist schon ein Zeichen), aber seine Eltern sind Inder. Es wurde in Amerika empfangen, entwickelte sich dort während der ganzen neun Monate und wurde dort geboren. Es verbrachte die ersten vier oder fünf Monate seines Lebens in Amerika.

Die Mutter sagte mir, bevor sie heiratete: "Ich werde erst ein Kind haben, wenn ich es will, und ich hoffe, wie ich will." Es wurde nicht zufällig gezeugt.

Ah, gehen wir besser an die Arbeit!

 

1 Als Mutter das Kind vier Jahre später wiedersah, erkannte sie, daß er eine Emanation eines alten Pharaos war (siehe Agenda vom 10. Mai 1967).

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