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Mutters

Agenda

vierten Band

7. September 1963

(Meistens löschte Satprem die Begrüßungen am Anfang der Gespräche. Zufällig blieb diese hier auf der zweiten Spur eines Tonbandes erhalten; als liebenswürdiges Beispiel sei sie hier wiedergegeben. Sujata hatte Mutter geschrieben, daß sich Satprems Gesundheit "verschlechtere" und vorgeschlagen, ihm zusätzliche Nahrung zu geben.)

Laß dich anschauen! (Lachen)

Wie geht's dir, mein Kind?

Besser.

Etwas besser... Und diese Diät, ist sie gut?

Ja, sie scheint zu helfen.

(Mutter schenkt Satprem eine weiße Hibiskusblüte:) "Der mit dem göttlichen Willen vereinte Wille" – sie sind so eng verschmolzen, daß man sie nicht voneinander unterscheiden kann.

Mein Kind...

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(Es geht um eine "alte" Erfahrung vom 29. Juni: "das Schiff aus rötlichem Ton")

Die Dinge geschehen viel schneller, als ich glaubte. Diese Erfahrung erscheint mir so weit entfernt, so vieles hat sich ereignet – über vieles spreche ich nicht.

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Etwas später

Anläßlich einer Frage der Arbeit wurde ich neulich dazu veranlaßt, meine Position vom Standpunkt der materialistischen Überzeugung aus zu erklären – ich weiß nicht, wo sie heute stehen, weil ich mich gewöhnlich nicht damit beschäftige, aber wegen einer Arbeit 1 wurde ich dazu veranlaßt.

Für sie sind alle menschlichen Erfahrungen das Ergebnis eines mentalen Phänomens: man hat das Stadium einer fortschreitenden mentalen Entwicklung erreicht (sie sind allerdings weder fähig zu sagen warum noch wie!), jedenfalls entwickelte sich das Leben aus der Materie, und das Leben brachte wiederum das Mental hervor, und alle sogenannten spirituellen Erfahrungen des Menschen sind mentale Konstruktionen (sie verwenden andere Worte, aber ich glaube, dies ist ihre Anschauung). Auf jeden Fall bedeutet es die Verneinung einer jeglichen spirituellen Existenz, sowie der Existenz eines Wesens oder einer Kraft oder etwas Höherem, das alles lenkt.

Wie gesagt weiß ich nicht, wo sie heute stehen, welchen Punkt sie erreicht haben, ich wurde jedenfalls mit einer Überzeugung dieser Art konfrontiert.

Da sagte ich mir: "Das ist doch sehr einfach! Ich akzeptiere eure Ansicht: es gibt nichts anderes als das, was wir sehen, die Menschheit, so wie sie ist. Und alle sogenannten inneren Phänomene stammen aus einer mentalen, zerebralen Tätigkeit; wenn man stirbt, stirbt man – das heißt, wenn das Phänomen der Agglomeration ans Ende seiner Existenz kommt und sich auflöst, löst sich alles auf. Das ist schön und gut."

(Wären die Dinge tatsächlich so, würde mir das Leben so abstoßend erscheinen, daß ich es wahrscheinlich schon lange verlassen hätte. Ich muß aber sofort hinzufügen, daß ich den Selbstmord weder aus moralischen noch aus spirituellen Gründen mißbillige, sondern weil ich ihn für Feigheit halte, und etwas in mir verabscheut die Feigheit, folglich hätte ich nicht... Ich würde dem Problem nie ausweichen.)

Das ist ein Punkt.

"Wenn ihr aber schon hier auf der Erde seid und bis ans Ende gehen müßt, selbst wenn am Ende das Nichts ist, so tut dies wenigstens auf bestmögliche Weise, das heißt zu eurer größten Zufriedenheit... Es ergab sich, daß ich ein philosophisches Interesse verspürte und alle möglichen Probleme studierte. So stieß ich auf Sri Aurobindos Lehre, und was er lehrte (ich würde sagen "offenbarte", allerdings nicht einem Materialisten), ist FÜR MICH unter den von Menschen erdachten Systemen bei weitem das befriedigendste und vollkommenste und jenes, das die anstehenden Fragen am besten beantwortet und mir am meisten dabei hilft, einen Sinn im Leben zu finden. Folglich versuche ich, mich ganz nach seiner Lehre auszurichten und sie integral zu leben, um auf die bestmögliche Weise zu leben – was mich angeht. Mir ist völlig egal, daß die anderen nicht daran glauben – ob sie daran glauben oder nicht, spielt für mich überhaupt keine Rolle; ich brauche keine Unterstützung durch die Überzeugung der anderen, mir genügt mein eigener Standpunkt."

Mehr ist dazu nicht zu sagen.

Die Erfahrung hielt lange an – für alle Einzelheiten, auf alle Probleme antwortete ich auf diese Weise. Schließlich sagte ich mir: "Aber das ist ein wunderbares Argument!" Alle Elemente des Zweifels, der Unwissenheit, des Unverständnisses, des bösen Willens, der Verneinung werden nämlich mit diesem Argument unmittelbar nichtig – sie werden aufgehoben, haben keine Wirkung mehr.

Diese Arbeit muß weltweite Auswirkungen zur Folge gehabt haben. Ich blieb bestimmt sechs bis acht Stunden in diesem Zustand – mit dem Gefühl von großer Macht und einer wunderbaren Freiheit. Die Arbeit begann schon vor längerer Zeit, aber in den letzten Tagen spitzte sie sich zu.

Danach hat man alles fest im Griff: "Was habt ihr zu sagen?"

(Schweigen)

Es ist viel leichter, einem hundertprozentig überzeugten, aufrichtigen Materialisten zu antworten ("aufrichtig" innerhalb des Rahmens seines Bewußtseins) als Leuten mit einer Religion. Sehr viel leichter.

Bei Indern ist es sehr leicht – diese Leute sind vom Himmel gesegnet, denn bei ihnen genügt eine Kleinigkeit, um ihnen die richtige Orientierung zu geben. 2 Es gibt aber zwei schwierige Religionstypen, und zwar die christliche (vor allem der Protestantismus) und die jüdische Religion.

Obwohl die Juden auch hartgesottene Materialisten sind: man stirbt, und damit hat sich's. Mir ist nicht ganz klar, wie sie das mit ihrem Gott in Einklang bringen, der übrigens undenkbar ist und dessen Name nicht genannt werden darf... Aus der Sicht einer umfassenderen Wahrheit scheint er sogar ein Asura zu sein (ich bin mir da nicht sicher). Denn er ist ein allmächtiger und EINZIGER Gott, der außerhalb der Welt steht – die Welt und er sind zwei völlig unterschiedliche Dinge (soviel ich weiß).

Dasselbe gilt für den Katholizismus. Wenn ich mich recht erinnere, hat Gott die Welt aber aus einem Teil seiner selbst geschaffen, oder?

Nein, nein!

Nein? Hat er nur den Menschen aus seiner Rippe geschaffen?

Nein! Aus Adams Rippe, nicht aus seiner eigenen Rippe!

Aha!

Aus Adams Rippe...

...schuf er die Frau. Ach so!...

Er "erschuf" die Welt...

Aus dem Nichts erschuf er die Welt?

So ist es.

Dann ist es dasselbe, dieselbe Schwierigkeit.

Es ist ganz einfach ein Mangel an Verständnis.

Und um "die Welt zu retten", entsandte er seinen Sohn.

Ist sein Sohn nicht Teil der Schöpfung?

Er ist der Sohn Gottes – die anderen nicht.

Ist er der EINZIGE Sohn Gottes?

Ja, natürlich!

Sie haben alles verdreht.

Aber Adam gehörte zur Schöpfung?

Ja, Christus hingegen ist kein Mensch, er ist der Sohn.

Er nahm aber einen menschlichen Körper an.

Ja, als Sohn Gottes. Er ist kein menschliches Wesen, das göttlich wurde, sondern ein göttliches Wesen, "der Sohn Gottes", der einen menschlichen Körper annahm.

Natürlich! Das trifft für alle Avatare zu.

Er ist aber der einzige.

Alles ist verdreht.

Und was macht die Jungfrau in dieser ganzen Angelegenheit? Was ist ihr, als Frau, widerfahren?

Sie war menschlich.

Ja... denn irgendwo in der Geschichte sagte Christus sogar: "Was habe ich mit dieser Frau zu tun"!

Und die Himmelfahrt?...

(Schweigen)

Wer ein bißchen tiefer sieht, versteht sehr wohl – das alles ist symbolisch zu verstehen.

Ich habe dir ja erzählt, daß ich am Tag der Wahl des Papstes des längeren mit ihm sprach und daß die Unterhaltung durch eine Reaktion von ihm abrupt unterbrochen wurde (ein richtiges mentales Gespräch zwischen uns: ich sprach, er antwortete, und ich hörte seine Antwort – ich weiß nicht, ob er sich dessen bewußt war... wahrscheinlich nicht, aber jedenfalls war es keineswegs eine Formation meines Geistes, weil ich unerwartete Antworten erhielt – überhaupt nicht das, was ich erwartete), die Unterhaltung wurde durch seine Reaktion abrupt unterbrochen, als ich ihm sagte, daß Gott überall und in allem sei, daß alles Er sei; eine große Kraft überkam mich, und ich sagte ihm: "Sogar wenn man in die Hölle hinabsteigt, ist Er dort."

Da hörte plötzlich alles auf.

Seitdem habe ich erfahren, daß eine ihrer Lehren genau das Gegenteil besagt: Das Schreckliche an der Hölle seien nicht so sehr die Schmerzen, sondern daß es dort keinen Gott gebe, daß sie der einzige Teil der Schöpfung sei, wo Gott nicht ist – in der Hölle gebe es keinen Gott. Ich behauptete, daß Er auch da ist.

Aus intellektueller Sicht gibt es natürlich für all diese Dinge eine Erklärung, und sie finden ihren Platz – alles von Menschen Erdachte enthält irgendwo eine Entstellung der Wahrheit. Die Schwierigkeit liegt aber nicht darin, sondern in der Tatsache, daß es für religiöse Menschen Dinge gibt, die sie glauben MÜSSEN, und daß es eine "Sünde" ist, dem Verstand Spielraum zu gewähren – dadurch verschließen sie sich natürlich und können keine weiteren Fortschritte machen. Die Materialisten hingegen müssen definitionsgemäß alles wissen und erklären – intellektuell erklären sie alles (Mutter lacht). Durch die Tatsache, daß sie alles erklären, kann man sie aber genau dorthin führen, wo man hingehen will.

Mit religiösen Menschen läßt sich nichts anfangen.

Nein, und darüber hinaus ist es auch nicht gut. Sie klammern sich an eine Religion, weil sie ihnen auf die eine oder andere Art geholfen hat. Sie bietet eine Stütze für etwas in ihnen, das eine Gewißheit braucht, ohne sie suchen zu müssen – sich auf etwas Festes stützen zu können, ohne für dessen Solidität verantwortlich zu sein; die Verantwortung übernimmt jemand anders. (Mutter lacht) Und dann räumen sie das Feld. Sie da herausziehen zu wollen, wäre ein Mangel an Mitgefühl – man sollte sie dort lassen, wo sie sind. Ich diskutiere niemals mit jemandem, der einen Glauben hat – er soll ihn behalten! Ich hüte mich, ihm irgend etwas zu sagen, das seinen Glauben erschüttern könnte, das wäre nicht gut – sie sind nicht imstande, einen anderen aufzubauen.

Bei einem Materialisten hingegen...: "Ich diskutiere nicht, ich akzeptiere Ihre Ansicht; dagegen können Sie nichts einwenden – ich habe meine Position bezogen, beziehen Sie die Ihrige. Wenn Sie mit dem zufrieden sind, was Sie wissen, dann bleiben Sie dabei. Wenn Ihnen das im Leben hilft, um so besser!"

"Sie haben aber kein Recht, mich zu tadeln oder zu kritisieren, weil ich meine Position auf Ihrer eigenen Grundlage bezogen habe. Selbst wenn all das, was ich mir vorstelle, bloße Einbildung ist, ziehe ich diese Einbildung der Ihrigen vor."

 

1 Im Okkulten.

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2 Später verbesserte Mutter diese Aussage: "Das stimmt nicht ganz, denn ich stehe mit den besten Indern in Kontakt, während die Materialisten unter ihnen es auf eine sehr finstere und völlig undifferenzierte Weise sind."

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