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Mutters

Agenda

fünften Band

22. Januar 1964

(Mutter sieht müde und erkältet aus. Zuerst zitiert sie aus dem Gedächtnis eine von ihr geschriebene Notiz:)

The true purpose of life: to live for the Divine or to live for the Truth, or at least to live for one's soul.

["Der wahre Sinn des Lebens: für das Göttliche oder für die Wahrheit zu leben, oder zumindest für seine Seele ..."]

Das ist das Minimum.

Und dann:

And the true sincerity: to live for the Divine without expecting any benefit from Him in return.

["Wirkliche Aufrichtigkeit: für das Göttliche zu leben, ohne dafür irgendeine Belohnung von Ihm zu erwarten."]

Ich sagte dies gestern oder vorgestern, weil ich sehr wütend auf die Ashram-Leute war... Denn wir gehen jetzt gerade durch eine finanziell sehr schwierige Zeit, und du weißt ja, die Leute... sie respektieren einen nur, solange man Geld hat; wenn man kein Geld mehr hat, respektieren sie einen nicht – und das erscheint ihnen so einleuchtend, so natürlich! Es ist nicht einmal so, daß sie sich unwohl fühlten, nein: Es ist völlig klar, daß man jemanden nur respektiert, wenn er Geld hat und einen im Griff hat.

Ich war gar nicht glücklich darüber, und so schrieb ich diese Notiz.

*
*   *

Darauf zeigt Mutter eine zweite handgeschriebene Notiz:

Gebete gehen von hier aus (von der Herzensmitte), einfach so, ganz plötzlich, ohne daß ich darauf gefaßt wäre – die ganze Zeit geht das so, dieses aber interessierte mich speziell. Es war wieder nach meinem Bad (!). Es passiert oft in diesem Augenblick...

"To be what You want me to be,
to do what You want me to do...

["Das sein, was Du willst, daß ich sei,
das tun, was Du willst, daß ich tue ...]

Das war am Anfang; dann kam die Empfindung: "Was ist denn dieses lächerliche "Ich"?" (wohlgemerkt, dies kommt weder vom Vital noch vom Mental, ganz und gar nicht, nein, es ist der Körper, die Zellen des Körpers, die sich plötzlich sagen: "Aber was ist denn dieses "Ich"!") Darauf kam die Erfahrung, und sie war sehr intensiv:

"To be You,
at every moment
the supreme Spontaneity."

["Du sein,
in jedem Augenblick
die höchste Spontaneität."]

(Schweigen)

Die Menschenwesen tun immer alles FÜR etwas, mit einem Ziel, aus einem Grund, einem Motiv, selbst das spirituelle Leben, sogar die spirituelle Bemühung geschieht FÜR den Fortschritt des Bewußtseins, FÜR das Erlangen der Wahrheit, für... es ist immer eine Vibration mit einem Gefolge – einem Anhang davor. Und diese Zellen haben bemerkt, daß die Macht sich verzehnfacht, wenn es einem gelingt, die Vibration ohne das Gefolge zu haben – "verzehnfacht" ist gar nichts! Manchmal ist der Unterschied phantastisch. Und als sie sich gerade sagten: "Das sein, was Du willst ..." war es eine Art, ihrem Bedürfnis Ausdruck zu geben, das sie dafür empfanden; aber sobald es einmal ausgedrückt war, sagten sie sich: "Was ist das für eine Plattheit! Was soll denn dieses "Ich", das sich da einmischt!" Dann, ganz plötzlich, kam die Wahre Vibration – die Wahre Vibration, die ohne Ursache und Wirkung ist, die in jedem Augenblick des Universums total und absolut ist. Und das drückte sich so aus: "Du sein, Herr, in jedem Augenblick die höchste Spontaneität."

Und es erschien ein außerordentliches, blendendweißes Licht – das nicht andauerte.

(Schweigen)

Somit besteht die Schlußfolgerung darin (nachher natürlich, nachdem das Ganze gesehen und aufmerksam beobachtet worden war), daß der Herr weder Ursache noch Wirkung aufweist; und alles, was ist, ist wie diese Pulsationen vor zwei Jahren (oder vor anderthalb Jahren, ich weiß nicht mehr, es war im April), die hervorbrechenden Pulsationen der Liebe, die die Welt erschufen und aufeinander folgten, aber weder Ursache noch Wirkung hatten: Die eine Pulsation war weder das Ergebnis der vorausgegangenen, noch war sie die Ursache der ihr folgenden – ganz und gar nicht –, jede war ein in sich geschlossenes Ganzes.

Jeder Augenblick des Höchsten ist ein Ganzes in sich.

Und "Augenblick", was ist denn das? Was heißt das in der Wahrheit des Höchsten? Ich weiß es nicht – für uns zeigt es sich so, weil sich alles so für uns zeigt. Jeder Wechsel zeigt sich für uns als Zeitempfindung – eine Zeitempfindung, eine gewisse Zeitempfindung, die ewig und unendlich sein mag, die aber doch die ganze Zeit über als Zeit empfunden wird. Für Ihn aber ist der Wechsel zeitlos. Was ist das? Welcher Sache entspricht es? Ich weiß es nicht.

Denn das Bewußtsein (von Mutter) steht außerhalb von Zeit und Raum, ganz und gar, und trotzdem gibt es diese...

(Schweigen)

*
*   *

(Mutter beginnt zu husten)

Ich bekam von jemandem ein "Geschenk": eine Erkältung – ein großzügiges Geschenk!

Vom wem bekamst du es?

(Lachend) Es geschah nicht absichtlich.

Es ist mir allerdings eine Lehre. Ich hätte sofort geheilt werden können (es war gestern): Es begann damit, daß es auf das wahre Bewußtsein und die wahre Haltung stieß (sogar im Körper), und während Stunden war es unter Kontrolle. Dann kamen Leute, die jeden Tag kommen, die einen am Morgen, die andern am Nachmittag (aber gestern war es am Nachmittag) mit haufenweise Arbeit – ganze Ladungen, die einfach in einem fort ausgekippt werden, ohne daß man wartet, bis ein Haufen abgetragen ist: man kippt und kippt! Dann, ganz plötzlich, begann meine Nase zu laufen, und damit war es aus – es gab eine Spannung. Diese Kraft, die da war, konnte dem nicht widerstehen. In der Nacht und heute morgen war die Erkältung wieder unter Kontrolle, und sie hätte weggehen können; dann kamen die üblichen Leute mit ihren üblichen Ladungen (jeder mit seiner Ladung, es sind deren vier); dann, mitten in der Arbeit, begann meine Nase wieder zu laufen. Es ist idiotisch, aber nun...

Es ist immer dasselbe (die erste Sichtweise war sehr richtig, ich meine, die Sichtweise der Zellen war sehr richtig): es ist nicht etwas, das von außen kommt – der Anstoß kommt von außen, die schlechte Vibration kommt von außen, und die Schwierigkeit besteht darin, daß man sie nicht durch die Wahre Vibration ersetzen oder vielmehr aufheben kann. Wie ich schon sagte: das "Verhältnis" genügt nicht, und so braucht es eben Zeit. Ich stelle mir vor, daß bei einem ausreichenden Anteil an Zellen, die in der Wahren Vibration verbleiben, die Heilung augenblicklich geschehen müßte, d.h. die Wirkung der schlechten Vibrationen würde automatisch aufgehoben. Aber ich hatte es erfaßt, und ich verbrachte fast eine Stunde, eine Dreiviertelstunde [in Konzentration], und das wenige, das berührt worden war (es war im Hals), wurde aufgehoben – es kam nicht wieder. Es wurde aufgehoben. Aber nach dieser Dreiviertelstunde war ich gezwungen, mich wieder an die Arbeit zu machen und Leute zu sehen, Dinge zu tun, mein Bad zu nehmen (allerdings tut mir das Bad immer gut), und es blieb so etwas wie eine Erinnerung... und dann, ab drei Uhr, Viertel vor drei, begann die Invasion: zuerst einer, dann noch einer und noch zwei und... Dann, auf einmal, weil die Aufmerksamkeit auf das gerichtet war, was ich zu tun hatte (eine Unmenge Antworten, die zu schreiben waren, "blessings" [Segenswünsche], die es zu verschicken galt, Probleme, mit denen man mich überhäuft, die zu lösen waren), weil die Aufmerksamkeit davon in Beschlag genommen wurde, fange ich natürlich auf einmal zu niesen an, etc. – so galt es nur noch zu... "to go through" [hindurchzugehen]).

Trotzdem braucht man für Handlungen dieser Art, für die Handlungen der Transformation, ich sage nicht Einsamkeit, weil das eine Dummheit ist – es gibt keine Einsamkeit – sondern Ruhe, d.h. eine vollkommene Kontrolle der Tätigkeiten: Es gilt, die Tätigkeiten auf einer Ebene zu halten, auf der sie die innere Arbeit nicht stören, darum geht es. Deshalb war ich übrigens gezwungen (scheinbar), nach oben zu gehen, weil es unten... infernalisch geworden war – infernalisch, man kann sich das gar nicht vorstellen! Und es ist immer das gleiche Prinzip: "Warum denn nicht ich?" Es sind 1300, verstehst du... ohne die Besucher zu zählen, die zu Hunderten kommen (an gewissen Tagen sind es mehr als zwei–, dreihundert zugleich), dann vernehmen sie, daß es "jemanden zu sehen gibt", und wenn ich unten war und einer der "Showleute" (lachend, verzeih mir) erschien, kam er gleich mit einer ganzen Truppe.

Hier oben ist es ein wenig besser, aber nun heißt es: "Warum denn nicht ich?" Mutter hat diese Kategorie Personen gesehen, folglich hat die ganze Kategorie das Recht, empfangen zu werden!... Wie für die "birthdays" [Geburtstage], das hängt vom Alter und der Beschäftigung ab: wenn ich Leute eines bestimmten Alters und einer bestimmten Beschäftigung an ihrem Geburtstag sehe, haben alle mit einem ähnlichen Alter und einer analogen Beschäftigung das RECHT zu kommen – sie haben das Recht –, und ich habe die PFLICHT, sie zu sehen. Und wenn ich sage, daß ich keine Zeit habe,... sind sie unzufrieden.

Es ist eine Komödie, weißt du! Und diese Komödie dauert seit 1929. Als aber Sri Aurobindo noch da war, mußte ich ihm nur etwas sagen, und er schrieb ein paar Zeilen, um den Leuten zu sagen, sie sollten sich ruhig verhalten (ich stieß in seiner Korrespondenz auf all das, ich wußte es nicht, wieviele Male schrieb er doch den Leuten!) Aber danach... danach rühmten sie sich ihrer "Treue", weil sie weiterhin im Ashram blieben, mir weiterhin eine Art Wertschätzung erwiesen. Und natürlich mußte ich ihnen unendlich dankbar sein – "Wir sind Mutter treu geblieben."

In jenem Augenblick hatte ich alles Geld (so wie ich es zur Zeit Sri Aurobindos hatte: er befaßte sich nie damit, er überließ mir alles, und so ging es weiter, wie es war), und das hält sie soweit ruhig. Aber wenn ich sage: "Ich habe kein Geld, ich kann nicht zahlen", ja, dann... Das ist eben das "spirituelle Leben"!

Jetzt, nach allem, was ich gesehen und "tested" 1 habe (so "kleine Prüfungen") gibt es sicher – oh, wenn ich ÄUSSERST großzügig, geduldig und (wie soll ich sagen?) barmherzig bin – ein gutes Drittel, das nur hier ist, weil man es hier bequem hat; man arbeitet, wenn man will, oder man arbeitet nicht, wenn man nicht will, man hat immer zu essen, man hat immer Unterkunft und Kleidung, und im Grunde genommen macht man ein wenig, was man will (man muß sich den Anschein geben zu gehorchen, das genügt). Und wenn eine Annehmlichkeit verweigert wird, beginnt man zu murren – von Yoga ist keine Rede! Der ist hunderttausend Meilen entfernt von ihrem Bewußtsein (man hat viele Worte im Mund, aber es ist nur Lippenbekenntnis). Manchmal hat man ein wenig Skrupel und gibt sich wenigstens den Anschein zu arbeiten. Und dann gibt es jene, die sehr alt geworden sind oder die hieher kommen, weil sie für das Leben draußen nichts mehr taugen... dann kann man sie nicht mehr fortschicken! (Es war ein Fehler, sie aufzunehmen – ich muß sagen, daß ich mit dieser Aufnahme wenig zu tun habe: Ich sage nein, und man tut so, als ob man ja verstanden hätte, in neunundneunzig von hundert Fällen, aber was soll's, so ist das Leben.) Jedenfalls kann ich sie nicht wegschicken. Aber ich werde ihnen ein asketisches Leben bereiten: man wird nicht mehr hier sein, um es bequem zu haben – weshalb ist man denn hier?

Nun, wir werden sehen. Wir haben mit Einschränkungen begonnen – oh, sie sind nicht sehr schlimm, aber immerhin...

 

1 "tested": erprobt, auf die Probe gestellt

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