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Mutters

Agenda

sechsten Band

7. Juli 1965

(Über Mutters letzte Erkältung. Anfangs, nachdem sie sich gerade die englische Übersetzung des letzten "Aphorismus" angehört hat, spricht Mutter Englisch:)

Ich weiß nicht, wie es anderen ergeht, aber während einer ziemlich langen Zeit in meinem Leben vergaßen die Zellen sofort alles – ihre ganze Sadhana, alles –, sobald sich eine Krankheit entwickelte (egal welche Krankheit), und erst wenn man aus der Krankheit herauskommt, erinnern sie sich wieder allmählich. Deshalb war mein Bestreben (ich weiß noch, es war vor langer Zeit, vor vielen Jahren), daß die Zellen sich auch erinnern sollten, während sie krank waren – was absurd ist, denn es wäre besser gewesen, danach zu streben, gar nicht erst krank zu werden! Aber eine Zeitlang war es jedenfalls so. Als sich dann die Zellen zum ersten Mal erinnerten, freute ich mich so... Aber jetzt ist es genau umgekehrt: Sobald die Störung kommt, fangen die Zellen an... Zuerst waren sie etwas ängstlich: "Oh, wir sind so unfähig, daß wir immer noch Krankheiten auflesen" – das ging eine Weile so; später hatten sie den Eindruck: "Oh, Du willst uns eine Lektion erteilen, wir haben etwas daraus zu lernen!" – das war schon viel besser: eine Art Begeisterung. Und jetzt herrscht eine intensive Freude, eine Art Kraft, eine Kraft der Aspiration und der Verwirklichung, die mit dem Gefühl einhergeht: "Wir erringen einen Sieg, wir erringen einen neuen Sieg ..."

Das ist der Zustand dieser letzten Tage.

Ich weiß, wie es zu dieser Erkältung kam, sie entwickelte sich nur aus Nachlässigkeit – nicht genau das... man ist unvorsichtig.

Zum Beispiel war der Arzt erkältet, was ich sofort erkannte. Sofort tat ich das Nötige und wurde nicht angesteckt. Aber jemand anderer hatte eine Erkältung, ich paßte nicht auf, und beim Berühren seiner Sachen las ich sie auf – ich merkte dies erst, als sie in mich eindrang: da war es bereits zu spät. Ich sagte "gut", und so nahm sie ihren Lauf. Ich glaube, sie war deshalb besonders heftig, weil die Zellen fühlten: "Ah! (zuerst Freude) Ah, jetzt können wir einen Fortschritt machen!" Dann stellte sich mit der Krankheit eine Art Kraft ein, eine starke Kraft der Transformation, und so entwickelte sich die Krankheit ungehindert. In einem gewissen Augenblick aber wäre ein bestimmtes Maß überschritten worden, was sich für die Arbeit sehr störend ausgewirkt hätte. Daher sagte ich: "Nein, nein! Paß auf, ich kann meine Arbeit nicht einfach unterbrechen." Als ob man sagte: "Genug des Unfugs, ich will nicht mehr krank sein". Eine Kraft kam, so etwas... wie ein Boxer.

Das war sehr interessant.

Das Spiel des Willens mit den Zellen, die Art, wie die Zellen dem Willen gehorchen, ist sehr interessant. Denn selbstverständlich handelt es sich nicht um einen individuellen Willen (es ist kein persönlicher Wille, nichts, was den alten Geschichten von einst gleichen würde), sondern... es ist der Wille zur Harmonie in der Welt: der Herr unter seinem Aspekt der Harmonie. Der Herr existiert sowohl unter seinem Aspekt der Transformation als auch unter seinem Aspekt der Harmonie. Und unter seinem Aspekt der Harmonie ist der Herr bestrebt zu harmonisieren, und so macht sich dieser Wille zur Harmonie bemerkbar und sagt: "Nicht alles dem Willen zur Transformation unterstellen! Nicht zu schnell vorangehen, sonst zerstört man alles! Es bedarf auch des Willens zur Harmonie, damit sich die Dinge gemäß einer rhythmischen und harmonischen Bewegung entwickeln", und so kommt alles wieder in seine Ordnung.

Offen gestanden (das Ergebnis einer sehr intensiven Studie der letzten Tage), weiß ich nicht, was mit "Krankheit" gemeint ist. Man spricht von Viren, von Mikroben, von... aber wir sind doch völlig aus diesen Dingen aufgebaut! Einzig ihr Zusammenspiel, ihre Art der Anpassung und Harmonisierung macht den ganzen Unterschied aus. Eine "Mikrobe" oder ein "Virus" als solche gibt es nicht – man bezeichnet die Dinge, die man nicht mag, mit häßlichen Namen, aber es ist doch alles dasselbe!... Für die Zellen stellt sich das Problem jedenfalls nicht so, denn entweder folgen sie dem Willen zur Transformation (der manchmal ein wenig brutal ist – heftig für etwas so Kleines wie ein Körper), oder sie folgen dem Willen zur Harmonie, der immer angenehm und immer da ist, auch wenn sich die Dinge äußerlich auflösen.

Das ist eine treffendere Erklärung, die den Sachverhalt besser erläutert als alle medizinischen Begriffe von Krankheit.

Ich glaube nicht eigentlich an Krankheiten.

Es gibt keine zwei identischen Krankheitsfälle.

Ich bin sicher... ich bin kein Wissenschaftler, aber ich bin mir sicher, daß es keine zwei identischen Mikroben gibt.

*
*   *

Daraufhin geht Mutter zu Savitri über: Der Dialog mit dem Tod.

Er macht weiter? Was hat er denn Savitri noch zu bieten?

"Daughters", "sons"! [Töchter und Söhne].

Oh, er ist gemein (lachend), voll gemeiner Vulgarität. (Mutter liest:)

Daughters of thy own shape in heart and mind

Fair hero sons and sweetness undisturbed...

(X.III.637)1

Welch ein Spaß! Oh, ist dieses Wesen von einer Vulgarität! Nein, gibt es wirklich Leute, die sich davon verlocken lassen?

Ich glaube, Sri Aurobindo stellte den Tod absichtlich sehr vulgär dar, um alle Illusionisten und Nirvana-Anhänger zu entmutigen.

Schon als ich ganz klein war, mit fünf, erschien mir dies common place [vulgär]. Hätte man mir stattdessen gesagt: "Möge es keine Grausamkeit mehr auf der Welt geben", oh ja, dann hätte sich das in meinen Augen gelohnt! "Möge es keine Ungerechtigkeit, kein Leid mehr geben durch die Bosheit der Menschen", ja, das ist etwas, für das man sich einsetzen kann. Aber Töchter und Söhne in die Welt setzen... Ich habe mich physisch nie sehr mütterlich gefühlt. Schließlich gibt es Millionen und Abermillionen von Menschen, die das tun, warum es also wiederholen? – Nein wirklich, dafür wird man nicht geboren.

 

1 Töchter in deinem Ebenbild an Herzen und Mental und lichte Heldensöhne und die ungestörte Süße... (s.a. dt. Ausgabe, S. 651)

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