Mutters
Agenda
sechsten Band
(Über eine "idiotische" Tuberkulose:)
Wie geht es dir?
Nicht besonders.
Was ist nicht in Ordnung?
Hier, da (Gesten).
Oh, mein Kind, alle Empfindungen sind lügnerisch! Diese Erfahrung mache ich zigmal am Tag in allen Einzelheiten. Man fühlt, daß man dies oder das bräuchte, es tut einem hier weh, da weh... aber das ist alles falsch. Die Wahrheit ist, daß man den Zustand der Harmonie verlassen hat – eine Harmonie, die immer herrscht, aber man selber hat sie verlassen, und so braucht man dies, braucht man das, fühlt hier einen Schmerz, dort einen Schmerz. Etwas fehlt, und was fehlt, ist DAS.
Man könnte sagen, daß es drei Zustände gibt: den Zustand der Harmonie – das ist der, nach dem man ständig strebt, manchmal erhascht man ihn für ein paar Sekunden, und alles kommt wie durch ein Wunder wieder in seine Ordnung; dann den gewöhnlichen Zustand der Unordnung, in dem man immer bedrohlich nahe am Rand von etwas Unangenehmem schwebt; und wenn die Unordnung deutlicher sichtbar wird, herrscht schließlich das, was man "Krankheit" nennt, aber das ist völlig unwirklich. Man sieht den Körper als gesund und im Gleichgewicht an und glaubt, "etwas dringe von außen ein, das einen krank werden läßt", aber so ist es nicht! Man befindet sich IMMER im Zustand der Unausgewogenheit, der Körper ist immer (mehr oder weniger spürbar) unausgeglichen, aber etwas anderes, oben, ein Wille und ein Bewußtsein, hält ihn zusammen und erlaubt ihm zu funktionieren. Wenn man diesen Willen ins Spiel bringen kann – diesen Willen zur Harmonie – und fähig ist, die innere Flamme zu entfachen, den Kontakt mit dieser Flamme der Aspiration herzustellen, dann kommt man aus der sogenannten "Krankheit" heraus, die unwirklich ist, eine unwirkliche und irreführende Empfindung, eine bloße Erscheinungsform der allgemeinen Unordnung. So tritt man in die Harmonie ein, und alles geht gut. Erst letzte Nacht hatte ich diese Erfahrung, deshalb kann ich mit Sicherheit sagen: alle Empfindungen sind irreführend.
Wenn sich aber bestimmte äußere Zeichen bemerkbar machen, wie zum Beispiel Bluthusten?
Nun ja, das ist eine Störung. Aber die Störung ist überall! Falls dich das trösten kann: auch mein Körper ist gestört... Es ist allerdings keine eindeutige Störung, sondern ein fast vollständiger Mangel an Harmonie – dies ist der beständige Zustand des Lebens; es ist die Folge der Bemühung, des Widerstands, des Erduldens und auch das Resultat dieser Spannung durch die Suche nach etwas, das man zu erreichen hofft, das sich einem aber ständig entzieht – dieses Etwas, das sich einem entzieht, ist DAS, diese Harmonie (eine Harmonie, die in ihrer Vollkommenheit offensichtlich das Ananda ist). Das ist es, was die Müdigkeit, die Spannung usw. verursacht. Die ganze letzte Nacht verbrachte ich damit, dies zu beobachten und fragte mich: "Wie ist das nur möglich?... Ständig lebt man in diesem angespannten Zustand, auf der Suche nach etwas, das sich einem entzieht." Die Sinne, der gesamte Bereich der Sinne scheint sich in einem konstanten Zustand der Lüge zu befinden, und die Sinne bedienen sich dieses Zustands der Spannung, um einem weiszumachen, dies sei nicht in Ordnung, jenes sei nicht in Ordnung... Und wenn unglücklicherweise noch so etwas wie eine mentale Mitwirkung hinzukommt (von diesem berühmten physischen Mental), dann nimmt alles eine schlimme Wendung, und es entwickelt sich etwas wirklich Unangenehmes.
Aber dies ist nicht unabwendbar. Es ist nicht unabwendbar, und es ist nicht wirklich – was ich "wirklich" nenne, ist etwas, das direkt vom höchsten Willen kommt. Das ist wahr; alles übrige ist nicht wahr, sondern lediglich das Produkt der gesamten Verwirrung (Zickzackgeste nach unten), des gesamten Wirrwarrs des menschlichen Bewußtseins – die Krankheit ist nicht wahr. Ich glaube nicht, daß unter hundert (ach, vielleicht unter tausend!) Krankheiten auch nur eine existiert, die wahr ist. Manche sind der Ausdruck eines Willens, um etwas, das nicht in Ordnung ist, gehörig durchzuschütteln, zu vernichten, damit aus diesem Chaos etwas Wahreres entstehen kann – aber das ist ein Ausnahmezustand.
Ich verfüge über ein sehr weites Erfahrungsfeld. Ich erhalte Fluten von Briefen von allüberall, jeder schreibt wegen seiner kleinen Störung, seiner kleinen Krankheit, seiner kleinen Schwierigkeit, natürlich mit der Bitte, all das wieder in Ordnung zu bringen. So komme ich mit der Schwingung in Kontakt (all die Leute hier: das ist eine ganze Menge). Nun, ich kann wirklich sagen, daß nicht ein Fall von hundert Ausdruck des direkten Willens ist – stets geht es so, so, so... (selbe Zickzackgeste), und das verheddert sich im menschlichen Bewußtsein wie ein dermaßen verzwirbelter Faden, daß man ihn gar nicht mehr entwirren kann. Ja, dieser Zustand ist daran schuld, daß wir uns fast permanent am Rande eines Unwohlseins, einer Krankheit, einer Störung befinden. Das schwarzseherische Mitwirken des Mentals (denn das Charakteristische an diesem Mental ist seine Schwarzseherei), die Komplizenschaft des defätistischen Mentals und der trügerischen Sinne macht unser Leben zu dem, was es ist, und das ist nicht gerade amüsant.
Letzte Nacht sah ich das zwei Stunden lang mit klaren Beweisen und Beispielen. Ich schaute mir das an und war geradezu entsetzt zu sehen, wie sehr die Sinne alles entstellen – und sie entstellen stets... ich weiß nicht, vielleicht gibt es Leute, die zum Guten hin entstellen (lachend), aber zu denen gehöre ich nicht. Das müssen fabelhafte Optimisten sein. Die Sinne entstellen alle Schwingungen und machen daraus ständig unangenehme oder jedenfalls keine erfreulichen Dinge, oder sogar "Gefahrensignale" und "Anzeichen von Katastrophen". Es war ziemlich abstoßend. Aber ich ließ dieser ganzen Bewegung freien Lauf, um sie genau zu beobachten, und alle zellularen und sonstigen Strukturen begannen zu ächzen und stöhnen... als wollten sie sagen: "Aber dieses Leben ist un-er-träg-lich, unerträglich." Ich hörte mir das eine Weile an, um zu sehen: ein allgemeines Jammern und Stöhnen... Schließlich: (Geste der Herabkunft des Willens) und es war in einer Sekunde vorbei!... Das Ganze war nichts als eine Komödie, die die Sinne sich selbst vorgaukeln. Wir sind wirklich lächerliche Wesen (Mutter lacht). Das war meine Beobachtung der letzten Nacht.
Natürlich sind die Leute nicht offen und konstant so, denn zum Teil ist ja ein anderes Bewußtsein da, das die Dinge kontrolliert. Wenn man sich aber gehen ließe... Ich stellte jedenfalls den Versuch an, diesem Bereich des zellularen Bewußtseins seinen freien Lauf zu lassen, und das hatte ein Klagen und Stöhnen zur Folge. Aber dahinter, in der Tiefe, auf dem tiefsten Grund der Zellen, regte sich diese Art Glauben, das absolute Verlangen nach dem Ananda; und sie klagten: "Man hat uns irregeführt, wir sind nur für DAS da, warum wird es uns denn nicht gegeben?" (Ich drücke dies in Worten aus, es waren aber keine Worte, sondern Empfindungen.)
Natürlich nimmt man dies nicht wahr, denn im Strom des Lebens ist es nicht das Vorherrschende – zum Glück! Man betrachtet es ein wenig von oben herab und möchte es nicht sehen – aber ES IST DA. Und es ist schrecklich mutlos.
Du kannst es nicht wissen... Selbst ich, hätte man mir das vor einiger Zeit gesagt, hätte dies abgestritten!
Ja, wenn sich aber gewisse Störungen Tag für Tag wiederholen, sagt man sich selbst, daß etwas nicht in Ordnung ist.
Aber da ist nicht "etwas", das nicht in Ordnung wäre! Nichts ist in Ordnung, alles läuft schief.
Kennst du das Theaterstück von Jules Romains, in dem der Arzt erklärt, der gesunde Mensch sei lediglich ein Mensch, der nicht weiß, daß er krank ist? Genau so kommt es einem vor. Ständig herrscht Unordnung, und gerade weil man in einem anderen Bewußtsein lebt, sieht man sie nicht, sobald man aber beobachtet, kann man sicher sein, auf sie zu stoßen. Wenn ich mit dieser Sichtweise beobachte, existiert nirgendwo etwas, das normal wäre, harmonisch verliefe – nichts. Alles ist so (gleiche Zickzackgeste), ein Chaos, das einfach nur deshalb weiter funktioniert, weil es nicht sich selbst überlassen bleibt, weil ein höherer Wille wirkt, der sich all dessen so gut es eben geht bedient. Aber es ist mehr schlecht als recht.
Ich habe mir alle Fälle angeschaut (denn dies interessiert mich sehr), ich betrachtete deinen Fall, Sujatas Fall und alle Fälle, aber da ist keiner, von dem man sagen könnte, es sei eine wirkliche Krankheit. Unter einer Krankheit stellt man sich doch folgendes vor: Ein Körper (ein physisches Wesen) lebt nach gewissen Gesetzen, und plötzlich entsteht eine Störung, etwas dringt ein, breitet sich aus und stört; aber das ist es nicht! Das ist es nicht: etwas ist nicht in Ordnung – der Körper ist nicht in Ordnung –, aber das Bewußtsein ist der springende Punkt: Dort ist etwas, das mit dieser Störung in Kontakt kommt, und etwas, das sich nicht darum kümmert, das einfach weitermacht. Die gleiche Studie stellte ich mit sogenannt gesunden Leuten an: es ist genau dasselbe. Also lautet die Schlußfolgerung: Man muß sich gänzlich einem höheren Willen anvertrauen, das heißt, man muß diesem Willen erlauben, dieses ganze Durcheinander zu beherrschen. Auch wenn es nicht wieder völlig in Ordnung kommt, wird die Störung doch zumindest in Grenzen gehalten, und der Körper kann weiterhin dem Willen, der sich manifestieren möchte, als Instrument dienen.
Ich sehe das sehr deutlich, nicht nur für diesen Körper hier, sondern auch für alle anderen; für diesen Körper hier trifft es jedoch bis ins kleinste Detail zu, weil die Beobachtung konstanter ist: er hatte mindestens schon hundert Gründe zu sterben, und wenn er nicht tot ist, so liegt das nicht an ihm. Es ist nicht seine Schuld, weil da etwas war (das zum Glück kein persönlicher Wille ist), das sagte: "Nein, geh voran, mach weiter, befaß dich nicht mit dir selbst!" Denn sonst bricht alles auseinander.
Das heißt aber nicht, daß du es unbedingt so halten mußt wie ich; wenn du die Sache wie gewohnt angehen und sie als eine "Krankheit" sehen willst, dann geh zum Arzt und nimm Medikamente, ich bin nicht dagegen, aber es ist lediglich eine Art, die Dinge zu sehen.
Und jetzt sag mir, was deine grievances [Beschwerden] sind. Ja, was siehst du, das nicht geht?
(Geste an die Brust, hier und da)
Ich kann dir sagen, die durch die Ärzte verursachten mentalen Entstellungen sind schrecklich: sie nageln sich im Gehirn fest und kehren nach zehn Jahren wieder zurück. Ich weiß das aus persönlicher Erfahrung, ständig kehrt es zurück: "Der Arzt sagte, es sei dies, der Arzt sagte, es sei das, der Arzt sagte ..." Nicht mit Worten, aber es kommt.
Das spielt aber keine Rolle, man kann die Störung auch auf diese Weise angehen, und dann werden wir sehen.
Aber ich glaube nicht an ihre Mittel. Ihre Arzneien haben mir nicht geholfen.
Sie haben dir nicht geholfen? Mir auch nicht! Aber das macht nichts, ich nehme sie trotzdem.
Ich unterziehe mich einer Behandlung.
Ach, du läßt dich behandeln?
Ja, in Form von Tabletten.
Oh, das nützt nichts.
Ich habe auch nicht den Eindruck. Nun, ich weiß nicht.
Du weißt es nicht. Wie der arme Pavitra, der alle möglichen Behandlungen versuchte und dann...
Also sag mir, wo fehlt's? Hast du Atembeschwerden?
Ja, ein wenig. Und mir ist immer heiß, heiß.
Ja, (lachend) es ist heiß!
Das auch! Besonders abends fühlt sich der Körper ein wenig wie ein Heizkessel an. Auch spucke ich wieder Blut.
Hast du das noch nicht versucht: Man muß den Kontakt zu den Zellen des Körpers herstellen und ihnen sagen, es sei nicht notwendig, Blut herauszuspucken – (lachend) das gehört nicht zum Spiel! Du kannst dich ein wenig über sie lustig machen: "Ihr braucht das nicht zu tun!" Ich versichere dir, es ist dermaßen grotesk, daß man nur noch darüber lachen kann.
Ja, man darf sich nicht darum kümmern.
Nein, das ist es nicht! Wenn du dich nicht darum kümmerst, führen sie ihren Tanz fort und glauben im Gegenteil, du seiest einverstanden mit ihrer Verhaltensweise. Man muß den Willen herbeiziehen, man muß sich des Willens bemächtigen – diesen Willen setze ich in dich, mein Kind! Ich verlange von dir nicht, dich einer illusorischen Sache zu bedienen: ich setze ihn in dich, einen un-ge-heu-ren Willen; und er ist ruhig, etwas, das keine Gewalt anwendet, so: (Geste einer unerschütterlichen massiven Herabkunft).
Jedenfalls kann ich dir sagen, daß das genauso wirkungsvoll ist wie Medikamente. Auch hat es keine der nachteiligen Nebenwirkungen der Medikamente, die einen von einer Sache heilen und einem eine andere verpassen.
Seit wann nimmst du Medikamente?
Seit Vellore. Die Behandlung dauert zwei Jahre.
Sagten sie zwei Jahre? Dann mußt du es zwei Jahre lang durchziehen. Man muß tun, was sie sagen. Oh, sie üben eine hypnotische Macht über das materielle Bewußtsein aus. Das ist ein wenig... beängstigend.
Ich könnte dir alle möglichen Geschichten erzählen, doch die Geschichten der Ärzte sind nicht gerade amüsant; es handelt sich immer um lächerliche Einzelheiten. Jedenfalls kommt es immer wieder zurück: Man weist ihre Suggestionen ab, kümmert sich nicht weiter darum, glaubt, es sei endgültig vorbei, und dann verschwindet es ins Unterbewußtsein; aber eines schönen Tages bringt ein winziger Anlaß es plötzlich wieder zum Vorschein, ungeheuerlich: "Der Arzt sagte... ein gewisser Arzt sagte – der Arzt mit einem großen A oder "die medizinische Wissenschaft" sagte ...", und so geraten die Zellen in Panik – eine schreckliche hypnotische Macht.
Nein, das ist sicher ein interessantes Thema... (lachend) Ich erwecke den Anschein, als nähme ich dein Unglück nicht ernst! Aber ich versichere dir, dies ist ein sehr interessantes Thema. Für mich gehört es gänzlich der Welt der Unordnung an, es enthält keine grundlegende Wahrheit – gar keine. Deshalb muß es weichen, sobald man die Kraft der Wahrheit wirken läßt. Ich behaupte nicht, es weiche bereitwillig, ich behaupte nicht, es verschwinde wie durch ein Wunder, nein, aber es MUSS weichen.
Oh, ich könnte stundenlang darüber sprechen!
Du solltest dich setzen. [Mutter stand die ganze Zeit]
Nein. Es liegt mir nichts daran, mich zu setzen!
(Schweigen)
Worin besteht diese Behandlung?
Die normale Behandlung für solche Fälle.
Ja, ja, klassisch...
Ich kann dir sagen (falls das deinem physischen Mental hilft), daß mich in Japan eine Art Masern befiel (aus ziemlich tiefen Gründen), woraufhin der japanische Arzt (der übrigens in Deutschland studiert hatte, also ein Doktor der "Schulmedizin") mir sehr ernsthaft nahelegte, ich müsse aufpassen, ich befände mich im Anfangsstadium dieser seltsamen Krankheit und dürfe mich vor allem nie in ein kaltes Klima begeben und auch dies nicht und das nicht... Ich magerte ab usw. Das war in Japan. Dann kam ich hierher und erzählte das Sri Aurobindo, der mich einfach anschaute und lächelte: da war es vorbei, wir sprachen nicht mehr darüber. Wir sprachen nicht mehr darüber, und so existierte es auch nicht mehr! (Lachend) Viele Jahre später, als ich Doktor Sanyal kennenlernte, fragte ich ihn. – "Nichts, alles ist in Ordnung; da ist absolut nichts, nicht die kleinste Spur ist zurückgeblieben." Ich hatte nichts dagegen unternommen, keine Medikamente geschluckt, keine Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Ich hatte es nur Sri Aurobindo gesagt, der mich einfach anschaute und lächelte.
Ja, ich bin überzeugt, daß es so ist. Allerdings glaubt das physische Mental es nicht. Es glaubt, daß dies in höheren Regionen sehr wohl der Fall sein mag, daß die Dinge auf der materiellen Ebene aber einem materiellen Gesetz folgen, daß sie materiell und mechanisch sind, also einen Mechanismus darstellen, und wenn dieser Mechanismus... usw. (nicht mit diesen Worten, aber das ist die Idee). Deshalb ist man ständig gezwungen, es zu bearbeiten, ständig muß man ihm sagen: "Oh, hör doch auf mit all deinen Schwierigkeiten, sei still!"
Allerdings bedarf es der Flamme, der inneren Flamme, der Flamme der Aspiration, der Flamme des Glaubens, ja, und des gewissen Etwas, das will, daß es aufhört. Verstehst du, wie dem auch sei, es ist jedenfalls nicht nötig, daß ich die Angelegenheit meinem Denken präsentiere, daß mein Kopf sie akzeptiert, denn das ist ein sehr gefährliches Spiel: sobald man nach Gleichmut strebt, sagt man sich: "Nun gut, angenommen, dies oder jenes würde passieren, was wäre da meine Reaktion?" Dieses Spiel treibt man solange, bis man sich schließlich sagt: "Mir ist es egal." Das ist ein sehr gefährliches Spiel. Es ist immer noch eine Art, das Ziel zu umkreisen, anstatt in es einzudringen.
Es gibt nur eines, und zwar eine Art Flamme – eine Art Flamme, die diese ganze Lüge verbrennt.
Ich selber kann mich nicht rühmen. Ich predige dies meinem Körper genausogut wie den andern. Ich selber müßte aufrecht, stark, fest sein... Warum bin ich so gekrümmt? – Ich weiß warum, und das ist kein Kompliment. Ich weiß es, denn der Körper ist immer noch sämtlichen Suggestionen der Welt unterworfen, dem ganzen medizinischen Denken und dem, was sich daraus ergibt, allen Suggestionen des Lebens, den Gewohnheiten und all den Leuten hier... Da ist wirklich kein Grund, sich zu rühmen. Wenigstens weiß ich, daß es anders sein müßte (der Vorteil ist, daß ich es weiß). Ich weiß es, und die Zellen wissen es auch, und wie ich dir schon sagte: gestern abend weinten sie hier auf meinem Bett; sie stöhnten und ächzten: "Wir sind nicht für dieses Leben der Finsternis und Unordnung geschaffen, sondern für das Licht, für die Kraft und die Liebe." Und die Antwort: "Oh, dann nimm es dir doch!" Und sie stöhnten: "Warum zwingt man uns, so zu sein?..." Anstatt ihnen freies Spiel zu lassen, war plötzlich die volle Gegenwart zu spüren – und weg war es in Sekundenschnelle. Nur ist die kollektive Suggestion, die kollektive Atmosphäre dermaßen... man kann sagen, verdorben, daß sie ständig einwirkt.
Aber du (Mutter wendet sich an Sujata), du gehörst zu jenen, die, wenn ich nachts komme, sagen können, daß ich groß und stark bin. Nachts arbeite ich, ich bin groß, ich bin stark. Aber das Stöhnen hört nicht auf. Das ist blödsinnig. Nicht nur blödsinnig, sondern es herrscht immer noch diese Art self-pity, Selbstmitleid (Mutter streicht sich über die Wange), was das Abstoßendste von allem ist: "Oh, mein armes Kind, wie müde du bist! Oh, mein armes Kind, wie sehr die Leute dich ermüden, wie hart, wie schwierig doch das Leben ist!..." Da wird gestöhnt und geächzt wie ein Schwachkopf. Wenn es nur nach mir ginge, würde ich ihnen eine tüchtige Tracht Prügel verpassen. Man bittet mich aber, es nicht zu tun, so tue ich es nicht. Doch ich habe wirklich das Gefühl, daß wir angesichts dieser wunderbaren Gnade – dieser herrlichen göttlichen Liebe und dieser allmächtigen Kraft – zutiefst lächerlich sind, voilà.
(Schweigen)
Es gibt auch boshafte Geister. Boshafte Geister, die alle möglichen Dinge suggerieren. Da ist solch eine Zone hier ganz nahe dem Physischen, ganz nahe – ein Bereich voller Larven, mein Kind! Alle möglichen Katastrophen, alle Bosheiten, alle Gelüste werden hier suggeriert. Ekelhaft... Das alles wimmelt, als stecke man seine Nase in einen Schlamm voller Würmer – sehr unangenehm.
Ja, ich werde versuchen, einen Kokon zu bilden. Vor dem Einschlafen, wenn du im Bett liegst, mußt du das weiße Licht herbeirufen, mein weißes Licht, und ich meinerseits werde darauf achtgeben. So eingehüllt als Kokon, als guter kleiner, ganz weißer Kokon, kann man ausgezeichnet schlafen.
Die Nächte sind fürchterlich.
Ja. Deshalb rate ich dir, mein Licht zu rufen. Ja, es ist fürchterlich. Hast du Albträume?
Nicht einmal Albträume: es ist ekelhaft. Dreiviertel der Dinge, an die ich mich erinnere, sind irgendwelche Kloaken, widerliche Orte. Es ist... schrecklich.
Ja, das ist es. Wenn du wüßtest, was ich alles zu sehen bekomme!...
Vor zwei oder drei Nächten hatte ich einen symbolischen Traum. Du weißt, daß man dein altes Moskitonetz in meinem Zimmer anbrachte?
Ja.
Nun, da war ein kleines Wesen, das ein Loch hineinriß. Ein ziemlich vertrautes Wesen, denn ich schnappte es wie ein Kind und sagte ihm: "Aber wenn du da ein Loch machst, kommen alle Mücken herein." Da merkte ich, daß es ein großer Riß war.
Ach!
Und ich dachte: "Alle Feinde werden hereinkommen" oder "alle Mücken werden hereinkommen." Ein großer Riß.
Hast du es geflickt?
Nein, es weckte mich auf, weil es mich so sehr ärgerte.
(Mutter verharrt in Konzentration, dann fragt sie:) Dein Bruder, der Arzt, hat er dir denn nichts gesagt? Gab er dir keinen Rat?
Doch, Anweisungen über die Anzahl der einzunehmenden Tabletten. Das ist alles.
Glaubt er an Tabletten?
Er sagt: "Wenn man sich schon einer Behandlung unterzieht, sollte sie optimal sein."
Ach, ja! Damit bin ich völlig einverstanden, man muß sich ihr peinlich genau unterziehen, denn sie stellt ja eine Formation dar. Wenigstens neunzig Prozent der Ärzte sind guten Willens, sie wollen einen heilen (einigen ist es gleichgültig, aber nicht vielen – 90% wollen einen heilen), deshalb muß man ihrer Formation die volle Macht lassen, ihr nicht widersprechen, denn sonst hat die Behandlung keine Wirkung, und alles ist umsonst.
(die Uhr schlägt)
Rede ich schon eine Stunde lang? Wie schändlich!
Warte, ich habe eine Blume für dich, sie ist wunderschön.
"Der Wille zu siegen", mein Kind! Kein Wille hier oder da oder dort (Geste auf verschiedene Stellen des Körpers), nein, nicht der persönliche Sieg über die Krankheit: der Sieg über die Welt. Dafür sind wir im Grunde hier. Ich weiß nicht, ob es diesmal gelingen wird, aber jedenfalls ist es das, was von uns erwartet wird. Dafür sind wir hier: um zu kämpfen. Also müssen wir es ausfechten, und da es sich (wie soll ich sagen?) auf die intimste Weise abspielt, ist der Körper derjenige, der betroffen ist.
(Schweigen)
Ich glaube, das genügt für heute!
Ernährst du dich gut?
Ja, ja!
Wirklich gut, oder tust du nur so?
Ich esse ordentlich.
Ist das, was du zu essen bekommst, gut? Ich meine: ist es nahrhaft?
Oh, ja! Es ist sehr nahrhaft.
Assimilierst du die Nahrung trotz deiner Verdauungsstörungen?
Ich glaube schon.
Nun, das genügt. Verdauungsstörungen, mein Kind, hindern einen nicht, 86 oder 87 Jahre zu leben. Das ist überhaupt kein Hindernis. Seit der Geburt von André ist das bei mir so; das macht... ich war gerade zwanzig Jahre alt, es liegt also siebenundsechzig Jahre zurück. Ich gebe dir noch (lachend) siebenundsechzig Jahre zu leben!
Weißt du, ich habe schon immer gesagt: Wenn Feinde einem Angst machen wollen oder einen betrüben oder beunruhigen wollen, kann man ihnen nur ins Gesicht lachen, einfach so. Sich ärgern? Dann freuen sie sich und sagen: "Er ist wütend" – Nein, nein. Umsichschlagen? Sie entwischen einem, sie sind schlüpfrig wie Pudding, man kriegt sie nicht zu fassen. Lacht man ihnen aber ins Gesicht, dann ärgern sie sich sehr. Das einzig Wirksame ist, sich über sie lustig zu machen. Ihre Geschichten mögen kleine Kinder erschrecken, aber nicht uns.
Wir leben in der Ewigkeit.
Ich sage dir (und das ist der normale, natürliche Bewußtseinszustand), es dauerte kaum eine Minute letzte Nacht: in nur einer Sekunde, brrf, war es vorbei! Dann tauchte ich in eine Art ruhige Freude ein, einfach so, ein Zustand, der drei Stunden ununterbrochen anhielt. Danach wurde die Arbeit wieder aufgenommen.
Aber vor dem Einschlafen machst du es so: Du stellst dir ein weißes Licht vor (stell es dir vor, wenn du es nicht siehst). Kein kristallklares, durchsichtiges Licht, sondern ein absolut weißes, strahlendhelles Licht, ein weißes Licht, das solide wirkt. So stellst du es dir vor (und es ist auch so, aber stell es dir vor): ein weißes Licht. Es ist das Licht der Schöpfung – wie heißt sie?... Maheshwari? (Lachend) Die höchste Dame da oben.
Ja, Maheshwari.
Das Licht von Maheshwari. Wie es scheint, hatte ich es immer um mich, denn es war das erste, was mir Madame Théon sagte, als sie mich sah; sie sprach zwar nicht von "Maheshwari", aber sie sagte mir: "Sie haben das weiße Licht", das automatisch jeden bösen Willen auflöst; und das konnte ich tatsächlich erfahren: ich sah Wesen zu Staub zerfallen. Das also nimmst du, du stellst es dir vor und bildest vor dem Einschlafen einen Kokon um dich herum – weißt du, so wie sich die Raupen ihren Kokon formen. Ich werde ihn hier bilden, aber deine "Einbildungskraft" hilft dabei, daß er sich dir besser anpaßt, angleicht. Du bildest einen Kokon, und wenn du gut darin eingewickelt bist, so daß keine Feinde mehr eindringen können, dann läßt du dich in den Schlaf sinken. So kann nichts mehr eindringen, was von außen oder von einem schädlichen bösen Willen kommt. Das ist gewiß. Natürlich bleibt noch das, was man in seinem Unterbewußtsein mit sich trägt... dies muß man nach und nach mit seinem eigenen Willen aus dem Weg räumen.
Aber dieses Licht, mein Kind, ist allmächtig! (sich an Sujata wendend:) Auch du kannst dasselbe tun, wenn dir nachts Feinde begegnen.
(Sujata:) Weißt du, ich habe dieses weiße Licht gesehen.
Du hast es gesehen?
Ja, das hab ich.
Das ist ausgezeichnet. Du bist eine gute Hellseherin, natürlich hast du es gesehen. Ich sah es aber so, als sei es das Licht von jemand anderem, das entspricht meiner Natur. Ich bediente mich seiner sogar schon, bevor ich Théon begegnete: ich wußte nichts, aber ich sah es. Erst Madame Théon erklärte mir: "Das ist Ihr Licht". Madame Théon war die erste, die mir sagte, was ich war, was sie sah: die Krone mit den zwölf Perlen auf meinem Kopf. Dann machte ich selbst diese Erfahrung, und danach konnte ich mich seiner nach Belieben bedienen: es genügte, daß ich das Licht herbeirief. Ich sah es so, wie ich dich jetzt sehe, auf völlig objektive Weise.
Aber erzählte ich dir nicht die Geschichte von I, die mit Dilip zusammen war? Bevor sie Dilip kennenlernte, war sie bei einem Guru, einem Sannyasin oder was weiß ich. Der war äußerst wütend, daß sie ihn verlassen hatte und verfluchte sie. Sein Fluch rief bei ihr eine Art Thrombose hervor (weißt du, wenn das Blut dickflüssig wird und gerinnt), hier am Hals, über der rechten Schulter, glaube ich, und es war sehr schmerzhaft – sogar gefährlich. Sie erzählte mir davon. Ich sagte es Sri Aurobindo, und er bat mich, sie zu beschützen. Ich schickte diesem Herrn mein Licht. Daraufhin stießen ihm fürchterliche Dinge zu, eine schreckliche Krankheit, an der er starb. Kurz bevor er starb, ging I zu ihm, und da sagte ihr dieser Mann (der bewußt war): "Sehen Sie nur, was Ihre Mutter mir angetan hat!" Er war bewußt. Ich sah, daß meine Sache völlig objektiv war, denn ich hatte mit niemandem auch nur ein Wort darüber gesprochen. Aber vor allem war dieses Licht durch Sri Aurobindo gegangen... Ich hatte ganz einfach das Licht zu diesem Herrn geschickt, damit das ein Ende nehme. Und weil er nicht besonders rein war, kam es in einer schrecklichen Krankheit zum Ausdruck.
Jetzt auf Wiedersehen, meine Kinder!
Wenn du also ruhig schlafen willst, dann machst du dir vor dem Einschlafen einen kleinen Kokon zurecht. Auf Wiedersehen, mein Kind.
Und dir empfehle ich: die Unwirklichkeit der menschlichen Ansichten über Krankheiten.