Mutters
Agenda
sechsten Band
15. November 1965
(Seit einiger Zeit schon gab Mutter Sujata regelmäßig Päckchen mit Fertigsuppen aus Deutschland, Schweden usw.)
...Du wirst bald eine Kosmopolitin werden, mein Kind – kosmopolitisch im Geschmack.
(Sujata verzieht den Mund)
Magst du nicht? Widersetzt sich dem etwas in deiner Natur?
(Sujata:) Was das Essen angeht, schon in meiner Kindheit mochte ich nicht gerne essen.
Aber mein Kind, das Essen hat mich auch nie interessiert. Ich habe noch nie gerne gegessen. Als ich klein war, mußte man zu allen möglichen Tricks greifen, um mich essen zu lassen. Es erschien mir als etwas vom Absurdesten und Uninteressantesten. Trotzdem kenne ich alle Landesküchen, ich habe sogar eine vergleichende Studie aller Küchen angestellt und kann überall leben, ohne daß mein Körper im geringsten beeinträchtigt wird.
Es ging mir dabei nicht um die Freude am Essen, sondern um die Freude an... (wie soll ich das ausdrücken?) der Erweiterung des Bewußtseins, am Sprengen von Grenzen und vor allem darum, den Zwang der Gewohnheiten zu brechen – das ist etwas Fürchterliches. Der Sklave seiner Gewohnheiten zu sein, ist abscheulich. Schon als Kind galt für mich: keine Sklaverei. Man sagte mir: "Aber man muß dieses oder jenes tun, weil es so üblich ist", woraufhin ich wenig höflich antwortete: "Zum Teufel damit!" Etwas zu tun, nur weil es eine Gewohnheit ist, ist für mich kein Argument – frei, frei, frei! Der Geschmack an der Freiheit.
Man braucht kein kleiner Sklave zu sein, nur weil man an einem bestimmten Ort und mit gewissen Eltern geboren wurde – das ist Zufall, nicht Schicksal!
(Sujata:) Nein, Mutter, es ist vor allem wegen des Geruchs. Gewisse Gerüche kann ich nur sehr schwer ertragen.
Aber man muß lernen, sie zu ertragen. Du brauchst nur folgendes zu tun: Sobald du einen solchen Schock empfindest, bleibst du einfach ganz ruhig und rufst – du rufst den Herrn, oder du rufst mich, wen auch immer (lachend), es hat die gleiche Wirkung. (Erzählt das niemandem!) Und sage: "Gib mir ein erweitertes Bewußtsein!", einfach so. Dann bleib ruhig. Das nächste Mal, wenn der Geruch kommt, wirst du feststellen, daß er bereits nicht mehr ganz so unangenehm ist, und beim dritten oder vierten Mal wirst du das Ananda riechen, das dahintersteht.
Ich weiß das aus Erfahrung.
Es handelt sich lediglich um eine Beschränktheit des Geschmacks, weil dir seit deiner Kindheit eine bestimmte Anzahl Dinge gegeben wurde. Du hast dich daran gewöhnt, folglich ist es gut. Bist du es nicht gewohnt: "Oh, wie ekelhaft!"... Man muß lernen zu sehen, warum etwas existiert, warum etwas auf der Welt ist – alles, was auf der Welt existiert, dient der Freude am Sein, so muß Freude darin enthalten sein, denn sie ist überall.
Du brauchst sie nur zu finden.
(Sujata:) Aber es könnte ja auch zur Freude anderer bestimmt sein!
(Mutter lacht)
*
* *
Gegen Ende des Gesprächs
Es ist wichtig, gut zu schlafen. Ja, ich habe festgestellt, daß es notwendig ist, lange zu schlafen. Sobald du dich müde fühlst, dann gib dem Schlaf nach, wehre dich nicht dagegen! Das ist wichtig. Ich spreche aus eigener Erfahrung, denn plötzlich... Wenn die Atmosphäre eine Zeitlang (für ein oder zwei Stunden, je nachdem) in dieser Licht-Kraft-Freude vibriert, von der ich kürzlich sprach, und man wie... erfüllt, ganz erfüllt ist, und dann ganz plötzlich... (Geste einer inneren Versenkung), und nach einer Weile sagt man sich: "Aber wo war ich denn?..." Es gibt solche Augenblicke, wo man in eine Art Schlaf fällt. Anfangs glaubte ich, in eine Unbewußtheit zurückgefallen zu sein (obwohl mir das selten passiert ist!), und ich fragte mich, was das zu bedeuten hatte. Da schaute ich genau hin und sah, daß es um eine notwendige Periode der Assimilation ging. Diese Zeit ist sehr wichtig. In einer Art Unbewegtheit des Zellbewußtseins absorbieren die Zellen diese neue Kraft. Deshalb darf man sich nicht dagegen wehren, wenn es kommt. Meistens dauert es nicht lange: fünfzehn, zwanzig Minuten. Eine Zeit der Assimilation. Die Atmosphäre ist ja immer mehr geladen. Wehrt euch also nicht dagegen: Wenn ihr plötzlich ein Zeichen fühlt, dann laßt es zu – und es ist besser, dabei nicht zu stehen!