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Mutters

Agenda

sechsten Band

13. November 1965

Liebe Mutter, seit drei Wochen huste ich wieder Blut.

Sie haben dir doch eine Behandlung verordnet. Hältst du dich daran?

Ja, peinlich genau.

Das ist lästig.

Ich habe kein Vertrauen in ihre Behandlungen.

Ohne Krankheiten würden die Ärzte gar nicht existieren, verstehst du? Ich sage nicht, daß sie sie bewußt fördern, aber sie sind ihnen zumindest... freundlich gesinnt.

Das ist sehr subtil, aber es ist wirklich so.

Ich sehe ein bestimmtes Schwingungsphänomen der Zellen mit dem Bewußtsein (sagen wir, dem universellen Bewußtsein) und dann genau die gleiche Sache, wie sie dem medizinischen Bewußtsein erscheint – wenn du wüßtest, wie sich das verändert! Sogleich nimmt es einen ganz konkreten Charakter an (den es sonst nicht hat) und wird... etwas zwischen "fatal" und "unentrinnbar", ich weiß nicht, wie ich es erklären soll. Es ist wie eine Art starres Schicksal. Wenn sie sagen: "Oh, eine Krankheit!" – dann ist es um einen geschehen. Aber das stimmt einfach nicht, denn es gibt nichts, das "eine Krankheit" wäre, es gibt keine zwei identischen Fälle.

Ihre Atmosphäre wird zu einem Hindernis.

Es sei denn, man harmoniert mit ihnen, wie zum Beispiel diese arme Frau M. Weißt du, sie hatte den Eindruck, ins Paradies Eintritt zu erhalten, als sie in das Krankenhaus von Vellore trat. Ihr tut das natürlich sehr gut, es ist harmonisch (!)

Aber wie kann das harmonisch sein?

Mein Kind, die Leute, die einem Laster frönen, harmonieren mit dem Laster; die Leute, die böse sind, harmonieren mit der Bosheit.

Ja, aber sie ist nicht so.

Sie ist Krankenschwester – sie harmoniert mit den Ärzten. Und es gab ihr wieder Mut. Denn sie sagten ihr, sie sei gerade noch rechtzeitig gekommen, und sie würden sie retten, deshalb ist sie jetzt so vertrauensvoll. Ich erhielt einen Brief, in dem sie mir schrieb: "Ich habe wieder Mut zum Leben geschöpft, ich bin ruhig und sicher, daß ich wieder gesund werde, das Fieber hat sich gesenkt, usw."

Alles ist relativ auf dieser Welt, es gibt keine zwei identischen Fälle, es gibt keine zwei identischen "Krankheiten" – es gibt kein absolut Gutes und kein absolut Böses.

Ich ersticke in Krankenhäusern. Ich bin dort immer noch kranker geworden.

Ja. Erst hier im Krankenhaus wurde das, was du hattest (sozusagen eine kleine innere Störung), zur Krankheit. Das geschah hier. In Vellore verschlimmerte es sich noch weiter.

Ja, das ist wahr.

So ist das. Weißt du, ich fühle das ganz deutlich; in mir steckt die Möglichkeit fünf oder sechs fataler Krankheiten (ich weiß es aufgrund der Schwingungen); wenn ich jetzt das Pech hätte, nicht einmal im Krankenhaus zu landen (!), sondern mich lediglich einem Arzt anzuvertrauen, dann litte ich an lauter unheilbaren Krankheiten.

Das richtet sich gegen keinen speziellen Arzt (sie leiden selbst unter der Atmosphäre, ohne es zu wissen): es liegt an der medizinischen Atmosphäre.

Die Krankheit ist ihre Existenzberechtigung: wenn es keine Krankheiten gäbe, gäbe es auch keine Ärzte. Sie wären nicht notwendig, sie könnten etwas anderes werden, nur nicht Arzt – etwas sehr Nützliches, ich weiß nicht was: Wissenschaftler im Dienste der menschlichen Konstitution, Wissenschaftler im Dienste der Nahrungsmittelverwertung, Wissenschaftler aller möglichen nützlichen Dinge, aber keine "Ärzte" – der Arzt ist für die Heilung von Krankheiten zuständig, folglich muß es Krankheiten geben, damit die Ärzte eine Existenzberechtigung haben.

Ich bin mir nicht einmal sicher, ob es vor den Ärzten überhaupt Krankheiten gab – es gab Beschwerden, es gab Unfälle, alle möglichen Dinge, denn diese kommen vor, aber es gab nicht das ETIKETT "Krankheit". Und je größer das Wissen der Ärzte wird (das heißt, je professioneller sie werden), desto solider und fixierter (Mutter schließt ihre Hand zur Faust) werden die Krankheiten. Und so besteht ihre Nützlichkeit darin, diese zu heilen – wenn es keine Krankheiten gäbe, wären sie nicht nützlich.

Sie sollten eher Forscher des Lebens sein... Die Chinesen hatten ein wenig diese Einstellung. Ich weiß nicht, wie es jetzt ist, aber früher hatte jede Familie einen Arzt (ein Arzt konnte viele Familien betreuen), und dieser Arzt wurde nur bezahlt, wenn alle gesund waren – wenn auch nur einer krank wurde, hörte man auf, ihn zu bezahlen! (Lachen)

*
*   *

Kurz darauf sortiert Satprem frühere Notizen der "Agenda".

Was ist das? Alte Sachen?

Das ist von 1964 (vom letzten Jahr).

Das müssen alte Geschichten sein. Wirkt das denn nicht veraltet?

Nein, überhaupt nicht!

(Mutter lacht)

Ganz und gar nicht! Nein, nein!

Mir scheint dies aus längst vergangenen Zeiten zu stammen.

Überhaupt nicht.

Weißt du, alle Probleme, die das menschliche Mental diskutierte und löste, letztlich alles, was den Religionen, Philosophien, dem Yoga usw. zugrundeliegt, all die großen Ideen über das Wie und Warum – universelle Ideen – alles, was schon seit sehr langer Zeit gelöst worden ist... stellt sich jetzt hier (Mutter deutet auf ihren Körper). Es taucht mit der Intensität und Heftigkeit von etwas völlig Neuem und Unbekanntem auf: Warum das Leben? Warum diese Schöpfung, was ist der Sinn des Ganzen? Verbunden mit einem schmerzhaften inneren Wissen um alles Elend der Materie, alle Dummheit der Materie, alle Dunkelheiten, all das – warum das alles? Warum nur? Und dann unzufrieden: Was soll das alles?

Erstaunlich.

Dann kommt die Antwort, und zwar mit einer bemerkenswerten Kraft und Gewißheit – ganz außerordentlich. Warum die Schöpfung? Die Antworten darauf sind keineswegs philosophische Sätze (Gott sei Dank, nichts dergleichen): lediglich Schwingungen.

Dann plötzlich mitten in diesem Chaos, diesem Kampf, dieser Reibung, diesem Schmerz, dieser Unwissenheit und Dunkelheit, dieser Mühe und diesem und jenem (oh, viel schlimmer, als wenn es sich im Mental abspielt: es geschieht hier [im Körper], und hier ist es im wahrsten Sinne eine Frage von Leben und Tod, das heißt, von Existenz oder Nichtexistenz, von Bewußtsein oder totaler Unbewußtheit... und was es kostet, hier etwas zu wissen!). Dann plötzlich: nur ein Tropfen... nicht einmal ein Tropfen (es ist nicht flüssig!), nicht einmal ein Blitzstrahl... ja, eine Schwingung, eine ANDERE Schwingung: leuchtend und so wunderbar sanft, friedlich, mächtig, so absolut. Es ist wie etwas, das aufleuchtet (Geste eines strahlenden Aufbrechens oder Pulsierens). Dann bedarf es keiner Diskussion oder Erklärung mehr, man hat verstanden. Sich DESSEN bewußt zu werden, DAS zu leben, darum geht es.

Das geschah heute morgen.

Es fing gestern an und hat sich seither weiterentwickelt.

Das, mein Kind... Ach, wie armselig doch alle Erklärungen sind – armselig, unvollständig, ohne Überzeugungskraft. Einfach DAS, eine Schwingung von DEM, und man versteht alles.

Ich habe den Eindruck, den sehr starken Eindruck (obwohl ich im Augenblick noch keine Beweise habe), daß es in höchstem Maße anstekkend ist. Du verstehst: Es gibt dann nichts mehr zu erklären, nichts mehr zu bekämpfen, nichts mehr zu... uff! – Es ist ansteckend.

Das herbeizuführen und zu bewahren. Es aufrechterhalten zu können. Das ist phantastisch! Dann ist es nur noch eine Frage der Empfänglichkeit, das ist alles. Und die Empfänglichkeit muß dem guten Willen entsprechen (das ist es, was mir im Augenblick die alte Erfahrung sagt, ich habe keine Beweise), die Empfänglichkeit muß im Verhältnis zum guten Willen oder der Aspiration stehen (aber die beiden sind sich sehr ähnlich), dieser Funke, der etwas anderes sucht. Leute, die sehr froh und zufrieden sind und... (das ist ein interessantes Bild) die in diesem Leben eine gewisse Harmonie erreicht haben (manche Leute haben eine gewisse Harmonie in diesem Leben verwirklicht: alles erscheint so harmonisch, so angenehm, und alles, was sie tun, ist von Erfolg gekrönt, alles, was mit ihnen geschieht, ist...), nun, gerade sie haben, glaube ich, noch viel zu tun, bevor sie empfangen können.

Das (diese Schwingung) hat nichts, wirklich gar nichts mit diesem Weg zu tun, diesem langen, langen Weg, den man zurückgelegt hat, um sich vorzubereiten – und unter so vielen Schlägen! oh... DAS (Geste wie ein strahlender Durchbruch), und schon hat alles andere überhaupt keine Bedeutung mehr.

Aber DAS ist nicht mental. Im ersten Augenblick hat es überhaupt nichts mit dem Denken zu tun.

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