SITE OF SRI AUROBINDO'S & MOTHER'S  YOGA
      
Home Page | 07 Bande

Mutters

Agenda

siebenten Band

14. Mai 1966

Ich habe seltsame Augen... Sie sind merkwürdig geworden.

Dieses Auge (das linke) sieht äußerst klar – extrem klar, beinahe schärfer als zuvor, aber in der Ecke hier, ganz in der Ecke ist so etwas wie ein kleiner Nebel, ganz winzig, wie der Kopf einer Stecknadel. Mit diesem Auge kann ich nicht lesen. Mit dem anderen (dem rechten) kann ich zwar lesen, aber es ist schwächer: es ist nur halb so scharf wie das andere. Das linke hat eine phantastische Schärfe. Na gut. Ich habe mir also angewöhnt, mit einem Vergrößerungsglas zu lesen (mit dem rechten Auge). Aber wenn ich ein Foto durch die Lupe anschaue, nimmt es drei Dimensionen an (Geste, als ob sich das Foto aufblähen würde), das heißt, ich sehe die Person darauf nicht nur farbig, sondern lebendig. Das Bild wird lebendig. Es ist dreidimensional und bewegt sich. Wenn ich das Foto mit meinem Vergrößerungsglas betrachte, sehe ich also eine Person in Bewegung.

Mit dem linken Auge... oh, dieses ist außergewöhnlich scharf, aber ich kann damit nicht lesen... (doch, ich könnte es schon, das ist nur eine Vorstellung, ein Eindruck) aber da ist diese winzig kleine Wolke im Augenwinkel hier. Das will nichts heißen (lachend), ich habe keinen grauen Star! Früher hatte es einmal in der Ecke ein ziemliches Ausmaß angenommen, ich zeigte es dem Arzt (das ist lange her, zwei Jahre), und er sagte mir, es sei innen, nicht auf der Linse. Er meinte: "Das geht nicht mehr weg." Ich darauf: "Aha, das geht also nicht mehr weg!" – Sechs Monate später war es weg, vollständig verschwunden. Ein kleines bißchen ist es wiedergekommen, aber auch das wird weggehen.

Komische Sachen sind das. Als ob sich jemand einen Spaß daraus machte, mit meinen Augen Experimente anzustellen.

Ich sehe auf eine seltsame Weise – seltsam.

Und die Lupe nützt bald nichts mehr.

(Schweigen)

Aber alles wird seltsam. Alles. Als gäbe es zwei, drei, vier Realitäten (Geste einander überlagernder Schichten) oder Erscheinungsformen, ich weiß nicht, aber es sind eher Realitäten, eine hinter der anderen oder eine in der anderen, und innerhalb weniger Minuten verändert sich das (Geste, als blähe sich eine Realität auf und überdecke und ersetze eine andere), als wäre eine Welt dicht dahinter und käme auf einmal hervor. Wenn ich ruhig bin, gibt es eine kleine... keine Bewegung, ich weiß nicht, was es ist: es erinnert eher an Pulsschläge, und je nachdem wirkt es sich in verschiedenen Erfahrungen aus. Die herkömmlichen Dinge brauchen beispielsweise ihre übliche Zeit, wenn sich nichts Anomales ereignet, und man hat einen genauen Sinn für die Zeit, die sie brauchen. Dann gibt "man" mir die folgende Erfahrung: genau dieselbe Sache, auf genau dieselbe Weise ausgeführt, einmal in ihrer normalen Zeit bewerkstelligt, und ein anderes Mal in diesem anderen Zustand. Das heißt, das Bewußtsein scheint an einem anderen Ort plaziert zu sein, und die Sache ereignet sich innerhalb einer Sekunde – genau dieselbe Sache. Normale Gesten, Dinge, die man täglich tut, vollkommen gewöhnliche Dinge. Wieder ein anderes Mal (es ist nicht so, daß ich das suche, ich suche überhaupt nicht: ich werde in diesen Zustand VERSETZT) – wieder ein anderes Mal werde ich in einen anderen Zustand versetzt (es macht keinen großen Unterschied für mich – wie winzige Unterschiede in der Konzentration), wo dieselbe Sache ewig lange braucht, ach, es hört überhaupt nicht mehr auf, bis sie getan ist! Selbst eine Serviette zu falten (das mache nicht ich) – jemand faltet ein Handtuch oder räumt eine Flasche fort... absolut materielle und einfache Dinge, ohne jede psychologische Bedeutung. Jemand faltet ein Handtuch, das auf dem Boden liegt (nennen wir das einmal als Beispiel): da ist die normale Zeit, von der ich nach einiger Beobachtung eine innere Wahrnehmung habe, eine Zeit, in der alles normal ist, mit anderen Worten, wie gewöhnlich. Ein andermal bin ich in einer gewissen Konzentration, und... ehe man sich versieht, ist es schon getan! Dann wieder bin ich in einem anderen Zustand der Konzentration, mit absolut minimalen Unterschieden hinsichtlich der Konzentration, und es nimmt kein Ende mehr! Man hat den Eindruck, die Sache dauere eine halbe Stunde.

Wenn einem das ein einziges Mal passieren würde, könnte man sagen: na gut. Aber es kommt mit einer Beständigkeit, einer Regelmäßigkeit, als sollte einem etwas beigebracht werden. Eine solche Hartnäckigkeit und regelmäßige Wiederholung, als ob ich etwas zu lernen hätte.

Auch verbringe ich einen Teil der Nacht in einem bestimmten Bewußtseinszustand (am häufigsten, beinahe täglich, mit Sri Aurobindo). Aber das ist nicht "einfach so". Es geschieht nicht zufällig oder aus Gewohnheit, nein: es ist ein Unterricht, und die Dinge werden mir auf die eine oder andere Weise präsentiert, als ob ich etwas verstehen sollte. Aber (lachend) ich bin so unglaublich dumm! Weil das Mental nicht funktioniert, verstehe ich nichts – ich stelle einfach die Tatsache fest. Ich stelle dies fest, ich stelle jenes fest, ich stelle fest, aber ich ziehe keine Schlüsse, daher wird mir dieselbe Sache noch einmal gezeigt. Es folgt, ja, es folgt einer Art Erfahrungskurve. Man ist versucht zu sagen, es handle sich um eine wiederholte Demonstration für jemand Begriffsstutzigen wie ich, um mir den Unterschied des Bewußtseins zwischen dem Im-Körper-Sein und Keinen-Körper-Haben aufzuzeigen.

Das scheint es mir zu sein.

Und dies in den geringsten Kleinigkeiten und mit einer solchen Beständigkeit: weißt du, als ob man einem Tier oder einem Kleinkind etwas beibringen müßte. So ist das – durch Wiederholung.

Vorgestern (nicht die Nacht von gestern auf heute, sondern nachts zuvor) war ich zum Beispiel mit Sri Aurobindo zusammen. Sri Aurobindo hatte die Erscheinungsform seines jugendlichen Fotos angenommen, mit seinen langen Haaren: dieses von vorn aufgenommene Foto, auf dem er helle Haut und ganz dunkle Haare hat. So war er – er WAR so, es war kein Bild. Er WAR so. Wir betrachteten gerade bestimmte Dinge, sprachen über bestimmte Dinge (wir sprechen nicht viel, aber immerhin), als ich plötzlich sein Gesicht sich so verzerren sehe (Geste, als würde sich das Gesicht zusammenziehen). Normalerweise hat er immer einen sehr stillen und lächelnden Ausdruck, sehr ruhig; aber auf einmal sah er ganz gequält aus. Dann warf er sich zurück in diese Art Sitz oder Divan. Ich sah ihn an, und er sagte mir: Oh how they are distorting things. Look at this fellow, how they are distorting things. [Ach, wie sie die Dinge entstellen. Schau dir diesen Burschen an – wie sie die Dinge entstellen.] Beinahe unmittelbar danach war es Zeit, ich erwachte und stand auf. Und ich sagte mir (lachend): "Ich dachte, in diesem Zustand könne man gar nicht gequält sein!" Heute erfuhr ich dann, daß A, der hier war und wieder wegzog, um da oben (in Bengalen) Politik zu machen, im Namen von Sri Aurobindo spricht und politische Erklärungen abgibt. Das war es, was ich gesehen hatte. Nicht daß sich Sri Aurobindo geärgert hätte: das Bild seiner Gesichtszüge war das Bild dessen, was die anderen taten 1 (Mutter lacht)... Wie soll man das erklären? Sehr seltsam, nicht wahr? Es war das Bild dessen, was die Leute aus seiner Lehre machten. Es war nicht der Ausdruck seiner eigenen Empfindung. Weißt du, was hier passiert, was wir hier beschreiben, ist so ungeschliffen, bar jeglicher Feinheit, so grob wie eine roh behauene Statue. Es ist rauh, grob und übertrieben, und es wird verzerrt vom Gefühl der Trennung, das durch das Ego entsteht. Ich weiß nicht, wie ich das erklären soll. Dort hingegen ist alles eins, eine einzige Sache, die alle möglichen Formen annimmt (Mutter legt eine Hand in die andere und dreht sie in alle Richtungen), um etwas auszudrücken. Doch nicht mit einem Zentrum, das spürt, und einem anderen, das sieht, und einem weiteren Zentrum, das versteht – nein, so nicht. Es ist (dieselbe Geste)... EINE einzige Substanz von einer unbeschreiblichen Geschmeidigkeit, die sich allen Bewegungen, allem, was sich ereignet, anpaßt. Es drückt alles aus, was geschieht, ohne jegliche Trennung. Das versetzte mich in einen Zustand, der den ganzen Vormittag andauerte. Dann bin ich in dieser Welt hier und bin doch nicht da. Weil ich... nicht fühle, wie die Welt fühlt. Sehr seltsam.

Gestern ging es mir den ganzen Morgen über so, ein sehr seltsamer Zustand, und es war, als wollte er, daß ich mich an etwas erinnere, und es verließ mich erst, als ich sagte ("sagte" – ich weiß nicht, ich sagte es niemandem, aber trotzdem sagte ich es irgendwie), daß ich heute mit dir darüber sprechen würde. Daraufhin ließ man mich wieder in Kontakt mit dem Alltagsleben treten.

Etwa so wie der Einfluß eines Mentors, jemand, der weiß, oder ein Bewußtsein, das weiß und mir Lektionen erteilt; ich sehe niemanden, ich spüre niemanden, trotzdem ist es so. Sehr, sehr seltsam.

Nun, gut. Machen wir weiter mit Savitri!

Willst du mir etwas sagen? (Lachend) Ich scheine dich völlig benebelt zu haben.

Nein. Es ist nur das: du sagst, du ziehest keine Schlußfolgerungen. Ich hingegen versuche dauernd, Schlüsse zu ziehen.

Ach, Schlußfolgerungen. Ich weiß nicht.

Ist es etwa das Bewußtsein der Ewigkeit, das lernt, in die Zeit, in die Materie einzutreten?

Ja, das ist eine Idee. Vielleicht ist es das.

Eines Tages werden wir das mit Sicherheit wissen und verstehen.

*
*   *

(Mutter liest etwa zehn Verse aus Savitri, worin der Tod alle menschlichen Glaubensbekenntnisse, Konzepte, Philosophien und Erfindungen verspottet...)

And sciences omnipotent in vain

By which men learn of what the suns are made,

Transform all forms to serve their outward needs,

Ride through the sky and sail beneath the sea,

But learn not what they are or why they came....2

(X.IV.644)

Das ist wirklich reizend!

Ich mag diese Zeilen:

Sie fliegen durch das Firmament und fahren unter dem Meere,

lernten aber nicht, was sie sind oder warum sie kamen.

Er ist der Inbegriff des Pessimismus, dieser Tod.

Aber es ist wahr! Das Leidige daran ist, daß es stimmt. Es fehlt nur etwas, nämlich das, was sie sagen wird. Oder sagt sie nichts?

Bestimmt wird sie antworten.

Aber sie stopft ihm nicht den Mund... schwierig.

Weil es doch "Er" ist! 3

Kürzlich hatte ich eine außerordentliche Erfahrung, in der von allen Seiten alle möglichen pessimistischen Argumente, Verneinungen und Widerlegungen kamen, und zwar von allen möglichen Leuten. Daraufhin gerieten all jene, die an die Gegenwart eines Gottes glauben oder an etwas, das mächtiger ist als sie selbst und das die Welt regiert, in helle Wut und einen fürchterlichen Aufruhr: "Aber ich will das nicht! Er macht doch unser ganzes Leben kaputt, er ..." Ein schrecklicher Aufruhr von allen Seiten, eine ganze Wagenladung von Beschimpfungen des Göttlichen mit einer sehr kraftvollen asurischen Reaktion von allen Seiten. Da war ich also (als säße Mutter im Zentrum des Getümmels) und sah zu: "Was tun?..." Verstehst du, es war unmöglich zu antworten, einfach unmöglich, es gab kein Argument, keine Idee, keine Theorie, keinen Glauben, nichts, absolut nichts, was dem hätte antworten können. Ungefähr eine Sekunde lang bestand der Eindruck: da läßt sich nichts machen. Dann plötzlich, ganz plötzlich... Es ist unbeschreiblich (Geste der absoluten Hingabe). Da war diese Heftigkeit der Revolte gegen die Dinge, so wie sie sind, und damit vermischt: "Möge diese Welt verschwinden, möge das alles aufhören zu existieren!" Diese ganze nihilistische Revolte: auf daß nichts mehr da sei, auf daß alles aufhöre zu existieren. Als der Druck fast unerträglich wurde, als man schon den Eindruck bekam, es gebe keine Lösung, auf einmal... surrender [Hingabe]. Doch etwas viel Stärkeres als surrender – es war kein Verzicht, keine Hingabe des Selbst, kein Akzeptieren, sondern... etwas viel Radikaleres und zugleich viel Sanfteres. Ich kann nicht sagen, was es war. Es hatte die Freude und den Geschmack des Gebens, doch mit einer solchen Empfindung von Fülle!... Wie ein Staunen, weißt du, auf einmal dies: die eigentliche Essenz des surrender, das Wahre.

Es war... so mächtig und so wunderbar, eine so erhabene Freude, daß der Körper eine Sekunde lang zitterte. Und schon war es weg.

Danach, nach dieser Erfahrung, war alles, die ganze Revolte, die ganze Verneinung, wie weggefegt.

Wenn man diese Erfahrung halten könnte, sie dauerhaft bewahren könnte – sie ist da, immer; sie ist da, aber ich muß innehalten, um es zu spüren. Ich muß innehalten – nicht sprechen, mich nicht bewegen, nicht handeln –, um das in seiner Fülle zu spüren. Wenn das AKTIV hier wäre... das wäre die Allmacht. Es würde bedeuten, augenblicklich "Das" zu werden.

In letzter Zeit gab es zwei Tage (seit ich dich das letzte Mal gesehen habe)... vor allem am Donnerstag, als der Pfau hierherkam... 4

Der Pfau sang den ganzen Tag lang sein Siegeslied. Ich sah ihn abends, er kam mich auf der Terrasse besuchen. Er war so lieb!... Zwei sehr, sehr schwierige Tage. Danach bestand ein sehr solides, festbegründetes Gefühl, daß nichts unmöglich ist. Nichts ist unmöglich (Mutter weist auf die Materie). Was das Denken seit langem weiß, was das Herz seit langem weiß, was das ganze innere Wesen seit langem weiß – jetzt weiß es der Körper: nichts, aber auch gar nichts ist unmöglich. Alles ist möglich – da drinnen, hier (Mutter klopft auf ihren Körper). Alles ist möglich.

Alle vom materiellen Leben geschaffenen Unmöglichkeiten sind verschwunden.

Man muß die Kraft haben – die Kraft, es immer in sich zu tragen.

 

1 Erinnern wir uns an Mutters Vision, wo sie Sri Aurobindo in Bruchverbänden sah. Diese standen für all die Kürzungen der Ashram-Herausgeber von Sri Aurobindos Werk.

Rückwärts zum Text

2 Und all die Wissenschaften, die allmächtig, doch vergeblich sind, durch die die Menschen zwar erfahren, woraus die Sonnen bestehen, alle Formen so zu wandeln, daß sie ihren äußeren Notwendigkeiten dienen. und durch das Firmament zu fliegen und unter dem Meere zu fahren, aber nicht lernten, was sie sind oder warum sie kamen. (dt. S. 658)

Rückwärts zum Text

3 Satprem meint, weil auch der "Tod" noch eine Maske von "Ihm", dem Herrn, ist.

Rückwärts zum Text

4 Der Pfau eines Schülers war entflogen und hatte den ganzen Tag im Baum über dem Samadhi und auf der Terrasse des Ashrams gesessen.

Rückwärts zum Text

 

 

 

 

 

 

 

in French

in English