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Mutters

Agenda

siebenten Band

31. August 1966

Ganz früh heute morgen hielt ich dir eine lange Rede. Du schliefst noch. Hast du nichts gehört?

Was hast du gesagt?

Ach, es war sehr lang...

Nichts Persönliches. Ich sagte dir, wie die wahre Bewegung verzerrt wird, und führte Beispiele dazu an. Sehr interessante Beispiele, es sieht nach nichts aus, ist aber etwas ganz Wesentliches, denn auf diese Weise verkehrt sich die Wahrheit in Lüge. Und es ist so subtil, daß man es mental nicht verstehen kann, wenn man nicht selber die Erfahrung hat. Diese Erfahrung erklärte ich dir mit zwei Beispielen, die ich dir sehr genau schilderte... Jetzt erinnere ich mich nicht mehr an die Worte.

Du erinnerst dich nicht?

Die Worte waren von der Art, die einfach so kommt, als Ganzes. Wenn ich jetzt danach suche, ist es nicht mehr dasselbe. Wenn das wiederkommt, werde ich es dir sagen.

Ich habe oft die Erfahrung gemacht (auf einer anderen Ebene, glaube ich), als ob die Strömung sich aus einem unerklärlichen Grund umkehrte: Die Dinge hören auf, harmonisch zu sein, und man weiß nicht warum.

Das Warum ist sehr einfach: es ist immer die Trennung – das Individuum trennt sich ab. Immer. Entsprechend der Natur des einzelnen ist mehr oder weniger Egoismus daran beteiligt, aber immer ist es die Abtrennung. Jetzt sehe ich die falsche Bewegung: Sie tritt ein, wenn das Bewußtsein in eine alte Gewohnheit zurückfällt. Und da es eine sehr alte Gewohnheit ist, hat man nicht den Eindruck abzustürzen. Eine winzig kleine Bewegung (Mutter dreht etwas zwischen Daumen und Zeigefinger).

Ich weiß – heute morgen war das sehr klar.

Verstehst du, alles ist das Wirken des Höchsten, um die Rückkehr des individuellen Bewußtseins zum ursprünglichen Bewußtsein, zum Höchsten Bewußtsein, zu beschleunigen. Und durch das Individuum verwandelt sich der Druck der Kraft, akzeptiert zu werden, in einen Willen, sich verständlich zu machen (ich weiß nicht, ob du mir folgen kannst). Und darin besteht eben die Entstellung. Das ist äußerst subtil. Mit "Willen" meine ich natürlich den menschlichen Willen. Der Druck der Kraft (Mutter legt die rechte Hand flach auf die linke) will sich verständlich machen durch das Bewußtsein (die linke Hand darunter), der Druck der Kraft auf das Bewußtsein, um es zu transformieren, verwandelt sich im dazwischenstehenden Individuum in einen Willen, sich verständlich zu machen.

Noch etwas: Es gibt instinktiv, das heißt beinahe unterbewußt, fast unfreiwillig, nicht einen Willen, auch kein Bestreben, nicht einmal eine Neugier, vielmehr eine Art Gewohnheit der Beobachtung. Die Gewohnheit, die Wirkung auf andere zu beobachten – nicht bloß das, was sie denken, fühlen oder meinen, nein, so grob ist es nicht, denn sobald es dieses Ausmaß annimmt, muß man darüber lächeln. Es ist eine Art Gewohnheit, jeden Umstand nicht nur so zu betrachten, wie man ihn selbst sieht, sondern zugleich so, wie ihn auch die anderen sehen. Es ist keine "Besorgnis", aber man legt sich in der Reaktion des Bewußtseins automatisch Rechenschaft darüber ab, was die anderen spüren, denken, ihre Reaktionen – nicht unbedingt ihre Meinung, aber doch die Empfindung ihrer Reaktion. Es ist eine Art Gewohnheit. Und das ist die trügerische Verdrehung des Gefühls der Einheit. Verstehst du, wir sind EINS, und im verdrehten Bewußtsein drückt sich das aus durch eine Feststellung, eine Beobachtung (ich spreche nicht von Leuten, die sich um sich selbst sorgen und für die das Bedeutung hat, nein, es liegt an der Funktionsweise des Bewußtseins). Diese Bewegung der Beobachtung hat ihren Platz, aber in dieser Form ist es ein trügerischer Platz. Dies ist so subtil... Das Gefühl der Einheit beinhaltet, daß jede Regung des Bewußtseins auf alles zurückwirkt, auf alle Bewußtseine, weil es nur ein Bewußtsein gibt; nur die Entstellungen sind anders. Diese Entstellungen ergeben also die Vielfalt.

(Schweigen)

Noch etwas anderes: Es herrscht eine intensive und konstante Aspiration nach Einheit. Es fängt immer mit Hingabe an, der spontanen Hingabe an den Höchsten. Aber dann vermengt sich damit... (wie soll man das ausdrücken?) die Erwartung (ist es eine Erwartung?). Es ist fast nur eine Feststellung... es ist keine Sorge, vielmehr eine Erwartung – ja, expectation wäre das treffende Wort – des Resultats. Das heißt, in diesem großen Willen und Streben nach der Manifestation der Harmonie, der Liebe in der Wahrheit, in diesem Hunger des ganzen Wesens nach Dem, was am Ursprung dieser Harmonie liegt, in die Bewegung der Aspiration mischt sich die Wahrnehmung (es ist mehr als Wahrnehmung: eine Erwartung), die Erwartung des Ergebnisses, und dadurch wird es verfälscht (dieselbe Geste der Verdrehung).

Was ich da sage, ist keineswegs etwas, was ich "sehe", sondern etwas, das ich während meines Morgenganges um halb fünf erlebt habe. Nacheinander kamen diese verschiedenen Erfahrungen, und schließlich ergab sich eine sehr klare und deutliche Wahrnehmung des Augenblicks, wo die wahre Erfahrung... (dieselbe Geste der Verdrehung) sich verfälscht. Es ist nichts Heftiges, nichts Dramatisches, überhaupt nicht, aber... es ist ganz klar der Unterschied zwischen dem Unendlichen und Ewigen, Allmächtigen, und wie sich dieses in die Individualität, in die individuelle Begrenztheit verwandelt. Für das gewöhnliche Bewußtsein, das normale Bewußtsein – das heißt, das beschränkte, persönliche Bewußtsein – ist die Erfahrung selbst wunderbar, doch man ist "Empfänger", "derjenige, der die Erfahrung hat". Und genau darum geht es: um den Unterschied zwischen der [reinen] Erfahrung und dann plötzlich "demjenigen, der die Erfahrung hat". Und sobald diese "Person, die die Erfahrung hat", ins Spiel kommt, ist alles aus, das verzerrt alles. Alles wird verzerrt, aber nicht dramatisch, verstehst du. Dies ist der Unterschied zwischen Wahrheit und Unwahrheit. Eine Unwahrheit (wie kann ich das erklären?)... Es ist der Unterschied zwischen Leben und Tod, der Unterschied zwischen Wirklichkeit und Illusion. Und das eine IST, während das andere... sich daran erinnert, gewesen zu sein, oder nur noch beobachtet.

Das ist wirklich äußerst subtil. Aber es ist unermeßlich. Unermeßlich und total.

Heute morgen lebte dieser Körper die Wahrheit wiederholt mehrere Sekunden lang (Sekunden, die auch Ewigkeiten gewesen sein können). Wenn alles dafür bereit wäre, daß sich "das" festigen könnte, dann wäre dies offensichtlich die Allmacht.

Das war eine so deutliche, offensichtliche und greifbare Erklärung, die zeigte, wie dies die ganze Zeit geschieht. Die ganze Zeit, ständig und überall. Wenn man nicht die Erfahrung hat, kann man den Unterschied überhaupt nicht verstehen, auf keinerlei Weise; alle Worte sind nur Annäherungen. Doch in den Augenblicken, wo das wahr ist... (Mutter lächelt glückselig) Auch weiß man nicht, ob es lange gedauert hat oder nicht: diese Begriffe sind dort inexistent. Und das Wunderbarste daran ist, daß es nichts aufhebt! Alles ist da, und es zerstört nichts. Es ist nur ein Bewußtseinsphänomen. Denn in solch einem Moment wird alles, was ist, wahr, folglich... Ich meine, es hebt nichts an der Manifestation auf, man hat nicht einmal die Empfindung, daß es die Falschheit aufhebt: sie existiert einfach nicht, es gibt sie nicht. Alles kann genauso bleiben, wie es ist; es ist nur noch eine Frage der Wahl. Alles wird zu einer Frage der Wahl: man wählt so, oder man wählt so. Und in einer solch hellen Freude, in einer Schönheit, Harmonie und einer Fülle lichten Bewußtseins, in der es überhaupt nichts Dunkles und Unklares mehr gibt; all das existiert nicht mehr. Und es geht dabei um eine eigentliche Wahl zwischen Leben und Tod, zwischen Bewußtsein und dem Unbewußten (ich meine damit nicht das, was wir Unbewußtheit nennen, nicht die Unbewußtheit des Steines). Bis man "das" erlebt hat, weiß man nicht, was Bewußtsein ist.

Könnte man dies in Worte fassen, ach wie schön das wäre – in so einem Augenblick verstehe ich die Dichter! Es ist, als sagte diese unsagbare Gegenwart: "Siehst du, ich war die ganze Zeit über da, und du hast es nicht gewußt." All dies wird tief in den Zellen erlebt: "Siehst du, immer war ich da, und du wußtest es nicht." Und so... (Mutter verharrt in einer lächelnden Kontemplation) Ein ganz kleines Nichts – das alles verändert.

So kann gar ein Toter wieder lebendig werden. Durch diese Veränderung.

Das Mental dramatisiert alles, und deshalb versteht es nichts. Natürlich war es nützlich, um die Materie zu verfeinern, sie geschmeidiger zu machen, sie vorzubereiten – um das Leben geschmeidiger zu machen, die Materie zu verfeinern. Aber es hat einen Hang zum Drama, und aus diesem Grund versteht es nichts. Heftige Gefühlsaufwallungen und Komplikationen sind sein Spiel, sein Vergnügen. Wahrscheinlich, weil es sie brauchte. Aber wenn die Zeit gekommen ist, wenn man bereit ist für die Erfahrung, muß man das wirklich fallenlassen.

(Schweigen)

Und gleich danach kam diese so friedvolle Gewißheit, daß alles notwendig war – alles, alles. Vom Wunderbarsten im menschlichen Bewußtsein bis hin zum Schrecklichsten und Abstoßendsten – alles war notwendig. Auf eine ganz merkwürdige Weise werden all diese Dinge, all diese Erfahrungen, dieses ganze Leben unwirklich – unwirklich, ja schlimmer noch als ein Schauspiel, das man sich selbst vorspielt: einfach unwirklich. Und genau diese Unwirklichkeit war für das Bewußtsein erforderlich. Alle Werturteile sind rein menschlich – rein menschlich, weil sie das Maß, die Proportion verändern. Sogar das physische Leiden, das materielle Leiden, etwas, das sich am schwersten als illusorisch entlarven läßt, ist eine jämmerliche Komödie, die man sich selbst und den Zellen vorspielt. Und ich spreche aus Erfahrung, mit überzeugenden Beispielen. Sehr interessant!

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