SITE OF SRI AUROBINDO'S & MOTHER'S  YOGA
      
Home Page | 07 Bande

Mutters

Agenda

siebenten Band

28. September 1966

(Die Sekretäre haben Mutter mit einer Stunde Verspätung verlassen, so daß das Gespräch erst beginnt, als es hätte zu Ende sein sollen.)

Das ist ein Rekord! Ich habe so früh angefangen, und doch ist die Arbeit noch nicht getan.

Nichts zu machen. Ich versuche alles, was in meiner Macht steht: ich fange früher an, beeile mich morgens und mache die Arbeit so geordnet wie möglich. Und eine Viertelstunde im voraus kündige ich schon an: "Die Zeit ist um." – Nichts zu machen.

Aber Stück für Stück wird alles verschluckt, und es bleibt keine Zeit mehr übrig.

So ist es.

Auch abends arbeite ich jetzt mitunter bis halb elf, und es war abgemacht, daß ich mich vor neun Uhr zurückziehe... Es bleibt keine Zeit mehr. In meinem Fall heißt das nicht Schlaf: nachts widme ich mich meiner eigentlichen Arbeit – ich kann es nicht mehr. Nachmittags genauso, ich habe keine Zeit mehr. Ich sollte um halb zwölf essen: Ich komme erst um halb eins dazu, und dann habe ich keine Zeit mehr, weil ich danach meine Toilette machen und um drei Uhr wieder anfangen muß. Nie bin ich um fünf Uhr fertig. Ich hatte die Zeit von halb sechs bis halb sieben dafür reserviert, meine Ruhe zu haben – unmöglich. Es verschlingt alle meine stillen Stunden. Und dabei wird die Arbeit nicht einmal getan! Wäre sie getan, würde ich nichts sagen, aber sie wird nicht getan, es ist immer noch mindestens doppelt so viel zu tun – alle protestieren, alle beschweren sich.

Doch grollen nützt nichts.

Nein, aber allmählich bleibt keine Zeit mehr übrig.

Zudem habe ich keinen Sou mehr. Jeden Tag muß ich gewisse Zahlungen leisten – und ich habe keinen Sou mehr. Heute nachmittag müßte ich dem armen, verschuldeten Amrita wie jeden Mittwoch seine fünftausend Rupien geben. Aber ich habe nichts. So steht es, und das macht die Dinge noch schlimmer. Wenn ich wenigstens einigermaßen den Verpflichtungen nachkommen könnte, wäre das immerhin schon etwas. Aber die Komplikationen kommen von allen Seiten. Dem Schatzmeister schulde ich wahnsinnige Summen, und ich kann nicht zahlen... Auf allen Seiten habe ich Schulden – ich nehme das leicht, es hindert mich nicht am Schlafen! Aber es ist eine Tatsache.

(Mutter reicht Satprem eine Rose) Hier, das ist der Frieden, mein Kind. Der Frieden. (Lachend) Ach, wenn du wüßtest, was hier für ein Frieden herrscht! (Geste zur Stirn und darüber) Ich erzähle Dinge, aber im Grunde... So will es der Herr. Vielleicht amüsiert es ihn, wenn die Leute ein langes Gesicht machen.

(Schweigen)

Ich habe einen Brief von einer Briefpartnerin erhalten. Sie stellt darin eine Frage über das Leiden.

Gut, sehen wir uns das an.

Sie schreibt folgendes: "Wir müssen aufhören, die Peiniger zu ermutigen, egal ob sie Menschen oder Tiere quälen. Ich möchte Sie bitten, mich zu lehren, wie man die Macht erlangt, die Leiden anderer durch Konzentration auf das Fluidum zu verringern, und wie man es anstellen kann, innerlich den Aggressoren Schlag für Schlag zurückzugeben, ohne Haß, aber unerbittlich... Ich bitte Sie, helfen Sie mir. Welches innere Opfer, welcher Verzicht ist notwendig? Wer wird mich die Kraft und die Gerechtigkeit lehren, um zu handeln und nicht immer das Schlechte triumphieren zu lassen? Das Leiden der anderen vergißt, negiert und bagatellisiert man nur allzuleicht. Das will ich nicht mehr, ich will nicht länger die Augen davor verschließen und mich bis zum nächsten Mal einlullen lassen... Was muß ich unternehmen?"

Wann hast du diesen Brief bekommen?

Vor zwei oder drei Tagen.

Aber hast du gestern beschlossen, ihn mir vorzulesen? Ich war nämlich den ganzen Tag über in diesem Geisteszustand, nicht mit denselben Worten, aber im gleichen Geisteszustand.

Schon seit vielen Tagen kommt die scharfe, intensive und deutliche Wahrnehmung, daß das Wirken der Kraft äußerlich das bewirkt, was man "Leiden" nennt, weil das die einzige Schwingungsart ist, die die Materie aus ihrer Trägheit aufrütteln kann.

Der höchste Frieden und die höchste Ruhe wurden zu Trägheit und Tamas verzerrt und entstellt, und da ihr Ursprung im wahren Frieden und der wahren Ruhe lag, bestand kein Grund, daß sich das ändere. Eine gewisse Schwingung des Erwachens – eines Wiedererwachens – war nötig, um aus diesem "Tamas", das nicht unmittelbar in Frieden übergehen konnte, herauszukommen. Es brauchte etwas, um das Tamas zu erschüttern, und äußerlich drückte sich das in Form von Leiden aus.

Ich meine hier das physische Leiden, denn alle anderen Leidensformen – vital, mental und emotional – basieren auf einem Fehlverhalten des Mentals, und dies... kann man einfach der Lüge zuschreiben, fertig. Das physische Leiden jedoch ist wie ein Kind, das geschlagen wird, weil hier, in der Materie, die Lüge zu Unwissenheit wurde, das heißt, es ist kein böser Wille dafür verantwortlich. Alles in der Materie ist Trägheit und Unwissenheit: eine totale Unkenntnis der Wahrheit, des Ursprungs und der Möglichkeit, selbst eine Unkenntnis der Mittel, um materiell nicht leiden zu müssen. Diese Unwissenheit steckt überall in den Zellen, und allein die Erfahrung – die sich in diesem unentwickelten Bewußtsein als Leiden ausdrückt – kann sie erwecken und das Bedürfnis zu wissen und zu heilen, sowie die Aspiration, sich zu transformieren, ins Leben rufen.

Dies ist mir zur Gewißheit geworden, weil in all diesen Zellen eine Aspiration geboren wurde, die immer intensiver wird und die sich über den Widerstand wundert. Sie haben aber beobachtet, daß bei einer Störung der Funktion (das heißt, daß die Funktion, anstatt fließend, spontan und natürlich zu sein, zu einer mühsamen Anstrengung und einem Kampf mit etwas wird, das den Anschein eines bösen Willens erweckt, in Wirklichkeit aber lediglich ein unwissendes Zögern ist) – in so einem Moment verzehnfacht sich die Aspiration und das Rufen: die Aspiration wird konstant. Die Schwierigkeit liegt darin, in diesem Zustand der Intensität zu bleiben. Im allgemeinen fällt alles in eine Art Halbschlaf zurück, oder man läßt zumindest nach. Man nimmt die Dinge leicht, und nur wenn die innere Störung schmerzhaft wird, wächst die Intensität und hält an. Über Stunden hinweg wird der Ruf, die Aspiration, der Wille, sich mit dem Göttlichen zu vereinen, das Göttliche zu werden, ungeschwächt aufrechterhalten. Warum? Weil etwas da war, das man äußerlich eine physische Störung nennt, ein Leiden. Ohne Leiden hingegen gibt es lediglich hier und da ein kurzes Aufflackern, um dann wieder nachzulassen. Und dies ohne Ende... Wenn wir den Lauf der Dinge beschleunigen wollen (im Verhältnis zu unserem Lebensrhythmus), dann ist dieser Peitschenhieb notwendig. Davon bin ich überzeugt, denn sobald man sich in sein inneres Wesen zurückzieht, begegnet man all dem mit Verachtung (für sich selbst).

Aber wenn dann auf einmal dieses wahre Mitgefühl der göttlichen Liebe kommt und man alle diese Dinge sieht, die so entsetzlich erscheinen, so abwegig, so absurd, diesen großen Schmerz, der auf allen Wesen liegt und sogar auf den Dingen... Dann wird in diesem physischen Wesen die Aspiration geboren, zu lindern, zu heilen und dies aufzuheben. In dieser ursprünglichen Liebe ist etwas, das sich fortwährend als Eingreifen der Gnade äußert, eine Kraft, eine Sanftheit, etwas wie eine Schwingung des Trostes, die überallhin strömt, die ein erleuchtetes Bewußtsein aber steuern und auf bestimmte Punkte konzentrieren kann. Und in diesem Zusammenhang sah ich, welchen wahren Gebrauch man vom Denken machen kann: das Denken dient als Kanal, um diese Schwingung von Ort zu Ort zu tragen, überall dorthin, wo sie notwendig ist. Diese Kraft, diese Schwingung der Sanftheit ist auf eine statische Weise über der Welt da; sie drängt danach, empfangen zu werden, doch dabei handelt es sich um eine unpersönliche Aktion, und das Denken, das erleuchtete Denken, das hingegebene Denken, das nur noch ein Instrument ist und nicht mehr versucht, selber Dinge in Bewegung zu setzen, sondern vollauf damit zufrieden ist, vom höheren Bewußtsein bewegt zu werden – dieses Denken dient als Vermittler, um einen Kontakt, eine Verbindung herzustellen und zu veranlassen, daß diese unpersönliche Kraft überall dort handeln kann, wo es notwendig ist, an bestimmten Punkten.

(Schweigen)

Man kann ohne Einschränkung sagen, daß jedes Leiden immer mit seinem Heilmittel einhergeht. Man könnte sagen, daß die Heilung jedes Leidens mit dem Leiden koexistiert. Anstatt also ein Leiden als "unnütz" und "dumm" anzusehen, wie man normalerweise denkt, sieht man, daß der Fortschritt, die Evolution, die das Leiden notwendig machte und Ursache und Zweck des Leidens ist, das gewünschte Resultat erzielt, und zugleich wird das Leiden bei jenen, die sich öffnen und empfangen können, geheilt. Die drei Dinge: das Leiden als Mittel des Fortschritts, der Fortschritt selbst und die Heilung des Leidens sind koexistent und simultan, d.h. sie folgen nicht aufeinander, sondern bestehen gleichzeitig.

Wenn in dem Augenblick, wo die transformierende Aktion ein Leiden auslöst, im Leidenden die Aspiration, die nötige Öffnung besteht, wird das Heilmittel zur selben Zeit absorbiert, und die Wirkung ist total und vollständig: die Transformation mit der zu ihrem Erlangen notwendigen Handlung und zugleich die Heilung von der falschen, vom Widerstand erzeugten Empfindung. Und das Leiden wird ersetzt durch... etwas, das auf dieser Erde nicht bekannt ist, das aber Freude, Wohlbefinden, Vertrauen und Sicherheit umfaßt. Es ist eine Super-Empfindung in vollkommenem Frieden, und sie ist ganz klar die einzige Sache, die ewig sein kann.

Diese Analyse drückt sehr unvollkommen aus, was man den "Gehalt" von Ananda nennen könnte.

Ich glaube, dies ist etwas, das teilweise und sehr flüchtig durch alle Zeitalter hindurch gespürt und erfahren wurde, das sich jetzt aber auf der Erde zu konzentrieren und beinahe zu konkretisieren beginnt. Doch die physische Materie hat in ihrer zellularen Form, man kann nicht sagen Furcht, auch nicht Angst, aber doch eine Art Zurückschrecken vor neuen Schwingungen, und dies raubt den Zellen natürlich ihre Empfänglichkeit und erweckt den Anschein eines Unbehagens (kein Leiden, aber doch ein Unbehagen). Wenn diese Besorgnis durch die Aspiration und den Willen und den Akt der totalen Überantwortung ausgeglichen und geheilt wird, dann entsteht ein höchstes Wohlsein.

All dies ist wie eine mikroskopische Studie der Bewußtseinsphänomene, unabhängig von jeglichen mentalen Interventionen. Die Notwendigkeit, Worte zu benutzen, um sich auszudrücken, bringt diese Intervention des Mentals mit sich; in der Erfahrung jedoch existiert sie nicht, was sehr interessant ist, weil die reine Erfahrung einen Wahrheits- und Wirklichkeitsgehalt besitzt, der verschwindet, sobald das Mental eingreift. Aus diesem Grund gibt es eine Essenz wahrer Wirklichkeit, die sich einfach nicht in Worte fassen läßt. Es ist derselbe Unterschied wie zwischen einem Individuum und seinem Portrait, einer Tatsache und der Geschichte darüber. So ist das immer. Hier ist es nur noch viel subtiler.

Um nun also auf diesen Brief zurückzukommen: Wenn man sich dieser Kraft bewußt ist – dieser Kraft, dieses Mitgefühls in seiner essentiellen Wirklichkeit – und sieht, wie sich diese durch das bewußte Individuum praktisch auswirken kann, dann hat man den Schlüssel zum Problem.

Ich hatte Erfahrungen... 1

*
*   *

(Einige Tage später nimmt Mutter in Nolinis Anwesenheit denselben Faden wieder auf und fügt hinzu:)

Es sollte einem auch das Mittel gegeben werden, sich zu öffnen.

(Nolini:) Diese Dame, die an Krebs litt (die Lungen waren beinahe weg), begann wunderbarerweise zu genesen. Es ist wirklich fast ein Wunder. Ihr Mann ist hier und sagt: "Ich bin Chirurg und habe mit vielen Fällen dieser Art zu tun gehabt, ich kenne das. Allmählich werden die Lungen fast völlig zersetzt. Dies gleicht also einem Wunder." Jetzt geht sie schon wieder umher.

Ach, wenn man "das" erfassen könnte, könnte alles geheilt werden.

Sie ist überwältigt, sie sagt: "Ich verstehe das nicht", und der Arzt weiß, worum es sich handelt, er hat schon oft versucht, so etwas zu operieren.

Es gibt mehrere solche Fälle.

Gut.

 

1 Das Gespräch wird durch die Ankunft des Arztes unterbrochen.

Rückwärts zum Text

 

 

 

 

 

 

 

in French

in English