Mutters
Agenda
achten Band
11. Februar 1967
(Mutters "Agenda" betreffend. Satprem ordnet gerade ein dickes Bündel von Schriftstücken.)
...Jetzt, wo einzelne Abschnitte im "Bulletin" erscheinen, beginnen viele Leute, sich sehr dafür zu interessieren, und sie fragen mich: "Aber sagen Sie vielleicht nicht alles?" Ich darauf: "Alles, das ist unmöglich. Aber ich sage mehr." Und dann: "Dürfen wir es nicht erfahren?" – Niemand würde etwas verstehen.
Wenn alles vorbei ist, werden wir sehen.
Ich erzähle dir das, damit du siehst, daß es keine völlig vergebliche Arbeit ist...
Aber ich bin sicher, daß es nicht vergeblich ist, ich bin fest davon überzeugt! Ich brauche keine Ermutigung.
Es wird etwas Monumentales sein! Man sollte es lieber wie ein Monument belassen und es nicht in Stücken veröffentlichen: massiv, ein riesiger Band, und dann ... (lachend) die Leute damit erdrücken! Dann werden sie nichts mehr fragen.
Soll ich damit beginnen, eine Ausgabe vorzubereiten?
Nein, nein! Wenn ich am Schluß angelangt bin, werden wir es veröffentlichen – ich bin noch nicht soweit, bei weitem nicht.
Alle die Lektionen, die ich erhalte, sind wie Peitschenschläge, um mir zu sagen: "Voilà, mach' dich auf alle Eventualitäten gefaßt!" 1 Gut.
Es ist nicht vergeblich.
Oh, gewiß nicht! Wenn ich die alten Agendas durchlese, sobald sie getippt sind, sind sie voller Licht.
Ich weiß nicht.
Doch, doch, ich weiß es!
Wenn Sujata sie fertig getippt hat, werden wir sehen.
Durch meine Krankheit, als ich im Krankenhaus war, sind wir sehr in Rückstand geraten.
Ja, es war ein langer Zeitabschnitt, wo nichts aufgezeichnet wurde. Das wird eine Lücke hinterlassen. Ich sprach nicht, ich sagte niemandem etwas. Das bedeutet eine Lücke.
*
* *
Etwas später
Ich möchte wirklich wissen, was ich nachts anstelle. Meine Nächte waren noch nie so völlig unbewußt – ohne dich jemals zu sehen, nichts, totale Unbewußtheit.
Bei mir auch, die letzten Nächte... Und das war absichtlich: seit einigen Nächten (vielleicht seit einer Woche)... wie soll ich sagen?... gibt es keine "Ausflüge" mehr. Ich mache keine Ausflüge mehr.
Letzte Nacht bemerkte ich zum Beispiel, daß V weg war 2 (ich kehre nachts zwei- oder dreimal zum äußeren Bewußtsein zurück); natürlich sah ich die Konsequenzen und überlegte mir, was zu tun sei. Sie ging gegen zwei Uhr fort, und ich stehe jeden Tag um halb fünf auf, und ich bemerkte, daß ich diese zweieinhalb Stunden nicht geschlafen hatte (nicht "schlief", ich meine, daß ich meinen Körper nicht verlassen hatte). Ich "dachte" nicht (Gott sei Dank!), es gab nur eine Art beobachtendes Bewußtsein. Die Zeit verging mit einer so phantastischen Geschwindigkeit, daß ich selbst verdutzt war. Ich dachte, daß es noch lange dauere bis zum Aufstehen um halb fünf, doch es spielte sich ganz außerhalb der Zeit ab. Und dennoch blieb ich in meinem Körper.
Durch diesen Vorfall merkte ich also, daß ich im Begriff war, eine Art des Ausruhens zu erlernen, ohne den Körper zu verlassen. Denn in diesem Fall war ich mir sicher, daß ich "wach" war, wie man sagt, nichts, das dem Schlaf ähnelte, und ich dachte nicht nach. Es gab nur das betrachtende Bewußtsein. Aber verinnerlicht. Dann der Wille, um halb fünf aufzustehen. Einmal schaute ich zwischendurch nach der Zeit (an meiner Bettseite steht eine Uhr), es war Viertel nach drei, und ich war erstaunt, ich sagte mir: "Wie ist das nur möglich? Vor einer Minute war es erst halb drei." Dann konzentrierte ich mich ein wenig, um auch wirklich um halb fünf völlig wach zu sein. Und genau um halb fünf: "Wie ist das nur möglich? Eben war es doch noch Viertel nach drei!" Das erstaunte mich, denn ich hatte meinen Körper nicht verlassen, ich weiß, daß ich nicht geschlafen hatte, und das Bewußtsein war völlig unbewegt, fast gänzlich reglos; ein konzentriertes Bewußtsein (aber ein Bewußtsein der "Voraussicht", das sieht, was getan werden muß), einfach so, ohne Denken.
Die Zeit verlief fast augenblicklich.
Hin und wieder passiert mir das während des Tages. Ich trete in einen gewissen Zustand (es dauert nur ein, zwei Minuten), einen seltsamen Zustand: man ist voll wach und bewußt, aber gleichzeitig völlig unbewußt der Zeit und den Dingen gegenüber, die einen umgeben... nicht direkt den Dingen gegenüber, aber jedenfalls nicht auf dieselbe Art bewußt, ich weiß nicht, wie ich es erklären soll.
1 Kürzlich erkrankte Mutters Assistentin: das einzig positive Element ihrer unmittelbaren Umgebung. Sie wird ihren Dienst für Mutter im August 1970 einstellen.
2 Mutters Assistentin, die sonst immer bei ihr im Zimmer schlief, war in jener Nacht plötzlich von einem Fieberanfall ergriffen worden.