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Mutters

Agenda

achten Band

20. Mai 1967

(Mutter betrachtet eine Blume, die sie "göttliche Reinheit" nannte: Lobelia longiflora.)

Kannst du mir sagen, was göttliche Reinheit ist?... Ich weiß es nicht mehr. Was mag das bedeuten?

Dem wahren Impuls gehorchen?

Ich verstehe durchaus, wenn man von der "Reinheit des Göttlichen in den Wesen" spricht, aber "Reinheit des Göttlichen" macht für mich keinen Sinn mehr.

Die göttliche Reinheit in den Wesen bedeutet, daß sie allen Einflüssen gegenüber verschlossen sind außer den göttlichen. (Mutter zählt die Blütenblätter) Fünf Blätter...

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Etwas später

Ich sehe weiterhin einen Schwarm von Leuten, die ich nicht kenne. Mehr als die Hälfte ist vollkommen unnütz: Neugier, Eigenliebe und Eitelkeit. Nun, denn. Sie kommen nur, um sagen zu können: "Oh, wissen Sie, ich habe Mutter gesehen." Was soll's also!

Aber die kleinen Kinder sind weiterhin sehr liebenswert. Unter zehn bis zwölf Kindern ist nur etwa eines unter einem "schlechten Stern" geboren, d.h. der Vater und die Mutter waren in sehr schlechter Verfassung, als sie es zeugten. Das kommt vor. Aber die Mehrzahl der Kleinen: einfach entzückend, und einige davon: bemerkenswert.

Es ist Mode geworden, mir ein Foto der Kinder zu schicken und mich um einen Namen zu bitten, so sehe ich viele von ihnen. Ja, wirklich, im Durchschnitt ist ungefähr eines von zehn ein gewöhnliches Kind. Aber die anderen, sehr liebenswert.

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Etwas später

Mehr und mehr übt das Bewußtsein einen Druck aus, um alles Halbbewußte und Unterbewußte zu erwecken und um das Unbewußte zu erreichen; etwas senkt sich unter Druck herab (Bewegung wie ein Bohrer). Und in dem Maße, wie es hinabdringt und der Druck zunimmt, kommt es zu einer... (wie soll ich das nennen?) Überprüfung oder Gesamtschau des Bewußtseinszustandes des Wesens und aller Wesen (Geste ringsumher). Das Ergebnis ist die Wahrnehmung einer solchen Dummheit!... Während des Lebens (während man lebt, weiß man nicht einmal, was man gelebt hat), hat man den Eindruck, daß man in einem Licht ist, daß man eine Richtung empfängt und ihr folgt, kurz, daß ein Licht des Bewußtseins am Wirken ist; wenn aber dieser Druck DES Bewußtseins vorhanden ist (von oben, man könnte es das "Wahrheitsbewußtsein" oder einfach: DAS Bewußtsein nennen), erscheinen alle Dinge, die man tat, dachte, fühlte und sah, all das, was bewußte Dinge zu sein schienen... so dumm! Man muß wirklich einen sehr... (wie soll ich sagen?) nicht nur einen sehr vollkommenen Glauben haben, sondern ein sehr vollkommenes surrender machen, um nicht vom Gewicht dieser Dummheit erdrückt zu werden.

Den ganzen Morgen lang sah ich allerlei Bewegungen des Bewußtseins wieder, die Erinnerung (nicht in Gedanken oder in der Empfindung oder Anschauung sondern im Bewußtsein) an ganze Lebensabschnitte, besonders an das Leben mit Sri Aurobindo, denn damals hatte ich das Gefühl, mich auf das göttliche Bewußtsein abzustützen und unter seinem Druck zu handeln (schon zu der Zeit) – es ist interessant, daß selbst dies jetzt wie eine bodenlose Dummheit erscheint. Man fragt sich, was Sri Aurobindo – er, der bewußt war – gefühlt haben muß? Wie muß er seine Umgebung empfunden haben, all diese vielen Leute, die ihn umgaben, um ihn schwirrten und geschäftig taten... (Mutter nimmt ihren Kopf in die Hände). Man sagt sich, hätte er das Bewußtsein gehabt, das jetzt da ist (gewiß hatte er es, er hatte dieses Bewußtsein!), nun, dann war er ein Wunder an Geduld. Dies ist meine Schlußfolgerung.

Nicht wahr: ein unleugbar guter Wille, der Wille, richtig zu handeln (Mutter spricht von sich selbst), eine Haltung, die so gut wie nur möglich erschien, und bereits das Gefühl eines surrender, sowie die Bemühung, keinerlei persönliche Regungen, sondern allein den führenden Willen auszudrücken – all das, diese ganze Haltung (die damals völlig richtig erschien), mit dem jetzigen Bewußtsein gesehen!... (Mutter nimmt ihren Kopf in die Hände). Nun, es ist leicht, sich zu sagen...

Sri Aurobindo hatte gewiß dieses Bewußtsein, sicherlich, denn er sprach davon – er hatte es –, und er sah uns, wie wir um ihn herum lebten... was für eine Geduld! Welch ein Wunder an Geduld!

Der gute Wille war offensichtlich, aber es ist vor allem der Eindruck einer Dummheit, von etwas so Blindem in der Wahrnehmung.

(Schweigen)

Bei jeder neuen Herabkunft gab es, von einem gewissen Standpunkt aus gesehen, eine solche Periode: Es gab den Standpunkt der Gefühle, den Standpunkt der Gedanken usw. – einen BESTIMMTEN Standpunkt. Aber diesmal ist es der Standpunkt des Bewußtseins, und da... (wimmelnde Geste)

Sicherlich wird zwischen dem Bewußtseinszustand, der sich jetzt zu manifestieren versucht, und dem höheren Bewußtseinszustand, der sich in einiger Zeit manifestieren wird, wieder der gleiche Unterschied bestehen.

Diese Erfahrungen gehen immer vom kleinen Kreis des Individuums aus – dem Punkt, der am besten bekannt und am leichtesten zu beobachten ist –, dann beginnt es sich auszubreiten, um sich schließlich über die ganze Erde auszudehnen. Jedesmal war es so. Die Empfindung, die Wahrnehmung des Unterschieds zwischen dem, was existiert, und dem, was sein soll, ist so ungeheuer... Nur weil es das surrender gibt (das ja schon immer da war, es wurde damals nicht geleugnet, ganz und gar nicht), das allein hilft hindurchzugehen.

Die Wahrnehmung dieser ungeheuren, totalen Weisheit, die alles trägt – bewußt bis ins kleinste Detail –, die alles zu einer zukünftigen Vollkommenheit trägt (einer wachsenden Vollkommenheit, die immer in der Zukunft liegt), allein das bewirkt, daß man nicht erdrückt wird, sonst wäre der Gegensatz recht erdrückend.

Die Erfahrungen kommen immer nach einem großen Ruf der Zellen, dann, wenn sie ihre Schwäche spüren – ihre Unfähigkeit und ihren Zustand, den man im Vergleich zu der Pracht, die man anstrebt, fast einen Zustand der Schmach nennen könnte; sie spüren den Gegensatz zwischen dem, was sie sind, und dem, was sie werden möchten, um ein Ausdruck des Göttlichen zu sein... Die Erfahrungen kommen immer als eine Folge, um den zurückgelegten Weg aufzuzeigen... Aber wenn es so weitergeht, wird zwischen dem zurückgelegten und dem noch zurückzulegenden Weg noch viel Zeit vergehen.

(Schweigen)

Man muß viel Geduld haben.

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