Mutters
Agenda
achten Band
7. Oktober 1967
(Satprem berichtet Mutter von seinem Treffen mit dem Mönch)
...Er sprach mit Pavitra, anscheinend ist er interessiert an der Suche nach dem "inneren Gott" – den will er finden. Er sagte: "Die Vergöttlichung der Erde, all das ist sehr gut ..." (Mutter lacht), aber ihn interessiere vor allem die Entdeckung des inneren Gottes. Hat er dir etwas davon gesagt?
Ja, an einem Punkt sprachen wir über die Dogmen, und er meinte, all diese äußeren Dinge hätten keinen Wert für ihn; was für ihn zähle, sei der Aufstieg hier [Geste zum Herzen], die Himmelfahrt hier, die Auferstehung hier.
Das ist gut. Wenn er die Religion so auffaßt, ist es gut. Jedenfalls scheint er aufrichtig in seinem eigenen Suchen zu sein.
Er sagte mir, daß ihn die Sakramente, die Riten usw. im Grunde nicht sehr interessierten, aber er wolle sie nicht fallenlassen, weder die Sakramente noch die Riten, denn, wie er meinte: "Wenn ich sie fallenlasse, verlasse ich ihre Gemeinschaft, dann bin ich ausgeschlossen und habe kein Aktionsmittel mehr."
Möchte er etwas unternehmen?
Ja, seine Idee ist, sein Christentum zu erweitern, eine Wahrheit zu finden, und sie dorthin zu bringen.
Ah!
Er sagte sogar etwas, das ich recht christlich fand; er sagte mir: "Im Grunde habe ich den Wunsch nach totaler Weihung, nach völliger Hingabe, wie ein Märtyrer zu sein und mein Leben für diese neue Wahrheit zu geben ..." Er dürstet danach, ein Märtyrer zu sein – ein Märtyrer der Kirche.
Sri Aurobindo sagte einmal halb scherzhaft, als er sich mit den Anwesenden über das Christentum und den "neuen Christus" unterhielt: "Oh, wenn der neue Christus kommt, wird ihn die Kirche ans Kreuz nageln!"
(Schweigen)
Er ist also ehrgeizig...
Ja, offensichtlich ist es eine Art Ehrgeiz. Aber es basiert auf einer Aufrichtigkeit.
Ja, ein gutes Gefühl.
Also gut, wir werden sehen, was geschieht.
(Mutter setzt die Unterhaltung fort, während
sie Satprem eine etwas seltsame Rose zeigt,
die auf einigen Blättern rot zu werden schien,
dann aber ein blasses Gelb annahm)
Man könnte meinen, sie wüßte nicht, was sie wollte!...
Wie bei den Leuten: sie wollen eine Sache tun, und schließlich tun sie etwas anderes. Vielleicht wird es auch bei Bruder A so sein?
Jedenfalls ist er der erste, von dem ich hörte, daß er etwas ändern will; die anderen wollen das Neue ändern, um es ihrer Religion anzupassen. Er möchte das Neue bringen, um die Religion zu verändern. Das ist gut. Ein gutes Gefühl.
Warum sind die Leute von der Vergangenheit hypnotisiert?... Seltsam. Es war sehr interessant in dem Augenblick, als es kam, es war nötig; es mußte kommen, es hat sein Werk getan – aber jetzt ist es abgeschlossen.
Sie verstehen es nicht, fortzuschreiten. Sie sind so geartet, sie setzen sich nieder: "Jetzt habe ich es gefunden. Ich kann mich setzen und brauche mich nicht mehr zu rühren." (Mutter lacht)
Sri Aurobindo sagte immer: "Ich möchte nicht, daß die Leute dasselbe mit dem tun, was ich sagte ..."
Wir müssen immer weitergehen.
Er fährt fort, mir neue Dinge zu sagen, das ist sehr interessant... Erst heute morgen noch vollzog sich ein gründliches Aufräumen alles Etablierten: "Nein, noch etwas weiter, noch etwas höher, noch etwas wahrer..."
(Schweigen)
Er sprach auch über die Angst der Leute: die seines Priors zum Beispiel.
Hat er Angst?
Ja. Es ist ein sehr guter, aufrichtiger Mann, der die Wahrheit sucht, aber letztlich hat er Angst.
Ja, das stimmt.
Er sagte mir: "Der Teufel steckt nicht in der Sünde, sondern genau dort."
Ja, in der Furcht.
Trotzdem endete er mit den Worten: "Auch Sie gehören zur römischen Einheit."
Ach! Das hat man mir auch gesagt. Ein "Großer" der Kirche sagte mir: "Aber was wissen Sie denn schon? Auch Sie sind Teil der universalen, römischen Kirche." Ich antwortete (lachend): "Mir ist das egal, das stört mich nicht."
Aber sie sind eine Pest mit ihrer Kirche!
(Mutter lacht) So sind sie eben.
Rom!... Schließlich war Rom noch ein inexistenter Fötus, als es anderswo schon Jahrtausende der Weisheit gab.
Aber Rom ist nichts! Ich weiß nicht, warum man dieser ganzen Geschichte in Europa soviel Bedeutung beimißt...
Die Welt beginnt mit Rom.
Selbst in kultureller Hinsicht lag Rom weit hinter Griechenland zurück... Ich weiß nicht, warum sie alle so voreingenommen sind – aber ich glaube, das ist bei allen romanischen Ländern so.
Sie verdrehen alles.
Genau das entmutigt mich immer, denn man hat den Eindruck, man schenke ihnen all dies, gebe ihnen eine gute Substanz...
Und dann verändern sie alles.
... einfach um ihre römische Geschichte aufzublasen. Genau das stört mich.
Ja. Oh, aber sie stehen nicht allein. Scheinbar blähen sich eben alle alten Dinge auf, so sehr sie können, um nicht zu verschwinden. Heute erhielt ich von einem früheren Schüler eine Glückwunschkarte... (Mutter sucht die Karte) Es war A.C., ein Israeli, der hier lebte und dann nach England ging. In England gehörte er lange der "Sri Aurobindo Gruppe" an, dann, als der Krieg zwischen Israel und Ägypten ausbrach (etwas früher), wurde er fanatisch, ein fanatischer Israeli: "Ich will nur für Israel arbeiten." Als man ihm über Auroville schrieb, antwortete er: "Kann Auroville Israel helfen?" Solche Dinge. Gerade ist Neujahr dort unten, so schickte er mir das (Mutter zeigt eine Karte, mit sieben Kerzen, die die Welt erleuchten, und Weizenähren). Früher nannte er mich "The divine Mother" und Sri Aurobindo war "the Lord". Dann hieß es im letzten Brief "Guru" (ich bin ein "Guru" geworden) und: "I want to inform you that I have left the group" [ich möchte Sie informieren, daß ich die Gruppe verlassen habe]. Und jetzt schickt er mir diese Karte: "to the Mother... God bless you" [An Mutter... Gott segne Sie] (Mutter lacht). Es ist dasselbe! Dort gibt es nicht viele religiöse Leute, sie haben einen viel praktischeren Sinn, aber er hat ein religiöses Temperament, und jetzt ist es so (Mutter bläst ihre Backen auf), sein Judentum bläht sich auf. Die sieben Lichter und die Garbe des Wohlstandes... Ich fand es rührend: "God bless you." (Mutter lacht)
Ich erinnere mich, vor langer Zeit, ganz am Anfang (ich glaube, ich war gerade zu Sri Aurobindo gezogen), da war jemand, ich weiß nicht mehr wer... (hatte Tagore eine Schwester? 1), eine große, starke Frau, recht eindrucksvoll, die gekommen war, um einen Tag im Ashram zu verbringen, und sie sagte mir: "Warum vermieten Sie keine Zimmer an Besucher? Sie könnten zehn Rupies am Tag verdienen." (Mutter lacht) Ich schaute sie an, ich war verblüfft (sie brachte mir bei, praktisch zu sein). Zum Schluß sagte sie mir: "God bless you." Dieses Mal konnte ich mich nicht zurückhalten, und ich antwortete ihr: "Das ist schon geschehen." (Mutter lacht)
Nein, es ist überall dasselbe, a patronizing attitude [eine gönnerhafte Haltung].
Wenn sie sich dann zu klein fühlen, um sich aufzublasen, treten sie einer Religion bei und blasen die Religion auf: sie machen eine Riesensache daraus, die die Welt beherrscht.
Ach, das macht nichts. Wenn es sie amüsiert...
(Schweigen)
Was meinen diese Menschen überhaupt mit "Sünde"? Was ist denn Sünde?... Wenn man mir von Sünde erzählt, antworte ich: "Wissen Sie, die eigentliche Sünde ist, nicht göttlich zu sein."
Also leben alle in der Sünde.
Für die Katholiken bedeutet Sünde die erbärmliche Angelegenheit des Sex. Dennoch befürworten sie die Ehe. Sie segnen die Ehe, und wenn man kirchlich getraut wird, ist es für alle Ewigkeit. Wenn man in die Hölle geht, geht man zusammen dorthin; und wenn man ins Paradies geht, geht man zusammen ins Paradies – aber man kann sich nicht trennen! (Mutter lacht) Wort-wörtlich, ich erfinde nichts.
Aber ich sagte ihm: "Ihre Religion ist eine barbarische Religion."
Was erwiderte er darauf?
Er ist völlig einverstanden! Seine Idee ist, frischen Wind dort hineinzubringen.
(Schweigen)
Das ist ganz so, als wollte man einen Teich reinigen, indem man darin herumwühlt: es wird ekelhaft, alles steigt hoch... Jeden Tag gibt es zwei oder drei Dinge... na gut.
1 Es war nicht Tagores Schwester, sondern eine entferntere Verwandte, Sarala Devi Choudhurani, eine Widerstandskämpferin, die Sri Aurobindo in Bengalen kannte.