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Mutters

Agenda

neunten Band

14. Februar 1968

(Das folgende Gespräch bezieht sich auf bestimmte Schüler, die heute die Geschäfte des Ashrams leiten.)

...Das ist überaus lehrreich. Nicht, daß ich daraus etwas lernen könnte, aber es wird vollkommen klar, zwingend und einleuchtend, daß der Mensch all seine Schwierigkeiten selbst schafft. Die Dinge wären so leicht und einfach ohne all diese Reaktionen des Egos: Reaktionen des Ehrgeizes, der Eigenliebe – und dann die Selbsttäuschung, wenn es sich dort abspielt (Geste nach unten)...

Ja, diese drei Dinge: Ehrgeiz, mit dem Bedürfnis, groß in Erscheinung zu treten, zu herrschen; Eigenliebe oder Eitelkeit (verärgert sein, wenn man nicht entsprechend geschätzt wird, und sich darüber beklagen und streiten, viel Theater machen); und schließlich Geldgier, greed, Besitzgier, Habsucht – "profitieren" wollen, aus einer günstigen Gelegenheit Gewinn ziehen wollen: ich möchte verdienen, ich möchte verdienen... Durch diese drei Dinge wird alles verwirrt.

Solange sich das mit allem Freimut und in aller Unbefangenheit ausbreitet, lächelt man darüber, wenn es aber zur Verlogenheit auswächst und man sich aller Arten von Tricks bedient, um Leute hinters Licht führen zu können, und seine wahren Beweggründe verbergen will, nebst allem möglichen weiteren Ränkespiel, dann ist es untragbar.

Das verwirrt alles mit einem Schlag.

Dabei gibt es Beweise – einleuchtende, augenfällige Beweise. Man muß absolut blind sein, um sie zu übersehen. Diese Verblendung ist jedoch selbstgewollt: man möchte den Grund gar nicht wissen, man hat absolut keine Lust darauf... denn wenn man ihn wüßte, wäre man gezwungen, sich zu ändern.

So wird alles mit einem Schlag gestört.

Ach! (Mutter hebt ihre Hände in einer Geste der Hingabe)

Es ist viel leichter, zu sagen und zu glauben, daß die Welt nicht verändert werden kann und daß man sie ihrer eigenen Zersetzung überlassen soll – und sich deshalb ruhig aus dem Staub macht. Wie bequem das ist!... Wie bequem!

(Schweigen)

Du weißt, wie sehr die hinduistische spirituelle Tradition von der Vielheit der Seelen (sie nennen es nicht "Seelen") und vom göttlichen Wesen im Individuum überzeugt war – notgedrungen überzeugt war. Die Leute waren nämlich sehr logisch: Wenn es nur eine Seele gäbe, das heißt nur ein höchstes Bewußtsein, wäre die ganze Sache gelaufen, sobald sie in einem Punkt die Erfahrung der Befreiung macht (die Flucht ins Nirvana, die Entäußerung von allem, aller Illusionen über das Leben und der Schöpfung); wäre alles nur eine einzige Seele, so wäre dies das Ende. Wie es scheint, haben jedoch verschiedene Leute diese Erfahrung gemacht, und es hat nicht das geringste in der Welt verändert (zumindest nicht in der Welt als Ganzes). Also sind sie zum Schluß gekommen, daß es ebensoviele Seelen wie Individuen gibt und daß sie zwar möglicherweise dort oben miteinander in Verbindung stehen, aber nicht hier unten.

Das amüsierte mich sehr, als man es mir erzählte.

An all dem ist natürlich kein wahres Wort. Weder von der einen Seite betrachtet noch von der anderen. Das ist lediglich ein Aspekt.

Denn es gibt nichts als das EINE.

*
*   *

Etwas später

Gestern zeigte man mir das Foto eines Mannes, der der Guru vieler Leute ist. 1 Ich weiß nicht, als was er sich ausgibt, es handelt sich jedoch um einen Inder, der nach Europa und Amerika gegangen ist und Abertausende von Schülern hat, Leute, die ihm folgen, die an ihn glauben. Er sagt, es gebe nur ein Mittel, den Frieden auf Erden herbeizuführen, und das sei die vollkommene und totale Freiheit: Freiheit natürlich der Gedanken und der Moral, aber auch vitale und physische Freiheit. Das heißt, sich von allen Zwängen und Gesetzen zu befreien und nur gemäß den eigenen Impulsen zu leben. Ferner sagt er, es gebe ein "Etwas" (ich erinnere mich jetzt nicht mehr, wie er es nennt), das regiert und das alle regieren wird und das einen zu tun veranlaßt, was notwendig ist. Es sei nicht das Individuum, das entscheide, sondern "Das". Und wenn man ihn fragt: "Aber wie? Wie kann man wissen, daß es "Das" ist, wie kann man es finden?" dann antwortet er einfach: "Kommen Sie, setzen Sie sich her zu mir in Meditation, und Sie werden es wissen." Und er ist davon überzeugt, daß er damit der Welt Frieden bringen kann.

Gestern sah ich sein Foto. Im Vital ist er außerordentlich stark. Ich weiß nicht, ob es sich dabei um seine persönliche Kraft handelt oder um die Kraft der anderen, die er empfängt, denn das merkt man erst durch den unmittelbaren physischen Kontakt.

(Schweigen)

Das ist eine weitere Möglichkeit, die Sache anzugehen.

Es gibt jetzt sehr viele Leute wie ihn. Ich habe schon mit drei oder vier von ihnen gesprochen. Jeder hat Tausende von Leuten in seiner Gefolgschaft, die wahrscheinlich nicht die leiseste Ahnung davon haben, was er macht. Man hat aber den Eindruck, daß es etwas ist... was den Teig gären läßt (Geste).

Man erwischt eine kleine Ecke, einen Blickwinkel; dann hat man etwas wie ein Loch, durch das man die andere Seite betrachten kann, und damit mobilisiert man Tausende von Leuten.

Solange es nicht absolut wird, das heißt, solange der entsprechende Mann oder die Frau (wer es auch sei), der Guru eben, nicht hingeht und sagt: "Ich allein kenne die Wahrheit" (verstehst du: "Die anderen wissen nichts, nur ich habe das Wissen"), solange es nicht so ist, geht es in Ordnung. Wenn sie hinlänglich erleuchtet sind, um sagen zu können: "Ja, ich habe ein kleines Stück der Sache erwischt, hier, das gebe ich euch; und all die anderen Stückchen sind auch gut"...

Aber selbst, wenn man all diese verschiedenen Stückchen zusammensetzt, ist man noch immer weit von DER Wahrheit entfernt.

Ich hätte das Foto aufheben sollen, um es dir zu zeigen. Sein Körper lebt auch in Freiheit! Die Haare sind ungekämmt (vielleicht wäscht er sich nie!), ein Bart... sehr starke Augen.

Seltsam, die Leute, die solch einen Erfolg haben, sind immer Inder.

Na ja, es gab Rudolf Steiner, der große Macht über seine Jünger hatte, aber er war ganz entschieden eine gegnerische Kraft mit all der Macht der Asuras.

 

1 Es handelt sich um Maharishi Mahesh Yogi, der insbesondere auch die "Beatles" und einige Hollywood-Stars zu seinen Schülern zählt.

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