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Mutters

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neunten Band

4. Mai 1968

(Mutter gibt Satprem eine Blume, die sie "göttliche Reinheit" taufte, Isotoma longiflora.)

Kennst du diese Blume?

Sri Aurobindo zufolge wird die Reinheit dadurch definiert, ausschließlich unter dem Einfluß des Göttlichen zu stehen. Somit steht das Göttliche natürlich ausschließlich unter seinem eigenen Einfluß, und das ist die Reinheit!

Hast du etwas Neues von P.L. gehört?

Seine Ankunft wird heute erwartet.

Er sprach von einer "neuen Entwicklung", was kann das wohl sein?

Ich habe sehr stark den Eindruck, daß man sich seiner entledigen wollte, in dem Sinne, daß entweder der Papst nicht gewillt war, ihn anzuhören, oder eher, daß sein Freund, Monsignore R, nicht wollte, daß der Papst von ihm die Wahrheit hört.

Man kann es folgendermaßen ausdrücken: ich hatte den sehr starken Eindruck (sehr stark, während mehr als zwei Tagen), daß der Katholizismus sich wehrt, und da man P.L. im mentalen Bereich nichts anhaben konnte, entschied man sich dafür, eine Ebene tiefer zu gehen und seine Gesundheit zu ruinieren – sie wissen, wie man dies anstellt, das sind mit allen Wassern gewaschene Okkultisten.

Und er hat kein breites Gleichgewicht (weite Geste nach oben), was bewirken würde, daß all dies keine Wirkung hätte. Er ist dem gegenüber noch offen.

Er hat nicht einmal auf die elementarsten Ratschläge gehört, die man ihm gab. Man hatte ihm gesagt: "Sprechen Sie nur mit dem Papst und mit niemandem sonst." Stattdessen hat er mit allen möglichen Leuten darüber geredet. Er sprach mit Kardinal Tisserant und mit Monsignore R, folglich...

(Schweigen)

Sie klammern sich so an ihre Macht, daß sie fähig sind, auf die alten Geschichten zurückzugreifen: Exkommunikation, Inquisition und all das, allein um zu verhindern, daß die Sache in Bewegung gerät. Das ist mein Empfinden. Es ist entsetzlich. Während beim Papst tatsächlich das Bemühen bestand, weiterzugehen.

Du sagst: "es bestand"?

Was habe ich gesagt?

Du hast gesagt: das Bemühen "bestand"...

Ja, denn ich bin mir nicht sicher, ob man ihn nicht...

(Mutter verharrt schweigend)

Hast du davon gehört? Es ging das Gerücht um, daß der Papst abdanken würde. Es gab in der Presse vor einigen Tagen entsprechende Berichte. 1

Nein, das wußte ich nicht.

Es wurde schließlich dementiert, aber das Gerücht hatte sich schon sehr verbreitet.

Ja, das ist es. Und ich wußte es nicht. Das ist wirklich interessant... Ich glaube, daß da eine Räuberbande am Werk ist.

Oh, ja... J erzählte mir, daß sie, als sie in Rom war, an allen offiziellen Empfängen teilgenommen habe: all diese Prälate waren fett wie... sie tranken Champagner und Cognac... Wo ist da die Spiritualität!

(Nach einer Stille)

Die Kardinäle wollen den Papst zum Abdanken bewegen...

(längeres Schweigen)

Sie werden versuchen, so lange wie möglich Widerstand zu leisten.

Es wäre gut, wenn sich zwischen dir und ihm ein Kontakt herstellen ließe.

(Mutter nickt emphatisch) Ja, ja.

Ich bin mir darüber im klaren, und ich habe es dir auch schon gesagt: Diese Leute haben eine ziemlich umfassende Kenntnis des Okkulten, gepaart mit einem totalen Mangel an Skrupel. Ich bin absolut davon überzeugt, daß sie es waren, die P.L. krank machten. Er weiß das vielleicht nicht (wahrscheinlich weiß er es nicht), aber ich bin davon überzeugt, ich bin mir sogar sicher.

Auch hier fand ein sehr starker Angriff statt – sehr stark und direkt auf mich gerichtet. Ich habe es gesehen – ich kann nicht sagen, daß ich es zu spüren bekam, aber ich habe es kommen sehen.

Ging es von ihnen aus?

Ja.

Es war nicht allein auf mich gerichtet, sondern es traf auch andere hier... (Geste, die Atmosphäre des Ashrams andeutend). 2

Sie sind sehr gewieft.

Weißt du, es gibt nur eines, das stärker ist als sie, eine einzige Sache: der Friede des Herrn. Ich weiß nicht, ob du verstehst, was ich sagen will (ich drücke mich in Worten aus, die an ihre eigene Ausdrucksweise erinnern), aber es handelt sich um etwas... (nach oben deutende Geste einer unermeßlichen Weite)... "Dem" können sie nichts anhaben. Aber das ist auch das einzige. Und es gibt nicht viele Menschen, die wissen, wie man sich unter "Seinen" Schutz stellt.

(Mutter tritt in eine lange Kontemplation ein)

*
*   *

Wann warst du das letzte Mal hier? Vorgestern?... Vorgestern morgen, gegen fünf Uhr früh, las ich einen Brief von T.F., den zu lesen ich vorher keine Zeit hatte. Ich war ganz allein hier, tief in Konzentration. Zwei Sätze kamen als Antwort auf den Brief, und ich wollte sie aufschreiben. Ich begann also zu schreiben, und plötzlich schrieb ich mit einer ganz kleinen Schrift. Ich versuchte, größer zu schreiben: unmöglich. Also ging ich nach innen und sah mir die Sache an, und da bemerkte ich, daß es Sri Aurobindo war, der schrieb! Also ließ ich ihn gewähren.

Es ist nicht seine Schrift, aber auch nicht meine. Es ist eine Art Kombination aus beiden... Ich hatte die gleiche Erfahrung vor vielen Jahren, gleich nach dieser "Krankheit", als ich anfing, hier oben Savitri zu übersetzen. Eines Tages beim Schreiben war er es, der schrieb – es war seine Schrift, das heißt beinahe unleserlich! Also sagte ich (lachend) nein, das gefällt mir nicht! (Denn es war unleserlich – wäre es lesbarer gewesen als meine eigene Schrift, hätte ich mich gefreut.) Und ich hörte auf damit. Vorgestern aber kam es... ich weiß nicht mehr, wo ich das Papier hingelegt habe (Mutter sucht). In dem Brief schilderte T.F. ihren Eindruck, wer ich sei, und sie schloß mit den Worten: "Wenn das wahr ist und ich mich nicht täusche ..." Als Antwort darauf kam Sri Aurobindo und sagte... (Mutter versucht vergeblich, sich zu erinnern) Ich erinnere mich nicht mehr an die Worte.

Es ist seltsam, ich erinnere mich nicht mehr.

(Hier der wiedergefundene Text)

"Das göttliche Leben auf dem Weg der Evolution, das göttliche Bewußtsein am Werk in der Materie – das ist in etwa, was dieses Dasein repräsentiert."

Gleichzeitig war da die klare Sicht, das klare, scharfe Bewußtsein der ganzen Sache vom Standpunkt der irdischen Evolution aus gesehen: von dem, was in der irdischen Evolution geschah.

(langes Schweigen)

In diesen Tagen fand eine extrem INTENSIVE Arbeit der "Entpersönlichung" des physischen Bewußtseins statt... Das ergibt eine Art... (gleitende Geste). Die gesamte feste Grundlage, welche die körperliche Person ausmacht, hopp! weg, verschwunden. Und so gibt es Augenblicke der Unsicherheit. Während zehn, fünfzehn Minuten hatte ich beispielsweise eine vollkommene Gedächtnislücke. Inzwischen bin ich diese Art von Dingen gewohnt (sie kommen in Scharen), also verhalte ich mich ausschließlich dem Göttlichen zugewandt... alle Zellen sind reglos, schweigend und ausschließlich Der Kraft und Dem Bewußtsein zugewandt (Geste mit nach oben gewendeten ausgestreckten Armen), abwartend. Dies bildet eine Art Konzentration von Energie und Kraft, und plötzlich, als käme es von anderswo (und das ist eine wirklich sehr seltsame Empfindung)... Alles, was man tut, alles, was man weiß, all dies basiert auf einer Art halbbewußtem Gedächtnis, und das ist verschwunden. Da ist nichts mehr. Und es wird ersetzt durch eine Art leuchtende Gegenwart, und... die Dinge sind einfach da, man weiß nicht wie. Nicht so, als kämen sie zurück, wie sie vorher waren... sie bestehen ohne jegliche Anstrengung. Und es kommt stets nur GENAU das, was man in einem gegebenen Augenblick braucht. Nichts von all dem Gepäck, das man die ganze Zeit hinter sich herschleppt wie vorher, nichts davon: nur GENAU das, was man wirklich braucht. Man muß jedoch äußerst ruhig sein; regt man sich auf, läßt man sich auch nur ein ganz klein wenig irritieren oder strengt man sich irgendwie an, so kommt nichts mehr... Und auf der materiellsten Ebene besteht der Eindruck, daß das gesamte materielle Gleichgewicht der Vergangenheit ebenfalls verschwunden ist, und so kann in jedem Augenblick alles Beliebige geschehen... Glücklicherweise (und aus diesem Grund geschieht es wahrscheinlich) haben die Zellen einen wirklich glühenden Glauben.

Ich habe dir vorhin schon gesagt, daß ich diese Lawine von Angriffen spürte. Sie kam in sehr subtiler Form: die Unwirklichkeit der gewonnenen und akzeptierten Auffassung – die Unwirklichkeit der göttlichen Gegenwart im Körper, die Unwirklichkeit des Transformationsprozesses auf eine zunehmende Vergöttlichung der Welt hin; dieses ganze Gefühl der Unwirklichkeit schlich sich heimlich ein (Geste einer von unten aufsteigenden Welle), um die Grundlage und Stütze des Glaubens abzuschneiden.

Aber das Bewußtsein war da und die Einsicht, daß es sich um einen Angriff handelte. Es gab keinen Kampf, keinen Versuch, kein Bemühen, das Gegenteil zu behaupten, nichts, es war einfach so (Mutter öffnet ihre Arme nach oben), eine VOLLSTÄNDIGE Hingabe.

Und das... wie ich sagte, ist unantastbar.

Eine leuchtende Reglosigkeit.

Allmählich löst sich das ganze Bewußtsein der Zellen aus diesem Zugriff und ersteht neu im Licht.

Das war eine sehr interessante Erfahrung.

Der Angriff kam natürlich mit all diesen Suggestionen von Krankheit, Tod, Zersetzung, Unwirklichkeit – das ganze Gewimmel.

Es gab nicht den geringsten Versuch, dagegen anzukämpfen, nichts; einfach... (gleiche Geste der geöffneten Arme): Aspiration und Selbsthingabe.

Es ist noch nicht abgeschlossen, aber... Ich wollte erst darüber sprechen, wenn es völlig vorbei ist, aber wegen dieser Sache (die Gerüchte über die Abdankung des Papstes) überstürzten sich die Dinge, und alles wurde konzentrierter.

Wir werden sehen.

 

1 "Dankt der Papst ab?" (Vatikan, 30. April:) "Die Frage, ob der Papst abdanken wird, stellt sich mit erneuter Dringlichkeit. Dieses Thema wird nicht allein in den Kreisen des Vatikans diskutiert sondern auch unter hohen Zivilbeamten Roms. Das italienische Fernsehen soll eine Sondersendung über "die Laufbahn des Papstes" zusammengestellt haben, die im Falle seiner Abdankung sofort ausgestrahlt werden kann. Gut unterrichtete Kreise im Vatikan haben diese Gerüchte bisher nicht bestätigt, schließen diese Möglichkeit jedoch auch nicht aus." (The Hindu, 1. Mai 1968)

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2 Einige Wochen später wurde auch Satprem ernsthaft und anhaltend davon betroffen.

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