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Mutters

Agenda

neunten Band

15. Juni 1968

Mutter betrachtet eine orangene Amaryllis-Blume

Sie ist so schön... Ich weiß nicht warum, aber sie vermittelt mir immer den Eindruck einer Kirche...

Ja, genau!

Geht es dir auch so? Warum nur?... Sie ist sehr schön, ich weiß nicht warum, aber sie macht den Eindruck... einer künstlichen Anbetung!

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Satprem liest Mutter einen Brief von Sri Aurobindo vor:

"In unserem Yoga verstehen wir unter dem "Unterbewußten" jenen völlig vergrabenen Teil unseres Wesens, in dem es keine bewußt erweckten und zusammenhängenden Gedanken, Willensregungen oder Gefühle und zielgerichtete Reaktionen gibt, der aber nichtsdestoweniger auf trübe und verkapselte Weise alle Eindrücke empfängt und speichert; von daher können im Traum oder im Wachzustand alle möglichen Reize und gewohnte und hartnäckige Regungen aufsteigen, die sich auf gröbste Weise wiederholen oder sich auch unter seltsamen Formen verkleiden können. Diese Eindrücke steigen vor allem im Traum auf unzusammenhängende und unorganisierte Weise auf, sie können jedoch auch ständig in unserem Wachbewußtsein als mechanische Wiederholung alter Gedanken, alter mentaler, vitaler und physischer Gewohnheiten, oder als kaum merkliche Reize von Empfindungen, Handlungen oder Gefühlen auftauchen, die weder von unserem bewußten Denken noch von unserem bewußten Willen herrühren und die sich sogar deren Wahrnehmung, Wahl und Anordnungen widersetzen. Im Unterbewußten gibt es ein trübes Mental voll von hartnäckigen samskaras – Eindrücken, Assoziationen, fixen Vorstellungen und Gewohnheitsreaktionen –, die durch unsere Vergangenheit geformt wurden; ein trübes Vital voll von Keimen der gewohnheitsmäßigen Begierden, Empfindungen und nervösen Reaktionen; ein sehr obskurer Stoff, der beinahe alles regiert, was den Zustand des Körpers berührt. Es ist in großem Maße für unsere Krankheiten verantwortlich; die chronischen oder sich wiederholenden Krankheiten gehen in der Tat prinzipiell auf das Unterbewußte zurück, auf sein hartnäckiges Erinnerungsvermögen und seine Gewohnheit, alles zu wiederholen, was das Bewußtsein des Körpers geprägt hat. Es gilt, dieses Unterbewußte klar und deutlich von den "subliminalen" oder unterschwelligen Teilen unseres Wesens zu unterscheiden – so wie dem inneren oder subtilen physischen Bewußtsein, dem inneren vitalen oder dem inneren mentalen Bewußtsein, die in keiner Weise trübe oder unzusammenhängend und auch nicht unorganisiert sind sondern allein vor unserem Oberflächenbewußtsein verhüllt. Unsere Oberfläche empfängt beständig innere Anstöße, Nachrichten oder Einflüsse aus diesen Quellen, ohne die meiste Zeit über recht zu wissen, woher dies kommt.

Um seinen Willen im Schlaf zu behaupten, genügt es, das Unterbewußte daran zu gewöhnen, dem Willen zu gehorchen, den man ihm durch das wache Mental am Vorabend vor dem Einschlafen auferlegt hat. Es geschieht zum Beispiel sehr häufig, wenn man dem Unterbewußten den Willen einprägt, zu einem bestimmten Zeitpunkt am Morgen zu erwachen, daß das Unterbewußte gehorcht und man automatisch zur besagten Zeit erwacht. Das kann sich auf andere Bereiche ausdehnen. Nicht wenige Menschen haben festgestellt, wenn sie vor dem Einschlafen dem Unterbewußten einen Willen gegen sexuelle Träume oder Handlungen auferlegen, daß nach einer gewissen Zeit (dies gelingt nicht immer von Anfang an) eine automatische Reaktion entsteht, die sie vor der Beendigung des Traums oder selbst vor seinem Beginn zum Aufwachen bringt oder die unerwünschte Sache auf irgendeine Weise verhindert. Man kann ebenfalls einen bewußteren Schlaf entwickeln, in dem eine Art inneres Bewußtsein intervenieren kann."

Sri Aurobindo
24.6.1934 (Cent. Ed., Bd. 20, S. 353)

Jetzt erinnere ich mich wieder genau daran. Sri Aurobindo las mir die Dinge, die er schrieb, vor dem Absenden immer vor.

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Danach geht es um ein altes Gespräch aus dem Entretien vom 24. Juni 1953

Du sagst folgendes: "Eine Krankheit ist in jedem Falle – selbst wenn die Ärzte behaupten, es handle sich um Mikroben – schlicht und einfach ein Ungleichgewicht im Wesen: ein Ungleichgewicht zwischen verschiedenen Funktionsweisen, ein Ungleichgewicht zwischen den Kräften ..."

Ich weiß nicht, "ein Ungleichgewicht zwischen verschiedenen Funktionsweisen" erweckt einen rein physischen Eindruck. Für mein Gefühl fehlt da etwas, das zum Ausdruck bringt, daß es sich um ein Ungleichgewicht im PSYCHOLOGISCHEN Aspekt des Wesens oder in der PSYCHOLOGISCHEN Funktionsweise handelt...

(langes Schweigen)

Seit einigen Tagen wird der Eindruck immer deutlicher, daß Gesundheit oder Krankheit nur eine Frage der Wahl sind (um es vereinfacht auszudrücken). Eine Entscheidung, die in jeder Minute getroffen wird. Auf jeden Fall ist das für meinen Körper so.

Dies bedeutet, daß man sich von der allgemeinen Funktionsweise der physischen Substanz und des Körpers lossagt; es ist nicht mehr eine Frage von Krankheiten, die geheilt werden oder nicht, in Abhängigkeit von... anderen Gesetzen als den physischen, sondern in jeder einzelnen Minute besteht die Möglichkeit, das wahre Bewußtsein zu wählen, und wenn man es nicht tut, kommt es zu einer Störung oder einem Ungleichgewicht. Es ist stets etwas da, das der Bewegung der fortschreitenden Harmonie nicht folgen kann oder ihr mitunter nicht folgen will. Ich spreche hier von Zellen und Zellgruppierungen.

Meistens liegt es an einer Art Faulheit: etwas, das die Anstrengung scheut, keinen Entschluß fassen möchte, also die Verantwortung anderen überläßt. Auf englisch würde ich sagen, es handelt sich um the remnant, das Überbleibsel der Unbewußtheit. Eine Art Schlaffheit (Geste der Schwäche), die ein allgemeines unpersönliches Gesetz akzeptiert: man suhlt sich in der Krankheit. Gleichzeitig besteht in jeder Minute innen als Antwort darauf das Gefühl der wahren Haltung, das sich mit großer Einfachheit in den Zellen überträgt: "Der Herr ist der allmächtige Meister." Etwas in der Art: "Es hängt voll und ganz von Ihm ab. Wenn man Ergebenheit zeigen möchte, ist Er es, dem man sich ergibt." Dies sind bloß Phrasen, aber für die Zellen sind es natürlich keine Phrasen. Für sie ist es eine winzige Regung, die sich durch die Wiederholung des Mantras übersetzt. So ist das Mantra voll – voller Kraft –, und augenblicklich entsteht die Ergebenheit: "Möge Dein Wille geschehen", und eine Ruhe – eine leuchtende Ruhe –, und man sieht, daß es überhaupt keine zwingende Notwendigkeit gibt, krank zu sein oder ein Ungleichgewicht entstehen zu lassen.

Dieses Phänomen wiederholt sich HUNDERTE von Malen am Tag, in bezug auf die geringsten Kleinigkeiten.

Das erzeugt einen wachsenden Eindruck der Unwirklichkeit – der grundsätzlichen Unwirklichkeit – der Krankheiten. Deswegen sagte ich [in dem Entretien]: Es handelt sich ausschließlich um ein Ungleichgewicht. Aus Gewohnheit unterwirft man sich einer Art unpersönlichem Kollektivwillen der allermateriellsten Natur, welcher die Dinge DEM ANSCHEIN NACH regelt.

Dieser Art ist die Arbeit der letzten Tage beschaffen, und zwar ununterbrochen. Der einzige Zeitpunkt, wo das unterbrochen wird, ist, wenn ich Leute sehen muß, denn dann gibt es nur noch eins: die Gegenwart des Herrn und die Person in das "Bad des Herrn" einzutauchen. Das setzt sich fort und ist immer gegenwärtig. Selbst wenn vorher eine Schwierigkeit, ein Kampf oder Zwist zwischen den beiden Zuständen und ein Wille durchzuhalten bestand, verschwindet dies jetzt, denn darin besteht die Arbeit nicht; die Arbeit besteht darin, all jene, die zu mir kommen, in die Gegenwart zu tauchen – die unwandelbare, zuverlässige, wirkende und nahe Gegenwart.

(Schweigen)

Das würde beweisen, daß die Möglichkeit sogenannter "Krankheiten" etwas ANDAUERNDES ist, ein ständiger Zustand, in dem man sich befindet oder nicht; und dieses "man befindet sich darin oder nicht" hängt ab von... tatsächlich von vielen Dingen – vor allem von der Erinnerung, der Erinnerung an die Gegenwart und die einzigartige göttliche Wirklichkeit, und von der Art und Weise, wie man handelt. Das Leben ist eine Aneinanderreihung fortlaufender Tätigkeiten, die mehr oder weniger dauerhaft, mehr oder weniger absorbierend sind, mehr oder weniger den Eindruck von Bedeutung oder Bedeutungslosigkeit vermitteln, aber es ist eine andauernde Reihe von Tätigkeiten, und das, was man Ruhe nennt, also jener Zustand, in dem der materielle Körper verhältnismäßig bewegungslos ist, bedeutet bloß eine Tätigkeit auf einer anderen Ebene und von anderer Art. Der Zustand der Einheit, der tatsächlich VERWIRKLICHTEN Einheit, also nicht etwas, das blitzartig kommt und dann wieder verschwindet, sondern ein Zustand, der gefestigt ist und bei dem man den Eindruck der Dauerhaftigkeit hat (es sei denn, das zentrale Bewußtsein, der zentrale Wille bewegt einen, daraus hervorzutreten)... (Mutter versenkt sich in Kontemplation, ohne den Satz zu beenden.)

(langes Schweigen)

Was genau wolltest du ausdrücken?

Nach dem, was du da sagst, hat man den Eindruck, daß die Ursachen der Krankheiten rein physischer Art sind. Deshalb sollte man vielleicht irgendwo die Worte "Bewußtsein" oder "psychologisch" beifügen. Du sagst: "Es handelt sich immer um ein Ungleichgewicht im Wesen, ein Ungleichgewicht verschiedener Abläufe, ein Ungleichgewicht der Kräfte ..." Dies erweckt den Eindruck von etwas rein Materiellem.

Ausschließlich materielle Kräfte gibt es gar nicht.

Die einzige mögliche Unterscheidung wäre diejenige zwischen mehr oder weniger Bewußtsein, und nur im Ausmaß der Unbewußtheit liegt die scheinbare Materialität.

Mit dem Zunehmen des wahren Bewußtseins verstärkt sich bei mir jetzt immer mehr dieser Eindruck des Fließens und der Plastizität. Die Verhärtung scheint nur eine Folge der Unbewußtheit zu sein. Der Mangel an Fluidität und Geschmeidigkeit scheint das Resultat der Unbewußtheit zu sein. Nicht nur im Körper: dieser Eindruck gilt für alles. Durch das Wachsen des Bewußtseins entwickelt sich eine Geschmeidigkeit und Fluidität, welche die Beschaffenheit der Substanz vollkommen verändern, und der Widerstand stammt einzig vom Grad der Unbewußtheit und ist diesem proportional.

Diese ganze Art zu reden (wie in den Entretiens), dieser gewohnte Gesprächston, das erscheint... ja, eben nur wie eine Art zu reden. Es stimmt aber nicht mit der Tatsache überein. Es hat keinen Bezug zur Wirklichkeit. Es handelt sich um eine Art zu reden, eine Art zu spüren, eine Art zu sehen – einfach eine alte Angewohnheit. Aber das trifft es nicht.

Die Arbeit ist immer noch in vollem Gange, und man hat nicht genügend Abstand, um darüber sprechen zu können.

Interessanterweise habe ich, was den Körper angeht, immer mehr den Eindruck eines "Überrests", der noch unbewußt ist. Denn in dem Zustand, der mir jetzt zur Gewohnheit wird, spüre ich (materiell) die Dinge über eine Entfernung von mindestens 50 cm. Und wenn ich mich bewußt auf eine Sache oder ein Individuum konzentriere, dann spüre ich sie in diesem Bewußtsein und in diesem Individuum MATERIELL. Und wenn es sich z.B. um eine sehr unbewußte Regung handelt, dann tut dies weh. So als würde man mir einen Schlag versetzen.

Diese Tendenz wird immer stärker.

Es gibt auch immer häufiger Momente, wo ich der Bewegung folge (ich wirke dann sehr konzentriert, und die Leute glauben, daß ich schlafe, das amüsiert mich sehr!...), und die Empfindsamkeit, das Bewußtsein ist überall um mich herum ausgebreitet oder für eine bestimmte Arbeit auf einen Punkt konzentriert, aber MATERIELL – nicht auf mentale Weise (das Mental bleibt seit langem und in immer stärkerem Maße ruhig), auch im Vital ist alles sehr friedlich – also MATERIELL.

(Schweigen)

Was mir noch nicht sehr klar ist... was soll mit diesem Überrest geschehen? Für das gewöhnliche Denken der Leute handelt es sich um das, was sie "den Tod" nennen, d.h. die Zellen, die nicht in den plastischen Bewußtseinszustand eintreten können, werden verworfen. So wie die Arbeit jetzt vonstatten geht, gibt es aber keine kategorische Trennung (zwischen den bewußten und den unbewußten Zellgruppen in Mutters Körper): es handelt sich um unmerkliche oder kaum wahrnehmbare Zustandsabweichungen zwischen verschiedenen Teilen des Wesens. Also fragt man sich, wo, was, wann, wie geschehen wird?... Das wird mehr und mehr zum Problem...

Die gesamte innere Funktionsweise wird immer mehr zum Ausdruck dieses bewußten Wirkens, dieses bewußten Willens, zum Teil ist es sogar schon klar und deutlich die wahre Funktionsweise. Weißt du, man hat den Eindruck eines Rückstands, dieser Rückstand ist aber nichts, das verworfen wird: es ist etwas, das zögert, das nachhinkt, das Schwierigkeiten hat, das sich bemüht – und das sich liebendgern bessern würde: wenn z.B. an einer Stelle eine merkliche Störung besteht, ein Schmerz, dann beginnt es nicht mehr zu zappeln und sich zu sorgen und nach Heilmitteln oder Ärzten oder Eingriffen zu verlangen, nein, in keiner Weise, es verlangt nach... es macht einfach: "O Herr ..." einfach so. Das ist alles. Und es wartet ab. Und im allgemeinen vergeht der Schmerz innerhalb einiger Sekunden.

Schwierigkeiten bereitet mir das EINDRINGEN von außen: Formationen, Gedanken, Unbewußtheiten (Geste eines Gewimmels im ganzen Umkreis), Eindrücke, alle möglichen Eindrücke. Die meiste Zeit über macht das nichts, mitunter aber gibt es einen Stoß. Und das erschwert die Angelegenheit ein wenig.

(Schweigen)

Diese ganze Ausdrucksweise [in den Entretiens] ist veraltet. Man läßt es besser so, wie es ist.

Oder wenn du für die Klarheit des Ausdrucks ein Wort brauchst, setze es hinzu.

Wenn du von der Krankheit als einem "Ungleichgewicht zwischen verschiedenen Funktionsweisen" sprichst, würde ich vorschlagen hinzuzufügen: "zwischen verschiedenen Funktionsweisen des Bewußtseins"?

Es sind keine Funktionsweisen des Bewußtseins.

Denn all das macht einen rein materiellen Eindruck. Ich habe den Eindruck, man müßte ein Wort hinzufügen, das dem einen inneren Sinn verleiht.

Ja, für diesen Körper bedeutet es das, was man "rein materiell" nennen könnte: es gibt keine Einmischung des Vitals oder des Mentals. Im Normalfall mischt sich bei den Leuten das Vital oder das Mental ein – hier [bei Mutter] geschieht dies nie. Das gehört der Vergangenheit an, darum geht es gar nicht mehr. Alles spielt sich nur noch im physischen Bewußtsein ab. Für das gewöhnliche Verständnis handelt es sich um Unausgewogenheiten zwischen verschiedenen Funktionsweisen der Atmung, der Verdauung, des Kreislaufs usw. All dies ist für mich jedoch der Ausdruck von etwas anderem geworden.

Ja.

Ich kann das aber noch nicht auf eine verständliche Weise erklären.

Deshalb ist es besser, es sein zu lassen.

Wieviel Uhr ist es?

Wir können ein wenig übersetzen... Ist das Bulletin fertig?

Alles ist fertig, Mutter. Es fehlen nur noch die "Notizen auf dem Weg".

Die "Notizen" werden wir diesmal auslassen.

Es sei denn, wir nehmen das, was du heute gesagt hast?

Oh!...

Wer kann das verstehen? Ich selbst kann es nicht gut erklären.

Mir scheint, daß man etwas begreifen könnte. Ich habe den Eindruck, etwas zu begreifen. Oder täusche ich mich vielleicht?

Ach!

Es ist im Gegenteil sehr...

Ich habe immer mehr den Eindruck, mit den Leuten chinesisch zu sprechen.

Ach ja?

Ich kann es nicht erklären, sie würden das nicht verstehen. Du hingegen hast alles Schritt für Schritt verfolgt, du bist daran gewöhnt, aber die anderen verstehen nichts – kein Mensch, ich kann niemandem mehr etwas sagen.

Die Beziehungen mit den Leuten sind so anders geworden... Es ist andauernd so, wie ich dir sagte: eine Regung der Unbewußtheit, die mir einen Stoß versetzt; und manche Dinge...

Ich kann das nicht erklären, es ist nicht möglich.

Wie auch die Tatsache, daß ich mich immer mehr krümme (obwohl dies weder auf einer Erschöpfung beruht noch auf einem Mangel an Gleichgewicht noch... es hat keine materiellen Ursachen). Ich habe den Eindruck, daß der gegenwärtige Teil des Körpers (oder besser derjenige Teil, welcher der Vergangenheit angehört) schrumpft, und ich – mein Bewußtsein – umfassend wird, so weit und im Gegenteil so groß und so mächtig, aber weit weg, verstehst du... Ich weiß nicht, wie ich das erklären soll, es ist eine merkwürdige Empfindung. So als schleppte man ein altes Gepäckstück mit sich herum. 1 Es liegt nicht daran, daß es nicht will... Es ist mehr oder weniger schwierig, also dauert es mehr oder weniger lange. Das sind Nachzügler.

Die neue Seinsweise wird nur für den sichtbar sein, der selbst die supramentale Vision hat... Ich sehe alle möglichen Dinge AUF MATERIELLE WEISE, die jedoch für andere nicht sichtbar sind (Mutter blickt um Satprem herum). Es ist materiell.

Ein merkwürdiger Zustand.

Ob wir Zeit zum Übersetzen haben? Mit ein bißchen Übersetzen verschafft man sich die Illusion, man täte etwas!

*
*   *

Mutter geht zur Übersetzung eines Textes von Sri Aurobindo über:

"Diese Frage des freien Willens und der Vorherbestimmung ist die verwickeltste aller metaphysischen Fragen, und niemand war bisher in der Lage, sie zu lösen – aus dem guten Grund, daß sowohl Bestimmung als auch Wille existieren; es gibt sogar irgendwo einen freien Willen. Die Schwierigkeit besteht allein darin, zu ihm zu gelangen und ihn wirksam zu machen."

Das ist so wahr! Es ist Teil meiner gegenwärtigen Erfahrung. Ganz so, als würde man mir plötzlich irgendwo nahelegen: "Sag' doch einfach: Ich will das!" (Aber nicht mit Worten, Worte sind völlig unzulänglich). Dann gibt es ein winziges Etwas im Wesen, das so macht (Geste einer Sammlung), und... es ist geschafft. Das ist wahr. FÜR DEN KÖRPER (ich sage nicht für das Denken, nicht für die Gefühle: über all das sprechen wir ein für allemal nicht mehr), nur für den Körper sagt etwas: "Aber du mußt einzig und allein sagen: Ich will, es muß sein" (nicht in Worten), und tatsächlich macht etwas so (gleiche Geste), wie in einem blauen Licht – ein strahlendes Saphirblau –, und... es ist getan. Es ist da. Ganz einfach.

Nur kann man dies nicht erklären, denn man benutzt Worte, die eine andere Bedeutung haben. Wenn man sagte: "Du mußt nur wollen", dann würde man Unsinn reden.

Merkwürdig.

Das ist alles? Machen wir noch eine Übersetzung? Sind die nächsten Stücke lang?

Fünf und neun Seiten.

Das heben wir uns für ein anderes Mal auf.

Man wird mich aber nach all dem fragen, sie werden bereits ungeduldig. Und so denken sie (sie sind sehr höflich, sehr wohl erzogen), also denken sie: Mutter ist dabei... She is going down! [Es geht bergab mit ihr.] (Mutter lacht)

Ich tue irgend etwas, ich schreibe, oder ich höre mir etwas an, und plötzlich trete ich in ein Bewußtsein ein, in dem ich all die veränderten Beziehungen sehe und dann eine Art Macht, die sich dartun möchte; das ist so interessant, daß ich, anstatt mit dem weiterzufahren, was ich gerade tue, der Bewegung folge... "Sieh mal, Mutter schläft wieder ein!" Ich lese ihre Gedanken und Reaktionen so deutlich wie den hellen Tag... Ich bin natürlich höflich und sage ihnen nichts. Wäre ich nicht so höflich, gäbe es Katastrophen.

Aber wenigstens wird es jemanden geben, der weiß!

Was ich gern wissen möchte... (ich beginne mich für diese Frage zu interessieren, ich schaue mir das an): Dieser Rückstand... (Mutter unterbricht sich). Aber das ist gar nicht das Problem, alles ist eine Frage DER ZEIT. Mit der Zeit (Sri Aurobindo sprach von dreihundert Jahren), mit der Zeit wird sich ALLES verändern können. Aber es gibt diese Flut von Gewohnheiten und die einfache Lösung, die darin besteht, dies zu nehmen (Mutter weist auf ihren Körper wie auf ein altes Kleidungsstück) und es fallenzulassen: "Geh, ich will dich nicht mehr!" Das ist widerlich. Weil es sich nicht schnell genug ändern kann, wirft man es weg und sagt: "Geh! Geh, ich will dich nicht mehr, geh deiner Zersetzung entgegen!" Das ist widerlich.

Und ich SPÜRE die Atmosphäre. Das ganze Kollektivdenken, Leute, die mir schreiben: "Ich hoffe, daß Sie noch lange leben werden"! (Mutter lacht) All die gewohnten Dummheiten. Weißt du, sie sind so voller idiotischen guten Willens... das schafft eine schwierige Umgebung.

Ich betrachte diesen Körper; manchmal sagt er (mitunter, wenn die Verständnislosigkeit zu groß wird, wenn die Umwelt allzu verständnislos ist): "Ach, laß mich gehen!" Er sagt mir ("er", was eigentlich? das, was noch unbewußt ist, zu unbewußt und nicht hinlänglich empfänglich), er sagt: "Gut, laß mich, sei's drum, laß mich gehen!" Nicht aus Ekel, nicht aus Erschöpfung sondern... Es ist wirklich herzerweichend. Also sage ich ihm (im Tonfall, wie man mit einem Kind spricht): "Nein, nein, nein!"

Es ist einfach ein Frage der Geduld, eine bloße Frage der Geduld.

(Schweigen)

Was wird geschehen?

Ich weiß nicht. Wir werden sehen.

Auf jeden Fall wirst du es wissen.

Du wirst ihnen sagen können (lachend): "Es ist nicht so, wie Ihr denkt... " Ich würde es ihnen ja selber sagen, aber sie werden mich nicht hören. 2

Ich weiß nicht... ich weiß nicht, was passieren wird. Was wird geschehen? Weißt du es?

Eines Tages wird es herrlich sein.

(Schweigen)

Wenn man etwas zum ersten Mal macht, kann kein Mensch es einem erklären.

Wir werden sehen.

 

1 Später fügte Mutter hinzu: "Ja, ein altes Gepäckstück. Es liegt nicht daran, daß es sich der Veränderung verweigert, darum geht es nicht. Es braucht nur ZEIT."

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2 Als Satprem es ihnen zu sagen versuchte, wollten die Ashramverwalter diese Agenda zensieren, und sie verbannten Satprem aus dem Ashram.

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