SITE OF SRI AUROBINDO'S & MOTHER'S  YOGA
      
Home Page | 09 Bande

Mutters

Agenda

neunten Band

29. Juni 1968

Hast du keine Neuigkeiten von P.L.?

Ich habe einen Brief erhalten, der von seiner guten Ankunft berichtet, und er sagt, daß er am gleichen Tag um 10 Uhr morgens dringlichst zum Vatikan gerufen wurde.

Sonst hat er nichts gesagt?

Seither ist kein weiterer Brief gekommen.

Das heißt, er hat nicht über das Ergebnis gesprochen.

Und wie durch Zufall reiste Monsignore R am Tag seiner Ankunft nach Spanien ab. Sie haben sich nicht getroffen.

Ich glaube nicht an Zufälle!

*
*   *

Später

Es ist eine ununterbrochene Erfahrung, Tag und Nacht, und so dicht, so intensiv... unmöglich zu beschreiben.

So als machte ich in jeder Minute eine neue Entdeckung.

(langes Schweigen)

Jede Minute eine Entdeckung. Eine enorm beschleunigte Bewegung. Und weißt du, wodurch dies ausgelöst wurde? Durch den Text von Sri Aurobindo, den du mir neulich vorgelesen hast, wo er sagt, daß die Angst vor dem Tod im Menschen auf die Erinnerung des Tieres zurückgeht. Das hat geradezu ein Tor geöffnet.

Es ist wie eine Studie – eine sehr stark beschleunigte Studie einer jeden Minute, so (lawinenartige Geste) – vom Standpunkt der Arbeit aus, d.h. in bezug auf den Zweck der physischen Existenz in einem Körper und die Nützlichkeit der physischen Gegenwart: eine absolut klare, in allen Einzelheiten genaue Sichtweise dessen, was real ist, und dessen, was illusorisch ist, dessen, was wirklich notwendig ist, und der Dinge, bei denen es sich nur um Einbildung handelt (sowohl bei den anderen als auch bei einem selbst). Ich bräuchte aber Stunden, um all das zu erzählen... Dazu (vielleicht als Basis?) die Wahrnehmung im Bewußtsein (aber eine detaillierte Wahrnehmung – ich möchte nicht sagen der Gedanken, denn es hat nichts mit Ideen oder Prinzipien usw. zu tun: es handelt sich in keiner Weise um eine mentale Übertragung), die Wahrnehmung dessen, was in der Arbeit die körperliche Gegenwart erfordert oder darauf angewiesen ist (ich sage aus gutem Grunde nicht "physisch", denn es gibt eine vom Körper unabhängige subtilphysische Gegenwart), die körperliche Präsenz. Und dann, gleichzeitig, eine so klare, so genaue und detaillierte Sicht der Beziehung, die jeder mit seinem Körper hat (eine Beziehung, die alles auf einmal ist: Gedanken, Gefühle, physische Reaktionen), und daß es dies ist, was den Eindruck der Notwendigkeit einer körperlichen Gegenwart vermittelt – es vermittelt auch ihr Ausmaß. Und dann gleichzeitig die Wahrnehmung der WAHREN Nützlichkeit der physischen Gegenwart wie auch der Reaktion in den Individuen... das ist eine ganze Welt! Eine ganze Welt aufgrund der ungeheuren Menge an Einzelheiten. Eine Welt, die sich in jeder Sekunde entwickelt. Und dies wird begleitet von einer inneren Wahrnehmung, zunächst der Wirkung, die das auf die Zellen hat, und ferner, daß der Zusammenhalt jetzt wirklich das Ergebnis eines höchsten Willens ist, und zwar in dem Maße, wie es notwendig ist... sagen wir für die Erfahrung oder die Arbeit (ganz gleich was: man mag es nennen, wie man will). Das heißt, es gibt den Aspekt des Fortschritts der Zellen als Körpergebilde. Es besteht kaum noch – nur in sehr geringem Ausmaß – der Eindruck einer Persönlichkeit oder einer physischen Individualität, darum handelt es sich fast gar nicht mehr; ebensowenig ist es eine Gewohnheit des Zusammenhalts, denn innen ist es sehr fließend: in der Tat wird es von einem höheren Willen für einen bestimmten Zweck zusammengehalten, aber auch dies bleibt fließend – nichts ist fest.

(Schweigen)

Da müßte man eine ganze Welt von Dingen erzählen, um es klar und deutlich zu machen, und das ist nicht möglich.

Die innere (oder höhere) Organisation der Umstände, der Gefühle, der Empfindungen, der Reaktionen in den Menschen, die sich für "Personen" halten, gewinnt sicherlich an Präzision und geht einem wohl definierten Ziel entgegen – man könnte sagen "ein Fortschritt des Bewußtseinsgehalts", d.h. die Ausweitung und Aufklärung des Bewußtseins. Ich beschreibe dies aber vom falschen Ende her (d.h. ich beschreibe es so, wie man es versteht); in Wahrheit ist es so: Das Bewußtsein leistet eine besondere Arbeit an den Instrumenten seiner Manifestation (Geste eines Durchknetens), um sie klarer, genauer, durchlässiger und vollständiger zu machen. Wenn das Bewußtsein sich ausdrückt, geschieht dies durch Instrumente, die seine Ausdrucksfähigkeit enorm verdunkeln, verwirren, vermischen und vermindern; und die Arbeit besteht eben darin, diese reiner zu machen – durchlässiger, heller, direkter, weniger vermischt –, sie unentwegt auszuweiten... und sie gleichzeitig immer transparenter zu machen, den verwirrenden Nebel aufzulösen – damit sie durchlässig, hell und sehr weit werden.

Die Bewegung beschleunigt sich: die große Arbeit der gesamten Schöpfung, um bewußt zurückzukehren ("zurückkehren" ist noch so ein idiotisches Wort, "sich zuwenden" wäre besser), um bewußt wieder Das zu werden, sich wieder damit zu identifizieren, ohne aber die ganze Arbeit der Entwicklung und des Aufstiegs zu verlieren sondern... gleichsam eine Vervielfachung der Bewußtseinsfacetten, wobei diese Vielfalt immer zusammenhängender, organisierter und sich selbst bewußter wird.

Die Individualisierung ist nur ein Mittel, um die unzähligen Einzelheiten des Bewußtseins komplexer, verfeinerter und zusammenhängender werden zu lassen. Und "Individualisierung"... man darf dies nicht mit dem physischen Leben gleichsetzen: das physische Leben ist nur EINES der Mittel dieser Individualisierung, mit einer solchen Zerstückelung und einer solchen Begrenzung, die zu einer Konzentration zwingt, welche die Einzelheiten der Entwicklung intensiviert; ist dieser Zweck einmal erreicht, besitzt sie keinerlei dauerhafte Wahrheit mehr.

(Mutter tritt in eine lange Kontemplation)

Was wolltest du mir sagen?

Du sagst, daß diese Individualisierung keiner "dauerhaften Wahrheit" entspreche...

Diese Individualisierung in ihrem Gefühl oder ihrer Wahrnehmung oder ihrem Eindruck, ihrer Empfindung einer abgetrennten Individualität entspricht keiner dauerhaften Wahrheit, nein. Sie bleibt bestehen (wie soll man sagen?) in all ihrer Macht und Erkenntnis, jedoch mit einem Gefühl der Einheit. Das ist ein erheblicher Unterschied. Es besteht eine vollkommen klare Wahrnehmung dessen, was im Bewußtsein der Individuen auf die Falschheit der Trennung zurückgeht; und es gibt immer etwas, das bleibt, obwohl es sich mitunter fast vollständig verflüchtigt (in außergewöhnlichen Fällen oder bei außergewöhnlichen Wesen). Das Gefühl der Trennung jedoch verschwindet vollkommen.

Man müßte zu vieles sagen, um irgend etwas erklären zu können.

(Kontemplation)

Ein anderes Mal kann ich mehr sagen.

Ist die Zeit um?

Ja, es ist elf Uhr dreißig.

Hast du keine Fragen?

Ich fragte mich, ob man auf der anderen Seite, wenn man sozusagen tot ist, nicht trotzdem ein gewisses Handlungs- oder Wirkungsmittel verliert?

Ja. Aber nicht so erheblich, wie man annehmen könnte. Zum Beispiel habe ich in der letzten Zeit versucht, nichts zu sagen, sondern stattdessen eine starke Formation zu bilden – dies gelingt sehr gut. Anstatt zu sagen: "Bring mir das und das" oder "Tue das und das für mich", einfach eine starke Formation bilden. Das geht ausgezeichnet. Und diese Formation ist in keiner Weise vom Körper abhängig. Das Bewußtsein ist nicht auf den Körper angewiesen, um Formationen zu bilden.

Aber die Materie braucht doch die körperliche Präsenz, um sich zu transformieren.

Ja, darauf läuft es hinaus.

Dies kann Sri Aurobindo nicht tun.

Sri Aurobindo arbeitet UNUNTERBROCHEN.

Ja, aber diese Transformation der Materie kann er nicht vollziehen.

Nein, das kann er nicht. Das hat sich natürlich aufgelöst.

Man könnte das die individuelle Arbeit nennen. Nur, in welchem Maße kann diese Transformation umfassend sein? Das ist die Frage. Ich stelle fest, daß die Arbeit offensichtlich sehr beschleunigt wurde, trotz alledem hat man aber den Eindruck, daß die schiere Menge der für die Transformation notwendigen Erfahrungen so ungeheuer ist, daß... die beschränkte Lebensdauer zu kurz ist. In dieser Hinsicht... Ich habe dir bereits mehrmals gesagt, daß für meinen Körper... (und dies ist kein bloßer Eindruck sondern eine sehr klare Wahrnehmung), daß bereits ein gewisses Ungleichgewicht oder eine Störung (die allem Anschein nach winzig und völlig nichtssagend sein mag) die Auflösung herbeiführen kann. Der Körper hat den Eindruck, daß schon eine Kleinigkeit die Auflösung bewirken kann und daß allein der Wille von oben den Zusammenhalt gewährleistet und verhindert, daß es so weit kommt. Allein Das entscheidet... Die ersten dreißig (fünfundzwanzig bis dreißig) Jahre meines Lebens lebte ich mit der Empfindung, daß NICHTS den Körper auflösen könne; wenn eine Störung eintrat, kam alles ganz selbstverständlich wieder in seine Ordnung, damit es weiterging. Das war ein sehr starkes Gefühl. Danach kam ein Zeitabschnitt, in dem es weder zur einen noch zur anderen Seite neigte. Und jetzt kommt allmählich die Wahrnehmung, daß die GERINGSTE Kleinigkeit dafür ausreichen würde und daß einzig und allein der HÖCHSTE Wille (nicht einmal der höhere sondern der höchste Wille) die Auflösung verhindert. Es hängt einzig und allein von Dem ab.

Und es ist so, wie du sagst, nur insofern als diese Gegenwart nützlich und unabdingbar für einen bestimmten Aspekt der Arbeit ist, wird sie erhalten. Dabei spielt die Länge, das Wann, Wie und Was überhaupt keine Rolle: "Es ist wie Du willst." Die ganze Zeit, in allen Zellen, bei allen Tätigkeiten, andauernd: "Was Du willst, Herr." Die ganze Zeit. Es gibt keine Fragen. Keine Fragen. Nur eine Feststellung der Tatsache, eine sehr deutliche Wahrnehmung der Tatsache, daß allein der höchste Wille die Dinge so weitergehen läßt, wie sie es tun.

Der Schluß daraus läßt sich sehr leicht ziehen: solange Er es will, wird es so sein; wenn Er es anders wünscht, wird es anders sein. Das ist alles. Und gleichzeitig wird uns die Lektion beigebracht, verstehst du: eine immer klarere Wahrnehmung, daß der Bereich des Unentbehrlichen bei weitem nicht so groß ist, wie man annehmen könnte... Für mich ist Sri Aurobindos Gegenwart ÄUSSERST wirksam – aktiv.

Interessant ist, wie für diesen Körper in den allergeringsten Details das Maß ersichtlich wird, inwieweit die Gegenwart tatsächlich eine echte Wirkung zeitigt und notwendig ist, und inwiefern sie nicht notwendig ist. Das präzisiert sich in den geringsten Details.

Die Zellen haben keine persönliche Wahl; ihre Haltung ist tatsächlich die folgende: "Was Du willst, was Du willst ...", bei absolut allem. Mit nur einem einzigen wachsenden und sich intensivierenden Gefühl, das immer zuverlässiger und ununterbrochen wird, und zwar daß die einzige Stütze der Höchste Herr ist – es gibt nichts als Ihn, nichts als Ihn. Und das innen, im Körper.

Gleichzeitig die sehr genaue Wahrnehmung... Du weißt, was ich vor Jahren auf eine Frage geantwortet habe. Man fragte: "Was ist Reinheit?" Und ich antwortete: "Reinheit heißt, ausschließlich unter dem Einfluß des Höchsten Herrn zu stehen und nichts als Ihn wahrzunehmen". Ein oder zwei Jahre später fand ich in einem englischen Text von Sri Aurobindo einen Satz, der genau dasselbe in anderen Worten sagte 1 (ich hatte das nie zuvor gelesen, ich kannte es nicht). Diesen selben Satz las ich gestern abend (ich habe einen Kalender mit Zitaten von Sri Aurobindo)... Die Zellen werden immer reiner, und in dem Maße, wie sie das nicht sind, wird klar und auf absolut präzise und lautere Weise angezeigt, wie mit einer Nadelspitze, an welchem Punkt sie nicht rein sind. Und das tut weh! Das hängt immer mit einem Schmerz zusammen – während äußerlich derselbe physische Zustand herrscht. Nimm zum Beispiel die bloßgelegten Nerven eines Zahns; normalerweise sollte das andauernd weh tun, aber es gibt Augenblicke, wo es (auf beinahe allgemeine Weise) nicht weh tut, und in den Momenten, wo die Reinheit nicht vollständig ist, uff, tut es entsetzlich weh... Und in einigen Sekunden mag es wieder vergehen. Folglich hängt alles ausschließlich von Dem ab – alles. Das ist der konkreteste Beweis!

 

1 "Reinheit bedeutet, keinen anderen Einfluß zu akzeptieren als denjenigen des Göttlichen." (Lights on Yoga, S. 39)

Rückwärts zum Text

 

 

 

 

 

 

 

in French

in English