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Mutters

Agenda

zehnten Band

19. Februar 1969

(Das Gespräch beginnt mit einer Stunde Verspätung)

Man muß das Leben als Gnade nehmen, sonst ist es unmöglich zu leben.

(Schweigen)

Ich wollte dir etwas sagen, aber... Ich habe gerade mehr als dreißig Leute empfangen.

(Schweigen)

Ich bin voll davon überzeugt, daß die Dinge so sind, wie sie sein sollen, und daß es dem Körper lediglich an Plastizität, Gelassenheit und Vertrauen fehlt... Ich kann nicht einmal sagen, daß etwas reibt (es reibt überhaupt nicht), aber... Die Arbeit besteht darin, die bewußte Grundlage aller Zellen zu ändern – aber nicht alle auf einmal, denn das wäre unmöglich. Selbst Schritt für Schritt ist es sehr schwer: der Augenblick des Übergangs der bewußten Basis ist... In den Zellen entsteht beinahe eine Panik und der Eindruck: "Ach, was wird geschehen?" Und da noch sehr viele Zellen... In gewissen Augenblicken ist es schwierig. Der Übergang vollzieht sich gruppenweise, fast in Zellgruppen bestimmter Körperfunktionen oder von Teilen davon, und manche sind etwas schwierig. Weil es so neu ist, weiß ich nicht, ob es leichter wäre, wenn ich nicht arbeiten müßte. Wahrscheinlich nicht, denn das Schwierige ist nicht so sehr die Arbeit sondern eher die allgemeine Haltung der anderen. Die Einstellung der Mitmenschen stellt im Augenblick des Übergangs eine kollektive Unterstützung dar. In dem Augenblick, wo das Bewußtsein, das die Zellen gewöhnlich unterstützt, erlischt, damit das andere an seine Stelle treten kann, brauchen die Zellen die Unterstützung der... (wie soll ich sagen?) Was sich in den Leuten durch ein Bedürfnis nach der Gegenwart ausdrückt, aber das ist es eigentlich nicht... Worauf es wirklich ankommt, ist eine Art Zusammenarbeit der kollektiven Kräfte. Es erfordert nicht viel, es ist nicht unerläßlich, aber in einem gewissen Ausmaß hilft es. In einem bestimmten Augenblick entsteht so etwas wie eine Angst – man ist irgendwie in der Schwebe. Das dauert vielleicht nur einige Sekunden, aber diese wenigen Sekunden sind schrecklich. Heute morgen erlebte ich das wieder... Ich erinnere mich, an den Darshantagen wollte Sri Aurobindo nicht, daß ich Arbeit für die anderen verrichte (sie empfange, Briefe lese, antworte, all das), aber er war ja da, er gab die Unterstützung. Denn ich sehe, daß diese Arbeit vor sehr langer Zeit begann (auf eine unterschwellige Weise, sehr wenig bewußt), aber jetzt ist sie in full swing [auf vollen Touren]. Dabei werden die Zellen von einer kurzen Panik erfaßt... Meistens genügen einige Minuten der Konzentration, aber das führt zu einer Art Ermüdung – eine Mattheit in den Zellen, ein Bedürfnis, nichts tun zu müssen. Und so geht es: (Mutter deutet auf die Uhr, es ist schon elf).

Wenn ich nicht gewußt hätte, worum es geht – wenn der Körper es nicht wüßte –, hätte ich mich normalerweise einfach hingelegt und niemanden empfangen. Aber das Bewußtsein war da, um zu sagen, daß die Unannehmlichkeit [dieser Sekunden des Übergangs] unangenehmer gewesen wäre als die Tatsache der Ermüdung.

Einige Tage nach Amritas Ableben 1 waren sehr schwierig, denn eine ganze Gruppe von Leuten sagte sich: "Ach, man stirbt hier also doch!" So geht das.

Aber der Körper lernt mehr und mehr, daß das, was geschieht (das, was in jeder Sekunde geschieht) das Beste ist, was unter den allgemeinen Bedingungen geschehen kann. Davon ist er vollkommen überzeugt. So begnügt er sich damit, sich so zu verhalten (Geste der Hingabe) und zu sagen: "Möge Dein Wille geschehen!" Das ist alles. Wenn er dies auf beständige und sehr friedliche Weise aufrechterhalten kann, geht alles gut. Erst wenn er versucht, das Warum und Wie zu erfahren, wird es schwierig. Er muß so sein (gleiche Geste der Hingabe): "Möge Dein Wille geschehen!" Dann geht es. Er verlangt nicht zu wissen, doch er hat noch die alte Gewohnheit.

Im kritischen Augenblick (es gibt kritische Augenblicke), da füllt sich diese "Hingabe" mit Licht und mit Kraft (es ist sogar mehr als Hingabe: die totale Aufgabe von allem, von seiner Existenz und allem). Das ist die Antwort.

(Schweigen)

Hast du Neuigkeiten?

(Satprem zeigt Mutter das Manuskript seines Romans Der Sannyasin, das nach Paris geschickt werden soll. Mutters Bemerkungen sind nicht erhalten geblieben.)

(Schweigen)

Der Körper ist sich seiner Gebrechlichkeit sehr bewußt – und der Gnade. Es gibt zum Beispiel sehr schmerzliche und schwierige Augenblicke, aber er weiß GENAU: dies liegt nur an seiner eigenen Unfähigkeit, sich zu öffnen, sich hinzugeben und sich zu verändern. Und so entsteht eine tiefe, sehr ruhige, SEHR WEITE Freude – die Zellen haben den Eindruck einer Ausweitung. Das nimmt allmählich zu. Nur bei einem physischen Schmerz oder irgend etwas Einschneidendem muß er sich noch verkrampfen, ansonsten... Und selbst das stammt von diesem dummen Überlebensinstinkt (Mutter lacht), der im ganzen Zellbewußtsein verwurzelt ist – er weiß es. Er weiß es. Das ist eine alte Angewohnheit. Aber es ist dabei, sich zu ändern (all das ändert sich Schritt für Schritt, und im Grunde geht es relativ schnell).

Alle Zellgruppen und Funktionseinheiten von Zellen müssen ihre... "Unterwerfung" vollziehen – nicht direkt "Unterwerfung" aber eine totale Hingabe in einem totalen Vertrauen. Das ist unerläßlich. Für einige ist dies eine spontane, unvermeidliche und beständige Bewegung; bei anderen kommt es erst, sobald eine Schwierigkeit auftritt; wieder andere müssen etwas durchgearbeitet werden, damit sie lernen. Die verschiedenen Funktionen werden eine nach der anderen drangenommen, in einer wunderbar logischen Reihenfolge, entsprechend der Funktionsweise des Körpers. Das ist etwas Wunderbares, nur... dieser Körper ist ein armes Ding, sehr arm; das ist wirklich wahr.

Manche wiederholen sogar spontan das Mantra (das habe ich dir schon erzählt). Spontan wiederholt sich das Mantra, manchmal mit sehr großer Intensität; zuweilen spüren sie eine Art... (kennst du das englische Wort shyness?), eine Schüchternheit, das Göttliche anzurufen, so stark wird Das empfunden. Aber das schmilzt – es schmilzt in der bewußten Wahrnehmung einer solchen Nachsicht! Unglaublich – unvorstellbar, das ist etwas so Wunderbares... (die Güte ist nur eine winzig kleine menschliche Manifestation davon und eine Entstellung). Es ist ein Wunder! Die Zellen geraten in Ekstase angesichts dieser Schwingung... Dann sieht und hört man dieses GESCHREI des Protests, des Unglücks, des Leidens – ein Geschrei auf der ganzen Erde –, und das beschämt sie ein wenig.

(Schweigen)

Seine Arbeitsweise (das erwähnte ich, glaub ich, schon ein- oder zweimal) läuft wie Geschichten ab, basierend auf Erfahrungen, Erinnerungen und winzig kleinen schlummernden Dingen, die man schon verschwunden glaubte und die wieder auftauchen, damit die Erfahrung konkret wird. All das läuft ab, und gleichzeitig besteht die menschliche Empfindung, die menschliche Sicht, das menschliche Verständnis (selbst das spirituellste, könnte man sagen), und dann... dann diese mächtige Gegenwart. Diese Gegenwart bringt das WAHRE Verständnis... Etwas Wunderbares.

(Schweigen)

Dem Körper ist klar, daß Das – dieses Bewußtsein – genau weiß, ob er weiterbestehen wird oder nicht. Ihm selbst wurde noch nie etwas gesagt, und er weiß (er spürt beide Möglichkeiten in gleicher Weise, als gleichwertige Gewißheiten, und mit derselben Akzeptanz), er weiß, daß dies die günstigste Bedingung für die Arbeit ist, und er verlangt nichts... Um ihn herum herrscht Besorgnis (jeglicher Art), angefangen von Beängstigung beim Gedanken, ob es möglich ist (das liegt in der Luft), bis zu einer Hast, daß das Ende kommen möge (das kommt auch vor). Aber der Körper selber hat jetzt gelernt, diesen Reaktionen VÖLLIG gleichgültig gegenüberzustehen – absolut. Er lächelt. Er lächelt mit diesem wohlwollenden Lächeln [des Bewußtseins des Übermenschen]: er hat das gleiche Lächeln. Und er sieht, er weiß, er fühlt, woher das kommt [die Besorgnis und die "Hast"], er ist sich dessen völlig bewußt. Im Grunde ist das alles sehr lustig. Da gibt es die ganze Spannweite, alle Stadien von der Furcht (der halbbewußten, blinden Furcht) bis... (Mutter lacht) zum ungeduldigen Verlangen: "Endlich frei!" – "Endlich frei, alle Dummheiten zu machen, die ich will ..." Davon scheint es nicht viele zu geben, aber doch einige 2 . Die beiden Gegensätze blinder Dummheit treffen zusammen. Der Körper ist sehr bewußt geworden: er ist sehr empfindlich gegenüber dem, was von den Leuten kommt. Das hatte er vorher nicht, aber jetzt spürt er alles.

Er wird unterstützt, ihm wird geholfen: dieses Bewußtsein des Übermenschen, das gekommen ist, hilft ihm sehr, er spürt alles durch dieses Bewußtsein hindurch, und das hilft ihm sehr. Manchmal tritt jemand ein und bringt ein kleines akutes Unbehagen mit. Wenn der Körper dies gespürt hätte, ohne zu wissen, was es ist, wäre es schmerzhaft gewesen; jetzt kann er lächeln und warten, um zu entdecken, warum es so ist (Mutter macht eine Bewegung, als verfolge sie den Ursprung der Schwingung, die das Unbehagen hervorrief). Bei anderen hingegen füllt sich die Atmosphäre sofort mit der Gegenwart dieses Bewußtseins (das ist neu und sehr interessant), und der Körper fühlt sich einfach wohl und ausgeruht.

Vorher hatten viele Dinge ein Fragezeichen: "Warum ist das so?" Jetzt weiß er, beginnt zu wissen, warum – das ist amüsant. Und er beginnt zu wissen, seitdem er völlig entsagt hat und weder daran festhält, fortzudauern noch aufzuhören, weder das eine noch das andere, einfach so (Geste der Hingabe): "Was Du möchtest, Herr; wenn Du möchtest, daß es so ist, wird es so sein; solange Du möchtest, daß es nicht so ist, wird es nicht so sein." – Das hat überhaupt keine Bedeutung.

(Mutter sieht lachend auf die Uhr)

Ich bedaure sehr! Ich bedaure, aber was soll ich tun?... Die äußere Organisation ist so.

 

1 Am 31. Januar 1969. Er kümmerte sich um die Finanzen des Ashrams. Offenbar wurde mit dem Weggang Bharatidis (am 7. November 1968) etwas ausgelöst, denn jetzt folgte Amrita, dann Pavitra (am 16. Mai) und Satyakarma (Mutters Schatzmeister)... Wir erinnern uns an eine Vision von Sri Aurobindo, in der mehrere seiner Zehen, das heißt mehrere Personen, abgeschnitten worden waren. Siehe Agenda Bd. 8, vom 5. Juli 1967.

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2 Es wird mehr und mehr davon geben. Drei Monate später, am 10. Mai wird Mutter sagen: "Sie sind überall!"

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