Mutters
Agenda
zehnten Band
P.L. schreibt folgendes:
"... Meine Arbeit bleibt die gleiche: Es fällt mir schwer, den Leuten meine Ideen verständlich zu machen. Man hält mich für einen "Erleuchteten" (denke ich, aber niemand spricht mit mir darüber, denn eine Kraft beschützt mich). Unterdessen beginnen die Dinge am Vatikan, im Zentrum der Kirche, sich zu ändern. Der Kampf der neuen Kräfte gegen die traditionellen Kräfte ist jetzt sehr stark. Wenn der Papst akzeptiert (seine Umgebung ist dagegen), am 10. Juni nach Genf zu reisen, um an der Versammlung der protestantischen Kirchen teilzunehmen, und bestätigt, daß wir nicht "die einzigen Wahrheitsträger sind", wird das, glaube ich, ein großer Schritt nach vorn sein. Wird er den Mut haben, zu akzeptieren, daß andere religiöse Bewegungen auch eine legitime Suche verfolgen? Oder wird er an der Behauptung festhalten, daß "extra ecclesia non est salus", daß die katholische Kirche der einzige Wahrheitsträger ist und das Monopol des Heils innehat?... Im Augenblick stehe ich auf der Liste seiner Begleiter. Mutters Unterstützung muß an jenem Tag noch stärker sein ..."
(nach einem Schweigen)
Die Religionen sind wirklich alt... Hast du nicht dieses Gefühl?
Oh, absolut.
Alt, sehr alt...
Ich habe sogar das Gefühl, es ist mit ihnen zu Ende.
Ja.
(Schweigen)
Mir scheint, die nächste Kirche, die es zu zerstören gilt, ist der Intellekt.
(Mutter lacht) Ja.
(Mutter tritt in Konzentration)
*
* *
(Etwas später schlägt Satprem vor, den Text des letzten Gesprächs vom 31. Mai 1969 über einen für alle sichtbaren glorifizierten Körper in den "Notizen auf dem Weg" zu veröffentlichen.)
Wird man uns nicht für verrückt halten? Nein? Glaubst du, man kann das veröffentlichen?
Mir scheint, ja.
Du könntest Nolini fragen. Ich...
(Schweigen)
Nachdem du letztes Mal weggegangen warst, schaute ich mir das lange an, den ganzen Tag... Es erschien wie eine wunderbare Lösung (der glorifizierte Körper). Als du es sagtest, konkretisierte sich plötzlich etwas 1 . Aber ohne das geringste persönliche Gefühl... Der Körper hat ganz und gar nicht den Ehrgeiz oder das Bedürfnis, ja nicht einmal die Aspiration, selber Das zu werden (dieser glorifizierte Körper), nur eine Art Freude über die Möglichkeit, daß "Das" sein möge – ganz egal wer, wo, wie: daß Das sein möge. Und ich schaute sehr aufmerksam; nicht einen Augenblick lang war da die Idee: es muß dies sein (Mutter kneift die Haut ihrer Hände), verstehst du? Es war: Möge diese Inkarnation, diese Manifestation SEIN – nicht mit der Wahl der einen oder anderen Person, des einen oder anderen Ortes, all das existierte nicht: nur DIE SACHE IN SICH SELBST, wie eine wunderbare Lösung.
Dann begann das Bewußtsein zu beobachten: wenn nichts in diesem Körper selbst danach strebt, das zu sein, ist das ein Beweis, daß dies nicht seine Arbeit ist. Dann kam dieses außerordentliche Lächeln (ich kann das nicht erklären), das erschien und sagte... (man könnte es auf ganz kindliche Weise übersetzen): "Das ist nicht deine Sache." Damit hatte es sich, ich beschäftigte mich nicht mehr damit. "Das ist nicht deine Sache", im Sinne von: das geht dich nichts an; ob es dies oder das oder jenes ist, geht dich nichts an. Das ist alles.
Eines ist jedoch auf so intensive Weise seine Angelegenheit geworden, daß es fast unaussprechlich ist, und zwar: "Du, Du, Du ..." Worte können dies gar nicht ausdrücken, oder man sagt "das Göttliche", um ein Wort zu benutzen. Das ist alles. Bei allem – Essen: das Göttliche – Schlafen: das Göttliche – Leiden: das Göttliche... auf diese Weise (Mutter wendet ihre beiden Hände nach oben), mit einer solchen Festigkeit und Unbewegtheit – in den Zellen ist eine große Einheit.
(Schweigen)
Wenn mir zum Beispiel jemand schreibt und eine Frage stellt, gibt mir dieses Bewußtsein unverzüglich die Antwort ein. So schreibe ich sie hin, und es ist dieses Bewußtsein, das spricht. In den letzten Tagen schrieb ich einige Antworten, die all dem, was wir jetzt gesagt haben, so weit VORAUS sind... Die Antwort ist dem Bewußtseinszustand der Leute, die die Frage stellten, so weit voraus... Und zwar spontan, mühelos, einfach so (Mutter läßt ihre Feder fließen).
(Schweigen)
Das Gefühl seiner individuellen, d.h. getrennten Existenz ist fast unmittelbar und unauflöslich mit dem Leiden verbunden (ich spreche von physischen Leiden, nichts Emotionalem). Und der Körper hat nur eine einzige Aspiration: zu verschmelzen... nicht mit dem Ganzen zu verschmelzen, aber... mit dem, was wir das Göttliche nennen und das alles ist – das wahre Ganze statt das lügnerische. Ich kann das nicht erklären.
Offensichtlich soll der Körper sich um nichts sorgen, weder auf die eine noch auf die andere Weise, weder um den Fortschritt noch um die Auflösung – keine Besorgnis. Der Zustand... man kann nicht sagen, "nach dem er strebt", denn in ihm ist kein "Streben", aber der Zustand, der für ihn gewollt zu sein scheint (ich kann das nicht ausdrücken), ist: ein Friede, ein aufnahmefähiger Friede, das ist alles.
(langes Schweigen)
Ich kann nicht sprechen, Worte sind idiotisch.
1 Tatsächlich verharrte Mutter am Ende des letzten Gesprächs sehr lange "in Betrachtung", mit einem Ausdruck, den man gesehen haben muß, um es zu glauben, und Satprem fühlte etwas wie eine Sturzflut von leuchtender Macht herabkommen.