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Mutters

Agenda

elften Band

3. Januar 1970

(Fortsetzung des Gesprächs vom 31. Dezember 1969
über Auroville und das Matrimandir)

Liebe Mutter, ich hatte Paolo [den italienischen Architekten] hergebeten; er wartet draußen.

Ja... Da gibt es etwas Interessantes.

Schon seit langem hatte ich etwas gefühlt; dann sprachen wir neulich darüber, und ich SAH... Ich erzählte das R [dem Architekten von Auroville] und bat ihn, Paolo zu treffen, auch sagte ich ihm, daß ich GESEHEN hätte, was zu tun sei. Natürlich sagte er nicht nein, er stimmte allem zu, aber ich spürte, daß er nicht die Absicht hat...

Wie dem auch sei, ich sah überaus deutlich – das heißt, es war und IST noch immer so, und zwar hier (Mutter deutet einen ewigen Plan an) – das Innere dieses Ortes [des Matrimandirs].

Solltest du das nicht Paolo sagen?

Jetzt sofort?... Gut... Mir fällt es leichter zu sprechen, wenn ich mit dir allein bin.

Ja, dann sprich, liebe Mutter!

Ich könnte es beschreiben. Es kam so: eine Art Saal wie das Innere einer Säule, ohne Fenster. Die Lüftung wird künstlich gewährleistet, mit Hilfe dieser Apparate (Mutter deutet auf eine Klimaanlage), und darüber nur ein Dach. Die Sonne wird in den Mittelpunkt leuchten, oder wenn die Sonne nicht scheint (nachts oder an trüben Tagen), erfolgt die Beleuchtung mit elektrischen Scheinwerfern. Die Idee ist, sofort eine Art Modellversion zu bauen, die ungefähr hundert Personen aufnehmen könnte. Wenn die Stadt erst einmal fertig gebaut ist und man die notwendige Erfahrung hat, dann läßt sich etwas Großes bauen – etwas wirklich Großes mit Platz für tausend bis zweitausend Personen. Die zweite Version wird später um die erste herum gebaut, das heißt, die erste wird erst weichen, wenn die zweite fertig ist.

Das also ist die Idee.

Um das Paolo zu erklären (und falls ich eine Möglichkeit sehe, auch R), bräuchte ich jedoch einen Plan. Ich werde einen anfertigen lassen – ich selbst kann es nicht mehr; früher hätte ich das gekonnt, aber jetzt sehe ich nicht mehr gut genug. Gleich heute Nachmittag werde ich in meiner Gegenwart einen Plan anfertigen lassen, und damit könnte ich die Sache dann gut erklären. Dir wollte ich einfach erzählen, was ich sah...

Es wird ein zwölfseitiger Turm sein – jede Seite repräsentiert einen Monat des Jahres –, und der obere Teil, das Dach des Turmes, wird so sein (Mutter deutet mit einer Geste ungefähr folgendes an:)

Im Innern sind zwölf Säulen – die Wände und zwölf Säulen – und genau in der Mitte, auf dem Boden, mein Symbol. Darauf stehen vier Symbole von Sri Aurobindo, die an den Ecken verbunden sind und ein Quadrat bilden, und darauf... eine Kugel. Eine Kugel, die möglichst aus einem durchsichtigen Material bestehen sollte mit (oder ohne) einem Licht im Innern, jedenfalls müßte das Sonnenlicht auf die Kugel fallen. So wird das Licht dem Monat oder dem Augenblick entsprechend hierhin oder dorthin wandern... (Geste, den Gang der Sonne beschreibend), verstehst du? Es wird eine ständige Öffnung geben, durch die ein Lichtstrahl fällt. Kein diffuses Licht, sondern ein gebündelt einfallender Lichtstrahl. Um dies zu bewerkstelligen, bedarf es gewisser technischer Kenntnisse, und deshalb möchte ich mit einem Ingenieur eine Zeichnung anfertigen.

In diesem Saal wird es weder Fenster noch andere Lichter geben, so daß nur durch diesen Lichtstrahl Tag und Nacht immer eine Art helles Halbdunkel herrscht – tagsüber durch die Sonne, nachts durch einen künstlichen Lichtstrahl. Und auf dem Boden: nichts außer einem Belag wie hier (in Mutters Zimmer), das heißt, zuunterst Holz (oder etwas anderes), darauf ein weicher Schaumgummibelag und schließlich ein Teppich. Der Teppich bedeckt den gesamten Boden – außer in diesem Zentrum. Die Leute könnten sich überall hinsetzen. Und dann die zwölf Säulen – für diejenigen, die etwas zum Anlehnen brauchen.

Auf alle Fälle wird man nicht dorthin gehen, um "regelmäßige Meditationen" oder so etwas abzuhalten (die interne Organisation wird später geregelt), sondern dies wird ein Ort der Konzentration sein. Nicht jeder wird kommen können; Besuchern wird zu einer bestimmten Zeit der Woche oder des Tages der Zugang gestattet sein, aber keinesfalls eine Mischung. Zu einer bestimmten Stunde oder an einem bestimmten Tag kann es Besuchern gezeigt werden, aber während der übrigen Zeit haben nur diejenigen Zugang, die... ernsthaft und aufrichtig lernen wollen, sich zu konzentrieren.

So ist es gut, glaube ich.

Es war da (Geste, eine Vision von oben anzeigend), beim Sprechen sehe ich es noch immer vor mir – ich SEHE. So, wie ich es sehe, ist es jedenfalls wirklich sehr schön... Eine Art Halbdunkel, so daß man noch sehen kann, aber SEHR ruhig, und sehr helle und intensive Lichtstrahlen, die auf die Kugel fallen (das projizierte, künstliche Licht sollte etwas golden sein, es darf nicht kalt wirken – dies hängt von den Scheinwerfern ab). Eine Kugel aus einem Plastikmaterial oder... ich weiß nicht was.

Kristall?

Ja, wenn möglich. Für den kleinen Tempel braucht die Kugel nicht sehr groß zu sein: etwa so groß (ungefähr 30 cm) wäre in Ordnung. Aber für den großen Tempel sollte sie entsprechend größer bemessen sein.

Wie wird denn der große Tempel gebaut? Über dem kleinen?

Nein, nein – der kleine wird wieder verschwinden.

Ach so. Er wird verschwinden, und man baut den andern.

Aber der große wird erst später gebaut, jedoch wirklich groß bemessen... Der kleine wird erst verschwinden, wenn der große fertig ist. Bis die Stadt fertig ist, wird es sicher zwanzig Jahren dauern (bis wirklich alles eingerichtet ist). Das gleiche gilt für die Gärten: alle Gärten, die zu Beginn angelegt werden, sind für jetzt, aber in zwanzig Jahren erfordert das einen anderen Maßstab; bis dahin muß es etwas wirklich... wirklich Schönes sein. Und ich frage mich, aus welchem Material man diese Kugel, die große, anfertigen soll... Die kleine vielleicht aus Kristall: so groß (30 cm) würde sicher genügen. Man muß die Kugel von allen Ecken des Saals aus sehen können.

Sie darf wohl auch nicht zu hoch über dem Boden sein.

Nein, Sri Aurobindos Symbol braucht nicht sehr groß zu sein, etwa so...

Fünfundzwanzig, dreißig Zentimeter?

Höchstens, allerhöchstens.

Das heißt, die Kugel wird sich ungefähr auf Augenhöhe befinden.

Ja, genau, auf Augenhöhe.

Eine SEHR ruhige Atmosphäre. Sonst NICHTS: große Säulen... Was den Stil der Säulen betrifft... ob rund oder auch zwölfeckig? Jedenfalls ZWÖLF Säulen.

Und ein Dach aus zwei Ebenen?

Ja, ein Dach aus zwei Ebenen, um die Sonne durchzulassen.

Es muß so konstruiert sein, daß kein Regen reinkommt. Man sollte nichts öffnen oder schließen müssen, wenn es regnet; es muß so konstruiert sein, daß der Regen nicht eindringen kann. Und die Sonne muß ALS STRAHL hereinscheinen: nicht diffus. Deshalb muß die Öffnung begrenzt sein... Dazu braucht es einen ausgezeichneten Ingenieur, der sein Handwerk wirklich versteht.

Und wann werden sie damit beginnen?

Ich würde am liebsten sofort anfangen, sobald die Pläne vorliegen. Es gibt zwei Probleme: zunächst die Pläne (die Arbeiter kann man bekommen) und dann das Geld... Ich glaube, die Idee dieses kleinen Modells ist realisierbar ("klein" ist eine bloße Redensart, denn um problemlos hundert Leute aufnehmen zu können, muß es schon recht groß sein). Für den Anfang also ein kleineres Modell. Beim Bau dieses kleineren Modells wird man lernen und das große erst dann bauen, wenn die Stadt fertig ist – also nicht sofort.

Ich habe mit R darüber gesprochen, und am nächsten Morgen sagte er mir: "Ja, aber es wird Zeit brauchen, um das zu arrangieren." (Ich hatte ihm nicht all das erklärt, was ich dir gerade erzählt habe; ich sagte ihm lediglich, daß wir etwas bauen wollen). Danach hatte ich die Vision dieses Saals, deshalb brauche ich niemanden mehr, um die Grundform zu entwerfen: ich kenne sie. Eigentlich braucht es eher einen Ingenieur als einen Architekten, denn ein Architekt... Es sollte so einfach wie möglich sein.

Ich hatte Paolo erzählt, was du gesehen hast: diesen großen leeren Saal, worin sich nichts befand. Das hat ihn sehr berührt, er sah genau diesen großen leeren Saal. Er versteht sehr gut. Und "leer" bedeutet einfach eine Form.

Aber eine Form... wie ein Turm... (deshalb wollte ich eine Skizze haben, um das zu zeigen) mit zwölf gleichen Seiten, und die Wand sollte nicht gerade sein, sondern so (leicht geneigte Geste), ich weiß nicht, ob das möglich ist. Und im Innern zwölf Säulen. Außerdem muß man einen Weg finden, um die Sonne einzufangen: damit sie zu jeder Jahreszeit hereinscheinen kann... Wir brauchen also jemanden, der sein Handwerk versteht.

Was das Äußere betrifft... das habe ich nicht gesehen, überhaupt nicht. Ich sah nur das Innere.

Ich wollte es Paolo erklären, sobald ich die Pläne habe, das wäre leichter gewesen, aber da du ihn schon heute hergebeten hast...

(Sujata bittet Paolo einzutreten. Er bringt eine Girlande aus rosaroten "Harmonie"-Blüten mit. Mutter schenkt ihm eine
orangefarbene Hibiskusblüte – die Blume Aurovilles –,
mustert ihn und beginnt zu sprechen:)

Seitdem wir uns zum Bau dieses Tempels entschlossen haben, sah ich folgendes (ich sah es von innen). Gerade habe ich versucht, dies Satprem zu beschreiben. Aber in einigen Tagen werde ich Pläne und Zeichnungen haben und es genauer erklären können. Ich weiß allerdings noch nicht, wie das Äußere gestaltet werden soll, aber ich weiß, wie das Innere aussieht.

(Paolo:) Das Äußere ergibt sich aus dem Inneren.

Es soll eine Art Turm sein mit zwölf gleichen Seiten, die die zwölf Monate des Jahres darstellen – ein völlig leerer Turm... Er sollte hundert bis zweihundert Personen aufnehmen können. Um das Dach zu stützen, werden im Innern (nicht außen: innen) zwölf Säulen stehen, und genau in der Mitte wird sich das Objekt der Konzentration befinden... Je nach Position der Sonne wird ihr Licht das ganze Jahr über IN STRAHLEN einfallen (nicht als diffuses Licht, deshalb muß eine Vorrichtung gefunden werden, um das Licht in Strahlen zu bündeln) – so wird sich der Strahl je nach Tageszeit und Monat drehen (zu diesem Zweck wird oben eine Vorrichtung angebracht), so daß der Strahl stets direkt auf die Mitte gerichtet bleibt. Im Zentrum befindet sich das Symbol (von Mutter) und daraufstehend das Symbol von Sri Aurobindo, das eine Kugel trägt. Die Kugel sollte aus einem durchsichtigen Material bestehen: aus Kristall oder... Eine große Kugel. Die Leute dürfen diesen Saal betreten, um sich zu konzentrieren – (lachend) um zu lernen, sich zu konzentrieren. Keine zeitlich festgelegten Meditationen, nichts dergleichen, aber sie sollten hier in Stille verweilen – in Stille und Konzentration.

(P:) Sehr schön.

Aber der Ort sollte so einfach wie nur möglich sein. Der Fußboden so, daß die Leute es bequem haben, damit sie nicht dadurch abgelenkt werden, daß es ihnen hier oder da weh tut.

(P:) Sehr schön.

In der Mitte des Bodens wird mein Symbol sein, aus dessen Zentrum sich vier Symbole von Sri Aurobindo erheben, wie die vier Seiten eines Quadrats angeordnet, die eine durchsichtige Kugel tragen.

So wurde es gesehen.

Nun lasse ich von einem Ingenieur die ersten einfachen Pläne erstellen, um es zu veranschaulichen, und sobald diese fertig sind, werde ich sie dir zeigen. Dann sehen wir weiter.

Für die Mauern wird man wahrscheinlich Stahlbeton verwenden müssen.

(P:) Die ganze Struktur kann aus Stahlbeton bestehen.

Das Dach sollte wahrscheinlich schräg sein, und in der Mitte muß eine spezielle Vorrichtung für die Sonne angebracht werden.

(Satprem:) Du sagtest, daß du die Wände etwas schräg sahst.

Entweder sollten die Wände schräg sein oder das Dach – so, wie es am leichtesten zu realisieren ist. Man kann die Wände auch gerade machen und das Dach schräg, wobei der obere Teil von den zwölf Säulen getragen wird. Ganz oben wird die Vorrichtung für die Sonne angebracht.

Und im Innern: nichts. Nur die Säulen. Die Säulen... ich weiß nicht, man wird sehen, ob man sie auch zwölfeckig oder einfach rund macht.

(P:) Rund.

Oder viereckig – das wäre zu überlegen.

Der Fußboden wird mit etwas Dickem und Weichem belegt. Hier... (sitzt ihr hier bequem?... Ja?), hier ist zuunterst Holz, dann diese Art Schaumgummi und darüber ein Wollteppich.

(Satprem:) Mit deinem Symbol?

Nicht der Teppich. Das Symbol, dachte ich, wäre besser aus etwas Solidem angefertigt.

(P:) Aus Stein.

Das Symbol... Das Ganze wird darum herum angeordnet sein. Das Symbol wird nicht alles ausfüllen, sondern sich nur in der Mitte des Raumes befinden – (lachend) man darf sich nicht auf das Symbol setzen... Es wird in der Mitte sein. Die Größe des Symbols in seinem Verhältnis zum Ganzen und im Vergleich zur Höhe ist noch sorgfältig zu erwägen.

(P:) Und der Saal soll sehr groß sein?

Oh, ja! Das muß er sein. Es sollte eine Art Halbdunkel herrschen, nur erhellt von diesen Sonnenstrahlen – der Sonnenstrahl muß SICHTBAR sein.

Ein Sonnenstrahl.

Je nach Tageszeit und Monat wird die Sonne dann wandern. Und nachts, sobald die Sonne untergegangen ist, werden Scheinwerfer eingeschaltet, die den gleichen Effekt und die gleiche Farbtönung produzieren. Tag und Nacht wird das Licht dort scheinen. Keine Fenster und keine andere Beleuchtung: nichts. Eine Klimaanlage für die Lüftung (in den Mauern eingebaut, das ist nicht schwierig).

Und STILLE. Innen wird nicht gesprochen.

So wird es gut sein.

Sobald meine Pläne fertig sind, werde ich dich rufen, um sie dir zu zeigen.

(P:) Sehr gut.

(Zu Sujata:) Gib mir doch bitte eine Rose für ihn!

(Mutter überreicht Paolo zwei rote Rosen,
Paolo zieht sich zurück)

Ich habe ihn nicht gefragt, ob er R gesehen hat, denn... R steckt völlig in der "praktischen" Atmosphäre des Hier und Jetzt.

Gut. Und jetzt los damit!

Weißt du, ich habe folgendes gelernt: Die Religionen sind gescheitert, weil sie uneins waren – sie wollten, daß man sich ihrer Religion unter Ausschluß aller anderen Religionen anschließe. Jegliches menschliche Wissen ist gescheitert, weil es auf Ausschließlichkeit bestand; und der Mensch ist gescheitert, weil er ausschließlich sein wollte. Was das neue Bewußtsein fordert und worauf es beharrt, ist: keine Trennungen mehr. Fähig zu sein, das höchste Spirituelle sowie das gröbste Materielle zu verstehen und... den Verbindungspunkt zu finden, dort, wo dies... zu einer wirklichen Kraft wird. Genau das will es jetzt auch dem Körper beibringen, und zwar mit den radikalsten Mitteln.

Das Unglück dabei ist – (lachend) ich nenne es ein "Unglück" –, daß sich dies bei den Leuten als Störung auswirkt und diejenigen, die mir in der Arbeit nahestehen, "krank" werden. Der eine liegt in der Klinik, der andere hat Beschwerden. Entsprechend ihrer Empfänglichkeit muß ich ihnen nun begreiflich machen, daß sie sich keine Sorgen machen sollten und es sich nicht um eine "Krankheit" handelt, sondern... um den Widerstand des Körpers. Mein Körper hat aus seinen Schwierigkeiten gelernt... Denn ständig ist es doch so: Wenn du die richtige Haltung einnimmst, geht alles bestens – vorausgesetzt, du fängst nicht an, den Körper zu beobachten, zu studieren: "Aha, so oder so ist das also, dies oder das fühlt er ..." Sobald man sich mit ihm beschäftigt und das Bewußtsein auf ihn richtet, geht etwas schief. Eine Störung tritt ein. Man muß so sein... (nach oben gerichtete Geste). Und da ist etwas, das dennoch WEISS – es weiß, ohne zu beobachten (das ist schwer zu erklären). Und man sieht: Sobald das Bewußtsein der Zellen die wahre Haltung einnimmt, verwandelt sich die Störung und manifestiert sich nicht mehr als Störung. Die Beschaffenheit ihrer Manifestation verändert sich. Wie?...

Nicht nur das: Auch dieses "Dein-Wille-möge-geschehen" (ohne sich im geringsten darum zu kümmern, was dieser Wille überhaupt sei, also eine Akzeptanz, die von vornherein alles einschließt), auch dies wird auf ganz seltsame Weise ersetzt durch etwas, das nichts mit dem Denken und immer weniger mit dem Sehen zu tun hat, sondern das etwas Höheres ist, eine Wahrnehmungsweise, eine neue Art der Wahrnehmung: man weiß. Aber dies kam nur für einige wenige Sekunden. Ab und zu kommt es und... Dann fangen die alten Gewohnheiten wieder an. Es geht weit, weit über das Denken und auch über das Sehvermögen hinaus. Bei dieser Wahrnehmung besteht keine Differenzierung der Organe mehr (Mutter berührt ihre Augen, ihre Ohren). Eine Wahrnehmung, die... ja, die total ist (wenn man es näher beschreiben will): Sehvermögen, Hörvermögen und Wissen, alles zugleich. Etwas, das eine neue Art der Wahrnehmung darstellt. Ja, da weiß man eindeutig. Dies ersetzt das Wissen. Sobald man es aber auf die Ebene des Wissens bringen will, verschwindet es, und man verliert den Kontakt.

Gewiß handelt es sich bei alledem um das Bewußtsein dessen, was Sri Aurobindo das Supramental nannte 1: das Wesen, das nach dem Menschen kommt. Wie wird es beschaffen sein? – Ich habe es noch nicht gesehen... Was den Übermenschen, das Übergangswesen betrifft, hatte ich einige Einblicke, doch man spürt deutlich, daß es sich da nur um ein Übergangswesen handelt. Wie aber wird das Wesen sein, das nach dem Übermenschen kommt? Ich weiß es nicht... Wir sind noch viel zu menschlich. Wenn wir das höchste Bewußtsein, das höchste Wesen – den Höchsten – visualisieren wollen, neigen wir aus Gewohnheit dazu, ihm eine menschenähnliche Gestalt zu verleihen... Ich sah dieses zukünftige Wesen (schon vor vielen Jahren); es handelte sich offensichtlich um eine viel harmonischere und ausdrucksvollere Gestalt als die menschliche, dennoch war es der menschlichen immer noch ähnlich: mit einem Kopf und mit Armen und Beinen und... Wird es so sein? Ich weiß es nicht. Zwangsläufig wird dies als Übergangswesen existieren. Bei der Entwicklung vom Tier zum Menschen gab es ja auch alle möglichen Arten von Affen als Zwischenstufen... Aber eines ist klar: die Leichtigkeit, die Unverletzlichkeit, die beliebig freie Fortbewegung und Leuchtkraft, all das zählt zu den supramentalen Eigenschaften, aber... Ach ja, sie kleideten sich auch willentlich: nichts Fremdes wird hinzugefügt, sondern die Substanz selbst nimmt bestimmte Formen an... All das habe ich gesehen und auch mit Sri Aurobindo diskutiert, und er selbst zeigte mir diesbezüglich ebenfalls gewisse Dinge (manchmal sehe ich ihn, und er zeigt mir Dinge). Er hat sich jedoch lediglich darüber geäußert, wie die Übergangsstufe sein wird. Aber alle Beschreibungen sind nicht von Belang. Und wenn ich ihn nachts sehe (manchmal verbringe ich viele Stunden mit ihm), dann geschieht dies so natürlich und spontan, daß ich dabei gar nicht erst anfange zu beobachten: "Dies ist so, jenes ist so usw.", nein. Mit einer gewissen Konzentration bleibt mir am nächsten Morgen zwar ein sehr starker Eindruck, aber die Einzelheiten, so wie sie uns hier erscheinen, lassen sich nicht wiedergeben.

Ebenso verhält es sich mit dieser Sache (Sri Aurobindo nennt es auch "Wahrnehmung"), mit dieser Wahrnehmung, die das Sehvermögen und all das ersetzt: während der Nacht ist sie sehr stark. Das ist schwierig zu beschreiben... Beim Aufwachen bleibt immer noch der Eindruck, aber nicht die Fähigkeit. Die volle Fähigkeit ist nicht vorhanden.

(Schweigen)

Konkret werde ich versuchen, unser Vorhaben R verständlich zu machen. Aber mir schien, daß wir wahrscheinlich... Wenn R hier ist, kümmert er sich vor allem um die praktischen Aspekte von "Auromodèle" (das ist sehr wichtig und auch sehr gut); aber den Bau des Zentrums möchte ich gern Paolo anvertrauen, und deshalb wäre das beste, Paolo bliebe hier, wenn R wieder weg ist, und dann werden wir es mit Paolo bauen. Allerdings will ich nicht, daß dabei ein Gefühl der Rivalität entsteht. Sie müssen begreifen, daß sie sich gegenseitig ergänzen sollen.

Ich glaube, Paolo wird das verstehen.

Aber R wird dies als Einmischung in seine Kompetenzen auffassen...

Vielleicht nicht – ich will es versuchen. Ich werde es versuchen.

Nein, als ich ihm erklärte, daß wir das Zentrum bauen müssen – daß ich es gesehen habe, und daß es gebaut werden müsse –, hatte er nichts einzuwenden. Er sagte mir nur: "Aber das wird Zeit brauchen." Ich antwortete ihm: "Nein, es muß sofort gebaut werden." Aus diesem Grund lasse ich von einem Ingenieur Skizzen entwerfen, um sie ihm zu zeigen; denn dies ist nicht die Arbeit eines Architekten sondern eines Ingenieurs. Um das Sonnenlicht aufzufangen, sind sehr präzise Berechnungen erforderlich. Es muß jemand sein, der dies wirklich versteht. Der Architekt muß sich darum kümmern, daß die Säulen und die Mauern schön und die Proportionen richtig werden – all das ist sehr gut – und dann dieses Symbol in der Mitte. Um die Ästhetik muß sich der Architekt kümmern, aber die Berechnungen... Das Wichtigste ist das Spiel der Sonnenstrahlen auf der Kugel im Zentrum. Denn dies wird das Symbol sein – das Symbol der zukünftigen Verwirklichung.

(Mutter verharrt in Konzentration)

Der Schritt, den die Menschheit SOFORT tun muß, ist ein endgültiges Abrücken von der Ausschließlichkeit. Denn in den Handlungen wirkt sich dies nicht nur symbolisch sondern tatsächlich als Teilung und Trennung aus, indem alle sagen: "Dies und nicht jenes". Nein: dies UND jenes... und das und das dazu – und alles gleichzeitig. Flexibel und weit genug sein, um alles zu vereinen. Und genau daran stoße ich mich jetzt ständig, in ALLEN Bereichen – überall... Auch im Körper. Der Körper hat die Gewohnheit zu fordern: "Dies und nicht jenes, dies ODER jenes ..." Nein, nein, nein: dies UND das.

Die große Trennung ist: das Leben und der Tod – ja. Daraus ergibt sich alles. Worte sind idiotisch, aber: das Über-Leben ist Tod und Leben zusammen.

Warum es "Über-Leben" nennen? Wir neigen immer dazu, uns auf die eine Seite zu schlagen: Licht und Finsternis... ("Finsternis", nun...)

Ach, wie klein wir sind! Man fühlt sich so klein...

*
*   *

(Kurz darauf schlägt Satprem vor, in Mutters Kommentar zu den "Aphorismen" ein Wort zu ändern.)

Da ist ein Wort, das mir nicht ganz richtig zu sein scheint...

Oh, da wirst du eine Menge finden, mein Kind. Das habe ich dir bereits gesagt.

Erst gestern schrieb ich etwas in einem Brief an D, und kaum war der Brief abgesandt, sagte ich mir: "Nein, so hätte ich mich nicht ausdrücken sollen, sondern so ..." Ich hatte es nämlich in Eile geschrieben, in der Atmosphäre einer mentalen Tätigkeit neben mir (ausgehend von Personen in Mutters Umfeld), die zwar nicht laut war, aber dennoch wirkte und es mir schwer machte, die Sache einzufangen, was mir erst hinterher gelang (als die Leute gegangen waren).

Das war der Grund, warum ich die Kommentare noch einmal durchsehen wollte.

Wir könnten sie zusammen durchsehen.

(Schweigen)

Gestern sah ich noch einen Aphorismus... Wenn ich diese Aphorismen mit meinen jetzigen Erfahrungen lese, sehe ich, daß Sri Aurobindo all das wußte. In diesen Aphorismen hatte er dies erfaßt, er hatte das berührt, und auch die Worte, die uns zunächst seltsam erscheinen oder selbst für das höchste intellektuelle Verständnis nicht ganz klar sind, haben einen Sinn. Gestern dachte ich plötzlich: "Sieh an, das war es also [was Sri Aurobindo sah]!" Zum Beispiel kam in dem Aphorismus, den ich gestern las, das Wort "Wahrnehmung" vor, und ich erinnere mich, wie ich mich vor einigen Jahren beim Übersetzen gefragt hatte: "Wahrnehmung, was will er damit wohl sagen?..." Jetzt verstehe ich es vollkommen. Es handelt sich um etwas, das nichts mit unseren Sinnen zu tun hat: weder mit dem Sehen noch mit dem Gehör noch... – Wahrnehmung. Er hat das Wort "Wahrnehmung" verwendet. Und Wahrnehmung ist ein hervorragendes Wort 2 .

Dabei lese ich im Moment nur die Übersetzung; wenn ich das Original wiedersähe, wäre es vielleicht noch frappierender.

(langes Schweigen)

Weißt du, wenn ich jetzt wieder mit all den Dingen in Kontakt komme, die ich früher einmal gesagt habe, machen sie auf mich (trotz all meiner Bemühungen, sie so klar wie möglich auszudrücken) dennoch so sehr den Eindruck, als seien es nur... Worte des Unwissens – basierend auf einer Wahl und der Gegensätzlichkeit: dies und nicht jenes, das und nicht jenes andere, man bejaht, man verneint... Jetzt wirkt das so dumm und engstirnig – so engstirnig. Das, was man bei den Menschen bewundert, die man als Heilige betrachtete (vor allem die Heiligen), ist ihre Abkehr: die Abkehr von fast allem außer von Gott (Mutter deutet mit ausgestrecktem Zeigefinger in Richtung Himmel). Und alles, alles, angefangen von der höchsten Sache – dem Zugang, der Art, sich dem Göttlichen zu nähern – bis hin zur materiellsten: den Körperfunktionen, alles, von oben bis unten, ist die gleiche Dummheit: dies aber nicht das, jenes aber nicht dieses, dieses im Widerspruch zu jenem, dies im Gegensatz zu jenem... Alle Moralauffassungen, alle sozialen Regeln und die gesamte materielle Organisation der Welt basieren auf dieser Trennung. Und jetzt wird es immer offensichtlicher, daß dies das ALLERERSTE sein wird, was das höhere Wesen (das Sri Aurobindo das "supramentale Wesen" nannte) abschaffen will.

Jetzt verstehe ich, warum er es "Supramental" anstatt "Übermensch" nannte. Er nannte es Supramental, weil der Übermensch immer noch... Dahingegen ist die ganze Existenzgrundlage dieses Wesens anders: anstatt auf der Trennung zu basieren, basiert es auf der Vereinigung. Der Mensch spricht viel von Vereinigung, aber er hat nicht die geringste Ahnung, was das ist.

Das ist sehr interessant.

Der Körper spürt so deutlich, daß er... nicht mehr hier und noch nicht dort ist; deshalb... (Mutter deutet eine schwebende Geste an) ist er dem Anschein nach etwas völlig Absurdes mit scheinbaren Schwächen, die die Menschen verachten, und... (Mutter lacht) mit unvorstellbaren Kräften, die die Menschen nicht ertragen können.

Sonderbar.

Und außerdem ist es nicht realisiert, nicht konkretisiert, nicht ausgedrückt, sondern einfach so (gleiche Geste in der Schwebe). Deshalb ist es etwas völlig Absurdes geworden.

(Schweigen)

Was die Menschen als "schwierig", als "kompliziert" bezeichnet haben... Sobald der Körper jetzt in Kontakt mit "dem" tritt – diesem Unbekannten, das danach drängt, sich Ausdruck zu verschaffen –, dann sagt er sich: "Oh, wie leicht war es doch früher, als man noch zu wissen glaubte!"

Jetzt weiß er, daß er nichts weiß.

 

1 Diesen Teil des Gesprächs wird Mutter am 27. Mai 1970 fortsetzen und genauer erläutern.

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2 Aphorismus 262 – "Erkenne und handle stets im Lichte deiner ständig wachsenden Wahrnehmungen, aber folge nicht nur jenen deines denkenden Gehirns. Gott spricht zu deinem Herzen, wenn das Gehirn Ihn nicht verstehen kann."

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