Mutters
Agenda
elften Band
Ich habe mich gefragt, ob wir nicht das, was du letztes Mal sagtest, zu den "Notizen" hinzufügen könnten: über das psychische Wesen, das zum supramentalen Wesen werden wird.
Was meinst denn du?
Ich halte das für wichtig.
Gewiß!
Aber welche Auswirkung wird das haben... Ich fürchte, daß alle auf einmal ein psychisches Wesen haben werden! (allgemeines Gelächter)
Mutter, du bist einzigartig!
(Mutter lacht) Aber das macht nichts!... Das ist gut... Es wird einen Aufruhr auslösen.
*
* *
(Dann hört sich Mutter die Lektüre einiger Texte von Sri Aurobindo für die August-Ausgabe des Bulletins an:)
Die Auffassung des Göttlichen als eine allmächtige außenstehende Macht, welche die Welt "geschaffen" hat und sie wie ein absoluter und willkürlicher Monarch regiert – die christliche oder semitische Auffassung – war niemals die meine; sie widerspricht zu sehr meiner Sicht und Erfahrung in dreißig Jahren der Sadhana. Genau gegen diese Auffassung richtet sich der atheistische Einwand – der Atheismus in Europa war eine seichte und recht kindische Reaktion gegen eine seichte und kindische exoterische Religiosität und ihre unzulänglichen populären und grob dogmatischen Auffassungen. Wenn ich vom göttlichen Willen spreche, meine ich etwas anderes – etwas, das hier in eine evolutionäre Welt der Unwissenheit herabgestiegen ist und im Hintergrund der Dinge stehend mit seinem Licht Druck auf die Dunkelheit ausübt, die Dinge unter den gegenwärtigen Bedingungen der Welt der Unwissenheit so gut wie möglich steuert und diese schließlich zum Herabstieg einer größeren Macht des Göttlichen führt – keine durch die Gesetze der gegenwärtigen Welt bedingte und zurückgehaltene Allmacht, sondern in voller Aktion, und deshalb bringt sie das Reich des Lichtes, des Friedens, der Harmonie, der Freude und des Ananda, denn diese sind die göttliche Natur. Die göttliche Gnade ist da, in jedem Augenblick bereit zu handeln, aber sie manifestiert sich in dem Maße, wie man aus dem Gesetz der Unwissenheit in das Gesetz des Lichtes wächst, und sie ist nicht als willkürliche Laune bestimmt, wie wundersam auch oft ihr Eingreifen erscheinen mag, sondern als eine Hilfe zum Wachstum und ein Licht, das führt und schließlich befreit. Nehmen wir die Tatsachen der Welt, so wie sie sind, und die Tatsachen spiritueller Erfahrung als Ganzes – und keines von beiden kann geleugnet oder vernachlässigt werden –, dann sehe ich nicht, welch anderes Göttliche bestehen kann. Dieses Göttliche mag uns oft durch Dunkelheit führen, denn die Dunkelheit ist in uns und um uns, doch es führt uns zum Licht und nirgendwoanders hin.
Letters on Yoga, XXII.174
Man kann nicht sagen, ob der Sieg nahe bevorsteht oder nicht – man muß den Prozeß der Sadhana stetig weiterverfolgen, ohne an Nahes oder Fernes zu denken, und sich auf sein Ziel konzentrieren, ohne zu jubilieren, wenn es nahe zu sein scheint, oder sich entmutigen zu lassen, wenn es noch fern zu liegen scheint.
Letters on Yoga, XXIV.1677
23. Juni 1936
Im Leben bieten sich allerlei Dinge an. Man kann nicht alles annehmen mit dem Gedanken, daß es vom Göttlichen gesandt ist. Eine Wahl muß getroffen werden, und jede falsche Wahl hat ihre Folgen.
Letters on Yoga, XXII.475
Ach, es ist gut, dies zu sagen!
(Zu Sujata:) Kannst du mir dies abtippen? Ich will es Nava geben.
Das Leben und der Verstand des Menschen sind weder in Harmonie mit der Natur wie die Tiere, noch mit dem Geist – sie sind gestört, unzusammenhängend, im Widerspruch zu sich selbst, ohne Harmonie und Ausgeglichenheit. Wir können sie als krank ansehen, wenn nicht gar als Krankheit.
Letters on Yoga, XXII.499
*
* *
Etwas später
Keine Fragen?... Und Sujata?...
(Satprem:) Ich habe etwas in mir beobachtet... Neulich sagtest du mir zum Beispiel, daß die Kraft aktiv in meinem Körper arbeite, und du fragtest mich: "Spürst du das denn nicht?" Ich habe den Eindruck, ständig in einem sehr soliden und starken Bewußtsein der Kraft zu leben, und dies scheint alle meine Wahrnehmungen zu verschleiern: alles wird gewissermaßen davon absorbiert oder sozusagen darin konzentriert. Dadurch spüre ich nichts anderes mehr.
Ich auch! (Mutter lacht) Genau das habe ich auch beobachtet.
Vorhin sprachen wir über das Psychische; ich kann nichts über das Psychische sagen, auch nichts über materielle oder vitale Dinge, denn sobald ich eine Sekunde innehalte, ist da dieses geballte Bewußtsein...
Ja, ja...
... Und ich weiß nichts anderes mehr.
Genauso wie hier [bei Mutter].
Als ich diese Erfahrung des Psychischen hatte [mit R], fragte ich mich: "Wo ist denn mein Psychisches?..." Es ist ständig aktiv, mit allem vermischt, und es spricht – wenn die Leute Fragen stellen, antworte ich nur mit dem Psychischen... Aber ich habe nicht die "Empfindung" seiner Gegenwart.
Ich glaube, dies ist der Zustand, wenn die Identifikation vollzogen ist: dann ist es kein abgetrenntes Wesen mehr.
Ja, ich habe mich gefragt: Ist da etwas, das meine Wahrnehmung verschleiert?
Nein. Ich glaube, das ist so, wenn die Identifikation mit dem physischen Bewußtsein vollzogen ist. Denn für mich war es immer so: sobald die Vereinigung vollzogen war, gab es nichts anderes mehr, kein "psychisches Wesen und den Rest"... Allein dieses existierte.
Dennoch habe ich nicht den Eindruck, soweit zu sein... Nun, eigentlich weiß ich nicht, wo ich stehe... Denn sobald ich ein klein wenig innehalte, ist es mächtig, präsent, solide und...
Ja, ja.
Und dann existiert allein "das".
Ja, genau – nur das existiert.
Je mehr sich die Identifikation mit dem wahren Wesen vollzieht, desto weniger hat man das Gefühl zu existieren, jemand zu sein.
Ja.
Der Körper selbst ist so weit gekommen, und es fällt ihm sehr schwer, eine separate Existenz für sich zu empfinden (lachend), und das Seltsamste ist, daß er sich nur existieren fühlt (Mutter berührt ihre Wange), wenn er leidet. Zum Beispiel habe ich ständig Zahnschmerzen, hier (Mutter deutet auf den Mund und die Kehle), wie ich dir sagte, in diesem Bereich, und nur das gibt mir den Eindruck, "mein Körper" zu sein. Er fühlt sich nicht als abgetrennt. Deshalb glaube ich, dies ist der natürliche Zustand... und Bestandteil der normalen Entwicklung.
Der Eindruck, auf gewisse Weise zu "fühlen", auf gewisse Weise zu "denken", all das ist völlig verschwunden: manchmal erhält man Hinweise – z.B. wie diese oder jene Person fühlt oder reagiert –, aber nur, wenn eine Arbeit zu verrichten ist; dann kommt es als Hinweis, doch dies ist etwas, das dort geschieht (nach außen weisende Geste in einem gewissen Abstand), nicht innen.
Ich habe mehrmals geschaut, und immer hatte ich den Eindruck, daß es gut geht (ich will sagen für dich), daß der Fortschritt sehr gut ist. Du bist auf dem Weg. Es geht gut. Ich sehe eine große Veränderung... Nur ein kleiner Winkel, vielleicht im spekulativen Mental, hat noch seine ihm eigene Haltung: es liegt ziemlich hoch im Mental (kein gewöhnliches Mental), ein Mental... (Geste nach oben) Aber das ist nichts.
(Schweigen)
Das ist wirklich sonderbar, denn ich könnte wirklich sagen: Nur dieser Teil (von der Wange bis zum Kinn) ist sich bewußt, wie die Leute sind, was von ihnen ausgeht, und hat noch "persönliche" Reaktionen. Das heißt, wenn die Atmosphäre getrübt ist, entsteht eine Störung in diesem Teil, er ist den äußeren Störungen ausgesetzt – dies scheint der einzige Teil zu sein. Alles übrige ist... gleichsam ständig in das Göttliche getaucht, und alles geht automatisch zum Göttlichen. Der göttliche Wille (Geste eines Herabstiegs und einer Ausbreitung durch Mutter) geht hindurch und veranlaßt mein Handeln: automatisch. In manchen Momenten ruft der Körper aus irgendeinem Grund (das Mantra, das ich dir sagte), und dies bewirkt... (Geste einer Ausdehnung) plötzlich treten alle Zellen in eine Glückseligkeit ein – die nur eine Minute anhält (nicht einmal eine Minute: einige Sekunden), doch allein die Tatsache, es auszusprechen, führt zur Glückseligkeit. Nachher nimmt alles wieder seinen Lauf (Geste des normalen Rhythmus).
Das ist sehr interessant.
Neulich sagtest du mir, daß etwas in deinem Körper nicht stimme – ich glaube, an den Stellen, die noch nicht auf dem Weg zur Transformation sind, entsteht eine Intensivierung oder eine Konzentration der Schwierigkeit: an diesen Stellen wird man kranker.
Das einzig Mögliche ist... (Mutter öffnet die Hände) der Friede einer totalen Hingabe (absolut reglose, weite, unwandelbare Geste): komme was mag. Dann geht es gut.
Ich habe folgendes bemerkt: Wenn man an der Stelle, wo etwas nicht stimmt, diesen Frieden herstellen kann – einen totalen Frieden, den Frieden einer vollkommenen Hingabe: alle Besorgnis, alles Bestreben aufgeben, alles in der Weise (dieselbe reglose, unwandelbare Geste) –, dann hilft dies, die Ordnung herbeizuführen.
(Mutter nimmt Satprems Hände)
Es geht gut.
Für die Leute, die das nicht wissen, trügt der Schein allerdings: Sie fühlen sich kranken, sie werden angegriffen, Dinge dieser Art. Dann verstehen sie nicht mehr.
(langes Schweigen)
Ich hatte folgende Erfahrung unzählige Male: Wenn der Körper diese Haltung einnehmen kann (vollkommen, jenseits der Aspiration nach Vereinigung oder Transformation: SO – dieselbe ausgeglichene Geste), dann ist es fast wie ein Wunder – augenblicklich. Aber mit einer falschen Bewegung kommt alles zurück. Es ist nicht dauerhaft verankert – was ist nötig, um dies zu erreichen? Ich weiß es nicht... Wahrscheinlich darf nirgendwo mehr die Möglichkeit einer falschen Bewegung bestehen. Aber das ist schwierig...
Man atmet, ißt... alles ist das Göttliche.
Wenn ich im Detail erzählte, was geschieht, ist es absolut wunderbar. Zum Beispiel während des Essens: Wenn der Körper seine wahre Haltung und die Wahrnehmung der göttlichen Gegenwart in allem beibehält, natürlich auch in allem, was er zu sich nimmt, und es automatisch mit dieser Haltung aufnimmt und keinerlei Widerspruch besteht, dann verläuft alles ohne jegliche Schwierigkeit. Wenn die Haltung sich aber "verschlechtert" (in welcher Form auch immer), kann es sogar bis zum Verschlucken gehen (Geste eines Erstickens), einfach so, innerhalb einiger Sekunden.
Offensichtlich sind wir in einer Übergangsphase, aber wie lange wird das dauern? Ich weiß es nicht... Die Harmonie der Funktionsweise wird... wunderbar – wunderbar. Nur ist es nicht automatisch, es hängt noch von der Haltung ab. Es ist nicht etwas, das sich behauptet: es ist noch bedingt.
(langes Schweigen)
Liebe Mutter, bei Sujata tritt ein seltsames Phänomen auf: ganz plötzlich wird sie ohnmächtig.
Ach!
Sie fällt auf den Boden... grundlos, einfach so, plötzlich ist der Kontakt unterbrochen, und sie fällt hin.
(nach einer langen Konzentration)
Das ist ärgerlich, denn beim Fallen könnte sie sich verletzen.
Es geschah zweimal, als ich da war, so konnte ich sie auffangen. Woran kann das wohl liegen?
Hat sie irgendeine Vorahnung?
Nein, sie fällt ganz plötzlich hin. Aber ich habe bemerkt, daß es am Ende des Morgens geschah, nachdem sie lange im Stehen gearbeitet hatte. Das kommt hinzu.
Materiell liegt es daran, daß nicht genug Blut zum Gehirn fließt...
Ich fürchte, sie ißt nicht genug.
Ja, das denke ich auch. Sie ernährt sich nicht richtig.
Gibt es nichts, was du gerne essen möchtest?
(Sujata schüttelt den Kopf)