SITE OF SRI AUROBINDO & THE MOTHER
      
Home Page | Workings | Works of Sri Aurobindo | Indiens Wiedergeburt

Sri Aurobindo

Indiens Wiedergeburt
und die Renaissance der Erde

 

All book in a single file (epub)

 
   

Inhaltsverzeichnis

I. 1893 – 1910 Revolutionäre Schriften

II. 1910 – 1922

III. 1923 – 1926

IV. 1929 – 1938

V. 1938 – 1940

VI. 1940 – 1950

Zeittafel

Bibliographie

“Ich schreibe weder für die Orthodoxen noch für diejenigen, die eine neue Orthodoxie entdeckt haben, noch schreibe ich für die Ungläubigen. Ich schreibe für diejenigen, die die Vernunft anerkennen, diese aber nicht mit westlichem Materialismus gleichsetzen, oder jene die Skeptiker sind, aber keine Ungläubigen, jene, die die Erfordernisse des modernen Denkens miteinbeziehen, und doch an Indien, seine Sendung, sein Evangelium, sein unsterbliches Leben und seine ewige Wiedergeburt glauben.”

Sri Aurobindo (um 1911)

Anmerkung der Herausgeber

Dieses Buch stellt Sri Aurobindos Vision Indiens dar, wie sie in ihm nach seiner Rückkehr aus England 1893, vor hundert Jahren, wuchs, bis in seine politische Zeit im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts und schließlich bis zu seinem Rückzug aus der Öffentlichkeit, während er sich auf seine “wirkliche Arbeit” evolutionären Wirkens konzentrierte.

Diese kurze chronologische Auswahl von allem, was Sri Aurobindo über Indien sagte oder schrieb, über seine Seele und seine Bestimmung, ist in keiner Weise vollständig. Wir vertrauen jedoch darauf, dass sie eine hinlänglich weite Aussicht der Entwicklungslinien liefert, die Indien nach Sri Aurobindos Ansicht folgen sollte, um die tief verwurzelten Hindernisse, die seiner Wiedergeburt entgegenstehen, überwinden zu können.

Einige erklärenden Anmerkungen wurden beigefügt, um den Auszügen die nötige historische Perspektive zu geben, dazu eine Chronologie und Bibliographie am Ende des Buches.

I. 1893 – 1910 Revolutionäre Schriften

(Nach dreizehn Jahren Englandaufenthalts, währenddessen er eine gänzlich abendländische Erziehung genoss, kehrte Sri Aurobindo am 6 Februar 1893, im Alter von zwanzig Jahren, nach Indien zurück.

Bankim Chatterjis Anandamath, welches das “Bande Mataram”, die Hymne an das Mutterland enthielt, war elf Jahre zuvor veröffentlicht worden. Sri Vivekananda hatte gerade seine erste Pilgerfahrt durch ganz Indien beendet, und er schickte sich an, ein Schiff nach Amerika zu nehmen. Es würde jedoch noch ein weiteres Jahrzehnt dauern, bis dieser Ruf an ihre Landsleute im politischen Bereich seinen Ausdruck finden würde. Bis jetzt hatte der acht Jahre alte Indian National Congress, dessen Mitglieder sich vor allem aus den anglisierten Oberschichten der Gesellschaft rekrutierten, vollstes Vertrauen in die britische Fairness und den “Vorsehungscharakter” der britischen Herrschaft in Indien. So schwor er Jahr um Jahr der britischen Krone den “unverbrüchlichen Treueeid” und gab sich mit der Eingabe von Bittschriften zufrieden, die von den Kolonialherren einfach ignoriert wurden. Ein weiteres Jahrzehnt würde vergehen, bevor der Freiheitskampf im Jahre 1905 offen ausbrach, und fünfundzwanzig Jahre, bis Mahatma Gandhi 1918 die politische Szene betrat.

Sri Aurobindo war einundzwanzig, als er die Reihe von neun Artikeln “Neue Lampen für alte” in der Bombayer Tageszeitung Indu Prakash, die auf Marathi und Englisch erschien, schrieb. In diesen Artikeln, die schließlich aufgrund von Druck auf den Herausgeber eingestellt werden mussten, zog Sri Aurobindo Bilanz der herrschenden Lage und griff in detaillierter und sprachmächtiger Kritik die “Bettlerpolitik” der Kongress-Partei an. Hier einige Auszüge:)

7. August 1893

Wir können es uns nicht leisten, Institutionen in den Rang eines Fetisches zu erheben. Täten wir das, so würden wir schlicht und einfach zu Sklaven unseres eigenen Getriebes.

*

21. August 1893

Unser eigentlicher Widersacher ist keine Macht außerhalb unserer Selbst sondern unsere eigene jämmerliche Schwäche, unsere Feigheit, unsere Selbstsucht, unsere Heuchelei, unsere schwachsichtige Gefühlsduselei.

*

28. August 1893

Ich sage demnach über die Kongress-Partei folgendes: Dass ihre Zwecke verfehlt sind, dass der Geist, in dem sie ihrer Verwirklichung entgegen schreitet, kein Geist der Aufrichtigkeit und der Ungeteiltheit ist, und dass die Methoden, die sie dafür erwählt hat, nicht die richtigen Methoden sind, und die Führer, denen sie sich anvertraut, nicht die angemessene Art von Führern sind; – kurz, dass wir gegenwärtig als Blinde, wenn nicht von Blinden, so höchstens von Einäugigen geführt werden.

*

4. Dezember 1893

Mit Glasmurmeln zu spielen, ist unser Ehrgeiz, nicht mit schweren Fragen in einem Geist ernsthafter Tatkraft umzugehen. Während wir jedoch in unseren legislativen Gremien, unseren Simultanuntersuchungen und unseren genialen Plänen der Trennung von judikativer und exekutiver Funktion mit Murmeln spielen – während wir, um es klar zu sagen, uns in Nebensächlichkeiten verlieren, werden die Gewässer der großen Tiefen in ihrem Innersten aufgerührt und ebenso jenes steigende Chaos des primitiven Menschen, dem unsere zivilisierten Gesellschaften vermittels einer hauchdünnen Kruste von Konventionen übergestülpt ist, wird seltsam und verhängnisvoll aufgewühlt.

*

(Nach seiner Rückkehr nach Indien begab sich Sri Aurobindo in den Staatsdienst von Baroda. Von 1897 bis 1906 unterrichtete er Französisch und Englisch am Baroda College, dessen Rektor er schließlich wurde. In diesen Jahren erfuhr er aus erster Hand den elenden Zustand, in dem sich das Erziehungswesen in Indien befand, und die Notwendigkeit einer echten nationalen Erziehung wurde ihm drastisch bewusst.)

Anfang des 20. Jahrhunderts (?)

Wenn die physische Ausbildung, die das indische Universitätssystem leistet, verachtungswürdig ist und die moralische Bildung null, so ist die mentale Bildung quantitativ mager und qualitativ wertlos.... Um einen akademischen Grad zu erlangen, sollten wir es zur absoluten Unabdingbarkeit machen, dass die Studenten eine gute Ausbildung erhalten. Ist eine wertlose Ausbildung hinreichend, um diesen Zweck zu erreichen, und eine gute Bildung unwesentlich, so ist es klar, dass der Student sich keiner großen Mühe und Energieverausgabung hingeben wird, um sich etwas anzueignen, das er für unnötig hält. Ändert man diesen Stand der Dinge und macht Kultur und wahre Wissenschaft wesentlich, so wird dasselbe eigennützige Motiv, das ihn derzeit mit einer schlechten Ausbildung zufrieden sein lässt, ihn dazu bewegen, nach Kultur und wahrer Wissenschaft zu streben.... Wir sind in Indien so barbarisch geworden, dass wir unsere Kinder mit den gröbsten utilitaristischen Motiven auf Ausbildungsstätten schicken, unverquickt durch jedwedes uneigennütziges Verlangen nach Wissen; dabei ist die Ausbildung, die wir erhalten, selbst für diesen Zustand verantwortlich....

Es handelt sich um einen fundamentalen und beklagenswerten Irrtum, durch den wir in diesem Lande Ausbildung mit dem Erwerb von Wissen verwechselt haben.... Das Ausmaß an Wissen ist an sich nicht von größter Wichtigkeit, sondern der beste Nutzen, den wir davon machen. Die vorschnelle Annahme unserer Erzieher, dass wir das Mental allein mit einem Schimmer von Fakten in jedem Wissensgebiet auszustatten hätten und dass dem Mental daraufhin zugetraut werden kann, sich selbst zu entwickeln und den ihm gemäßen Weg einzuschlagen, widerspricht aller Wissenschaft und aller menschlichen Erfahrung.... Obwohl wir als Nation viel verloren haben, erhielten wir uns unsere intellektuelle Wachsamkeit, rasche Auffassungsgabe und Selbständigkeit; aber selbst diese letztere Gabe wird durch unser Universitätssystem bedroht, und wenn diese uns auch verloren geht, wäre das der Anfang einer unwiderruflichen Herabsetzung und des letztlichen Untergangs.

Der allererste Schritt in Bezug auf Reform muss deshalb darin liegen, den gesamten Zweck und die Methode unserer Erziehung zu revolutionieren1.

*

Seit 1900 begann Sri Aurobindo, mit revolutionären Gruppen in Maharashtra und Bengalen Kontakt aufzunehmen, und er versuchte, ihre Vorhaben mit Hilfe seines Bruders, Barindra Kumar Ghose, und mit Jatindranath Banerjee zu koordinieren; auf Sri Aurobindos Initiative bildeten P. Mitter, Surendranath Tagore, Chittaranjan Das und Schwester Nivedita bald das erste Geheimkonzil für revolutionäre Aktivitäten in Bengalen. Obwohl sich eine wirksame Koordinierung zwischen den verschiedenen Gruppen als schwierig erwies, spielten einige davon, so P. Mitters Anusilan Samiti, eine bedeutende Rolle in der Verbreitung des nationalistischen Ideals. Ihre Hauptwaffe war die Einrichtung von revolutionären Zentren in zahlreichen Städten und Gemeinden, in denen junge Männer intellektuell, moralisch und physisch unterwiesen und für das Werk von Indiens Befreiung begeistert wurden.

In diesem Zeitraum verfasste Sri Aurobindo das Bhawani Mandir, ein Pamphlet “für die revolutionäre Vorbereitung des Landes”. Tausende von Exemplaren wurden heimlich verteilt.

Hier einige Auszüge:

1905

Indien, die Urmutter, strebt in der Tat nach ihrer Wiedergeburt, sie bemüht sich unter Schmerzen und Tränen, aber sie bemüht sich umsonst. Was fehlt ihr, die sie so unermesslich ist und so stark sein könnte? Mit Sicherheit handelt es sich um einen ungeheuren Mangel, etwas höchst Wesentliches fehlt uns, und es ist auch nicht schwer, den Finger auf die betreffende Stelle zu legen. Wir haben alles andere, aber uns ermangelt es an Stärke, wir sind bar jeder Energie. Wir haben die Shakti [Kraft] im Stich gelassen, und so hat Shakti uns im Stich gelassen. Die Mutter ist nicht in unseren Herzen, in unseren Gehirnen und in unseren Armen.

Wir verspüren in überreichlichem Maße das Verlangen, wiedergeboren zu werden, daran mangelt es nicht. Wie viele Versuche sind unternommen worden, wie viele Bewegungen sind in Religion, Gesellschaft und Politik begonnen worden! Doch sie alle hat das gleiche Schicksal ereilt oder ist im Begriff, sie zu ereilen. Sie blühen für einen Augenblick auf, dann lässt der Puls nach, das Feuer erstirbt, und wenn sie überdauern, dann nur als leere Hülsen, Formen, denen Brahma entflohen ist oder in denen er, von Tamas überwältigt, träge darniederliegt. Unsere Anfänge sind mächtig, aber sie tragen weder Folge noch Frucht.

Nun beginnen wir in einer anderen Richtung; wir leiteten eine große industrielle Bewegung ein, um ein verarmtes Land zu bereichern und zu regenerieren. Unbelehrt durch Erfahrung, nehmen wir nicht wahr, dass diese Bewegung so enden muss wie alle anderen, es sei denn, wir bemühen uns zuerst um das einzig Wesentliche, es sei denn, wir erlangen Kraft.

Fehlt es uns denn an Wissen? Wir Inder, die wir in einem Land geboren und aufgezogen wurden, in dem Jnana seit den Anfängen des Menschengeschlechts aufbewahrt und angesammelt wurde, tragen in uns die ererbten Vorteile von vielen Jahrtausenden.... Es handelt sich jedoch hierbei um totes Wissen, eine Last, unter der wir schmachten, ein Gift, das uns zerfrisst, während es vielmehr ein Stab zur Stütze unserer Füße und eine Waffe in unseren Händen sein sollte; denn es liegt in der Natur aller großen Dinge, dass sie, wenn sie ungenutzt gelassen oder missbraucht werden, sich gegen ihren Träger wenden und ihn zerstören....

Fehlt es uns dann eher an Liebe, Begeisterung und Bhakti? Diese Eigenschaften sind der indischen Natur eingeboren, aber in der Abwesenheit von Shakti können wir sie nicht konzentrieren, können wir sie nicht ausrichten, ja, können wir sie noch nicht einmal erhalten. Bhakti ist die lebendige Flamme, Shakti ist der Brennstoff. Ist der Brennstoff knapp, wie lange kann dann das Feuer brennen?...

Je tiefer wir schauen, desto mehr werden wir davon überzeugt werden, dass es vor allen Dingen eins ist, dessen es uns ermangelt und dessen wir habhaft werden müssen: Stärke – physische Stärke, mentale Stärke, moralische Stärke, vor allem aber spirituelle Stärke, welche die eine unerschöpfliche und unvergängliche Quelle all der anderen Stärken ist. Besitzen wir diese Stärke, wird uns alles andere leicht und natürlich zufallen. In der Abwesenheit von Stärke geht es uns wie Menschen im Traum, die Hände haben, aber nicht greifen oder zuschlagen können, die Füße haben, aber nicht laufen können....

Wenn Indien überleben soll, muss sie wieder jung werden. Schnelle und wogende Energieströme müssen in sie hineingegossen werden; ihre Seele muss wieder so werden, wie sie es in alten Zeiten war, Sturzseen gleich, unermesslich, mächtig, ruhig oder turbulent, je nach Willen, ein Ozean der Tat oder der Kraft.

Viele von uns, völlig von Tamas, diesem finsteren und bleiernen Dämon der Trägheit überwältigt, sagen heute, dass dies unmöglich ist, dass Indien verfällt, blutleer und leblos ist, viel zu schwach, um jemals wieder zu Kräften zu kommen, kurz, dass unser Volk dem Untergang geweiht ist. Das ist eine törichte und sinnlose Rede. Kein Mensch und keine Nation hat es nötig, schwach zu sein, es sei denn, er oder sie möchte es sein, kein Mensch und keine Nation hat es nötig zu vergehen, es sei denn, er oder sie wählt freiwillig den Untergang.

Denn was ist eine Nation? Was ist unser Mutterland? Es handelt sich nicht allein um ein Stück Erde, um eine Redewendung oder um eine Erfindung des Mentals. Es handelt sich um eine mächtige Shakti, die aus all den Shaktis all der Millionen Einzelteile, die eine Nation ausmachen, gebildet wird, so wie Bhawani Mahisha Mardini aus der Shakti all der Millionen Götter erzeugt wurde, in eine Masse von Kraft verdichtet und in eine Einheit zusammengeschweißt. Jene Shakti, die wir Indien nennen, Bhawani Bharati, ist die lebendige Einheit der Shaktis von dreihundert Millionen Menschen, aber sie ist untätig, gefangen im Zauberkreis des Tamas, der maßlosen Trägheit und Unwissenheit ihre Kinder....

Wir müssen Kraft schöpfen, wo es zuvor keine Kraft gab; wir müssen unsere Natur verändern und neue Menschen mit neuen Herzen werden, wir müssen wiedergeboren werden.... Wir brauchen einen Kern von Menschen, in denen die Shakti bis aufs äußerste entwickelt ist, in denen sie jeden Winkel der Persönlichkeit erfüllt und überfließt, um die Erde zu befruchten. Diese Menschen werden das Feuer der Bhawani in ihren Herzen und Gehirnen tragen, und sie werden ausziehen und die Flamme in jede Ecke und jeden Winkel unseres Landes bringen.

(Auszug aus einen Brief, den Sri Aurobindo auf bengalisch an seine Frau Mrinalini Devi schrieb, in welchem er ihr den Ruf zu erklären versuchte, den er verspürte, um für die Freiheit seines Landes zu arbeiten; dieser Brief wurde einige Jahre später von der Polizei beschlagnahmt und als Beweis im Bombenfall von Alipore verwendet.)

*

30. August 1905

Während andere ihr Land als ein lebloses Stück Materie betrachten – einige Felder und Wiesen, Wälder und Hügel und Flüsse –, betrachte ich mein Land als die Mutter. Ich verehre sie, ich bete sie an als die Mutter. Was täte ein Sohn, wenn ein Dämon auf der Brust seiner Mutter säße und ihr das Blut auszusaugen begänne?... Ich weiß, dass ich die Kraft habe, dieses gefallene Volk zu befreien. Es ist keine physische Kraft – ich werde nicht mit Schwert oder Gewehr kämpfen – sondern mit der Kraft des Wissens2....

(Von der zunehmenden Stärke der antibritischen Stimmung alarmiert, vollzog Lord Curzon 1905 die Teilung Bengalens. Diese gewissenhafte Anwendung des “Teile-und-Herrsche”-Prinzips zielte sowohl auf das Brechen der wachsenden politischen Agitation in Bengalen sowie auf den Gebrauch des vom Islam beherrschten Ostbengalens als spitzes Ende des Keils zwischen Hindus und Moslems – eine Politik, die vierzig Jahre später in der Teilung ganz Indiens gipfeln würde.

Bengalen reagierte auf seine Teilung mit massiven und einmütigen Protesten, an welchen viele Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens teilnahmen, so Rabindranath Tagore, Surendranath Banerji, Bepin Chandra Pal, Ashwini Kumar Dutt... Das Ideal des Swadeshi oder der wirtschaftlichen Selbstbestimmung, das zum Boykott britischer Waren aufrief, wurde weitverbreitet.

Im März des Jahres 1906 gründete Barin Ghose mit einigen anderen die feurige bengalische Wochenzeitschrift Yugantar, zu der Sri Aurobindo einige Artikel beitrug. Im August begann B. C. Pal, die berühmte englischsprachige Tageszeitung Bande Mataram herauszugeben; Sri Aurobindo wurde ihr Mitarbeiter und bald ihr Herausgeber, gleichzeitig mit seinen Aktivitäten hinter den Kulissen mit, unter anderen, B. G. Tilak und Lala Lajpat Rai.

Tag für Tag, bis zum Mai des Jahres 1908, benutzte Sri Aurobindo die Seiten der Bande Mataram, um der aufkommenden nationalen Bewegung Inspiration, Kraft und Klarheit über ihr Ziel einzuhauchen. Seine vordringlichste Aufgabe angesichts der scharfen Gegnerschaft der britischen Behörden, der selbstgerechten anglo-indischen Presse und der überwiegenden Mehrzahl der gemäßigten Kongressabgeordneten lag nach seinen eigenen Worten darin, die “offene und vollständige Unabhängigkeit als Ziel und Zweck der politischen Tätigkeit in Indien zu erklären und darauf mit großer Beharrlichkeit auf den Seiten des Journals zu bestehen; [Sri Aurobindo] war der erste Politiker Indiens, der den Mut hatte, dies öffentlich zu tun, und er war damit auch sofort erfolgreich. Die [Nationalistische] Partei nahm Swaraj, das Schlagwort der nationalen Selbstherrschaft auf, um damit ihr eigenes Ideal von Unabhängigkeit zum Ausdruck zu bringen, und es sollte sich bald überallhin ausbreiten.... Die größte Tat dieser Jahre war die Schaffung eines neuen Geistes im Lande3.” Die folgenden Auszüge entstammen dem Bande Mataram.)

1. September 1906

Die richtige Politik der Kongress-Bewegung hätte von Anfang an darin bestehen sollen, unter ihrer Flagge alle Elemente der Stärke zu sammeln, die in diesem riesigen Lande existieren. Der brahmanische Pandit und der mohammedanische Maulavi, die Kastenverwaltung und die Gewerkschaftsbewegung, der Arbeiter und der Handwerker, der Kulie in seinem Dienst sowie der Bauer auf seinem Feld, keiner von ihnen hätte in der Sphäre unserer Aktivitäten fehlen sollen. Den jeder von ihnen ist eine Stärke und eine Einheit der Kraft; und in der Politik trägt diejenige Seite den Sieg davon, die über die größte und bestorganisierte Anzahl solcher Einheiten verfügt und sie am geschicktesten einsetzen kann, und nicht diejenigen, die die besten Argumente haben und über die größte Beredsamkeit verfügen.

Die Kongress-Partei jedoch ging von Anfang an von einem Missverständnis bezüglich der elementarsten politischen Tatsachen aus und richtete ihren Blick stets auf die britische Regierung und weg vom Volke.

*

13. September 1906

Die Vorstellung, dass die Wahl eines moslemischen Präsidenten die Antikongress-Mohammedaner beschwichtigen würde, ist eine Albernheit, die wiederholt durch die Erfahrung widerlegt worden ist.

*

Seit der Geburt der Kongress-Partei haben die Anführer dieser großen nationalen Bewegung stets mit großer Hartnäckigkeit der Öffentlichkeit des Landes das Recht verweigert zu entscheiden, was in ihrem Namen und in ihrem Interesse gesagt und getan werden soll und was nicht. Die Abgeordneten wurden aus allen Teilen des Landes zusammengerufen, nicht etwa um über die öffentlichen Belange nachzudenken, sondern einzig und allein, um die bereits in Geheimzirkeln von einem halbem Dutzend Männer getroffenen Entscheidungen gut zu heißen.

*

31. Dezember 1906

Den Führern kann nur in sofern Verehrung entgegen gebracht werden, als sie im Geiste oberster Diener für ihr Land eintreten und nicht im Geiste von Herren und Diktatoren.

*

5. April 1907

Politik ist das Werk des Kshatriya, und wir müssen die Kshatriya-Tugenden entwickeln, um moralisch für die Freiheit geeignet zu sein.

*

8. April 1907

Wir wiederholen mit allem uns zur Verfügung stehenden Nachdruck, dass der Kshatriya der Überlieferungen wieder seine berechtigte Stellung in unserer Regierungs- und Gesellschaftsform einnehmen muss, um seine erste und vordringlichste Pflicht auszuüben: die Verteidigung ihrer Interessen.

*

13. April 1907

Wir sollten mit unserem Angriff auf alles, was das Wachstum der Nation hindert, völlig schonungslos vorgehen und uns nicht scheuen, die Dinge offen beim Namen zu nennen. Übertriebene Gutmütigkeit, chakshu lajja [der Wunsch, jederzeit freundlich und zuvorkommend zu sein], führt in der ernsthaften Politik zu nichts. Die Rücksichtnahme auf Personen hat der Wahrheit und dem Gewissen zu weichen, und die Forderung, dass wir wegen des Zeitgeistes oder vergangenen Gefälligkeiten unserer Gegner schweigen sollen, ist politisch unmoralisch sowie ungesund. Offener Angriff, schonungslose Kritik, schärfste Satire, die verletzendste Ironie, sind alle vollkommen sachgerechte und unabdingbare Methoden in der Politik. Wir haben mächtige Dinge zu sagen, lasst sie uns in mächtiger Weise sagen; wir haben harte Dinge zu tun, lasst sie uns in aller Härte angehen. Dabei gibt es immer die Gefahr, dass Stärke in Gewalt ausartet und Härte in Grausamkeit, und das sollte, soweit es menschenmöglich ist, vermieden werden.

*

16. April 1907

Es gibt Epochen der Weltgeschichte, in denen die unsichtbare Kraft, die ihre Geschicke lenkt, mit einer alles verzehrenden Leidenschaft nach Veränderung und einer unbezwingbaren Ungeduld gegenüber dem Alten erfüllt zu sein scheint. Die Große Mutter, die Adya Shakti, hat beschlossen, die Nationen in ihre Hand zu nehmen und neu zu gestalten. Es handelt sich um Zeiten jäher Zerstörung und energischer Schöpfung, erfüllt vom Donner der Kanonen und dem Marschschritt der Armeen, dem Krach großer Zusammenbrüche und dem Aufruhr ungestümer und heftiger Revolutionen. Die Welt wird in einen Schmelztiegel geworfen und erscheint in neuer Form und mit neuen Zeugen. Es sind Zeiten, in denen die Weisheit der Weisen sich verwirrt und die Umsicht der Umsichtigen zur Zielscheibe des allgemeinen Gespötts wird....

*

23. April 1907

Jede Nation muss dasjenige politische Credo verwirklichen, das ihrem Temperament und ihren Umständen am ehesten gerecht wird, und eben das, was am sichersten und vollständigsten zur nationalen Befreiung und nationalen Selbstverwirklichung führt, ist am besten für sie.

*

11. Mai 1907

In dieser schweren Krise unserer Bestimmungen lasst unser Volk nicht seine Seelenstärke verlieren oder Abstumpfung und Niedergeschlagenheit seine Seelen ergreifen und entmutigen. Der Kampf, der uns am Herzen liegt, gleicht nicht den Kriegen der Vorzeit, in denen, wenn König oder Führer fielen, die Armee flüchtete. Der König, dem wir in die Kriege folgen, ist unser heiliges und unverwüstliches Mutterland; der Führer in unserem Marsch vorwärts ist der Allmächtige selbst, jenes Element innerhalb und außerhalb unserer selbst, welches durch kein Schwert erschlagen, durch kein Wasser ertränkt, durch kein Feuer verbrannt, durch kein Exil von uns getrennt und durch kein Gefängnis beschränkt werden kann.

...

Lasst keine Hasenherzigkeit aufkommen unter uns und keine Niedergeschlagenheit, und lasst uns andererseits keiner unumsichtigen Raserei und keinem blindwütigen Wahnsinn verfallen. Wir stehen am Anfang einer Zeit fürchterlicher Schicksalsprüfungen. Sie zu meistern ist nicht einfach, und die Krone lässt sich nicht billig verdienen. Indien begibt sich auf den Weg in das Tal des Todesschattens, in ein großes Entsetzen der Finsternis und des Leidens. Lasst uns dessen bewusst werden, dass das, was wir jetzt zu erleiden haben, nur ein Bruchteil von dem ist, was wir erleiden werden, und lasst uns mit voller Entschlossenheit und ohne Hysterie in diesem Bewusstsein arbeiten.... Das wichtigste, was im Augenblick nottut, ist Courage, eine Courage, die weder Zaudern noch Zögern kennt.

*

23. Mai 1907

Dort wo der Wille einer höheren Macht am Werk einer großen Umwälzung ist, ist kein Individuum unabdingbar.

*

28. Mai 1907

Wir müssen die Gedanken unserer Jugend von Kindesbeinen auf mit dem Gedanken an ihr Vaterland erfüllen und sie bei jeder Lebenswende erneut mit diesem Gedanken motivieren und ihr ganzes junges Leben zu einer Lehre und Übung der Tugenden machen, die später den Patrioten und Staatsbürger ergeben. Versuchen wir dies nicht, so können wir unseren Wunsch, eine indische Nation zu gründen, getrost gänzlich aufgeben; denn ohne eine solche Disziplin sind Nationalismus, Patriotismus und Erneuerung bloße Worte und leere Gedanken, die niemals fester Bestandteil der eigentlichen Seele der Nation und zu einer großen verwirklichten Tatsache werden können. Bloßes akademisches Unterrichten in Patriotismus ist völlig sinnlos.

*

7. Juni 1907

Was Indien gerade in diesem Augenblick nottut, sind die aggressiven Tugenden, der Geist hochfliegenden Idealismus, kühner Schöpferkraft, furchtlosen Widerstandsgeists, mutigen Angriffs; vom passiven, tamasischen Geist der Trägheit haben wir bereits übergenug. Wir müssen ein anderes Training und Temperament kultivieren, eine radikal andere Geisteshaltung. Wir müssen auf die gegenwärtige Lage Dantons kraftvolle Maxime anwenden, nämlich: Das, was wir brauchen und was wir vor allen Dingen lernen müssen, ist Courage, Courage, wieder Courage und nochmal und immerfort Courage.

*

19. Juni 1907

Abgesehen von der natürlichen Zuneigung, die jeder Mensch für sein Land, sowie für seine Literatur und Tradition, seine Gebräuche und Sitten verspürt, bietet die Vaterlandsliebe einen zusätzlichen Anreiz in Bezug auf die anerkannten Vorzüge einer nationalen Zivilisation. Wenn die Briten England mit all ihren Fehlern lieben, warum sollten wir dann nicht Indien ebenso lieben können, dessen Fehler auf ein unvermeidbares Mindestmaß reduziert worden waren, bevor ausländische Eroberungen die gesamte Gesellschaft aus dem Gleichgewicht brachte? Anstatt aber vom natürlichen Ehrgeiz beherrscht zu sein, die Standarte einer solchen Zivilisation in die ganze Welt zu tragen, sind wir unfähig, ihre Integrität selbst auf heimatlichem Boden zu erhalten. Hier handelt es sich um Verrat eines Vertrauens, um eine Würdelosigkeit der übelsten Sorte. Wir sind nicht in der Lage gewesen, irgend etwas zu diesem kostbaren Vermächtnis beizusteuern; im Gegenteil, wir haben uns selbst und die kommenden Generationen davon abgehalten, dieses rechtmäßige Erbe zu genießen....

Nach Sidgwick4 entstammt der physische Expansionsdrang dem Wunsch spiritueller Expansion, und die Geschichte unterstützt diese Einstellung. Sollte demnach nicht Indien die erste Weltmacht sein? Wer anders hat das unstrittige Recht, seinen spirituellen Einfluss auf die Welt auszudehnen? Das war Swami Vivekanandas Strategie. Indien kann seine Größe durch das überwältigende Gefühl der Größe seiner Spiritualität wieder bewusst gemacht werden. Dieser Sinn von Größe ist der Hauptnährboden aller Vaterlandsliebe. Er allein kann dem nationalen Minderwertigkeitsgefühl ein Ende bereiten und den brennenden Wunsch erzeugen, das Verlorene zurückzuerobern.

*

22. Juni 1907

Er (ein führender bengalischer Politiker) hat nicht die Qualitäten, die in der Politik nötig sind – Robustheit, Rückenmark, die Fähigkeit, einen bestimmten Handlungsablauf zu wollen und die Courage, ihn durchzuführen.... Kein Mensch, der vor dem Kampf zurückscheut oder sich vom Gedanken der Aggressivität abschrecken lässt, kann darauf hoffen, die ungestümen Kräfte zu packen und anzuführen, die im Indien des 20. Jahrhunderts an die Oberfläche kommen.

*

3. Juli 1907

Der Osten ist Tausende von Jahren älter als der Westen, die größere Anzahl an Jahren jedoch bedeutet nicht notwendigerweise ein weiseres Alter.... Asien hat einen langen Atem, Europa dagegen ist kurzlebig und vergänglich. Asien erstreckt sich in riesigen Zügen, weit und großartig in seinen Bewegungen, und seine Lebensalter bemessen sich entsprechend. Europa lebt in Jahrhunderten, Asien in Jahrtausenden. Europa ist in Nationen eingeteilt, Asien in Zivilisationen. Die Gesamtheit Europas ergibt allein eine Zivilisation mit einer gemeinsamen, abgeleiteten Kultur überwiegend aus zweiter Hand; Asien unterstützt drei Zivilisationen, von denen jede autochthon und bodenständig ist. Alles in Europa ist klein, schnell und kurzlebig; das Geheimnis der Unsterblichkeit ist hier nicht eigen.

*

(Am 15. August 1906, wenige Tage nach der Gründung der Bande Mataram, öffnete das Bengalische National College mit Sri Aurobindo als Rektor seine Türen; es war eines der ersten Experimente auf der Suche nach einer echt nationalen Erziehung. Seine Gründung war durch die großzügige finanzielle Hilfe von Subodh Mullick, einem von Sri Aurobindos Mitarbeitern an Geheim¬aktionen, möglich geworden. Trotz der Belastung durch den Bande Mataram fand Sri Aurobindo Zeit, indische Geschichte und Geographie, englische Geschichte, politische Wissenschaft sowie Französisch, Deutsch und Englisch zu unterrichten....

Ein Jahr später, am 16. August 1907, verhaftete die britische Regierung Sri Aurobindo unter dem Aufrührungsgesetz. Sie war durch die starke Verbreitung und Wirkung der Bande Mataram aus der Fassung geraten; er war am Vortage 35 geworden. Seine Freilassung einen Monat später verdankte er der Tatsache, dass die Regierung sich außerstande sah zu beweisen, dass er der Herausgeber des besagten schrecklichen Journals war. Zu diesem Anlass schrieb Rabindranath Tagore sein berühmtes Gedicht an Sri Aurobindo, den er als “die verkörperte, unabhängige Stimme der Seele Indiens” begrüßte.

Einige Tage nach seiner Verhaftung trat Sri Aurobindo, auf Kaution entlassen, von seiner Stellung als Rektor des Bengalischen National Colleges zurück. Es folgen einige Auszüge aus einer Rede, die er vor Studenten und Lehrern hielt, die sich versammelt hatten, um ihre “tiefste Sympathie” zu erklären.)

23. August 1907

Als wir dieses College gründeten und andere Beschäftigungen und Lebensziele aufgaben, um uns dieser Institution zu widmen, taten wir das, da wir hofften, in ihr die Grundlage, den Kern einer Nation zu sehen, den Kern eines neuen Indiens, das seine Laufbahn nach dieser Nacht von Kummer und Schwierigkeiten beginnen wird, an einem Tag von Herrlichkeit und Größe, an dem Indien für die Welt arbeiten wird. Unser Ziel ist es hier nicht allein, Ihnen ein wenig Information zu vermitteln, nicht allein, Ihnen eine Laufbahn zu eröffnen, Ihren Lebensunterhalt zu verdienen, sondern Söhne für das Mutterland auszubilden, um für sie zu arbeiten und zu leiden. Aus diesem Grunde haben wir dieses College gegründet, und diesem Werk möchte ich, dass Sie Ihre Zukunft widmen. Was von uns unvollständig und auf unvollkommene Weise begonnen wurde, an Ihnen liegt es, es zu vervollkommnen und zur Vollendung zu führen. Wenn ich zurückkomme, wünsche ich, einige von Ihnen reich zu sehen, reich nicht für Ihre eigenen Zwecke, sondern damit sie die Mutter mit Ihrem Wohlstand überhäufen. Ich wünsche, einige von Ihnen mächtig zu sehen, mächtig nicht um Ihrer selbst willen, nicht um Ihrer eigenen Eitelkeit willen, sondern mächtig für Indien, um es ihm zu ermöglichen, mit erhobenem Haupte zwischen den Nationen der Erde zu stehen, so wie es in der grauen Vorzeit der Geschichte dastand, als die Welt zu Indiens Licht aufschaute. Selbst jene, die arm und im Verborgenen bleiben, möchte ich ihre ureigenste Armut und Verborgenheit dem Mutterland widmen sehen. Es gibt Zeiten in der Geschichte einer Nation, wenn die Vorsehung ein Werk, einen Zweck für sie aussucht, dem alles andere, wie immer erhaben und edel in sich, geopfert werden muss. Eine solche Zeit ist für unser Mutterland nun angebrochen, wenn nichts wertvoller ist als ihr Dienst, wenn alles andere diesem Zweck untergeordnet ist... Arbeiten Sie, auf dass es ihm wohlergehen möge. Leiden Sie, auf dass es jubilieren möge. In diesem einfachen Rat ist alles enthalten.

*

22. September 1907

Das Kastenwesen war ursprünglich eine Einrichtung zur Verteilung der Aufgaben in der Gesellschaft, im gleichen Maße wie das Klassensystem in Europa, das Prinzip jedoch, auf dem diese Verteilung in Indien basierte, war spezifisch für dieses Land.... Ein Brahmane war nicht allein durch seine Geburt Brahmane, sondern weil er die Pflicht erfüllte, die spirituelle und intellektuelle Erhabenheit des Volks zu bewahren, und er musste das spirituelle Temperament pflegen und sich die spirituelle Ausbildung aneignen, die ihn allein für die Aufgabe befähigen konnte. Der Kshatriya war Kshatriya nicht allein, weil er Spross von Kriegern und Fürsten war, sondern weil er die Pflicht erfüllte, das Land zu verteidigen und den hohen Mut und die Männlichkeit der Nation zu bewahren, und dazu hatte er das fürstliche Temperament zu pflegen und sich die hehre und starke Samurai-Ausbildung anzueignen, die ihn allein zu seinen Pflichten befähigte. Das gleiche galt für den Vaishya, deren Aufgabe darin bestand, Wohlstand für das Volk anzuhäufen, und den Sudra, der die bescheideneren Pflichten der Dienstleistung erfüllte, ohne welche die anderen Kasten ihren Teil der Arbeit für das Gemeinwohl nicht erfüllen konnten.... Im Wesentlichen gab es zwischen dem pflichtbewussten Brahmanen und dem pflichtbewussten Sudra keine Ungleichheit im einzigen virat purusa [Kosmischen Geist], von dem jeder ein notwendiger Bestandteil war. Chokha Mela, der Maratha Pariah, wurde zum Guru der Brahmanen, die stolz auf ihre Kastenreinheit waren; der Chandala belehrte Shankaracharya, denn der Brahmane offenbarte sich im Körper des Pariahs, und im Chandala befand sich die tiefste Gegenwart von Shiva, dem Allmächtigen....

Das Kastenwesen war deshalb nicht allein eine Institution, die gegenüber den billigen Verleumdungen aus zweiter Hand, die so lange in Mode waren, immun sein sollte, sondern es war eine Notwendigkeit, ohne die die Hindu-Zivilisation nicht ihren besonderen Charakter hätte entwickeln oder ihre einzigartige Bestimmung hätte ausarbeiten können.

Die Anerkennung dessen sollte uns nicht daran hindern, auf seine späteren Perversionen hinzuweisen und ihre Berichtigung anzustreben. Es liegt in der Natur menschlicher Institutionen, zu degenerieren, ihre Vitalität zu verlieren und zu verfallen, und das erste Anzeichen dieses Verfalls ist der Verlust an Flexibilität und das Vergessen des eigentlichen Geistes, in dem sie begründet wurden. Der Geist ist beständig, der Körper verändert sich; und ein Körper, der die Veränderung verweigert, muss sterben. Geist drückt sich auf viele Arten und Weisen aus, obwohl er im Wesentlichen derselbe bleibt, der Körper aber muss sich verändern, um sich den veränderten Umgebungen anzupassen, wenn er überleben will. Es besteht kein Zweifel daran, dass das Kastenwesen degenerierte. Es hörte auf, von spirituellen Kriterien bestimmt zu werden, die, obwohl sie früher wesentlich waren, nun zweitrangig oder sogar unwesentlich geworden sind. Heute wird es allein durch rein materielle Geburts- und Berufsprüfungen entschieden. Durch diese Veränderung hat es sich der grundlegenden Tendenz des Hinduismus entgegengestellt, die darin besteht, auf dem Geistigen zu beharren und dem das Materielle unterzuordnen, wodurch ein Großteil seiner Bedeutung verloren ging. Der Geist von Kastenarroganz, Ausschließlichkeit und Überlegenheit begann es, anstelle des Geistes der Pflichterfüllung zu beherrschen, und diese Veränderung schwächte die Nation und verhalf uns dazu, uns auf die gegenwärtige Position zu vermindern.

*

7. Oktober 1907

Diese große, antike Nation war einmal der Born menschlichen Lichtes, der Gipfel der menschlichen Zivilisation, das Paradebeispiel von Courage und Menschlichkeit, die Vollendung guten Regierungswesens und einer gefestigten Gesellschaft, die Mutter aller Religionen, der Lehrmeister aller Weisheit und Philosophie. Sie hat stark unter den Händen minderwertiger Zivilisationen und barbarischerer Völker gelitten; sie stieg herab in den Schatten der Nacht und schmeckte von der Bitterkeit des Todes. Ihr Stolz wurde in den Staub getreten und ihre Herrlichkeit ist vergangen. Hunger und Elend und Verzweiflung sind die Herren dieser guten Erde, dieser edlen Hügel, dieser uralten Flüsse und dieser Städte geworden, deren Lebensgeschichte zurückgeht bis in die Nacht der Vorgeschichte. Glauben Sie aber, dass Gott uns vollkommen preisgegeben hat und uns aufgab, nur damit wir dem Westen eine Anstalt der Bequemlichkeit sein können, als Heloten seines Handels und als Bestärker seines Luxus und seines Stolzes? Noch sind wir Gottes auserwähltes Volk, und all unsere Katastrophen sind nichts weiter als eine Disziplin des Leidens, denn für die große Sendung, die vor uns liegt, war Reichtum nicht hinreichend, auch Feindschaft war das Übungsfeld; die Herrlichkeit von Macht, Güte und Freude zu schmecken, war nicht hinreichend, das Wissen um Schwäche und Folter und Erniedrigung war ebenso notwendig; es war nicht hinreichend, dass wir die Rolle des mitleidigen Weisen und des gütigen Königs erfüllen sollten, an unserer eigenen Person mussten wir die Erfahrung der Gefühle des Ausgestoßenen und des Sklaven machen.

*

23. Oktober 1907

Eine geläufige Phrase kommt, zeitgemäß oder unzeitgemäß, ständig von unseren Lippen, und das ist der Ruf nach Einheit. Wir nennen es eine Phrase, denn diejenigen, die sie verwenden, haben nicht die leiseste Vorstellung davon, was sie meinen, wenn sie es verwenden. Sie verwenden es hingegen als eine wirkungsvolle Formel, um Unabhängigkeit des Denkens und Fortschrittlichkeit des Handeln zu verhindern. Es verlangt ihnen nicht nach der Wirklichkeit vereinten Denkens und Handelns, sondern es verlangt ihnen allein nach dem Anschein von Einheit.... Es handelt sich hier um eine mentale Gewohnheit, die dem Geist der Abhängigkeit und Schwäche entstammt. Sie fördert Falschheit und ermutigt Feigheit und Unehrlichkeit. “Was immer Ihr für Standpunkte vertretet, unterdrückt sie, denn sie werden unsere Einheit verderben; schluckt Eure Prinzipien herunter, sie werden unsere Einheit verderben; kämpfet nicht für das, was ihr für richtig haltet, das wird unsere Einheit verderben; unterlasst es, die notwendigen Dinge zu tun, denn der Versuch, sie zu erledigen, wird unsere Einheit verderben” – das ist der Ruf. Das Vorherrschen einer toten und leblosen Einheit ist das wahre Anzeichen einer nationalen Entwürdigung, ebenso wie das Vorherrschen einer lebendigen Einheit Anzeichen nationaler Größe ist.

*

6. Dezember 1907

[Die Briten] begannen selbstverständlich schon lange damit, aus den religiösen Verschiedenheiten der indischen Gesellschaft Kapital zu schlagen, und seit kurzem wird die Politik, Mohammedaner als Gegengewicht gegen Hindus einzusetzen, öffentlich vertreten5. In den neuen Legislativräten sollen die Mohammedaner nicht als Kinder dieser Erde repräsentiert werden, als ein integraler Bestandteil eines indischen Volkes, sondern als ein politisch gesonderter und feindlicher Teil, der, der Hoffnung nach, die Hindus überwiegen oder doch wenigstens in ihrem politischen Gewicht annullieren soll.... Die Hindus sind unsicher geworden, sie haben eine Stimme gehört, die ihnen zuruft: “Stehet von den Toten auf und folget mir nach,” und sie beginnen, unwiderstehlicherweise zu einer lebendigen und machtvollen politischen Kraft zu werden.

...

Der letzte brillante Trick [der britischen Bürokratie] ist der Versuch, die konstituierenden Elemente der indischen Politik neu durchzumischen und frisch zu sortieren, nicht allein auf Glaubens-, sondern auch auf Kastengrundlage.... [Der Begriff Kaste] hat keine politische Bedeutung, und es sollte nicht zugelassen werden, dass er eine solche erhält.

*

17. Dezember 1907

Nationalismus6 hängt in seinem Erfolg vom Erwachen und der Organisation der gesamte Stärke der Nation ab; deswegen ist es von äußerster Wichtigkeit für den Nationalismus, dass die politisch rückständigen Klassen aufgeweckt und in den Strom des politischen Lebens einbezogen werden; die große Masse des orthodoxen Hinduismus, die von der alten Kongress-Bewegung kaum berührt wurde, die große schlummernde Masse des Islams, die das ganze vergangene Jahrhundert hindurch träge geblieben war, die Geschäftsinhaber, die Klasse der Kunsthandwerker, der ungeheure Körper der analphabetischen und unwissenden Bauernschaft, die unterdrückten und allerärmsten Bevölkerungsklassen, selbst die wilden Stämme und Rassen, die sich noch außerhalb des Radius der Hindu Zivilisation bewegen, der Nationalismus kann es sich nicht leisten, auch nur eine davon außer acht zu lassen....

Der Nationalismus fragt zuerst und vor allen Dingen nach Leben, Leben und noch mehr Leben, das ist sein Schlachtruf. Lasst uns unter allen Umständen das Leichentuch des Todes loswerden, das uns zu ersticken droht, lasst uns die Passivität, Reglosigkeit und den unaussprechlichen Druck der Trägheit, der solange unser Fluch war, vertreiben; hierin liegt die erste zwingende Notwendigkeit.

(Am 27. Dezember 1907 brach die National Partei, über deren Versammlung Sri Aurobindo präsidierte, mit den Gemäßigten der Kongress-Partei in der stürmischen Surat-Sitzung. Der Bruch wurde verursacht durch die Weigerung der Letzteren den Forderungen von Swaraj, Swadeshi, Boycott und nationaler Erziehung zuzustimmen, die während der letzten Sitzung in Kalkutta unter dem Vorsitz von Dadabhai Naoroji angenommen worden waren. Die Kongress-Partei würde weitere zweiundzwanzig Jahre brauchen, um sich vollständige Unabhängigkeit als Ziel zu setzen.)

*

19. Januar 1908

(Einige Tage nach den Ereignissen in Surat hatte Sri Aurobindo in Baroda seine erste entscheidende Erfahrung, die Erfahrung des Nirvana oder Brahman-Bewusstseins. Von diesem Zeitpunkt an entströmten all seine Handlungen, einschließlich seiner Reden und Schriften, aus dem “absoluten Schweigen des Mentals.”

Auf seinem Rückweg nach Kalkutta wurde Sri Aurobindo gebeten, an vielen verschiedenen Orten zu sprechen. Es folgen einige Auszüge aus einer Rede, die er vor einer großen Versammlung im Mahajan Wadi in Bombay hielt:)

Glaube ist nicht einfach ein intellektueller Prozess, Glaube ist nicht einfach eine Überzeugung des Mentals, Glaube ist etwas in unserem Herzen, und was du glaubst, musst du tun, denn Glaube kommt von Gott. Zum Herzen spricht Gott, im Herzen wohnt Gott.... Das Werk, das ihr auf euch genommen habt, ist ein so gigantisches, ein so gewaltiges Werk, und die Mittel, es zu erreichen, sind so erbärmlich, die Widerstände dagegen werden so stark und so durchorganisiert sein... und was für Mittel habt ihr, um dieses ungeheure Werk auszuführen? Betrachtet ihr es auf intellektuelle Weise, ist es hoffnungslos.... Dieser intellektuelle Prozess, wenn er redlich angewandt und bis zum Ende durchgeführt wird, führt euch zur Verzweiflung, er führt euch zum Tode.

...

Was ist es, das nottut? Was war es, das den Älteren [der nationalen Bewegung] im Gefängnis geholfen hat?... Sie alle hatten ohne Ausnahme, bewusst oder unbewusst, eine überwältigende Idee, eine Idee, die nicht zu erschüttern war, und diese Idee bestand darin, dass eine große Macht am Werke ist, Indien zu helfen, und dass wir alle das tun was sie uns zu tun gebietet.... Sie haben diese innere Überzeugung nicht im Intellekt, sondern im Herzen, dass die Macht, die sie führt, unbezwingbar ist, dass es der Allmächtige, der unsterblich und unwiderstehlich ist, und dass er das Werk tun wird. Für sie bleibt nichts zu tun. Sie müssen allein dieser Macht gehorchen. Sie müssen ihr dahin folgen, wo sie sie hinführt. Sie müssen nur die Worte sagen, die sie ihnen zu sprechen aufgibt, und die Dinge tun, die sie ihnen zu tun aufträgt.... Er selbst ist hinter uns. Er selbst ist der Wirkende und das Werk. Er ist im Herzen seines Volkes unsterblich....

Wenn du an Gott glaubst, wenn du daran glaubst, dass Gott dich führt, daran glaubst, dass Gott alles tut und du nichts tust – was gilt es dann zu fürchten?... Es gibt nichts zu fürchten.... Was können diese Tribunale, was können alle Mächte der Welt dem antun, das in dir ist, dem Unsterblichen, dem Ungeborenen und Nicht-Sterbenden Einen, den das Schwert nicht durchdringen kann, den das Feuer nicht brennen kann und den das Wasser nicht ertränken kann? Ihn kann das Gefängnis nicht beschränken, und der Galgen kann Ihm kein Ende setzen. Was gibt es da zu fürchten, wenn du dir Seiner bewusst bist, der in dir wohnt? Courage ist dann eine Notwendigkeit, Courage ist naturgegeben und Courage ist unausweichlich.... Durch Leben und Sterben bist du geschützt durch Den, der in eben der tiefsten Stunde des Todes überlebt, du spürst deine Unsterblichkeit in der Stunde der schlimmsten Leiden, du spürst, dass du unbesiegbar bist....

Versuche, die Stärke in dir zu verwirklichen, versuche, sie hervorzubringen, damit alles, was du tust, nicht dein eigenes Tun ist, sondern das Tun der Wahrheit in dir. Versuche, jede Stunde deines Lebens durch diese Gegenwart erleuchten zu lassen, dass jeder deiner Gedanken von diesem einen Born der Eingebung inspiriert wird, dass jede der Fähigkeiten und Eigenschaften in dir dieser unsterblichen Macht in dir zu Diensten gestellt wird. Der Führer ist in uns selbst.

*

19. Februar 1908

Wenn ein großes Volk sich aus dem Staub erhebt, welches Mantra ist dann das Sanjivani Mantra oder welche Macht ist die auferstehende Kraft dieses Wiederauflebens7? In Indien gibt es zwei große Mantras, das Mantra der “Bande Mataram”, der öffentliche und allgemeine Ruf erwachter Liebe nach dem Mutterland, und dann gibt es ein anderes, geheimeres und mystischeres, das noch nicht offenbart wurde.

*

20. Februar 1908

Wahrheit ist der Fels, auf der die Welt gebaut ist. Satyena ¬tisthate jagat. Falschheit kann niemals die wahre Quelle der Stärke sein. Wenn Falschheit an der Wurzel einer Bewegung liegt, ist diese Bewegung zum Scheitern verurteilt. Diplomatie kann einer Bewegung allein dann helfen, wenn diese Bewegung von Wahrheit ausgeht. Diplomatie zum Urprinzip zu machen, bedeutet den Gesetzen der Existenz zuwider zu handeln.

*

22. Februar 1908

Was immer wir für Pläne schmieden, wir werden sie ziemlich nutzlos finden, wenn die Zeit der Tat naht. Revolutionen sind immer voller Überraschungen, und wer immer denkt, er könne mit der Revolution Schach spielen, wird bald finden, wie entsetzlich der Zugriff Gottes ist und wie unbedeutend der menschliche Verstand vor dem Wirbelwind Seines Atems. Allein derjenige Mensch hat eine Chance, die Zufälle einer Revolution zu beherrschen, der keine Pläne schmiedet, sondern sein Herz rein hält, damit sich der Wille Gottes kundtun kann. Die große Lebensregel besteht darin, keine Schemata zu haben, sondern ein unabänderliches Ziel. Ist der Wille auf das Ziel fixiert, das er zu erfüllen gedenkt, dann werden die Umstände den richtigen Kurs andeuten; der Schematiker dagegen wird immer über das Unerwartete stolpern.

*

24. Februar 1908

Nationale Erziehung kann nicht kurz in ein oder zwei Sätzen beschrieben werden, wir können sie aber vorläufig als die Erziehung beschreiben, die von der Vergangenheit ausgehend und unter vollster Nutzung der Gegenwart eine große Nation aufbaut. Jeder, der die Nation von ihrer Vergangenheit abzuschneiden versucht, ist kein Freund unserer nationalen Entwicklung. Jeder, der aus der Gegenwart keinen Nutzen zieht, verliert für uns die Schlacht des Lebens. Wir müssen deshalb für Indien alles bewahren, was sie aus unvordenklichen Zeiten an Wissen, Charakter und hohen Gedanken angespeichert hat. Wir müssen für sie das beste Wissen erwerben, das Europa zu bieten hat, und es entsprechend dem ihr ureigenen Typus des nationalen Temperaments assimilieren. Wir müssen die besten Lehrmethoden einführen, die die Menschheit entwickelt hat, seien sie modern oder alt-überliefert. Und all das müssen wir in einem System harmonieren, das vom Geist des Selbstvertrauens durchtränkt ist, um Menschen aufzubauen und keine Maschinen....

*

6. März 1908

Allein ein Volk, das nicht die Gesundheit seiner ländlichen Wurzeln der städtischen Brillanz seines Laubwerks und seiner Blüten opfert, befindet sich in einem gesunden Zustand, und seine Fortdauer ist gewiss.... Wir müssen uns nun eben dem Arbeitsfeld in dieser Richtung zuwenden, das wir bisher am meisten vernachlässigt haben, das Feld der Landwirtschaft. Der Rückbezug zu Land und Boden ist so essentiell für unsere Befreiung wie die Entwicklung des Swadeshi oder der Kampf gegen den Hunger. Bilden wir unsere jungen Menschen aus, zurück in die Felder zu gehen, so befähigt sie das, Berater, Leiter und Beispiel für die Dorfbevölkerung zu werden.... Das Problem drängt nach einer Lösung, und das bloße Organisieren von Dorfgenossenschaften ist nur teilweise wirksam, wenn es nicht durch ein Erziehungssystem unterstützt wird, das den gebildeten Hindu als Bauern und einheimischen Führer der Bauernschaft des Volks zur Scholle zurückbringt.

*

16. März 1908

Es ist gesagt worden, dass Demokratie auf den Menschenrechten basiert; darauf ist geantwortet worden, sie sollte ihre Position vielmehr auf die Pflichten des Menschen beziehen; sowohl Rechte als auch Pflichten jedoch sind europäische Vorstellungen. Dharma ist die entsprechende indische Auffassung, in der Rechte und Pflichten die künstliche Gegensätzlichkeit verlieren, die durch eine Weltsicht entsteht, die die Selbstsucht zur Wurzel des Handelns macht, und durch welche ihre ursprüngliche und ewige Unversehrtheit wiederhergestellt wird. Dharma ist die Grundlage der Demokratie, die Asien anerkennen muss, denn darin liegt der Unterschied zwischen der Seele Asiens und der Seele Europas.

*

31. März 1908

Die zunehmende Verarmung der Massen ist der Gegenstand unzähliger Pamphlete, Reden und Zeitungsartikel gewesen, wir denken jedoch, dass unsere Pflicht damit getan ist, wenn wir nachgewiesen haben, dass das Problem der Armut besteht; wir überlassen die Lösung der Zukunft und vergessen darüber, dass, wenn die Zeit der Lösung gekommen ist, die Massen in einen Zustand von Verfall herabgesunken sind, von dem die Nation viele Jahrzehnte brauchen wird, sich zu erholen. Wir sind es ferner gewohnt, uns allein mit der ökonomischen Seite dieser Armut zu befassen, es gibt jedoch auch eine moralische Seite daran, die noch wichtiger ist. Die indische Bauernschaft hat sich seit jeher von den weniger zivilisierten Massen Europas durch ihre höhere Frömmigkeit, Güte, Nüchternheit, Reinheit, Wirtschaftlichkeit und angeborene Intelligenz unterschieden. Heute wird sie durch beispiellose Unterdrückung verroht8; angezogen von Schnapsbuden, die eine wohlwollende Regierung großzügig bereitstellt, bestialisiert durch das Beispiel einer zunehmend unmoralischen Aristokratie und stufenweise zu denselben Gewohnheiten der Liederlichkeit und Brutalität getrieben, die schon das europäische Proletariat entwürdigen. Diese Entartung schreitet mit alarmierender Geschwindigkeit fort. In manchen Teilen des Landes ist dies soweit gegangen, dass eine Erholung unmöglich erscheint.... Wir hören von Dörfern, in denen die Schnapsbude und die Prostituierte, vor zwanzig Jahren noch unbekannte Institutionen, selbst über die ärmsten Dorfbewohner die Oberhand gewonnen haben. Viele der Dörfer in Westbengalen sind heute mit diesen wesentlichen Bestandteilen der westlichen Zivilisation wohl ausgestattet.... Diese Zustände in den schlimmsten Bezirken haben die Tendenz, sich zu verallgemeinern, und es sei denn, etwas wird unternommen, diese Flut von Übeln einzudämmen, wird sie die Seele Indiens in ihrer trüben Strömung fortreißen und nichts als eine gestaltlose Ungeheuerlichkeit von allem Schlimmsten in der menschlichen Natur hinterlassen.

*

11. April 1908

Die Füße der Mutter befinden sich auf der Schwelle, aber sie wartet darauf, den aufrichtigen Aufschrei zu vernehmen, jenen Aufschrei, der aus dem Herzen kommt, bevor sie herkommen wird.... Die Mutter fordert von uns keine Schemata, keine Pläne, keine Methoden. Sie selbst wird die Schemata, die Pläne und die Methoden liefern, die besser sind als alles, was wir uns ausdenken können. Sie fordert von uns unsere Herzen, unsere Leben, nicht mehr und nicht weniger.

...

Die Regeneration kommt im wahrsten Sinne des Wortes von Wieder-Geburt, und Wieder-Geburt kommt nicht durch den Intellekt, nicht aus der vollen Geldbörse, nicht durch Politik, nicht durch ein Auswechseln der Maschinerie, sondern durch den Erhalt eines neuen Herzens, dadurch dass wir alles, das wir waren, ins Opferfeuer werfen und in der großen Mutter wiedergeboren werden. Unsere Selbstaufgabe ist die Forderung der Stunde. Sie fragt uns: “Wie viele von euch werden für mich leben? Wie viele von euch werden für mich sterben?” und sie erwartet unsere Antwort.

*

12. April 1908

Habt keine Furcht vor den Hindernissen auf eurem Weg, es macht keinen Unterschied, wie groß die Kräfte sind, die euch im Wege stehen.... Denkt nicht, etwas sei unmöglich, wenn auf allen Seiten Wunder vollbracht werden. Wenn ihr euch selbst treu bleibt, gibt es nichts, was ihr zu fürchten hättet. Für Wahrheit, Liebe und Glauben gibt es nichts Unerreichbares. Darin besteht euer ganzes Evangelium, das Wunder vollbringen wird.

*

14. April 1908

Die Atmosphäre der zeitgenössischen Politik besteht aus Misstrauen, gegenseitigen Verdächtigungen und Hass als der heimliche Beweggrund allen Handelns. Unter der schönen Fassade ihrer materiellen Zivilisation ist eine tiefsitzende moralische Krankheit am Werk, welche die Lebensorgane der europäischen Gesellschaft zerfrisst, die einem durch Tausende von Symbolen ins Auge fällt.... Folgt Indien Europa auf dem Fuße, akzeptiert es seine politischen Ideale, gesellschaftlichen Systeme und wirtschaftlichen Prinzipien, wird es von denselben Krankheiten überwältigt werden. Solch ein Ende ist weder für Indien noch für Europa von Vorteil. Wird Indien zu einer intellektuellen Provinz von Europa, wird es nie seine natürliche Größe erreichen oder seine inneren Möglichkeiten erfüllen können.Paradharmah bhayavaha, das Dharma eines anderen zu akzeptieren, ist gefährlich; es entzieht dem betreffenden Menschen oder der betreffenden Nation das Geheimnis seines Lebens und seiner Vitalität und es setzt ein unnatürliches und verkrüppeltes Wachstum an die Stelle einer freien, weiten und organischen Entwicklung der Natur. Wann immer eine Nation den Zweck ihrer Existenz aufgegeben hat, ging das auf Kosten ihrer Entwicklung. Indien muss Indien bleiben, wenn es seine Bestimmung erfüllen soll. Ebenso wird Europa keine Vorteile davon haben, seine Zivilisation Indien aufzupfropfen, denn wenn Indien, das der entschiedene Arzt europäischer Krankheiten ist, selbst in die Klauen der Krankheit gerät, wird diese Krankheit ungeheilt und unheilbar bleiben, und die europäische Zivilisation wird vergehen, wie sie verging, als Rom unterging, zuerst durch trockene Fäulnis von innen und schließlich durch Überfall von außen.

*

April 1908

Wir verstanden so wenig vom Leben, dass wir von anderen, die von unseren Diensten lebten, erwarteten, dass sie unsere Freiheit vorbereiten würden. Wir verstanden so wenig von Geschichte, dass wir annahmen, Reform könne vor Freiheit kommen. Wir verstanden so wenig von Wissenschaft, dass wir glaubten, ein Organismus könne von außen umgestaltet werden. Wir wurden von Krämerseelen regiert und gaben enthusiastisch unsere Zustimmung dazu, sie für Engel zu halten. Wir schützten Tugenden vor, die wir noch gar nicht die Gelegenheit hatten, in uns aufzunehmen, und verloren dagegen jene, die unsere Väter an uns weitergegeben hatten. All das in vollkommenem Treu und Glauben, in der vollen Vorstellung, dass wir uns europäisierten und uns rapide auf politischen, sozialen, ökonomischen, moralischen, intellektuellen Fortschritt zubewegen würden. Die Vollendung unseres politischen Fortschritts war eine Kongress-Partei, die jährlich Beschlüsse verabschiedete, die sie nicht in die Praxis umzusetzen vermochte; Staatsmänner, deren vordringlichste Aufgabe darin bestand, Fragen zu stellen, die dann noch nicht einmal der Antwort für würdig befunden wurden; Ratgeber, die erstaunt gewesen wären, wenn man sie konsultiert hätte; Politiker, die nicht einmal wussten, dass ein Recht niemals lebendig wird, bis es eine Macht hat, die es stützt. In sozialer Hinsicht haben wir mit einigen kleinlichen mechanischen Veränderungen einen schwachen Vorstoß begonnen, die eigentliche Grundlage unserer Gesellschaft wiederzubeleben, die es dann verfehlte, sich einer so hohen Aufgabe würdig zu erweisen; eine spirituelle Erneuerung wurde kaum gar in Angriff genommen; ökonomisch hatten wir großen Erfolg im Bestreben, unsere Industrien zu zerstören und uns den britischen Händlern zu versklaven; moralisch bewerkstelligten wir erfolgreich die Zersetzung der alten Ideen und Gewohnheiten und ersetzten diese durch eine oberflächliche Konventionalität; intellektuell hielten wir uns die mentale Gymnastik einiger Überbleibsel, Schnipsel und Gedankensplitter des europäischen Denkens zugute, unter der Aufopferung eines unendlichen und ewigen Erbgutes. Nie war eine Erziehung weiter von dem entfernt, all das zu sein, was Erziehung wahrlich bedeutet....

Britische Herrschaft, Britanniens Mission, Indien zu zivilisieren, hält den Rekord in den Erfolgen in der Geschichte der Heuchelei der Nationen. Sie hat uns dazu verleitet, im Tod des Willens und seiner Aktivitäten zu leben, eine Reihe von Halluzinationen für die wahre Sache zu halten und in uns den Zustand jener krankhaften Schwäche zu erzeugen, den Hypnotiseure bevorzugen, bis der Herr und Meister einer mächtigeren Hypnose Seinen Finger auf die Augen Indiens legte und rief: “Erwachtet!” Erst dann wurde der Bann gebrochen, das schlummernde Mental wurde sich seiner selbst bewusst, und die tote Seele begann wieder zu leben9.

...

Der neue Nationalismus überspringt jede Barriere; er richtet seinen Aufruf an den Buchhalter in seinem Kontor, an den Krämer im Laden, an den Bauern an seinem Pflug; er ruft den Brahmanen von seinem Tempel und nimmt den Chandala aus seiner Erniedrigung an die Hand; er sucht sich den Studenten in seinem College, den Schuljungen an seinem Lehrbuch, er berührt selbst das Kind in den Armen seiner Mutter; und der abgeschiedene Zenana10 wird von seiner Stimme gepackt; sein Auge sucht im Dschungel nach den Santals11 und geht in den Hügeln den wilden Bergstämmen nach. Er schert sich weder um Unterschiede an Alter noch Geschlecht noch Kaste noch Wohlstand noch Erziehung oder Ehrbarkeit; er mokiert sich über das Gerede, dass das Land auf dem Spiel steht; er verwirft die Forderung nach einem Eigentumsnachweis oder einer Bildungsbescheinigung. Er richtet sich an den Analphabeten ebenso wie an den Mann in der Straße in der groben und kräftigen Sprache, die er am besten versteht. An die Jugend und die Begeisterten richtet er sich in Worten der Dichtung, in der Sprache des Feuers, an den Denker richtet er sich in Begriffen der Logik und der Philosophie. Dem Hindu wiederholt er den Namen der Kali, den Mohammedaner treibt er zur Tat für die Herrlichkeit des Islam. Er ruft alle dazu auf, hervorzutreten und bei Gottes Arbeit mitzuhelfen und die Nation neu zu gestalten, jeden dazu, was sein Credo und seine Kultur, seine Stärke, sein Mut oder sein Genie der neuen Nationalität zu geben vermag. Die einzige Vorbedingung, die er stellt, ist die nach einem Körper, der im Schoß einer indischen Mutter geschaffen wurde, einem Herzen, das für Indien schlagen kann, einem Gehirn, das sich seine Größe erdenken und planen kann, einer Zunge, die seinen Namen bewundern kann, oder Hände, die in einem Streit für ihn zu kämpfen vermögen.... Der neue Nationalismus ist die Wiedergeburt des Kshatriya und des Samurai12.

*

Der Nationalist verliert nie jene Wahrheit aus den Augen, dass das Gesetz für den Menschen gemacht wurde und nicht der Mensch für das Gesetz. Seine höchste Aufgabe und Daseinsberechtigung besteht darin, das Wachstum und die Blüte des nationalen Lebens in Kraft und Gesundheit sicherzustellen und zu fördern, und ein Gesetz, das diesem Zweck nicht dienlich ist oder das diesem Zweck entgegensteht und ihm widerspricht, wie fest es auch Friede, Ordnung und Sicherheit durchzusetzen vermag, so verwirkt es doch deshalb seinen Anspruch auf Achtung und Gehorsam. Der Nationalismus weigert sich, das Gesetz als einen Fetisch oder Landesfrieden und Sicherheit als Selbstzweck zu akzeptieren.... Er wird gewalttätige und anstrengende Methoden nicht deshalb vorziehen, weil sie gewalttätig und anstrengend sind, andererseits wird er nicht deshalb an sanftmütigen und friedlichen Methoden festhalten, einfach deshalb, weil sie sanftmütig und friedlich sind. Von einer Methode fordert er, dass sie für seine Sache wirksam ist, dass sie für ein großes Volk im Kampf um seine Existent Wert hat, dass sie erzieherisch für nationale Stärke und nationales Handeln wirkt, und wenn diese Dinge sichergestellt sind, fordert er nichts weiteres13.

*

Eine bestimmte Klasse von Geistern schreckt vor Aggressivität zurück, als handele es sich um eine Sünde. Ihr Temperament verbietet ihnen, Kampfeslust zu empfinden, und sie betrachten etwas, dem sie mit Unverständnis begegnen, als sündhaft und ungeheuerlich. “Heilt Hass durch Liebe, vertreibt Ungerechtigkeit durch Gerechtigkeit, erschlagt die Sünde durch Rechtschaffenheit” ist ihr Ruf. Liebe ist ein sakrales Wort, aber es ist leichter, von Liebe zu sprechen, als zu lieben.... Die Gita ist die beste Antwort für diejenigen, die vor der Schlacht als sündhaft zurückschrecken und Aggression als eine Erniedrigung der Sittlichkeit betrachten.

...

Alle Philosophie ist steril, wenn sie eine Regel mechanistisch gleichermaßen auf alles Handeln anwendet oder ein Wort aufnimmt und alles menschliche Leben darin hineinzuzwingen versucht. Das Schwert des Kriegers ist für die Erfüllung des Rechtes und der Rechtschaffenheit ebenso notwendig wie die Heiligkeit des Heiligen. Ramdas ist ohne Shivaji nicht ganz er selbst. Gerechtigkeit aufrecht zu erhalten und die Starken von der Plünderung und die Schwachen vor der Unterdrückung zu bewahren, ist die Aufgabe, für die der Kshatriya erschaffen wurde. Aus diesem Grunde, sagt Sri Krishna in der Mahabharata, hat Gott die Schlacht und den Panzer, das Schwert, den Bogen und den Dolch geschaffen14.

*

Am 2. Mai 1908, nach einem fehlgeschlagenen Attentat auf einen britischen Richter durch Revolutionäre, die Barins Geheimgesellschaft angehörten, wurde Sri Aurobindo verhaftet. Die Briten waren nun zuversichtlich, eine Gelegenheit zu haben, “den gefährlichsten Mann, mit dem wir es gegenwärtig zu tun haben”, zum Schweigen zu bringen15. Während der berüchtigte Alipore-Bomben-Prozess geführt wurde, verbrachte Sri Aurobindo, unter der Verteidigung von Chitaranjan Das, ein Jahr im Gefängnis und hatte in dieser Zeit wesentliche Erfahrungen und Offenbarungen. Später schrieb er darüber (von sich selbst in der dritten Person sprechend): “Das innere spirituelle Leben und die innere spirituelle Verwirklichung, die beständig an Bedeutung und Allgemeingültigkeit zunahmen und ihn mehr und mehr ausfüllten, nahmen ihn nun vollkommen ein, und seine Arbeit wurde ein Teil und eine Auswirkung davon, und sie überstieg im Übrigen bei weitem den Dienst und die Befreiung des Landes und konzentrierte sich auf ein Ziel, das sich bis dahin nur ungenau abgezeichnet hatte, das in seiner Tragweite weltweit war und die gesamte Zukunft der Menschheit betraf16.”

Als Sri Aurobindo nach seinem Freispruch am 6. Mai 1909 aus dem “Alipore Ashram”, wie er es nannte, herauskam, war die Zeitschrift Bande Mataram von den Briten eingestellt worden, die überwiegende Mehrzahl der nationalen Führer befand sich in Gefangenschaft, war deportiert worden oder befand sich im selbstgewählten Exil, und die wenigen, die noch übrig waren, waren völlig entmutigt – die nationale Bewegung war an einem Tiefpunkt angelangt. Sri Aurobindo machte sich auf, ihr neues Leben einzuflößen, er gab eine Vielzahl von Reden und begann eine neue englischsprachige Wochenzeitschrift, den Karmayogin, wie auch eine bengalische Wochenschrift, den Dharma. Die folgenden Auszüge sind dem Karmayogin entnommen.

30. Mai 1909

(Auszüge aus der berühmten Uttarpara Rede)

Als ich mich damals Gott näherte [nach Sri Aurobindos Rückkehr aus England], hatte ich kaum einen lebendigen Glauben an ihn. Der Agnostiker war in mir, der Atheist war in mir, der Skeptiker war in mir, und ich war mir nicht einmal sicher, ob es überhaupt einen Gott gab. Ich spürte seine Gegenwart nicht. Etwas jedoch zog mich hin zur Wahrheit der Veden, der Wahrheit der Gita, der Wahrheit der Hindu Religion17. Ich spürte, dass es irgendwo in diesem Yoga eine mächtige Wahrheit geben musste, eine mächtige Wahrheit in dieser Religion, die sich auf die Vedanta gründete. Als ich mich also diesem Yoga zuwandte und beschloss, es auszuüben und herauszufinden, ob meine Idee richtig war, so tat ich es in diesem Geiste und mit diesem Gebet an Ihn: “Wenn es Dich gibt, dann kennst Du mein Herz. Du weißt demnach, dass ich nicht nach Mukti strebe, ich bitte nicht um all das, wonach andere verlangen. Ich bitte Dich allein um die Stärke, diese Nation zu erheben, ich bitte nur darum, für dieses Volk, das ich liebe und zu dem ich bete, leben und arbeiten zu dürfen und dass ich ihm mein Leben widmen kann.” Ich habe lange nach der Verwirklichung des Yoga gestrebt und habe sie schließlich in einem bestimmten Ausmaß auch erlangt, dasjenige, was ich jedoch am meisten herbeisehnte, wurde nicht befriedigt. So bat ich also in der Abgeschiedenheit des Gefängnisses und der Einzelzelle erneut darum, und ich sagte: “Gib mir Deinen Adesh! Ich weiß nicht, welche Arbeit ich tun soll oder wie ich sie tun soll. Gib mir eine Botschaft!” In der Kommunion des Yoga kamen zwei Botschaften. Die erste Botschaft lautete: “Ich habe dir eine Arbeit gegeben, und sie besteht darin, diese Nation zu erheben. In nicht all zu langer Zeit wirst du das Gefängnis verlassen müssen; denn es ist nicht mein Wille, dass du dieses Mal verurteilt werden oder dass du, wie andere, die Zeit in Leiden für dein Land verbringen sollst. Ich habe dich zu einer Arbeit aufgerufen, und um diesen Adesh hast du mich gebeten. Ich gebe dir den Adesh, auszuziehen und mein Werk zu tun.” Die zweite Botschaft kam, und sie lautete: “In diesem Jahr der Abgeschiedenheit ist dir etwas gezeigt worden, etwas dessentwegen du deine Zweifel hattest, und zwar die Wahrheit der Hindu Religion. Diese Religion erhebe ich vor der Welt, und sie habe ich durch die Rishis, Heiligen und Avatare vervollkommnen und entwickeln lassen und nun zieht sie aus, um eine Arbeit unter den Nationen auszuführen. Ich erhebe diese Nation und sende mein Wort aus.... Wenn es denn heißt, dass sich Indien erheben wird, dann ist es das Sanatana Dharma, das sich erheben wird. Wenn es denn heißt, dass Indien mächtig sein wird, dann ist es das Sanatana Dharma, das mächtig sein wird. Wenn es denn heißt, dass Indien sich erstrecken und ausdehnen wird, so ist es das Sanatana Dharma, das sich erstreckt und ausdehnt über die Welt. Für dieses Dharma und durch dieses Dharma hat Indien sein Dasein....”

Was ist diese Hindu Religion? Was ist diese Religion, die wir Sanatan – ewig – nennen? Diese Hindu Religion besteht, weil die Hindu Nation sie bewahrt hat, weil sie auf dieser subkontinentalen Halbinsel in der Abgeschiedenheit durch die Meere und Himalaya Gebirge heranwuchs, weil dieses heilige und vorzeitliche Land für die Aryanische Rasse den Auftrag erhielt, es über die Weltalter hindurch zu bewahren18. Es ist jedoch nicht durch die engen Grenzen eines einzelnen Landes beschränkt, es gehört nicht besonders und immerfort einem abgegrenzten Teil der Welt. Das, was wir als die Hindu Religion bezeichnen, ist in Wahrheit eine ewige Religion, denn es ist eine universelle Religion, die alle anderen in sich einbegreift. Ist eine Religion nicht universell, so kann sie nicht ewig sein. Eine enge Religion, eine sektiererische Religion, eine exklusive Religion kann nur über einen beschränkten Zeitraum und für einen beschränkten Zweck leben. Dies ist die eine Religion, die über den Materialismus triumphieren kann, indem sie die Entdeckungen der Wissenschaft und die Spekulationen der Philosophie vorwegnimmt. Sie ist die eine Religion, die in der Menschheit den Eindruck der Nähe Gottes zu uns hinterlässt und in ihren Bereich all die möglichen Mittel aufnimmt, durch welche der Mensch sich Gott nähern kann. Diese Religion besteht jeden Augenblick auf der Wahrheit, die von allen Religionen anerkannt wird, dass Er sich in allen Menschen und Dingen befindet und dass wir uns in ihm bewegen und unser Sein und Wesen haben. Diese Religion befähigt uns nicht allein, diese Wahrheit zu verstehen und zu glauben, sondern sie mit jedem Teil unseres Wesens zu verwirklichen. Diese Religion zeigt der Welt, was die Welt ist, das Lila des Vasudeva. Diese Religion zeigt uns, wie wir am besten unsere Rolle in diesem Lila spielen können, sie zeigt uns ihre subtilsten Gesetze und ihre edelsten Regeln. Diese Religion trennt das Leben bis in seine geringsten Einzelheiten nicht von der Religion ab, sie weiß, was Unsterblichkeit ist und hat uns völlig von der Wirklichkeit des Todes entfernt....

Ich sagte [letztes Jahr], dass diese Bewegung keine politische Bewegung ist und dass Nationalismus nicht Politik ist, sondern eine Religion, ein Glauben, ein Kredo. Ich wiederhole dies heute, aber auf andere Weise. Ich sage nicht länger, dass Nationalismus ein Kredo, eine Religion, ein Glaube ist; ich sage, dass es das Sanatana Dharma ist, und das ist für uns der Nationalismus.... Das Sanatana Dharma ist der Nationalismus. Von dieser Botschaft muss ich zu euch sprechen.

*

19. Juni 1909

Wir sagten, dass das Brahmateja die Sache ist, deren es uns zuerst und vor allem anderen bedarf. In gewissem Sinne bedeutet das den Vorrang von Religion, wobei die Europäer unter Religion nicht Brahmateja verstehen, denn das ist eher Spiritualität, die Kraft und Energie von Denken und Handeln, die aus der Kommunion mit oder der Selbst-Überantwortung an das in uns entsteht, was die Welt beherrscht. Und in diesem Sinne gebrauchen wir es. Diese Kraft und Energie kann auf jeden Zweck gerichtet werden, den Gott für uns wünscht; es ist ausreichend für Wissen, Liebe oder Dienst; es ist gut für die Befreiung einer individuellen Seele, den Aufbau einer Nation oder die Verwendung eines Werkzeuges. Sie arbeitet von innen heraus, sie arbeitet in der Macht Gottes, sie arbeitet mit übermenschlicher Energie. Im Wiedererwachen dieser Kraft in 300 Millionen Menschen durch die Mittel, die uns unsere Vergangenheit in unsere Hände legt, besteht unsere Aufgabe.

Der Europäer ist stolz auf seinen Erfolg in der Trennung von Religion und Leben. Religion, sagt er, ist ganz schön und gut an ihrem Platz, sie hat jedoch rein gar nichts mit Politik oder Wissenschaft oder Handel zu tun, die sie durch ihre Einmischung nur verdirbt; sie gilt nur für Sonntags, an dem man, wenn man englisch ist, sich schwarze Kleider anzieht und versucht, sich gut zu fühlen, und an dem man, wenn man vom Kontinent kommt, den Rest der Woche zu vergessen und sich zu amüsieren versucht.... Nichtsdestoweniger existiert Gott, und wenn er existiert, kann man ihn nicht in eine Ecke stellen und sagen: “Hier ist dein Platz, und was die Welt und das Leben angeht, die gehören uns.” Er durchdringt alles und kehrt zurück. Jedes Zeitalter der Verneinung ist nur eine Vorbereitung für eine weitere und umfassendere Bejahung.

*

Der Europäer erreicht viel durch seine Maschinerie. Er versucht, die Menschheit durch gesellschaftliche Schemata und Regierungssysteme zu erneuern, er versucht, das tausendjährige göttliche Reich durch einen Parlamentsbescheid durchzusetzen. Die Maschinerie ist von großer Bedeutung, jedoch allein als Arbeitsmittel für den Geist im Inneren und die Kraft im Hintergrund. Das 19. Jahrhundert strebte in Indien nach politischer Emanzipation, gesellschaftlicher Erneuerung, religiöser Vision und Wiedergeburt, seine Bestrebungen schlugen jedoch fehl, denn es verwendete westliche Motive und Methoden, missachtete den Geist, die Geschichte und die Bestimmung unseres Volkes und es nahm an, dass wir durch die Übernahme der europäischen Erziehung, der europäischen Maschinerie, der europäischen Organisationsform und Ausrüstung den europäischen Wohlstand und seine Energie und Fortschrittlichkeit imitieren könnten. Wir aus dem 20. Jahrhundert verwerfen diese Ziele, Ideale und Methoden des anglisierten 19., gerade weil wir aus seiner Erfahrung gelernt haben. Wir weigern uns, aus der Gegenwart einen Götzen zu machen; wir schauen nach vorn und nach hinten, zurück auf die machtvolle Geschichte unseres Volkes und voraus auf die großartige Geschichte, für die die Bestimmung unser Land vorbereitet hat....

Wir sagen der Nation: “Es ist der Wille Gottes, dass wir wir selbst seien sollen und nicht Europa. Wir versuchten, das Leben wiederzugewinnen, indem wir dem Gesetz eines anderen als unserem eigenen Wesen folgten. Wir müssen umkehren und die Quellen von Leben und Stärke in uns selbst suchen. Wir müssen unsere Vergangenheit kennen und sie für den Zweck unserer Zukunft wiederentdecken. Unsere Aufgabe besteht darin, uns selbst zu verwirklichen und alles gemäß dem Gesetz von Indiens ewigen Leben und seiner Natur zu gestalten...”

Wir rufen dem Individuum und besonders der Jugend zu, die eben aufsteht, um Indiens Werk, das Werk der Welt, das Werk Gottes zu tun: “Ihr könnt diese Ideale nicht schätzen, noch weniger könnt ihr sie erfüllen, wenn ihr euren Geist den europäischen Ideen unterjocht oder das Leben von einem materiellen Standpunkt aus betrachtet. Materiell seid ihr nichts, spirituell seid ihr alles. Allein der Inder kann alles glauben, alles wagen, alles opfern. Zuerst also werdet Inder! Erobert euch das Nationalerbe der Vorväter zurück! Erobert euch das aryanische Denken, die aryanische Disziplin, den aryanischen Charakter, das aryanische Leben zurück! Erobert euch wieder die Vedanta, die Gita, das Yoga! Erobert sie euch wieder, nicht allein im Intellekt oder im Gefühl, sondern in eurem Leben.... Schwierigkeit und Unmöglichkeit wird aus eurem Wortschatz verschwinden, denn es liegt im Geiste, dass Stärke ewig ist und ihr das Königreich eurer selbst, das innere Swaraj, zurückgewinnen müsst, bevor ihr das äußere Königreich zurückgewinnen könnt. Erobert die Quelle aller Stärke in euch zurück, und alles andere wird euch zufallen: soziale Gesundheit, intellektueller Vorrang, politische Freiheit, die Beherrschung des menschlichen Denkens und die Vorherrschaft in der Welt.”

*

Wir fürchten uns nicht vor mohammedanischer Opposition; solange es um aufrichtige Swadeshi Artikel geht und keine, die in Shillong oder Simla19 hergestellt wurden, heißen wir das als Zeichen von Lebendigkeit und Aspiration willkommen. Wir scheuen uns nicht vor dem Erwachen des Islams in Indien, selbst wenn dessen erste krude Bemühungen gegen uns selbst fehlgeleitet sind; denn alle Stärke, alle Energie, alle Tat sind Wasser auf die Mühlen des Nation-Erbauers. In diesem Glauben sind wir bereit, uns mit dem Moslem im politischen Feld zu treffen, uns mit ihm auszutauschen, je nachdem, ob ihm die feste Umarmung des Bruders lieber ist, oder der entschlossene Griff des Ringers....

Über eines müssen wir uns im klaren sein: Die Hindu-Moslemische Einheit kann nicht durch politische Anpassungen oder Kongress-Partei-Schmeicheleien bewirkt werden. Sie muss in einem tieferen Bereich gesucht werden, im Herzen und im Geiste, denn dort, wo die Gründe der Uneinigkeit liegen, müssen auch die Heilmittel gesucht werden. Wir würden gut daran tun, das Problem zu lösen, indem wir uns daran erinnern, dass Missverständnisse der fruchtbarste Nährboden unserer Differenzen sind, dass Liebe Liebe hervorruft und dass Stärke die Starken vereint. Wir sollten bestrebt sein, die Ursachen der Missverständnisse durch größere gegenseitige Kenntnisnahme und Sympathie für einander auszuräumen; wir sollten die mutige Liebe des Patrioten für sein Vaterland auf unseren moslemischen Bruder ausdehnen und uns immer daran erinnern, dass Narayana auch in ihm wohnt und dass unsere Mutter auch ihm einen fest Platz in ihrem Busen zuerkannt hat; wir müssen jedoch aufhören, uns ihm auf falsche Weise zu nähern oder ihm aus eigennütziger Schwäche oder Feigheit zu schmeicheln. Wir halten das für den einzig praktischen Weg, um der Schwierigkeit zu begegnen. Als politische Frage schert uns das Hindu-Moslemische Problem in keiner Weise, als nationales Problem ist es von herausragender Bedeutung.

*

Wir werden niemals unsere innere Stärke, unsere Courage und unsere Beharrlichkeit verlieren. Es gibt manche, die denken, dass, indem wir unsere Köpfe senken, das Land der Repression entgehen könnte20. Das ist nicht meine Meinung. Indem man dem Sturm ins Angesicht sieht und ihm mit hohem Mut, Seelenstärke und Beharrlichkeit begegnet, kann die Nation gerettet werden. Das erwartet die Mutter von uns – das erwartet Gott von uns.

*

23. Juni 1909

(Aus einer Rede in Bakergunj)

Es gibt Zeiten großer Veränderungen, Zeiten, wenn alte Wahrzeichen umgeworfen werden, wenn unterschwellige Kräfte ausbrechen, und in dem Maße, wie wir diese Dinge direkt angehen oder uns mit der Lösung Zeit lassen, wird unser Fortschritt schnell oder langsam, einwandfrei oder gebrochen verlaufen.... Wir werden einer nach dem anderen damit konfrontiert, jede Nation für sich... Er hat uns die Möglichkeit der Stärke in uns gezeigt, und Er hat uns gezeigt, wo die Gefahr und wo die Schwäche liegt. Er zeigt uns, wie und auf welche Weise wir stark werden können. Uns obliegt... die Frage zu beantworten, die Gott uns gestellt hat, und entsprechend unserer Antwort darauf wird diese Bewegung Fortschritte machen, sich ihren Weg suchen und zu einer schnellen und plötzlichen Erlösung führen, oder es wird nach vielen Jahrhunderten von Kummer und Leiden eine weitere lange Periode von Kummer und Leiden vor uns liegen. Gott hat uns diese Frage gestellt, und uns obliegt es zu antworten....

*

25. Juni 1909

(Aus einer Rede in Khulna)

Die Tugend des Brahmanen ist eine große Tugend. Du sollst nicht töten. Das ist die Bedeutung des Wortes Ahimsa. Wenn die Tugend des Ahimsa auf den Kshatriya übergeht, wenn du sagst: “Ich werde nicht töten”, dann gibt es niemanden mehr, der das Land beschützt. Das Glück der Menschen wird zerbrechen. Ungerechtigkeit und Gesetzlosigkeit werden vorherrschen. Diese Tugend ist nun eine Quelle des Elends geworden, und du hast dich zu dem Werkzeug gemacht, das den Menschen Elend und Konflikt bringt.

*

3. Juli 1909

Wenn er mit den Wahrheiten des Hinduismus, der Erfahrung der tiefen Denker und den erlesensten Geistern des Menschengeschlechts über Tausende von Jahren konfrontiert wird, ruft der Rationalist: “Mystizismus, Mystizismus!” und denkt dann, er habe gewonnen. Für ihn gibt es Ordnung, Entwicklung, Fortschritt, Evolution, Aufklärung in der Geschichte Europas, die Vergangenheit Indiens jedoch erscheint ihm als eine unübersichtliche Masse von Aberglauben und Unwissenheit, die man am besten aus dem Buch des menschlichen Lebens herausreißt. Diese Jahrtausende unseres Denkens und Strebens seien also eine Periode, die für uns die geringste Bedeutung habe, und die wahre Geschichte unseres Fortschritts beginne erst mit dem Eintreffen der europäischen Erziehung!

*

17. Juli 1909

Es gibt bestimmte Bewegungen in bestimmten Epochen, in denen die Göttliche Kraft sich mit höchster Macht manifestiert, alles menschliche Kalkül zerschlägt, sich über die Klugheit des umsichtigen Staatsmanns und des intriganten Politikers mokiert, den Prognosen des wissenschaftlichen Analytikers Hohn spricht und mit einer Vehemenz und Geschwindigkeit voranschreitet, die offensichtlich die Manifestierung einer mehr als menschlichen Kraft ist. Der Intellektuelle versucht später, die Gründe für die Bewegung zu finden und die Kräfte bloßzulegen, die sie ermöglichten, aber während des Geschehens tappt er vollkommen im Dunkeln, seiner Weisheit wird mit jedem Schritt Hohn gesprochen, und seine Wissenschaft hilft ihm in keiner Weise. In diesen Zeiten sprechen wir davon, dass Gott in der Bewegung ist, dass Er der Führer ist, und dass sie sich erfüllen muss, ganz gleich wie unmöglich es für den Menschen ist, die Mittel auszumachen, durch die sie Erfolg haben wird.

*

24. Juli 1909

Terrorismus blüht auf in der Gewalttätigkeit und Ungerechtigkeit der Verwaltung; dies ist die einzige Atmosphäre, in der er blühen und gedeihen kann. Mitunter folgt er dem Beispiel rücksichtsloser Gewalt von oben; mitunter, dies jedoch höchst selten, setzt er selber von unten das Beispiel. Wenn die Macht von oben jedoch dem Beispiel von unten folgt, steht sie im Begriff, Selbstmord zu begehen.

*

31. Juli 1909

Unser Ideal ist Swaraj oder absolute Autonomie, frei von fremder Kontrolle. Wir fordern das Recht jeder Nation, ihr eigenes Leben durch ihre eigenen Energien gemäß ihrer eigenen Natur und Ideale zu leben. Wir lehnen die Forderungen Fremder ab, uns eine Zivilisation aufzuzwingen, die minderwertiger ist als unsere eigene oder die uns unser Erbe aus dem unhaltbaren Grund höherer Eignung vorenthält. Unter dem Zugeständnis der Makel und Mängel, welche die lange Unterwerfung unserer angeborenen Fähigkeit und Energie auferlegt hat, sind wir uns der Wiederbelebung dieser Fähigkeit und Energie in uns bewusst.

*

7. August 1909

Die Zukunft gehört der Jugend. Eine junge und neue Welt befindet sich gegenwärtig im Prozess der Entwicklung, und es ist die Jugend, die sie erschaffen muss. Es handelt sich jedoch auch um eine Welt der Wahrheit, Courage, Gerechtigkeit, hohen Strebens und aufrichtiger Erfüllung, die wir zu erschaffen suchen. Für den Feigling, den Selbstsüchtigen, den Schwätzer, der anfangs mitzieht und dann seine Kameraden im Stich lässt, gibt es keinen Platz in der Zukunft dieser Bewegung. Ein mutiger, offener, reinherziger, couragierter und strebender Jugendlicher ist die einzige Grundlage, auf der die Zukunftsnation errichtet werden kann.... Gott braucht keine Zauderer und Weichlinge für sein Werk, ebenso wenig braucht er labile Enthusiasten, die die Energie der anfänglichen Bewegungen nicht aufrechtzuerhalten vermögen.

*

21. August 1909

Die innere spirituelle Kraft schafft nicht allein die Zukunft, sondern sie schafft auch die Werkstoffe für diese Zukunft. Sie ist nicht auf die existierenden Werkstoffe beschränkt, weder nach ihrer Beschaffenheit noch nach ihrer Menge. Sie kann schlechte Werkstoffe in gute Werkstoffe verwandeln und unzureichende Mittel in überreichliche Mittel. Das tiefe Bewusstsein dieser großen Wahrheit gab Mazzini die Stärke, das moderne Italien zu schaffen....

Unsere Hoffnung ist nicht allein, dass... die politischen Umstände Indiens verändert werden, sondern dass seine tiefere Krankheit geheilt werde und durch eine volle Heraufbeschwörung seiner ungeheuren Vorräte an moralischer und spiritueller Stärke das für Indien erreicht werden kann, was Mazzini nicht für Italien erreichen konnte, es an die Spitze und die vorderste Front der neuen Welt zu stellen, deren Geburtswehen nun die Erde zu erschüttern beginnen.

*

28. August 1909

Stärke zieht Stärke an; feste und klarsichtige Courage heischt Erfolg und Respekt; starker und offener Umgang kann auf die Methoden der Verstellung und Intrige verzichten. All dies sind Zeichen von Charakter, und allein Charakter kann Nationen Freiheit und Größe geben.

*

Wir gehen davon aus, dass es in einer Bürokratie unvermeidlich ist, dass die Staatsbeamten die Herren sind mit der Vollmacht, den Staatsbürgern Schwierigkeiten und Verluste ohne Aussicht auf Wiedergutmachung aufzuerlegen.... Bekäme der Bürokratismus Allgemeingültigkeit, würde das einen jämmerlichen Widerspruch zu den Naturgesetzen herstellen.

*

4. September 1909

Jede Tat, die beispielsweise von einer Anzahl von Mohammedanern als unzulässig empfunden wird, erhöht die Wahrscheinlichkeit ihres Verbotes, denn sie läuft auf Friedensbruch hinaus, und man beginnt sich vage zu fragen, ob nicht der Tag kommen wird, wenn der Gottesdienst in einem Hindu Tempel aus diesem Grunde verboten werden wird.

*

11. September 1909

Die Tat löst die Schwierigkeiten, die die Tat schafft. Untätigkeit allein paralysiert und tötet ab.... Die Irrwege des Lebens und des Fortschritts sind unmäßiger und schlagender, aber sie sind weniger fatal als die Irrwege des Verfalls und der Reaktion.

*

18. September 1909

Das Ende eines evolutionären Stadiums ist gewöhnlich gekennzeichnet durch ein starkes Wiederaufbrodeln von allem, was aus der Evolution verschwinden muss.... Dieses Gesetz gilt für die Masse ebenso wie für das Individuum. Der Prozess der menschlichen Evolution veranschaulicht sich dem Auge der inspirierten Beobachtung als Ausarbeitung des Tigers und des Affen. Die Kräfte der Grausamkeit, Gier, mutwilligen Zerstörung, Zufügung von Schmerzen, des Irrsinns, der Brutalität, Unwissenheit grassierten einst in der Menschheit, sie erhielten vollen Genuss; durch das Wachstum von Religion und Philosophie wurden sie in Zeiten der Sättigung wie zu Beginn der christlichen Ära in Europa teilweise ersetzt und unter Kontrolle gebracht. Nach der Gesetzmäßigkeit solcher Dinge jedoch kamen Rückfälle mit mehr oder weniger starker Virulenz, und sie versuchten mit mehr oder weniger Erfolg, sich wieder zu etablieren. Schließlich erschien es im 19. Jahrhundert zeitweilig, als hätten sich einige dieser Kräfte, wenigstens über einen gewissen Zeitraum, erschöpft und die Stunde der Samyama [Abweisung] und stufenweisen Entlassung von der Evolution wäre tatsächlich eingetreten. Solche Hoffnungen treten immer wieder auf, und am Ende bringen sie voraussichtlich ihre eigene Erfüllung, bevor dies jedoch geschieht, ist ein weiterer Rückschlag unvermeidlich. Wir sehen eine Menge Anzeichen davon im Zurückwälzen des Menschen ins Bestialische vor uns, das in Europa und Amerika hinter der glatten Fassade von Wissenschaft, Fortschritt, Zivilisation und Menschenfreundlichkeit voranschreitet, und in der Ära, die auf uns zukommt, wir werden voraussichtlich noch mehr von diesen Zeichen sehen.

*

25. September 1909

Die Erniedrigung und Entwürdigung unseres Geistes, Charakters und Geschmacks durch eine grob kommerzielle, materialistische und allgemein unzulängliche europäische Erziehung ist eine Tatsache, auf welcher der junge Nationalismus immer beharrt hat. Die praktische Zerstörung unserer ästhetischen Wahrnehmungen und des gestaltenden Könnens und der Nuanciertheit von Auge und Hand, die unserer Produktion einmal Vorrang, Auszeichnung und Meisterschaft auf den europäischen Märkten gab, ist eine Tatsache. Am allerwichtigsten jedoch hat die spirituelle und intellektuelle Trennung von der Vergangenheit, die die heutigen Schulen und Universitäten bewirkt haben, die Nation an den Bettelstab gebracht in Bezug auf ihre Originalität, ihr hohes Streben und die kraftvolle Energie, die allein eine Nation frei und groß machen kann. Das erste Ziel, dem wir uns ohne Zweifel widmen sollten, ist es, diesen Prozess umzukehren und das Verlorene zurückzuerobern. Denn der Verlust von Originalität, hohem Streben und Energie war der schwerwiegendste aller Verluste, deshalb liegt in ihrer Wiedergewinnung unsere erste und wichtigste Aufgabe. Das vordringlichste Ziel der Propheten des Nationalismus bestand darin, die Nation vom Gedanken zu befreien, dass die Zukunft durch die Umstände der Gegenwart beschränkt sei, dass, da zeitgenössische Zwecke uns heruntergebracht und geschwächt haben, unsere Ziele schlechthin niedrig und unsere Methoden schwächlich zu sein hätten. Sie zeigten dem Geist der Menschen eine großartige und herrliche Bestimmung, und zwar nicht in irgendeinem fernen Jahrtausend, sondern in der verhältnismäßig nahen Zukunft.... Den Geist, Charakter und Geschmack des Volkes zu erheben, den ursprünglichen Edelmut des indischen Temperamentes ebenso wiederzugewinnen wie den kräftigen aryanischen Charakter und die hohe aryanische Weltanschauung und jene Vorstellungen, die das irdische Leben prachtvoll und schön machten, und die herrlichen spirituellen Erfahrungen, Verwirklichungen und Aspirationen, die uns im Leben aller Völker der Erde zum tiefgründigsten, gedankentiefsten und seelentiefsten Volk machten, ist die an Bedeutung und Dringlichkeit nächste Aufgabe....

Es gilt, sich daran zu erinnern, warum diese Erniedrigungen und Entnationalisierungen, “dieses mächtige Übel in unseren Seelen”, über das sich der Autor21 beschwerte, zustande kam. Eine schmerzliche, jedoch notwendige Arbeit musste geleistet werden, und da die englische Nation für diesen Zweck das geeignetste Werkzeug war, hat Gott sie über all die Tausenden von Seemeilen eines fremden Ozeans geführt, gab ihren Herzen Stärke und ihrem Gehirn Scharfsinn und setzte sie in Indien ein, um Sein Werk zu tun, das sie seitdem so gewissenhaft, wenn auch blind, ausgeführt haben und bis zur Gegenwart weiter tun. Der Geist und die Ideale Indiens wurden in eine Form gezwängt, die, wenn auch noch so schön, zu eng und unzulänglich war, um die mächtige Last der Zukunft tragen zu können. Was in diesem Fall geschieht, ist, dass die Form zerbrochen werden musste, selbst auf die Gefahr hin, dass das Ideal für eine gewisse Zeit verloren gehen würde, um frei von Zwängen und Beschränkungen wieder gewonnen werden zu können.... Wir dürfen den raumgreifenden und aggressiven Geist Indiens nicht in zeitgenössische Formen einsperren, die erst in den letzten wenigen Jahrhunderten geschaffen wurden. Das wäre ein eitles, verheerendes und unseliges Unterfangen. Die Form ist nun zerbrochen, es gilt, sie in großzügigeren Umrissen und mit reichhaltigerem Inhalt neu zu gestalten. Für das Werk der Zerstörung war England durch seinen eigensinnigen Individualismus und durch eben ihren Krämergeist und Materialismus am besten geeignet, denn diese machten es in Temperament und Kultur zum nachgeraden Gegentypus des Volkes, über das es herrschte. England war ebenso ob seiner beispiellosen Effizienz und Geschicklichkeit auserwählt worden, mit dem es eine individualistische und materialistische Demokratie organisiert hatte. Wir mussten diese demokratische Organisation aus der Nähe kennenlernen, sie assimilieren und den demokratischen Geist und seine Methoden verinnerlichen, um über ihn hinauswachsen zu können.... Wir müssen uns des Individualismus und Materialismus entledigen und uns die Demokratie bewahren. Wir müssen ferner für das Menschengeschlecht das Problem seiner Harmonisierung und Spiritualisierung im Hinblick auf Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit lösen.

*

2. Oktober 1909

Ein Nachahmen der Formen und Arbeitsweisen der alten Kongress-Partei ist ebenso wenig ratsam. Wir waren mit diesen Formen und dieser Arbeitsweise niemals zufrieden. Diese drei Tagesveranstaltung [der Kongress-Sitzungen], der exzessiv festliche Aspekt des Anlasses, das ungeheure Übergewicht von Reden und Resolutionsverabschiedungen über Tat und Arbeit, das Fehlen einer wirklich demokratischen Ordnung, die lästige Verschwendung des mündlichen Vortrags ohne praktischen Sinn oder Zweck, die Unfähigkeit der Versammlung, die wahren Probleme unserer nationalen Existenz und unseres nationalen Fortschritts in Angriff nehmen zu können, die Besorgnis, jede öffentliche Diskussion, die der Lebensatem demokratischer Politik ist, zu vermeiden, diese und viele andere Mängel machten die Kongress-Partei in unseren Augen zu einem schlechten Werkzeug, voller Verschwendung in Bezug auf Geld und Energie, und das Zentrum eines falschen Begriffs von politischer Überlegung und Handlung. Ahmen wir die Kongress-Partei nach, so ziehen wir auch alle ihre Fehler auf uns.

*

6. November 1909

(1909 gab der Morley-Minto-Reform-Plan den indischen Moslems eine getrennte Wählerschaft für die gesetzgebenden Räte, womit sie effektiv zu einer separaten Identität ermutigt wurden.)

Die Frage der getrennten Repräsentanz für die mohammedanische Gemeinde ist eines dieser wirklich wichtigen Streitfragen, die übereilt von einem Staatsmann angeschnitten werden, der nicht in der Lage ist, die Kräfte einzuschätzen, mit denen er es zu tun hat, die dann Früchte tragen, mit denen kein Mensch gerechnet hat, am wenigsten der schlecht beratene Frankenstein, der zuerst für ihre Schöpfung verantwortlich war. Die allgemeine Vorstellung unter den Hindus ist, dass die Regierung beschlossen hat, das hinduistische Element innerhalb des indischen Volkes durch die Betonung des mohammedanischen Elementes einzuschränken, und sich zu eigenen Gunsten einen andauernden Vorrang zu sichern, indem sie sich auf die durch ein Vorzugssystem erkauften mohammedanischen Stimmen stützen. Das Ableugnen hoher Beamter, die erklären, dass sie allein aus besonderer Rücksichtnahme der Rechte und Interessen von Minderheiten die mohammedanische Repräsentanz zu einem wesentlichen Punkt ihres Reformplanes gemacht haben, hat keinen einzigen Kopf der Hindus überzeugt; die naheliegende Erwiderung besteht darin, dass es sich nur um eine einzige Minderheit handelt, auf die besondere Rücksicht genommen wird, und dass diese besondere Rücksichtnahme selbst auf Provinzen ausgedehnt wird, in denen diese tatsächlich eine große Mehrheit darstellt. Keinerlei Anstalten zum Schutz der Hindu-Minderheiten sind getroffen worden, ebenso wenig solche zum Schutz von Parsis, Sikhs, Christen und anderer Teile der Bevölkerung, die nicht weniger als die Mohammedaner ebenso ein vernünftiges Anrecht darauf haben, sich als Inder und Staatsbürger des Reiches zu erklären...

Unsere eigene Haltung ist eindeutig. Wir werden nichts mit Reformen zu tun haben, die keine echten Mehrheitsverhältnisse herstellen, keine grundlegende Kontrolle, keine Gelegenheit für indische Fähigkeiten und Staatsmännischkeit, sowie keinen Samen demokratischer Ausbreitung. Wir werden getrennte Wählerschaften und getrennte Repräsentanz unter gar keinen Umständen akzeptieren, nicht weil wir etwas gegen einen großen mohammedanischen Einfluss in Volksversammlungen haben, wenn sie dort auftreten, sondern weil wir nichts mit jener Unterscheidung zu tun haben werden, die Hindus und Mohammedaner als dauerhaft getrennte politische Einheiten ansieht und somit das Wachstum einer einzigen und unteilbaren indischen Nation ausschließt. Wir sind gegen jedweden Versuch einer solchen Teilung, gleich ob es von einer beschämten Regierung ausgeht, die nach politischer Unterstützung sucht, oder von einer verbitterten Hindu Gemeinde, die den Leidenschaften des Augenblicks gestatten, ihre Vision der Zukunft zu verdunkeln.

*

Dr. U. N. Mukherji veröffentlichte vor kurzem eine interessante Broschüre, in der er zu beweisen suchte, dass es sich bei den Hindus um eine aussterbende Rasse handele, der es gut täte, den gesellschaftlichen Freiraum und die soziale Gerechtigkeit der im Anwachsen befindlichen Mohammedaner nachzuahmen....

Die tatsächliche Wahrheit ist, dass aufgrund einer ungeheuren Übergangsperiode, die unter besonders ungünstigen Umständen stattfindet, beide Gemeinschaften, besonders aber die fortschrittlichere hinduistische, sich in einem kritischen Stadium befinden, in dem einige tiefsitzenden Krankheiten an die Oberfläche kamen mit Auswirkungen von unvermeidlicher, dabei beklagenswerter Natur. Keine dieser Krankheiten ist tödlich, und die Rasse ist nicht im Aussterben begriffen. Jedoch ist das Skalpell des Chirurgen vonnöten, und die Aufmerksamkeit sollte sich weniger auf die Diagnose als auf das Heilmittel konzentrieren. Allein das Abnehmen der Zuwachsrate hat an sich nichts zu bedeuten. Dieses Phänomen kann man überall auf der Welt in steigendem Maße beobachten, und nur in Ländern, die sehr in ihrer Entwicklung und Erziehung zurückgeblieben sind, bleibt die alte Zuwachsrate bestehen. Die Untauglichen tendieren dazu, sich verstärkt zu vermehren, die Tauglichen dagegen sich in ihrer Fortpflanzung zu beschränken. Dieser abnormale Zustand bringt zum Ausdruck, dass etwas mit der modernen Zivilisation nicht in Ordnung ist. Wie auch immer die Krankheit beschaffen sei, so ist sie nicht charakteristisch für Hindus oder für Indien, sondern es handelt sich um ein weltweites Problem.

*

Die Mohammedaner gründen ihre Getrenntheit und ihre Weigerung, sich selbst zuerst als Inder und erst in zweiter Linie aus Mohammedaner zu betrachten, auf die Existenz der großen mohammedanischen Nationen, denen sie sich, trotz unserer gemeinsamen Geburt und unseres gemeinsamen Blutes, näher fühlen als uns selbst. Hindus haben eine solche Möglichkeit nicht. Sie sind auf Gedeih und Verderb an die Scholle und eben allein an die Scholle gebunden. Sie können ihre Mutter nicht in Abrede stellen, noch können sie sie verstümmeln. Deshalb ist unser Ideal der indische Nationalismus, der in seinem Geiste und seinen Traditionen weitgehend hinduistisch ist, denn der Hindu schuf das Land und sein Volk, und er beharrt kraft der Größe seiner Vergangenheit, seiner Zivilisation und seiner Kultur und seiner unbesiegbaren Mannhaftigkeit darauf, es zu besitzen, dabei offen genug zu sein, den Moslem und seine Kultur und seine Traditionen mit einzubegreifen und in sich aufzunehmen.

*

20. November 1909

Nicht allein Klasse, wie früher üblich, sondern der Glaube ist zur Grundlage der Repräsentanz [der Morley-Minto Reformen] gemacht worden, und es sei denn, die Hindus haben die Geistesstärke, ein System zu boykottieren, das eine sowohl beleidigende als auch verletzende Trennung in der Gemeinschaft herstellt, so wird diese Maßnahme, die uns nicht ein Atom Selbstverwaltung gibt, ein kräftiger Motor zur Teilung der Nation in zwei feindselige Interessen und zur Schranke auf dem Weg der Einheit Indiens. Früher gab es allein zwei Klassen in Indien, die höhere europäische und die niederstehende indische; nun gibt es drei, die höchste europäische, die höhere mohammedanische und die niedere hinduistische. Dies ist ein erstrangiger und durchaus nicht geringer Verlust, für die Mohammedaner ebenso wie für die Hindus. Der offizielle Kurs allein gewinnt.

*

Der Wert, den die Alten Musik, Kunst und Dichtung beimaßen, ist für ein Zeitalter beinahe unverständlich geworden, das darauf aus ist, das Leben seines Sinnes zu berauben, indem es die Erde in eine Art glorifizierten Ameisenhaufen oder Bienenstock verwandelt....

*

27. November 1909

Eine rein wissenschaftliche Erziehung neigt dazu, das Denken innerhalb bestimmter Grenzen scharf und klarsichtig zu machen, dabei eng, hart und kalt... Der intellektuell entwickelte Mensch, machtvoll in wissenschaftlicher Erkenntnis und der Beherrschung der grobstofflichen und feinstofflichen Natur, gebraucht die Naturelemente als seine Diener und die Welt als seinen Schemel, dabei bleibt er unterentwickelt an Herz und Geist und wird lediglich zu einer niederen Art von Asura, der die Kräfte eines Halbgott dazu verwendet, die Instinkte eines Tieres zu befriedigen.

*

11. Dezember 1909

Im Verbund ergeben Musik, Kunst und Dichtung eine vollkommene Erziehung für die Seele; sie machen und halten ihre Regungen rein, selbstbeherrscht, tief und harmonisch. Dies sind deshalb Vermittler, die von der Menschheit auf ihrem Vorwärtsmarsch einträglicherweise nicht vernachlässigt oder zu einer reinen Sinnesbefriedigung degradiert werden können, was zu einer Charakterzersetzung anstatt zu einer Charakterbildung führen würde. Richtig gebraucht, sind sie große erzieherische, erbauliche und zivilisierende Kräfte.

*

25. Dezember 1909

Das Erziehungssystem, welches die Ausbildung in den Künsten, anstatt sie abseits als Privileg für einige Spezialisten zu anzusehen, offen als einen Teil der Kultur einführt, der nicht weniger notwendig ist als Literatur oder Wissenschaft, hat einen großen Schritt vorwärts getan in der Vervollkommnung der nationalen Erziehung und der allgemeinen Verbreitung einer menschlichen Kultur auf weiter Grundlage. Es ist nicht notwendig, dass jeder Mensch ein Künstler sein müsste. Es ist hingegen notwendig, dass jeder Mensch in seinen künstlerischen Fähigkeiten entwickelt sein sollte, seinen Geschmack geschult, seinen Sinn für Schönheit und Einsicht in Gestalt und Farbe und das, was sich in Gestalt und Farbe ausdrückt, gewohnheitsmäßig aktiviert, sensibilisiert und sicher werde. Es ist notwendig, dass die Schaffenden, sei es im Großen oder Kleinen, sei es in ungewöhnlichen Meisterwerken der Kunst und des Genius oder in schlichten Gebrauchsgegenständen, die den Menschen im Alltag umgeben, daran gewöhnt werden und die Nation daran gewöhnt wird, das Schöne vor dem Hässlichen, das Edle vor dem Vulgären, das Feine vor dem Rohen, das Harmonische vor dem Geschmacklosen zu schaffen und zu erwarten. Eine Nation, die täglich von Schönem, Edlem, Feinem und Harmonischem umgeben ist, wird zu dem, was sie zu betrachten gewohnt ist, und sie verwirklicht die Fülle des sich ausdehnenden Geistes in sich selbst....

In Indien ist die Wiederbelebung der echten Nationalkunst bereits eine vollendete Tatsache, und die Meisterwerke dieser Schule können im Vergleich die Herausforderung mit den besten Werken anderer Länder aufnehmen22. Unter solchen Umständen ist es unverzeihlich, dass die rohe formale Erziehung der englischen Schulen und die vulgären kommerziellen Zwecke und Methoden des Westens weiter in unserer Mitte anhalten sollten. Es steht in diesem Lande noch aus, ein Erziehungssystem zu entwickeln, das wirklich national sein wird. Vom Makel abendländischer Ideale und fremder und unangemessener Methoden müssen wir uns geistig befreien, und das nirgends mehr als in der Lehre, die eine Basis intellektueller und ästhetischer Erneuerung sein sollte. Der Geist der alten indischen Kunst muss wiederbelebt werden, die Inspiration und Unmittelbarkeit der Sicht, die selbst heute noch unter den Besitzern der antiken Traditionen besteht, die eingeborene Kunstfertigkeit und der angeborene Geschmack unseres Volkes, die Geschicklichkeit der indischen Hand und der intuitive Blick des indischen Auges muss wieder entdeckt werden, und die ganze Nation muss auf den hohen Stand der antiken Kultur gehoben werden – und darüber hinaus.

*

Ohne Datum

Wir Heutigen sind von der europäischen Tradition, wie sie die Engländer, die unkünstlerischste unter den zivilisierten Nationen, interpretieren, überwältigt worden. Wir stellen deshalb an ein Bild dieselbe Anforderung wie an eine Fotografie – die Reproduktion des Dinges, so wie es das Auge sieht.... Die Vorstellung, dass Kunst nicht in der Nachahmung besteht, sondern um einer tieferen Wahrheit und Vision willen, und dass wir darin nicht den Gegenstand, sondern Gott in dem Gegenstand suchen müssen, scheint für eine Weile aus dem indischen Bewusstsein entschwunden zu sein....

Indische Kunst fordert vom Künstler die Macht der Kommunion mit der Seele der Dinge, der Sinn des Spirituellen, der den Vorrang hat vor dem Sinn materieller Schönheit, und Treue gegenüber der tieferen Vision im Innersten....

*

1. Januar 1910

Es ist töricht anzunehmen, dass Menschen große Opfer bringen werden, wenn man gleichzeitig ihre Hoffnung und ihre Begeisterung entmutigt. Es ist nicht die intellektuelle Anerkennung der Pflicht, die eine anhaltende Selbstaufopferung in den Massen der Menschen erzwingt, sondern die Hoffnung, die hehre Glut eines großen Anlasses, es ist die Begeisterung einer edlen und couragierten Anstrengung.

*

15. Januar 1910

Eine Bürokratie neigt immer dazu, arrogant, selbstgefällig, selbstgerecht und gefühllos jenen Missbräuchen gegenüber zu sein, vor denen sie strotzt....

*

Anfang 1910

Es gibt kein anderes Wort, das so biegsam und unsicher in seiner Bedeutung ist wie das Wort Religion. Das Wort ist europäischen Ursprungs.... Der Durchschnittschrist glaubt daran, dass die Bibel das Buch Gottes ist, aber gewöhnlicherweise hält er nichts in Gottes Buch für praktisch bindend für ihn, außer an Gott zu glauben und einmal die Woche zur Kirche zu gehen; das übrige gilt nur für die außergewöhnlich Frommen. Insgesamt gesehen bedeutet deshalb, an Gott zu glauben, dass Er ein Buch schrieb – ein einziges Buch in all den Zeiten –, und der Kirchenbesuch am Sonntag ist das gängige Mindestmaß an Religion in Europa; zu diesen wesentlichen Bestandteilen mögen Frömmigkeit und Moralität unvermutet hinzutreten und sie in ihrer Bedeutung vertiefen.

In Indien ist Religion noch immer ein plastischerer Begriff, der alles mögliche bedeuten mag, von den Höhen des Yoga bis zum Erwürgen deines Nächsten und ihn seiner irdischen Güter zu entledigen, die er zufällig bei sich hatte. Es würde deswegen zu lange dauern, alles aufzuzählen, das unter indischer Religion mit inbegriffen werden kann. Kurz gesagt ist jedoch dharma oder die religiöse Lebensweise damit gemeint, dass das ganze Leben von Religion beherrscht wird. Was aber bedeutet dann wieder religiöse Lebensweise? In der gewöhnlichen Praxis bedeutet es, der Autorität gemäß zu leben. Die Autorität, die allgemein akzeptiert wird, ist die Shastra; studiert man aber die Shastra und den indischen Lebensstil, indem man sie miteinander vergleicht, so bemerkt man, dass beide herzlich wenig miteinander zu tun haben; der Inder richtet sein Leben nicht nach der Shastra aus, sondern nach dem Brauch und der Meinung des nächsten Brahmanen. Praktisch bedeutet dies, dass bestimmte religiöse und gesellschaftliche Bräuche eingehalten werden, von denen er weder die spirituelle Bedeutung noch die praktische Notwendigkeit einsieht. Die heiligen Schriften zu verehren, ohne sie zu kennen, und stattdessen die gängigen Bräuche zu befolgen; Brahmanen hochzuachten, gleich ob sie ehrenhaft oder verabscheuenswert sind; nichts zu essen, was von einem gesellschaftlich Tieferstehenden gekocht ist; die eigene Tochter vor der Pubertät zu verheiraten und den eigenen Sohn so schnell wie möglich danach; Frauen in Unwissenheit und häuslicher Nützlichkeit zu halten; sich sorgfältig zu baden und bestimmte vorgeschriebene Waschungen einzuhalten; auf dem Fußboden und nicht am Tisch zu essen; die Andacht einzuhalten, ohne sie zu verstehen; einen Schwarm von bedeutungslosen Kleinigkeiten im Alltagsablauf zu beachten; hinduistische Feiertage einzuhalten, wenn ein Bild aufgestellt, angebetet und dann weggeworfen wird – dies ist das Mindestmaß an Religion in Indien. Hat ein Mensch darüber hinaus emotionale oder ekstatische Frömmigkeit, so ist er ein Bhakta; kann er flüssig über die Veden, Upanischaden, Darshanas und Puranas reden, ist er ein Jnani. Zieht er sich ein gelbes Gewand an und tut nichts, ist er ein Tyagi oder ein Sannyasin. Letzterer wird vom gewöhnlichen Dharma befreit, aber nur unter der Bedingung, dass er nichts anderes tut als zu betteln und dahinzuvegetieren. Alles Wirken muss den Bräuchen und dem Brahmanen entsprechen. Die eine Hinsicht, in der die durchschnittliche indische Religion überlegen ist, liegt darin, dass eine wirkliche Verehrung der echten Bakta und Sannyasin besteht, vorausgesetzt, er kommt nicht in einem zu merkwürdigen Gewande oder mit zu revolutionären Absichten. Der Europäer ordnet ihn beinahe unweigerlich als Scharlatan, als Berufsreligiösen, eitle Drone oder als religiösen Fanatiker ein.

...

Der durchschnittliche Hindu hat Recht mit seiner Vorstellung von Religion als Dharma, d.h. dem Leben nach der heiligen Regel; diese heilige Regel jedoch ist keine Masse von flüchtigen und zeitlichen Bräuchen, sondern sie besteht darin, dass man dem Gott in sich selbst gemäß leben muss und nicht allein für sich selbst, um aus dem ganzen Leben eine Sadhana zu machen, deren Zweck die Verwirklichung des Göttlichen in der Welt ist, durch Wirken, Lieben und Wissen.

*

(Anfang des Jahres 1910 benutzte die Kolonialregierung einige vereinzelte terroristische Anschläge als Vorwand, um alle Opposition auszumerzen, nationalistische Führer zu verhaften und auszuweisen und in zunehmenden Maße tyrannische Gesetze zu erlassen. In der politischen Arena verblieben einerseits die ohnmächtigen gemäßigten Kräfte und andererseits frucht- und ziellose Gewalt. Gleichzeitig gab es bedrohlichere Vorzeichen mit der Regierungsentscheidung, Sri Aurobindo erneut zu verhaften, ihn aufgrund ihrer drakonischen Gesetze auszuweisen, und den Karmayogin zum Schweigen zu bringen. Mitte Februar, nach Meldungen einer bevorstehenden Verhaftung, erhielt Sri Aurobindo einen Adesh [innere Weisung], nach Chandernagore zu gehen, das damals unter französischer Verwaltung stand. Er verließ umgehend das Büro des Karmayogin und erreichte Chandernagore am nächsten Morgen, wo er eineinhalb Monate in seine Sadhana versenkt blieb. Die Mehrzahl der folgenden Auszüge entstammen Artikeln, die er vor seiner Abreise geschrieben hatte oder die von Chandernagore an den Karmayogin geschickt wurden, den er in Schwester Niveditas Obhut gelassen hatte. Ende März erhielt er einen zweiten Adesh, nach Pondicherry zu gehen. Die letzte Ausgabe des Karmayogin erschien am 2. April 1910.)

19. Februar 1910

Es ist das Leben, das Institutionen schafft; Institutionen hingegen erschaffen nichts, sondern sind Ausdruck und Bewahrung des Lebens. Wir sind zu schnell geneigt, diese Wahrheit zu vergessen. Die Europäer und besonders unsere Gurus, die Engländer, messen dem Apparat eine übertriebene Bedeutung zu, denn ihr eigener Apparat war ja so erfolgreich und ihre Organisation so stark und siegreich. In der Vermessenheit dieses Erfolges stellen sie sich vor, dass dieser Apparat der einzig mögliche Apparat ist und dass die Übernahme ihrer Organisation durch fremde Völker das einzige ist, was man für eine vollkommene gesellschaftliche und politische Glückseligkeit braucht.... Eben von diesen Institutionen zu erwarten, dass sie auf magische Weise europäische Tugenden, Kraft und Robustheit oder das lebhafte und energische Leben Europas entwickeln werden, wäre gleichbedeutend damit, dass man jemandem einen Mantel stiehlt und dann erwartet, man würde damit den Charakter des Vorbesitzers übernehmen. Haben nicht in der Tat viele unter uns gedacht, dadurch dass man sich mit jener erstaunlichen Tracht verkleidet, die im Europa des 19. Jahrhunderts entwickelt wurde, man eben so zu so vielen braunen Engländern würde? Dieser seltsame Zaubertrick hat nicht funktioniert; behütet, bemäntelt und behost behalten wir nichtsdestoweniger den Chaddar und den Dhoti als Teil unseres Charakters. Die ernstliche Bemühung, groß, erleuchtet und zivilisiert zu werden, indem wir uns europäische Institutionen ausborgen, wird ein ebenso katastrophaler Fehlschlag werden.

...

Dennoch hat es den Anschein, als ständen wir in Europa und in Indien in politischer, gesellschaftlicher und religiöser Hinsicht an der Schwelle einer gewaltigen Revolution. Diejenige Nation, die als erste die Probleme löst, welche Regierungen, Glaubensrichtungen, Gesellschaften in der ganzen Welt in Stücke zu schlagen drohen, wird die Welt im kommenden Zeitalter führen. Es ist unser Ehrgeiz, dass Indien diese Nation sein soll. Damit sie aber zu dem werden kann, was wir wünschen, ist es notwendig, dass sie zur schonungslosen Revolution fähig sei. Sie muss das Herz ihres früheren Wissens und die Unermesslichkeit ihrer Seele fassen, um sich mit ihrer Zukunft zu messen.

*

Menschen sehen die Wellenbewegungen, sie hören das Getöse und die tausend Stimmen, und danach beurteilen sie den Kurs der Zukunft und das Herz von Gottes Absichten; in neun von zehn Fällen jedoch urteilen sie falsch. Es heißt deshalb, dass in der Geschichte immer das Unerwartete geschehe. Es wäre jedoch nicht unerwartet, wenn die Menschen ihre Augen von den Oberflächen abwenden könnten und in die Substanz sehen würden, wenn sie sich daran gewöhnten, von den Erscheinungen abzusehen, und über sie hinaus in die geheime und verschleierte Wirklichkeit vordringen würden, wenn sie aufhörten, auf den Lärm des Lebens zu hören, und stattdessen auf sein Schweigen hören würden.

*

26. Februar 1910

Der Versuch, Jungen dadurch moralisch und religiös zu machen, dass man ihnen moralische und religiöse Lehrbücher lehrt, ist eine Eitelkeit und eine Täuschung, gerade weil das Herz nicht der Verstand ist und die Belehrung des Verstandes nicht notwendigerweise das Herz verbessert.... Die Gefahr moralischer Lehrbücher liegt darin, dass sie das Nachdenken über hohe Dinge mechanisch und künstlich machen, und alles Mechanische und Künstliche ist definitiv unwirksam....

Man kann Kindern eine bestimmte Disziplin auferlegen, sie auf bestimmte Weise kleiden, sie an einen bestimmten Weg fesseln, wenn man aber nicht ihre Herzen und ihre Natur gewinnt, wird die Angepasstheit dieser auferlegten Regel eine heuchlerische und herzlose, konventionelle und oft feige Einwilligung....

Die Grundregel moralischer Erziehung besteht im Anregen und Einladen, nicht im Befehlen und Auferlegen. Die beste Anregung geschieht durch das persönliche Beispiel, tägliche Unterhaltung und die Bücher, die man täglich liest. Diese Bücher sollten für Schüler das erhabene Beispiel der Vergangenheit bieten, nicht als moralische Lektion, sondern als Angelegenheiten von höchstem menschlichen Interesse, und für Studenten die großen Gedanken großer Seelen, jene Passagen der Literatur, die die höchsten Gefühle entzünden und den Menschen zu den höchsten Idealen und Bestrebungen bewegen, jene Annalen der Geschichte und Biographie, welche Beispiel der Belebung dieser großen Gedanken, edlen Gefühle und strebenden Ideale geben. Diese Art von guter Gesellschaft, satsanga, bleibt selten ohne Wirkung, solange salbungsvolle Moralpredigten vermieden werden, und sie hat die höchste Auswirkung, wenn das persönliche Leben des Lehrers selbst durch jene große Dinge geprägt ist, die er seinen Schülern vorstellt. Sie kann jedoch nur dann ihre ganze Kraft entwickeln, wenn dem jungen Leben innerhalb seiner begrenzten Sphäre die Gelegenheit gegeben wird, in der Tat jene moralischen Impulse zu verkörpern, die in ihm aufsteigen.

*

Die Ereignisse, die die Welt bewegen, sind oft das Ergebnis unbedeutender Umstände. Wenn ungeheure Veränderungen und unwiderstehliche Bewegungen sich im Fortschritt befinden, ist es erstaunlich, wie ein einziges Ereignis, oft selbst ein zufälliges, eine Verkettung von Umständen auslöst, die das Antlitz eines Landes oder der Welt verändern. In solchen Zeiten erzeugt eine leichte Wendung in diese oder jene Richtung Ergebnisse, die in völligem Missverhältnis zur Ursache stehen. Bei solchen Anlässen verspüren wir am lebhaftesten die Wirklichkeit einer Macht, die Ereignisse hinwegfegt und die Berechnungen der Menschen zunichte macht. Viele Dinge kommen durch die abrupte Tat eines einzelnen Individuums zu Ende. Eine Welt verschwindet, eine andere entsteht, beinahe durch eine kleine Berührung. Gewissheit wird zunichte, und wir beginnen zu verstehen, was das Pralaya der Hindus, der Übergang von einem Zeitalter in ein anderes, wirklich bedeutet und wie wahr die Vorstellung ist, dass lang vorbereitete Veränderungen durch plötzliche Übergänge ausgelöst werden. Solch eine Veränderung hängt jetzt über der ganzen Welt und in beinahe allen Ländern tragen sich Ereignisse zu, deren letztendliche Ergebnisse die Handlungsträger nicht voraussehen. Unbedeutende Begebenheiten passieren auf der Oberfläche großer Länder, und einige von ihnen gehen vorüber und werden vergessen, andere führen jählings die Zukunft herbei.

*

5. März 1910

Ein außergewöhnliches Merkmal der modernen Ausbildung, die in Indien bis zur reductio ad absurdum getrieben worden ist, ist die Praxis, in Bruchstücken zu unterrichten. Ein Unterrichtsfach wird scheibchenweise verabreicht, zusammen mit einer Vielzahl anderer, mit dem Ergebnis, dass man das, was man gut in einem Jahr lernen könnte, schlecht in sieben lernt, und der junge Mensch wird schlecht ausgerüstet ins Leben entlassen, ausgestattet mit unvollkommenen Wissenspaketen, Herr über keine der großen Abteilungen des menschlichen Wissens....

Nach dem alten System wurden ein oder zwei Fächer gut und gründlich unterrichtet, und dann ging man zu anderen Fächern über, und dies war sicherlich ein rationaleres System als das moderne. Wenn es auch keine so vielfältige Information erteilte, so bildete es doch zu einer tieferen, edleren und realeren Kultur aus. Viel von der Oberflächlichkeit, diskursiven Leichtfertigkeit und launischen Wankelmütigkeit des modernen Durchschnittsverstandes lässt sich auf das üble Prinzip des Unterrichts in Bruchstücken zurückführen. Der eine Mangel, der gegen das alte System herangezogen werden kann, war, dass das am frühesten gelernte Fach im Geiste des Studenten erblassen könnte, während er sich seinen späteren Studien widmete. Die ausgezeichnete Ausbildung jedoch, die auf das Erinnerungsvermögen der Alten verwandt wurde, schloss das Auftreten dieses Mangels aus. In der Erziehung der Zukunft brauchen wir uns weder auf das alte noch auf das neue System zu beschränken, sondern allein das vollkommenste und schnellste Mittel zur Wissensaneignung und Wissensbeherrschung auszuwählen.

Zur Verteidigung des modernen Systems wird behauptet, dass die Aufmerksamkeit von Kindern leicht ermüde und nicht dem Stress einer langen Hinwendung zu einem einzigen Unterrichtsgegenstand ausgesetzt werden kann. Der häufige Wechsel des Stoffes gäbe dem kindlichen Verstand Ruhe. Hier ergibt sich sofort die Frage: Sind die Kinder der modernen Zeit denn so verschieden von denen der alten Zeit, und, wenn ja, sind wir es nicht, die sie dazu gemacht haben, indem wir sie von langanhaltender Konzentration abhalten?... Ein sieben- oder achtjähriges Kind, und dies ist das früheste Alter, das für den Beginn gleich welcher Art regelmäßigen Lernens zulässig ist, ist zu einem gesunden Ausmaß an Konzentration fähig, wenn es interessiert ist. Interesse ist schließlich die Grundlage der Konzentration. Wir machen die Unterrichtsstunden absolut uninteressant und widerwärtig für das Kind und einen rohen Zwang zur Grundlage des Unterrichts und wundern uns dann über seine ruhelose Unaufmerksamkeit! Der Einsatz einer ungezwungenen Selbsterziehung durch das Kind anstelle des gegenwärtigen Zwangssystems entfernt diesen Einwand der Unfähigkeit umgehend. Ein Kind, ebenso wie ein Erwachsener, wird, wenn es interessiert ist, es auf jeden Fall vorziehen, einen Gegenstand zu Ende zu bringen, anstatt ihn unbeendet zu lassen. Es so Schritt für Schritt weiterzuführen, es zu interessieren und darin zu vertiefen, bis es seinen Gegenstand beherrscht, darin besteht die wahre Kunst des Unterrichtens.

...

Die Muttersprache ist das eigentlich gemäße Mittel der Erziehung, und deshalb sollten die ersten Bemühungen des Kindes darauf gerichtet werden, dieses Mittel gründlich zu beherrschen. Beinahe jedes Kind hat Fantasie, einen Instinkt für Worte, eine dramatische Fähigkeit, einen Reichtum an Gedanken und Vorstellungskraft. Diese sollten an der Literatur und Geschichte des Landes interessiert werden. Anstelle von dummen und trockenen Buchstabier- und Leseübungen, die als mühselige und undankbare Aufgabe angesehen wird, sollte es durch rapide fortschreitende Stadien in die interessantesten Teile seiner eigenen Literatur und der Leben um ihn und hinter ihm eingeführt werden, und sie sollten ihm so vorgestellt werden, dass sie jene Eigenschaften anziehen und an jene Qualitäten appellieren, von denen ich gesprochen habe. Alle weiteren Studien in diesem Alter sollten der Vervollkommnung der mentalen Funktionen und des moralischen Charakters gewidmet sein. In dieser Zeit sollte eine Grundlage für das Studium der Geschichte, der Wissenschaften und der Philosophie gelegt werden, nicht jedoch auf aufdringliche und formale Weise. Jedes Kind ist ein Liebhaber interessanter Erzählungen, ein Heldenverehrer und ein Patriot. Appelliert man an diese Qualitäten in ihm und durch sie, wird es, ohne es zu wissen, die lebendigen und menschlichen Seiten der Geschichte seiner Nation beherrschen lernen. Jedes Kind ist ein geborener Frager, Forscher, Analysator und Patriot. Appelliert man an diese Qualitäten in ihm, so erlangt es, ohne es zu wissen, das erforderliche Temperament und das notwendige Grundwissen des Wissenschaftlers. Jedes Kind hat eine unstillbare intellektuelle Neugierde und einen Hang zur metaphysischen Forschung. Verwendet man diese, so führt man es langsam zu einem Verständnis von der Welt und sich selbst. Jedes Kind hat ein Talent zur Nachahmung und eine Spur von Vorstellungskraft. Verwendet man sie, so legt man damit die Grundlage für die Fähigkeit des Künstlers....

Der Unterricht in Bruchstücken sollte in die Rumpelkammer toten Kummers verwiesen werden.

*

26. März 1910

Die Arbeit, die in Dakshineshwar begonnen wurde, ist weit davon entfernt, vollendet zu sein, sie wird noch nicht einmal verstanden. Das, was Vivekananda empfing und zu entwickeln suchte, hat sich noch nicht materialisiert. Die Wahrheit jener Zukunft, die Bijoy Goswami in sich verbarg, ist seinen Schülern noch nicht gänzlich enthüllt worden. Eine weniger diskrete Offenbarung ist in Vorbereitung, eine konkretere Kraft wird sich manifestieren, aber von wo sie kommt und wann sie kommt, weiß niemand.

*

(Die folgenden Auszüge entstammen den Briefen von Auswärts, die an einen fiktiven Korrespondenten in Indien geschrieben wurden. Sri Aurobindo schrieb diese Briefe Anfang 1910 und beabsichtigte, sie im Karmayogin zu veröffentlichen, aber er kam durch seine plötzliche Abreise aus Kalkutta nicht mehr dazu. Einige der folgenden Auszüge entstammen Briefen, die er kurz nach seinem Eintreffen in Pondicherry schrieb.)

Teurer Freund,

...

War das Leben immer schon so öde, so vulgär, so lieblos, fahl und misslich, wie es die Europäer gemacht haben? Dieser wohlausgerichtete Komfort bedrückt mich, diese Vollkommenheit der Maschinerie gestattet der Seele nicht, sich daran zu erinnern, dass sie selbst keine Maschine ist.

Ist dies nun das Ende des langen Marsches menschlicher Zivilisation, dieser spirituelle Selbstmord, diese stille Versteinerung der Seele in Materie? War der erfolgreiche Geschäftsmann jener grandiose Gipfel der Menschheit, auf den die Evolution zusteuerte? Wenn schließlich die wissenschaftliche Perspektive richtig ist, warum nicht? Eine Evolution, die mit dem Protoplasma begann und im Orang-Utan und Schimpansen aufblühte, mag sich wohl damit zufrieden geben, Hut, Mantel und Hosen, den britischen Aristokraten, den amerikanischen Kapitalisten und den Pariser Straßengangster erschaffen zu haben. Denn diese, so glaube ich, sind die höchsten Triumphe der europäischen Aufklärung, vor denen wir uns respektvoll verneigen. Für jene erschuf Augustus Europa, gründete Karl der Große wieder die Zivilisation, ordnete Ludwig XIV. die Gesellschaft und systematisierte Napoleon die französische Revolution. Für jene dachte Goethe, schuf und dichtete Shakespeare, liebte der heilige Franz von Assisi und wurde Christus gekreuzigt. Was für ein monumentaler Bankrott! Was für ein Bettelstab von Dingen, die einst reich und edel waren!

Europa brüstet sich seiner Wissenschaft und seiner technischen Wunder. Ein Inder jedoch kann sich nicht wie Voltaire als höchste Frage damit zufrieden geben: “Was haben Sie erfunden?” Sein Blick richtet sich auf die Seele, in die Seele richtet sich sein Forschen. Auf den Angeber-Intellekt Europas mag er antworten: “An dem, was du weißt, bin ich nicht interessiert; ich bin daran interessiert, was du bist. Mit all deinen Entdeckungen und Erfindungen, was ist aus dir geworden? Deine Aufgeklärtheit ist großartig – wer aber sind diese seltsamen Kreaturen, die sich im elektrischen Licht bewegen, das du eingerichtet hast, und die sich einbilden, sie seien Menschen?” Ist es ein großer Gewinn für den menschlichen Intellekt, scharfsinniger und unterscheidungsfähiger zu werden, wenn dabei die menschliche Seele verkümmert?

Die Wissenschaft aber gesteht die Existenz der Seele nicht zu. Die Seele, sagt sie, ist nichts als eine organisierte Republik von Kleinsttierchen, und in Form dieses Gedankens hat Europa sich selbst neu entworfen; und genau zu dem werden die europäischen Nationen heute, organisierte Republiken von Kleinsttierchen – sehr intelligente, sehr methodische, wunderbarerweise sprechende und räsonierende Kleinsttierchen, nichtsdestoweniger jedoch Kleinsttierchen. Und das ist nicht das, was sich das Menschengeschlecht zum Ziel gesetzt hat: Geschöpfe als Abbild des Allmächtigen, Götter, die vom Himmel gefallen sind und sich ihrer Erbschaft erinnern und sie wiederzuerobern suchen. Der Mensch in Europa sinkt weiter und weiter von seiner menschlichen Ebene herab und ähnelt mehr und mehr der Ameise und der Hornisse. Dieser Prozess ist noch nicht vollendet, jedoch schreitet er zügig voran, und wenn nichts diesen Niedergang aufhält, können wir davon ausgehen, seinen Abschluss im 20. Jahrhundert zu sehen. Letztendlich war all unser Aberglaube besser als diese Aufklärung, unsere gesellschaftlichen Missstände weniger mörderisch für die Hoffnung des Menschengeschlechts als diese gesellschaftliche Vollendung.

Was in Europa geschaffen wurde, ist ein sehr angenehmes Inferno, eine Hölle, die nicht aus Martern, sondern aus Genüssen besteht, aus Lichtern und Wagen, aus Bällen und Tänzen und Festessen, aus Theatern und Kaffeehäusern und Varietés, aus Bibliotheken und Clubs und Akademien, aus Nationalgalerien und Ausstellungen, aus Fabriken, Geschäften, Banken und Börsenplätzen. Nichtsdestoweniger ist es eine Hölle und nicht der Himmel, von dem die Heiligen und Dichter träumten, nicht das Neue Jerusalem, die Goldene Stadt. London und New York sind die heiligen Stätten dieser neuen Religion, Paris sein goldenes Vergnügungsparadies.

Die Menschen können sich nicht ungestraft dafür entscheiden, sich für Tiere zu halten und zu glauben, dass Gott nicht existiert. Denn das, woran wir glauben, ist das, wozu wir werden. Das Tier lebt einer Routine gemäß, die von der Natur für es eingerichtet wurde; sein Leben widmet sich der Befriedigung seiner körperlichen, vitalen und emotionalen Instinkte, und es befriedigt sich auf mechanische Weise durch eine regelmäßige Ausführung dieser Instinkte. Die Natur hat alles für das Tier geregelt und den entsprechenden Mechanismus geliefert. Der Mensch in Europa regelt seine eigene Routine, erfindet seinen eigenen Mechanismus und fügt den Bedürfnissen, deren Sklave er ist, das intellektuelle Bedürfnis hinzu. Bald jedoch wird es keinen anderen Unterschied mehr geben.

Das System, die Organisation und der Mechanismus haben ihre höchste Perfektion erreicht. Die Hörigkeit ist auf die höchste Spitze getrieben worden, und aus der Leidenschaft, seine äußerliche Freiheit zu organisieren, tötet Europa seine spirituelle Freiheit. Wenn die innere Freiheit vergangen ist, wird die äußere folgen, und eine gesellschaftliche Tyrannenherrschaft, die entsetzlicher, inquisitorischer und unerbittlicher ist als irgendein Kastenwesen, das je in Indien organisiert wurde, wird ihren Platz einnehmen. Dieser Prozess hat bereits begonnen. Die Hülse äußerer Freiheit besteht noch, jedoch ist ihr Kern bereits zerfressen. Weil er noch in der Lage ist, seine Sinne zu befriedigen und zu genießen, hält sich der Europäer für frei. Ihm ist nicht klar, welche Fänge am Herzen seiner Freiheit nagen.

*

Es wird gut sein, wenn jeder Inder anstelle einer Wachsprägung seiner fremden Umgebung das wahre Indien mit sich führen kann, wo immer er hingeht. Denn das bedeutet, dass Indien zur Eroberung bestimmt ist und dazu, der ganzen Welt seine Prägung aufzudrücken.

*

Was mich angeht, so sehe ich die Niederlage in Großbuchstaben über den großartigen und prächtigen Leistungen Europas geschrieben. Ihre teuersten Experimente, ihre größten Verausgabungen an intellektueller und moralischer Kraft führten zu der schnellsten Erschöpfung kreativer Energie, der vollständigsten Bankrotterklärung der moralischen Würde und Entmutigung der einst unbegrenzten menschlichen Hoffnung. Wenn man sich vergegenwärtigt, wie häufig und schnell ihre Bankrotterklärungen waren, so erschrickt die Vorstellungskraft über die Geschwindigkeit dieser Autofahrt in den Ruin. Die Bankrotterklärung der Ideen der Französischen Revolution, die Bankrotterklärung des utilitaristischen Liberalismus, die Bankrotterklärung des nationalen Altruismus, die Bankrotterklärung des karikativen Gedankens, die Bankrotterklärung des religiösen Glaubens, die Bankrotterklärung der politischen Aufrichtigkeit, die Bankrotterklärung des kommerziellen Treu und Glaubens, die Bankrotterklärung des persönlichen Ehrgefühls, wie schnell sie alle aufeinander folgten oder miteinander um die Wette liefen und zumindest miteinander Schritt hielten. Allein ihre vielfältige Wissenschaft mit ihrer großen kritischen und analytischen Kraft und all jenen Erfindungen und Einrichtungen, die sich aus dieser Analyse ergeben, sind noch lebendig und erhalten Europa aufrecht. Diese letzte Bankrotterklärung steht noch aus, und wenn diese einmal erfolgt ist, was bleibt dann noch? Ich kann bereits eine trockene Fäulnis in diesem saftigsten und energiereichsten Teil ausmachen. Der standhafte Materialismus, der ihr Leben und Schutz bot, steht ebenfalls vor dem Bankrott, und man sieht nichts als Torheiten und Hirngespinste ihre Stelle einnehmen.

...

Tausende von Zeitungen verallgemeinern das Wissen, verunstalten das ästhetische Verständnis, demokratisieren Erfolg und machen alles unmöglich, das einmal ungewöhnlich und edel war. Der Schriftsteller wird zum Kuppler der intellektuellen Begierden des Mobs oder er steht abseits in der Enge einer literarischen Clique. An Brillanz ist überall kein Mangel, man sucht jedoch vergeblich nach einer soliden Grundlage, nach der Macht und Festigkeit des Wissens. Die Auserwählten suchen das Paradox, um sich von der Herde abzusetzen; die unermüdliche Wiederholung irgendeiner erstaunlichen Neuheit allein kann die Menge befriedigen.... Von allen literarischen Formen hat die Novelle allein sich etwas Genie bewahrt, und selbst dieser verdirbt durch den modernen Fluch der Überproduktion. Forschung und Lehre sind unermüdlich aktiv über Leichen schöpferischer Kraft wie in Alexandrien und im späten Rom vor der großen Finsternis.... Die Meinung von gestern wird heute verworfen, ein neues Feuerwerk an Theorie, Verallgemeinerung und Spekulation nimmt den Platz der alten ein, und dieser sich im Kreis drehenden Pyrotechnik gibt man den Namen Fortschritt....

Mit einem Wort ist ganz Europa heute ein prächtiges Alexandrien, brillante Formen mit einer absterbenden Seele die Formen der Gesundheit nachahmend, fieberhafte Energie mit keinem anderen Kapital als der Energie des Krankenbettes. Man muss jedoch zumindest zugestehen, dass es nicht vollkommen steril ist, denn ganz Europa und Amerika wimmelt vor sich ständig vermehrenden technischen Apparaten23.

*

Die ausgehöhlten, wurmstichigen Außenseiten des Hinduismus, die so kläglich zerfallen, die sich auf so fatale Weise plötzlich und erstaunlich auflösen, machen mir keine Angst. Darunter sehe ich die Seele einer lebendigen, jedoch schlafenden Zivilisation. Ich sehe darin den tröstlichen Ratsspruch Gottes: “Da Ihr an mich geglaubt habt, sollt Ihr leben und nicht sterben.” Wenn ich andererseits durch die schmucke Außenseite dieses prahlerischen, aggressiven, dominierenden Europas hindurchsehe, grell und nicht schön, angeberisch und nicht gefestigt, so habe ich ins Herz dieser Zivilisation ein Todesurteil eingeschrieben gesehen, und ein Bild der Vernichtung, das vom Herzen zum Gehirn aufsteigt....

Er präsentiert sich meiner Vorstellungskraft nicht in edlen Gestalten, dieser einzige aufgeklärte Kontinent, und diese zivilisierten herrschenden Nationen erwecken in meinem Geist weder Furcht noch Respekt. Ich sehe dagegen ein kleines Mädchen, das ein neues Kleid trägt und das sich der Mamma und der Welt zur Schau stellt, es ist dabei unfähig, seinen Stolz und seine Freude zu verbergen, dass es noch nie ein solch neues Kleid und ein so hübsches kleines Mädchen gegeben hat – niemals vorher oder nachher! Ich denke auch an einen sehr kleinen Jungen, dem jemand einen sehr dicken Knüppel in die Hand gedrückt hat – man sieht ihn den Knüppel schwingen und hin und wieder einen triumphierenden Kriegstanz aufführen, die kleineren Jungen, die sich in der Reichweite des Knüppels befinden, quälen, tyrannisieren und ihnen ihre Spielsachen wegnehmen. Er hat nichts dagegen, wenn sie ihm etwas Widerstand entgegenbringen, damit er seine heldenhafte Stärke zeigen kann, indem er sie bestraft. Danach schmückt er sich mit blitzenden Victoria-Kreuzen und ruft all seine Partner dazu auf, seine ritterliche und draufgängerische Courage zu bewundern. Manchmal erinnert er mich auch an einen alten Mann, der früh gealtert ist, noch stark in seiner Hinfälligkeit, redselig, wohlinformiert, genusssüchtig, arrogant, intelligent, sehr geschäftig von Ort zu Ort stolpernd, sich in dies und das einmischend, Gesetze dogmatisch an jedem Punkt unter der Sonne festlegend; und bei all dem naht die Lähmung des Gehirns, die durch zittrige Bewegungen und unsichere Nerven ihre Schlagschatten vorauswirft. Es ist wahr, Europa, dein Kleid ist das sauberste und neueste, und was die Gegenwart betrifft, ist dein Knüppel der dickste und dein Kriegstanz ein furchterregendes Spektakel – furchterregend selbst für dich – mit Krupp und Mauser und Maschinengewehr und was es noch gibt, du bist tatsächlich für eine Weile der robuste, aufgeklärte Alte, der du zu sein scheinst. Später aber. Später aber wird es ein neueres Kleid geben und einen größeren Knüppel, und ein viel entsetzlicherer Kriegstanz und ein wirklicher Titan wird die Erde ergreifen anstatt eines falschen24.

*

II. 1910 – 1922

(Am 4. April 1910 erreichte Sri Aurobindo, der noch immer von den Engländern gesucht wurde, unentdeckt Pondicherry. Eine dritte Anklage wegen Landesverrats, aufgrund eines Artikels im Karmayogin, wurde in seiner Abwesenheit abgewiesen. Er würde eine Reihe von Jahren als Flüchtling in dieser französischen Kolonie wohnen, mit seiner kleiner Gruppe von Getreuen und umgeben von Spionen und Gerüchten.

Eine Zeit lang erwog Sri Aurobindo, nach Britisch-Indien zurückzukehren, er sah jedoch bald, dass “genug getan worden war, um das gesamte Antlitz indischer Politik und den gesamten Geist des indischen Volkes zu verändern, um Unabhängigkeit zu deren Ziel zu machen”, wie er später schreiben würde. “Seine eigener und persönlicher Eingriff in die Politik wäre deshalb nicht mehr unumgänglich. Ganz abgesehen von all dem wurde ihm das Ausmaß des anstehenden spirituellen Werkes zunehmend deutlicher, und es wurde ihm klar, dass dies die Konzentration all seiner Kräfte erfordern würde.” Sri Aurobindos Rückzug aus dem politischen Leben “bedeutete nicht, wie die meisten Leute annahmen, dass er sich auf die Höhen spiritueller Erfahrung zurückgezogen hat, ohne jedes weitere Interesse an der Welt und dem Schicksal Indiens25.”

Die folgenden Auszüge entstammen Briefen, Artikeln und Essays, von denen viele später in der Arya, einer englischsprachigen Monatszeitschrift erschienen, die Sri Aurobindo von 1914 bis 1921 herausgab und in der er die meisten seiner bedeutenden Werke veröffentlichte.)

1910 – 1912

Die meisten von uns haben sich eine Erklärung dieses schmerzlichen Phänomens [des Niedergang der indischen Zivilisation] zurechtgelegt. Der Patriot führt unseren Niedergang auf die Raubzüge der fremden Invasion zurück und die betäubenden Einflüsse der Fremdherrschaft; der Jünger des europäischen Materialismus entdeckt den Widersacher, das Übel, den Grund und Ursprung allen Unglücks in unserer Religion und ihrem durch die Zeit geehrten gesellschaftlichen Ausdruck. Solche Erklärungen haben, wie die meisten menschlichen Gedanken, ihre helle Seite der Wahrheit und ihre dunkle Seite des Irrtums; auf jeden Fall sind sie kein Ausdruck unabhängigen Denkens. Der Mensch mag, wie er definiert worden ist, ein denkendes Tier sein, es ist jedoch notwendig hinzuzusetzen, er ist demnach jedoch ein sehr schlecht denkendes Tier. Er denkt normalerweise nicht um der Wahrheitsfindung Willen, sondern vielmehr zur Befriedigung seiner mentalen Vorlieben und seiner emotionalen Neigungen; seine Schlussfolgerungen entspringen seinen Vorlieben, Vorurteilen und Leidenschaften; und sein Verstand und seine Logik, die er aufführt, um diese zu rechtfertigen, sind einzig trügerische Verfahren oder eine formelle Maske für seine verstecke Vorgehensweise mit einem Ziel, das vorher durch sein Herz und sein Temperament hervorgebracht wurde. Wenn wir einmal von unseren modernen Illusionen erweckt werden, wie wir von unserem mittelalterlichen Aberglauben erweckt wurden, so werden wir feststellen, dass die intellektuellen Schlussfolgerungen des Rationalisten, trotz all ihres Gepränges und der Demonstration peinlich genauer Untersuchung, ebensolche Dogmen darstellen wie die früheren Verlautbarungen von Papst und Theologen, die mit der Negierung der Vernunft schamlos ihre schlichte Grundlage bekennen.... Es ist deshalb immer geboten, diese bloßen, einschneidenden Erklärungen zu überprüfen, die das kampflustige Tier unseres Intellekts so leicht zufriedenstellen; nachdem wir den kleinen Anteil an Wahrheit, den sie erfassen anerkannt haben, sollten wir immer den großen Teil betrachten, den sie nicht berücksichtigen.

...

Wenige Gesellschaften sind so tamasisch gewesen, so voller Trägheit und Selbstzufriedenheit in der Steigerung der Enge wie die indische Gesellschaft in der jüngeren Vergangenheit; wenige waren so erpicht darauf, sich selbst in der Trägheit zu erhalten. Deshalb messen Wenige der Autorität eine solche Wichtigkeit bei. Jede Einzelheit des Lebens ist für uns durch die Shastra und die Macht der Gewohnheit festgelegt worden, jede Einzelheit unseres Denkens durch die Schrift und ihre Kommentatoren – häufiger jedoch durch die Kommentatoren als durch die Schrift. Allein auf einem einzigen Gebiet, dem der individuellen spirituellen Erfahrung, haben wir an der antiken Freiheit und Originalität festgehalten, aus der unsere Größe entsprang; aus irgendeiner neuen Bewegung in dieser unerschöpflichen Quelle ist jeder frische Impuls und alle verjüngende Kraft hervorgetreten. Wäre dem nicht so, befänden wir uns seit langem im Grab toter Nationen mit dem antiken Griechenland und Rom der Cäsaren, mit Esarhaddon26 und den Chosroen27....

Das Ergebnis dieser wohlgemeinten Abhängigkeit [gegenüber den äußeren Formen des Hinduismus] war die zunehmende Verarmung des indischen Intellekts, der einmal der gigantischste und originellste der Welt war. Daher haben eine bestimmte Unfähigkeit, Atrophie, Ohnmacht unsere jüngsten Aktivitäten selbst in ihrer höchsten Form noch gekennzeichnet. Das schlagendste Beispiel ist unsere anhaltende Hilflosigkeit angesichts der neuen Zustände und dem neuen Wissen, das uns durch den neuerlichen Europakontakt aufoktroyiert wird. Wir haben zu assimilieren, zu verwerfen und auszuwählen versucht; aber es ist uns mit keinem dieser Dinge gelungen, erfolgreich zu sein. Erfolgreiche Assimilierung hängt von der Beherrschung ab; aber wir beherrschen die europäischen Zustände und das europäische Wissen nicht, wir wurden im Gegenteil von ihnen ergriffen, ihnen unterjocht und durch sie versklavt. Ein erfolgreiches Verwerfen ist nur dann möglich, wenn wir eine intelligente Vorstellung davon haben, was wir bewahren wollen. Denn unser Verwerfen muss intelligent sein; wir müssen verwerfen, nachdem wir verstehen gelernt haben, nicht weil wir im Verstehen gescheitert sind. Gerade unseren Hinduismus aber und unsere alte Kultur pflegen wir mit der geringsten Intelligenz; im gesamten Spektrum unseres Leben tun wir Dinge, ohne uns zu vergegenwärtigen, warum wir sie tun, wir glauben an Dinge, ohne zu wissen, warum wir daran glauben, wir behaupten Dinge, ohne zu wissen, mit welchem Recht wir sie behaupten können – oder höchstens, weil irgendein Buch oder irgendein Brahmane sie uns einschärfen, weil Shankara so denkt, oder weil irgend jemand irgend etwas in dieser Weise interpretiert hat, das er für eine grundlegende Schrift unserer Religion hält. Nichts ist uns geistig eigen, nichts unserer Intelligenz eingeboren, alles ist hergeleitet. Ebenso wenig haben wir das neue Wissen verstanden; wir haben allein verstanden, was die Europäer uns über sich selbst und ihre moderne Zivilisation zu denken wünschen. Unsere englische Kultur – wenn man das Kultur nennen kann – hat das Übel unserer Abhängigkeit verzehnfacht, anstatt es zu beheben.

...

Wie können wir unsere verlorene intellektuelle Freiheit und Geschmeidigkeit wiedergewinnen? Dadurch, dass wir wenigstens zeitweise den Prozess umkehren, durch den wir sie verloren, indem wir unseren Geist in jeder Hinsicht von der Knechtschaft gegenüber der Autorität befreien. Das ist es jedoch nicht, was die Reformer und die Anglisierten von uns verlangen. Sie verlangen in der Tat von uns, von der Autorität abzulassen, uns gegen Brauch und Aberglauben aufzulehnen, freie und aufgeklärte Köpfe zu haben. Mit diesen vollmundigen Ratschlägen meinen sie aber, wir sollten die Autorität von Sayana für die Autorität von Max Müller aufgeben, den Monismus des Shankara für den Monismus von Häckel, die verfasste Shastra für das ungeschriebene Gesetz der gesellschaftlichen Meinung Europas, die Dogmatismen der brahmanischen Pandits für die Dogmatismen der europäischen Wissenschaftler, Denker und Gelehrter. So ein törichter Austausch von Hörigkeiten kann von keinem Verstand, der sich selbst respektiert, gebilligt werden. Lasst uns unsere Ketten sprengen, so ehrwürdig sie auch seien mögen, aber mit dem Ziel der Freiheit – im Namen der Wahrheit, nicht im Namen Europas! Es wäre ein schlechter Handel, unsere indischen Erleuchtungen, wie immer finster sie uns geworden sein mögen, gegen eine hergeleitete europäische Aufklärung einzutauschen, oder den Aberglauben des populären Hinduismus durch den Aberglauben der materialistischen Wissenschaft zu ersetzen.

Wenn Indien überleben und ihre vorgegebene Aufgabe in der Welt erledigen will, besteht unsere erste Notwendigkeit darin, dass die Jugend Indiens zu denken lernen sollte – denken über alle Gegenstände, unabhängig, fruchtbar zum Herzen der Dinge gehend denken, nicht von der Oberfläche abgehalten, frei von Voreingenommenheiten, Sophismen und Vorurteile wie mit einem scharfen Schwert unterpflügend, Dunkelmännertum jeder Art mit Bhimas Keule niederschmetternd....

Lasst uns dagegen nicht zufällig auswählen und ein namenloses Mischmasch hervorbringen und dies dann triumphierend die Assimilierung von Ost und West nennen. Wir müssen damit anfangen, nichts auf Treu und Glauben von welcher Quelle auch immer zu akzeptieren, alles zu hinterfragen und dann unsere eigenen Schlussfolgerungen zu bilden. Wir haben nicht zu fürchten, dass wir durch diesen Prozess aufhören würden, Inder zu sein oder Gefahr laufen, damit den Hinduismus zu verlassen. Indien wird nie aufhören, Indien zu sein oder Hinduismus Hinduismus, wenn wir allein selbstständig denken. Erst wenn wir Europa gestatten, für uns zu denken, ist Indien in Gefahr, ein schlecht-ausgeführter und törichter Abklatsch von Europa zu werden.... Allein aufgrund des Wahren und Beständigen können wir klar Stellung beziehen. Um aber herauszufinden, was in unseren Vorstellungen wahr und beständig ist, müssen wir alles gleichermaßen streng und unparteilich in Frage stellen. Die Notwendigkeit eines solchen Prozesses nicht für Indien allein, sondern für die gesamte Menschheit, ist von führenden europäischen Denkern anerkannt worden. Das meinte Carlyle, als er davon sprach, dass alle Formeln verschlungen werden müssten. Mit diesem Prozess verhalf Goethe zur Wiederbelebung des europäischen Denkens. Europa jedoch... hat seit langem keine originellen Denker mehr hervorgebracht, obwohl es noch originelle Mechaniker des Denkens hervorbringt.... China, Japan und die moslemischen Staaten gleiten ab in ein blindes Nachahmen Europas. Allein in Indien bleibt noch, in sich geborgen schlummernd, die Energie und die unbezwingbare spirituelle Individualität, die aufzustehen vermag, um seine eigenen und der Welt Fesseln zu brechen28.

*

Selbst die gerechten Sachen, die am hoffnunglosesten verloren sind und dies auch verdienen, finden noch ihre Beschützer, und auch unwürdige Altären mangelt es nicht an Weihrauch29.

*

Reformen sind keine so ausgezeichnete Sache wie es sich zahlreiche europäisierte Intellekte vorstellen, ebenso wenig ist es gut und sicher, unbewegt in den altehrwürdigen Pfaden zu schreiten, wie es sich die Orthodoxen eigensinnigerweise vorstellen. Reformen sind mitunter der erste Schritt zum Abgrund, Unbeweglichkeit hingegen ist der vollkommenste Weg zu Stagnation und Verwesung. Jedoch auch Mäßigung ist nicht immer der beste Ratgeber: der Mittelweg ist nicht immer ein goldener. Oft ist er nichts als Schönfärberei für Schwachsichtigkeit, für lauwarme Teilnahmslosigkeit oder für eine feige Unfähigkeit. Die Menschen nennen sich gemäßigt, konservativ oder extremistisch und organisieren ihr Verhalten und ihre Meinungen in Übereinstimmung mit einer Formel. Wir denken in Kategorien von Systemen und Parteien und vergessen, dass die Wahrheit nur ein Maßstab ist. Systeme sind allein bequeme Schachteln zur Aufbewahrung von angeordnetem Wissen, Parteien eine nützliche Maschinerie für einheitliches Handeln; wir hingegen benutzen sie als Ausflucht, um das Denken zu vermeiden.

Man ist über die Haltung der orthodoxen Hindus erstaunt. Sie bemühen sich, alles zu vergöttern, das existiert. Die hinduistische Gesellschaft hat bestimmte Einrichtungen und Bräuche, die nur aus Gewohnheit weiterbestehen. Es gibt keinen Beweis dafür, dass sie in der Antike bestanden, noch gibt es irgendeinen Grund dafür, dass sie in Zukunft weiterbestehen sollten.... Weder die Antike noch die Moderne können Prüfstein der Wahrheit oder Prüfstein der Nützlichkeit sein. Nicht alle Rishis gehören der Vergangenheit an; Avatare kommen noch immer; die Offenbarung geht weiter.... Manu in der modernen Gesellschaft wieder zu erschaffen, würde bedeuten, vom Ganges zu erwarten, zurück in den Himalaya zu fließen. Manu ist zweifelsohne eine nationale Angelegenheit, aber das Tieropfer und das Brandopfer sind das auch. Dass eine Sache in der Vergangenheit national war, bedeutet nicht, dass sie auch in Zukunft national sein muss. Es ist töricht, veränderte Bedingungen nicht anzuerkennen.... Alle Dinge haben ihre Zeit und ihre Grenze. Alle langanhaltenden Bräuche waren in ihrer Zeit höchst nützlich, selbst der Totemismus und die Polyandrie. Wir sollten die Nützlichkeit der Vergangenheit nicht leugnen, aber wir sollten es vorziehen, nach einem gegenwärtigen und zukünftigen Nutzen zu suchen.

Brauch und Gesetz können dann dementsprechend geändert werden. Jedem Zeitalter gebührt seine eigene Shastra. Wir können andererseits jedoch nicht argumentieren, dass es geändert werden muss, oder selbst wenn eine Änderung notwendig ist, dass es in eine bestimmte Richtung geändert werden soll. Man fühlt sich vom unwissenden Enthusiasmus der Sozialreformer abgestoßen. Ihr Köpfe enthalten in aller Regel eine seltsame Mischung schlecht verdauter europäischer Vorstellungen. Wenige wissen überhaupt irgend etwas über Europa, und selbst diejenigen, die es besucht haben, kennen es schlecht. Dabei halten sie alles, was europäischen Ideen zuwiderläuft, für abergläubisch, barbarisch, schädlich und umnachtet, und sie lassen keine andere Vorstellung zu, als dass das, was in Europa gelobt und angewandt wird, vernünftig und aufgeklärt sei....

Fast jede Frage, die die Sozialreformer in Angriff nehmen, könnte auf die eine oder Weise geregelt werden, ohne dass dies anhaltendes gesellschaftliches Wohl bewirken würde. Es ist mitleiderregend zu sehen, wie sich Menschen mit der Frage der Heirat zwischen Unterkasten abmühen und in wie sie über irgendeinen Einzelerfolg frohlocken. Ob der Geist ebenso wie der Körper des Kastenwesens überdauern soll, ist die moderne Frage. Hindus mögen sich daran erinnern, dass das Kastenwesen, wie es jetzt besteht, lediglich Jatist, d.h. die Handelsgilde heiliggesprochen, aber nicht länger in Kraft, es ist nicht die ewige Religion Catur¬varnya. Es ist mir gleichgültig, ob Witwen heiraten oder ledig bleiben, dabei ist es von unermesslicher Bedeutung zu erwägen, wie die Frau gesellschaftlich und rechtlich zum Manne in Beziehung treten solle, als seine Untergebene, als Gleichberechtigte oder als Überlegene; denn selbst eine Beziehung der Überlegenen ist in Zukunft sowenig unmöglich, wie sie es in sehr weit zurückliegender Vergangenheit war. Und die wichtigste von allen Fragen ist, ob es sich um eine Konkurrenz- oder um eine Kooperationsgesellschaft, um eine individualistische oder kommunistische Gesellschaft handeln solle. Dass wir so wenig über diese Dinge reden und uns dagegen stürmisch über unbedeutende Einzelheiten ergehen, zeigt schmerzlich die Verarmung des durchschnittlichen indischen Intellektes. Wenn diese wichtigen Dinge entschieden werden, so wie sie entschieden werden müssen, so ergibt sich die Ordnung der weniger wichtigen von selbst.

...

Die Menschen sorgen sich seit langem um gesellschaftliche Reform und makellose Orthodoxie, und die Orthodoxie ist zerfallen, ohne dass die gesellschaftliche Reform wirksam geworden wäre. Die ganze Zeit über jedoch ist Gott durch Indien gewandelt und hat Sein Werk getan, trotz allen Geredes. Die soziale Revolution bereitet sich ohne das Wissen des Menschen vor, und dies auch nicht in die angenommene Richtung, denn sie umfasst die Welt, nicht Indien allein. Ob wir es wollen oder nicht, Er wird den Abfall aus der indischen Vergangenheit und der europäischen Gegenwart auskehren. Jedoch ist der Besen nicht immer ausreichend, mitunter gibt er dem Schwert den Vorzug. Es ist wahrscheinlich, dass es gebraucht werden wird, denn die Welt stellt sich nicht schnell wieder her, und deshalb muss sie mit Gewalt wiederhergestellt werden....

Die Menschen schreien jämmerlich und beklagen, dass alles verdirbt. Wenn sie jedoch in Gottes Liebe und Weisheit vertrauten, ohne ihr die eigenen konservativen und engstirnigen Vorstellungen vorzuziehen, dann würden sie eher darauf bestehen, dass alles wiedergeboren werde.

So viel hängt von der Zeit und Gottes unmittelbarem Zweck ab, dass es wichtiger ist, Seinen Zweck zu ergründen, als uns an unsere eigenen politischen “Allheilmittel” zu klammern. Der Kala Purusha, Zeitgeist und Geist des Todes, ist erstanden, um sein entsetzliche Arbeit zu tun – lokaksayakrat pravrddhah, um zu wachsen und eine Welt zu zerstören [Gita, 11.32] – und wer vermag den Terror und die Macht und die Unwiderstehlichkeit von Ihm aufzuhalten? Er zerstört jedoch nicht allein die Welt, die war, Er erschafft auch die Welt, die sein wird; es ist deshalb einträglicher für uns, das zu entdecken und bei dem mitzuhelfen, was er aufbaut, als darüber zu klagen und es in unsere Arme zu nehmen, was er zerstört.... Kali ist das Zeitalter von Zerstörung und Wiedergeburt, nicht das eines verzweifelten Anhaftens an einem Überkommenen, das nicht länger mehr erhalten werden kann....

Ist die Zeit für diese Zerstörung gekommen? Wir meinen, dass sie gekommen ist. Horche auf das Donnern jener Gewässer, viel furchtbarer als der Lärm des Angriffs – achte auf dieses langsame, düstere, grausame Unterminieren – siehe Haufen um Haufen unseres geflickten, unzusammenhängenden, baufälligen Gefüges zerfressen, knarren, unter den Stößen erschüttert werden, auseinanderbrechen, langsam oder mit einem Schlag versinken, plötzlich oder nach und nach in den Schaum dieser Wellen. Ist die Zeit für einen neuen Aufbau gekommen? Wir sagen: Ja, sie ist gekommen. Beachte den Tatendrang, Eifer und das Hin-und-her-Eilen der Menschheit, das schnelle Ermessen, Suchen, Graben und Begründen – seht die Avatars und großen Vibhutis kommen, aufsteigen, jeder dicht hinter dem anderen schreiten. Sind dies nicht Zeichen und bezeugen sie uns nicht, dass der größte Avatar von allen eintrifft, um das erste Satya Yuga des Kali zu gründen?...

Ja, eine Harmonie, aber nicht jene erbärmlichen Leitungen des europäischen Materialismus, keine abendländische Begründung auf Halbwahrheiten und ganzen Falschheiten. Wenn Zerstörung stattfindet, so vergeht die Form, nicht der Geist – denn die Welt und ihre Weisen sind Formen der einen Wahrheit, die in dieser materiellen Welt in immer neuen Körpern erscheint.... In Indien, dem erwählten Land, wird [diese Wahrheit] bewahrt; in der Seele Indiens schlummert sie in Erwartung des Erwachens dieser Seele, die löwenhafte, leuchtende Seele Indiens, verschlossen in den geschlossenen Blättern des vorzeitlichen Lotos der Liebe, Stärke und Weisheit, nicht in ihren schwachen, besudelten, vergänglichen und elenden Äußerlichkeiten. Indien allein kann die Zukunft der Menschheit erbauen30.

*

Der antike oder vorbuddhistische Hinduismus suchte Ihn sowohl in der Welt wie auch außerhalb ihrer; er bezog seine Stellung auf der Stärke und Schönheit und Freude des Veda, im Gegensatz zu dem modernen und nachbuddhistischen Hinduismus, der unterdrückt wird von Buddhas Vorstellung des universellen Leidens und Shankaras Vorstellung der universellen Illusion – Shankara, der den Buddhismus besser zerstören konnte, weil er selbst ein halber Buddhist war. Der antike Hinduismus zielte gesellschaftlich auf unsere Erfüllung in Gott im Leben ab, der moderne Hinduismus dagegen zielt ab auf eine Flucht vom Leben zu Gott. Das modernere Ideal ist fruchtbar für eine edle und asketische Spiritualität, es hat jedoch eine eisige und widrige Wirkung auf die gesellschaftliche Gesundheit und Entwicklung; das gesellschaftliche Leben unter seinem Schatten stagniert aus Mangel an Glaube und Freude, Shraddha und Ananda. Wenn wir unsere Gesellschaft vervollkommnen wollen und wenn unsere Nation wieder aufleben soll, so müssen wir zu der früheren und volleren Wahrheit zurückkehren31.

*

13. Juli 1911

(Auszug aus einen Brief an einen Freund)

Folge sorgsam meinen Anweisungen zur Vermeidung der alten Art von Politik. Spiritualität ist Indiens alleinige Politik, die Erfüllung des Sanatana Dharma seine einzige Swaraj. Ich habe keinen Zweifel daran, dass wir durch unsere parlamentarische Periode gehen werden, damit wir uns von der Vorstellung der westlichen Demokratie befreien können, indem wir praktisch sehen, wie unfähig sie praktisch ist, Nationen zu segnen. Indien durchläuft die ersten Stadien von einer Art von nationalem Yoga. Es wurde anfangs vom Ansturm göttlicher Kraft beherrscht, der 1905 stattfand und es aus seinem Zustand völliger tamasischer Ajnanam [Unwissenheit] aufrüttelte. Aber, wie es auch mit einzelnen Individuen geschieht, alles Übel, alle falschen Samskaras [Eindrücke] und falschen Gefühle und mentalen und moralischen Gewohnheiten stiegen damit auf und missbrauchten die göttliche Kraft. Von daher diese Orgie politischer Rhetorik, demokratischer Leidenschaft, Versammlungen, Umzüge, passiven Widerstands, die alle in Bomben, Revolvern und Zwangsgesetzen endeten.... Gott hat all das niedergeschlagen – Modernismus, das uneheliche Kind des englischen Liberalismus; Nationalismus, der gemischte Abkömmling von Europa und Asien; Terrorismus, der abgetriebene Spross von Bakunin und Mazzini.... Erst wenn diese Torheit abgeklärt ist, wird die Wahrheit eine Chance haben, das sattwische Mental in Indien erscheinen und eine starke spirituelle Bewegung als Vorspiel von Indiens Wiederbelebung beginnen. Fraglos wird man noch mit einer Fülle von Ärger und Irrtum konfrontiert werden, wir werden dann jedoch die Gelegenheit haben, unsere Füße auf den rechten Weg zu bringen. Insgesamt glaube ich, dass Gott uns führt, dass er uns die erforderlichen Erfahrungen machen lässt und uns auf die notwendigen Bedingungen vorbereitet32.

*

1910 – 1914

(In den ersten Jahren seines Aufenthaltes in Pondicherry unterzog Sri Aurobindo den Veda einer gründlichen Studie, und er entdeckte, erstaunt über das Licht, das er auf seine eigenen Erfahrungen warf, seine vergessene Bedeutung. Eine Reihe von Auszügen aus den frühen Manuskripten über den Veda:)

Ich suche nicht nach Wissenschaft, nach Religion, oder Theosophie, sondern nach Veda – der Wahrheit über den Brahman, nicht allein über Seine Wesentlichkeit, sondern auch über Seine Manifestierung, keine Lampe auf dem Weg in den Wald, sondern ein Licht und einen Führer zu Freude und Tätigkeit in der Welt, die Wahrheit, die jenseits der Meinung liegt, das Wissen, nach dem alles Denken strebt – jasmin vijnate sarvam vijnatam [jenes Wissen, durch das alles gewusst wird]. Ich glaube, dass der Veda die Grundlage des Sanatan Dharma ist; ich halte ihn für die verborgene Gottheit innerhalb des Hinduismus – ein Schleier muss jedoch beiseite gezogen werden, ein Vorhang entfernt werden. Ich halte ihn für erkennbar und entdeckbar. Ich bin überzeugt davon, dass die Zukunft Indiens und der Welt von seiner Entdeckung und seiner Anwendung abhängt, nicht was die Lebensentsagung angeht, sondern in Hinblick auf das Leben in der Welt und unter den Menschen33.

*

Die Menschen haben sich eine Autorität errichtet und sie zwischen sich und das Wissen gestellt. Die Orthodoxen sind indigniert, dass jemand, der bloß modern ist, es sich anmaßen sollte, sich von Shankara in der Auslegung des Vedanta oder von Sayana in der Auslegung des Veda zu unterscheiden. Sie vergessen dabei, dass Shankara und Sayana selbst modern sind, getrennt von uns durch einige Jahrhunderte, die Veden jedoch sind einige Jahrtausende alt. Die Exegeten sollten studiert werden, wir jedoch setzen sie anstelle des Textes. Gute Kommentare sind immer willkommen, selbst wenn sie falsch sind, aber selbst den besten unter ihnen kann nicht gestattet werden, die Forschung einzuschränken. Sayanas Auslegung des Veda hilft mir, indem sie mir zeigt, was ein Mann großer Gelehrsamkeit vor einigen Jahrhunderten für den Sinn der Heiligen Schriften hielt. Ich kann jedoch nicht umhin, daran zu denken, dass selbst zur Zeit der Brahmanas die Bedeutung des Veda den Menschen dieses prähistorischen Zeitalters kaum noch zugänglich war.... Ich finde, dass Shankara viel von der Vedantischen Wahrheit verstanden hat, dass ihm aber auch viel dunkel geblieben ist. Ich bin geneigt anzuerkennen, was er verwirklicht hat; ich bin nicht geneigt, das auszuschließen, was er nicht verwirklicht hat. Aptavakyam, Autorität ist eine Art von Beweis; es ist jedoch nicht die einzige Art; pratyaksa [unmittelbare Erkenntnis] ist wichtiger.

Die Heterodoxen andererseits schwören auf Max Müller und die Europäer.... Die Europäer haben in unserem Veda nie etwas anderes gesehen als rohe Gesänge eines antiken und primitiv ländlichen Menschengeschlechts, angestimmt zu Ehren der Naturkräfte, und für viele erstreckt sich diese Meinung definitiv auf die Bedeutung der Mantras. Jede andere Auslegung ist für sie reiner Aberglauben. Für mich jedoch haben diese gelehrten Vermutungen ausländischer Grammatiker keine größere Autorität als die gelehrten Vermutungen Sayanas. Es ist nicht relevant für mich, was Max Müller über den Veda denkt oder was Sayana über den Veda denkt. Mir sollte hingegen wichtig sein zu wissen, was der Veda selbst auszusagen hat und, wenn darin Licht auf das Unbekannte oder das Unendliche fallen sollte, dann würde ich diesem Strahl folgen, bis ich in Angesicht zu Angesicht zu dem stehe, das es erleuchtet34.

*

Europa hat sich bestimmte Ansichten über den Veda und die Vedanta gebildet, und es war damit erfolgreich, dem indischen Intellekt diese Ansichten aufzuoktroyieren.... Wenn einhundert weltberühmte Gelehrte aufschreien: “Das ist so!”, dann ist es tatsächlich für den durchschnittlichen Verstand, ebenso wie für überdurchschnittliche Geister, die in diesem Fachgebiet keine Erfahrung haben, schwer, dem nicht beizustimmen....

Und nichtsdestotrotz wird eine Zeit kommen, wenn der indische Geist die Finsternis abschütteln wird, die ihn befallen hat, und aufhören wird, zweit- oder drittrangige Meinungen zu haben, und er wird auf seinem Recht beharren, selbst in völliger Freiheit in Bezug auf die Bedeutung seiner eigenen Heiligen Schriften zu urteilen und zu forschen. Wenn dieser Tag kommt, werden wir, meines Erachtens nach, feststellen, dass das beachtliche Gewebe vedischer Theorien auf nichts anderem wahrerem und wirklicherem basiert als der Fundierung durch lose angehäufte Vermutungen. Wir werden dann eine ganze Reihe von wohl¬etablierten philologischen Mythen infrage stellen – jene Legende zum Beispiel von der aryanischen Invasion Indiens aus dem Norden und die künstliche und wahrheitswidrige Unterscheidung von Aryanern und Dravidianern, die eine irrige Philologie wie einen Keil in die Einheit der homogenen Indo-Afghanischen Rasse getrieben hat, jenes seltsame Dogma eines “henotheistischen” Vedischen Naturalismus, sowie die genialen und brillanten Exzesse der modernen Sonnen- und Sternenmythenbilder.

*

Ich nehme diese Puranische Theorie [der zivilisatorischen Zyklen, die den unseren vorangehen] als Arbeitshypothese und gehe davon aus, dass wenigstens ein großes vedisches Zeitalter fortschrittlicher Zivilisation bestand, das später von der Zeit und den Umständen zerbrochen wurde und von dem uns der moderne Hinduismus einzig und allein einige erhaltene, aufgelesene und wiederentwickelte Bruchstücke darbietet.... Wir dürfen uns unter einer fortschrittlichen Zivilisation nicht eine Kultur oder Gesellschaft vorstellen, die in irgendeiner Weise dem ähnelt, was wir uns unseren modernen Ideen gemäß als einzig zulässiges Modell darunter vorstellen – die moderne europäische –, ebenso wenig dürfen oder können wir tatsächlich annehmen, dass es in irgendeiner Weise das Modell der modernen Hindu Gesellschaft ist. Es ist wahrscheinlich, dass diese antike Kultur keine jener materiellen Annehmlichkeiten hatte, deren wir uns so brüsten – es mag jedoch andere einer höheren, möglicherweise selbst mächtigeren Art gehabt haben.

...

Ich bin überzeugt, dass die Veden eine Bedeutung enthalten, die weder vom mittelalterlichen Indien noch vom modernen Europa begriffen worden ist, die jedoch für die frühen Vedantischen Denker völlig offenbar war. Max Müller verstand die Vedischen Mantras auf die eine, Sayana verstand sie auf eine andere Weise, Yaska hatte eine ganz eigene Auslegung ihrer antiken Diktion, keiner von ihnen jedoch verstand was Yajñavalkya und Ajatashatru davon verstanden.... Eben weil wir die Veden nicht verstehen, sind uns Dreiviertel der Upanischaden ein Buch mit sieben Siegeln. Und selbst vom wenigen, das wir zu verstehen glauben, ist vieles nur unsicher begriffen und oberflächlich erfasst.... Aus Mangel an diesem Schlüssel tappen tiefschürfende Gelehrte im Dunkeln und aus Mangel an dieser Führung sind große Denker in die Irre gegangen. – Max Müller äußerte jenes wunderbare Wort vom “Lallen eines Nichtzeitalters der Menschheit35,” Shankara hinterließ den größten Teil seines Textes ohne Erläuterung oder verwarf die Veden als minderwertige Wahrheit für die Unwissenden, Vivekananda sah sich gezwungen, sein Unverständnis der kosmologischen Ideen der Vedantiner zuzugeben und sie zweifelnd als kuriose Spekulationen zu erwähnen.... Erst wenn wir die großen vedischen Ideen gänzlich und in ihrer Totalität erkannt haben, werden wir in der Lage sein, jenes tiefsinnige harmonische und großartige Denksystem unserer frühen Vorväter in seinem ganzen Umfang zu schätzen36....

*

Religiöse Bewegungen und Revolutionen sind gekommen und vergangen oder haben ihre Zeichen hinterlassen, doch letztlich und durch alles Geschehen hindurch verbleiben uns die Veden als unser Fels der Zeitalter, unsere ewige Grundlage.... Die Upanischaden, so mächtig sie sind, streben nur danach, mit dem höchsten Namen des Brahman das ewige Wissen, das in den Veden als Heiligtum bewahrt ist, zu krönen, es hervorzubringen und philosophisch in der Sprache des späteren Denkens anzuordnen. Und doch hat über wenigstens zweitausend Jahre kein Inder die Veden wirklich verstanden.

...

Ich finde in den Aryanischen und Drawidischen Sprachen, den Aryanischen und Drawidischen Menschengeschlechter keine getrennten und unverbundenen Familien, sondern zwei Äste eines einzigen Stammes. Das Mär der Aryanischen Invasion und der Besiedlung des Punjab im vedischen Zeitalter ist für mich ein philologischer Mythos37.

*

Der Veda war der Anfang unseres spirituellen Wissens; der Veda wird auch sein Ende sein. Die Konstruktionen einer vorzeitlichen Antike sind wie die vielen Brüste der Ewigen Mutter des Wissens, von dem all unsere folgenden Zeitalter genährt worden sind....

Die Wiederentdeckung der vollkommenen Wahrheit des Veda ist deshalb nicht allein ein Desideratum für unsere moderne intellektuelle Neugierde, sondern eine praktische Notwendigkeit für die Zukunft des Menschengeschlechts, denn ich bin fest davon überzeugt, dass das Geheimnis, das sich im Veda verbirgt, wenn es vollkommen erschlossen ist, gänzlich das ausformulierte Wissen und die Praxis eines göttlichen Lebens eröffnet, zu welchem der Gang der Menschheit nach langer Wanderschaft in der Befriedigung des Intellektes und der Sinne unweigerlich zurückkehren wird38.

*

Es ist ein Aberglauben des modernen Denkens, dass der Gang der Erkenntnis in all seinen Abschnitten immer in einer Linie des Vorwärts-Fortschritts vorangeschritten ist, davon zweifellos abweichend in einigen Epochen der Finsternis, jedoch immer dorthin zurückkehrend und ins gesamt gesehen immer einen Vormarsch und nie einen Rückschritt bildend. Diese Vorstellung basiert, wie alle Vorurteile, auf unserem schlechten und unvollkommenen Beobachtungsvermögen, das sich dann zu einem logischen Fehlschluss auswächst. Der logische Fehlschluss, in den wir infolge unserer schlechten Beobachtungsgabe geraten, besteht in der irrigen Vorstellung, dass, weil wir in unseren besonderen Erfolgslinien weiter fortgeschritten sind als einige Völker der Antike, wir auch in anderen Entwicklungslinien fortgeschrittener seien, in denen wir uns noch in den Kinderschuhen befinden und in denen wir erst kürzlich begonnen haben, unsere Beobachtungen und Experimente anzustellen, so wie in der Wissenschaft der Psychologie und der Erkenntnis unserer subjektiven Existenz und derjenigen unserer mentalen Kräfte.... Während unsere Vorväter glaubten, dass den Älteren als den autoritativeren insgesamt mehr Vertrauen zukäme, da sie sich eher in der Nähe der Götter befinden, und den weniger Älteren als den weniger autoritativen weniger, da sie sich näher an der letztlichen Degeneriertheit des Menschen befinden, glauben wir [Menschen der Moderne] im Gegenteil, dass das Ältere insgesamt betrachtet immer weniger wahr ist, da es sich näher an dem ungebildeten und unkritischen Wilden befindet, und das Modernere das wahrere ist, da es als Meinung von den gebildeten und wohlunterrichteten Bürgern von Paris oder Berlin vertreten wird. Keine der beiden Positionen ist akzeptabel. Die Überprüfung durch die Instanzen von Erfahrung und Experiment ist der einzige Maßstab der Wahrheit, nicht ihr antiker oder moderner Charakter. Bei einigen Gedanken der Alten oder selbst der Wilden, die von uns jetzt erkundet werden, mag es sich um verlorene Wahrheiten handeln oder um Beschreibungen einer gültigen Erfahrung, von der wir uns abgewendet haben oder die wir vergessen haben; viele der Vorstellungen der modernen Schulmeister werden mit Sicherheit in Zukunft als irrig und abergläubisch angesehen werden39.

*

Die Zeitspanne, die dem Wachstum einer Zivilisation eingeräumt wird [entsprechend der Theorie einer geradlinigen Entwicklung seit dem primitiven Zeitalter] ist noch immer unmöglich kurz.... Das Argument, dass keine antike Zivilisationen, von denen alle Spuren gänzlich verwischt sind, bestanden haben können, hat keine Gültigkeit mehr, ebenso wenig dasjenige, dass vorgeschichtlich notwendig barbarisch und unentwickelt bedeutet.... Alles deutet darauf hin, dass es Überreste von anderen, noch unentdeckten Zivilisationen gegeben haben muss. Es ist unmöglich, dass wir alles, was die Erde enthält, schon erschöpft haben könnten40.

*

1914 – 1915

(Einige von Sri Aurobindos “Gedanken und Aphorismen”)

Wie viel Hass und Dummheit es Menschen gelingt, nett zu verpacken und mit dem Etikett “Religion” zu versehen!

Die Grabenkämpfe der religiösen Sekten gleichen dem Streit von Töpfen, wem allein es vergönnt sein soll, den unsterblich machenden Nektar zu enthalten. Lasset sie streiten, uns jedoch geht es darum, an den Nektar zu kommen, gleich in welchem Topf, und Unsterblichkeit zu erreichen.

Zerbreche die Formen der Vergangenheit, erhalte dir jedoch ihre Errungenschaften und ihren Geist, ansonsten wirst du keine Zukunft haben.

Es gibt zwei Arten von Menschen, für die Hoffnung besteht, den Menschen, der Gottes Berührung verspürt hat und davon angezogen wird, und den skeptischen Sucher und selbstüberzeugten Atheisten; hingegen was die Formularisten und Papageien des freien Denkens angeht, dabei handelt es sich um tote Seelen, die einem Tod folgen, den sie Leben nennen.

So sprachen Ramakrishna und Vivekananda. Ja, lass mich jedoch auch jene Wahrheiten erfahren, welche die Avatare nicht in Rede gegossen haben und die die Propheten aus ihren Lehren ausgelassen haben. Es wird in Gott immer mehr geben, als sich die Überlegungen der Menschen je ausdenken konnten oder die Zunge des Menschen je äußerte.

*

Die mittelalterlichen Asketen hassten Frauen und dachten, dass sie von Gott zur Versuchung der Mönche erschaffen wurden. Es mag gestattet sein, sowohl von Gott als auch von den Frauen edler zu denken.

*

Kämpfe, solange deine Hände frei sind, mit deinen Händen und deiner Stimme und allen Arten von Waffen. Bist du im Verlies des Feindes angekettet und haben dich seine Knebel zum Schweigen gebracht? Kämpfe mit deiner schweigenden, alles belagernden Seele und deiner weitreichenden Willenskraft, und wenn du tot bist, kämpfe dennoch mit der weltumfassenden Kraft, die von Gott in dir ausgeht.

Du hältst den Asketen in seiner Höhle oder auf seinem Berggipfel für einen Stein und einen Nichtstuer. Was weißt du von ihm? Es mag sein, dass er die Welt mit den mächtigen Strömen seines Willens erfüllt und sie durch den Druck seines Seelenzustandes verändert.

*

Das Bestehen von Armut ist Beweis für eine ungerechte und schlechtorganisierte Gesellschaft, und unsere öffentliche Wohlfahrt sind nur das erste verspätete Erwachen im Gewissen des Räubers.

Selbstsucht tötet die Seele; vernichte sie. Gib jedoch acht, dass dein Altruismus nicht die Seele von anderen tötet.

*

Die medizinische Wissenschaft ist eher ein Fluch als ein Segen für die Menschheit gewesen. Sie hat die Kraft der Epidemien gebrochen und eine wunderbare Chirurgie hervorgebracht; sie hat jedoch auch die natürliche Gesundheit des Menschen geschwächt und einzelne Krankheiten vermehrt; sie hat Furcht und Abhängigkeit in Gemüt und Körper eingepflanzt; sie hat unsere Gesundheit gelehrt, sich nicht auf natürliche Robustheit, sondern eine gebrechliche und geschmacklose Krücke destilliert aus dem Reich der Mineralien und Pflanzen.

Maschinerie ist für die moderne Menschheit aufgrund ihrer unheilbaren Barbarei unabdingbar. Wenn wir uns in eine verwirrende Vielzahl von Bequemlichkeiten und Zierrat einschließen wollen, müssen wir dabei notwendigerweise auf Kunst und ihre Methoden verzichten; denn auf Schlichtheit und Freiheit zu verzichten, bedeutet auf Schönheit zu verzichten. Der Luxus unserer Vorfahren war reich und selbst prächtig, er war jedoch niemals belastend.

*

Das kommunistische Gesellschaftsprinzip ist im Wesentlichen dem individualistischen Prinzip in dem Maße überlegen, in dem Brüderschaft Missgunst und gegenseitiger Abschlachterei überlegen ist; alle praktischen Methoden des in Europa erfundenen Sozialismus jedoch sind ein Joch, eine Tyrannei und ein Gefängnis.

Wenn sich der Kommunismus jemals erfolgreich auf der Erde wieder etablieren sollte, muss dies auf einer Grundlage der Seelenbrüderschaft und dem Tod des Egoismus geschehen. Eine forcierte Genossenschaft und eine mechanische Kameradschaft würden in einem weltweiten Fiasko enden.

Demokratie in Europa ist die Herrschaft des Kabinettministers, des korrupten Abgeordneten oder eines selbstsüchtigen Kapitalisten maskiert durch die gelegentliche Souveränität einer wankelmütigen Bevölkerung; Sozialismus in Europa ist wahrscheinlicherweise die Herrschaft des Staatsbeamten und des Polizisten maskiert durch die theoretische Souveränität eines abstrakten Staates. Es wäre chimärenhaft zu fragen, welches das bessere System sei; es wäre schwierig zu entscheiden, welches das Schlechtere ist.

Der Nutzen der Demokratie besteht in der Sicherheit des individuellen Lebens, der Freiheit und der Güter vor der Willkür des einen Tyrannen oder der selbstsüchtigen Wenigen; sein Übel ist der Niedergang der Größe in der Menschheit.

Dieses irrende Geschlecht von Menschenwesen träumt beständig von der Vervollkommnung ihrer Umwelt durch die Maschinerie von Regierung und Gesellschaft; dabei ist es allein die Vervollkommnung der Seele innen durch die die äußere Umwelt vervollkommnet werden kann. Das, was Ihr innerlich seid, das sollt Ihr äußerlich genießen; keine Maschinerie kann Euch von diesem Gesetz Eures Wesens erretten.

Europa brüstet sich seiner praktischen und wissenschaftlichen Organisation und Leistungsfähigkeit. Ich warte darauf, dass ihre Organisation sich vervollkommnet hat; dann wird ein Kind es zerstören.

*

Solange eine gute Sache auf ihrer Seite eine Seele hat, die in ihrem Glauben unerschütterlich ist, solange kann sie nicht untergehen41.

*

29. August 1914

(Aus einem Brief an Motilal Roy, einem Revolutionär aus Chandernagore, der später versuchte, eine Gemeinschaft gemäß der Ideale Sri Aurobindos zu schaffen.)

Gandhis Loyalität42 [im Burenkrieg und während des Zulu-Aufstandes 1906] ist kein Vorbild für Indien, das nicht Südafrika ist, und selbst Gandhis Loyalität wird durch den passiven Widerstand korrigiert. Ein unterwürfiger Ton von Servilität in der Politik ist keine “Diplomatie” und er ergibt sicherlich keine gute Politik. Er täuscht oder entwaffnet den Widersacher nicht; er ermutigt nichtsdestoweniger zur Furcht und einer kriecherischen Verschlagenheit im beherrschten Volk. Was Gandhi in Südafrika zu erreichen versuchte, war für Inder die Stellung von wohlwollend behandelten Leibeigenen zu erreichen – als Trittbrett für etwas besseres.... Unsere Haltung ist anders und unser Zweck ist ein anderer, es geht nicht darum, ein paar Privilegien auszuhandeln, sondern darum, eine Nation von Menschen zu schaffen, die für die Unabhängigkeit geeignet sind und fähig, diese zu erlangen und zu erhalten.

*

August 1914

In der gefestigten Tradition von Tausenden von Jahren wurden [die Veden] als Ursprung und Wertmaßstab von allem verehrt, das in den Brahmanas und Upanischaden, in den Tantras und Puranas sowie in der Doktrin der großen philosophischen Schulen und in den Lehren der berühmten Heiligen und Weisen als autoritativ und wahr anzusehen ist. Der Name davon war Veda, das Wissen – der empfangene Name für die höchste spirituelle Wahrheit, deren der menschliche Verstand fähig ist. Erkennen wir jedoch die geläufigen Auslegungen an, seien es Sayanas oder die der modernen Theorie, dann beruht die Gesamtheit dieses erhabenen und geheiligten Rufes auf einer ungeheuren Fiktion. Die Hymnen wären demnach im Gegenteil nichts als naive und abergläubische Hirngespinste von ungelehrten und materialistischen Barbaren, die sich um nichts anderes sorgten als um die äußerlichsten Gewinne und Vergnügungen, dabei bar aller außer der elementarsten moralischen Vorstellungen und religiösen Bestrebungen43.

*

September 1914

Die westliche Philologie hat ihn [das Wort aryanisch] in einen rassischen Begriff umgewandelt, in eine unbekannte ethnologische Größe, die verschiedene Spekulationen mit verschiedenen Werten verbinden.... [Dabei] waren die aryanischen Völker im Veda diejenigen, die eine bestimmte Art von Selbstkultur akzeptiert hatten, eine innere und äußere Praxis der Idealität und der Aspiration....

Jeder, der von Ebene zu Ebene den Hügel des Göttlichen heraufzuklettern versucht, der nichts fürchtet, sich von keiner Verzögerung und von keiner Niederlage abhalten lässt, der vor keiner Unermesslichkeit zurückschreckt, weil sie für seine Intelligenz zu unermesslich sei, von keiner Höhe, weil sie für seinen Geist zu erhaben ist, von keiner Größe, weil sie zu groß für seine Kraft und Courage ist, der ist ein Aryaner, ein göttlicher Kämpfer und Sieger, ein nobler Mensch44.

*

September 1914 (?)

(Aus einem Brief an Motilal Roy)

Du musst verstehen, dass meine Mission nicht darin besteht, Maths (indische Kloster) zu gründen oder eine Asketen- und Sannyasin-Bewegung ins Leben zu rufen, sondern starke Seelen zum Lila von Krishna und Kali zurückzurufen.... Jede asketische Bewegung seit Buddhas Zeiten hat Indien geschwächt, und das aus einem ganz offensichtlichen Grund. Lebensabkehr ist eine Sache, das nationale, individuelle Leben und Weltleben selbst größer und göttlicher zu machen, ist etwas anderes. Man kann einem Land nicht das eine Ideal aufzwingen, ohne das andere zu schwächen. Man kann dem Leben nicht die besten Seelen entziehen und das Leben dadurch größer und stärker werden lassen. Die Abkehr vom Ego und die Akzeptanz Gottes im Leben ist das Yoga, das ich lehre – es gibt keine andere Abkehr.

*

Dezember 1914

Gleich der Mehrzahl der gebildeten Inder hatte ich, bevor ich selbst den Veda las, die Ergebnisse der europäischen Forschung ohne Prüfung akzeptiert, sowohl was die religiöse als auch was die geschichtliche und ethnische Bedeutung der antiken Hymnen angeht. Folglich, und das wieder in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen Auffassung des modernen Hindus, betrachtete ich die Upanischaden als die älteste Quelle des indischen Denkens und der indischen Religion, den wahren Veda, das erste Buch der Erkenntnis. Der Rig-Veda in den modernen Übersetzungen, und das war die einzige Fassung die ich von dieser tiefgründigen Schrift kannte, war für mich ein wichtiges Dokument unserer Nationalgeschichte, sie schien jedoch von geringem Wert oder Bedeutung in Bezug auf die Geschichte des Denkens und für eine lebendige spirituelle Erfahrung....

Mein Aufenthalt in Südindien richtete meine Aufmerksamkeit zum ersten Mal auf den Veda. Zwei Beobachtungen drängten sich mir auf und versetzten meiner Auffassung aus zweiter Hand über die rassische Unterschiedlichkeit zwischen nördlichen Aryanern und südlichen Draviden einen ernsthaften Schock. Diese Unterscheidung beruhte nach meinem Erachten immer auf dem hypothetischen Unterschied zwischen den physischen Typen des Aryaners und des Draviden und einer entschiedeneren Unvereinbarkeit zwischen den nördlichen sanskritistischen und den südlichen nicht-sanskritistischen Sprachen. Tatsächlich kannte ich die späteren Theorien, die davon ausgehen, dass ein einziges homogenes Menschengeschlecht, dravidischer oder indo-afghanischer Herkunft die indische Halbinsel bevölkerte; bis dahin jedoch hatte ich diesen Spekulationen keine weitere Bedeutung beigemessen. Ich konnte mich jedoch nicht lange in Südindien aufhalten, ohne vom wiederholten Auftreten des nördlichen oder “aryanischen” Typus unter den Tamilen beeindruckt zu sein. Wo immer ich mich hinwendete, schien es mir, dass ich mit verblüffender Deutlichkeit, nicht alleine unter den Brahmanen, sondern in allen Kasten und Klassen, die altbekannten Gesichter, Merkmale und Gestalten meiner Freunde aus Maharashtra, aus Gujarat, Hindustan und selbst, wenn auch diese Ähnlichkeit weniger stark verbreitet war, aus meiner eigenen Provinz Bengalen wiedererkannte. Der Eindruck, der sich mir vermittelte, war der einer Armee aus allen Stämmen des Nordens, die über den Süden hergefallen wäre und alle vorherigen Populationen, die das Gebiet vorher besessen haben mögen, übervölkert hätte. Der allgemeine Eindruck eines südlichen Typus blieb bestehen, dabei war es jedoch unmöglich, ihn aus dem Studium der Physiognomie heraus definitiv zu fixieren. Zu guter Letzt konnte ich mir einzig eingestehen, dass, welche Vermischung auch immer stattgefunden haben mag, welche regionalen Unterschiede sich entwickelt haben mögen, hinter all dieses Varianten, eine Einheit des physischen wie auch kulturellen Typus45] in ganz Indien besteht....

Was aber hatte es dann mit der scharfen Unterscheidung zwischen Aryanern und Draviden auf sich, die von den Philologen erschaffen worden war? Sie verschwand schlicht und einfach. Wenn eine aryanische Invasion überhaupt zugestanden werden sollte, müssten wir entweder davon ausgehen, dass sie Indien überflutete und damit den physischen Typus des Volkes mit verschiedenen Abänderungen prägte, oder dass es sich um das Eindringen von kleinen Stämmen einer weniger zivilisierten Rasse handelte, die in der Urbevölkerung aufging. Wir müssten demnach annehmen, dass sie mit ihrem Eindringen in eine riesige Halbinsel, die bereits von einem zivilisierten Volk bevölkert worden war – Erbauer von großen Städten, weitreichende Händlern, nicht ohne mentale und spirituelle Kultur –, sie dennoch in der Lage waren, ihm ihre eigenen Sprache, Religion, Ideen und Bräuche aufzuoktroyieren. Ein solches Wunder wäre allein dann möglich, wenn die Eindringlinge eine sehr hoch organisierte Sprache, eine größere Kraft des schöpferischen Denkens und einen dynamischeren religiösen Geist und eine dynamischere religiöse Form besessen hätten.

Denn es blieb der Unterschied in der Sprache, um die Theorie eines Zusammentreffens der Rassen zu stützen. Aber auch in diesem Fall wurden meine vorgefassten Vorstellungen gestört und verwirrt. Beim Untersuchen der Worte der tamilischen Sprachen46, die anscheinend der sanskritischen Form und dem sanskritischen Charakter so fremd waren, fand ich mich doch beständig von Worten oder Wortfamilien, die an sich reines Tamilisch sein sollten, dazu verleitet, neue Beziehungen zwischen Sanskrit und ihrer entfernten Schwester, dem Latein, herzustellen, und selbst gelegentlich zwischen Griechisch und dem Sanskrit. Manchmal deutete die tamilische Vokabel nicht allein die Verbindung an, sondern bewies das fehlende Glied in einer Familie von verbundenen Worten. Und erst durch die dravidische Sprache begann ich zuerst das wahrzunehmen, was mir heute als das wahre Gesetz, die eigentlichen Ursprünge und nachgerade die Embryologie der aryanischen Sprachen erscheint. Ich war nicht in der Lage, meine Forschungen weit genug voranzutreiben, um einen entscheidenden Schluss ziehen zu können, es erscheint mir jedoch sicher, dass die ursprüngliche Verbindung zwischen der dravidischen und der aryanischen Sprachen weit enger und weit ausgiebiger war, als man gewöhnlich annimmt, und die Möglichkeit drängt sich auf, dass es sich um zwei sich auseinanderentwickelnde Sprachfamilien handelt, die von ein und derselben verlorenen Ursprache herstammen. Wenn dem so wäre, dann verblieben als einzige Beweismittel der aryanischen Invasion des dravidischen Indiens die Anzeichen aus den vedischen Hymnen.

Es war deshalb mit doppeltem Interesse, als ich den Veda zum ersten Mal im Original aufschlug, wenn auch ohne die unmittelbare Absicht eines genauen und ernsthaften Studiums. Es dauerte nicht lange festzustellen, dass die vedischen Anzeichen einer rassischen Trennung zwischen Aryanern und Draviden und die Identifizierung der letzteren mit den eingeborenen Indern einen viel fadenscheinigeren Charakter hatten, als ich angenommen hatte. Weit interessanter war für mich die Entdeckung eines bedeutenden Corpus von tiefem psychologischen Denken und tiefer psychologischer Erfahrung, der vernachlässigt und verborgen in diesen Hymnen lag. Und die Bedeutung dieses Elements nahm in meinen Augen zu, als ich bemerkte, dass, erstens, diese Mantras der Veden mit einem klaren und genauen Licht psychologische Erfahrungen meiner selbst erleuchten, für die ich bis dahin weder in der europäischen Psychologie noch in den Lehren des Yoga oder der Vedanta, soweit sie mir bekannt waren, eine hinlängliche Erklärung gefunden hatte, und dass sie, zweitens, Licht auf dunkle Passagen und Gedanken der Upanischaden warfen, denen ich vorher keine genaue Bedeutung hatte beimessen können und, dass sie gleichzeitig großen Teilen der Puranas einen neuen Sinn gaben.

*

1915

(Aus einem Brief an Motilal Roy)

Es ist bedauerlich, dass Bengalen unfähig sein sollte, irgend etwas im Arya 47 zu finden, es ist jedoch nicht überraschend. Der Intellekt von Bengalen ist so stark durch chemische Tabletten des Denkens und scharf gewürzte Nahrung gefüttert worden, dass alles starke und substantielle unverdaulich für ihn ist. Darüber hinaus sind die Leute in Indien nur an Gedanken aus zweiter Hand gewöhnt – die altbekannten Ideen über die sechs Philosophien, Patanjali, usw., usw. Jede neue Darstellung des Lebens, Denkens und Yogas erschüttert ihre Erwartungen und ist ihnen unverständlich. Das Denken des Arya verlangt genaues Nachdenken des Lesers; es erspart ihm nicht die Mühe des Denkens und Verstehens, und die Köpfe der Menschen sind seit langem daran gewöhnt, dass ihnen die Mühe des Denkens erspart wird. Sie wissen, wie man lax mit dem Denken umgeht, sie haben vergessen, wie man richtigen Gebrauch davon macht....

Kurz nachdem der Arya begann, erhielt ich einen Brief von einigen Studenten, die gerade die Abschlussprüfung bestanden hatten, in dem es hieß, ihnen verlange danach “mannhaft” gemacht zu werden. Ich habe meinen Teil zur Ausbildung von “Mannhaftigkeit” beigetragen, und das ist etwas, das jeder heute tun kann; die Natur selbst kümmert sich überall auf der Welt darum, in Indien langsamer allerdings als anderswo. Mein Geschäft ist nicht die Ausbildung von Mannhaftigkeit, sondern Menschengöttlichkeit. Meine gegenwärtige Lehre besteht darin, dass die Welt sich auf einen neuen Fortschritt, eine neue Evolution vorbereitet. Jedes Volk, jedes Land, das die Leitlinien dieser neuen Evolution ergreift und sie erfüllt, wird zum Führer der Menschheit werden....

Indien und vor allem Bengalen haben die beste Chance und das günstigste Vorrecht, dieses Menschengeschlecht zu schaffen und die Führer der Zukunft zu werden – auf richtige Weise das zu tun, was Deutschland auf die falsche Weise zu tun müssen glaubte. Zuerst aber müssen sie denken lernen, alte Ideen abwerfen und ihre Gesichter entschlossen der Zukunft zuwenden. Dies gelingt jedoch nicht, wenn sie lediglich europäische Politik nachahmen oder ewig mit dem Reproduzieren von buddhistischem Asketismus fortfahren. Ich fürchte, die Ramakrishna Mission mit all ihren guten Absichten gibt uns nichts weiter als Shankaracharya und buddhistischen Humanismus. Nicht dieses Ziel ist es aber, auf das sich die Welt zubewegt.

*

Januar 1915

Barmherzigkeit und Altruismus sind oft im wesentlichen egoistisch in ihrer unmittelbaren Motivation. Sie werden durch das Unbehagen des Nervensystems im Angesicht von Leiden hervorgerufen oder durch die Annehmlichkeit der Wertschätzung unserer Güte durch andere oder durch die egoistische Selbstwertschätzung unserer Wohltätigkeit oder durch das Bedürfnis, sich in Mitgefühl zu ergehen. Es gibt Philanthropen, die ernsthaft verstört wären, wenn die Bedürftigen uns nicht ständig präsent wären, denn sie hätten dann kein Arbeitsfeld für ihre Barmherzigkeit....

Auch ist das Mitgefühl im Einzelnen und die Behebung bestimmter Leiden nicht die einzige Hilfe, die Menschen gegeben werden kann. Die Äste des menschlichen Leidensbaumes herunterzuschneiden, ist eine gute Sache, aber sie wachsen wieder nach; ihm zu helfen seine Wurzeln zu entfernen, ist jedoch eine größere göttliche Hilfeleistung48.

*

(Am 29. März 1914 begegnete Sri Aurobindo Mirra, einer französischen Dame, die aus Frankreich gekommen war. Sie blieb ein Jahr in Pondicherry, kehrte dann nach Frankreich zurück und reiste 1916 nach Japan, wo sie bis zu ihrer Rückkehr nach Pondicherry am 24. April 1920 blieb. Über dreißig Jahre würde sie mit Sri Aurobindo arbeiten. Wir kennen sie als “die Mutter”. Die beiden folgenden Auszüge entstammen Briefen, die Sri Aurobindo an Mutter nach Frankreich schrieb, während der 1. Weltkrieg wütete.)

6. Mai 1915

Man braucht ein ruhiges Herz, einen gefestigten Willen, vollkommene Selbstverleugnung und muss den Blick andauernd auf das Jenseits gerichtet haben, um ohne Entmutigung in Zeiten wie diesen zu leben, die wahrlich eine Periode universeller Zersetzung sind49.

*

(Aus einem Brief vom 16. September 1915)

Die Welt befindet sich in einem einzigartigen Zustand, der reine Inbegriff von Chaos, während die Oberflächenform der alten Welt äußerlich noch scheinbar intakt ist. Handelt es sich aber um ein Chaos allmählicher Auflösung oder um eine frühe Neugeburt? Gerade um das wird tagtäglich ausgefochten, ohne dass jedoch eine Entscheidung absehbar wäre50.

*

August 1915

Das vedische Ritual, fast gänzlich veraltet, hat seine tiefere symbolische Bedeutung verloren; die pastoralen, kriegerischen und ländlichen Sinnbilder der frühen aryanischen Dichter klingen für uns fern, unpassend, oder, wenn sie natürlich und schön sind, doch ohne die ältere, tiefere Bedeutung, die sie in der Vorstellung ihrer Nachkommen hatte. Werden wir mit den erhabenen Hymnen der vorzeitlichen Morgenröte konfrontiert, stellt sich völlige Verständnislosigkeit ein, und wir überlassen sie als Beute dem Scharfsinn jenes Gelehrten, der zwischen Unklarheiten und Ungereimtheiten nach an den Haaren herbeigezogenen Bedeutungen tastet, wo die Alten ihre Seele in Harmonie und Licht badeten. Der Sinn ist tot und allein die Unklarheit einer vergessenen dichterischen Form verbleibt. So wird der Verstand angehalten und verblüfft über die ungewohnte Sprache, wenn wir lesen “Sarama entdeckte die Herden auf dem Pfade der Wahrheit”. Das muss uns übersetzt werden... in ein einfacheres und weniger sinnbildliches Denken: “Intuition erreicht versteckte Erleuchtungen durch den Weg der Wahrheit51.” Ohne den Schlüssel verirren wir uns in Spitzfindigkeiten über Dämmerung und Sonne oder stellen uns unter Sarama, dem Hund des Himmels, eine mythologisch Personifizierung irgendeiner prähistorischen Botschaft an die dravidianischen Nationen in Bezug auf den Wiedererhalt gestohlener Viehherden vor52.

*

August 1915

Die ungeheure Kraftanstrengung [des westlichen Materialismus und der westlichen Zivilisation] ist erschöpft; sie hat ihren Bankrott offiziell noch nicht erklärt, aber sie ist bankrott. Sie versinkt in einem so gigantischen und unnatürlichen Kataklysmus wie der Versuch war, der ihre Geburt verursachte. Andererseits hat die übertriebene Vergeistigung der indischen Anstrengung auch zu einem Bankrott geführt; wir haben gesehen, wie weit einzelne Individuen durch sie aufsteigen können, aber wir haben auch gesehen, wie tief ein Volk fallen kann, wenn sein Eifer, nach Gott zu suchen, Seine Absichten in der Menschheit übersieht. Sowohl der europäische als auch der indische Versuch waren bewundernswert, der indische durch seine absolute spirituelle Aufrichtigkeit, der europäische durch seine strenge intellektuelle Redlichkeit und seine Inbrunst nach Wahrhaftigkeit; beide haben Wunder vollbracht; letztlich jedoch waren Gott und die Natur zu stark für das Titanentum des menschlichen Geistes und für das Titanentum des menschlichen Intellekts53.

*

Oktober 1915

(Auszug aus einer Buchbesprechung im Arya)

Das uns vorliegende Buch, Herrn O. C. Gandolys South Indian Bronzes, gehört zu den Besten seiner Gattung. Südindien, das von den Eindringlingen und Vandalen weniger in Mitleidenschaft gezogen wurde als der Norden und das aus der geschichtlichen Verschiebung des Zentrums der indischen Kultur nach Süden Gewinn ziehen konnte, strotzt förmlich vor Kunstschätzen.... Dieses Buch stellt jedoch einige verblüffend zuversichtliche Behauptungen auf, gegen die unser kritischer Sinn sich auflehnt. Zum Beispiel: “Es besteht keinerlei Zweifel, dass die beiden Landesteile, welche die Vindhya Bergen trennen, von Völkern bewohnt wurden, die sich durch Blut und Temperament wesentlich unterschieden.” Sicherlich lassen sich die wichtigen Theorien, welche das gesamte indische Volk für dem Blut nach dravidisch halten, oder die, ohne jedoch einen “aryanischen” oder “unaryanischen” Ursprung anzunehmen, es als homogen ansehen – abgesehen von einigen Inseltypen an der Südküste und den mongolischen Völkern des Himalaja – können nicht so leichtfertig abgelehnt werden....

Es ist betrüblich zu sehen, dass indische Forscher mit ihren großen Möglichkeiten schlicht und einfach den Pfaden einiger europäischer Gelehrter in der Akzeptanz und Erweiterung ihrer unsicheren Phantasien folgen, wobei sich ihr ungeheurer Überbau auf schwache und vereinzelte Beweismittel und ihre imaginäre “Geschichte” unserer prähistorischen Zeitalter gründet. Es gilt bessere und stichhaltigere Arbeit zu leisten und Inder können sie auf bewunderswerte Weise leisten, wie es Herr Gangoly in seinem Buch bewiesen hat54.

*

1916

Entweder handelt es sich beim Veda um das, was Sayana sagt, und in diesem Falle müssen wir ihn gänzlich hinter uns lassen als das Dokument einer Mythologie und eines Rituals, das für denkende Köpfe keine lebendige Wahrheit oder Kraft mehr repräsentiert, oder es handelt sich um das, was europäische Gelehrte sagen, und in diesem Fall müssen wir es zu den Relikten der Vergangenheit stecken als ein antiker Bericht eines halbbarbarischen Gottesdienstes, oder andererseits ist es tatsächlich der Veda, ein Buch des göttlichen Wissens, und in diesem Fall erhält es für uns höchste Bedeutung, seine Botschaft zu hören und kennenzulernen.

...

Dayanandas Sicht ist klar und seine Grundlagen unbezwingbar. In den vedischen Hymnen wird die eine Gottheit unter vielen Namen angerufen, Namen, die gebraucht und sogar ausdrücklich entworfen werden, um seine Eigenschaften und Kräfte auszudrücken. Ist diese Auffassung Dayanandas eine willkürliche Eitelkeit, die er aus seinem eigenen zu geistreichen Vorstellungsvermögen geschöpft hat? Nicht im mindesten. Es handelt sich um eine ausdrückliche Aussage des Veda selbst: “Der Eine Existierende, von dem die Weisen” – nicht die Ignoranten, wohlverstanden, sondern die Seher, die Menschen des Wissens – “auf mannigfaltige Weise sprechen, als Indra, als Yama, als Matarishwan, als Agni” [Rig-Veda, I.164.46]. Die vedischen Rishis sollten sicherlich etwas über ihre eigene Religion gewusst haben, und zwar hoffentlich mehr als Roth und Max Müller, und eben das ist es, was sie wussten.

Wir sind uns bewusst, wie moderne Gelehrte sich aus der Beweislage herauswinden. Die Hymne, so sagen sie, war ein spätes Erzeugnis, diese erhabenere Idee, die sie mit solch klarer Kraft zum Ausdruck bringt, erstand irgendwie im späteren aryanischen Geist oder wurde von jenen unwissenden Feueranbetern, Sonnenanbetern, Himmelsanbetern von ihren kultivierten und philosophischen dravidianischen Feinden ausgeborgt. Durch den ganzen Veda hindurch haben wir jedoch dies bestätigende Hymnen und Ausdrücke. Agni oder Indra oder ein anderer werden ausdrücklich als eins mit allen anderen Göttern besungen. Agni enthält alle übrigen göttlichen Mächte in sich, die Maruts werden als alle Götter beschrieben, eine Gottheit wird mit dem Namen anderer ebenso angerufen wie mit seinem eigenen, oder am häufigsten werden ihm als Herr und König des Universums Tugenden verliehen, die allein der Höchsten Gottheit angemessen sind. Ah, dies aber könnte nicht, sollte nicht, dürfte nicht die Anbetung des Einen bedeuten; lasst uns ein neues Wort erfinden, lasst es uns Henotheismus nennen55 und lasst uns annehmen, dass die Rishis Indra oder Agni nicht wirklich für die höchste Gottheit hielten, sondern dass sie irgendeinen und jedweden Gott nur einstweilen als solchen behandelten, vielleicht damit er sich eher geschmeichelt fühlen würde und für ein solch übertriebenes Kompliment ein wohlwollenderes Ohr leihen würde! Warum aber eigentlich sollte die Grundlage des vedischen Denkens kein natürlicher Monotheismus sein, anstelle dieser neuerungssüchtigen Monstrosität eines Henotheismus? Nun, weil primitive Barbaren sich eben nicht zu einem solch hohen Begriff hätten aufschwingen können, und solltest du ihnen diesen Aufschwung doch zugestehen, dann würdest du damit unsere schöne Theorie der evolutionären Stadien der menschlichen Entwicklung gefährden und du zerstörest ferner die ganze Vorstellung über den Sinn und Zweck der vedischen Hymnen und ihren Platz in der Geschichte der Menschheit. Die Wahrheit muss sich verstecken, der gesunde Menschenverstand verschwinden, damit eine Theorie erblühen möge! Ich frage an diesem Punkt, und hier handelt es sich um den grundlegenden Punkt, wer behandelt den Text redlicher, Dayananda oder die westlichen Gelehrten?

...

Dayananda geht hingegen noch weiter. Er bestätigt, dass die Wahrheiten der modernen Physik in den Hymnen entdeckt werden können.... Die antiken Zivilisationen besaßen Geheimnisse der Wissenschaft, von denen die moderne Erkenntnis einige wiederentdeckt, erweitert, bereichert und präzisiert hat, andere jedoch hat sie bis heute noch nicht wiederentdeckt. Somit hat Dayanandas Gedanke, dass der Veda wissenschaftliche Wahrheit ebenso enthält wie religiöse Wahrheit, nichts phantastisches an sich. Ich möchte dem meine eigene Überzeugung hinzufügen, dass der Veda andere Wahrheiten einer Wissenschaft enthält, die die moderne Welt in keiner Weise besitzt, und in diesem Fall hat Dayananda die Tiefe und den Umfang der vedischen Weisheit eher untertrieben als übertrieben dargestellt56.

*

März 1916

Sanskrit sollte als Sprache der Gebildeten weiterhin eine Zukunft haben, und es wäre für Indien kein glücklicher Tag an dem diese antike Sprache gänzlich aufhörte gesprochen oder geschrieben zu werden57. Für ihr Überleben muss sie sich jedoch des Fluches ihres schweren und pedantischen Stils entledigen, ebenso des Übergewichtes an haarspalterischer Gelehrsamkeit, die sie sich während ihres Niedergangs zuzog.

*

Mai 1916

Menschliches Mittelmaß ist gewöhnlich ein ewiger Besserwisser und Pfuscher; es näht einen Flicken neuen Samtes auf einen alten Flanellstoff oder einen neuen Flanellflicken auf alten Samt und bewundert dann sein erbärmliches Handwerk. Und sein vorsichtiges Vorgehen besteht aus einer Ansammlung von Heucheleien, Erfindungen und überkommenen Bräuchen, bis die Last der Falschheit für das Leben unerträglich geworden ist und eine gewaltsame Revolution notwendig wird, um die Seele der Menschheit aus den lähmenden Leichentüchern der Vergangenheit zu befreien.

Wir müssen dem Angebot des Todes der Zukunft ebenso gerade ins Auge sehen wie ihrem Angebot des Lebens, und es muss uns nicht beunruhigen, denn durch den beständigen Tod unserer alten Namen und Gestalten leben wir am vitalsten in größeren und neueren Gestalten und Namen. Voranschreiten müssen wir; denn tun wir es nicht, wird die Zeit selbst uns vorwärts zwingen, trotz unserer vermeintlichen Unbeweglichkeit. Denn dies ist die jämmerlichste und gefährlichste von allen Regungen. Was könnte jämmerlicher sein, als hilflos vorwärts getragen zu werden, während man sich an das Alte klammert, das zerfällt, trotz unserer Anstrengungen und unseres rasenden Anrufens der toten Geister und sich zersetzender Bruchstücke der Vergangenheit, unser Leben zu retten? Was könnte gefährlicher sein, als Unbeweglichkeit dem aufzubürden, das von Natur aus beweglich ist? Dies bedeutete eine zunehmende und widerliche Verdorbenheit; es bedeutete den Versuch, als faulender und stinkender Körper fortzubestehen, anstatt als lebendiges und sich selbsterneuerndes energetisches Geschöpf. Die größten Geister sind demnach jene, die keine Angst vor der Zukunft haben, die ihre Herausforderung und ihre Wette annehmen – sie haben jenes erhabene Vertrauen in den Gott oder die Kraft, die die Welt führt58....

*

Juli 1916

In Indien war die Einrichtung der Sklaverei praktisch nicht vorhanden, und die Frau hatte zunächst eine freiere und würdigere Stellung als in Griechenland oder im römischen Reich; der Sklave jedoch wurde bald durch das Proletariat ersetzt, in Indien Shudra genannt, und die zunehmende Tendenz, dem Shudra und der Frau die höchsten Vorrechte des gewöhnlichen Lebens und der allgemeinen Kultur zu verweigern, brachte die indische Gesellschaft herab auf das Niveau seiner westlichen Artverwandten.

*

August 1916

Betrachten wir die Anfänge der indischen Gesellschaft, das weit zurückliegende vedische Zeitalter, das wir nicht länger verstehen, weil wir dessen Mentalität verloren haben, so wird uns bewusst, dass alles symbolisch ist.... Nehmen wir, denn dieses Beispiel wird uns am besten dienen, die vedische Einrichtung der vierfachen Ordnung, caturvarna, die fälschlich das Vier-Kasten-System genannt wird – denn die Kaste ist eine konventionelle, varna eine symbolische und typische Einrichtung.... Diese symbolische Bedeutung der caturvarna erscheint in den Purusha¬sukta des Veda, worin die vier Ordnungen in folgender Weise beschrieben werden: als der Körper der schöpferischen Gottheit entsprungen, d.h. aus ihrem Haupt, ihren Armen, Schenkeln und Füßen. Für uns bedeutet dies nichts weiter als ein symbolisches Bild, und sein Sinn bestehe darin, dass die Brahmanen die Menschen des Wissens waren, die Kshatriyas die Menschen der Macht, die Vaishyas die Produzenten und Stützen der Gesellschaft, und die Shudras deren Diener.... Wir lesen immer unsere eigene Mentalität in diejenige der antiken Vorväter hinein, und aus diesem Grunde finden wir in ihnen nichts als schöpferische Barbaren.... Dennoch war dieses Symbol des Körpers des Schöpfers mehr als ein Bild für sie, es drückte eine göttliche Wirklichkeit aus. Die menschliche Gesellschaft war für sie ein Versuch, im Leben selbst den kosmischen Purusha auszudrücken, der sich selbst anderweitig im materiellen und supraphysischen Universum ausgedrückt hat. Mensch und Kosmos sind beide Symbole und Ausdrucksformen derselben verborgenen Wirklichkeit.

...

Später in der Entwicklung des Kastensystems begannen die äußeren Stützen der vierfachen ethischen Ordnung – Geburt, wirtschaftliche Funktion, religiöses Ritual und Sakrament, schließlich Familienbrauch –, jede für sich auf ungeheure Weise ihr Ausmaß und ihre Bedeutung innerhalb der Gesamtanlage zu übertreiben. Zunächst schien Geburt innerhalb der gesellschaftlichen Ordnung nicht von höchster Bedeutung gewesen zu sein, denn Begabung und Leistungsvermögen herrschten vor; später jedoch, in dem Maße, in dem der Typus sich verfestigte, wurde seine Aufrechterhaltung durch Erziehung und Tradition notwendig, und so verfestigten sich Erziehung und Tradition natürlich in den Gleisen der Vererbung. So wurde der Sohn eines Brahmanen konventionellerweise immer als Brahmane betrachtet; Geburt und Beruf waren die doppelte Bindung der Vererbungskonvention zu einer Zeit, als sie in Bezug auf ihren eigenen Charakter noch am festesten und beständigsten war. Hatte sich diese Starrheit einmal herausgebildet, ging die Erhaltung des ethischen Typus vom ersten Rang auf zweit- oder selbst drittrangige Bedeutung über.... Schließlich begann sogar die ökonomische Grundlage zu zerfallen. Geburt, Familienbrauch und die Überreste, Entstellungen und Neuansammlungen von bedeutungslosen oder nutzlosen religiösen Zeichen und Ritualen, den eigentlichen Vogelscheuchen und Karikaturen des alten tiefsinnigen Symbolismus, wurden die Angelpunkte eines Kastensystems im Eisernen Zeitalter der alten Gesellschaft. Auf der Höhe der wirtschaftlichen Periode des Kastensystems betreiben der Pope und der Vielwisser Maskerade hinter dem Namen des Brahmanen, der Adlige und Feudalherr hinter dem Namen des Kshatriya, der Händler und Geldbeschaffer hinter dem Namen des Vaishya, der halbverhungerte Arbeiter und Wirtschaftssklave hinter dem Namen des Shudras. Nachdem die wirtschaftliche Grundlage ebenfalls zusammenbricht, da beginnt die schmutzige und kranke Verfallszeit des alten Systems. Es ist zum bloßen Namen, zur Hülse, zum Schwindel verkommen und muss entweder im Schmelztiegel einer individualistischen Gesellschaftsperiode aufgelöst werden oder andererseits durch Schwäche und Falschheit jene Lebenssysteme beeinflussen, die ihm anhängen. Letzteres ist die sichtbare Tatsache im schließlichen und gegenwärtigen Stadium des indischen Kastensystems59.

*

Oktober 1916

Die vedischen Rishis mögen den Blitz nicht an ihren Streitwagen gejocht, noch die Sonne und die Sterne bemessen, noch all die zerstörerischen Naturkräfte materialisiert haben, um sie bei Blutbädern und Herrschaft zu unterstützen, dagegen hatten sie alle Himmel und Erden in uns bemessen und ausgelotet, sie hatten ihr Senkblei in das Unbewusste, Unterbewusste und Überbewusste versenkt, sie hatten das Rätsel des Todes gelesen und das Geheimnis der Unsterblichkeit gefunden; sie hatten nach dem Einen gesucht und Ihn gefunden und erkannten Ihn und beteten Ihn an in den Herrlichkeiten Seines Lichtes, Seiner Reinheit und Seiner Weisheit und Macht60.

*

Der ganze Rig-Veda offenbart sich uns als Körper einer esoterischen, okkulten und spirituellen Doktrin und Praxis, wie sie von den Mystikern eines jeden Landes der Antike hätte gegeben werden können, die für uns jedoch allein in den Veden überlebt hat. Er existiert, wird jedoch bewusst hinter einem Schleier versteckt, der Schleier ist jedoch nicht so dick, wie wir uns zunächst vorgestellt haben. Wir müssen bloß unsere Augen gebrauchen, und der Schleier verschwindet, der Körper des Wortes und der Wahrheit ragt vor uns auf....

Unser Leben ist eine Schlacht zwischen den Mächten des Lichtes und der Wahrheit, den Göttern, die die Unsterblichen sind, und den Mächten der Finsternis. Diese werden unter verschiedenen Namen angesprochen als Vritra und den Vritras, Vala und den Panis, den Dasyuiden und ihren Königen. Wir müssen die Hilfe der Götter herbeirufen, um den Widerstand dieser Mächte der Finsternis zu zerstören, die das Licht vor uns verbergen oder uns dessen berauben, die das Fließen der Ströme der Wahrheit behindern – rtasya dharah [Rig-Veda, V.12.2], das Fließen der Ströme des Himmels – und die in jeder Beziehung den Aufstieg der Seele behindern. Wir müssen die Götter durch das innere Opfer heraufbeschwören und sie durch das Wort in uns herein rufen. Dies ist die besondere Macht des Mantras.... Wir geben, was wir sind und was wir haben, damit die Reichtümer der göttlichen Wahrheit und des göttlichen Lichtes in unser Leben herabkommen und zu den Elementen unserer inneren Geburt in die Wahrheit werden.... Schließlich kommt als Gipfel der Lehre der vedischen Mystiker das Geheimnis der einen Wirklichkeit, ekam sat [I.164.46], oder tad ekam [X.129.2], das zum ausschlaggebenden Wort der Upanischaden wurde. Die Götter, die Mächte des Lichtes und der Wahrheit sind Mächte und Namen des Einen, jeder Gott ist selbst alle Götter oder trägt diese in sich: es gibt die Eine Wahrheit, tat satyam [III.39.5], und die eine Wonne, zu der wir aufsteigen müssen61.

*

Dezember 1916

Es ist sicher, dass es nicht bloß keinen Aufbau ohne Zerstörung gibt, keine Harmonie, es sei denn als Schwebezustand widerstreitender Kräfte, der aus vielen tatsächlichen und möglichen Dissonanzen gewonnen wurde, sondern es ist auch sicher, dass es keine fortbestehende Existenz des Lebens gibt, außer durch eine beständige Selbstnährung und Verschlingung von anderem Leben. Unser eigentliches körperliches Leben ist ein ständiges Absterben und Wiedergeboren werden, der Körper ist selbst eine belagerte Stadt, die von anstürmenden Kräften überfallen und von verteidigenden Kräften beschützt wird, deren Zweck darin besteht sich gegenseitig zu verschlingen....

Es ist gut, dass wir an diese Wahrheit erinnert werden sollten; erstens, weil sich dessen zu vergegenwärtigen, für jede starke Seele eine kräftigende Wirkung hat, der uns vor jener Erschlaffung und Entspannung bewahrt, zu welcher eine zu süßliche philosophische, religiöse oder ethische Gefühlsseligkeit uns ermutigt, die Natur als Liebe und Leben und Schönheit und das Gute betrachtet, sich aber von ihrer grässlichen Todesmaske abwendet, die Gott als Shiva anbetet, sich aber weigert ihn als Rudra anzubeten; zweitens, es sei denn wir haben die Aufrichtigkeit und den Mut, dem Dasein gerade ins Gesicht zu sehen, werden wir niemals eine wirkungsvolle Lösung ihrer Dissonanzen und Widersprüche erzielen. Zuerst müssen wir sehen, was das Leben und die Welt sind; danach können wir uns um so besser daran machen, den richtigen Weg zu finden, sie in das zu verwandeln, was sie seien sollten. Wenn dieser abstoßende Aspekt des Daseins in sich ein Geheimnis der letztendlichen Harmonie bergen könnte, würde uns durch unsere Vernachlässigung oder Schmälerung dessen eben jenes Geheimnis entgehen, und all unsere Bemühungen um eine Lösung wären zum Scheitern verurteilt wegen unserer selbstgefälligen Vernachlässigung der wahren Elemente des Problems....

Krieg und Zerstörung sind hier nicht allein ein universelles Prinzip unseres Lebens in seinen rein materiellen Aspekten, sondern sie sind es ebenso in Bezug auf unsere mentale und moralische Existenz. Es ist einleuchtend, dass wir im tatsächlichen intellektuellen, gesellschaftlichen, politischen und moralischen Leben des Menschen ohne Kampf keinen Schritt vorwärts gehen können, ohne eine Schlacht zwischen dem, was existiert und lebt, und dem, das zu existieren und zu leben sucht, und zwischen allem, das hinter beiden steht. So wie es mit den Menschen und den Dingen steht, ist es unmöglich, Fortschritte zu machen, zu wachsen, etwas zu erfüllen und gleichzeitig wirklich und gänzlich jenes Prinzip der Harmlosigkeit zu erfüllen, das uns dennoch als höchstes und bestes Handlungsprinzip vor Augen geführt wird. Wir werden nichts als Seelenkraft benutzen und niemals durch Krieg oder selbst defensive Verwendung von physischer Gewalt zerstören? Schön und gut, jedoch bis die Seelenkraft ihre Wirkung zeitigt, zertritt, zerbricht, schlachtet, verbrennt und verunreinigt die asurische Kraft in Menschen und Nationen, so wie wir es heute sehen, dann jedoch ungezwungen und ungeniert, und du wirst durch deine Abstinenz von Gewalt soviel zur Zerstörung von Leben beigetragen haben wie andere durch ihren Rückgriff auf sie.... Das Übel kann nicht zerstört werden ohne die Zerstörung von vielem, das durch dieses Übel lebt....

Es reicht nicht aus, dass unsere eigenen Hände sauber bleiben sollten sowie unsere Seelen unbefleckt, damit das Gesetz von Streit und Zerstörung aus der Welt absterben; ihre Wurzel muss zuerst aus der Menschheit verschwinden. Noch weniger wird reine Reglosigkeit und Trägheit, die unwillig oder unfähig ist, irgendeinen Widerstand gegenüber dem Übel zu leisten, dieses Gesetz zum Abdanken bringen; Trägheit, d.h. Tamas, verletzt in der Tat viel mehr als das rajasische Prinzip des Streites, das wenigsten mehr erschafft, als es zerstört. Soweit das Problem der individuellen Tat betroffen ist, mag die Abstinenz von Streit und seinem unvermeidlichen Begleiter Zerstörung in seinen gröberen und physischen Formen dem eigenen moralischen Wesen helfen, es lässt jedoch den Schlächter der Geschöpfe unangetastet.

...

Es gibt nur sehr wenige Religionen, die vorbehaltlos die Courage hatten, wie die indische zu sagen, dass diese rätselhafte Welt-Macht eine Gottheit ist, eine Dreieinigkeit, um das Bild der handelnden Kraft zu erhöhen nicht allein in Gestalt der wohlwollenden Durga, sondern auch in derjenigen der schrecklichen Kali in ihrem blutbefleckten Tanz der Zerstörung und zu sagen: “Auch dies ist Die Mutter; auch dies wisse Gott zu sein; auch dies bete an, wenn du die Kraft zur Anbetung hast.” Und es ist bedeutsam, dass eben jene Religion, die diese unnachgiebige Aufrichtigkeit hatte und diese ungeheure Courage, es erreicht hat eine tiefe und weitverbreitete Spiritualität zu schaffen, der keine andere gleichkommt. Denn Wahrheit ist die Grundlage wirklicher Spiritualität und Courage ist ihre Seele62.

*

Januar 1917

Dem Evangelium des Weltfriedens und universellen Guten Willens unter den Menschen – denn ohne einen universellen und umfassenden Guten Willen kann es keinen wirklichen und andauernden Frieden geben – ist es nie auch nur für einen Augenblick gelungen, sich während des geschichtlichen Zyklus das menschlichen Leben anzueignen, denn in moralischer, gesellschaftlicher, geistiger Hinsicht war das Menschengeschlecht nicht darauf vorbereitet, und das Gleichgewicht der Natur in ihrer Evolution hätte seine sofortige Vorbereitung auf eine so geartete Transzendenz nicht gestattet. Selbst jetzt sind wir noch nicht weiter als ein System der Anpassung widerstreitender Interessen gelangt, das die Wiederkehr der schlimmsten Streitformen verhindert. Und zur Erfüllung dieser Methode ist die Menschheit durch ihre eigene Natur dazu gezwungen worden, ein ungeheures gegenseitiges Massaker ohne Parallele in der Geschichte als Zugang zu wählen; ein universellen Krieg, voller Bitterkeit und unversöhnlichem Hass ist der gerade Weg und das siegreiche Mittel, das der moderne Mensch zur Herstellung des universellen Friedens gefunden hat!... Wir werden sagen, dass ein Tag kommen mag, sicherlich kommen wird, wenn die Menschheit spirituell, moralisch, gesellschaftlich für die Herrschaft des universellen Friedens bereit sein wird; in der Zwischenzeit wird der Aspekt des Kampfes und die Natur und Funktion des Menschen als Kämpfer von jeder praktischen Philosophie und Religion akzeptiert und in Rechnung gestellt werden müssen63.

*

Februar 1917

Die Gita sagt ausdrücklich, dass Arjuna durch seinen Unwillen, den Gegner zu bekämpfen in unheroische Schwäche fiel, denn er ließ sich von Mitleid erobern, kripayavistam. Ist dies denn keine göttliche Schwäche? Ist Mitleid kein göttliches Gefühl, das deshalb nicht die strenge Missbilligung Krishnas erfahren sollte? Oder sehen wir uns einem bloßen Evangelium des Krieges und der heroischen Tat gegenüber, einem Nietzscheanischen Glaubensbekenntnis der Macht und hochfahrenden Stärke, einem Bekenntnis der hebräischen oder altteutonischen Härte, das Mitleid als Schwäche ansieht und wie jener norwegische Held empfindet, der Gott dankte, weil er ihm ein hartes Herz gegeben hat? Die Lehre der Gita jedoch entspringt einem indischen Credo, und im indischen Denken hat Mitgefühl von jeher als bedeutendstes Element der göttlichen Natur eine große Rolle gespielt....

Es ist eben dieses Mitgefühl des aryanischen Kämpfers, die Seele seiner Ritterlichkeit, das das angebrochene Schilfrohr nicht weiter bricht, sondern das die Schwachen und Unterdrückten und die Verwundeten und die Gefallenen beschützt und ihnen beisteht. Es ist jedoch ebenfalls dieses göttliche Mitgefühl, das den kraftstrotzenden Tyrannen und den selbstgefälligen Unterdrücker niederstreckt, nicht im Hass oder Zorn – denn dies sind nicht die hohen und göttlichen Qualitäten, der Zorn Gottes gegenüber dem Sünder, und Gottes Hass der Bösen sind Fabelgeschichten halberleuchteter Glaubensbekenntnisse, ebenso wie die Fabel der ewigen Höllenfoltern, die sie erfunden haben –, sondern, wie es die alte indische Spiritualität klar und deutlich sah, mit der gleichen Liebe und dem gleichen Mitgefühl für den starken Titanen, der aufgrund seiner Stärke irrt und für seine Sünden niedergeschmettert wird, wie für den Leidenden und den Unterdrückten, die vor seiner Gewalt und Ungerechtigkeit geschützt werden müssen64....

*

März 1917

Eine Zivilisation kann niemals sicher sein, solange sie die kultivierte Mentalität auf eine kleine Minderheit beschränkt und in ihrem Busen eine ungeheure Masse an Ignoranz, eine Vielzahl und ein Proletariat beherbergt. Entweder muss sich Erkenntnis von oben her erweitern oder es ist immer der Gefahr ausgesetzt, von der unwissenden Nacht von unten verschlungen zu werden. Mehr noch besteht die Unsicherheit, wenn sie ungeheuren Massen von Menschen gestattet, uninformiert von ihrem Licht außerhalb ihres Gebietes zu existieren, die voll der natürlichen Lebenskraft des Barbaren sind, der in jedem Moment die physischen Waffen des Zivilisierten ergreifen mag, ohne durch ihre Kultur eine intellektuelle Wandlung durchzumachen.... Erkenntnis muss aggressiv sein, wenn sie überleben und sich verewigen will, eine weitverbreitete Unwissenheit unten ihr oder in ihrem Umfeld zu belassen, setzt die Menschheit der beständigen Gefahr eines barbarischen Rückfalls aus.

...

Wenn Wissenschaft uns dergestalt auf ein Zeitalter der weiteren und tieferen Kultur vorbereitet hat... hat sie doch mit ihrer Haltung zum Leben und ihren Entdeckungen zu einer anderen Art von Barbarei ermutigt – denn man kann dies mit keinem anderen Namen benennen –, die Barbarei des industriellen, kommerziellen und wirtschaftsorientierten Zeitalters, dass sich jetzt seinem Höhepunkt und Abschluss nähert. Diese ökonomische Barbarei ist im Wesentlichen die Barbarei des vitalen Menschen, der das Vitalwesen65 mit dem Selbst verwechselt und der dessen Befriedigung als ersten Lebenszweck betrachtet.... Für den natürlichen, unerlösten, wirtschaftsorientierten Menschen ist Schönheit eine überflüssige Angelegenheit oder gar ein Ärgernis, Kunst und Dichtung eine Frivolität oder reine Angeberei und ein Mittel der Reklame. Seine Vorstellung von Zivilisation ist Komfort, seine Vorstellung von Moral gesellschaftliche Anerkennung, seine Vorstellung von Politik die Ermutigung der Industrie, der Öffnung von Märkten, Ausbeutung und Handel hinter der Flagge, seine Vorstellung von Religion bestenfalls pietistischer Formalismus oder die Befriedigung bestimmter vitaler Empfindungen. Er schätzt Erziehung wegen ihrem Nutzen, den Menschen in einer Wettbewerbs- oder sozialisierten Industrieexistenz auf seinen Erfolg vorzubereiten, Wissenschaft wegen ihrer nützlichen Erfindungen und Erkenntnisse, sowie die Bequemlichkeiten und die Maschinerie der Produktion, mit dem sie ihn ausstattet, ihre Macht der Organisation, Regulierung und Stimulierung der Produktion. Der vermögende Plutokrat und der erfolgreiche Mammut-Kapitalist und Industrie-Organisator sind die Übermenschen des kommerziellen Zeitalters und die wahren, wenn auch oft verborgenen Herrscher seiner Gesellschaft....

In einem kommerziellen Zeitalter mit seinem vulgären und barbarischen Ideal von Erfolg, vitalistischer Befriedigung, Produktivität und Besitztum mag die Seele des Menschen einige Zeit verweilen, um bestimmte Vorteile zu erzielen und Erfahrungen zu machen, sie kann dort jedoch nicht auf Dauer verbleiben. Verweilte sie dort zu lange, würde das Leben gehemmt werden und an seiner eigenen Überfülle vergehen, oder es würde in seiner Überanstrengung nach einer Riesenausdehnung zerplatzen. Gleich einem zu massigen Titanen würde es unter seiner eigenen Masse begraben, mole ruet sua66.

*

August 1917

(Einige “Gedanken und Einsichten”)

Wo immer du ein großes Ende siehst, sei dir eines großen Anbeginns gewiss. Dort, wo eine ungeheuerliche und schmerzvolle Zerstörung dein Mental entsetzt, tröste es mit der Gewissheit einer weiten und großen Schöpfung. Gott befindet sich nicht allein in der stillen, kleinen Stimme, sondern auch im Feuer und Wirbelwind.

Je größer die Zerstörung, desto freier die Chancen der Schöpfung; die Zerstörung ist jedoch oft langwierig und repressiv, the Schöpfung säumig im Kommen oder in ihrem Triumph unterbrochen. Die Nacht kehrt wieder und wieder zurück und der Tag verzögert sich oder scheint selbst eine trügerische Dämmerung gewesen zu sein. Verzweifle jedoch nicht, sondern wache und arbeite. Diejenigen die leidenschaftlich hoffen, verzweifeln schnell: hege keine Hoffnung, noch fürchte dich, sei dir dagegen Gottes Sache gewiss sowie deines Willens zur Durchführung.

*

Jede Religion hat der Menschheit geholfen. Das Heidentum verstärkte im Menschen das Licht der Schönheit, die Weite und Höhe seines Lebens, sein Streben nach einer vielseitigen Vollkommenheit; das Christentum gab ihm eine Vision von göttlicher Liebe und Barmherzigkeit; der Buddhismus hat ihm einen edlen Weg gezeigt, weiser, sanfter und reiner zu sein; der Judaismus und der Islam, wie man in der Tat religiös gläubig sein und Gott inbrünstig ergeben sein kann; der Hinduismus hat ihm die weitesten und tiefsten spirituellen Möglichkeiten eröffnet. Großes könnte erreicht werden, wenn all diese Gottesvisionen sich umarmen und ineinander gegossen werden könnten; dem jedoch steht das intellektuelle Dogma und der Kult-Egoismus entgegen.

Alle Religionen haben eine Reihe von Seelen gerettet, keine jedoch war bis jetzt in der Lage, die Menschheit zu spiritualisieren. Dafür sind nicht Kult und Glauben vonnöten, sondern eine ununterbrochene und allverstehende Anstrengung der spirituellen Entwicklung67.

*

Dezember 1917

Jede Sprache ist das Zeichen und die Macht der Seele des Volkes, die sie von Natur aus spricht. Jede entwickelt dementsprechend ihren ureigensten Geist, ihr ureigenstes Gedankentemperament, ihre ureigenste Art und Weise mit Leben, Wissen und Erfahrung umzugehen.... Eine Nation oder ein Volk, das seine Sprache verliert, kann ihr ganzes oder wirkliches Leben nicht leben. Und dieser Vorteil des nationalen Lebens ist gleichzeitig ein Vorteil für das ganze Leben des Menschengeschlechts68.

*

1918 (?)

(“Die Stunde Gottes”)

Es gibt Augenblicke, in denen der Geist unter den Menschen wandelt und der Atem Gottes sich ausbreitet über den Wassern unseres Wesens; in anderen zieht er sich zurück, und den Menschen bleibt es überlassen, nach der Stärke oder Schwäche ihres eigenen Egoismus zu wirken. Erstere sind Perioden, in denen selbst eine kleine Anstrengung große Wirkungen zeitigt und das Schicksal wendet; letztere sind Zeiträume, in denen viel Arbeit in das Erzielen eines geringen Ergebnisses eingeht. Es ist wahr, dass letztere die ersteren vorbereiten mögen, dass sie der wenige Rauch des Opferfeuers sein mögen, der gen Himmel steigt und den Regen von Gottes Fülle herabruft.

Wehe dem Menschen oder der Nation, die, wenn der göttliche Augenblick kommt, schlafend angetroffen wird oder unvorbereitet ist, auf ihn einzugehen, da die Lampe nicht für das Willkommen getrimmt ist und die Ohren dem Ruf versiegelt sind. Dreifach weh jedoch denjenigen, die stark und bereit sind, die jedoch die Kraft vergeuden oder den Augenblick missbrauchen; ihnen entsteht unwiederbringlicher Verlust oder eine große Zerstörung.

In der Stunde Gottes reinige deine Seele von aller Selbsttäuschung, Heuchelei und eitler Selbstbeweihräucherung, auf dass du geradewegs in deinen Geist schauen kannst und hörst, was ihn ruft. Alle Unaufrichtigkeit der Natur, die einmal dein Schutz gegen das Auge des Meisters und das Licht des Ideals gewesen ist, wird nun zur Sprung in deinem Panzer und lädt zum Schlag ein. Selbst wenn du für den Augenblick obsiegen solltest, so ist dies doch zum Schlechteren für dich, den der Schlag wird später kommen und dich inmitten deines Triumphes niederwerfen. Wenn du aber rein bist, wirf alle Furcht von dir, denn die Stunde wird oft schrecklich sein, ein Feuer und ein Wirbelwind und ein Sturm, ein Treten der Weinpresse des Zorn Gottes, derjenige, der darinnen jedoch aufgrund der Wahrheit seines Vorsatzes standhalten kann, wird derjenige sein, der bestehen wird. Selbst wenn er fiele, würde er wieder erstehen, selbst wenn er auf den Flügeln des Windes zu vergehen schiene, würde er dennoch wiederkehren. Lass auch weltliche Klugheit nicht zu nahe in dein Ohr flüstern, denn es ist die Stunde des Unerwarteten, des Unberechenbaren, des Unermesslichen.

Ermesse die Macht des Atems des Ewigen nicht nach deinen kleinlichen Werkzeugen, sondern vertraue und schreite voran!

Vor allem aber halte deine Seele rein, und wenn es nur für eine Weile ist, vom Tumult des Egos. Dann wird dir in der Nacht ein Feuer voranschreiten, und der Sturm wird dein Gehilfe sein, und deine Fahne wird auf der höchsten Höhe jener Größe wehen, die es zu erobern galt69.

*

1918

(Aus einem Brief, der die Frage nach Sri Aurobindos Meinung zu einem hinduistischen Gesetz beantwortete.)

Ich kann nur sagen, dass alles meine volle Billigung findet, was das Leben des Individuums innerhalb einer lebendigen Gesellschaft befreit und stärkt und jene Freiheit und Energie wiederherstellt, die Indien in ihrer heroischen Zeit der Größe und Ausdehnung auszeichnete. Viele unserer gegenwärtigen gesellschaftlichen Formen wurden in einer Zeit der Einengung und des Niedergangs gestaltet, und auch unsere Sitten und Bräuche entstanden in einer solchen. Dies hatte im Hinblick auf die Selbstverteidigung und das Überleben innerhalb enger Grenzen seinen Nutzen. Zur Stunde, da wir erneut berufen sind, auf eine freie und couragierte Selbstanpassung und Ausdehnung einzugehen, ist es jedoch ein Hemmschuh für unseren Fortschritt. Ich glaube an einen aggressiven und expandierenden, nicht an einen in beschränkendem Sinne defensiven und selbstverengenden Hinduismus70....

*

(Aus einer Einführung zu einem Buch mit dem Titel “Reden und Schriften Tilaks”.)

Die Kongress-Bewegung war über lange Zeit hinweg rein westlich in ihrem Geiste, ihrem Charakter und ihren Methoden, auf die englisch-erzogenen Wenigen beschränkt, begründet auf den politischen Rechten und Interessen des Volkes, ausgelegt nach dem Licht der englischen Geschichte und der europäischen Ideale, aber ohne Wurzeln in der Vergangenheit des Landes oder dem inneren Geist der Nation.... Die Masse der Menschen ins Spiel zu bringen, die Größe der Zukunft auf die Größe der Vergangenheit zu begründen, die indische Politik mit indischer religiöser Inbrunst und Spiritualität zu erfüllen, sind die unabdingbaren Bedingungen für ein großes und mächtiges politisches Erwachen in Indien. Andere – Schriftsteller, Denker, spirituelle Führer – haben diese Wahrheit gesehen. Es war jedoch Herr Tilak, der dies als erster in das tatsächliche Feld der praktischen Politik einbrachte.

...

Es gibt immer zwei Klassen von politischen Geistern: die eine ist mit den Einzelheiten um ihrer selbst Willen beschäftigt, sie schwelgt in kleinlichen Zwecken des Augenblicks und stellt die großen Prinzipien und die großen Notwendigkeiten hinten an, die andere dagegen sieht diese zuerst und immer und die Einzelheiten allein in Bezug darauf. Der eine Typus bewegt sich in einem Kreis der Routine, der einen oder keinen Ausweg haben mag; er kann den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen, und er stolpert höchstens zufällig, wenn überhaupt, über den Ausweg. Der andere Typus nimmt eine Berggipfelsicht des Ziels und aller Ausrichtungen ein und hält dies in seinem mentalen Kompass durch alle Abweichungen, Verzögerungen und Umwege hindurch, die der Charakter des eingreifenden Landes ihn zu akzeptieren zwingt, kürzt diese jedoch so weit als möglich ab. Die erstere Klasse beansprucht den Namen des Staatsmannes der Gegenwart, der letzteren jedoch gesteht die Nachwelt dies zu und sieht in ihnen die wahren Führer großer Bewegungen. Herr Tilak, wie alle Menschen von herausragendem politischen Genie, gehört in die zweite und größere Ordnung des Geistes71.

*

April 1918

(Auszüge aus einer Botschaft über nationale Erziehung, die im New India des 8. April 1918, veröffentlicht wurde. Die Herausgeberin der Zeitschrift ist Annie Besant.)

Das höchste Wissen und die größten Reichtümer, die der Mensch besitzen kann, haben ihren Ursprung in Indien. Indien besitzt das, worauf die ganze Menschheit wartet.... Die volle Seele jedoch, reich an Erbschaft der Vergangenheit, den sich weitenden Gewinnen der Gegenwart und der großen Potentialität der Zukunft, kann allein durch ein System nationaler Erziehung zustande kommen. Es kann nicht durch irgendeine Ausweitung oder Nachahmung des Systems der bestehenden Universitäten mit ihren radikal falschen Prinzipien, ihren bösartigen und mechanischen Methoden, ihrer tot-lebendigen Routine-Tradition und ihrem engen und aussichtslosen Geist zustande kommen. Allein ein neuer Geist und ein neuer Körper geboren aus dem Herzen der Nation und voll vom Licht und der Hoffnung seiner Wiedererstehung kann dies erschaffen....

Eine neue Erziehung wird Karrieren eröffnen, die sowohl Wege zur ehrenhaften Angemessenheit, Würde und Wohlstand für das Individuum sein werden, wie auch Pfade für den Dienst an der Nation. Denn die Menschen, die in jeder Hinsicht gewappnet aus ihren Institutionen hervorgehen, werden diejenigen sein, die dem Wirtschaftsleben und den Anstrengungen Auftrieb verleihen, ohne die die Nation unter dem Druck der Welt nicht überleben, geschweige denn seine hohe legitime Stellung erlangen kann. Individuelle Interessen und nationale Interessen sind dieselben, und sie berufen sie in dieselbe Richtung.

...

Da wir individuell an die gebräuchlichen Bahnen gewohnt sind, ziehen wir den sicheren und vorgeschriebenen Pfad dem großen und wirkungsvollen Weg auch dann noch vor, wenn er nirgendwohin führt, und wir nehmen unsere eigenen Interessen nicht wahr, da sie sich uns in neuer und unerprobter Form vorstellen. Dies ist jedoch eine Kleinheit des Geistes, die die Nation abschütteln muss, um die Courage für ihre Bestimmung zu erhalten....

Wir leben in einer Stunde, in der für Indien wie für die Welt ihr zukünftiges Schicksal und die Wendung ihrer Schritte für ein Jahrhundert auf machtvolle Weise entschieden werden, und dies nicht für ein gewöhnliches Jahrhundert, sondern für eines, das einen großen Wendepunkt, eine ungeheure Umwälzung in der inneren und äußeren Menschheitsgeschichte bedeutet. So wie wir jetzt handeln, wird der Lohn unseres Karmas uns zugemessen werden, und jeder Ruf dieser Art ist in einer solchen Stunde zugleich eine Chance, eine Wahl und eine Prüfung, die dem Geist unseres Volkes dargeboten wird72....

*

Es hat sich erwiesen, dass die globale Zivilisation viel größere Probleme aufgeworfen hat, als sie selbst zu lösen in der Lage ist. Sie hat in steigender Anzahl übermäßige Bedürfnisse und Wünsche hervorgerufen, zu deren Befriedigung es ihr an hinreichender Vitalkraft fehlt; sie hat einen Urwald von Forderungen und künstlichen Instinkten entwickelt, inmitten derer das Leben seine Richtung und sein Ziel aus dem Blickfeld verliert. Die fortschrittlicheren Geister beginnen, die Zivilisation als Fehlschlag zu erklären, und die Gesellschaft beginnt zu spüren, dass sie im Recht sind. Die Abhilfe jedoch, die vorgeschlagen wird, ist entweder eine Stockung oder eine Rückentwicklung, was letztlich größere Verwirrung, Stillstand, und Verfall bedeutet, oder ein “Zurück zur Natur”, das unmöglich ist oder allein durch einen Kataklysmus oder die Zersetzung der Gesellschaft entstehen könnte; oder man strebt auf eine Behandlung hin, durch die man die künstlichen Heilmittel auf die Spitze treibt, durch mehr und mehr Wissenschaft, mehr und mehr mechanische Vorrichtungen, eine Zunahme der wissenschaftlichen Organisation des Lebens, was bedeutet, dass die Maschine das Leben ersetzt, der willkürliche logische Verstand sich an die Stelle der komplexen Natur stellt und der Mensch durch Maschinerie gerettet wird. Ebenso gut könnte man sagen, wenn man eine Krankheit verschlimmert, ist man auf dem besten Weg der Heilung....

Das Grundübel all unserer Systeme ist ihre mangelnde Entwicklung von eben dem, was die Gesellschaft am stärksten vernachlässigt hat: das spirituelle Element, die Seele des Menschen, die sein wahres Wesen ist.

...

Das wahre und unumschränkte spirituelle Ziel in der Gesellschaft wird den Menschen nicht als ein Mental, ein Leben und einen Körper betrachten, sondern als eine Seele, die für eine göttliche Erfüllung auf Erden verkörpert wurde, nicht allein für jenseitige Himmel, die sie schließlich überhaupt nicht hätte verlassen müssen, wenn sie keine göttliche Aufgabe hier in der Welt der physischen, vitalen und mentalen Natur hätte.... Deshalb wird es all die verschiedenen Teile des Menschenlebens als heilig ansehen, die den Teilen seines Wesens entsprechen, seine gesamte physische, vitale, dynamische, emotionale, ästhetische, ethische, intellektuelle, psychische Evolution, und es wird in ihnen Werkzeuge zur Entwicklung in ein göttlicheres Leben sehen73....

*

Mai 1918

Des Menschen Weg zum spirituellen Übermenschentum wird sich ihm eröffnen, wenn er kühn erklärt, dass alles, was er bis jetzt entwickelt hat, einschließlich des Intellekts, auf den er so rechtens und doch so nutzlos stolz ist, ihm nicht mehr hinreicht, und dass das Herausschälen, Entdecken und Freisetzen jenes größeren Lichtes innen von nun an seine alles einnehmende Beschäftigung sein wird. Dann werden seine Philosophie, Kunst, Wissenschaft, Ethik, gesellschaftliche Existenz, sein vitales Trachten nicht länger mehr eine Übung des Mentals und des Lebens sein, um ihrer selbst willen betrieben und im Kreise führend, sondern sie werden Mittel sein für die Entdeckung einer größeren Wahrheit hinter dem Mental und dem Leben und dafür, ihre Macht in unsere menschliche Existenz zu bringen74.

*

Juni 1918

Ein spirituelles Zeitalter der Menschheit... wird nicht versuchen den Menschen durch Maschinerie zu vervollkommnen oder ihn gerade werden zu lassen, indem es alle seine Glieder bindet. Es wird den Mitgliedern der Gesellschaft nicht sein höheres Selbst in der Person des Polizisten, des Beamten oder des Unteroffiziers präsentieren, oder, sagen wir, in Gestalt einer sozialistischen Bürokratie oder sowjetischer Arbeitsräte. Sein Ziel wird sein, so bald und so weit wie möglich den Anteil äußerlichen Zwangs im menschlichen Leben zu mindern durch das Erwecken des inneren göttlichen Drangs des inneren Geistes75.

*

Juli 1918

Der Aufstieg des Menschen in den Himmel ist nicht der Schlüssel, sondern vielmehr sein Aufstieg hier in den Geist und gleichviel die Herabkunft des Geistes in seine gewöhnliche Menschlichkeit und die Transformation dieser irdischen Natur. Dazu und nicht für eine Errettung nach dem Tode dient die wahre Neue Geburt, auf die die Menschheit als krönende Bewegung ihres langen, dunklen und schmerzlichen Entwicklungsweges wartet.

Deshalb werden jene Individuen am stärksten der Zukunft der Menschheit im neuen Zeitalter helfen, die die spirituelle Evolution als die Bestimmung und deshalb das große Bedürfnis des menschlichen Wesens ansehen.... Sie werden besonders den einen Fehler nicht begehen, zu glauben, dass diese Veränderung durch eine Maschinerie und äußere Institutionen bewerkstelligt werden kann; sie werden wissen und niemals vergessen, dass sie von jedem Menschen innerlich gelebt werden muss, und dass sie ansonsten nie für die ganze Spezies zur Wirklichkeit werden kann....

Fehlschläge in allem, was groß und schwierig ist, sind zunächst unvermeidlich, aber die Zeit kommt, wenn die Erfahrung vergangener Fehler gewinnbringend genutzt werden kann, und das Tor, das so lange widerstand, sich öffnet. In dieser wie in jeder anderen großen menschlichen Bestrebung und Anstrengung ist eine à priori Erklärung der Unmöglichkeit ein Zeichen von Unwissenheit und Schwäche, und das Motto der Bestrebung des Aspiranten muss das solvitur ambulando76 des Entdeckers sein. Denn durch das Tun wird die Schwierigkeit gelöst. Ein wahrlicher Anfang muss gemacht werden; das Übrige ist ein Werk für die Zeit in ihrem plötzlichen Gelingen oder in ihrer langen und geduldigen Arbeit....

Diese Anstrengung wird eine äußerste und schwierigste Arbeit werden, auch für das Individuum und um so schwieriger für das Menschengeschlecht. Es mag wohl sein, dass, einmal begonnen, das Werk selbst bis in sein erstes entscheidendes Stadium nicht schnell vorankommen wird; es mag sein, dass es lange Jahrhunderte des Bemühens dauert, um zu einer Art von dauerhaften Geburt zu werden. Dies ist jedoch nicht gänzlich unvermeidlich, denn das Prinzip solcher Veränderungen in der Natur scheint eine lange, dunkle Vorbereitung zu sein, die von einem schnellen Sammeln und dem Stürzen der Elemente in die neue Geburt gefolgt wird, eine jähen Bekehrung, eine Transformation, die in ihrem leuchtenden Augenblick wie ein Wunder anmutet77.

*

August 1918

Wenn wir an Indiens Vergangenheit denken, frappiert uns seine ungeheure Vitalität, seine unerschöpfliche Macht des Lebens und Freude des Lebens, sein beinahe unverstellbares Übermaß an Schöpfungskraft. Wenigstens über dreitausend Jahre hinweg – tatsächlich seit einem viel längeren Zeitraum – hat es verschwenderisch und unaufhörlich, freigebig und mit einer unerschöpflichen Vielseitigkeit Republiken und Königtümer und Großreiche geschaffen, Philosophien und Kosmogonien und Wissenschaften und Glaubensbekenntnisse und Künste und Gedichte und alle Arten von Monumenten, Paläste und Tempel und öffentliche Dienste, Gemeinden und Gesellschaften und religiöse Ordensgemeinschaften, Gesetze und Kodicis und Ritualien, Natur- und Geisteswissenschaften, Yogasysteme, politische Systeme und Verwaltungen, spirituelle und weltliche Künste, Handelssysteme, Industrien und Feinkunsthandwerke – die Liste ist endlos, und in jedem einzelnen Bereich besteht beinahe eine Überfülle an Aktivitäten. Indien schöpft und schafft und ist weder zufrieden noch ermüdet, es sieht kein Ende ab, scheint kaum etwas Raum zum Ausruhen, für Trägheit und eine Brachzeit zu brauchen. Indien dehnt sich auch über seine Grenzen hinaus; seine Schiffe überqueren die Ozeane, der feine Überfluss seines Wohlstandes ergießt sich über seine Grenzen nach Judäa und Ägypten und Rom; seine Kolonien verbreiten seine Künste und Epen und Glaubensbekenntnisse innerhalb des Archipels; seine historischen Überreste finden sich in den Sänden Mesopotamiens, seine Religionen erobern China und Japan und verbreiten sich westwärts so weit wie Palästina und Alexandrien, und die Gestalten der Upanishaden und die Worte des Buddha finden ihr Echo auf den Lippen Christi. Überall, so wie auf seinem eigenen Grund und in seinen Werken wimmelt es von einer überfließenden Energie des Lebens....

Tatsächlich hätte Indien ohne diese üppige Vitalität und diese üppige Intellektualität niemals so viel mit seinen spirituellen Tendenzen tun können, wie es es tat. Es ist ein schwerer Irrtum anzunehmen, dass Spiritualität am besten im kärglichen Lehm blüht, mit halb abgetötetem Leben und entmutigtem und eingeschüchtertem Intellekt. Die Spiritualität, die auf diese Weise blüht, ist etwas morbides, hektisches und gefährlichen Reaktionen ausgesetztes. Erst wenn das Menschengeschlecht auf das reichhaltigste gelebt und auf das tiefste gedacht hat, findet Spiritualität seine Höhen und Tiefen und seine andauernde und vielseitige Ernte78.

*

September 1918

... die durchtriebene Sprache der Politik – jener seltsamen Sprache voll von Maya und den Falschheiten der Selbsttäuschung und vorsätzlichen Täuschung anderer, die beinahe augenblicklich alle wahren und lebendigen Aussagen in einen phrasenhaften Jargon verwandelt, so dass die Menschen in einem Wortnebel streiten, ohne einen wirklichen Sinn für das, für was sie kämpfen79.

*

Die Unterjochung der Frau, das Eigentumsrecht des Mannes an der Frau, war einmal ein Axiom des gesellschaftlichen Lebens, und es wurde erst in jüngerer Zeit ernsthaft in Frage gestellt. Der Instinkt dieser Herrschaft war oder ist im männlichen animalischen Menschen so stark geworden, dass selbst Religion und Philosophie ihn gutheißen mussten.... Jedoch auch diese Vorstellung zerfällt zu Staub, obwohl ihre Überreste sich mit vielen starken Tentakeln der alten Gesetzgebung, des anhaltenden Instinkts, der Fortdauer traditioneller Ideen an das Leben anhaften; die Sanktion der Allmacht ist jedoch dagegen erlassen worden in der Forderung der Frau, dass sie auch als freies individuelles Wesen angesehen werde80.

*

November 1918

Wir werden mitunter gefragt, was um alles in der Welt wir mit Spiritualität in Kunst und Dichtung oder im politischen und gesellschaftlichen Leben meinen – eine Bezeugung von Unwissenheit, die in diesem Stadium unserer Nationalgeschichte seltsam genug anmutet.... Wir haben hier tatsächlich ein Echo der europäischen Vorstellung vor uns, die sich nunmehr hinlänglich eingebürgert hat, dass Religion und Spiritualität einerseits und intellektuelle Aktivität und das praktische Leben andererseits zwei völlig verschiedene Dinge seien, und dass beide ihren eigenen gänzlich unterschiedlichen Linien entsprechend verfolgt werden sollten in Beachtung ihrer eigenen gänzlich unterschiedlichen Prinzipien....

Spiritualität bedeutet nicht die Gestaltung des ganzen Typus des nationalen Wesens gemäß beschränkter Dogmen, Formen, Grundsätze einer besonderen Religion, wie es häufig genug von den antiken Gesellschaften versucht wurde.... Spiritualität ist viel weiter als irgendeine besondere Religion.... Echte Spiritualität verwehrt kein neues Licht, kein weiteres Mittel oder weitere Materialien unserer menschlichen Selbstentwicklung. Sie bedeutet lediglich, unser Zentrum zu halten, unsere wesentliche Art zu sein, unsere eingeborene Natur, und darin alles zu assimilieren, das wir empfangen, und aus ihm heraus alles, das wir tun und schaffen.... Indien kann, wenn es will, den Problemen, mit denen sich die ganze Menschheit befasst und über die sie stolpert und strauchelt, eine neue und entscheidende Wendung geben, denn der Hinweis auf ihre Lösungen ist in ihrem uralten Wissen enthalten. Ob es in der Renaissance, die über es kommt, der Höhe der Möglichkeit gerecht wird, ist die Frage seiner Bestimmung81.

*

Dezember 1918

In diesem unglaublichen Schwall der Veränderungen, der die menschliche Welt aufgrund des gegenwärtigen Tornados der Umwälzung überkommt, mag die antike indische Kultur vergehen: unter dem Angriff des europäischen Modernismus, auf dem materiellen Gebiet überwältigt, verraten durch die Indifferenz ihrer Kinder, zusammen mit der Seele jener Nation, die sie in ihrer Gewalt hat.... Jede Nation ist eine Shakti oder Macht des evolvierenden Geistes in der Menschheit, und sie lebt durch das Prinzip, das sie verkörpert. Indien ist die Bharata Shakti, die lebendige Energie eines großen spirituellen Entwurfs, und Treue dem gegenüber ist das eigentliche Prinzip ihrer Existenz....

Einem Gesetz oder Prinzip unwillkürlich oder unwissentlich oder entgegen der Wahrheit seines eigenen Bewusstseins zu folgen, ist eine Falschheit und eine Selbstzerstörung. Es zuzulassen getötet zu werden, wie ein Lamm von einem Wolf, ergibt kein Wachstum, fördert keine Entwicklung, gewährleistet keinen spirituellen Verdienst. Übereinkunft und Einheit mögen zu ihrer Zeit kommen, es muss jedoch eine grundlegende Einheit mit freier Differenzierung sein, kein Verschlingen des einen durch den anderen oder eine ungereimte und unharmonische Vermischung. Auch kann es dazu nicht kommen, bevor die Welt für dieses größeren Dinge bereit ist. Seine Waffen im Kriegszustand niederzulegen, bedeutet Zerstörung herauszufordern und dies kann keinem kompensierenden spirituellen Zweck dienen.... Indien wacht tatsächlich auf und beginnt sich zu verteidigen, jedoch noch nicht ausreichend und nicht von jenem ganzen Herzen, jener klaren Sicht und jener festen Entschlossenheit, die allein es aus der Gefahr erretten kann.

Heute geht es ums Ganze – Indien muss wählen, denn die Wahl steht zwingend bevor: zu leben oder zu sterben.

...

Eine politische Europäisierung würde durch eine soziale Wendung der gleichen Art gefolgt und würde einen kulturellen und spirituellen Tod nach sich ziehen.... Entweder Indien wird zur Unkenntlichkeit rationalisiert und industrialisiert und es wird nicht mehr länger Indien sein, oder aber Indien wird der Führer in einer neuen Weltphase und durch sein Beispiel und die kulturelle Infiltrierung die neuen Tendenzen im Westen fördern und das Menschengeschlecht spiritualisieren. Das ist die eine radikale und brennende Frage, die zur Lösung ansteht. Wird das spirituelle Motiv, das Indien repräsentiert, in Europa vorherrschen und dort neue Formen schaffen, die dem Westen angemessen sind, oder wird der europäische Rationalismus und Kommerzialismus für immer dem indischen Kulturtypus ein Ende machen82?

*

Die alte Welt, die äußerlich in ihren Grundfesten erschüttert wird und die bereits in einigen ihrer Teile zerfällt, ist die ökonomische und materialistische Zivilisation, die die Menschheit in den letzten Jahrhunderten geschaffen hat.... Eine Ära der Revolutionen hat begonnen, die den Ruin sehr wahrscheinlich abschließt und die Bildung einer neuen Struktur vorbereitet.

...

Keine spiegelfechterischen Mechanismen, die den Schein, aber nicht die Wahrheit der Freiheit besitzen, werden uns weiterhelfen, die neue Struktur, wie eindrucksvoll auch immer sie erscheinen mag, wird nur ein weiteres Gefängnis werden und einen erneuten Befreiungskampf herausfordern. Die einzige Sicherheit für den Menschen liegt darin, von innen heraus zu leben, ohne sich auf Institutionen und eine Maschinerie zur Vervollkommnung zu verlassen, sondern aus einer wachsenden inneren Vollkommenheit die Gestaltung eines vollkommeneren Lebensrahmens erwachsen zu lassen.... Weil es viele Anzeichen dafür gibt, dass der alte Fehler fortgeführt wird und allein eine Minderheit der Führer, die vielleicht im Licht stehen, aber noch nicht in der Tat, bestrebt sind, klarer, inwärtiger und wahrhaftiger zu sehen, können wir im Moment nur das letzte Zwielicht erwarten, das das absterbende von dem noch ungeborenen Zeitalter trennt, anstatt der echten Morgenröte. Da der Geist des Menschen noch nicht bereit ist, mag eine Zeit lang der alte Geist und die alte Methode vorherrschen und kurzzeitig aufblühen; die Zukunft jedoch gehört jenen Menschen und Nationen, die als erste jenseits des Blendwerks und der Dämmerung die Götter des Morgens sehen können und sich darauf vorbereiten, geeignete Werkzeuge jener Macht zu sein, die dem Licht eines höheren Ideals entgegendrängt83.

*

Februar 1919

Selbst in der Niederlage noch liegt eine Vorbereitung auf Erfolg: unsere Nächte bergen in sich das Geheimnis einer größeren Morgenröte.

...

Zielt der Wille eines Volkes oder einer Zivilisation auf den Tod ab, klammert es sich an die Abgespanntheit der Zersetzung und dem Laissez-faire des Sterbenden oder wenn es selbst in der Stärke auf jenen Neigungen besteht, die zur Zerstörung führen, oder wenn ihm allein die Mächte einer verstorbenen Zeit teuer sind und es die Mächte der Zukunft von sich weist, wenn es das Leben, das war, dem Leben, das sein wird, vorzieht, dann wird nichts es vor der unvermeidlichen Zersetzung und dem unvermeidlichen Zusammenbruch bewahren können – weder ein Übermaß an Stärke, noch reichliche Kraftquellen und Intelligenz, noch viele Appelle ans Leben, noch beständig dargebotene Möglichkeiten. Erhalten sie jedoch einen starken Glauben an sich selbst und einen robusten Lebenswillen, sind sie den kommenden Dingen gegenüber offen, sind sie willens, die Zukunft und das, was sie anzubieten hat, zu ergreifen und sind sie stark, sie dort zu bezwingen, wo sie widersetzlich zu sein scheint, so können sie aus der Widrigkeit und Niederlage die Kraft des unüberwindlichen Sieges ziehen und von scheinbarer Hilflosigkeit und Hinfälligkeit in einer mächtigen Flamme der Erneuerung zu dem Licht eines herrlicheren Lebens aufsteigen. Dazu erhebt sich die indische Zivilisation gegenwärtig, so wie sie es immer in der ewigen Stärke ihres Geistes getan hat84.

*

April 1919

In den asketischsten Klängen des indischen Denkens gibt es nichts von dem schwarzen Schwermut einer bestimmten Art von europäischem Pessimismus, einer Stadt schrecklichster Nacht ohne Freude im Diesseits oder Hoffnung im Jenseits, und ebenso wenig die traurige und zurückscheuende Haltung vor dem Tod und der Auflösung des Körpers, von der die westliche Literatur durchdrungen ist. Der Ton asketischen Pessimismus, der so oft im Christentum anzutreffen ist, ist eine entschieden westliche Note, denn er fehlt in der Lehre Christi. Die mittelalterliche Religion mit ihrem Kreuz, ihrer Erlösung durch Leiden, ihrer teufel- und fleischbesessenen Welt und den Flammen der ewigen Hölle, die den Menschen hinter dem Grab erwarten, hat einen Charakter von Schmerz und Schrecken, der dem indischen Denken fremd ist....

Indischer Asketismus ist kein klagendes Evangelium des Grams oder eine qualvolle Kasteiung des Fleisches in krankhafter Buße, sondern eine edle Anstrengung, die sich auf eine höhere Freude und einen absoluten Besitz des Geistes richtet.... Er wird nicht von den vergleichsweise wenigen ausgeübt, die dafür berufen sind, sondern er wird in seiner extremen Form allen gepredigt und von ungeeigneten Tausenden angenommen, sein Wert mag herabgewürdigt sein, Heuchler mögen im Überfluss vorhanden sein, und die Vitalkraft der Gemeinschaft mag ihre Geschmeidigkeit und ihren Vorwärtsantrieb verlieren. Es wäre müßig vorzugeben, dass solche Mängel und unbilligen Ergebnisse in Indien gefehlt hätten. Ich akzeptiere das asketische Ideal nicht als schließliche Lösung des Problems der menschlichen Existenz; jedoch steht selbst hinter ihren Übertreibungen ein edlerer Geist als hinter den vitalistischen Übertreibungen, die der entgegengesetzte Mangel der westlichen Kultur sind.

*

Mai 1919

Der Hinduismus ist vor allem anderen eine nichtdogmatische, einschließende Religion, und er hätte selbst den Islam und das Christentum in sich aufgenommen, wenn jene diesen Prozess zugelassen hätten.

*

Diese Welt unserer Schlacht und Arbeit ist eine wilde, gefährliche, zerstörerische, verschlingende Welt, in der Leben prekär existiert und die Seele und der Körper des Menschen sich zwischen ungeheuren Gefahren bewegt, eine Welt, in der mit jedem Schritt vorwärts, ob wir es wollen oder nicht, etwas zermalmt und zerbrochen wird, in der jeder Lebensatem auch ein Todesatem ist. Die Verantwortung all dessen, was uns böse oder schrecklich erscheint, auf die Schultern eines halballmächtigen Teufels abzuschieben oder es als Teil der Natur zu verwerfen, einen unüberbrückbaren Gegensatz zwischen Weltnatur und Gottnatur herzustellen, als wäre die Natur von Gott unabhängig, oder die Verantwortung den Menschen und seinen Sünden zu geben, ganz als hätte dieser eine vorherrschende Stimme in der Erschaffung der Welt oder als könnte er etwas gegen den Willen Gottes hervorbringen, sind ungeschickte Ausflüchte, in die sich das religiöse Denken Indiens nie verlaufen hat. Wir müssen der Realität mutig ins Auge sehen und erkennen, dass es Gott und niemand sonst ist, der diese Welt in seinem Wesen geschaffen hat, und dass er sie so gemacht hat. Es muss uns klar werden, dass die Natur, die ihre Kinder verschlingt, die Zeit, die das Leben der Geschöpfe verzehrt, der universelle und unausweichliche Tod und die Gewalt der Rudra-Mächte im Menschen und in der Natur ebenso die höchste Gottheit in einer ihrer kosmischen Figuren ist....

Es kann keinen wirklichen Frieden geben, bis das Herz des Menschen Frieden verdient; das Gesetz Vishnus kann sich nicht durchsetzen, bevor die Schuld an Rudra beglichen ist. Sich deshalb abwenden und einer noch unterentwickelten Menschheit das Gesetz der Liebe und Einheit predigen? Lehrer des Gesetzes der Liebe und Einheit muss es geben, denn auf diesem Weg muss die letztendliche Erlösung kommen. Jedoch nicht, bevor der Zeitgeist im Menschen bereit ist, kann die innere und letztendliche sich gegenüber der äußeren und augenblicklichen Realität durchsetzen. Christus und Buddha sind gekommen und wieder gegangen, Rudra jedoch hält die Welt noch immer in seiner hohlen Hand. Und in der Zwischenzeit ruft das grimmig voranstürmende Werk der Menschheit, das der Tortur und Unterdrückung von jenen Mächten ausgesetzt ist, die die Nutznießer der egoistischen Kraft und ihrer Diener sind, nach dem Schwert des Helden und dem Kampf und dem Wort ihres Propheten85....

*

1919(?)

(Aus einem Brief an Motilal Roy)

Alle Schwierigkeiten lassen sich überwinden, aber allein unter der Bedingung der Treue zu dem Weg, den Du eingeschlagen hast. Es besteht für niemanden eine Verpflichtung, ihn zu nehmen, denn es ist ein schwieriger und mühsamer Weg, ein Weg für Helden, kein Weg für Schwächlinge. Ist er jedoch einmal eingeschlagen, muss man ihm folgen, sonst wirst Du nicht ankommen.

...

Hungerstreiken um Gott oder wen oder was auch immer zu zwingen, ist kein echtes spirituelles Mittel. Ich habe nichts dagegen, wenn Herr Gandhi oder ein anderer es aus ganz anderen als spirituellen Zwecken verfolgen, hier jedoch ist es nicht am Platz; ich wiederhole, dass diese Dinge dem grundlegenden Prinzip unseres Yoga fremd sind.

... Ich erlebte selber über die letzten vierzehn Jahre hinweg (und es ist noch nicht zu Ende) alle nur möglichen typischen Schwierigkeiten, Unannehmlichkeiten, Stürze und Rückschläge, die in dieser großen Anstrengung, das gesamte normale menschliche Wesen zu verändern, aufkommen mögen.... Wir sind die Pioniere, die sich den Weg durch den Dschungel des niederen Prakriti hauen. Es geht für uns nicht an, Feiglinge und Drückeberger zu sein und die Bürde zu verweigern, danach zu schreien, dass alles für uns schnell und einfach gemacht werde. Vor allem fordere ich von Euch Ausdauer, Festigkeit, Heldenmut – den wahren spirituellen Heldenmut. Ich brauche starke Männer. Ich brauche keine emotionalen Kinder.

*

August 1919

Die religiöse Kultur, die heute unter dem Namen Hinduismus zusammengefasst wird... gab sich selbst keinen Namen, denn sie setzte sich selbst keine sektiererischen Grenzen; sie beanspruchte keine allgemeine Zugehörigkeit, hielt kein ausschließliches, unfehlbares Dogma aufrecht, errichtete keinen einzigen, schmalen Pfad der Erlösung; sie ist weniger ein Glaubensbekenntnis oder ein Kultus als eine sich fortwährend erweiternde Überlieferung der gottwärts gerichteten Bemühung des menschlichen Geistes. Als eine unermessliche, vielseitige und vielstufige Einrichtung für eine spirituelle Selbst-Erbauung und Selbstfindung hatte es einiges Recht, von sich selbst vermittels des einzigen Namens zu sprechen, den es kannte: die ewige Religion, sanatana dharma...

Hier findet sich die erste verblüffende Schwierigkeit, über die das europäische Denken stolpert, denn es befindet sich unfähig auszumachen, was die Hindu Religion ist.... Wie kann es denn eine Religion geben, die keine starren Dogmen hat, die keinen Glauben an die Pein einer ewigen Verdammnis verlangt, keine theologischen Postulate aufstellt, nicht einmal eine fixierte Theologie, kein Glaubensbekenntnis, das sie von feindseligen oder rivalisierenden Religionen unterscheidet? Wie kann es eine Religion geben, die kein päpstliches Haupt, keine regierende kirchliche Körperschaft, keine Kirche, Kapelle oder ein System der Gemeinde hat, keine bindende religiöse Gestalt irgendwelcher Art für all ihre Anhänger, keine einzelne Verwaltung und Disziplin? Denn die Hindu Priester sind reine Zelebranten der Zeremonie ohne jedwede kirchliche Autorität oder disziplinarische Vollmachten, und die weisen Pandits sind reine Exegeten der Shastra, keine Gesetzgeber der Religion oder ihre Herrscher. Wie kann denn der Hinduismus eine Religion genannt werden, wenn er alle Glaubensrichtungen zulässt, selbst eine Art hochreichenden Atheismus und Agnostizismus gestattet und alle möglichen spirituellen Erfahrungen zulässt, alle Arten von religiösen Abenteuern?...

Für den indischen Geist ist der am wenigsten wichtigste Teil der Religion ihr Dogma; der religiöse Geist ist entscheidend, nicht das theologische Glaubensbekenntnis....

Der Hinduismus hat der Organisation des individuellen und kollektiven Lebens immer große Wichtigkeit beigemessen; er hat keine Seite des Lebens als zu weltlich oder als dem religiösen oder spirituellen Leben fremd ausgelassen.... Das Volk Indiens, selbst die “unwissenden Masse” zeichnet eben das aus, dass sie durch Jahrhunderte der Übung den inneren Realitäten näher sind, von ihnen durch einen weniger dichten Schleier universeller Unwissenheit getrennt sind und sich leichter zu einem vitalen Ausblick auf Gott und Geist, Selbst und Ewigkeit zurückführen lassen als die Mehrheit der Menschen oder selbst die kulturelle Elite irgendwo anders. Wo sonst könnte die hehre, gestrenge und schwierige Lehre eines Buddha das populäre Denken so schnell ergriffen haben? Wo sonst hätten die Gesänge eines Tukaram, eines Ramprasad, eines Kabir oder der Sikh Gurus und der Weisen der Tamil Heiligen mit ihrer glühenden Hingabe, jedoch auch ihrem tiefem spirituellen Denken so unverzüglich ein Echo finden und eine populäre religiöse Literatur hervorbringen können? Diese starke Durchdringung oder unmittelbare Nähe der spirituellen Neigung, diese Bereitschaft des Geistes einer ganzen Nation, sich den höchsten Realitäten zuzuwenden, ist das Zeichen und die Frucht einer jahrtausendelangen, realen und immer noch lebendigen und höchst spirituellen Kultur.

...

Die Mentalität des Westens hat lange den aggressiven und ziemlich unlogischen Gedanken einer einzigen Religion für die ganze Menschheit gepflegt, einer Religion, die eben durch die Kraft ihrer Enge, durch einen einzigen Satz von Dogmen, einen Kultus, ein System von Zeremonien, ein Aufgebot von Verboten und Maßregeln, eine kirchlichen Verordnung universell ist. Diese enge Absurdität stolziert als die einzige wahre Religion umher, die von allen akzeptiert werden müsse unter Androhung der Verfolgung durch die Menschen hier und der geistlichen Abweisung oder der grimmigen ewigen Bestrafung durch Gott in anderen Welten. Dieser grotesken Schöpfung der menschlichen Unvernunft, dieser Quelle von solcher Intoleranz, Grausamkeit, Obskurantentum und aggressivem Fanatismus ist es nie gelungen, den freien und geschmeidigen Geist Indiens in einen festen Griff zu bekommen. In aller Welt haben Menschen gemeinsame menschliche Schwächen, und Intoleranz und Enge in Fragen der Einhaltung religiöser Bräuche hat es auch in Indien gegeben.... Diese Dinge haben jedoch niemals dieselben Ausmaße wie in Europa angenommen. Intoleranz hat sich meistenteils auf die geringeren Formen des polemischen Angriffs oder auf gesellschaftliche Obstruktion oder Verbannung beschränkt; sehr selten sind sie über die Grenze zu den Hauptformen der barbarischen Verfolgung ausgeufert, die eine so lange, rote und hässliche Spur über die religiöse Geschichte Europas hinterlassen haben. In Indien hat die rettende Wahrnehmung einer höheren und reineren spirituellen Intelligenz immer mitgespielt, die ihre Wirkung auf der Massenmentalität hinterlassen hat. Indische Religion hat immer gespürt, dass, da die Mentalitäten, Temperamente, die intellektuellen Affinitäten der Menschen in ihrer Vielfalt unbegrenzt sind, eine vollkommene Freiheit des Gedankens und des Kultus dem Individuum in seinem Zugang an das Göttliche gestattet werden muss86.

*

1920

Der Wille eines einzigen Helden kann den Herzen von einer Millionen Feiglinge Mut einhauchen87.

*

Kein System kann durch seine eigene Kraft tatsächlich die Veränderung herbeiführen, die die Menschheit wirklich braucht; denn dies kann allein geschehen durch ihr Wachstum in die wohlrealisierten Möglichkeiten ihrer eigenen höheren Natur, und dieses Wachstum hängt ab von einer inneren und keiner äußeren Veränderung. Die äußeren Veränderungen mögen wenigstens günstige Bedingungen für diese realere Verbesserung vorbereiten – oder im Gegenteil mögen diese zu solchen Bedingungen führen, dass das Schwert Kalkis88 allein die Erde von der Bürde einer hartnäckig asurischen Menschheit zu reinigen vermag. Die Wahl liegt bei dem Menschengeschlecht selbst; denn so wie es sät, wird es die Früchte seines Karmas ernten89.

*

5. Januar 1920

(Auszug aus einem Brief an Joseph Baptista, einem Mitarbeiter Tilaks, der Sri Aurobindo darum gebeten hatte, die Redaktion einer nationalistischen Zeitung in englischer Sprache zu übernehmen, die in Bombay herauskommen sollte. Sri Aurobindo erläutert seine Gründe für seine Ablehnung dieser Bitte, durch welche die Nationalisten gehofft hatten, ihm eine Gelegenheit zu geben, wieder in die Politik zurückzukehren.)

Lieber Baptista,

...

Ich blicke auf Politik oder die politische Tat nicht abschätzig herab, und ich halte mich nicht für zu gut dafür. Doch ich habe immer einen besonderen Wert auf das spirituelle Leben gelegt und lege jetzt einen ausschließlichen Wert darauf. Meine Vorstellung von Spiritualität hat nichts mit asketischer Weltabgewandtheit zu tun oder Verachtung oder Ekel gegenüber weltlichen Dingen. Es gibt für mich nichts Weltliches, alles menschliche Treiben ist für mich etwas, das in ein vollständiges spirituelles Leben miteinbezogen werden muss, und die Bedeutung der Politik in der Gegenwart ist sehr groß. Meine politische Linie und Absicht jedoch würden beträchtlich von dem abweichen, was im Augenblick auf diesem Gebiet geläufig ist. Ich wurde zwischen 1903 und 1910 allein mit einem Ziel politisch tätig, und das war, in den Kopf der Menschen einen gefestigten Willen zur Freiheit zu legen und sie für die Notwendigkeit eines Kampfes zu sensibilisieren, um diese Freiheit zu erreichen, anstelle der nichtigen und trödlerischen Methode der Kongress-Partei, die bis dahin üblich waren. Dies ist nun geschehen, und der Amritsar-Kongress ist dessen Siegel90.... Was mich jetzt beschäftigt, ist die Frage, was das Land mit seiner Selbstbestimmung tun, wie es seine Freiheit nutzen und in welchem Rahmen es seine Zukunft bestimmen wird....

Du wirst Dich fragen, warum ich nicht komme und soweit möglich die Führung übernehme? Mein Geist hat die Angewohnheit, der Zeit unbequemerweise weit voraus zu eilen – manche mögen sagen, ganz aus der Zeit heraus in die Welt des Ideals. Deine Partei, sagst Du, wird eine sozialdemokratische Partei. Ich glaube nun tatsächlich an etwas, das man Sozialdemokratie nennen könnte, nicht jedoch an irgendeine der jetzt gängigen Formen, und ich bin auch nicht verrückt nach der europäischen Variante, so sehr sie gegenüber der Vergangenheit auch eine Verbesserung bedeuten mag. Ich halte daran fest, dass Indien mit seinem eigenen Geist und seinem eigenen Regierungstemperament, das seiner eigenen Zivilisation angemessen ist, in der Politik wie auf allen anderen Gebieten seinen eigenen originären Weg bahnen muss, ohne im Kielwasser Europas herumzustolpern. Aber genau das wird es zu tun gezwungen sein, wenn es in seinem gegenwärtigen chaotischen und unvorbereiteten Geisteszustand in der eingeschlagenen Richtung fortfährt. Ohne Zweifel spricht jeder von Indiens eigenständiger Entwicklung, niemand scheint jedoch eine klare Vorstellung davon zu haben, was das bedeutet. In dieser Angelegenheit habe ich mir Ideale und bestimmte entschiedene Ideen gebildet, in denen mir gegenwärtig kaum jemand folgen würde, da sie von einem kompromisslosen spirituellen Idealismus einer nicht konventionellen Art beherrscht werden und daher unverständlich für viele wären und eine Beleidigung und ein Stolperstein für die meisten91.

*

April 1920

(Barinda Ghose, Sri Aurobindos Bruder, war im Alipore Bomben-Fall zum Tode verurteilt worden. Auf die Berufung hin wurde sein Urteil in lebenslange Deportation auf die Andaman-Inseln umgewandelt; er wurde nach einer Amnestie Anfang 1920 freigelassen. Bald danach wandte sich Barin sowohl in politischer als auch in spiritueller Hinsicht an Sri Aurobindo um Rat. Hier einige Auszüge aus Sri Aurobindos langer Antwort im Bengalischen.)

Das Göttliche möchte, dass der Mensch es hier verkörpern soll, im Individuum ebenso wie in der Kollektivität – es geht um die Verwirklichung Gottes im Leben. Das alte Yogasystem konnte den Geist und das Leben nicht harmonisieren oder einen; es verwarf die Welt als Maya oder als ein flüchtiges Spiel Gottes. Das Ergebnis war die Verminderung der Lebenskraft und der Niedergang Indiens. Die Gita sagt, utsideyur ime loka na kuryam karma cedaham [“Diese Völker würden in Stücke zerfallen, wenn ich nicht handeln würde,” 3.24] Wahrlich sind “diese Völker” Indiens dem Ruin verfallen. Was für eine Art spiritueller Vollkommenheit ist es, wenn ein paar Sannyasins, Bairagis und Sadhus ihre Verwirklichung und Befreiung erreichen, wenn ein paar Bhaktas in einer Raserei der Liebe, Gottestrunkenheit und Ananda dahintanzen, und eine ganze Volksrasse, bar des Lebens, bar der Intelligenz in die Tiefen von extremem Tamas [Trägheit] versinkt?

...

Warum habe ich mich aus der Politik zurückgezogen? Weil unsere Politik nicht die echte indische Ware ist; sie ist aus Europa importiert, eine Imitation europäischer Gepflogenheiten. Obwohl auch das notwendig war. Wir haben uns beide in der europäischen Stilart der Politik engagiert; hätten wir dies nicht getan, wäre das Land nicht gegen die Kolonialherren aufgestanden, und auch wir hätten diese Erfahrung nicht gemacht oder eine vollständige Entwicklung durchlaufen....

Jetzt jedoch ist die Zeit gekommen, die Substanz zu ergreifen, anstatt den Schatten auszudehnen. Es gilt die wahre Seele Indiens zu erwecken und in ihrem Bilde alle Werke zu gestalten. Über die letzten zehn Jahre habe ich schweigend meinen Einfluss in dieses europäische politische Gefäß gegossen, und das hatte ein gewisses Ergebnis. Ich kann damit fortfahren, wo immer notwendig ist. Ginge ich jedoch hinaus und leistete wieder diese Arbeit, verbände ich mich mit den politischen Führern und arbeitete mit ihnen, würde das ein fremdes Seinsgesetz und ein falsches politisches Leben unterstützen. Die Leute versuchen heute, die Politik zu spiritualisieren – so zum Beispiel Gandhi –, sie finden jedoch nicht den richtigen Weg dafür. Denn was tut Gandhi? Er macht ein Mischmasch, Satyagrahagenannt, aus ahimsa paramo dharmah [Gewaltlosigkeit ist das höchste Gesetz], dem Jainismus, hartal, dem passiven Widerstand, usw., und er bringt damit eine Art von indisiertem Tolstoyismus ins Land. Das Ergebnis – wenn es irgendein bleibendes Ergebnis gibt –, wird eine Art von indisiertem Bolschewismus sein. Ich habe nichts gegen sein Werk einzuwenden; jeder mag nach seiner eigenen Eingebung verfahren. Es ist jedoch nicht das Richtige.

...

Ich glaube, dass der Hauptgrund für Indiens Schwäche nicht seine Unterwerfung unter die Engländer ist, noch seine Armut, noch sein Mangel an Spiritualität oder Dharma, sondern eine Verminderung der Gedankenkraft, die Ausbreitung der Unwissenheit im Mutterland der Erkenntnis. Überall sehe ich eine Unfähigkeit oder Unwilligkeit zu denken – die fehlende Gedankenkapazität oder “Gedankenphobie”. Wie immer das im Mittelalter ausgesehen hat, heute ist diese Einstellung das Zeichen eines großen Niedergangs. Das Mittelalter war eine Periode der Nacht, eine Zeit des Sieges für den Menschen der Unwissenheit; die moderne Welt ist eine Zeit des Sieges für den Menschen des Wissens. Derjenige, der die Wahrheit der Welt tiefer ausloten und erkennen kann durch mehr denken, mehr forschen, mehr arbeiten, erhält mehr Shakti. Betrachte Europa, und Du wirst zwei Dinge bemerken: ein weites, grenzenloses Meer von Gedanken und das Spiel einer ungeheuren und reißenden und dennoch disziplinierten Kraft. Die ganze Shakti Europas liegt dort. Kraft dieser Shakti war es in der Lage, die Welt zu schlucken, wie von alters her unsere Tapaswin, deren Macht selbst die Götter des Universums in Ehrfurcht, Ungewissheit und Abhängigkeit hielten. Die Leute sprechen davon, dass Europa in die Fänge der Zerstörung läuft. Ich glaube nicht daran. All diese Revolutionen, all diese Umstürze sind die Anfangsstadien einer neuen Schöpfung. Betrachte Indien dagegen: abgesehen von einigen vereinzelten Riesen gibt es überall “den einfachen Mann von der Straße”, den Durchschnittsmenschen, der nicht denken wird und nicht denken kann, der nicht die geringste Shakti hat, sondern einzig eine momentane Aufgeregtheit.... Genau darin besteht der Unterschied. Es besteht jedoch eine fatale Beschränktheit für die Macht und das Denken Europas. Wenn es das Feld der Spiritualität betritt, hört ihre Gedankenkraft auf zu funktionieren. An diesem Punkt wird für Europa alles zum Rätsel, zur nebulösen Metaphysik, zur yogischen Halluzination: “Es reibt seine Augen wie von dichten Rauchschwaden umhüllt und kann nichts klar ausmachen.” Jedoch besteht in Europa heute eine starke Bestrebung, selbst diese Beschränktheit zu überwinden. Dank unserer Vorfahren haben wir diesen spirituellen Sinn, und wer diesen Sinn besitzt, hat ein solches Ausmaß an Wissen, ein solches Ausmaß an Shakti zu seiner Verfügung, dass er mit einem Atemzug all diese ungeheure Macht Europas wie einen Grashalm davonblasen könnte. Um diese Shakti jedoch zu erlangen, braucht man Shakti. Wir sind jedoch keine Verehrer der Shakti; wir sind Verehrer des leichten Weges.... Unsere Zivilisation ist verknöchert geworden, unser Dharma ist eine Bigottheit von Äußerlichkeiten, unsere Spiritualität ein schwacher Abglanz des Lichts oder eine momentane Welle des Rausches. Solange dieser Zustand der Dinge anhält, ist jedes andauernde Wiederaufleben Indiens unmöglich....

Wir haben das Sadhana der Shakti aufgegeben, und insofern hat die Shakti uns aufgegeben. Wir praktizieren das Yoga der Liebe, aber wo es kein Wissen und keine Shakti gibt, kann Liebe nicht bleiben, stattdessen kommen Enge und Kleinlichkeit. In einem engen und kleinen Mental, Leben und Herzen findet die Liebe keinen Platz. Wo in Bengalen gibt es Liebe? Nirgendwo in diesem spaltungsgeplagten Indien gibt es so viel Zänkereien, angespannte Beziehungen, Eifersucht, Hass und Zersplitterung wie in Bengalen. In unserem heroischen Zeitalter der aryanischen Menschen gab es nicht so viel Herumschreien und Gestikulieren, dagegen dauerte die Anstrengung, die sie einsetzten, über Jahrhunderte fort. Die Anstrengung des Bengalen hält dagegen ein oder zwei Tage an. Du sprichst davon, dass wir emotionale Aufregung brauchen, um das Land mit Begeisterung zu füllen. Wir haben all das während der Swadeshi Periode im politischen Bereich gemacht; alles was wir getan haben, liegt heute jedoch im Staub.... Deshalb habe ich heute kein Verlangen mehr danach, emotionale Aufregung, das Gefühl und mentale Begeisterung zur Grundlage der Arbeit zu machen. Ich will eine weite und heroische Ausgeglichenheit zur Grundlage meines Yogas machen; in all den auf dieser Ausgeglichenheit basierenden Tätigkeiten des Wesens, des adhar [Gefäßes], brauche ich eine vollständige, gefestigte und unerschütterliche Shakti; über diesem Ozean der Shakti brauche ich die unermesslichen Strahlen der Sonne des Wissens, und in dieser leuchtenden Unermesslichkeit eine gefestigte Ekstase unendlicher Liebe und Wonne und Einheit. Ich brauche keine Zehntausende von Schülern; es wäre ausreichend, wenn ich als Werkzeuge Gottes einhundert ganze Menschen bekäme, frei von kleinlichem Egoismus. Ich habe kein Vertrauen in die gewöhnlichen Händel des Gurus. Ich will kein Guru sein. Ich will, dass einige, die durch meinen Einfluss oder den eines anderen von innen heraus ihre schlafende Göttlichkeit manifestieren und das göttliche Leben verwirklichen. Solche Menschen werden das Land auferstehen lassen92.

*

Mai 1920

(Auszug aus einem Brief an Motilal Roy)

Die alte Art der Politik besteht in Indien aus einem Chaos der Parteien und Programme... und in Bengalen habe wir eine Hinwendung zum Industrie- und Handelsgeist, der dem westlichen Prinzip folgt und der, wenn er Erfolg hat, wahrscheinlich eine verheerende Kopie und Imitation der europäischen Situation mit ihrem korrupten Kapitalismus und dem Arbeiter- und Klassenkampf ergibt.

...

Die Menschen scheren sich nicht im geringsten um die spirituelle Grundlage des Lebens, die Indiens wirkliche Aufgabe und die einzig mögliche Quelle ihrer Größe ist, oder sie geben dem einzig eine geringe, sekundäre oder nebensächliche Bedeutung, etwas, das als Sentimentalität oder als farbanreichernder Faktor aufgeklebt werden muss. Unser ganzes Prinzip dagegen ist anders.

*

August 1920

Unser Ruf gilt dem jungen Indien. Die Jugend muss der Erbauer der Neuen Welt sein – nicht diejenigen, die den Wettbewerbsindividualismus, den Kapitalismus oder den materialistischen Kommunismus des Westens als Indiens Zukunftsideal akzeptieren, nicht diejenigen, die alten religiösen Formeln gegenüber versklavt sind und nicht an die Akzeptanz und Transformation des Lebens durch den Geist glauben können, all diejenigen jedoch, die frei in ihrem Geiste und Herzen sind, die eine vollständigere Wahrheit annehmen und die für ein größeres Ideal arbeiten.... Ein gänzliches Vertrauen in den Geist inspiriert uns, unseren Platz zwischen den Standartenträgern der neuen Menschheit einzunehmen, die darum kämpft aus dem Chaos einer Welt in voller Zersetzung geboren zu werden – dies ist das Zukunftsindien, das größere Indien der Wiedergeburt, das den mächtigen, ausgemergelten Körper der Urmutter wieder mit Jugend erfüllen wird93.

*

Wir benutzten das Mantra Bande Mataram von ganzem Herzen und ganzer Seele, und solange wir es benutzten und lebten und uns auf seine Stärke verließen, alle Schwierigkeiten zu überwinden, waren wir erfolgreich und gediehen. Jählings jedoch vergingen uns der Glaube und die Courage, der Ruf des Mantras begann zu versinken, und indem es verklang, versagte die Stärke sich dem Lande. Gott brachte es zum Versiegen und Vergehen, denn es hatte seine Schuldigkeit getan. Ein größeres Mantra als Bande Mataram muss kommen. Bankim war nicht der letzte Seher von Indiens Erwachen. Er gab allein die Bedingungen der anfänglichen und öffentlichen Verehrung vor, nicht die Formel und den Ritus des inneren Geheimnisses upasana [Anbetung]. Denn die größten Mantras sind diejenigen, die innen geäußert werden und die der Seher seinen Jüngern zuflüstert oder im Traum oder einer Vision seinen Schülern gibt. Wenn das schließliche Mantra auch nur von zweien oder dreien verwendet wird, dann wird sich die geschlossene Hand Gottes zu öffnen beginnen; wenn die upasana zahlreich befolgt wird, wird sich die geschlossene Hand gänzlich öffnen94.

*

30. August 1920

(Auszug aus einem Schreiben an Dr. B.S. Munje, einem Führer der Kongress-Partei aus Nagpur, der Sri Aurobindo darum bat, in das britische Indien zurückzukehren, um den Vorsitz über die Nagpur-Sitzung des Kongresses einige Monate später zu übernehmen95. Tilak war erst kürzlich, am 1. August 1920 verstorben.)

Lieber Dr. Munje,

Wie ich Ihnen bereits telegraphierte, sehe ich mich außerstande, Ihr Angebot, über den Nagpur-Kongress zu präsidieren, anzunehmen. Es gibt selbst innerhalb des politischen Bereichs Gründe, die dem entgegenstehen würden. Vor allem habe ich nie das persönliche Glaubensbekenntnis des Kongress-Kredos unterschrieben, noch würde ich es unterschreiben wollen, da mein eigenes einen unterschiedlichen Charakter hat. Ich stehe in völliger Übereinstimmung mit allem, was getan wird, sofern sein Ziel darin besteht, die Freiheit für Indien zu sichern, ich wäre jedoch nicht in der Lage, mich mit dem Programm irgendeiner seiner Parteien zu identifizieren. Der Präsident der Kongress-Partei ist tatsächlich ihr Sprecher, und vom präsidialen Sessel aus eine rein persönliche Erklärung verlautbaren zu lassen, wäre in grotesker Weise fehl am Platz.

Der eigentliche Grund meiner Ablehnung besteht jedoch darin, dass ich in erster und vordringlichster Linie kein Politiker mehr bin, sondern definitiv mit einer anderen Art von Arbeit mit spiritueller Grundlage begonnen habe, einem Werk des spirituellen, gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Wiederaufbaus von nahezu revolutionärer Natur, und ich mache selbst oder beaufsichtige wenigstens eine Art von praktischem oder Labor-Experiment in einer Weise, die all die Aufmerksamkeit und Energie fordert, die ich übrig habe.

...

Eine riesige Bewegung der Nicht-Kooperation, allein um einige Punjab Beamte zu bestrafen oder das türkische Imperium wieder aufzurichten, dass tot und vergangen ist, widersetzt sich vollkommen meinen Gedanken, sowohl im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit als auch im Hinblick auf den gesunden Menschenverstand96. 97

*

November 1920

(Auszüge aus einem Artikel mit dem Titel “Vorwort für eine Nationalerziehung”)

Der lebendige Geist der Forderung nach nationaler Erziehung verlangt nicht mehr die Rückkehr zur Astronomie und Mathematik des Bhashkara oder zu den Formen des Systems von Nalanda, als der lebendige Geist des Swadeshi die Rückkehr vom Schienenstrang und dem Kraftfahrzeugsverkehr zum antiken Streitwagen und Ochsenkarren verlangt.... Wir haben es mit dem Geist, der lebendigen und vitalen Streitfrage zu tun, und hier besteht die Frage nicht in der Wahl zwischen Modernismus und Altertum, sondern in der Wahl zwischen einer importierten Zivilisation und den größeren Möglichkeiten des indischen Geistes und der indischen Natur, nicht zwischen der Gegenwart und der Vergangenheit, sondern derjenigen zwischen Gegenwart und Zukunft. Es geht nicht um die Rückkehr ins fünfte Jahrhundert unserer Zeitrechnung, sondern um eine Initiierung in die kommenden Jahrhunderte, nicht um ein Zurück, sondern um einen Ausbruch nach vorn, weg von der gegenwärtigen künstlichen Falschheit zu seiner eigenen, größeren, angeborenen Potentialität, die von der Seele, durch die Shakti Indiens, gefordert wird.

...

Eine Sprache, sei es Sanskrit oder eine andere, sollte nach der Methode erlernt werden, die am natürlichsten, wirkungsvollsten und stimulierendsten für das Mental ist, und wir sollten hierbei keiner vergangenen oder gegenwärtigen Lehrweise verhaftet sein: die wesentliche Frage ist jedoch, wie wir Sanskrit lernen und verwenden sollten, um in das Herz und die intimste Bedeutung unserer eigenen Kultur vorzustoßen und um eine lebende Kontinuität zwischen der noch lebendigen Macht unserer Vergangenheit und der noch unerschaffenen Macht unserer Zukunft herzustellen, und wie wir Englisch lernen und gebrauchen sollten, oder gleich welche andere Fremdsprache, um auf hilfreiche Art das Leben, die Ideen und Kulturen anderer Länder kennenzulernen und mit der Welt um uns herum angemessene Beziehungen herzustellen. Dies ist das Ziel und Prinzip einer wahren Nationalerziehung, mit Sicherheit nicht, um moderne Wahrheit und modernes Wissen zu ignorieren, sondern um als Grundlage von unserem eigenen Wesen, unserem eigenen Mental, und unserem eigenen Geist auszugehen....

Die wissenschaftliche, rationalistische, industrielle, pseudo-demokratische Zivilisation des Westens befindet sich jetzt im Prozess der Zersetzung, und es wäre eine wahnhafte Absurdität für uns, in diesem Augenblick blind auf dieser dem Untergang geweihten Grundlage zu bauen. Wenn die fortschrittlichsten Geister des Okzidents in diesem Abendrot des Westens beginnen, sich um der Hoffnung auf eine neue und spirituellere Zivilisation willen dem Genius Asiens zuzuwenden, wäre es seltsam, wenn uns nichts besseres einfiele, als unser eigenes Selbst und unsere eigene Potentialität zu verwerfen und unser Vertrauen in die verfallende und moribunde Vergangenheit Europas zu setzen98.

*

Januar 1921

Indien ist national und politisch niemals eins gewesen. Indien wurde über beinahe tausend Jahre von barbarischen Invasionen überrollt und stand über beinahe weitere tausend Jahre im Dienst von einander ablösenden fremden Herrschern.... In Indien wurde jedoch in sehr früher Zeit die spirituelle und kulturelle Einheit erfüllt, und sie wurde zum eigentlichen Lebensstoff all dieser großen Woge der Menschheit zwischen den Himalajas und den beiden Meeren.... Invasionen und Fremdherrschaft, die Griechen, die Parther und die Hunnen, die robuste Kraft und Leidenschaftlichkeit des Islam, die alles plattwalzende Schwere der britischen Besetzung und des britischen Systems, des ungeheuren Drucks des Okzidents sind nicht in der Lage gewesen, die antike Urseele Indiens aus jenem Körper zu vertreiben oder zu zerdrücken, den die vedischen Rishis ihm geschaffen haben.

...

Jenes Indien aller Weltalter ist noch nicht tot, noch hat es sein letztes schöpferisches Wort gesprochen; es lebt und hat noch etwas für sich selbst und die menschlichen Völker zu bewirken. Jenes Etwas, das nun versucht zu erwachen, ist kein anglisiertes orientalisches Volk, kein folgsamer Schüler des Westens, es ist nicht dazu verdammt, den Zyklus des okzidentalen Erfolgs und Misserfolgs zu wiederholen, sondern es ist noch immer jene ursprüngliche zeitlose Urshakti, die ihr tiefstes Selbst wiederentdeckt, die ihr Haupt höher der höchsten Quelle des Lichtes und der Stärke entgegenreckt und die sich der vollständigen Bedeutung und der unermesslicheren Gestalt ihres Dharmas zuwendet99.

*

18. November 1922

(Auszug aus einem Brief an Chittaranjan Das, dem Nationalistenführer, der Sri Aurobindo im Bomben-Fall von Alipore verteidigt hatte. C. R. Das kam im Juni 1923 nach Pondicherry, um Sri Aurobindo zu treffen; er verschied zwei Jahre später, am 16. Juni 1925, da seine Gesundheit durch verschiedene Gefängnisaufenthalte ruiniert worden war.)

Lieber Chitta,

...

Ich glaube, Du kennst meine gegenwärtige Vorstellung und Haltung gegenüber dem Leben und dem Werk, auf die sie mich gebracht hat. Ich bin in meiner Wahrnehmung bestätigt worden, die ich immer hatte, wenn auch früher unklarer und weniger dynamisch, die mir jetzt aber zunehmend offensichtlicher geworden ist, dass die wahre Grundlage von Werk und Leben spirituell ist – das bedeutet ein neues Bewusstsein, das allein durch Yoga entwickelt werden kann. Ich sehe auf zunehmend manifestere Weise, dass der Mensch sich niemals aus dem nichtigen Kreislauf zu befreien vermag, den das Menschengeschlecht immerfort durchläuft, bevor er sich auf eine neue Grundlage gestellt hat. Ich glaube gleichviel, dass es die Mission Indiens ist, diesen großen Sieg für die Welt zu erringen. Was war aber genau die Natur dieser dynamischen Macht dieses größeren Bewusstseins? Was war die Bedingung ihrer wirksamen Wahrheit? Wie könnte es herab gebracht, mobilisiert, organisiert und dem Leben zugewandt werden? Wie könnten unsere gegenwärtigen Werkzeuge – Intellekt, Mental, Leben, Körper – zu wahren und vollkommenen Kanälen für diese große Transformation gemacht werden? Dies war das Problem, das ich innerhalb meiner eigenen Erfahrung auszuarbeiten versucht habe, und ich verfüge jetzt über eine sichere Grundlage, ein weites Wissen und eine bestimmte Beherrschung des Geheimnisses100....

*

1. Dezember 1922

(Auszug aus einem Brief an Barin)

Lieber Barin,

...

Wie Du weißt, glaube ich nicht, dass das Prinzip des Mahatma der Nicht-Kooperation die wahre Grundlage oder sein Programm das wahre Mittel zur Erlangung der echten Freiheit und Größe Indiens, ihres Swarayia und Samrayia, sein kann. Andererseits... halte ich diese Schule des Tilakschen Nationalismus für veraltet. Meine eigene Politik, wenn ich noch auf diesem Gebiet tätig wäre, würde prinzipiell und programmatisch radikal von beiden verschieden sein, wie auch immer sie in einzelnen Punkten damit übereinstimmen möge. Das Land ist jedoch noch nicht dazu bereit, ihr Prinzip zu verstehen oder ihr Programm umzusetzen.

Da ich dies weiß, bin ich damit zufrieden, weiter auf der spirituellen und psychischen Ebene zu arbeiten, um dort die Gedanken und Kräfte vorzubereiten, die sich später zum richtigen Zeitpunkt und unter den richtigen Bedingungen im vitalen und materiellen Feld manifestieren können101....

*

III. 1923 – 1926

(In diesen Jahren führte Sri Aurobindo all abendliche Gespräche mit einigen seiner Schüler über ein breites Spektrum von Themen, die von seinem Yoga bis zur nationalen und internationalen Lage reichten. Die folgenden Exzerpte dieser Abendgespräche, die von einigen Anwesenden aus dem Gedächtnis aufgezeichnet wurden, geben Einblicke in Sri Aurobindos Ansichten über die politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Systeme Indiens und ihre spirituellen Möglichkeiten.)

9. April 1923

Die Inder des Altertums gründeten ihre Gesellschaft auf der Struktur der Religion – damit meine ich nicht Religion im engen Sinne, sondern im Sinne des höchsten Gesetzes unseres Wesens. Das gesamte gesellschaftliche Gewebe war daraufhin aufgebaut, diesen Zweck zu erfüllen. Es ging damals nicht um individuelle Freiheit im heutigen Sinne des Begriffs, es gab jedoch eine absolute kommunale Freiheit. Jede Gemeinschaft war vollkommen frei, ihre eigene Religion zu entwickeln – d.h. das Gesetz ihres Wesens. Selbst die Auswahl der betreffenden Richtung war eine Angelegenheit der freien Wahl des Individuums. In der Antike hatte jede Gemeinschaft ihr ureigenes Dharma und war für sich genommen unabhängig; jedes Dorf, jede Stadt hatte eine eigene Organisation frei von jeder politischen Kontrolle, und innerhalb dieses Rahmens war jedes Individuum frei – frei zu wechseln und eine andere Richtung für seine Entwicklung einzuschlagen. Dies wurde jedoch nicht in eine definitive politische Einheit gefasst. Es gab natürlich Versuche in Richtung dieser Art von Lebensausdruck, diese waren jedoch nur teilweise erfolgreich. Die gesamte Gemeinschaft war in Indien eine sehr große und die auf Dharma basierende gemeinsame Kultur wurde in keiner Art von politischer oder nationaler Organisation zusammengefasst, die äußeren Angriffen widerstehen würde.

*

18. April 1923

(Die kurzlebige Demonstration hindu-moslemischer Einheit, die der Lanzierung der Khilafat-Agitation im Jahre 1920 folgte, gab bald dem erneuten Misstrauen und erneuter Bitterkeit nach, welche sich auf Streitfragen warf wie der Frage von Hindu Prozessionen, die vor Moscheen Musik spielten, dem Schlachten von heiligen Kühen in der Öffentlichkeit während des Fest des Fastenbrechens usw., Anfang des Jahres 1923 kam es in Amritsar und Multan – heute Pakistan – zu Konflikten, und sie würden mit zunehmender Häufigkeit bis zur Landesteilung und danach fortfahren.)

(Frage eines Schülers:) Haben Sie die Malaviya Rede des Pandit Madan Mohan in Bezug auf die Multan-Aufstände gelesen und auch was C. Rajagopalachari dazu gesagt hat)

(Sri Aurobindo:) Es tut mir leid, dass sie aus dieser Hindu-Moslem Einheit einen Fetisch machen. Es hat keinen Sinn, die Fakten zu ignorieren. Eines Tages kann es sein, dass die Hindus die Moslems bekämpfen müssen, und sie müssen sich darauf vorbereiten. Die Hindu-Moslem Einheit sollte nicht die Unterwerfung der Hindus bedeuten. Bisher hat jedesmal die Milde der Hindus nachgegeben. Die beste Lösung wäre es, den Hindus zu erlauben sich selbst zu organisieren, dann würde die Hindu-Moslem Einheit sich selbst ausarbeiten, das würde das Problem von alleine lösen. Ansonsten werden wir von einer falschen Vorstellung von Befriedigung eingelullt, dass wir ein schwieriges Problem gelöst haben, wenn wir es tatsächlich nur aufgeschoben haben.

*

23 Juli 1923

(Ein Schüler:) Der Mahatma glaubt, dass Gewaltlosigkeit denjenigen, der sie ausübt, läutert.

Ich glaube nicht, dass Gandhi weiß, was tatsächlich in der Natur eines Menschen vorgeht, wenn er Satyagraha oder Gewaltlosigkeit betreibt. Er stellt sich vor, dass man davon geläutert würde. Wenn Menschen jedoch leiden, oder sich freiwillig Leiden aussetzen, wird eigentlich ihr Vitalwesen gestärkt. Diese Praktiken stärken nur das Vitalwesen und keinen anderen Teil. Wenn man der unterdrückenden Kraft nicht widerstehen kann, spricht man davon, dass man leidet. Dieses Leiden ist eine vitale Regung, und sie verleiht Stärke. Wenn derjenige, der so gelitten hat, an die Macht kommt, wird er zu einem schlimmeren Unterdrücker....

Was man allerdings tun kann, ist den Geist der Gewalt zu transformieren. In der Praxis der Gewaltlosigkeit wird er jedoch nicht transformiert. Besteht man auf solch einem einseitigen Prinzip, so schleichen sich Lippenbekenntnisse, Heuchelei und Unehrlichkeit ein, und es findet überhaupt keine Läuterung statt. Läuterung kann, wie ich sagte, dadurch stattfinden, dass der Impuls der Gewalt transformiert wird. In dieser Hinsicht war das alte indische System viel besser: Der Mann, der Kampfgeist hatte, wurde zum Kshatriya, und dadurch wurde der Kampfgeist über den gewöhnlichen vitalen Einfluss erhoben. Dies war der Versuch, ihn zu spiritualisieren. Es hatte mit dem Erfolg, was passiver Widerstand nicht leisten kann oder nicht leisten will. Kshatriya war derjenige, der keine Unterdrückung zulassen würde, der die Sache ausfechten würde und der selbst niemand unterdrücken würde. Das war das Ideal....

Es gibt auch die Frage der Hindu-Moslem-Einheit, die die Gewaltlosigkeitsschule auf der Grundlage ihrer Theorie zu lösen versucht.

Mit einer Religion, deren Prinzip die Toleranz ist, lässt sich gut auskommen. Wie kann man aber mit einer Religion auskommen, deren Prinzip ist: “Ich werde dich nicht dulden”? Wie kann man sich mit solchen Leuten vereinen? Mit Sicherheit kann die Einheit zwischen Hindus und Moslems nicht auf der Grundlage erreicht werden, dass die Moslems mit der Bekehrung der Hindus fortfahren, während die Hindus keine Mohammedaner konvertieren dürfen....

Die islamische Religion wurde unter solchen Umständen geboren, dass ihre Nachfolger nie ihren Ursprung vergessen konnten.

Das war das Ergebnis des passiven Widerstandes, den sie ausübten. Sie fuhren fort zu leiden, bis sie stark genug waren, und als sie dann an die Macht kamen, verfolgten sie andere mit großer Rachsucht....

Gandhis Position ist, dass er andere nicht von Gewalt abhalten will, sondern dass er nur sich selbst an die Gewaltlosigkeit hält.

Es ist eine der Gewalttätigkeiten des Satyagraha, dass er sich nicht um den Druck schert, den er auf andere ausübt. Das ist keine Gewaltlosigkeit – kein “Ahimsa”. Wahres Ahimsa ist ein Geisteszustand, und dieser besteht nicht in physischer oder äußerer Handlung oder im Vermeiden von Handlung. Jeder Druck auf das innere Wesen ist ein Bruch des Ahimsa.

Als Gandhi zum Beispiel beim Streik der Mühlarbeiter in Ahmedabad fastete, um die Frage zwischen den Mühlenbesitzern und den Arbeitern zu regeln, fand eine Art von Gewalt gegen andere statt. Die Mühlenbesitzer wollten nicht für seinen Tod verantwortlich sein, und so gaben sie nach, natürlich ohne von seiner Position überzeugt worden zu sein. Es war damit eine Art Gewalt gegen sie. Sobald sie fanden, dass sich die Lage normalisiert hatte, kamen sie auf ihre alten Gedanken zurück. Das gleiche geschah in Südafrika. Er erreichte dort einige Konzessionen durch den passiven Widerstand, und als er nach Indien zurückkehrte, wurde es schlimmer als vorher.

*

12. September 1923

Die mohammedanische oder islamische Kultur gab der Welt kaum etwas, dass grundlegende Bedeutung gehabt hätte oder für sie selbst typisch wäre; die islamische Kultur war von anderen geborgt. Ihre Mathematik und Astronomie und andere Lehrgegenstände kamen aus Indien oder Griechenland. Es ist wahr, dass sie einigen dieser Dinge eine neue Wendung gaben, sie haben jedoch nicht viel selbst geschaffen. Ihre Philosophie und ihre Religion sind sehr einfach, und was sie Sufismus nennen, ist vor allem das Ergebnis von Gnostikern, die in Persien lebten, und dies ist das logische Resultat jener philosophischen Schule, die hauptsächlich von der Vedanta beeinflusst ist.

Ich habe jedoch darauf hingewiesen [in The Foundations of Indian Culture], dass die islamische Kultur die indo-sarazenische Architektur zur indischen Kultur beigetragen hat. Ich denke nicht, dass sie irgend etwas anderes von Wert zur indischen Kultur beigetragen hat. Sie trug zu einigen neuen Formen in der Kunst und Dichtung bei. Ihre politischen Institutionen waren immer halbbarbarisch.

*

28. Februar 1924

... Das ist die Geschichte jeder Religion, Sekte oder religiösen Institution: es fängt mit Religion an und endet mit Kommerz. Überall findet man das Gleiche.

*

7. März 1924

(Ein Schüler:) Das Kaliphat ist plattgewalzt worden102.

Es ist in Ordnung, dass es fiel; die neue türkische Republik erscheint gründlich und solide in ihrer Arbeitsweise....

Unter den Moslems deuten gewisse Tendenzen an, dass der Fanatismus abnimmt.

Das ist nicht genug, denn es würde dennoch nicht ihre ganze Sichtweise verändern. Eine neue religiöse Bewegung innerhalb der Mohammedaner wäre notwendig, die ihre Religion neu gestaltet und die Prägung ihres Temperamentes verändert. So gab zum Beispiel der Bahaismus in Persien ihrem Temperament eine ganz andere Prägung103.

*

2. Juni 1924

Gandhi ist bass erstaunt darüber, dass seine Interpretation der Gita ernsthaft von einem Shastri in Frage gestellt wird. Ich bin dagegen eher bass erstaunt, dass er den Anspruch erhebt, eine unfehlbare Interpretation der Gita geleistet zu haben.

(Ein Schüler:) Er hat auch den Arya Samaj kritisiert.

Ja, er hat Dayananda Saraswati kritisiert, der, ihm zufolge, die Bildnis-Verehrung abschaffte, um dafür den Götzendienst der Veden einzusetzen. Er vergisst, glaube ich, dass er mit seiner Charkha und Khaddar in der Ökonomie dasselbe tut, und wenn man dies hinzufügen darf, mit seinem Götzendienst der Gewaltlosigkeit in der Religion und Philosophie.

So gesehen ist jeder in bestimmter Hinsicht ein Bilder-Verehrer. Gandhi kritisierte den Arya Samaj, warum sollte man dann aber nicht auch das Mohammedanertum kritisieren? Seine Aussage verherrlicht den Koran und das Christentum, und ist damit ein Götzendienst an der Bibel, Christus und dem Kreuz. Der Mensch ist kaum in der Lage, ohne Äußerlichkeiten auszukommen, und nur die wenigsten gehen den Dingen auf den Grund.

*

17. August 1924

(Einige Monate früher hatte Gandhi seinen Sohn Devadas nach Pondicherry gesandt, um Sri Aurobindo zu treffen.)

Er stellte mir Fragen nach meiner Ansicht über Gewaltlosigkeit. Ich sagte: “Stellen Sie sich vor, es kommt zu einer Invasion Indiens durch Afghanistan, wie würden Sie diese durch Gewaltlosigkeit beantworten?” Das ist alles, an das ich mich erinnern kann. Ich glaube nicht, dass er mir danach noch weitere Fragen gestellt hat.

*

21. Januar 1925

Wenn die Wahrheit, auf die das Yoga [von Sri Aurobindo] abzielt, erreicht wird und Indien sie akzeptiert, dann würde dies der Politik Indiens eine gänzlich neue Wendung geben – deutlich unterschieden von der europäischen Politik. Dies würde eine grundlegende Veränderung bedeuten.

*

4. Dezember 1925

Solange du tugendhaft sein musst, hast du die reinen spirituellen Höhen noch nicht erreicht, auf denen du nicht mehr darüber nachdenken musst, ob eine Handlungsweise moralisch ist oder nicht. Die Leute schließen immer vorschnell, dass, wenn du von ihnen forderst, über die Ebene der Moralität hinauszugehen, du von ihnen verlangst, unter das Niveau von Gut und Böse herabzusinken. Das ist jedoch in gar keiner Weise der Fall.... Durch Moralität wirst du menschlicher, aber du gehst nicht über die Menschlichkeit hinaus. Moralität hat dem Menschen vielleicht viel gutes getan; es hat ihm jedoch auch sehr geschadet.

(Ein Schüler:) Die Leute verwechseln immer Moralität und Spiritualität.

Genau wie die Christen, für die es keinen Unterschied zwischen Moralität und Spiritualität gibt. Nimm zum Beispiel diese Fast, die Gandhi jetzt angekündigt hat. Das ist eine christliche Idee vom Sühnen der Sünde. All die anderen Gründe, die angeführt werden, sind dagegen eher lächerlich.

Die indische Kultur wusste um den Wert der Moralität und ebenso um deren Grenzen. Die Upanischaden und die Gita sind erschallen und bersten vom Gedanken, jenseits der Moralität zu gehen.

*

7. April 1926

Zu denken, die parlamentarische Form oder Verfassung sei die beste, ist eine europäische Idee. Im antiken Indien hatten wir große kommunale Freiheit und die Gemeinschaften waren Zentren der Macht und des nationalen Lebens. Der König hatte keine Macht, die Rechte der Gemeinschaft einzuschränken.... Wenn jemand diese Rechte beeinflussen wollte, machten sich die Leute sofort bemerkbar. Der Genius des Menschengeschlechtes hatte eben diese Form entwickelt.... Ich verstehe nicht, warum alles wie in einer parlamentarischen Verfassung zentralisiert werden muss. Wir brauchen zahlreiche verschiedene Kultur- und Machtzentren, voll nationalen Lebens, über das ganze Land verteilt, und sie müssen die politische Freiheit haben, sich selbst zu entwickeln.

(Ein Schüler:) Die Organisation des Dorfes kann auch bei der Schaffung solcher Zentren mithelfen.

Richtig. Aber nicht, indem wir vor den Dorfbewohnern Reden und Predigten schwingen, wie es jetzt der Fall ist.... Wenn du im Dorf arbeiten willst, musst du dir einen natürlichen Beruf suchen, dich unter den Dorfleuten niederlassen und einer von ihnen sein. Wenn sie sehen, dass du praktisch veranlagt bist, werden sie dir zu vertrauen beginnen. Wenn du dich dorthin begibst und über zehn, fünfzehn Jahre hart arbeitest, wirst du dir deinen Status verdient haben, und du wirst dann etwas tun können, denn sie sind dann bereit, auf dich zu hören.

Die parlamentarische Form wäre für unser Volk kaum geeignet. Andererseits ist es natürlich nicht notwendig, dass wir heute dieselben alten Strukturen haben sollten wie im antiken Indien. Du kannst aber die Evolutionslinie aufnehmen und der Neigung des Genius des Menschengeschlechtes folgen.

*

18. Mai 1926

Im Leben gibt es keine “-ismen”, auch das Supramental104 hat keine “-ismen”. Das Mental führt alle “-ismen” ein und schafft damit Durcheinander. Das ist der Unterschied zwischen dem Mann, der im Leben steht, und dem Denker, der das nicht kann: ein Führer, der zu viel nachdenkt und sich mit Ideen abgibt und allzeit versucht, die Realitäten des Lebens seinen Ideen anzupassen, wird kaum Erfolg haben, während der Führer, der zum Erfolg bestimmt ist, seinen Kopf nicht mit Ideen belastet. Er sieht hingegen die Kräfte, die am Werk sind, und erkennt durch Intuition diejenigen, die Erfolg bringen. Er weiß auch um die richtige Kombination der Kräfte und den rechten Augenblick zu handeln....

Betrachtet euch nun die indischen Politiker: denen geht es immer um Ideen – sie sind allein mit Ideen beschäftigt. Nehmt zum Beispiel das Hindu-Moslem Problem: Ich weiß nicht, warum unsere Politiker Gandhis Khilafat-Agitation akzeptierten105. Es war abzusehen, dass sie durch die Mentalität des normalen Mohammedaners die Reaktion hervorrufen würde, die sie hervorgerufen hat: Die Kraft wurde gefüttert und aufgebaut, sie hat an Macht gewonnen und fing an, Forderungen zu stellen, der sich die Hindu-Mentalität entgegen stellt und die sie verweigern musste. Um sich dessen klar zu werden, braucht man kein Supramental, man braucht allein den gesunden Menschenverstand. Dann begann die mohammedanische Wirklichkeit und die Hindu-Wirklichkeit in Calcutta sich die Köpfe blutig zu schlagen106. Die Führer waren damit beschäftigt, die jeweiligen Wirklichkeiten mit ihren mentalen Ideen in Einklang zu bringen, anstatt ihnen direkt ins Auge zu sehen....

Es gab einmal eine Zeit, in der man dachte, das menschliche Mental könne die ganze Wahrheit begreifen und alle Probleme lösen, die sich der Menschheit stellen. Das Mental erhielt vollen Spielraum, und wir haben festgestellt, dass es nicht in der Lage ist, die Probleme zu lösen. Nun finden wir jedoch, dass es möglich ist, jenseits des Mentals zu gehen, und dort liegt das Supramental, das die Organisation des Unendlichen Bewusstseins ist. Dort findet man eben die Wahrheit von all dem, was im Mental und im Leben ist.

Zum Beispiel stellt man fest, dass hinter Demokratie, Sozialismus und Kommunismus jeweils einige Wahrheit steckt, aber dass dies nicht die ganze Wahrheit ist. Man muss die Kräfte aussondieren, die am Werk sind, und verstehen, was dies ist, von dem all diese mentalen Ideen und “-ismen” bloße Andeutungen oder Indikatoren sind. Man muss die Fehler kennen, welche die Leute machen, wenn sie mit der Wahrheit dieser Kräfte umgehen, sowie auch die Wahrheit, die selbst hinter diesen Fehlern steht. Im Augenblick spreche ich mich gegen Demokratie aus; das bedeutet nicht, dass hinter ihr keine Wahrheit steht. Ich weiß um die Wahrheit hinter der Demokratie, aber ich spreche mich gegen sie aus, denn diese Mentalität ist im Moment gegen die Wahrheit, die herabzukommen versucht.

*

1. Juni 1926

(Ein Schüler:) Diese Zeitungen drucken alles, was sie wollen. Können sie denn selbst die privaten Gespräche drucken, die bei jemand zuhause stattfinden?

Wenn ihr von den modernen Zeitungen anständiges Benehmen erwartet, werdet ihr in diesen demokratischen Tagen schwer enttäuscht sein. Sie sind einer der Segen der modernen Demokratie! Wenn ihr in Amerika wäret und keine Interviews geben würdet, dann würden sie welche erfinden! Die Presse ist eine öffentliche Einrichtung; früher hatte sie Würde, heute jedoch sind die Zeitungen der exakte Anzeiger der Nichtigkeit des menschlichen Lebens.... Genauso verhält es sich mit allen anderen Dingen des modernen Lebens – der Presse, dem Theater, dem Radio; die Medien ziehen alles aufs Massenniveau hinunter.... Sie haben allein dann Erfolg, wenn sie sich dem Geschmack des kleinen Mannes auf der Straße anpassen....

Es geht um dieselbe alte Frage der Masse, die von etwas höherem angezogen wird. Es geschieht jedoch immer das Gegenteil, anstatt erhoben zu werden, zieht die Masse alles auf ihr Niveau hinab....

Verschlimmern sich die Dinge oder werden sie besser?

Mir erscheint der Zustand Europas, besonders nach dem Kriege, beinahe derselbe zu sein wie während des Auseinanderbrechens und der Auflösung des römischen Reiches. Es besteht dieselbe Tendenz, die Welt wieder in Barbarei zu stürzen.

*

22. Juni 1926

(Ein Schüler:) Sind Inder spiritueller als andere Leute?

Nein, das sind sie nicht. Keine Nation ist gänzlich spirituell. Inder sind nicht spiritueller als andere Völker. Hinter der indischen Rasse lebt jedoch der spirituelle Einfluss der Vergangenheit.

Einige prominente nationale Arbeiter in Indien erscheinen mir Inkarnationen von einer gewissen europäischen Kraft hier zu sein.

Sie mögen keine Inkarnationen sein, aber sie können stark vom europäischen Gedankengut beeinflusst sein. Zum Beispiel ist Gandhi ein Europäer – wahrlich ein russischer Christ in einem indischen Körper. Und so gibt es auch einige Inder in europäischen Körpern!

Gandhi ein Europäer!

Ja. Wenn die Europäer sagen, dass er christlicher ist als die meisten Christen (einige sagen er sei “der Christus der Moderne”), dann haben sie vollkommen recht! All sein Predigen leitet sich aus dem Christentum ab, und obwohl sein Kleid indisch ist, ist der Geist im Wesentlichen christlich. Er muss nicht Christus sein, er kommt jedoch auf jeden Fall in der Fortsetzung derselben Richtung. Er wurde vor allem von Tolstoi und von der Bibel beeinflusst und ist stark vom Jainismus gefärbt, jedenfalls stärker als durch die indischen Schriften – d.h. den Upanischaden oder der Gita, die er im Licht seiner eigenen Ideen interpretiert.

Viele gebildete Inder halten ihn für einen spirituellen Menschen.

Ja, weil die Europäer ihn spirituell nennen. Was er hingegen predigt, ist keine indische Spiritualität, sondern etwas, das sich vom russischen Christentum ableitet, also der Gewaltlosigkeit, dem Leiden, usw....

Die Russen sind eine seltsame Mischung aus Stärke und Schwäche. Sie haben eine Leidenschaft in ihrem Intellekt, oder sagen wir, einen leidenschaftlichen Intellekt. Sie haben ein verstörtes und unruhiges emotionales Wesen, es gibt jedoch etwas dahinter, dass sehr fein und psychisch ist, dabei ist ihre Seele nicht sehr gesund. Insofern habe ich Unrecht, wenn ich sage, Gandhi ist ein russischer Christ, denn er ist so außerordentlich trocken. Er hat die intellektuelle Leidenschaftlichkeit und eine große moralische Willensstärke, aber er ist trockener als die Russen. Das Evangelium des Leidens, das er predigt, hat seine Wurzel stärker in Russland als sonst irgendwo in Europa – andere christliche Nationen glauben nicht daran. Sie haben es ansonsten höchstens im Kopf, aber den Russen liegt es regelrecht im Blut. Sie begehen mit dem Predigen des Evangeliums des Leidens einen Fehler, aber wir machen in Indien mit dem Predigen des Vairagya [des Weltekels oder der Abscheu vor der Welt] auch einen Fehler.

*

23. Juni 1926

Als Gandhis Bewegung begann, sagte ich voraus, dass diese Bewegung entweder zu einem großen Fiasko oder zu einem großen Durcheinander führen würde. Und ich sehe jetzt keinen Grund, meine Meinung zu ändern. Höchstens, dass ich heute hinzufügen würde, dass es zu beidem geführt hat.

*

29. Juni 1926

In Indien hatten wir nichts vom mentalen Ideal der Politik. Wir hatten ein spontanes und freies Wachstum der Gemeinschaften, die sich gemäß ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten entwickelten. Es ging weniger um eine mentale Vorstellung, sondern um einen inneren Impuls oder ein Gefühl, Leben in einer bestimmten Form auszudrücken. Jede dieser kommunalen Lebensformen – das Dorf, die Stadt, usw., die eine Einheit des nationalen Lebens bildeten, war in ihrer eigenen internen Verwaltung frei und sich selbst überlassen. Die Zentralmacht mischte sich nie darin ein.

Es gab in Indien nicht wie in Europa die Vorstellung von “Interessen”, d.h. nicht jede Kommune kämpfte um ihr eigenes Interesse; es gab hingegen die Vorstellung von Dharma, also die Aufgabe, die das Individuum und die Gemeinschaft innerhalb des nationalen Lebens zu erfüllen hatte. Es gab Organisationen des Kastenwesens, die nicht wie heute eine religiös-gesellschaftliche Grundlage hatten; das waren mehr oder weniger Gilden, Gruppen, die für das kommunale Leben organisiert waren. Es gab auch religiöse Gemeinschaften wie die Buddhisten, die Jains, usw. Jede folgte ihrem eigenen inneren Gesetz – Swadharma –, ohne vom Staat gestört zu werden. Der Staat erkannte die Notwendigkeit an, solch unterschiedliche Lebensformen zur freien Entwicklung zuzulassen, um dem Nationalgeist einen reichen Ausdruck zu gewähren.

Über beiden stand die Zentralmacht, deren Aufgabe nicht so sehr in der Legislative als vielmehr in der Harmonisierung bestand und darin sicherzustellen, dass alles richtig lief. Diese wurde im allgemeinen von einem Raja verwaltet; in bestimmten Fällen konnte diese Funktion auch von einem erwählten Klansoberhaupt erfüllt werden, wie im Beispiel von Gautama Buddhas Vater. Jeder herrschte über einen Kleinstaat oder eine Gruppe von Kleinstaaten oder Republiken. Der König war kein Gesetzgeber, und er stand nicht allem vor, um über alle Organisationen die Hand zu legen und sie unten zu halten. Wenn er sich in sie einmischte, wurde er abgesetzt, denn jede dieser Organisationen hatte ihre eigenen Gesetze, die über lange Zeitalter hinaus eingerichtet worden waren.

Die Staatsmaschinerie war auch nicht so mechanisch wie im Westen – sie war geschmeidig und flexibel.

Diese Art von Organisation finden wir geschichtlich vervollkommnet während der Regierungszeit von Chandragupta und der Maurya Dynastie. Die ihr vorangegangene Periode muss eine Periode großer politischer Entwicklung in Indien gewesen sein. Wir können sehen, dass jeder Teil des nationalen Lebens von einem Vorstand oder Ausschuss mit einem Minister an der Spitze geführt wurde, und jeder Vorstand kümmerte sich um das, was wir heute Abteilung nennen würden, und er war frei von unangemessenen Einmischungen von Seiten der Zentralmacht. Ein Herrscherwechsel berührte oder beeinflusste diese Ausschüsse in keiner Weise. Eine vergleichbare Organisation wurde auch in jeder Stadt und jedem Dorf gegründet, und eben diese Organisationen wurden von den Mohammedanern aufgegriffen, als sie nach Indien kamen. Auch die Engländer haben sie sich zunutze gemacht. Die Vorstellung des Königs als einen absoluten Monarchen war nie eine indische Vorstellung. Sie kam hingegen mit den Mohammedanern aus Zentralasien.

Indem die Engländer dieses System akzeptiert haben, entstellten sie es jedoch in beträchtlicher Weise. Sie fanden Wege, all diese alten Organisationen zu ergreifen und einzunehmen und sie lediglich als Kanäle zu benutzen, um die Autorität der Zentralmacht durchgängiger zu etablieren. Sie entmutigen jede Art der unabhängigen Organisation und jeden Versuch der Manifestierung eines freien Lebens der Gemeinschaft. Nun gibt es Versuche, kooperative Gesellschaften in den Dörfern einzurichten, man bemüht sich um die Wiederbelebung des Panchayats. Diese Organisationen lassen sich jedoch nicht wiederbeleben, nachdem man sie einmal zerstört hat; und selbst wenn man sie wiederbelebte, trügen sie nicht mehr den gleichen Charakter.

Wäre die alte Organisationsform erhalten geblieben, wäre sie ein erfolgreicher Rivale der modernen Regierungsform.

Kann man in der modernen Zeit auf die alten Formen zurückgreifen?

Man braucht nicht auf die alten Formen zurückzugreifen, aber man kann deren Geist bewahren, der dann seine eigenen neuen Formen zu erschaffen vermag....

Es war eines der besonderen Charakteristika Indiens, dass es in seinem Leben die unterschiedlichsten Elemente bewahrt und assimiliert hat. Das macht das Problem schwieriger.

Wenn es Indiens Bestimmung ist, all diese widerstreitenden Element zu assimilieren, ist es dann nicht möglich, auch das mohammedanische Element zu assimilieren?

Warum nicht? Indien hat Elemente von den Griechen, den Persern und anderen Nationen aufgenommen. Es assimiliert jedoch allein dann, wenn seine eigene zentrale Wahrheit auch von der anderen Partei anerkannt wird, und selbst im Assimilierungsprozess werden die Elemente auf eine solche Weise integriert, dass sie nicht mehr als fremd angesehen werden können, sondern Teil seiner selbst werden. So haben wir zum Beispiel von den Griechen die Architektur übernommen, von den Persern die Malerei usw.

Die Assimilierung der mohammedanischen Kultur ist weitgehend im Mental vollzogen worden, und sie wäre vielleicht noch weiter gegangen. Damit der Prozess vollzogen werden kann, ist es jedoch notwendig, dass sich die mohammedanische Mentalität verändert. Der Konflikt besteht im äußeren Leben, und solange die Mohammedaner keine Toleranz lernen, glaube ich nicht, dass die Integration möglich ist.

Der Hindu ist zur Toleranz bereit. Er ist neuen Ideen gegenüber offen, und seine Kultur hat die wunderbare Fähigkeit zum Assimilieren, immer jedoch vorausgesetzt, dass Indiens zentrale Wahrheit anerkannt wird.

Hatte Indien den nationalen Gedanken im modernen Sinne?

Den “Nationalgedanken” hatte Indien niemals. Damit meine ich die politische Idee der Nation. Das ist eine moderne Entwicklung. Indien hatte dagegen sehr wohl eine kulturelle und spirituelle Vorstellung von der Nation....

Die Inder der Gegenwart haben nichts aus ihrer Vergangenheit bewahrt, worüber sie prahlen könnten. Die indische Kultur heute befindet sich in einem erbärmlichen Zustand, ähnlich wie die Gingee-Festung – hier steht eine Säule, dort ist eine Decke erhalten, und dann gibt es irgendwo noch eine bis zur Unkenntlichkeit entstellte Halle!...

*

1. Juli 1926

(Ein Schüler:) Hat die Nicht-Kooperations-Bewegung das Land nicht belebt?

Nennst du das Leben? Es basierte auf einer Lüge. Wie kannst du erwarten, dass es auch nur irgend etwas erschaffen würde? Swaraj sollte durch Spinnen herbeigeführt werden – konnte aus solch einer falschen Vorstellung irgend etwas resultieren? Eine gewisse Belebung wurde dem Land während der Swadeshi Tage in Bengalen gegeben. Du hättest sehen sollen, was Bengalen vor der Swadeshi Bewegung gewesen ist, um zu verstehen, was bewirkt wurde. In dieser Periode haben wir Formen und Ideale vorgegeben, die seitdem degeneriert sind. Diese Formen sind jetzt wieder aufgenommen und entstellt worden. Mahatma Gandhi hat eine Art Kraft – durch deren Ausübung kommt er in gewisser Weise voran, durch die Reaktion darauf fällt er jedoch weit dahinter zurück....

Die Satyagraha-Bewegung gilt allein für Mahatma Gandhi und einige wenige wie er – sie sollte nicht einem ganzen Volk aufgedrängt werden.

Die Leute sprechen von Dorf-Organisation – lass sie erst einmal Leben in die Dörfer bringen, dann werden diese sich selbst organisieren.

...

In Indien haben die Studenten im Allgemeinen große Fähigkeiten, dass Erziehungssystem unterdrückt und zerstört diese Fähigkeiten jedoch. Seht euch nur die Klassenzimmermethode an – die Studenten müssen dort viele Stunden über ihren Büchern hocken: all das ist sehr abträglich. Notwendig ist hingegen eine bestimmte Atmosphäre – eine um sich greifende Atmosphäre des Lernens. Die Studenten sollten das in sich aufnehmen, ihre Anlagen herausfinden und sich in diesem Rahmen entwickeln.... Unter dem angemessenen Erziehungssystem können die Bedürfnisse beider Seiten – das Bedürfnis des Individuums und das Bedürfnis der Nation – versöhnt werden.... Das wäre die Zukunftserziehung des Menschengeschlechts, wenn es wirkliche Fortschritte machen soll.

*

26. Juli 1926

Grundsätzlich lässt sich sagen, dass die Frau auf der physischen Ebene wirkungsvoller ist, denn sie folgt ihren Intuitionen. Sie ist besser in der Lage, mit Materie im Allgemeinen umzugehen, sie geht die Sache, die getan werden muss, geradewegs an, während der Mann in Gedanken und mentalen Konstruktionen fortschweift. Man sieht das in der Politik; Frauen würden dort größeren Erfolg haben. Der Mann setzt in der Regel größere mentale Kraft hinter die Dinge, die Frau handelt stärker auf psychische Weise. Der Mann ist intellektueller, die Frau ist intuitiver. Sie ist auch auf der Vitalebene sehr aktiv.

(Ein Schüler:) Während die Frau oft die Quelle der Inspiration für den Mann war, hat sie selbst keine besondere schöpferische Arbeit geleistet.

Das liegt daran, dass sie aufgrund gesellschaftlicher Beschränkungen keine Gelegenheit dazu bekam. Immer dann, wenn Frauen die Gelegenheit erhielten, haben sie ihre Fähigkeiten gezeigt.... Wir müssen noch einige Generationen warten, um ihre Auswirkungen zu sehen.

*

1. August 1926

Der Versuch, die Mohammedaner zu beschwichtigen war ein Fall falscher Diplomatie. Wenn anstelle des Versuches, eine direkte Hindu-Moslem Einheit zu erzielen, die Hindus sich nationaler Arbeit gewidmet hätten, wären die Mohammedaner allmählich zu sich gekommen.... Dieser Versuch, eine Einheit zusammenzuflicken, gibt den Moslems eine zu große Bedeutung, und dies ist bisher die Wurzel allen Übels gewesen.

*

3. August 1926

Religion ist ebenso und in der gleichen Weise nützlich wie jede andere Form von Kultur, also wie Kunst, Wissenschaft, Ethik, usw. All diese Formen sind der Entwicklung des Menschen hilfreich; sie bereiten die Materialien vor, die sein höheres spirituelles Leben bereichern werden.... Aber ebenso, wie die anderen Bereiche der Kultur – Ästhetik, Moral, Wissenschaft – missbraucht werden können, so kann Religion auch missbraucht werden und wird auch in der Tat sehr oft missbraucht. Und es heißt, wenn das Beste degeneriert, so führt dies zur größten Verdorbenheit – und so verhält es sich auch mit Religion; wenn ihre großen Möglichkeiten missbraucht werden, so führt das zu den schlimmsten Übeln.

*

4. August 1926

(Ein Schüler:) Religion ist ein zu komplexes Phänomen, um definiert zu werden. Das bengalische Äquivalent der Religion “Dharma” ist sogar noch komplexer.

Dharma ist nicht Religion, obwohl man sich angewöhnt hat, “Religion” mit “Dharma” zu übersetzen. Dharma ist Gesetz – es beinhaltet auch die sozialen und moralischen Gesetze; ebenso wird das Gesetz des eigenen Wesens, der eigenen Natur Dharma genannt – d.h.swadharma.

*

7. August 1926

(Ein Schüler:) Was sind die charakteristischen Merkmale indischer Politiker?

Sie tun eine Sache nie zur rechten Zeit, und was immer sie tun, tun sie schlecht (Gelächter). Sie haben keinen Bezug zur Realität – sie sehen nur, was die Engländer in England tun, und sie versuchen, das auf dieses Land hier zu übertragen, selbst wenn es hier gänzlich fehl am Platze ist. Sie nehmen alle politischen Phrasen und Schlagworte auf und verwenden sie in ihren Reden, nicht in ihrer Arbeit. Sie ergehen sich in zu starker mentaler Aktivität – haben alle möglichen Ideen und Formen in ihren Gehirnen, die sehr wenig praktischen Nutzen haben.

Woran liegt das?

Das liegt am Mayavada [der Doktrin der Illusion] – unsere Männer sind in ihrem Denken zu subtil geworden, und all unsere Politiker rekrutieren sich aus dieser Klasse. Ferner ist das Erziehungssystem in hohem Maße für den Stand der Dinge verantwortlich.

Unterscheidet sich das englische System von demjenigen, das in Indien eingeführt wurde?

Ja, in Indien wollen sie nur Beamte haben, und die Erziehung ist auf nichts anderes ausgerichtet.

*

8. August 1926

Die Griechen hatten mehr Licht als die Christen, durch die sie bekehrt wurden; damals gab es den Gnostizismus in Griechenland, und sie entwickelten Agnostizismus usw. Die Christen haben mehr Finsternis als Licht gebracht.

Das ist bei den aggressiven Religionen immer der Fall – sie tendieren dazu, die Erde zu überrollen. Hinduismus ist dagegen passiv, und darin liegt eine Gefahr für ihn....

(Ein Schüler:) Es gibt einen deutlichen Unterschied zwischen den nationalen Arbeitern der Swadeshi Periode und denjenigen der Gegenwart. Die Vorigen bezogen ihre Inspiration von der Gita; die Heutigen haben die Gita verworfen, sie machen sich über Spiritualität lustig, und sie lassen sich von den Bolschewisten oder anderen europäischen Bewegungen inspirieren.

Aus diesem Grund sind sie degeneriert und können nichts erreichen. Sie nehmen nur die Formen auf, die in den früheren Bewegungen übernommen wurden, ohne die veränderten Bedingungen und die neuen Erfordernisse der Zeit mit einzubeziehen.

Die meisten unserer gegenwärtigen Arbeiter und Führer haben keinerlei spirituelles Leben.

Ich kann nichts über die Individuen im Einzelnen sagen. Aber das zentrale Anliegen im Hinduismus ist Spiritualität, und es kann dort keine große Bewegung ohne jede Spiritualität dahinter geben.

*

Erste Augusthälfte 1926

(Ein Schüler:) Wenn dieses Werk, die Wahrheit herabzubringen, in Indien keinen Erfolg haben wird, glauben Sie das Indien diese Chance für immer verpasst haben wird?

Indien hat die größten Chancen durch seine Vergangenheit und weil sich die spirituelle Kraft hier gesammelt hat....

Wenn Indien sich jedoch als gleichgültig erweist und an alten, ausgetragenen Formen festhält und sich weigert, vorwärts zu gehen oder auf dem Ruf seiner Seele zu horchen, dann kann es sein, dass die Wahrheit sich zurückzieht und es woanders versucht. Die Wahrheit ist nicht auf Indien beschränkt, sie ist nicht das Eigentum Indiens. Es besteht jedoch nur eine sehr kleine Chance, dass sie woanders Erfolg hat, wenn sie in Indien versagt. Sie mag einen erfolglosen oder teilweise erfolgreichen Versuch anderswo unternehmen, so wie es das Christentum tat, und sich dann zurückziehen.

*

21. August 1926

Mir fällt es immer schwer, [innerlich] in der indischen Politik zu arbeiten. Die Schwierigkeit ist, dass die Gefäße die Kraft nicht aushalten, sie sind zu schwach. Wenn das Ausmaß an Kraft, dass für Indien aufgewendet wird, einer europäischen Nation zugute käme, würde man es voller kreativer Aktivitäten verschiedenster Art finden. Hier in Indien jedoch gleicht es einem elektrischen Strom, den man durch einen schlafenden Mann schickt: er richtet sich auf, zappelt und wirft seine Arme und Beine herum und sinkt dann wieder nieder; er ist noch nicht ganz wach.

(Ein Schüler:) Woran liegt das?

Das liegt an einem ungeheuren Tamas. Spürst du es nicht überall um dich herum, dieses Tamas? Das eben vereitelt alle Bemühungen.

Wodurch ist es entstanden?

Das hat verschiedene Ursachen. Es begann bereits einzusetzen – ich meine damit die Kräfte der Zersetzung und der Trägheit –, bevor die Briten kamen. Nach ihrem Kommen jedoch hat sich das Tamas wie ein solider Block festgesetzt. Es muss ein gewisses Erwachen geben, bevor etwas Substantielles unternommen werden kann. Ansonsten hat Indien sehr gute Leute, du hattest Tilak, Das, Vivekananda – keiner von ihnen ist durchschnittlich, und doch siehst du das Tamas hier.

*

29. August 1926

(Sri Aurobindo widersprach einem Artikel, der Verhütungsmittel kritisierte)

Naturwissenschaftler und Mediziner haben Methoden zur Geburtenkontrolle entwickelt, ohne gesundheitliche Schäden. Die Ziele sind hierbei zweifach: erstens, das Vermeiden von zu vielen Kindern; zweitens, die Frau bei guter Gesundheit zu halten, damit die wenigen Kinder, die sie zur Welt bringt, gesund sind.

Natürlich ist innere Beherrschung der bessere Weg. Kann man das aber vom Menschen erwarten?...

(Ein Schüler:) Gandhi hat all die Ärzte zitiert, die sich der Geburtenregelung widersetzen.

Er hat jedoch nicht diejenigen zitiert, die sie befürworten.

Eine der Einwände ist, dass sie der Zügellosigkeit Vorschub leistet.

Das ist wieder eine moralistische Idee. Es gibt zwei Extreme: das eine Extrem ist die innere Beherrschung, das andere Extrem ist das völlig freie Ausleben; dazwischen liegt das System der Geburtenregelung.

*

6. September 1926

Alle Energie, die ich habe, kommt aus dem Yoga. Vorher war ich sehr unfähig. Selbst die Energie, die ich in der Politik verausgabte, kam aus dem Yoga.

*

IV. 1929 – 1938

Am Ende des Jahres 1926 zog sich Sri Aurobindo vollständig zurück und überließ die materielle Verantwortung der Schüler und des wachsenden Ashrams Mutter. Abgesehen von drei und später vier jährlichen “Darshans” hielt Sri Aurobindo den äußeren Kontakt zu den Schülern durch Briefe aufrecht – Tausende von Briefen, in denen er sich unermüdlich um ihre Fragen oder Schwierigkeiten oder Aufstände kümmerte.

Dieser Teil besteht vor allem aus Auszügen aus einigen von Sri Aurobindos Briefen.

Undatiert

Der Mensch ist ein Übergangswesen; er ist nicht endgültig....

Der Schritt vom Menschen zum Übermenschen ist die als nächstes anstehende Leistung in der Evolution der Erde. Er ist unvermeidlich, da es sich hier sowohl um die Absicht des inneren Geistes als auch um die Logik des Prozesses der Natur handelt....

Übermenschentum bedeutet nicht, dass der Mensch seinen eigenen natürlichen Zenith erklommen hat, keine höhere Stufe menschlicher Größe, Erkenntnis, Macht, Liebe, Lauterkeit oder Vollkommenheit. Das Supramental ist etwas jenseits des mentalen Menschen und seiner Grenzen; es handelt sich um ein größeres Bewusstsein als das höchste Bewusstsein, das der menschlichen Natur eigen ist.

Der Mensch in sich genommen ist wenig mehr als ein ehrgeiziges Nichts. Er ist eine Kleinigkeit, die sich nach einer Weite und einer Größe streckt, die zu hoch für ihn sind, ein Zwerg, der mit den Höhen liebäugelt. Sein Mental ist ein dunkler Strahl in der Herrlichkeit des universellen Mentals. Sein Leben ist ein Streben, Jubeln, Leiden, ein begieriger, von Leidenschaften aufgewühlter und von Schmerzen geplagter oder blind und dumpf sich sehnender Augenblick des universellen Lebens. Sein Körper ist ein sich mühendes, schnell vergehendes Staubkorn innerhalb des materiellen Universums. Das kann nicht das Ende des mysteriösen Auftriebs der Natur sein. Es gibt etwas darüber hinaus, etwas das die Menschheit werden wird107.

*

Die Welt ist weder eine Schöpfung der Maya noch allein ein Spiel, lila, des Göttlichen oder ein Zyklus der Geburten in der Unwissenheit, aus der wir zu entfliehen haben, sondern ein Feld der Manifestation, in dem eine fortschreitende Evolution der Seele und der Natur in der Materie stattfindet, eine Evolution der Materie durch das Leben und das Mental zu dem, das jenseits des Mentals liegt, bis zur vollständigen Offenbarung des Satchitananda108 im Leben. Das ist die Basis von [Sri Aurobindos] Yoga, und daraus ergibt sich ein neuer Sinn für das Leben109.

*

23. Oktober 1929

(Auszug aus einem Brief an einen moslemischen Schüler, der wilde Forderungen stellte, die er mit “religiösen” Gründen zu rechtfertigen suchte.)

Du sagt, dass es Dir allein um Wahrheit geht, dennoch sprichst Du wie ein enger und unwissender Fanatiker, der sich weigert, an irgend etwas anderes zu glauben als an die Religion, in der er geboren wurde. Jede Art von Fanatismus ist falsch, denn sie steht im Widerspruch zur eigentlichen Natur Gottes und der Wahrheit. Die Wahrheit kann nicht in ein einziges Buch, Bibel oder Veda oder Koran, oder in eine einzige Religion eingeschlossen werden. Das göttliche Wesen ist ewig und universal und unendlich und kann nicht das ausschließliche, alleinige Eigentum des Islam oder der semitischen Religionen sein – diejenigen, die sich in einer biblischen Stammreihe befanden oder die jüdische oder arabische Propheten als Gründer hatten. Hindus und Konfuzianer und Taoisten und alle anderen haben ein ebensolches Recht, in eine Beziehung mit Gott zu treten und die Wahrheit auf ihre Weise zu finden. Alle Religionen haben eine gewisse Wahrheit in sich, keine jedoch besitzt die ganze Wahrheit; alle sind in der Zeit geschaffen und alle erleben so ihren Niedergang und ihr Vergehen. Mohammed selbst hat nie behauptet, dass der Koran das letzte Wort Gottes sein würde und dass es danach keines mehr geben würde. Gott und Wahrheit überdauern diese Religionen, und sie manifestieren sich erneut in jedweder neuen Weise oder Gestalt, die die Göttliche Weisheit wählt. Du kannst Gott nicht in den Beschränkungen Deines eigenen engen Gehirns einschließen oder der Göttlichen Macht und dem Göttlichen Bewusstsein diktieren, wie oder wo oder durch wen es sich manifestieren soll; Du kannst Deine eigenen kleinlichen Barrieren nicht gegen die Göttliche Allmacht aufrichten. Hierbei handelt es sich um schlichte Wahrheiten, die nun auf der ganzen Welt anerkannt werden; allein die im Geist Kindischen oder diejenigen, die in einer Formel der Vergangenheit vor sich hin vegetieren, verneinen sie.

Du hast auf meinem Schreiben bestanden und hast die Wahrheit gefordert, und ich habe Dir geantwortet. Wenn Du aber ein Moslem sein möchtest, hindert Dich niemand daran. Wenn die Wahrheit, die ich bringe, zu groß ist, um von Dir verstanden oder getragen zu werden, so steht es Dir frei zu gehen und in einer Halbwahrheit oder in Deiner eigenen Unwissenheit zu leben. Ich bin nicht hier, um irgend jemanden zu bekehren. Ich predige nicht der Welt, zu mir zu kommen, und ich rufe niemanden. Ich bin hier, um das göttliche Leben und das göttliche Bewusstsein in denjenigen zu herzustellen, die von sich aus den Ruf verspüren, zu mir zu kommen und dem beizustehen, und in niemandem sonst110.

*

14. Januar 1932

Die Überlieferungen der Vergangenheit sind sehr groß an ihrem eigenen Platz, in der Vergangenheit, ich kann aber nicht einsehen, warum wir diese bloß wiederholen und nicht darüber hinaus gehen sollten. In der spirituellen Entwicklung des Bewusstseins auf der Erde sollte die große Vergangenheit von einer noch größeren Zukunft gefolgt werden.

...

Ich befasse mich mit der Erde, nicht mit den Welten jenseits um ihrer selbst Willen; mir geht es um eine irdische Verwirklichung und keinen Höhenflug auf ferne Gipfel111.

*

31. Juli 1932

(Auszug aus einem unveröffentlichten Brief)

Was Gandhi angeht, warum nimmst Du an, dass ich in Bezug auf den Glauben des Mahatma zu zartbesaitet bin? Ich nenne das überhaupt nicht Glauben, sondern eine starre mentale Vorstellung, und das, was er Seelenkraft nennt, ist allein ein starker vitaler Wille, der eine religiöse Wendung genommen hat. Das kann natürlich eine ungeheure Kraft für die Tat sein, Gandhi verdirbt sich dies jedoch durch seine Ambition, ein Mann der Vernunft zu sein, während er tatsächlich überhaupt keinen Funken Vernunft in sich trägt, in keinem Augenblick seines Leben vernünftig war und, ich vermute, dies auch nie sein wird. An deren Stelle gibt es bei ihm eine bemerkenswerte Art von unabsichtlich sophistischer Logik. Nun, was diese erstaunlich genaue unzuverlässige Logik bewirkt, dessen ist sich niemand überhaupt sicher, und ich denke nicht, dass er selbst wirklich sicher ist, was er als nächstes tun wird112. Er hat nicht allein zwei Mentals, sondern drei oder vier, und alles hängt davon ab, welches davon in einem gegebenen Augenblick die Oberhand gewinnt und wie es sich mit den anderen verbindet. Das wäre an sich kein Schaden, im Gegenteil, dies wäre von Vorteil, wenn es hier irgendwo ein zentrales Licht gäbe, das für ihn auswählt und die Entscheidung für die Notwendigkeit der Tat gestaltet. Er denkt, dass es ein solches zentrales Licht gibt und er nennt es Gott – es erscheint mir jedoch, dass es sein eigenes Mental ist, das entscheidet und das meistenfalls noch falsch. Wie auch immer, ich kann mir nicht vorstellen, dass Lenin oder Mustapha Kemal ihren eigenen Geist nicht kennen oder auf diese Weise handeln würden – selbst ihre strategischen Rückzüge waren Schritte auf ein Ziel hin, das klar vorgestellt und ausgeführt wurde. Was immer es sein mag, in Gandhi ist alles mentale Aktion und vitale Kraft. Warum also sollte er als Beispiel der Niederlage der göttlichen oder spirituellen Kraft genommen werden113? Ich gestehe gerne zu, dass es etwas hinter Gandhi gibt, das größer ist als er selbst, und Du kannst es das Göttliche nennen oder eine kosmische Kraft, die ihn benutzt hat, das aber steht hinter jedem, der als Werkzeug für Weltzwecke benutzt wird – auch hinter Kemal und Lenin; das ist also für diesen Fall kein einzigartiges Argument.

*

30. August 1932

Die Mutter und ich gründen uns nicht allein auf Glauben, sondern auf einen großen Grund von Wissen, den wir unser ganzes Leben lang entwickelt und geprüft haben. Ich glaube, ich kann sagen, dass ich dies Tag und Nacht über viele Jahre hinweg erprobt habe, skrupulöser als jeder Naturwissenschaftler seine Theorie oder seine Methode auf der physischen Ebene. Aus diesem Grunde alarmiert mich der Aspekt der Welt um mich herum in keiner Weise oder beunruhigt mich die oft erfolgreiche Wut der gegnerischen Kräfte, die in ihrer Rage zunehmen, je näher das Licht dem Feld der Erde und der Materie kommt114.

*

10. August 1933

(Ein Schüler:) Ich bin sehr beunruhigt über das, was in der Welt geschieht. Überall grassiert die Not, die Menschen verlieren ihren Glauben an alles und selbst Intellektuelle wie Tagore, Russell und Roland fordern das Ende des Zeitalters.

Selbst wenn alles zerstört würde, würde ich über die Zerstörung hinaus auf die neue Schöpfung blicken. Was das angeht, was in der Welt vorgeht, es verstört mich nicht, denn ich wusste von Anfang an, dass Dinge auf diese Weise geschehen würden, und was die Hoffnungen der intellektuellen Idealisten angeht, ich habe sie nicht geteilt, und deshalb bin ich nicht enttäuscht115.

*

14. Januar 1934

Das Ziel des Yogas, so wie ich es praktiziere, ist es, ein höheres Bewusstsein auf der Erde zu manifestieren, es zu erreichen oder es zu verkörpern, und nicht von der Erde in eine höhere Welt oder ein höchstes Absolutes zu entfliehen.

Die alten Yogas (nicht wirklich alle) tendierten in die andere Richtung – das lag jedoch, glaube ich, daran, dass sie die Erde, so wie sie ist, als ziemlich unmöglichen Ort für irgendein spirituelles Wesen empfanden und den Widerstand gegenüber der Veränderung zu hartnäckig, um ihn auszuhalten. Der grundlegende Satz in dieser Sache wurde sehr definitiv in den Upanischaden aufgestellt, der so weit ging zu sagen, dass die Erde die Grundlage, das Fundament ist116 und all die Welten sind auf der Erde, und sich einen scharf getrennten oder unversöhnlichen Unterschied zwischen ihnen vorzustellen, ist Unwissenheit: hier und nirgendwo sonst muss die göttliche Verwirklichung kommen, nicht indem man in eine andere Welt geht117.

*

24. März 1934

Tagore gehörte natürlich einer Generation an, die an ihre Ideen glaubte, und selbst deren Verneinungen waren noch schöpferische Affirmationen.... Nun ist dieser ganze Idealismus zerschlagen worden durch dieses ungeheure widerliche Geschehen, und jeder beschäftigt sich damit, seine Schwächen herauszustellen – niemand weiß aber, was an seine Stelle treten soll. Eine Mischung aus Skeptizismus und Schlagworten, “Heil-Hitler” und der Faschistengruß und dem Fünf-Jahres-Plan und dem Zusammenschlagen von allem und jedem zu einer amorphen Masse, eine illusionslose Verwerfung aller Ideale einerseits und eines blinden “Meine-und-jedermanns-Augen-schließenden” Eintauchen in den Sumpf, in der Hoffnung, dort eine feste Grundlage zu finden, werden uns nicht weit bringen. Und was gibt es sonst? Bis nicht neue spirituelle Werte entdeckt werden, ist keine andauernde Schöpfung möglich118.

*

Ohne Datum (1934)

Was die Hindu-Moslem-Affäre angeht, sah ich keinen Grund, warum die Größe von Indiens Vergangenheit oder ihre Spiritualität in den Papierkorb geworfen werden sollte, nur um die Moslems zu beschwichtigen, die durch eine solche Politik doch gar nicht zu beschwichtigen wären. Was die Hindu-Moslem-¬Spaltung verursacht hat, war nicht Swadeshi, sondern die Akzeptanz des kommunalen Prinzips durch die Kongress-Partei (hier hat Tilak seinen schweren Fehler gemacht), und den weiteren Versuch der Khilafat-Bewegung, sie zu versöhnen und auf falsche Weise einzubringen. Die Anerkennung des kommunalen Prinzips in Lucknow ließen sie auf Dauer zu einer getrennten politischen Einheit in Indien werden, etwas, das nie hätte geschehen sollen; die Khilafat Affäre macht diese getrennte politische Einheit zu einer organisierten separaten politischen Macht119.

*

2. Oktober 1934

Ich schere mich keinen Hosenknopf darum, meinen Namen an irgendeinem heiligen Ort zu sehen. Ich empfand selbst in meinen politischen Tagen nie ein glühenden Verlangen nach Ruhm; ich zog es vor, hinter den Kulissen zu bleiben, die Leute ohne ihr Wissen zu etwas zu veranlassen, und zu erreichen, dass das Notwendige getan wird. Es war die verfluchte britische Regierung, die meine Kreise störte, indem sie mich anklagte und mich so öffentlich und als “Führer” bekannt machte. Ferner halte ich nichts von Reklame, außer für Bücher usw., und von Propaganda, außer in der Politik und für Arzneimitteln. Für ernsthafte Arbeit sind beide Gift. Sie bedeuten entweder einen Publicity Stunt oder einen Boom – und sowohl Stunts als auch Booms erschöpfen die Sache, die sie auf ihrem Wellenkamm mit sich tragen, und sie hinterlassen sie leblos und gebrochen hoch und trocken auf den Stränden von Nirgendwo – oder sonst gründen sie eine Bewegung. Eine Bewegung im Falle einer Arbeit wie der meinen bedeutet die Gründung einer Schule oder einer Sekte oder irgendeines anderen solch verdammten Unsinns. Es bedeutet, dass Hunderte oder Tausende von nutzlosen Leuten dazukommen und die Arbeit verderben oder sie auf eine pompöse Farce reduzieren, aus der die Wahrheit, die herab kam, sich in Geheimnis und Schweigen zurückzieht. Das ist mit den “Religionen” geschehen, und das ist auch der Grund ihres Scheiterns. Wenn ich einige Schriften über mich gestatte, dann allein, um ein hinlängliches Gegengewicht innerhalb dieses amorphen Chaos, dem öffentlichen Denken, zu haben, um die Feindseligkeit auszugleichen, die immer angesichts der Gegenwart einer neuen dynamischen Wahrheit innerhalb dieser Welt der Ignoranz aufkommt. Dessen Nützlichkeit endet jedoch dort, und zu viel Bekanntheit würde diesem Ziel entgegen wirken. Ich bin hier, das versichere ich Dir, vollkommen “rational” in meinen Methoden, und ich gehe nicht allein von einer bloßen Abneigung gegenüber Ruhm aus. Falls und insofern Bekanntheit der Wahrheit dient, bin ich gerne bereit, sie zu tolerieren; jedoch empfinde ich Bekanntheit nicht um ihrer selbst willen wünschenswert120.

*

Ohne Datum

Nicht durch diese Mittel [d.h. durch den modernen Humanismus und humanitäre Gesinnung, Idealismus, etc.] kann die Menschheit jene radikale Veränderung ihrer Lebensart erreichen, die nun doch so zwingend notwendig wird, sondern indem sie den Kern der dahinterliegenden Realität erreicht – nicht allein durch bloße Ideen und mentale Formationen, sondern durch eine Bewusstseinsveränderung, eine innere und spirituelle Wandlung. Es wäre jedoch schwierig für diese Wahrheit, im gegenwärtigen Krach vielstimmigen Geschreis und Durcheinanders und sonstiger Katastrophen Gehör zu erhalten.

...

Die Wissenschaft hat etwas wesentliches ausgelassen; sie hat zwar bemerkt und erforscht, was geschehen ist, und auf gewisse Art auch, wie es geschehen ist, sie hat jedoch ihre Augen vor jenem Etwas verschlossen, das dieses Unmögliche möglich gemacht hat, dieses Etwas, das es ausdrücken soll. Es gibt keine fundamentale Bedeutung in den Dingen, wenn man die Göttliche Wirklichkeit auslässt; denn man verbleibt in einer ungeheuren Oberflächenkruste verwalt- und verwendbarer Erscheinungen. Man versucht, die Magie des Magier zu analysieren, aber nur wenn man in das Bewusstsein des Magiers selbst eintritt, kann man anfangen, den wahren Ursprung, die wahre Bedeutung und die Kreise des Lila zu erfahren.

...

Eine andere Gefahr mag dann aufkommen, wenn der Materialismus einmal nachzugeben beginnt – nicht durch die schließliche Verneinung der Wahrheit, sondern in der Wiederholung alter und neuer Formen eines vergangenen Fehlers, einerseits ein gewisses Wiederaufleben des blinden, fanatischen, obskurantischen, sektiererischen Religionismus, andererseits ein Stolpern in die Gruben und Moraste des Vitalistisch-Okkulten und des Pseudo-Spirituellen – Fehler, die die ganze wirkliche Stärke des materialistischen Angriffs auf die Vergangenheit und ihre Kredos ausgemacht haben. Dies sind jedoch Phantasmen, denen wir immer begegnen im Grenzbereich oder im dazwischentretenden Land zwischen der materiellen Finsternis und der vollkommenen Pracht. Trotz alledem steht der Sieg des höchsten Lichts selbst im verfinsterten Erdbewusstsein als die eine letztendliche Gewissheit fest121.

*

Es fällt mir schwer, diese Psychoanalytiker überhaupt ernst zu nehmen, wenn sie die spirituelle Erfahrung im Flackern ihrer Taschenlampen zu erforschen versuchen – vielleicht sollte man dies jedoch tun, denn Halbwissen ist eine mächtige Angelegenheit, und es kann ein großes Hindernis für das Hervortreten der wahren Wahrheit sein. Diese neue Psychologie erscheint mir wie Kinder, die ein sehr summarisches und nicht sehr angemessenes Alphabet lernen, jubelnd darüber, dass sie ihr ABC des Unterbewussten und dieses mysteriösen Untergrundbereichs zusammensetzen und sich vorstellen, dass ihr erstes Buch dunkler Anfänge (K-a-t-z-e = Katze, B-a-u-m = Baum) das eigentliche Herzstück wahren Wissens sei. Sie blicken von unten nach oben und erklären die höheren Lichter vermittels ihrer niederen Obskuritäten; die Grundlage diese Dinge findet sich jedoch oben und nicht unten, upari budhna esam [Rig-Veda, I.24.7]. Das Überbewusstsein, nicht das Unterbewusstsein, ist die wahre Grundlage der Dinge. Die Bedeutung des Lotos lässt sich nicht dadurch ermitteln, dass man die Geheimnisse des Morastes analysiert, aus dem er hier wächst; sein Geheimnis lässt sich im himmlischen Archetypus des Lotos entdecken, der für immer im Licht oben erblüht. Das selbsterwählte Feld dieser Psychologen ist außerdem erbärmlich, dunkel und begrenzt; man muss das Ganze kennen, bevor man den Teil kennen kann, und das Höchste, bevor man wirklich das Niedrigste verstehen kann. Darin liegt das Versprechen einer größeren Psychologie, die auf ihre Stunde wartet und vor der dieses erbärmliche Herumtasten verschwinden und zunichte werden wird122.

*

Eitle Verschwendung, sorgloses Verderben von physischen Dingen in einer unglaublich kurzen Zeit, laxe Unordnung, Missbrauch von Diensten und Materialien aus vitaler Gier oder tamasischer Trägheit sind dem Wohlstand schädlich und tendieren dazu, die Macht des Wohlstandes zu vertreiben oder zu entmutigen. Diese Dinge grassierten lange in der Gesellschaft, und wenn sie so weiter gehen, kann eine Zunahme unserer Mittel leicht eine proportionale Zunahme in der Verschwendung und Unordnung bedeuten und den materiellen Vorteil nichtig machen. Dem muss Abhilfe verschafft werden, wenn man wirklichen und gesunden Fortschritt machen will.

Asketismus um seiner selbst willen ist nicht das Ideal unseres Yoga, Selbstbeherrschung im vitalen Bereich und rechte Ordnung im Materiellen jedoch sind ein sehr wichtiger Bestandteil davon – und selbst eine asketische Disziplin ist besser für unseren Zweck als eine lockere Abwesenheit wahrer Beherrschung. Herrschaft über das Materielle bedeutet nicht, reichlich zu haben und freigiebig zu verschwenden oder die Dinge so schnell abzunutzen, wie sie kommen, oder schneller. Herrschaft bedeutet die rechte und sorgfältige Verwendung der Dinge und ebenso Selbstbeherrschung in ihrem Gebrauch123.

*

Es gibt ein Bewusstsein in den Dingen, ein Eigenleben, das nicht das Leben und Bewusstsein eines Menschen oder eines Tieres ist, so wie wir sie kennen, dennoch ist es geheim und wirklich präsent. Aus diesem Grunde müssen wir vor physischen Dingen Respekt haben und sie richtig verwenden, sie nicht missbrauchen oder verschwenden, sie nicht schlecht oder mit nachlässiger Grobheit behandeln. Das Gefühl der Bewusstheit und des Lebens in allem kommt, wenn unserer eigenes physisches Bewusstsein – und nicht allein das Mental – aus seinem Dunkel erwacht und sich des Einen in allen Dingen, des Göttlichen überall, bewusst wird124.

*

25. Dezember 1934

Zur Frage, ob das Göttliche ernsthaft vorhat, dass etwas geschehe, ich glaube fest, dass dies beabsichtigt ist. Ich weiß mit absoluter Sicherheit, dass das Supramental eine Wahrheit ist und dass sein Eintreten im Laufe der eigentlichen Natur der Dinge unvermeidlich ist. Die Frage ist, wann und wie. Auch das ist von irgendwo oben entschieden und vorherbestimmt; es wird jedoch hier inmitten eines ziemlich grimmigen Zusammenpralls von widerstreitenden Kräften ausgefochten. Für die irdische Welt ist das vorherbestimmte Ergebnis verborgen, und was wir sehen, ist ein Wirbel von Möglichkeiten und Kräften, die etwas zu erreichen versuchen, dessen ganze Bestimmung vor den menschlichen Augen versteckt bleibt. Es ist gleichwohl sicher, dass eine Anzahl von Seelen gesandt wurden, um sicherzustellen, dass dies jetzt geschehe. Das ist die Lage. Mein Glaube und mein Wille gelten dem Jetzt125.

*

10. Februar 1935

Es geht mir nicht um persönliche Größe, wenn ich versuche das Supramental herabzubringen. Ich schere mich keinen Deut im menschlichen Sinne um Größe oder Geringfügigkeit. Ich versuche, ein gewisses Prinzip von innerer Wahrheit, Licht, Harmonie, Frieden in das Erdbewusstsein herabzubringen; ich sehe dies oben und weiß was es ist – ich spüre es von oben auf mein Bewusstsein herableuchten, und ich versuche es zu ermöglichen, dass es das ganze Wesen in seine ureigene Kraft mit aufnimmt, anstatt dass die Natur des Menschen weiterhin in einem Zustand des Halblichts und der Halbfinsternis verweilt. Ich glaube, dass die Herabkunft dieser Wahrheit und damit die Öffnung des Weges für eine Entwicklung des göttlichen Bewusstseins hier der schließliche Sinn der Erdevolution ist126.

*

8. August 1935

Vom spirituellen Gesichtspunkt aus sind solch zeitlich bedingte Phänomene wie die Hinwendung des gebildeten Hindus zum Materialismus von geringer Bedeutung. Es hat immer Perioden gegeben, wenn sich das Denken der Nationen, Kontinente und Kulturen dem Materialismus zugewendet und von allem Glauben abgewendet hat.... Diese Wellenbewegungen kommen aufgrund einer bestimmten Notwendigkeit innerhalb der menschlichen Entwicklung, um die Hörigkeit gegenüber alten Formen zu zerstören und das Feld einer neuen Wahrheit und neuen Formen von Wahrheit und Tat im Leben wie in dem, was hinter dem Leben steht, zu überlassen127.

*

18. August 1935

Ich betrachte die spirituelle Geschichte der Menschheit und besonders diejenige Indiens als eine beständige Entwicklung auf einen göttlichen Zweck hin, nicht als geschlossenes Buch, dessen Zeilen immer wiederholt werden müssen. Selbst die Upanischaden und die Gita waren nicht das letzte Wort, obwohl sie im Kern alles enthalten mögen.... Ich kann sagen, dass es mir fern liegt, irgendeine Religion für die zukünftige Menschheit zu propagieren, sei sie alt oder neu. Einen Weg zu eröffnen, der noch blockiert ist, nicht eine Religion zu gründen, ist meine Vorstellung der Sache128.

*

Ohne Datum

Nebenbei gesagt hat der Fanatismus nichts Edles an sich – es gibt dort keine Nobilität des Motivs, obwohl es einen hitzigen Enthusiasmus des Motivs geben kann. Religiöser Fanatismus ist psychologisch etwas aus niederer Herkunft und Unwissenheit Geborenes – und in der Regel ist sein Handeln grimmig, grausam und gemein. Religiöser Eifer wie der eines Märtyrers, der allein sich selbst opfert, ist etwas anderes129.

*

Der menschliche Verstand ist ein sehr bequemes und gefälliges Werkzeug, und er arbeitet lediglich innerhalb des Kreises, der ihm von Interesse, Parteilichkeit und Vorurteil gesetzt wird. Die Politiker räsonieren falsch oder unehrlich und haben die Macht, die Ergebnisse ihrer Räsonnements umzusetzen und damit die Geschäfte der Welt in eine ordentliche Bescherung zu verwandeln; die Intellektuellen räsonieren und zeigen, was ihr Mental ihnen zeigt, was weit davon entfernt ist, immer die Wahrheit zu sein, denn es wird im Allgemeinen von intellektuellen Vorlieben entschieden und von ihrem dem Mental angeborenen und durch Erziehung eingeschärften Blickwinkel; selbst wenn sie sie jedoch wahrnehmen, haben sie keine Macht, sie durchzusetzen. So bewegt sich die Welt zwischen blinder Macht und sehender Ohnmacht und bewirkt ihre Bestimmung durch ein mentales Durcheinander130.

*

Krieg und Eroberung sind Teil des Haushalts der Natur. Es hat keinen Zweck, dieses oder jenes Volk deswegen zu beschuldigen – jeder, der die Macht und die Gelegenheit dazu hat, tut es. China, das sich jetzt beschwert, war selbst über all die Jahrhunderte, in denen Japan streng innerhalb seiner eigenen Grenzen verblieb, ein Imperialist.... Ich nehme an, dass es niemand tun würde, wenn es nicht gewinnträchtig wäre. England ist durch das von Indien geplünderte Volksvermögen reich geworden. Frankreich stützt sich in vieler Hinsicht auf seine afrikanischen Kolonien. Japan braucht eine Absatzmöglichkeit für seine überreichliche Bevölkerung und nahegelegene wirtschaftliche Märkte. Alle Länder werden von Kräften gedrängt, die sich des Mentals ihrer Führer und Völker bedienen, um sich zu erfüllen – außer wenn die menschliche Natur sich verändert, wird kein noch so großes Ausmaß des Moralisierens dies verhindern131.

*

10. September 1935

Es besteht keinerlei Verbindung zwischen der spirituellen Wahrheit und Erkenntnis, in der ich lebe, und Mahatma Gandhis Idealen und seiner Lebensart. Wenn dem so wäre, müsste ich so leben wie er – denn du wirst sicherlich nicht annehmen, dass meine Wahrheit und meine Erkenntnis nur für das Mental und nicht für eine praktische Umsetzung ins Leben bestimmt sind! Ich habe immer geschrieben, dass es bei meinem Yoga um die Manifestierung eines neuen Lebensprinzips geht und dass Arbeit und Werke ein wesentlicher Teil meines Yogas sind. Wäre diese Manifestierung bereits vollzogen, bestände für mich keine Notwendigkeit dieses neue spirituelle Prinzip ins Leben herabzubringen. Mahatma Gandhis Leben drückt seine eigenen Gedanken der wahren Wahrheit und der wahren Erkenntnis aus. Diese Gedanken sind nicht die meinen132.

Das Lebensprinzip, das ich begründen möchte, ist spirituell. Moralität oder Sittlichkeit sind eine Frage des menschlichen Mentals und Vitals, sie gehören einer niederen Bewusstseinsebene an. Ein spirituelles Leben lässt sich deshalb nicht auf einer moralischen Basis gründen, sondern nur auf einer spirituellen Basis. Das bedeutet nicht, dass der spirituelle Mensch unmoralisch zu sein hat – als gäbe es keine anderes Verhaltensgesetz als das moralische. Das Handlungsgesetz des spirituellen Bewusstseins ist höher, nicht niedriger als das moralische – es gründet sich auf der Vereinigung mit dem Göttlichen und dem Leben im göttlichen Bewusstsein, und seine Handlungen begründen sich im Gehorsam gegenüber dem göttlichen Willen133.

*

16. September 1935

(Ein Schüler:) Es ist ziemlich deprimierend, von den Grausamkeiten zu hören, die einige Mohammedaner gegenüber Hindu-Familien begehen. Ich hoffe, dass mit dem Erlangen der Unabhängigkeit solche Dinge aufhören. In Ihrer Vorstellung der Dinge sehen Sie definitiv ein freies Indien?

Das ist alles erledigt. Jetzt ist es allein eine Frage der Ausarbeitung. Die Frage ist, was wird Indien mit seiner Unabhängigkeit tun? Etwas wie das Angesprochene? Bolschewismus? Gunda-Raj? Die Dinge sehen bedrohlich aus134.

*

8. Oktober 1935

Wenn es so schockierend ist, über die Erfahrung der vergangenen Seher und Weisen hinauszugehen, dann hat jeder neue Seher oder Weise diese schockierende Tat getan, als er an der Reihe war – Buddha, Shankara, Chaitanya usw. alle haben diese schlimme Tat verbrochen.... Diese schockierte Verehrung der Vergangenheit ist eine wunderbare und beängstigende Sache! Schließlich ist das Göttliche unendlich, und die Abwicklung der Wahrheit mag wohl ein unendlicher Prozess sein, oder wenigstens, wenn schon nicht so viel, doch etwas mit Raum für neue Entdeckung und neue Darstellung, selbst vielleicht mit neuer Leistung, kein Ding, das aus einer Nussschale geknackt werden muss und deren Inhalte ein für alle mal vom ersten Seher oder Weisen erschöpft wurden, während die folgenden immer wieder dieselbe Nussschale streng auf die gleiche Weise knacken müssen, jeder dabei vor Angst zitternd, die “vergangenen” Seher und Weisen nicht der Lüge zu bezichtigen135.

*

19. Oktober 1935

(Dr. Ambedkar forderte die Massenbekehrung der unterdrückten Klassen. Dazu erklärte Gandhi: “Religion ist jedoch kein Haus oder Mantel, die man nach Belieben auswechseln kann. Es ist ein stärkerer integraler Bestandteil von einem selbst als der eigene Körper. Religion ist das Band, das einen an seinen Schöpfer bindet, und während der Körper vergeht, wie er vergehen muss, bleibt die Religion selbst noch darüber hinaus bestehen.” Ein Schüler ersuchte Sri Aurobindo, dies zu kommentieren.)

Wenn mit dieser Aussage gemeint ist, dass die Form der Religion etwas Permanentes und Unveränderliches ist, dann ist sie unakzeptabel. Wenn Religion hier allerdings die eigene Art und Weise bezeichnet, mit dem Göttlichen zu kommunizieren, dann ist es wahr, dass dies etwas ist, das dem inneren Wesen angehört, das nicht wie ein Haus oder ein Mantel verändert werden kann, allein für irgendeine persönliche, gesellschaftliche oder weltliche Annehmlichkeit oder Botmäßigkeit. Wenn es zu einer Veränderung kommt, dann allein um eines inneren spirituellen Grundes willen, aus einer von Innen ausgehenden Entwicklung. Niemand kann auf eine Form der Religion oder eine bestimmte Glaubensrichtung oder ein System festgelegt werden, wenn er jedoch diejenige, die er angenommen hat, aus äußeren Gründen gegen eine andere tauscht, dann bedeutet das, dass er innerlich überhaupt keine Religion hat, und dass beide, die alte und die neue Religion, für ihn nur eine Leerformel sind. Ich nehme an, dass es das ist, worauf diese Aussage hinausläuft. Das Bevorzugen für eine unterschiedliche Herangehensweise an die Wahrheit oder der Wunsch nach einem inneren spirituellen Selbstausdruck sind nicht die Motive der Empfehlung zur Veränderung, gegen die der Mahatma sich hier wendet; das, worum es Dr. Ambedkar hier geht, ist die Erhöhung des gesellschaftlichen Status und des gesellschaftlichen Ansehens, und das ist in keiner Weise ein spirituelles Motiv, ebenso wenig wie die Bekehrung aus Gründen des Geldes oder der Heirat eines ist. Wenn ein Mensch innerlich keine Religion hat, kann er sein Glaubensbekenntnis aus jedwedem Motiv heraus ändern; wenn er jedoch eine hat, kann er dies nicht; dann kann er sie nur in Reaktion auf eine innere spirituelle Notwendigkeit hin wechseln. Wenn ein Mensch ein Bhakti für das Göttliche in der Gestalt Krishnas empfindet, kann er wohl kaum sagen: “Ich werde Krishna gegen Christus eintauschen, damit ich gesellschaftlich besser respektiert werde136.”

*

17. Mai 1936

Es besteht keine Notwendigkeit, die eigenen Pläne und Vorgehensweisen denjenigen zu enthüllen, die dies nichts angeht, die unfähig sind, sie zu verstehen, oder die ihnen gegenüber als Feinde handeln oder die sie aufgrund ihres Wissens darum vereiteln würden.... Kein moralisches oder spirituelles Gesetz verpflichtet uns dazu, uns der Welt gegenüber zu entblößen oder unsere Herzen und unser Mental einer öffentlichen Untersuchung gegenüber zu öffnen. Gandhi sprach davon, dass Geheimhaltung Sünde sei, aber das ist eine seiner vielen Extravaganzen137.

*

13. September 1936

Zweifelsohne sind Hass und Fluchen nicht die richtige Haltung. Es ist ebenso wahr, dass alle Dinge und Menschen mit einer ruhigen und klaren Sichtweise zu betrachten und losgelöst und unparteilich in seinem Urteil zu sein, die eigentlich richtige yogische Haltung ist. Ein Zustand des vollkommenen Samata [Gleichmütigkeit] kann hergestellt werden, indem man alle als gleich ansieht, Freunde und Feinde eingeschlossen, und indem man sich nicht von dem stören lässt, was die Menschen tun, oder durch das, was geschieht. Die Frage ist nur, ob das alles ist, was von uns erwartet wird. Wenn dem so ist, dann sollte die allgemeine Haltung darin bestehen, allem eine neutrale Gleichgültigkeit gegenüber an den Tag zu legen. Die Gita jedoch, die besonders auf einem vollkommenen und absoluten Samata besteht, fährt mit der Aussage fort: “Kämpfe, zerstöre den Widersacher, erringe den Sieg!” Wenn keine allgemeine Tat verlangt wird, keine Treue zur Wahrheit und gegen die Unwahrheit, außer innerhalb der eigenen persönlichen Sadhana, keinen Willen für den Sieg der Wahrheit, dann wäre das Samata der Indifferenz hinreichend. Hier jedoch muss ein Werk vollbracht werden, eine Wahrheit begründet werden, gegen die sich ungeheure Kräfte stellen, unsichtbare Kräfte, die sichtbare Dinge und Personen und Handlungen als ihre Werkzeuge einsetzen können. Befindet man sich auf der Seite der Anhänger, der Sucher dieser Wahrheit, muss man sich auf die Seite der Wahrheit stellen und sich jenen Kräften, die diese angreifen und zu ersticken suchen, entgegenstellen. Arjuna wollte sich auf keine Seite stellen und jede Handlung der Feindseligkeit, selbst gegenüber Angreifern verweigern; Shri Krishna, der so sehr auf Samata beharrte, hat diese Haltung auf das Schärfst zurückgewiesen und in gleicher Weise auf seinem Kampf gegen den Widersacher bestanden. “Habe Samata,” sagte er, “bewahre eine klare Sicht der Wahrheit und kämpfe!” Sich auf die Seite der Wahrheit zu stellen und sich zu weigern, irgend etwas der Falschheit zu überlassen, die angreift, sich unverzagt treu zu erweisen und sich gegen die Gegnerischen und Angreifenden zu stellen, ist in keiner Weise unvereinbar mit Gleichmut.... Es handelt sich innerlich und äußerlich um einen spirituellen Kampf; durch Neutralität und Kompromissbereitschaft oder selbst nur Passivität könnte man der gegnerischen Kraft erlauben, durchzudringen und die Wahrheit und ihre Kinder zu zermalmen. Wenn Du die Dinge von diesem Standpunkt aus betrachtest, wirst Du sehen, dass, wenn der innere spirituelle Gleichmut das Richtige ist, die aktive Treue und das unverbrüchliche Beziehen einer Stellung ebenso das Richtige sind, und dass beide nicht miteinander unvereinbar sind138.

*

19. September 1936

Religion ist immer unvollkommen, denn sie besteht aus einer Mischung der Spiritualität des Menschen mit seinem Bemühen, auf unwissende Weise seine niedere Natur sublimieren zu wollen. Die Hindu-Religion erscheint mir wie ein Kathedralen-Tempel, halb in Ruinen, edel in der Gesamtheit, oft phantastisch im Detail, immer jedoch phantastisch mit einer Bedeutung – bröckelnd oder schwer abgetragen an einigen Stellen, jedoch ein Kathedralen-Tempel, in dem noch immer Gottesdienst am Unsichtbaren abgehalten wird, und seine wirkliche Präsenz kann von denen, die im richtigen Geist in ihn eintreten, jederzeit gespürt werden. Die äußere gesellschaftliche Struktur dagegen, die sie sich als Zugang erbaut hat, ist eine andere Sache139.

*

24. Dezember 1936

Die Sichtweise, die vom Mahatma in diesen Angelegenheiten vertreten wird, ist eher christlich als hinduistisch – denn für den Christen sind Selbsterniedrigung, Demut, die Annahme eines niederen Status, um der Menschheit oder dem Göttlichen zu dienen, höchst spirituelle Dinge und das edelste Privileg der Seele. Diese Sichtweise lässt keine Hierarchie der Kasten zu; der Mahatma akzeptiert Kasten, jedoch auf der Grundlage, dass alle vor dem Göttlichen gleich sind; ein Bhangi [Aasfresser oder Abfallreiniger], der sein Dharma tut, ist so gut wie ein Brahmin, der dem seinigen nachkommt, es besteht eine Funktionsteilung, aber keine Funktionshierarchie. Das ist eine Sichtweise der Dinge, und die hierarchische Sichtweise ist eine andere, beide haben einen eigenen Standpunkt und eine eigene Logik, die das Mental als gänzlich allgemein gültig ansieht, die jedoch lediglich einem Teil der Realität entsprechen. Alle Arten von Arbeiten sind gleich vor dem Göttlichen, und alle Menschen haben denselben Brahman in sich, das ist die eine Wahrheit, dass jedoch die Entwicklungsstufe nicht in allen dieselbe ist, ist eine andere. Die Vorstellung, dass eine besondere Punya notwendig ist, um als Bhangi geboren zu werden, ist natürlich eine dieser gewalttätigen Übertreibungen eines Gedankens, die beim Mahatma häufig anzutreffen sind und die das Mental seiner Zuhörer ungemein beeindrucken. Die Vorstellung, die dahinter steht, ist, dass seine Funktion einen unabdingbaren Dienst an der Gemeinschaft darstellt, ebenso wie diejenige des Brahmanen, aber da sie sehr unangenehm ist, erstere einen besonderen moralischen Heroismus erfordert, um sie willentlich auszuwählen, und er stellt sich vor, dass die Seele sich dies freiwillig als solch einen heroischen Dienst aussucht, als Lohn rechtschaffener Taten – das ist jedoch sehr unwahrscheinlich. Der Dienst des Abfallreinigers ist unter bestimmten Umständen für die Gesellschaft unabdingbar, es handelt sich um eine der primären Notwendigkeiten, ohne die die Gesellschaft schwerlich bestehen kann und ohne welche die kulturelle Entwicklung, deren Bestandteil das brahmanische Leben ist, nicht hätte stattfinden können. Offensichtlicherweise jedoch ist die kulturelle Entwicklung für den Fortschritt der Menschheit wertvoller als die Bedienung physischer Notwendigkeiten, im Gegensatz zu ihrem ersten statischen Urzustand, und diese Entwicklung kann durch technische Erfindungen sogar zur Verminderung, wenn nicht gar der vollkommenen Abschaffung der Funktion des Abfallreinigers führen. Dies jedoch, nehme ich an, würde dem Mahatma widerstreben, denn es käme durch eine Maschinerie zustande und wäre damit eine Abkehr vom einfachen Leben. Auf jedem Fall ist es unwahr, dass das Bhangi-Leben höherwertig ist als das Brahmanen-Leben und der Lohn einer besonderen Rechtschaffenheit. Andererseits ist die traditionelle Vorstellung, dass ein Mensch etwas Höheres gegenüber anderen ist, weil er als Brahmane geboren wurde, nicht rational oder zu rechtfertigen. Ein spiritueller oder kultivierter Mensch einer Pariah-Herkunft steht höher in der göttlichen Wertigkeit als ein unspiritueller und mondäner oder ein roher und unkultivierter Brahmane. Geburt zählt, aber der grundsätzliche Wert liegt im Menschen selber, in der dahinterstehenden Seele, und im Grad, wie sie sich in seiner Natur manifestiert140.

*

17. November 1938

All das141 verspricht Schlimmes, wenn Indien Purna Swaraj erhält. Mahatma Gandhi hat bereits schwere Gewissensbisse in Bezug auf die Korruption in der Kongress-Partei. Wie wird das sein wenn Purna Satyagraha über ganz Indien herrscht142?

*

V. 1938 – 1940

(In der Nacht vom 23. auf den 24. November 1938 stürzte Sri Aurobindo während eines Ganges in Konzentration und brach sich das rechte Bein. In den folgenden Jahren trafen sich eine kleine Anzahl von Schülern, vorwiegend Ärzte und Assistenten, jeden Tag mit ihm. Zwei unter ihnen zeichneten die formlosen Gespräche auf, die sich in der Folge ergaben. Häufig drehten sie sich um das politische Geschehen in Indien oder um die wachsende Bedrohung durch den Nationalsozialismus sowie den II. Weltkrieg, dessen Ereignisse Sri Aurobindo eingehend verfolgte. Einige Auszüge dieser Gespräche folgen hier.)

23. Dezember 1938

Jedes Mal, wenn das Licht versucht hat herabzukommen, stellten sich ihm Widerstand und Opposition entgegen. Christus wurde gekreuzigt.... Buddha wurde abgelehnt. Die Söhne des Lichts treten auf, die Erde lehnt sie ab, widersetzt sich ihnen und akzeptiert sie später dem Namen nach, um sie dennoch der Substanz nach abzulehnen.

*

25. Dezember 1938

Ich habe kein Vertrauen in Kontrollen der Regierung, denn ich halte ein gewisses Maß an Freiheit für unabdingbar – die Freiheit, die Dinge für sich und auf eigene Art herauszufinden, selbst die Freiheit, Fehler zu machen. Die Natur führt uns durch eine Reihe von Irrtümern und Fehlern – als die Natur das menschliche Wesen erschuf, mit all seinen Anlagen zum Guten und zum Bösen, wusste sie sehr wohl, was sie da tat. Die Freiheit zum Experimentieren im menschlichen Leben ist eine großartige Sache. Ohne die Freiheit, Risiken einzugehen und Fehler zu machen, kann es keinen Fortschritt geben....

Dennoch entwickelt sich alles in Europa in Richtung Mechanisierung. Die totalitären Staaten halten nichts von individueller Veränderung, und selbst nicht-totalitäre Staaten sind gezwungen, ihnen zu folgen; sie tun das aus Gründen der Effizienz – um wessen Effizienz handelt es sich jedoch dabei? Um die Effizienz des Staates als organisierter Maschine, nicht um diejenige des Individuums. Das Individuum hat keine Freiheit, es entwickelt sich nicht. Organisiert ruhig, dabei muss es jedoch Platz für Freiheit und Plastizität geben.

...

Glaubt ihr, dass der Durchschnittsmensch von heute besser ist als ein Grieche vor 2500 Jahren oder als ein Inder aus der gleichen Epoche? Seht euch den Zustand des Hitler-Deutschlands an – man kann nicht sagen, dass es Fortschritte gegeben hat.

Ich bin mit den indischen Massen in Kontakt gekommen und fand sie besser als die Europäer derselben Klasse. Sie sind den europäischen Arbeiterklassen überlegen. Die letzteren mögen effizienter sein, aber das hat äußerliche Gründe.... Der irische Arzt, der in unser Gefängnis in Alipore kam, konnte sich nicht vorstellen, wie diese jungen Männer, die so sanftmütig und anziehend waren, Revolutionäre sein konnten. Ich fand selbst noch, dass der gemeine Kriminelle menschlicher und besser war als sein Gegenstück in Europa.

...

Es ist merkwürdig, wie eine Sache verdorben wird, wenn sie Anerkennung findet. Demokratie war noch etwas Besseres, als sie noch nicht Demokratie genannt wurde. Wenn etwas einen Namen erhält, scheint die Wahrheit sich aus ihm zu verflüchtigen....

(Ein Schüler:) Kommunismus begann mit einem hohen Ideal, und er ist sicherlich besser als Faschismus oder Nationalsozialismus.

Was heißt besser? Früher waren die Menschen unbewusste Sklaven, und nun im Kommunismus sind sie bewusste Sklaven.... Sie sind dem Staat, dem Diktator und der Partei verpflichtet. Sie können sich ihren Diktator noch nicht einmal aussuchen. Darüber hinaus wird derjenige, der abweicht, mitleidlos unterdrückt.... Die ganze Sache – was immer ihr Name – ist ein Betrug. Es ist unmöglich, die Menschheit durch politische Maschinerie zu verändern – das geht nicht.

*

27. Dezember 1938

Das alte indische System der Antike entstammte dem Leben, es hatte Platze für alles und jedes Interesse. Es gab Monarchie, Aristokratie, Demokratie; jedes Interesse wurde in der Regierung vertreten. In Europa hingegen entwuchs das westliche System dem Mental: sie lassen sich durch die Vernunft leiten und wollen alles sauber getrennt und trocken haben, ohne irgendeine Chance für Freiheit und Veränderung. Wenn es die Demokratie ist, dann allein Demokratie – kein Platz für irgend etwas anderes. Sie haben keinerlei Flexibilität.

Indien versucht jetzt, den Westen nachzuahmen. Die parlamentarische Regierungsform ist Indien nicht angemessen. Wir nehmen aber immer gerade das auf, was der Westen verworfen hat....

(Ein Schüler:) Was ist ihre Vorstellung der idealen Regierungsform für Indien?

Meine Vorstellung ähnelt der, die Tagore einmal beschrieben hat. Es mag da einen Rashtrapati an der Spitze geben, der mit beträchtlichen Vollmachten ausgestattet ist, um die Kontinuität der Politik zu gewährleisten, dazu eine Versammlung, die für die Nation repräsentativ ist. Die verschiedenen Provinzen verbinden sich zu einer Föderation, die an der Spitze geeint ist, wobei reichlich Platz für die Lokalkörperschaften verbleibt, entsprechend ihren lokalen Problemen Gesetze zu erlassen.

...

Was ist die Kongress-Partei gegenwärtig anderes als eine faschistische Organisation? Gandhi ist ein Diktator wie Stalin, ich sage nicht wie Hitler: Was Gandhi sagt, wird angenommen, und selbst die Arbeiterausschüsse folgen ihm; dann wird es weitergereicht an den All-India-Congress-Ausschuss, der es verabschiedet, und ebenso die Kongress-Partei. Es gibt da keine Gelegenheit für eine abweichende Meinung, es sei denn für Sozialisten, denen der Dissens gestattet wird, vorausgesetzt, es ist kein schwerwiegender Dissens. Was immer für Resolutionen dort verabschiedet werden, sind für alle Provinzen bindet, gleich ob diese Resolutionen den Provinzen angemessen sind oder nicht. Es gibt keinen Raum für irgendeine andere unabhängige Meinung. Alles wird vorher festgelegt, und den Leuten wird nur gestattet, über diese vollendeten Tatsachen zu sprechen – wie in Stalins Parlament. Als wir die nationale Bewegung gründeten, war unser Ausgangspunkt der Gedanke, die Kongress-Oligarchie rauszuschmeißen und die gesamte Organisation der breiten Masse zu öffnen.

Srinivas Iyengar hat sich wegen seiner Differenzen mit Gandhi aus der Kongress-Partei zurückgezogen.

Gandhi machte das Charkha [Spinnrad] zu einem religiösen Glaubensartikel und schloss alle Leute von der Kongressmitgliedschaft aus, die nicht zu spinnen gewillt waren. Wie viele selbst unter seinen eigenen Gefolgsleuten glauben an das Evangelium des Charkha? Ein solch ungeheure Verschwendung von Energie nur für ein paar Annas ist völlig irrational.

...

Gebt den Menschen Bildung, technisches Training und gebt ihnen die grundsätzlichen organischen Prinzipien der Organisation, aber nicht in politischer, sondern in geschäftlicher Hinsicht. Gandhi jedoch will keine solche industrielle Organisation, er geht zurück zum alten System der Zivilisation, und so kommt er wieder an mit seiner magischen Formel “Spinnen, spinnen, spinnen”. C.R. Das und einige andere könnten als Gegengewicht agieren. Das ist nichts als ein Fetisch.

*

30. Dezember 1938

Die Japaner haben eine herrliche Macht der Selbstkontrolle. Sie verlieren nie die Fassung oder streiten sich mit dir, aber wenn ihre Ehre verletzt wird, könnten sie dich umbringen. Sie können erbitterte Widersacher sein.... Die Japaner haben auch einen tiefen Sinn für Ritterlichkeit.... Es mag sein, dass diese Dinge eigentlich der Vergangenheit angehören. Es ist wirklich schade, dass ein Volk, das solche Ideale in die Praxis umgesetzt hat, sie durch den Kontakt mit der europäischen Zivilisation wieder verliert. Diese europäische Vulgarisierung hat Japan wirklich geschadet. Heute haben die meisten Leute dort eine merkantile Gesinnung, und sie würden für Geld alles tun....

(Ein Schüler:) Hat die europäische Zivilisation nichts Gutes an sich?

Sie hat das moralische Niveau der Menschheit erniedrigt.... Die Alten versuchten, an ihren Idealen festzuhalten, und sie bemühten sich, sie auf ein höheres Niveau anzuheben, während Europa nach dem I. Weltkrieg all seine Ideale verlor. Die Menschen sind zynisch und egoistisch usw. geworden.... Ich denke, dass geht alles auf die Kommerzialisierung zurück.

*

6. Januar 1939

Sind nicht alle Regierungen Räuber? Manche räubern vermittels der Legislative, andere direkt.

*

8. Januar 1939

(Ein Schüler:) Gandhi schreibt, dass die Gewaltlosigkeit, die einige Leute in Deutschland gegen Hitler anwanden, keinen Erfolg hatte, da sie nicht stark genug war, um ausreichend Glut zu erzeugen, um Hitlers Herz zu schmelzen.

Ich fürchte, das erforderte einen ziemlichen Hochofen!... Das Problem mit Gandhi ist, dass er es immer nur mit Engländern zu tun hatte, und Engländer haben gerne ein ruhiges Gewissen. Nebenbei möchte der Engländer seine Selbstachtung befriedigen, und es geht ihm um Weltachtung. Hätte es Gandhi jedoch mit den Russen oder mit den deutschen Nazis zu tun, hätten sie ihn schon lange aus dem Weg geräumt.

*

15. Januar 1939

Es lässt sich leicht einsehen, dass der Prozess der Evolution universell ist, und die menschliche Evolution lässt sich nicht auf einen Satz philosophischer Ideen oder praktischer Regeln reduzieren. Keine Epoche, kein Individuum, keine einzelne Gruppe hat das Monopol der Wahrheit. Das gleiche gilt für die Religionen – die christliche, die mohammedanische, usw.

...

Die Griechen hatten einen Sinn für Schönheit; ihr Leben war schön. Das einzige, was das moderne Europa nicht von den Griechen übernommen hat, ist deren Sinn für Schönheit. Man kann nicht sagen, dass das moderne Europa schön wäre, tatsächlich ist es hässlich.

Was sich über das antike Griechenland sagen lässt, gilt auch für das antike Indien. Es hatte Schönheit, einen Großteil derer es jedoch heute verloren hat. Die Japaner sind das einzige Volk, von denen man sagen kann, dass sie sich in ihrem Leben Schönheit bewahrt haben. Sie verlieren es heute jedoch schnell unter dem europäischen Einfluss.

Der Rückschritt des menschlichen Geistes in Europa ist erstaunlich.... Wir dachten während der letzten Jahre des 19. Jahrhunderts, dass der menschliche Verstand einen bestimmten Grad an Intelligenz erlangt hatte und das dieser befriedigt werden müsse, bevor irgendein neuer Gedanke angenommen werden könne. Es scheint jedoch, als könne man sich nicht auf den gesunden Menschenverstand verlassen, um dem Druck standzuhalten. Wir sehen heute die Akzeptanz der Nazi-Ideen; vor fünfzig Jahren wäre es unmöglich gewesen, ihre Akzeptanz vorherzusagen. Weiterhin ist die Leichtigkeit, mit der die besten Intellektuellen die Psychoanalyse und Freuds Ideen akzeptieren, erstaunlich.

...

Durch den Gang der Geschichte hat immer eine kleine Minderheit die Fackel getragen, um die Menschheit trotz ihrer selbst zu retten.

*

16. Januar 1939

(Ein Schüler:) Nana Saheb Sinde aus Baroda sprach auf einer Jugendversammlung und betonte dort die Notwendigkeit des militärischen Trainings für die Verteidigung des Landes. Seine Rede richtete sich gegen die gegenwärtige Welle der Gewaltlosigkeit.

Es ist gut, dass jemand seine Stimme erhebt, wenn Anstrengungen unternommen werden, aus der Gewaltlosigkeit die Methode zur Lösung aller Probleme zu machen.... Es ist mir nie gelungen, diesen gewaltlosen Widerstand zu ergründen.... Das Herz des Gegners durch passive Resistenz zu bewegen, ist etwas, das ich nicht verstehe....

Ich fürchte, Gandhi hat versucht, auf das Alltagsleben anzuwenden, was zur Spiritualität gehört. Gewaltlosigkeit oder Ahimsa als spirituelle Haltung und Praxis ist vollkommen verständlich und steht für sich. Man braucht sie nicht in toto zu akzeptieren, sie hat jedoch eine Grundlage in der Wirklichkeit. Man kann sie im spirituellen Leben anwenden, sie aber auf alles Leben anzuwenden, ist absurd.... Es handelt sich um ein Prinzip, das mit Erfolg angewandt werden kann, wenn es auf Massenbasis praktiziert wird, besonders bei einem unbewaffneten Volk wie den Indern, denn in diesem Fall gibt es keine andere Wahl. Aber selbst wenn es Erfolg zeitigt, heißt das nicht, dass man das Herz des Feindes bewegt hat, sondern allein, dass man es ihm unmöglich gemacht hat, zu herrschen....

Was für ein ungeheurer Verallgemeinerer Gandhi ist! Passiver Widerstand, Charkha und das Zölibat für alle! Man darf kein Kongressmitglied sein, ohne nicht das Spinnrad zu betätigen!

*

18. Januar 1939

Mein Vorschlag ist eine spirituelle Lösung, sie zielt jedoch auf die Veränderung der gesamten Grundlage der menschlichen Natur ab. Es geht nicht darum, eine Massenbewegung weiterzuführen, noch handelt es sich allein um einige Jahre: es kann keine wirkliche Lösung geben, außer man etabliert Spiritualität als Grundlage des Lebens.

Es ist klar, dass das Mental nicht in der Lage gewesen ist, die menschliche Natur radikal zu verändern. Man kann menschliche Institutionen unaufhörlich verändern, und doch werden die menschlichen Schwächen in allen Institutionen wieder durchbrechen.

*

21. Januar 1939

Nivedita nahm Politik als Teil von Vivekanandas Werk auf.... Vivekananda hatte selbst klare Vorstellungen in Bezug auf politische Arbeit, und er hatte Schübe revolutionären Feuers.... Es ist seltsam, wie viele Sannyasins in dieser Zeit an die Freiheit Indiens dachten143.

*

26. Januar 1939

(Ein Schüler:) In Indien werden die Tiere des Waldes dezimiert.

Die Wälder müssen erhalten werden und ebenso die Fauna. China zerstörte alle Wälder, und das Ergebnis davon ist, dass es jedes Jahr eine Flut gibt.

...

Im Sozialismus interveniert der Staat bei jedem Schritt mit seinen Beamten, die Geld stehlen.... Die Staatsbürokratie diktiert die Politik unabhängig vom Wohl der Gemeinschaft. Im Kommunismus werden Grund und Boden als Gemeinschaftseigentum der ganzen Einheit genommen, und jeder hat die Berechtigung auf einen Arbeitsplatz und auf seinen Anteil des Gesamterzeugnisses.

In Indien haben wir eine Art Kommunismus der Dörfer. Das ganze Dorf ist wie eine große Familie, und auch der Niedrigste hat sein Recht als Mitglied der Familie. Der Wäscher, der Zimmermann, der Schmied, der Barbier, alle erhielten, was sie brauchten. Dies ist der einzige Kommunismus, der praktikabel ist. Jede Gemeinschaft kann unabhängig sein, und viele solcher Einheiten können über das Land verstreut sein, und sie können ihre Aktivitäten für einen gemeinsamen Zweck miteinander verbinden und koordinieren.

*

29. Januar 1939

Hast du gehört, was C.R. Das über Kriminelle gesagt hat? Er sagte: “In meiner ganzen Karriere als Rechtsanwalt habe ich nie schlimmere Typen von Kriminellen getroffen als in der Politik.”

...

Es ist besser, die Kapitalistenklasse nicht zu zerstören, wie es der Sozialismus will: sie ist die Quelle des nationalen Wohlstands. Man muss sie dazu ermutigen, Geld für die Nation auszugeben. Steuern sind in Ordnung, aber man muss die Produktion vergrößern, neue Industriezweige aufbauen, sowie den Lebensstandard erhöhen. Ohne diese Maßnahmen führen Steuererhöhungen nur zu einer Depression.

*

2. Februar 1939

Heute wollen die Leute den modernen Typus von Demokratie – die parlamentarische Regierungsform. Das parlamentarische System ist zum Untergang verurteilt. Es hat Europa in seinen gegenwärtigen mitleiderregenden Zustand versetzt....

In Indien sollte man in den Dörfern mit dem alten Panchayat-¬System beginnen und sich dann zur Spitze hocharbeiten. Das Panchayat-System und die Gilden waren repräsentativer, und sie hatten einen lebendigen Kontakt mit den Menschen, sie waren Bestandteil der Gedankenwelt der Menschen. Im Gegensatz dazu ist das parlamentarische System mit seinen lokalen Körperschaften – den Gemeinderäten – nicht durchführbar: die Räte haben keinen lebendigen Kontakt mit den Menschen, die Ratsherren schwingen allein Kanzelreden, und niemand weiß, was sie die nächsten drei oder vier Jahren tun. Am Ende dieser Periode mischen sie alles durch und arrangieren es neu und bringen ihre Schäfchen während ihrer Zeit an der Macht ins Trockne.

*

28. November 1939

(Ein Schüler:) X hat sich über die Leiden der bengalischen Hindus beschwert. Er meint, dass hier eine kulturelle Eroberung stattfindet.

Wie? Hindus werden Mohammedaner?

Nein, keine religiöse Eroberung, sondern eine kulturelle, die Hindu-Kultur wird durch die moslemische ersetzt. In Schulen und Colleges werden den Studenten Bücher über moslemische Kultur aufgezwungen.

Warum reagieren die Hindus nicht darauf?

(Ein anderer Schüler:) Anstatt zu klagen, sollten sie etwas organisieren.

Absolut.

*

30. Dezember 1939

(Ein Schüler:) Einige Leute haben etwas dagegen, “Bande Mata¬ram” als Nationalhymne einzuwenden. Und einige Kongressabgeordnete haben sich für die Entfernung bestimmter Passagen des Liedes ausgesprochen.

In diesem Fall sollten die Hindus ihre Kultur aufgeben.

Sie argumentieren, dass das Lied von Hindu-Göttern spricht wie Durga zum Beispiel, und das ist für Moslems beleidigend.

Dabei ist es kein religiöses Lied: es ist ein nationales Lied, und die Durga, von der gesprochen wird, ist Indien als die Mutter. Warum sollten das die Moslems nicht akzeptieren? Es ist ein Bild, das in der Dichtung verwendet wird. Im indischen Begriff der Nationalität wäre der Hindugesichtspunkt natürlich vorhanden. Wenn es dort keinen Platz findet, kann man von den Hindus gleich fordern, sie sollten ihre Kultur aufgeben. Die Hindus haben auch nichts gegen “Allah-oh-Akbar”....

Warum sollte der Hindu nicht seinen Gott anbeten? Ansonsten müssten die Hindus entweder das Mohammedanertum annehmen oder die europäische Kultur oder zu Atheisten werden....

Ich sagte C.R.Das 1923, dass die Hindu-Moslem Frage geklärt werden muss, bevor die Briten gehen, ansonsten bestünde die Gefahr eines Bürgerkrieges. Er stimmte damit überein und wollte die Frage lösen....

Anstatt das Notwendige zu tun, flirtet die Kongress-Partei mit Jinnah, und Jinnah glaubt einfach, dass er stur an seinen Bedingungen festhalten muss, um sie zu erhalten. Je mehr sie sich darauf einlassen, um so hartnäckiger wird Jinnah.

*

3. Januar 1940

(Ein Schüler:) Von X, der auch ein I.C.S. ist, heißt es, er sei brillant.

Warum ging er dann ins I.C.S., um sich dort zu verschwenden?... In der Beamtenroutine verliert man alle Eigenschaften der Brillanz. Es gibt dort keinen Raum dafür.

*

5. Februar 1940

(Ein Schüler:) Der Dominion-Status wird von Subhas Bose ein Kompromiss genannt; er verlangt die Unabhängigkeit.

Es ist nur an der Oberfläche ein Kompromiss, praktisch aber bedeutet es die Unabhängigkeit: man erhält, was man, will ohne unnötigen Kampf. Wenn du nach eigenem Gutdünken von der britischen Verbindung sezedieren kannst, bedeutet das praktisch die Unabhängigkeit144. Unabhängigkeit ist gut und schön, wenn man auf eine Revolution vorbereitet ist – ist das Land jedoch dazu bereit?

*

2. April 1940

(Mit einem Lächeln) Habt ihr den Bericht über die All-Indien-Straßenfeger Konferenz in Lahore gesehen, unter dem Vorsitz von Sardul Singh? Sie haben sich gegen Jinnahs moslemisches Indienschema aufgelehnt und gesagt, wenn Indien geteilt würde, sollten sie auch einen separaten Teil haben. Ich lag also nicht so falsch, als ich sagte, dass auch die Friseure jetzt eine Agitation für ein eigenes Indien beginnen würden!

*

5. Mai 1940

Die Moslemische Liga sagt jetzt, sie seien die einzigen Repräsentanten der Moslems, und die Regierung unterstütze sie. Die Kongress-Partei stellt sich auch halbherzig gegen den Plan der Gründung Pakistans....

Die Kongress-Partei und andere Leute rufen alte Schlagworte unter veränderten Bedingungen aus. Es gab einmal eine Zeit, da war der Ruf nach Unabhängigkeit in Ordnung, nun ist der Dominion-Status dem beinahe gleichwertig, und mit der Zeit erhält man eigentlich die Unabhängigkeit. Darüber hinaus ist es unter den gegenwärtigen Bedingungen die beste Chance im Gegensatz zu Charkha und Gewaltlosigkeit....

(Ein Schüler:) Falls Hitler in Indien einfällt, wird Gandhi erklären, wir seien alle gewaltlos.

Hitler wäre darüber entzückt.

Ja, er wird alle mit Maschinengewehren hinwegfegen. Gandhi glaubt, er ließe sich bekehren.

Das ist eine wunderbare Idee, aber sie ist nicht glaubwürdig. Gibt es überhaupt irgend jemanden, der wirklich an seine Gewaltlosigkeit glaubt?... Würde er sich einer Armee mit seiner Charkha entgegenstellen?

*

17. Mai 1940

Es scheint, es sind nicht nur fünf oder sechs von unseren Leuten [d.h. von den Ashram-Mitgliedern], sondern mehr als die Hälfte von ihnen, die mit Hitler sympathisieren und wollen, dass er gewinnt145.

(Ein Schüler, lachend:) Wirklich die Hälfte?

Nein, das ist nichts, über das man lachen könnte. Das ist bitterer Ernst.... Wenn diese Leute wollen, dass der Ashram aufgelöst werden sollte, sollen sie kommen und es mir sagen, und ich werden den Ashram auflösen, anstatt dass es die Polizei tut. Sie haben keine Ahnung von der Welt und reden wie Kinder. Der Hitlerismus ist die größte Gefahr, mit der es die Welt jemals zu tun hatte – wenn Hitler gewinnt, glauben sie denn, dass Indien jemals irgendeine Chance hat, frei zu sein? Es ist eine bekannte Tatsache, dass Hitler ein Auge auf Indien geworfen hat. Er spricht offen von Weltreich....

Ich habe gehört, dass K., ein Schüler, davon spricht, dass Russland heute ankommen und Indien erobern könnte. Genau diese Art von Sklavenmentalität ist es, die Indien im Zustand der Hörigkeit hält. Er hat Anmaßungen auf Spiritualität – weiß er denn nicht, dass das Erste was Stalin machen würde, wäre, alle Spiritualität aus Indien wegzufegen?...

*

18. Mai 1940

(Ein Schüler:) Über D. machten sich andere “Schüler” lustig, weil er für die Alliierten ist. Als er bemerkte, dass ihn Hollands Niederlage in Trauer versetzte, meinten sie: “Du bist für die Alliierten?”

Freuen sie sich darüber, dass Holland besetzt ist? Das ist verrückt, und doch wollen sie Freiheit für Indien! Das ist etwas, das ich nicht schlucken kann. Wie können sie mit Hitler sympathisieren, der andere Nationen zerstört und ihnen ihre Freiheit nimmt? Sie machen sich nicht allein über eine Pro-Alliierten-Sympathie lustig, sondern über Sympathie für die Menschheit.

*

21. Mai 1940

(Ein Schüler:) Gandhi schreibt im Harijan, dass es zwischen Imperialismus und Faschismus kaum eine Wahl gibt. Er sieht da kaum einen Unterschied.

Es gibt einen großen Unterschied. Unter dem Faschismus wäre er nicht in der Lage, so etwas zu veröffentlichen oder irgend etwas gegen den Staat zu sagen, er würde einfach erschossen.

Und er glaubt immer noch, dass wir durch Gewaltlosigkeit unser Land verteidigen können.

Gewaltlosigkeit kann nichts verteidigen. Man kann dadurch nur sterben.

Er glaubt, dass durch einen solchen Tod das Herz des Gegners bewegt werden könne.

Wenn dem so ist, dann aber erst nach zwei oder drei Jahrhunderten.

*

28. Mai1940

Hast du gelesen, was Gandhi einem Korrespondenten geantwortet hat? Er sagte, wenn 80 Millionen Moslems einen separaten Staat verlangten, was würde den 250 Millionen Hindus dann anders übrig bleiben, als sich zu ergeben? Ansonsten gäbe es einen Bürgerkrieg.

(Ein Schüler:) Ich hoffe, das ist nicht die Art von Versöhnung, die er sich vorstellt.

Die er sich nicht vorstellt, sagst du? Er hat das tatsächlich gesagt und beinahe nachgegeben. Wenn du der Gegenpartei von vornherein nachgibst, werden sie um so stärker auf ihren Forderungen beharren. Das bedeutete, dass die Minderheit herrschen würde und die Mehrheit sich unterwerfen müsste. Die Minderheit dürfte sagen: “Wir sind die Herrscher und ihr die Diener. Unser Harf [Wort] sei Gesetz – ihr müsst gehorchen.” So ein Standpunkt bezeugt einen sehr eigenartigen Geist. Ich denke, dass diese Art von Leuten nicht alle Tassen im Schrank haben.

*

17. Juni 1940

(Die deutschen Truppen marschierten wenige Tage früher in Paris ein, am 17. schlug Pétain einen Waffenstillstand vor.)

(Ein Schüler:) Ich glaube, jeder erkennt jetzt die Gefahr, die in Hitlers Besetzung von Frankreich läge.

Erkennt Indien das wirklich? Jeder ist nur mit seinen eigenen Interessen beschäftigt, und niemand betrachtet die Dinge im Licht der Weltlage. Das Kongress-Komitee ist jetzt in Beratung eingetreten; wird es die Gefahr erkennen?

(Ein anderer Schüler:) Ich denke doch.

Das wollen wir hoffen. Nehru scheint seine Augen zu verschließen, und er nennt all diese Befürchtungen den Spuk einer Auslandsinvasion.

*

18. Juni 1940

(Ein Schüler:) Einige Leute in Indien verteidigen Frankreichs Friedensangebot146. Sie sagen sich: “Was kann Frankreich denn tun? Seine Armee ist vernichtet worden....”

Das ist die typisch indische Mentalität. Deshalb befindet sich Indien im Zustand der Unterjochung. Nur weil eine Armee eine Niederlage erlitten hat, muss sie sich deshalb gleich ergeben? Und ferner, muss eine unterjochte Nation immer eine unterjochte Nation bleiben? Würde sie nicht für ihre Freiheit kämpfen?... Größe liegt darin, den Kampf nicht aufzugeben und sich zu weigern, die Niederlage als endgültig anzusehen.

*

21. Juni 1940

In Kaschmir hatten die Hindus das Monopol. Wenn jetzt den moslemischen Forderungen stattgegeben wird, werden die Hindus ausgelöscht.

*

25. Juni 1940

Die Hauptbeschäftigung des modernen Menschen scheint das Erfinden von Massenvernichtungsmitteln und die Verteidigung gegen sie zu sein....

(Ein Schüler:) Haben Sie gelesen, was Jawaharlal sagt?

Ja, dass er davon ausgeht, dass es nicht die leiseste Wahrscheinlichkeit einer großen auf Indien gerichteten Invasion gibt. Höchstens eine keine Invasion von Afghanistan oder ähnlichen Orten aus hielte er vielleicht für möglich?...

Wenn Nehru so spricht, wie können wir das dann anderen übelnehmen? Und von Nehru denkt man, dass er sich in internationaler Politik wie in seiner Westentasche auskennt!

Alles Wissen, das die meisten indischen Politiker von der internationalen Lage haben, beschränkt sich auf einige Illusionen in Bezug auf extreme politische Ideen, die überall in der Praxis schon zerschmettert wurden.

*

4. Juli 1940

(Ein Schüler:) Gandhi hat durch den Vizekönig der britischen Regierung seine Hilfe angeboten und die Briten aufgefordert, ihre Waffen niederzulegen und Gewaltlosigkeit zu praktizieren.

Er hat nicht alle Tassen im Schrank.

Während er sie auffordert, ihre Waffen niederzulegen, möchte er, dass sie ihre Zuversicht aufrechterhalten.

Um in der Realität unterdrückt zu werden147!

*

7. Juli 1940

Mit Bose auf der einen Seite und Gandhi auf der anderen wird die zukünftige Einheit schwierig. Würden die Hindus und die Moslems jetzt eine gemeinsame Forderung stellen, würde die britische Regierung sich fügen müssen148.

*

7. Oktober 1940

(Ein Schüler:) Liegt es an der britischen Teile-und-¬Herrsche-Politik, dass wir keine Einheit finden können?

Unsinn! Gab es vor der britischen Herrschaft Einheit in Indien?

Jetzt aber, nachdem unser Nationalbewusstsein stärker entwickelt ist, besteht eine größere Chance auf Einheit, wenn die Briten Jinnah und seinen moslemischen Forderungen keinen Zuspruch geben.

Will Jinnah die Einheit?... Was er möchte, ist Unabhängigkeit für Moslems und wenn möglich, Herrschaft über Indien. Das ist der alte Geist.... Warum wird denn erwartet, dass sich Moslems so anpassen werden? Überall fordern Minderheiten ihre Rechte. Natürlich mag es einige Moslems geben, die anders sind, nationalistischer in ihren Ansichten: selbst Azad hat seine eigenen Bedingungen, nur sieht er Indiens Einheit als vordringlich an und stellt seine weiteren Bedingungen dahinter zurück.

*

12. Oktober 1940

(Ein Schüler:) Wie lange wird Hitler diese Rassen in den Ländern, in die er eingefallen ist, unterjochen können? Sie werden sich eines Tages gegen ihn auflehnen.

Was ist mit Polen und der Tschechoslowakei? Das sind zwei der heroischsten Nationen der Welt und doch, was können sie tun?

Das Problem mit Indien ist, dass die britische Regierung bis jetzt nicht ein einziges Versprechen gehalten hat. Niemand traut ihr mehr über den Weg.

Es ist eine Tatsache, dass die Briten Indien nicht zutrauen ihnen zu helfen, wenn es den Dominion-Status erhält. Ansonsten hätten sie es schon erteilt.

Ich glaube nicht, dass Indien, wenn wir etwas bekommen, seine Hilfe verweigert.

Glaubst du? Ich bin mir dessen nicht so sicher. Was hältst du von den Linksradikalen, Kommunisten und Subhas Bose zum Beispiel? Und es ist nicht wahr, dass die Briten bisher nichts gegeben haben.... Sie gaben den Provinzen Autonomie, und sie übten keinerlei Vetomacht aus. Die Kongress-Partei hat mit ihrem Rücktritt alles verdorben149. Wären sie nicht zurückgetreten, sondern hätten auf das Zentrum Druck ausgeübt, dann hätten sie jetzt, was sie wollten. Ich unterstütze die Briten in diesem Krieg aus zwei Gründen: erstens aus dem Eigeninteresse Indiens heraus und zweitens um das Wohl der Menschheit Willen – die Gründe, die ich angeführt habe, sind äußerer Natur, doch ich habe auch spirituelle Gründe dafür150.

VI. 1940 – 1950

(Dieser Teil besteht aus Auszügen aus Schriften, Briefen und Botschaften)

Anfang 1940

Gegenwärtig durchläuft die Menschheit eine evolutionäre Krise, in der sich die Wahl ihres Schicksals verbirgt.... Der Mensch hat ein Zivilisationssystem geschaffen, das für die Verwendung und Verwaltung durch seine beschränkte mentale Kapazität, sein mentales Verständnis und seine noch beschränktere spirituelle und moralische Kapazität zu groß geworden ist, ein zu gefährlicher Diener seines strauchelnden Egos und seiner verschiedenen Begierden....

Da die Bürde, die der Menschheit auferlegt wurde, zu groß ist für die gegenwärtige Geringfügigkeit der menschlichen Persönlichkeit, ihres kleinlichen Mentals und seiner begrenzten Lebensinstinkte, weil sie die notwendige Veränderung nicht bewerkstelligen kann, da sie die neue Apparatur und Organisation benutzt, um dem alten infraspirituellen und infrarationalen Lebensselbst der Menschheit zu dienen, scheint die Bestimmung des Menschengeschlechtes gefährlich in eine langanhaltende Verwirrung und ernste Krise und Finsternis einer wild wechselnden Unsicherheit zu steuern, gleichsam ungeduldig und sich selbst widerstrebend unter dem Antrieb des vitalen Egos, das von kolossalen Kräften ergriffen ist, die in derselben Größenordnung liegen wie die ungeheure mechanische Organisation des Lebens und der wissenschaftlichen Erkenntnis, die sie entwickelt hat, eine Skala, die zu groß ist, um von ihrem Verstand und ihrem Willen gehandhabt zu werden. Selbst wenn sich dies als vorübergehende Phase oder Erscheinung herausstellen sollte und eine annehmbare strukturelle Anpassung gefunden würde, die der Menschheit ermöglichen würde, weniger katastrophal auf ihrer unsicheren Reise voranzuschreiten, so kann es sich hier nur um eine kurze trügerische Ruheperiode handeln. Denn das Problem ist ein grundlegendes, und indem sie es stellt, konfrontiert sich die evolutionäre Natur im Menschen mit einer kritischen Entscheidung, die eines Tages im wahren Sinne gelöst werden muss, wenn das Menschengeschlecht seine Bestimmung erreichen oder auch nur überleben soll151.

*

4. Juli 1940

(In diesem Brief bezieht sich Sri Aurobindo insbesondere auf die Alliierten.)

Wären die Nationen oder die Regierungen, die blind Werkzeuge der göttlichen Kräfte sind, vollkommen rein und göttlich in ihren Prozessen und Handlungsformen sowie in der Inspiration, die sie so unwissend empfangen, so wären sie unbesiegbar, denn die göttlichen Kräfte selbst sind unbesiegbar. Eben die Vermischung im äußeren Ausdruck gibt dem Asura das Recht, sie zu besiegen152.

*

19. September 1940

(Eine Botschaft an den Gouverneur von Madras, die von einer Spende begleitet wurde. Diese Erklärung war Sri Aurobindos erste öffentliche Einflussnahme, seit er sich 1910 zurückgezogen hatte.)

Wir halten dies nicht allein für eine Schlacht, die in gerechter Selbstverteidigung und in Verteidigung jener Nationen ausgefochten wird, die mit der Weltherrschaft Deutschlands und des Nazisystems bedroht werden, sondern wir halten es darüber hinaus für eine Verteidigung der Zivilisation und ihrer höchsten gesellschaftlichen, kulturellen und spirituellen Werte sowie der gesamten Zukunft der Menschheit. Für dieses Ziel werden unsere Unterstützung und Sympathie unbeirrbar und unverbrüchlich sein, gleich was geschehen mag. Wir sehen dem Sieg Groß Britanniens entgegen und als darauf folgendes Ergebnis einer Ära des Friedens und der Einheit unter den Nationen und einer besseren und sicheren Weltordnung153.

*

31. März 1942

(In teilweiser Anerkennung der Unvermeidbarkeit von Indiens zukünftiger Unabhängigkeit sowie andernteils unter nordamerikanischem Druck, um sich Indiens Unterstützung während des Krieges zu sichern, sandte die britische Regierung im März 1942 Sir Stafford Cripps nach Indien mit einem Vorschlag für den Dominion-Status nach dem Kriege als ersten Schritt zur gänzlichen Unabhängigkeit. Sri Aurobindo schickte die folgende Botschaft an Cripps.)

Als einer, der einmal ein nationaler Führer und Arbeiter für Indiens Unabhängigkeit war, und obwohl mein heutiger Handlungsbereich nicht mehr im politischen, sondern im spirituellen Feld liegt, möchte ich Ihnen meine Wertschätzung zum Ausdruck bringen in Bezug auf alles, was Sie getan haben, um dieses Angebot zu ermöglichen. Ich heiße es als eine Möglichkeit für Indien willkommen, um selber in aller Unabhängigkeit die Wahl seiner Freiheit und Einheit zu bestimmen und zu organisieren und damit seinen wirksamen Platz unter den freien Nationen der Welt einzunehmen. Ich hoffe, dass Ihr Angebot akzeptiert und rechter Gebrauch von ihm gemacht wird und alle Zwistigkeiten und Verschiedenheiten beigelegt werden.... Ich entbiete Ihnen, für den Fall, dass dies für Ihre Arbeit von Nutzen sein kann, meine öffentliche Zustimmung154.

*

7. August 1943

(Auszug aus einem Gespräch)

Nach Dünkirchen kam ich offen mit meiner Erklärung heraus und machte die Spende öffentlich. Hätte ich mich an die Erscheinungen gehalten, hätte ich das nicht tun können. Gerade trotz widriger Erscheinungen muss man dem Glauben nach handeln.... Verlässt man sich auf den Verstand, kann man die Wahrheit nicht erkennen....

Unsere Leute verstehen nicht, warum jemand, der das göttliche Bewusstsein oder das Brahman-Bewusstsein hat, in einem Kampf Seiten beziehen sollte. Neutralität ist in Ordnung, wenn man daran interessiert ist, im statischen Brahman zu verweilen, dann kann man die ganze Sache als Maya betrachten, und sie existiert für einen nicht.

Ich jedoch glaube an Brahman, der gegen Brahman Stellung bezieht – das hat der Brahman, denke ich, schon immer getan.... Krishna bezog in der Mahabharata eindeutig Stellung, und auch Rama tat das.

*

3. September 1943

(Auszug aus einem Brief an einen Schüler)

Wir [Sri Aurobindo und Mutter] haben in einem Brief, der veröffentlicht wurde, klar zum Ausdruck gebracht, dass wir den Krieg nicht als Kampf zwischen Nationen und Regierungen betrachten (weniger noch als Widerstreit zwischen guten Völkern und schlechten Völkern), sondern als Kampf zwischen zwei Kräften, der Göttlichen und der Asurischen. Der Punkt, in dem wir klarsehen müssen, ist, auf welche Seite sich Menschen und Nationen stellen. Stellen sie sich auf die richtige Seite, machen sie sich damit sofort zu Werkzeugen des göttlichen Zweckes, trotz aller Mängel, Fehler, falschen Regungen und Handlungen, die der menschlichen Natur und allen menschlichen Kollektiven eigen sind. Der Sieg der einen Seite (der Alliierten) würde den Weg für die evolutionären Kräfte offen halten; der Sieg der anderen Seite würde die Menschheit zurückwerfen, sie entsetzlich entstellen, und würde im schlimmsten Fall sogar zum Scheitern des gegenwärtigen Menschengeschlechts führen, so wie andere in der vergangenen Evolution scheiterten und untergingen. Darin liegt die ganze Herausforderung, und alle anderen Erwägungen sind dagegen entweder irrelevant oder von untergeordneter Bedeutung. Die Alliierten standen wenigsten für menschliche Werte ein, auch wenn sie oft ihren eigenen höchsten Idealen entgegen arbeiten (Menschen tun das immer); Hitler steht dagegen für diabolische Werte oder für menschliche Werte, die auf falsche Weise übertrieben schließlich diabolisch werden (so z.B. die Tugenden des Herrenvolkes [im Original deutsch]). Deswegen werden die angelsächsischen oder amerikanischen Völker noch nicht zu makellosen Engeln oder die Deutschen zu einer bösen oder sündhaften Rasse, aber als Merkmal ist es doch ausschlaggebend.

...

Selbst wenn ich wüsste, dass die Alliierten ihren Sieg missbrauchen würden oder den Frieden stümperhaft verschwendeten oder teilweise die Chancen verdürben, die der Menschenwelt durch diesen Sieg eröffnet worden sind, so würde ich meine Kraft dennoch hinter sie stellen. In keinem Fall wären die Dinge auch nur einen hundertsten Teil so schlimm, wie sie es unter Hitler wären. Die Wege des Herren ständen noch immer offen – und was zählt, ist es, sie offen zu halten. Halten wir uns an die wirkliche, zentrale Tatsache: die Notwendigkeit, die Gefahr der schwärzesten Knechtschaft und wiederauflebenden Barbarei abzuwenden, die Indien und die Welt bedrohen....

P.S. Bestandteil unserer Sadhana ist nicht allein Hingabe oder Vereinigung mit dem Göttlichen oder seine Wahrnehmung in allen Dingen und Wesen, sondern Bestandteil unserer Sadhana ist auch die Tat als Arbeiter und Werkzeuge, sowie ein Werk, das in der Welt getan werden muss, oder eine Kraft, die unter schwierigen Bedingungen in diese Welt gebracht werden muss. Dann muss man seinen Weg sehen und tun, was befohlen, oder unterstützen, was zu unterstützen ist, selbst wenn das Krieg und Streit bedeutet, sei es mit Streitwagen und Pfeil und Bogen oder mit Panzern und Militärwagen und amerikanischen Bomben und Kampfflugzeugen, in jedem Fall ist es Ghoram Karman [ein entsetzliches Werk, Gita 3.1].... Und was Gewalt usw. angeht, so schallt uns das alte Kommando nach all den vergangenen Zeitaltern entgegen: “Mayaivaite nihatah purvameva nimittamatram bhava Savyasacin.[Durch mich und durch niemanden sonst sind sie bereits erschlagen, werde allein die Gelegenheit, o Arjuna! Gita 11.33]155.

*

Mitte der 1940-er Jahre

(Auszug aus einem Brief)

Ich betrachte die Geschäftswelt nicht als etwas Übles oder Anrüchiges, nicht mehr, als sie im antiken spirituellen Indien betrachtet wurde.... Alles hängt ab von dem Geist, in dem eine Sache getan wird, von den Prinzipien, auf denen sie sich gründet, und vom Gebrauch, der von ihr gemacht wird. Ich habe Politik getrieben und die gewalttätigste Art revolutionärer Politik, Ghoram Karman, und ich habe Krieg unterstützt und Männer in ihn entsandt, obwohl Politik nicht immer oder oft ein sehr sauberes Geschäft ist oder Krieg eine spirituelle Art der Tat genannt werden kann. Krishna ruft jedoch Arjuna auf, einen Krieg der entsetzlichsten Art zu führen und durch sein Beispiel Menschen zu ermutigen, jedwede Art von menschlicher Arbeit auszuführen, sarvakarmani. Du wirst nicht sagen wollen, dass Krishna ein un¬spiritueller Mensch war und sein Rat an Arjuna verfehlt oder dem Prinzip nach falsch?

...

Ich betrachte die spirituelle Lebensweise nicht für unablässig für die spirituelle Vollkommenheit oder als mit ihr identisch. Es gibt den Weg der spirituellen Selbstherrschaft und den Weg der spirituellen Selbsthingabe und Überantwortung an das Göttliche, im Ablassen von Ego und Begierde, selbst inmitten der Tat oder jedweder Art von Wirken oder von aller Art der Werke, die das Göttliche von uns fordert.... Die indischen heiligen Schriften und die indische Überlieferung in der Mahabharata und anderswo schaffen Raum sowohl für die Spiritualität der Entsagung des Lebens als auch für das spirituelle Leben der Tat. Man kann nicht sagen, dass das eine eine indische Tradition ist und das Akzeptieren von Leben und Werken jeder Art, Sarvakarmani, unindisch, europäisch oder westlich und unspirituell sei156.

*

September 1945

(Briefauszug)

Was die gegenwärtige menschliche Zivilisation angeht: Nicht sie muss errettet werden, sondern die Welt muss gerettet werden, und dies wird sicherlich geschehen, aber es mag nicht so leicht oder so bald geschehen, wie es sich einige wünschen oder vorstellen, oder in der Art und Weise, wie sie es sich vorstellen. Die Gegenwart muss sich sicherlich verändern, ob aber durch eine Zerstörung oder durch einen Neuaufbau auf der Grundlage einer größeren Wahrheit, das ist die Frage. Die Mutter hat die Frage noch in der Schwebe gelassen, und ich kann nur das Gleiche tun157.

*

19. Oktober 1946

(Auszug aus dem Brief an einen Schülers, der sein Entsetzen gegenüber den weitverbreiteten Gräueltaten zum Ausdruck brachte, die von Moslems gegen Hindus in Bengalen ausgeübt wurden, vor allem in den Naokhali und Tippera-Bezirken, dem heutigen Bangladesh. Diese organisierte Gewalt – gegen die die britische Regierung nichts unternahm – war Teil von Jinnahs Plan der “direkten Aktion”, die die Absicht hatte, die Unmöglichkeit des Zusammenlebens von Hindus und Moslems und damit die Unvermeidbarkeit von Pakistan zu demonstrieren.)

Was Bengalen angeht, stehen die Dinge dort wirklich schlecht; die Bedingungen der Hindus dort sind schrecklich, und es kann sein, dass sie sich weiter verschlechtern, trotz der übergangsweisen mariage de convenance in Neu Delhi158.

Wir dürfen unsere Reaktion dagegen jedoch nicht extrem werden oder Verzweiflung suggerieren lassen. Es sollte wenigsten zwanzig Millionen Hindus in Bengalen geben, und sie werden nicht ausgerottet werden – selbst Hitler mit seinen wissenschaftlichen Methoden des Massakers konnte die Juden nicht ausrotten, sie zeigen sich trotz allem noch immer sehr lebendig, und was die Hindu-Kultur angeht, sie ist kein so schwächliches Leichtgewicht, dass sie sich ohne weiteres ausmerzen ließe. Sie hat wenigstens fünf Jahrtausende überdauert und wird um vieles länger weiter bestehen und hat hinlänglich Kraft gesammelt um zu überleben. Was geschehen ist, ist für mich keine Überraschung. Ich habe es vorausgesehen, als ich in Bengalen war und die Leute warnte, dass dies wahrscheinlich und nahezu unvermeidlich eintreten würde und dass sie sich darauf vorbereiten sollten. In dieser Periode maß niemand dem, was ich sagte, irgendeine Bedeutung bei, obwohl später der eine oder andere sich erinnerte, als der Ärger begann, und zugab, dass ich recht gehabt hatte; allein C.R. Das hatte schwere Bedenken, und er sagte mir sogar, als er nach Pondicherry kam, dass er es nicht gerne sähe, dass die Briten das Land verließen, bis dieses schwierige Problem nicht eine Lösung gefunden habe. Ich aber habe mich von dem, was geschehen ist, nicht entmutigen lassen, da ich weiß und es hunderte von Malen erfahren habe, dass für den, der ein göttliches Werkzeug ist, jenseits der schwärzesten Finsternis das Licht des göttlichen Sieges liegt. Ich hatte noch nie einen starken und anhaltenden Willen für etwas, das in der Welt geschehen sollte (ich spreche nicht von persönlichen Angelegenheiten), das nicht im Laufe der Zeit eingetreten wäre, selbst nach Verzögerung, Niederlage und selbst Desaster. Es gab eine Zeit, in der Hitler überall siegreich war und es als sicher erschien, dass das schwarze Joch des Asuras der ganzen Welt auferlegt würde; wo aber ist Hitler heute und wo seine Herrschaft? Berlin und Nürnberg markierten das Ende dieses schrecklichen Kapitels der menschlichen Geschichte. Andere Finsternisse drohen, die Menschheit zu überschatten oder selbst zu verschlingen, aber auch sie werden so enden wie dieser Albtraum endete159.

*

2. Dezember 1946

(Briefauszug)

Mutter Indien ist nicht einfach ein Stück Erde; sie ist eine Macht, eine Gottheit, denn alle Nationen haben eine solche Devi, die ihre separate Existenz unterstützt und sie im Seinszustand erhält. Diese Wesenheiten sind wirklicher und andauernder wirklich als die Menschen, die sie beeinflussen, sie gehören jedoch einer höheren Ebene an, sie sind Teil des kosmischen Bewusstseins und Seins, und sie handeln hier auf Erden durch die Gestaltung des menschlichen Bewusstseins, auf das sie ihren Einfluss ausüben. Für den Menschen, der allein sein eigenes Bewusstsein sieht, wie es individuell, national oder im Menschengeschlecht als Ganzes am Werk ist, ist es nur natürlich zu denken, dass alles von ihm erschaffen wurde und dass nichts Kosmisches oder Größeres hinter ihm stände, er sieht jedoch nicht, was auf sein Bewusstsein einwirkt und es gestaltet160.

*

22. Dezember 1946

(Bemerkung zu einem Schüler über die politische Szene Indiens.)

Von ihnen allen ist Patel161 der einzige starke Mann162.

*

9. April 1947

(Auszug aus einem Brief)

Die Schwierigkeiten, die Sie spüren, sind im Ashram sowie in der Außenwelt allgemein. Zweifel, Entmutigung, Minderung oder Verlust des Glaubens, Abnahme des vitalen Enthusiasmus für das Ideal, Ratlosigkeit und eine Dämpfung der Hoffnung auf die Zukunft sind die allgemeinen Merkmale der Schwierigkeit. In der Außenwelt gibt es viel schlimmere Symptome, so wie die allgemeine Zunahme des Zynismus, eine Weigerung, überhaupt an irgend etwas zu glauben, eine Abnahme der Aufrichtigkeit, eine ungeheure Korruption, eine Beschäftigung mit Essen, Geld, Bequemlichkeit, Genuss bis zum Ausschluss höherer Dinge und eine allgemeine Erwartung, dass immer schlimmere Dinge auf die Welt zukommen. All das ist, wie auch immer akut, ein zeitlich beschränktes Phänomen, auf das diejenigen, die überhaupt etwas über das Wirken der Weltenergie und das Wirken des Geistes wissen, vorbereitet waren. Ich selbst habe das Kommen dieses Schlimmsten vorhergesehen, die Schwärze der Nacht vor der Morgenröte, deshalb bin ich nicht entmutigt. Ich weiß, was sich hinter der Dunkelheit vorbereitet, und kann die ersten Anzeichen seines Kommen sehen und spüren. Diejenigen, die nach dem Göttlichen suchen, müssen Standfestigkeit zeigen und in ihrer Suche beharren. Nach einer Weile wird die Dunkelheit verblassen und zu verschwinden beginnen, und das Licht wird kommen163....

*

15. August 1947

(Eine Passage aus Sri Aurobindos Botschaft anlässlich Indiens Unabhängigkeit. Der 15. August ist auch Sri Aurobindos eigener Geburtstag.)

Indien ist nun frei, aber sie hat noch keine Einheit erreicht, allein eine zerrissene und gebrochene Freiheit. Die alte kommunale Trennung in Hindus und Moslems scheint sich zu einer Gestalt andauernder politischer Teilung des Landes verhärtet zu haben. Es steht zu hoffen, dass die Kongress-Partei und die Nation diese ausgemachte Tatsache nicht als für immer ausgemacht akzeptiert oder als etwas anderes als eine zeitlich begrenzte Notlösung. Denn wenn sie andauern sollte, könnte Indien ernsthaft geschwächt, ja verkrüppelt werden: ein Bürgerkrieg bleibt jederzeit möglich, möglich selbst eine neue Invasion und Fremderoberung. Die Spaltung des Landes muss verschwinden – hoffentlich durch ein Nachlassen der Spannung, durch ein fortschreitendes Verständnis für den Bedarf nach Frieden und Eintracht, durch die beständige Notwendigkeit einer gemeinsamen und konzertierten Aktion, selbst der eines Werkzeuges der Einheit für diesen Zweck. So mag die Einheit in gleich welcher Form kommen – die genaue Form mag eine pragmatische aber keine grundsätzliche Bedeutung haben. Gleich durch welches Mittel muss und wird die Teilung verschwinden. Denn durch sie würde die Bestimmung Indiens ernsthaft beeinträchtigt und selbst vereitelt, und das darf nicht sein164.

*

1947(?)

(Aus Bemerkungen an Biographienschreiber)

Die Vorstellung zweier Nationalitäten in Indien ist eine dieser modisch-überspannten Ansichten, die Jinnah für seine Zwecke erfunden hat und die den Tatsachen entgegen steht. Mehr als 90 % der indischen Muselmanen sind Nachfahren konvertierter Hindus, und sie gehören der indischen Nation ebenso an wie die Hindus selbst. Dieser Prozess der Konversion hat die ganze Zeit stattgefunden; Jinnah selbst ist Abkömmling eines Hindu namens Janahbai, der erst vor recht kurzer Zeit konvertierte, und viele der bekanntesten islamischen Führer sind ähnlichen Ursprungs.

*

Die Geschichtsschreibung zeichnet selten die Dinge auf, die entscheidend waren, sich aber hinter der Bühne abspielten; sie zeichnet das Spiel auf, das sich vorne auf der Bühne zuträgt.... Mein Wirken, der Bewegung in Bengalen zu Beginn des Jahrhunderts seine militante Wendung zu geben oder selbst die revolutionäre Bewegung zu gründen, sind kaum bekannt165.

*

Es gibt in einigen Stellen die Ansicht, dass Sri Aurobindos politischer Standpunkt gänzlich pazifistisch war, dass er im Prinzip und in der Praxis gegen alle Gewalt war und dass er Terrorismus, Aufstände usw. als nach dem Geist und Buchstaben der Hindu Religion gänzlich verboten verwarf. Es ist sogar unterstellt worden, dass er ein Vorreiter des Ahimsa-Evangeliums war. Das ist völlig unrichtig. Sri Aurobindo ist weder ein machtloser Moralist noch ein schwächlicher Pazifist.

Die Regel, die politische Tat auf passiven Widerstand zu beschränken, wurde im damaligen Stadium, d.h. 1905 und danach, als beste Politik für die nationale Bewegung angenommen, sie war kein Bestandteil eines Evangeliums der Gewaltlosigkeit oder des pazifistischen Idealismus. Frieden ist Teil eines höchsten Ideals, er muss jedoch spirituell oder doch wenigstens von seiner Grundlage her psychologisch sein – ohne eine Veränderung der menschlichen Natur kann er sich nicht mit Endgültigkeit einstellen. Wird er auf gleich welcher anderen Grundlage (sei es als moralisches Prinzip oder Evangelium des Ahimsa usw.) gesucht, so wird er fehlschlagen und könnte die Dinge selbst schlimmer hinterlassen, als sie es vorher waren.

...

Sri Aurobindos Haltung und Praxis in dieser Sache waren die gleichen wie Tilaks und diejenigen der anderen nationalen Führer, die mitnichten Pazifisten oder Anbeter des Ahimsa waren166.

*

18. Juli 1948

(Aus einem Brief)

Ich fürchte, ich kann – wenigstens was die Gegenwart angeht – für diejenigen Ihrer Briefpartner, die den gegenwärtigen Stand der Dinge beklagen, keinen Trost anbieten. Die Dinge stehen schlecht, werden schlechter und mögen jederzeit den schlimmsten Stand erreichen oder schlimmer als das Schlimmste – wenn das möglich ist –, und alles, wie auch immer paradox, erscheint möglich in der gegenwärtigen verstörten Welt. Das beste für sie ist, sich darüber klar zu werden, dass all dies notwendig war, weil bestimmte Möglichkeiten auftreten mussten, um sie loszuwerden, wenn eine neue und bessere Welt überhaupt kommen sollte, und es hätte nichts genützt, sie auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben.... Sie mögen sich an das Sprichwort erinnern, dass die Nacht am schwärzesten vor der Morgenröte ist und dass das Kommen des Morgens unumgänglich ist. Sie müssen sich jedoch auch vergegenwärtigen, dass die neue Welt, deren Kommen wir vorhersehen, nicht aus dem gleichen Stoff geschaffen sein wird wie die alte und das nur ein anderes Grundmuster haben würde, sondern dass sie durch andere Mittel kommen muss – von innen und nicht von außen. So ist es das Beste, sich nicht zu sehr mit den beklagenswerten Dingen zu beschäftigen, die außen geschehen, sondern selbst innen zu wachsen, damit man für die neue Welt bereit sei, gleich welche Gestalt sie annehmen mag167.

*

Dezember 1948

(Auszug aus einer Botschaft an die Andhra-Universität, die Sri Aurobindo am 11. Dezember den Sir-Cattamanchi-Ramalinga-Reddy-Nationalpreis verlieh.)

Indien, durch die Himalajas und den Ozean eingeschlossen in ein gesondertes Dasein, war schon immer die Heimat eines einzigartigen Volkes mit Charakteristiken, die merklich verschieden sind von allen anderen, mit seiner eigenen ausgeprägten Zivilisation, Lebens- und Geistesart, verschiedener Kultur, Kunst, Gesellschaftsstruktur. Es hat alles absorbiert, was in es eingetreten ist, hat ihm die indische Prägung aufgedrückt und die verschiedensten Elemente zu einer grundlegenden Einheit zusammengeschmiedet. Dennoch ist es durchweg eine Masse unterschiedlicher Völker, Länder, Königreiche und, in früheren Zeiten, ebenfalls Republiken gewesen, sowie eine Anhäufung diverser Rassen und Unternationen mit einem ganz eigenen Charakter, die verschiedene Arten und Formen von Zivilisation und Kultur entwickelten, vielfältige Schulen der Kunst und Architektur, denen es trotzdem gelang, sich in den allgemeinen indischen Zivilisations- und Kulturtypus einzupassen. Die Geschichte Indiens ist durchweg durch eine Tendenz, eine beständige Bemühung gekennzeichnet, diese ganze Vielfältigkeit der Elemente in einem einzigen politischen Ganzen unter einer imperialen Zentralgewalt zu vereinen, so dass Indien politisch wie auch kulturell eins sein könne. Selbst nachdem durch den Einfall der mohammedanischen Völker mit ihrer sehr unterschiedlichen Religion und sozialen Struktur ein Bruch geschaffen worden war, gab es die fortwährende Bemühung um politische Vereinigung, und es gab ebenso eine Tendenz zur Vermischung der Kulturen und ihres gegenseitigen Einflusses aufeinander; es wurden sogar einige heroische Versuche unternommen, eine gemeinsame Religion aus diesen scheinbar unvereinbaren Glaubensrichtungen zu entdecken und zu schaffen, und auch hier gab es wechselseitige Einflüsse.

...

Die antike Vielschichtigkeit des Landes barg große Vorteile wie auch Nachteile in sich. Durch diese Unterschiede wurde das Land zur Heimat vieler lebendiger und pulsierender Lebens-, Kunst- und Kulturzentren, eine reichhaltige und glänzend gefärbte Vielfalt in der Einheit. Es wurde nicht alles auf einige Provinzhauptstädte oder eine imperiale Metropolis konzentriert, wobei andere Städte und Regionen eine untergeordnete und wenig bemerkenswerte oder gar kulturell verschlafene Stellung erhielten. Die ganze Nation lebte in ihren vielen Teilen ein volles Leben, und dies erhöhte die schöpferische Energie des Ganzen ungemein. Es besteht nicht länger die Möglichkeit, dass diese Vielfältigkeit die Einheit Indiens gefährden oder mindern wird. Jene ausgedehnten Gebiete, die sein Volk von Nähe und einem umfassenden Zusammenspiel abhielten, sind in ihrer trennenden Wirkung durch den Marsch der Wissenschaften und die Geschwindigkeit der Kommunikationsmittel überwunden worden. Der Gedanke der Föderation und einer vollständigen Maschinerie für ihre vollkommene Umsetzung ist entdeckt worden und wird voll zur Wirkung kommen. Vor allem ist der Geist patriotischer Einheit zu fest im Volk begründet worden, als dass er sich leicht auslöschen oder mindern ließe, auch würde er stärker durch die Weigerung gefährdet, das natürliche Spiel des Lebens der Unternationen zu gestatten, als durch der Genugtuung ihrer legitimen Bestrebungen. Selbst die Kongress-Partei hatte in den Tagen vor der Befreiung die Bildung eigensprachlicher Provinzen gelobt, und dies weiter zu verfolgen, wenn nicht augenblicklich so doch so schnell es zweckdienlicherweise möglich ist, kann wohl als der weiseste Kurs betrachtet werden168. Das nationale Leben Indiens wird sich dann auf seine natürlichen Stärken und dem Prinzip der Einheit in der Vielfalt gründen, das ihm immer nahe stand und dessen Erfüllung dem grundlegenden Verlauf seines Wesens und seiner ureigensten Natur entsprach, den Vielen im Einen, und würde es auf eine sichere Grundlage seines Swabhava und Swadharma stellen....

Ein Bund von Staaten und regionalen Völkern wäre dann erneut die Gestalt eines vereinten Indiens.

...

Zur Stunde des zweiten Jahres ihrer Befreiung muss die Nation erwachen und sich vieler weit schwerwiegenderer Probleme bewusst werden, großer Möglichkeiten, die sich ihrer eröffnen ebenso wie Gefahren und Schwierigkeiten, die, wenn man nicht weise mit ihnen umgeht, sehr wohl ungeheuerlich werden könnten.... Es gibt auch tiefere Kernfragen für Indien selbst, denn indem es einige verführerische Richtungen verfolgt, mag es gut vorstellbar eine Nation wie viele andere werden, eine reichhaltige Industrie und Wirtschaft, eine mächtige Organisation gesellschaftlichen und politischen Lebens, eine ungeheure militärische Stärke entwickeln, Machtpolitik mit einem hohen Grad an Erfolg betreiben, seine Gewinne und Interessen bewahren und ausweiten, selbst einen großen Teil der Welt dominieren, dennoch in diesem augenscheinlich prächtigen Fortschritt sein Swadharma verwirken, seine Seele verlieren. Das antike Indien und sein Geist könnten ganz und gar verschwinden, und wir hätten dann nur eine Nation wie viele andere, und das wäre dann weder für die Welt noch für uns ein wirklicher Gewinn. Es gibt auch die Möglichkeit, dass Indien auf harmlosere Weise im äußeren Leben Wohlstand entwickelt, jedoch dabei seine reich angesammelte und gut erhaltene spirituelle Erfahrung und sein spirituelles Wissen gänzlich verliert. Es wäre eine tragische Ironie des Schicksals, wenn Indien sein spirituelles Erbe in eben dem Augenblick abwerfen würde, in dem in der übrigen Welt in zunehmendem Maße eine Wendung zu seinem spirituellen Beistand und rettenden Licht einsetzt. Dies darf und wird nicht geschehen – es lässt sich jedoch nicht sagen, dass diese Gefahr nicht besteht. Tatsächlich gibt es zahlreiche andere und schwierige Probleme, die sich diesem Land stellen oder in Kürze stellen werden. Zweifellos werden wir durch alle Schwierigkeiten gewinnen, aber wir dürfen vor uns selbst nicht die Tatsache verschleiern, dass nach diesen langen Jahren der Unterjochung und ihrer hemmenden und schädigenden Wirkung eine große innere wie äußere Befreiung und Veränderung, ein weiter innerer und äußerer Fortschritt notwendig ist, wenn wir Indiens wahre Bestimmung erfüllen sollen169.

*

April 1950

(Aus einem späteren Nachwort von “Das Ideal der geeinten Menschheit”)

Die innewohnende Gottheit, die über die Bestimmung des Menschengeschlechtes herrscht, hat in den Köpfen und Herzen des Menschen die Vorstellung und Hoffnung einer neuen Ordnung erhoben, die die alte unbefriedigende Ordnung ersetzen und stattdessen Zustände im Weltleben einführen wird, die schließlich eine vernünftige Chance haben werden, dauernden Frieden und menschliches Wohlergehen zu schaffen.... Es liegt an den Menschen unserer Tage und höchstens jenen von Morgen, darauf zu antworten. Ein zu langes Aufschieben oder ein zu anhaltendes Verfehlen wird den Weg für eine Reihe von zunehmenden Katastrophen öffnen, die eine zu lange oder desaströse Verwirrung und ein Chaos stiften könnten und eine Lösung zu schwierig oder unmöglich machen würden; schließlich könnte es selbst zu etwas wie einem heillosen Zusammenbruch nicht allein der gegenwärtigen Weltzivilisation, sondern aller Zivilisationen kommen.

...

Der Schrecken der Zerstörung und selbst allgemeiner Ausrottung, der durch diese ominösen Entdeckungen geschaffen wurde170 könnte innerhalb der Regierungen und Völker einen Willen schaffen, den militärischen Gebrauch dieser Erfindungen zu bannen oder ihm vorzubeugen, solange die menschliche Natur sich jedoch nicht geändert hat, wird diese Vorbeugung unsicher und prekär sein, und ein skrupelloser Ehrgeiz könnte durch Geheimhaltung und Überraschung und ihren Einsatz in einem entscheidenden Moment die Chance erhalten, die ihm vorstellbarerweise den Sieg schenken könnte, und er könnte diese ungeheure Chance zu nutzen versuchen171.

*

(Im Oktober 1950, sechs Monate, nachdem Sri Aurobindo das folgende schrieb, fiel China in Tibet ein; ein Appell Tibets an die Vereinten Nationen traf auf taube Ohren, und Indien blieb ein schweigender Zuschauer. Im Oktober 1962 startete China eine Offensive gegen Indiens nördliche Grenzen.)

In Asien ist im Auftreten des kommunistischen Chinas eine gefährlichere Situation entstanden, die jeder Möglichkeit kontinentaler Einigung der Völker in diesem Teil der Welt scharf entgegen steht. Dies schafft einen gigantischen Block, der leicht das ganze Nordasien in einer Kombination zwischen zwei enormen kommunistischen Mächten – Russland und China – verschlingen könnte, und er würde mit der Drohung der Vereinnahmung Südwestasien und Tibet überschatten und könnte bis zur ganzen indischen Nordgrenze alles überrennen wollen. Dies würde Indiens Sicherheit und die von Westasien mit der Möglichkeit einer Invasion bedrohen, einer Einnahme und Unterjochung durch Einwanderung oder selbst durch überwältigende Militärmacht von Seiten einer ungewollten Ideologie, politischen und gesellschaftlichen Institutionen und Unterdrückung durch diese militante Masse des Kommunismus, dessen Ansturm sich leicht als unwiderstehlich erweisen könnte. Auf jeden Fall würde der Kontinent zwischen zwei riesigen Blöcken aufgeteilt, die in aktive gegenseitige Opposition eintreten könnten, und die Möglichkeit eines ungeheuren Weltkonflikts würde eintreten, der alles bisher Erfahrene in den Schatten stellen würde172....

*

4. April 1950

(Auszug aus einem Brief an einen Schüler)

Du hast in einem Deiner Briefe Deine Vorstellung der gegenwärtigen Finsternis in der Welt um uns herum zum Ausdruck gebracht.... Was mich angeht, so entmutigen mich diese finsteren Zustände nicht, auch überzeugen sie mich nicht von der Zwecklosigkeit “der Welt zu helfen”, denn ich wusste, dass sie auftreten würden – sie bestanden in der Weltnatur und mussten so an die Oberfläche kommen, um erschöpft oder verbannt zu werden, auf dass eine bessere Welt frei von ihnen sein kann. Schließlich musste etwas auf der äußeren Ebene getan werden, und dies kann bei dem Fortschritt auf der inneren Ebene helfen oder darauf vorbereiten. So ist Indien zum Beispiel frei, und seine Freiheit war notwendig, wenn das göttliche Werk getan werden sollte. Die Schwierigkeiten, die uns jetzt umgeben, mögen eine Zeitlang zunehmen, besonders in Bezug auf das Pakistan-Schlamassel gab es Dinge, die geschehen und geklärt werden mussten. Nehrus Bemühungen, den unvermeidlichen Zusammenstoß zu vermeiden, werden kaum für mehr als kurze Zeit Erfolg haben, und deshalb ist es nicht notwendig, dass Du nach Delhi gehst und ihm eine Ohrfeige verabreichst, wie Du es vorhattest. Auch hier wird es eine vollständige Klärung geben, obwohl unglücklicherweise ein beträchtliches Ausmaß an menschlichen Leiden in diesem Prozess unvermeidlich ist. Danach wird die Arbeit für das Göttliche eher möglich, und es kann sein, dass der Traum, wenn es denn ein Traum ist, die Welt dem spirituellen Licht entgegen zu führen, selbst zu einer Realität wird. Also bin ich selbst jetzt, in diesen finsteren Zuständen, nicht bereit, meinen Willen, der Welt zu helfen, als zur Niederlage verurteilt anzusehen173.

*

28. Juni 1950

(Briefauszug)

Ich weiß nicht, warum Du möchtest, dass Dir in dieser Korea-Affäre eine gedankliche Richtung gezeigt werden sollte174. Da gibt es nichts zu zögern, die ganze Angelegenheit ist so klar wie der Tag. Es handelt sich um den ersten Zug im kommunistischen Schlachtplan, zunächst diese nördlichen Teile einzunehmen und zu beherrschen und dann Südostasien als Vorbedingung für ihre Manöver in Bezug auf den verbleibenden Kontinent – im Vorübergehen Tibet, als Tor mit Öffnung nach Indien175. Wenn sie Erfolg haben, besteht kein Grund, warum gänzliche Weltherrschaft nicht in Schritten folgen sollte176....

*

(Über vierzig Jahre früher, am 18. September 1909 schrieb Sri Aurobindo:)

Das Ende eines Stadiums der Evolution wird gewöhnlich durch ein mächtiges Wiederaufleben von all dem gekennzeichnet, was aus der Evolution auszuscheiden hat.

*

November 1950

(Aus Sri Aurobindos letzten Schriften)

Diese Welt wurde nicht wirklich von einer blinden Naturkraft erschaffen: Selbst in der Bewusstlosigkeit ist die Gegenwart der höchsten Wahrheit an der Arbeit, es gibt eine sehende Macht dahinter, die unfehlbar am Werk ist, und die Schritte der Ignoranz werden selbst dann noch geführt, wenn sie zu straucheln scheinen.... In dieser unermesslichen und scheinbar konfusen Masse an Existenz besteht ein Gesetz, eine einzige Wahrheit des Seins, ein leitender und erfüllenden Zweck der Weltexistenz177.

*

Am 5. Dezember 1950 verließ Sri Aurobindo seinen Körper. Zehn Jahre lange hatte er daran gearbeitet, Indien aus den Klauen einer fremden Herrschaft zu befreien; über vierzig Jahre danach arbeitete er daran, die Erde aus den Klauen eines sterbenden Zeitalters zu befreien. Unter all den Nationen der Welt hatte Indien immer einen besonderen Platz in seinem Bewusstsein: für ihn war es Die Mutter, ein Wesen mit einer einmaligen Mission und Bestimmung innerhalb diesen Geburtswehen eines Neuen Zeitalters.

Lange hat die Urmutter nun darniedergelegen, halb schlummernd, halb sich zersetzend, Beute für Tausende von Krebsarten. Doch selbst heute, wenn wir zu dem erwachen, was sie zu einem solch einzigartigen Land macht, wenn wir in uns selbst das schlichte Geheimnis ihrer Urshakti wiederentdecken, wenn wir ihr blutendes Fleisch sehen und ihr Gebet an uns hören, so können wir doch ihre Wiedergeburt herbeiführen.

*

6. Juni 1967

(Eine innere Botschaft von Sri Aurobindo an Mutter.)

Alle Länder leben in Falschheit.

Wenn sich auch nur ein einziges Land mutig für die Wahrheit einsetzte, könnte die Welt gerettet werden178.

Zeittafel

15. August 1872 Sri Aurobindo wird in Kalkutta geboren, er verbringt seine ersten Lebensjahre in Rangpur (heute Bangladesh) und wird im Alter von 5 Jahren auf die Loreto-Klosterschule in Darjeeling geschickt.

21. Februar 1878 Mutter wird in Paris geboren.

Juni 1879 Sri Aurobindo verlässt Indien und reist mit seinen Eltern und seinen beiden älteren Brüdern nach England. Er verbringt 5 Jahre in Manchester, kommt 1884 auf die St. Paul’s School in London und 1890 auf das King’s College in Cambridge.

Dezember 1885 Erste Sitzung des indischen Nationalkongresses in Bombay.

16. August 1886 Ableben von Sri Ramakrishna.

August 1892 Sri Aurobindo besteht das ICS-Examen, da er jedoch nicht zur Reitprüfung erscheint, wird er disqualifiziert.

6. Februar 1893 Sri Aurobindo landet in Bombay und tritt bald in den Staatsdienst des Maharajas Gaekwar von Baroda. Vom August 1893 bis zum März 1894 schreibt er für den Indu Prakash die Artikelserie “Neue Lampen für alte”.

31. Mai 1893 Swami Vivekananda schifft sich nach Amerika ein.

8. April 1894 Ableben des bengalischen Nationaldichter Bankim Chandra Chatterji. Im Juli-August schreibt Sri Aurobindo eine Artikelserie über ihn im Indu Prakash.

1897 Sri Aurobindo unterrichtet Französisch, dann Englisch im Baroda College; er wird 1905 dessen Vize-Direktor.

15. Januar 1895 Swami Vivekananda landet in Colombo. Auf seinem Weg nordwärts hält er viele Lehrreden in ganz Indien.

um 1900 Sri Aurobindo knüpft erste Kontakte mit Geheimgesellschaften in Maharashtra und Bengalen.

30. April 1901 Sri Aurobindo heiratet Mrinalini Bose.

4. Juli 1902 Ableben von Swami Vivekananda.

1904 (?) Sri Aurobindo schreibt Bhawani Mandir, ein revolutionäres Pamphlet.

1905 Teilung Bengalens, Beginn der Swadeshi Bewegung.

August 1906 Bepin Chandra Pal gründet die englischsprachige Tageszeitung Bande Mataram; Sri Aurobindo tritt dem Stab bei und wird bald deren Chefredakteur. – Am 15. August wird das bengalische National-¬College mit Sri Aurobindo als Rektor eröffnet.

Dezember 1906 Während seiner Kalkutta Sitzung unter dem Vorsitz von Dadabhai Naoroji macht die Kongress-Partei Swaraj zu ihrem erklärten Ziel.

16. August 1907 Sri Aurobindo wird wegen der Veröffentlichung aufrührerischer Schriften im Bande Mataram verhaftet; gegen Kaution wird er wieder auf freien Fuß gesetzt. Er tritt von seinem Posten als Rektor zurück und hält am 23. August eine Rede vor Dozenten und Studenten. Einen Monat später wird er freigesprochen.

Dezember 1907 Während der Surat-Sitzung der Kongress-Partei trennt sich die nationalistische Partei unter dem Vorsitz von Sri Aurobindo von den Gemäßigten.

Erste Sitzung der moslemischen Liga in Karachi.

Januar 1908 In Baroda trifft Sri Aurobindo Vishnu Bhaskar Lele, einen Yogi aus Maharashtra, und hat die Erfahrung des Brahman-Bewusstseins. Er hält auf dem Rückweg nach Kalkutta zahlreiche Reden.

1907-1908 Viele nationalistische Führer, darunter Lala Lajpat Rai, Tilak, Ashwini Kumar Dutt, usw. werden aufgrund verschiedener repressiver Gesetze verschleppt. Die nationalistische Bewegung geht in den Untergrund.

2. Mai 1908 Sri Aurobindo wird im Bombenfall von Alipore verhaftet und verbringt ein Jahr im Gefängnis. Am 6. Mai 1909 wird er freigesprochen.

1909 Die Morley-Minto-Reformen schaffen für die indischen Moslems separate Wahlkreise.

30. Mai 1909 Sri Aurobindo hält seine berühmte Uttarpara Rede.

19. Juni 1909 Erste Ausgabe des Karmayogin (englischsprachige Wochenzeitschrift)

23. August 1909 Erste Ausgabe des Dharma (bengalische Wochenzeitschrift)

Februar 1910 Sri Aurobindo verlässt Kalkutta abrupt und reist nach Chandernagore. Am 31. März schifft er sich ein nach Pondicherry.

4. April 1910 Sri Aurobindo erreicht Pondicherry. Gegen ihn wird in Bezug auf einen Artikel im Karmayogin Anklage wegen Landesverrates erhoben, die Anklage wird im November eingestellt.

29. März 1914 Erste Begegnung mit Mutter.

Juni 1914 Tilak wird von der sechs Jahre andauernden Deportation nach Burma in sein Mutterland entlassen.

15. August 1914 Erste Ausgabe des Arya (einer englischsprachigen Monatszeitschrift), die bis 1921 erscheinen wird.

Dezember 1916 Der “Lucknow Pakt” zwischen der Kongress-Partei und der moslemischen Liga.

1919-1920 Beginn der Khilafat- und Nicht-Kooperationsbewegungen unter der wachsenden Führerschaft des Mahatma Gandhi.

1920 Sri Aurobindo lehnt verschiedene Angebote ab, nach Britisch-Indien und in die aktive Politik zurückzukehren.

24. April 1920 Mutter kehrt aus Japan nach Pondicherry zurück.

1. August 1920 Ableben von Lokmanya Tilak.

Oktober 1920 Dr. B.S. Munje besucht Sri Aurobindo.

Dezember 1920 Nagpur Sitzung der Kongress-Partei; das Ziel des Swaraj wird von der Khilafat-Agitation überschattet.

5. Juni 1923 Chittaranjan Das hat ein Treffen mit Sri Aurobindo.

September 1923 Gründung der Swarajya Partei.

5. Januar 1925 Lala Lajpat Rai und Purushottamdas Tandon treffen Sri Aurobindo.

16. Juni 1925 Ableben von Deshbandu Chittaranjan Das.

24. November 1926 Sri Aurobindo zieht sich völlig zurück, um sich auf seine Arbeit zu konzentrieren.

16. Februar 1928 Rabindranath Tagore trifft Sri Aurobindo.

November 1928 Lala Lajpat Rai stirbt einige Wochen nach einem Angriff der Polizei während einer Demonstration in Lahore.

Dezember 1929 In der Lahore-Sitzung der Kongress-Partei wird unter dem Vorsitz von Jawaharlal Nehru das Ziel vollkommener Unabhängigkeit angenommen.

1930-1932 Drei Runde-Tisch-Konferenzen mit dem Kommunalpreis im August 1932, der die Trennung zwischen Hindus und Moslems verschärft. Brutale Unterdrückung der zivilen Ungehorsamkeitsbewegung durch die britischen Herrscher.

1937 Bildung von Kongress-Ministerien in den verschiedenen Provinzen.

24. November 1938 Sri Aurobindo bricht sich während eines Medita¬tions¬gangs das Bein.

September 1939 Der 2. Weltkrieg bricht aus; die Provinz-Ministerien treten im Oktober-November zurück.

März 1940 Die moslemische Liga fordert auf ihrer Sitzung in Lahore formell die Gründung von Pakistan.

19. September 1940 Sri Aurobindo gibt eine Erklärung zur Unterstützung der Alliierten ab.

März 1941 Subhas Bose, nach seinen Ausbruch aus der Gefangenschaft in Kalkutta, trifft in Deutschland ein.

7. August 1941 Ableben von Rabindranath Tagore.

31. März 1942 Sri Aurobindo tritt öffentlich für die Cripps-Vorschläge ein; die Kongress-Partei lehnt sie ab.

April 1942 Die Japaner erobern Burma und bombardieren Städte an der indischen Ostküste.

9. August 1942 Beginn der “Quit India” Bewegung. Mahatma Gandhi und andere politische Führer werden bald danach verhaftet.

Juli 1944 Subhas Boses indische Nationalarmee und die Japaner werden in Manipur zurückgeschlagen.

16. August 1946 Die Moslemische Liga lanziert ihren “Direct Action” Plan; blutige Aufstände in Bengalen und Bihar folgen.

2. September 1946 Bildung einer Übergangsregierung, der die Moslemische Liga einen Monat später beitritt.

24. März 1947 Lord Mountbatten wird neuer Vizekönig.

Juni 1947 Am 3. kündigt Mountbatten die endgültige Entscheidung der britischen Regierung an, Indien auf der Grundlage der Teilung seine Unabhängigkeit zu geben; am 14. akzeptiert die Kongress-Partei die Teilung Indiens und die Gründung Pakistans.

15. August 1947 Indiens Unabhängigkeit; Sri Aurobindos 75. Geburtstag.

Oktober 1947 Pakistan greift Kaschmir an. Die indische Armee wirft die pakistanischen Truppen zurück, Nehru stellt die Kampfhandlungen jedoch ein und trägt den Disput vor die Vereinten Nationen.

30. Januar 1948 Mahatma Gandhi kommt durch ein Attentat ums Leben.

Oktober 1950 China fällt in Tibet ein, Indien sieht schweigend zu.

5. Dezember 1950 Sri Aurobindo verlässt seinen Körper, Mutter fährt mit seinem Werk fort.

Bibliographie

Auf deutsch erhältliche Bücher von und über Sri Aurobindo und Mutter:

Beim Verlag Hinder + Deelmann erhältlich:

Sri Aurobindo:

Das Göttliche Leben

Die Synthese des Yoga

Essays über die Gita

Savitri Legende und Sinnbild (deutsche Übersetzung von Heinz Kappes)

Das Geheimnis des Veda

Die Grundlagen der indischen Kultur

Das Ideal einer geeinten Menschheit

Über sich selbst

Licht auf Yoga

Bhagavadgita (aus dem Sanskrit übersetzt von Sri Aurobindo)

Mutter:

Mutters Agenda (13 Bände)

Satprem:

Mutter – Der Göttliche Materialismus

Mutter – Die neue Spezies

Mutter – Die Mutation des Todes

Beim Verlag W. Huchzermeyer, Edition Sawitri erhältlich:

Sri Aurobindo:

Die Dichtung der Zukunft

Zyklus der menschlichen Entwicklung

Briefe über den Yoga

Gedanken und Aphorismen, mit Erläuterungen der Mutter

Sawitri – Eine Sage und ein Gleichnis (zweisprachige Ausgabe, deutsche Übersetzung von Peter Steiger)

Mutter: Gespräche 1950-1958

Sri Aurobindo: Briefwechsel mit Nirodbaran

Nirodbaran: Gespräche mit Sri Aurobindo

Nirodbaran: Zwölf Jahre mit Sri Aurobindo

Satprem: Vom Körper der Erde oder der Sannyasin

Beim Aquamarin Verlag:

A. B. Purani: Abendgespräche mit Sri Aurobindo

Georges Van Vrekhem: Über den Menschen hinaus – Leben und Werk von Mutter und Sri Aurobindo

Sujata Nahar: Mirra (6 Bände)

 

1 CE 3, S. 125-127 (Der Großteil von Sri Aurobindos Zitaten ist der Centenary Edition, 1972, entnommen. Die erste Zahl gibt die Bandnummer an.)

Rückwärts zum Text

2 The Life of Sri Aurobindo von A.B. Purani (1978), S. 82

Rückwärts zum Text

3 On Himself, 26, S. 29-32

Rückwärts zum Text

4 Ein Autor, der in der Verteidigung des britischen Imperialismus vom “berechtigten Stolz” sprach, “den die kultivierten Mitglieder einer zivilisierten Gemeinschaft in der wohlwollenden Ausübung der Herrschaft verspüren und in der edlen Pflicht ihrer Nation, die höchste Form der Zivilisation zu verbreiten (sic).”

Rückwärts zum Text

5 Diese Politik führte zwei Jahre später zu den Morley-Minto Reformen (siehe S. 62 & 64). Die erste Versammlung der Islamischen Liga wurde am 29. Dezember 1907 in Karachi einberufen.

Rückwärts zum Text

6 Sri Aurobindo verwendete selten das Wort “Extremismus” oder “Extremistische Partei”, mit denen die britische Regierung und die gemäßigten Kongressabgeordneten die nationale Bewegung abzukanzeln versuchten.

Rückwärts zum Text

7 Ein Mantra, das einen Toten wieder zum Leben erwecken kann.

Rückwärts zum Text

8 Sri Aurobindo bezieht sich hier nicht allein auf die erpresserischen Tribute der Zamindars, sondern ebenfalls auf die grausame Behandlung, die die Bauernschaft durch die englischen Pflanzer erfährt sowie die rücksichtslose Aufoktroyierung hoher Steuern, die sie in große Armut trieben, mit dem sich wiederholenden Ergebnis von Hungersnöten. Den ungeheuren Abzug von Reichtum nach Großbritannien von allen Gebieten des indischen Wirtschaftslebens wurde eingehend dokumentiert in der zeitgenössischen Darstellung von Dadabhai Naoroji und Desher Katha von Ganesh Deuskar, einem Werk, das trotz seines umgehenden Verbotes durch die Briten einen kolossalen Einfluss hatte.

Rückwärts zum Text

9 Ein Hinweis auf den nationalen Aufstand von 1905.

Rückwärts zum Text

10 Ein Teil des Hauses, der den Frauen vorbehalten ist.

Rückwärts zum Text

11 Volksstämme in Westindien.

Rückwärts zum Text

12 A & R (Archives and Research), April 1978, 13-18.

Rückwärts zum Text

13 A & R, Dez. 78, S. 111

Rückwärts zum Text

14 A & R, April 79, S. 1-4. Diese und die vorherige Passage entstammen unveröffentlichten Artikeln, die die Polizei bei Sri Aurobindos Verhaftung im Mai 1908 beschlagnahmten. Diese beiden Artikel wurden als Beweismaterial im Alipore Bomben Fall verwendet: die Staatsanwaltschaft hoffte, damit zeigen zu können, dass es sich um aufrührerisches Schrifttum handele, das Gewalt und den Umsturz der britischen Herrschaft in Indien befürwortet.

Rückwärts zum Text

15 Dies waren die Worte von Lord Minto, des damaligen Vizekönigs von Indien, über Sri Aurobindo, aus Sri Aurobindo in the first Decade of the Century von Manoj Das, S. 137. Sir Edward Baker, der Governeur von Bengalen, stimmte dem zu: “Ich gebe ihm persönlich in einem stärkeren Maße die Schuld an der Verbreitung aufrührerischer Doktrin als irgendeinem anderen einzelnen Individuum in Bengalen oder selbst Indien.” ibid.

Rückwärts zum Text

16 On Himself, 26:34

Rückwärts zum Text

17 Es ist wichtig zu unterstreichen, dass Sri Aurobindo in diesem indischen Zusammenhang das Wort “Religion” nicht im engen dogmatischen Sinne verwendet, sondern immer in einem weiteren hinduistischen Sinne des dharma (vergl. S. 49 und 69)

Rückwärts zum Text

18 Sri Aurobindo hat sich niemals der absurden Trennung von Aryanern und Dravidianern verschrieben: “Ich halte die sogenannten Aryaner und Dravidianer für eine homogene Rasse,” schrieb er später in The Secrets of the Vedas. Dieser Punkt wird in späteren Passagen weiterentwickelt.

Rückwärts zum Text

19 Sitze der britischen Kolonialregierung in Indien

Rückwärts zum Text

20 Nach dem Aufstand, der auf die Teilung Bengalens folgte, war die Repression der Kolonialregierung besonders verschlagen und erbarmungslos geworden.

Rückwärts zum Text

21 Sri Aurobindo bezieht sich hier auf “The Message of the East”, einen Artikel, der von Dr. A.K. Coomaraswamy in The Modern Review geschrieben wurde.

Rückwärts zum Text

22 Sri Aurobindo bezieht sich hier besonders auf das bemerkenswerte künstlerische Erwachen, dessen Zeuge Bengalen am Ende des 19. Jahrhunderts wurde, wobei die Tagore-Familie seine talentiertesten Führer stellte. Dieses Erwachen konnte jedoch nicht dem utilitaristischen Angriff widerstehen und begann in den 1930er Jahren zu verblassen.

Rückwärts zum Text

23 A & R, Dez. 1979, S. 196-199

Rückwärts zum Text

24 Ibid. S. 200 – 201

Rückwärts zum Text

25 On Himself, 26, 27, 37-38

Rückwärts zum Text

26 Einer der letzten assyrischen Könige aus dem siebten Jahrhundert vor Christi

Rückwärts zum Text

27 Mitglieder der letzten Dynastie einheimischer Herrscher Persiens, den Sassaniden, die vom dritten bis zum siebten Jahrhundert A.D. regierten, bis die mohammedanischen Eroberungen Persien überwältigten

Rückwärts zum Text

28 A & R, April 1981, S. 1-6

Rückwärts zum Text

29 A & R, April 1983, S. 47

Rückwärts zum Text

30 A & R, Dec. 1980, S. 187-194

Rückwärts zum Text

31 Ibid S. 194

Rückwärts zum Text

32 A & R., Dezember 1977, S. 84

Rückwärts zum Text

33 A & R, April 83, S. 21

Rückwärts zum Text

34 3. 116-117

Rückwärts zum Text

35 “Was könnte langweiliger sein als der Veda?” hat Max Müller auch gefragt. Die meisten übrigen Gelehrten des 19. Jahrhunderts stimmten dem bei: “Die Verse der Veden sind vollkommen prosaisch”, sagt Wilson, “und auf jeden Fall besteht ihr Hauptwert nicht in ihrer Fatasie [sic], sondern in ihren gesellschaftlichen und religiösen Tatsachen.” Williams findet, dass sie “mehr von pubertären Ideen wimmeln als von schlagenden Gedanken und erhabenen Entwürfen.” Griffith fühlt sich von “der unerträglichen Monotonie einer großen Anzahl der Hymnen” betroffen, deren Sprache und Stil, nach Cowell, “in einzigartiger Weise künstlich” seien. Letzterer jedoch gesteht zu, dass “ein viel umfassenderes und tieferes Studium notwendig ist, um die wirkliche Bedeutung dieser alten Hymnen zu durchdringen.”

Rückwärts zum Text

36 A & R, Dezember 1983, S. 100, 124

Rückwärts zum Text

37 A & R, Dezember 1984, S. 132, 136 – Und zwar ein sehr hartnäckiger. Sri Aurobindos einleuchtend konsequente und zwingende Ausführung ihrer symbolischen Bedeutung in Das Geheimnis des Veda, die eine detaillierte Widerlegung der “Aryanischen Invasionstheorie” lieferte, wurde (und wird noch immer) fleißig von westlichen und den meisten indischen Gelehrten ignoriert. Es ist jedoch auffallend, festzustellen, dass diese Theorie und die aus ihr resultierende Rekonstruktion der antiken Geschichte Indiens, die als gesichertes Wissen vorgestellt und gelehrt wird, nicht allein keine Bestätigung in gleich welcher Hinsicht durch die archäologischen Funde erfährt (die sie im Gegenteil vielmehr widerlegen – siehe die folgende Anmerkung), sondern dass sie in unmittelbarem Widerspruch zu zwei Hauptlinien der indischen Tradition steht: 1. diejenige, welche die Ramayana und die Mahabharata als auf historischer Tradition begründet sieht (itihasa), sicherlich beträchtlich ausgeschmückt, aber dennoch mit einem Kern von Geschichtlichkeit: in diesen Epen finden wir eine sehr hoch entwickelte Zivilisation beschrieben, die sich über viele Jahrhunderte erstreckt, sowie einen großen Krieg, der um das Jahr 1400 vor unserer Zeitrechnung geführt wurde, beide Aspekte sind unvereinbar mit jener Theorie, nach der halbprimitive rindviehanbetende Aryaner um 1500 vor Christus nach Indien eingefallen wären; wonach der große Krieg bestenfalls eine Verherrlichung eines “Lokalstreites” zwischen zwei aryanischen Stämmen gewesen wäre. 2. Die wichtigere Tradition, die davon ausgeht, dass der Veda ein Buch göttlichen und ewigen Wissens ist: die meisten modernen Gelehrten finden nichts davon in ihm, was jedoch nicht erstaunlich ist, da sie sich dafür entschieden haben, Geschichte, Geographie und Völkerkunde in den Veda hineinzulesen und jede Möglichkeit von vornherein auszuschließen, dass er einen tieferen, symbolischen Inhalt haben könnte (und folglich, dass die vedischen Rishis bedeutende spirituelle Erfahrungen gehabt haben können); sie sind auch gezwungen, den Veda auf 1000 v. Ch. zu datieren, ein lächerlich spätes Datum.

Rückwärts zum Text

38 A & R, Dez. 85, S. 152, 168

Rückwärts zum Text

39 A & R, April 1979, S. 93-94

Rückwärts zum Text

40 Ibid, S. 94. – Sri Aurobindo schrieb dies etwa acht Jahre vor den ersten archäologischen Entdeckungen 1921-22 der Indus-Tal oder Harappan Zivilisation (3000-1700 v.Chr.). Da a priori entschieden wurde, dass die “vedischen Aryaner” Indien um 1500 v.Chr. in Indien einfielen, sahen sich die meisten Gelehrten gezwungen zu schließen, dass die Harappan Zivilisation “präaryanisch” und prävedisch war. Nichtsdestoweniger bezeugen Gottheiten, die in yogischen Positionen sitzen, Darstellungen von Feuer und Opferaltaren, Figuren der sogenannten Pasupati und dem Stier, Anbetung der Muttergottheit, jüngere Anzeichen einer starken Verwandtschaft zwischen der Indus-Tal Sprache und dem vedischen Sanskrit die große Übereinstimmung mit der vedischen Kultur, und tatsächlich gehen eine Anzahl von Archäologen zu dem Standpunkt über, dass die Harappan Zivilisation später oder gar postvedisch war. Andererseits stimmen sie darin überein, dass keine Funde östlich des Indus gemacht wurden, die auf Spuren hindeuten würden, dass ein Aryanisches Volk nach Indien gekommen wäre.

Rückwärts zum Text

41 Gedanken und Aphorismen, Band 17 der Centenary Edition

Rückwärts zum Text

42 gegenüber dem Britischen Weltreich in Südafrika (1899-1902). Als Sri Aurobindo diesen Brief schrieb, befand sich Gandhi noch in Südafrika; er kehrte einige Monate später nach Indien zurück, im Januar 1915.

Rückwärts zum Text

43 The Secret of the Vedas, X, 3

Rückwärts zum Text

44 17, 393-394

Rückwärts zum Text

45 Ich ziehe es vor, den Begriff Rasse nicht zu verwenden, denn Rasse ist etwas, dass sich viel weniger und schwieriger bestimmen lässt, als man es sich gemeinhin vorstellt. Was diesen Begriff angeht, sind die scharfen, der populären Auffassung geläufigen Unterscheidungen völlig fehl am Platz. [Sri Aurobindos Fußnote

Rückwärts zum Text

46 Sri Aurobindo studierte Tamil einige Jahre mit Hilfe von Subramaniam Bharati, dem bekannten tamilischen Revolutionär und Dichter.

Rückwärts zum Text

47 die Monatszeitschrift, die von Sri Aurobindo zwischen 1914 und 1921 herausgegeben wurde.

Rückwärts zum Text

48 16. 402-403

Rückwärts zum Text

49 On Himself, 26, 424

Rückwärts zum Text

50 ibid, 26, 425

Rückwärts zum Text

51 Wir können in diesen wenigen Auszügen keine vernünftige Ideen vom vedischen Symbolismus vermitteln, den Sri Aurobindo ans Tageslicht brachte. Der Leser wird auf das Geheimnis des Veda verwiesen.

Rückwärts zum Text

52 The Secret of the Veda, 10, 352-353

Rückwärts zum Text

53 16. 311

Rückwärts zum Text

54 17. 277-279

Rückwärts zum Text

55 ein von Max Müller geprägtes Wort (der Glaube an einen Gott ohne die Existenz anderer zu leugnen [Webster’s] oder die Verehrung eines bevorzugten Gottes unter anderen [Wahrig])

Rückwärts zum Text

56 17. 337-341

Rückwärts zum Text

57 Dabei ist das Sanskrit die einzige Sprache, die jemals durch den gesamten indischen Subkontinent hindurch gebraucht wurde, zudem diejenige, die seinem Geist und Reichtum den besten Ausdruck verleiht, dennoch ist sie heute im Aussterben begriffen, und von ihrem Studium wird heute sowohl in Nord- als auch in Südindien abgeraten.

Rückwärts zum Text

58 16, 317-319

Rückwärts zum Text

59 The Human Cycle, 15, 3-8

Rückwärts zum Text

60 The Secret of the Veda, 10, 439

Rückwärts zum Text

61 Hymns to the Mystic Fire, 11, 9-18

Rückwärts zum Text

62 Essays on the Gita, 13, 37-42

Rückwärts zum Text

63 Ibid., 13, 44-45

Rückwärts zum Text

64 Ibid, 13, 52-54

Rückwärts zum Text

65 Das Vital repräsentiert in Sri Aurobindos Terminologie den Bereich des Bewusstseins zwischen dem Physischen und dem Mental, d.h. der Bereich der Empfindungen, Gefühle, Leidenschaften usw., die die verschiedenen Ausdrucksformen der Lebensenergie ausmachen.

Rückwärts zum Text

66 The Human Cycle, 15, 69-73

Rückwärts zum Text

67 16, 392-394

Rückwärts zum Text

68 The Ideal of Human Unity, 15, 492-493

Rückwärts zum Text

69 The Hour of God, S. 3 – 4

Rückwärts zum Text

70 A. & R., Dezember 84, S. 190

Rückwärts zum Text

71 17. 351, 357

Rückwärts zum Text

72 27, 505-507

Rückwärts zum Text

73 The Human Cycle, 15, 209-213

Rückwärts zum Text

74 ibid., 15, 230

Rückwärts zum Text

75 ibid., 15, 243

Rückwärts zum Text

76 Die Antwort Stephensons an diejenigen, die mit strenger wissenschaftlicher Logik argumentierten, dass seine Maschine auf Schienen sich nicht bewegen könne oder sollte: “Ihr Problem wird durch ihre Bewegung lösen.” [Sri Aurobindos Fußnote].

Rückwärts zum Text

77 ibid, 15, 250-252.

Rückwärts zum Text

78 The Renaissance of India, 14.401-404

Rückwärts zum Text

79 War and Self-Determination, 15. 598

Rückwärts zum Text

80 ibid.

Rückwärts zum Text

81 The Renaissance of India, 14, 426-33

Rückwärts zum Text

82 The Foundations of Indian Culture, 14, 1 – 11

Rückwärts zum Text

83 War and Self-Determination, 15, 588-597

Rückwärts zum Text

84 The Foundations of Indian Culture, 14, 27,31

Rückwärts zum Text

85 Essays on the Gita, 13, 367-372

Rückwärts zum Text

86 The Foundations of Indian Culture, 14, 122-130

Rückwärts zum Text

87 17, 179

Rückwärts zum Text

88 Kalki: der letzte Avatar, der mit einem Schwert bewaffnet auf einem geflügelten Schimmel geritten kommt. Seine Ankunft gleiche “der eines brennenden Kometen”.

Rückwärts zum Text

89 War and Self-Determination, 15, 635

Rückwärts zum Text

90 Die Amritsar-Sitzung erklärte Swaraj zum Ziel der Kongress-Partei, dasselbe tat die folgende Nagpur Sitzung, ebenfalls 1920; diese Forderung wurde jedoch bald überschattet durch die Khilafat-Bewegung (d.h. die Fortführung des türkischen Sultans als Kalifen der mohammedanischen Welt), und sie trat erst wieder in der Lahore Sitzung 1929 wieder in den Vordergrund.

Rückwärts zum Text

91 On Himself, 26, 430-431

Rückwärts zum Text

92 Im Original bengalischer Text, siehe A. & R., April 1980, S. 1 – 10

Rückwärts zum Text

93 16, 331

Rückwärts zum Text

94 2, 431

Rückwärts zum Text

95 Dr. Munje besuchte Sri Aurobindo im Oktober 1920 und hatte lange Gespräche mit ihm; später wurde er ein Führer der Hindu Mahasabha.

Rückwärts zum Text

96 On Himself, 26, 432-433

Rückwärts zum Text

97 Dies ist eine Anspielung auf jene Regierungsbeamte, die für das Jallianwala-Massaker verantwortlich waren, und auf die Khilafat Bewegung.

Rückwärts zum Text

98 17, 194-196

Rückwärts zum Text

99 The Foundations of Indian Culture, 14, 363-381

Rückwärts zum Text

100 On Himself, 26, 437

Rückwärts zum Text

101 Ibid., 26, 438-439

Rückwärts zum Text

102 Mustapha Kemal, dessen nationalistische Streitkräfte den Sultan im November 1922 absetzten und der in der Türkei ein Jahr später die Republik ausrief, ließ schließlich das Amt des Kaliphen Anfang März 1924 abschaffen. Die Kaliphat-Bewegung starb in Indien bald darauf eines natürlichen Todes, allerdings nachdem es ihr gelungen war, in den indischen Moslems den Sinn ihrer Getrenntheit zu stärken.

Rückwärts zum Text

103 Leider ist diese Tendenz umgekehrt worden, und der Bahaismus ist in vielen moslemischen Ländern verboten; im Iran ist der Bahaismus noch immer der Gegenstand gravierender Verfolgungen, und die offizielle Politik besteht darin: “den Fortschritt und die Entwicklung des Bahaismus zu blockieren.”

Rückwärts zum Text

104 Sri Aurobindo nannte “Supermind” oder “Supramental” jenen Bereich des vollen Wahrheits-Bewusstseins, der der normale Bewusstseinszustand der nächsten Evolutionsstufe sein wird, ebenso wie das Mental der normale Bewusstseinszustand unserer menschlichen Stufe ist.

Rückwärts zum Text

105 Gandhi hat von Anfang an klargestellt, dass die Khilafat-Frage in seinen Augen wichtiger und dringlicher war als die Frage des Swaraj. Er schrieb dazu: “Muselmanen bedeutet Swaraj, wie es auch sein sollte, Indiens Fähigkeit, effektiv mit der Khilafat-Frage umzugehen.... Es ist unmöglich, nicht mit dieser Haltung zu sympathisieren.... Ich wäre glücklich, eine Verschiebung der Swaraj-Aktivität zu fordern, wenn wir dafür das Interesse des Khilafats weiter vorantreiben könnten.” (History of the Freedom Movement in India, von R. C. Majumdar, KLM, 1988, Bd. III, S. 81)

Rückwärts zum Text

106 Dies bezieht sich auf schwere Aufstände, die sich im Vormonat in Calcutta zugetragen hatten.

Rückwärts zum Text

107 17, 7-8

Rückwärts zum Text

108 Satchitananda: das ewige göttliche Prinzip der Existenz (Sat), des Bewusstseins (Chit) und der Wonne (Ananda).

Rückwärts zum Text

109 On Himself, 26, 126

Rückwärts zum Text

110 Ibid., 26, 483

Rückwärts zum Text

111 Ibid., 26, 122, 124

Rückwärts zum Text

112 Dieses Phänomen wurde auch von vielen bemerkt, die sich Gandhi näherten. Nehru schrieb beispielsweise: “Ich sagte ihm [d.h. Gandhi im März 1931], dass seine Art, uns zu überraschen, mich ängstigt, es gab etwas Unbekanntes um ihn, das ich trotz der engsten Zusammenarbeit über 14 Jahre hinweg überhaupt nicht verstehen konnte und das mich mit Besorgnis erfüllte. Er gab die Gegenwart dieses Unbekannten in sich zu und sagte, dass er selbst dafür keine Verantwortung übernehmen und voraussagen könnte, wo es hinführe.” (The History of the Freedom Movement in India, Bd. III, 310)

Rückwärts zum Text

113 Der Schüler bezieht sich wahrscheinlich auf die zweite Konferenz, an der Gandhi in London Ende 1931 teilnahm und die schließlich scheiterte. Die britische Regierung reagierte darauf mit einer Schreckensherrschaft, Stockschläge und Schießkommandos gegen Demonstranten, Gefängnis, Auspeitschungen und Folter von Zehntausenden. Danach stiftete sie “kommunale Preise”, die die Spaltung zwischen Indern und Moslems weiter verhärtete, ebenso wie die Spaltung innerhalb der Hindus auf der Grundlage des Kastenwesens.

Rückwärts zum Text

114 On Himself, 26, 468-469

Rückwärts zum Text

115 Ibid., 26, 165

Rückwärts zum Text

116 “Die Erde ist sein Halt” (Brihadaranyaka Upanishad I.1.1), “In der Materie hat er sich sein festes Fundament eingerichtet” (Mundaka Upanishad II.2.8)

Rückwärts zum Text

117 Letters on Yoga, 22, 78

Rückwärts zum Text

118 Ibid, 22, 152

Rückwärts zum Text

119 The Liberator von Sisirkumar Mitra (Jaico 1970), 190. Tilak, der 1914 von einer 6 Jahre landen Deportation nach Burma zurückkehrte, organisierte 1916 die “Home-Rule” Agitation und führte wenige Monate später den Wiedereintritt der Nationalisten in die Kongress-Partei während ihrer Lucknow Sitzung an. Die Moslem-Liga kam zur selben Zeit in Lucknow zusammen, und willigte ein, mit der Kongress-Partei zusammenzuarbeiten, im Tausch gegen das Zugeständnis separater Wählerschaften und einer festgelegten Anzahl von Sitzen für Moslems in den Provinz- und Reichslegislativräten (der sogenannte “Lucknow Pakt”).

Rückwärts zum Text

120 On Himself, 26, 375-376

Rückwärts zum Text

121 Letters on Yoga, 22, 196-198

Rückwärts zum Text

122 Ibid., 24, 1608-1609

Rückwärts zum Text

123 Ibid., 23, 716

Rückwärts zum Text

124 Ibid., 23, 717

Rückwärts zum Text

125 On Himself, 26, 167

Rückwärts zum Text

126 Ibid., 26, 143

Rückwärts zum Text

127 Letters on Yoga, 22, 205

Rückwärts zum Text

128 On Himself, 26, 125

Rückwärts zum Text

129 Letters on Yoga, 22, 490

Rückwärts zum Text

130 Ibid., 22, 153

Rückwärts zum Text

131 Ibid., 22, 490

Rückwärts zum Text

132 Dieser erste Absatz wird hier zum ersten Mal veröffentlicht.

Rückwärts zum Text

133 Ibid., 22, 144 (nur der zweite Absatz)

Rückwärts zum Text

134 On Himself, 26, 389

Rückwärts zum Text

135 Ibid., 26, 135

Rückwärts zum Text

136 Letters on Yoga, 22, 140

Rückwärts zum Text

137 On Himself, 26, 380

Rückwärts zum Text

138 Letters on Yoga, 23, 665-666

Rückwärts zum Text

139 Ibid., 22, 139

Rückwärts zum Text

140 Ibid., 22, 486-487

Rückwärts zum Text

141 Sri Aurobindo bezieht sich auf bestimmte betrügerische finanzielle Praktiken.

Rückwärts zum Text

142 Correspondence with Sri Aurobindo von Nirodbaran, Bd. II, 1185

Rückwärts zum Text

143 Es ist bemerkenswert, dass einer der allerfrühesten Versuche, die britische Herrschaft in Indien abzuwerfen, in den ausgehenden Jahrzehnten des achtzehnten Jahrhunderts von organisierten Gruppen von Sannyasins in Ostindien unternommen wurden.

Rückwärts zum Text

144 1942 unterstützte Sri Aurobindo öffentlich den Cripps Vorschlag, Indien den Dominion-Status zu geben (siehe Seite 245)

Rückwärts zum Text

145 Eine Sympathie, die zu dieser Zeit von vielen Indern geteilt wurde. Sie war der Ausdruck einer berechtigten antibritischen Einstellung, sie verschleierte jedoch das, was wirklich auf dem Spiel stand.

Rückwärts zum Text

146 Kein “Friedensangebot”, sondern Pétains Kapitulation vor Hitler.

Rückwärts zum Text

147 Das bezieht sich auf einen offenen Brief, den Gandhi einige Tage früher an die Briten richtete: “Ich appelliere an Sie, die Feindseligkeiten einzustellen,... denn Krieg ist dem Wesen nach schlecht. Sie wollen das Nazitum vernichten. Ihre Soldaten verrichten den gleichen Zerstörungsdienst wie die Deutschen. Der einzige Unterschied liegt vielleicht darin, dass Sie nicht ganz so gründlich sind wie die Deutschen.... Ich wage es, Ihnen einen edleren und tapfereren Weg zu weisen, einen Weg, der des bravsten Soldaten würdig ist. Ich will, dass Sie das Naziwesen ohne Waffen bekämpfen... oder besser mit gewaltlosen Waffen. Ich möchte, dass Sie die Waffen, die Sie besitzen, niederlegen, da Sie nutzlos sind, Sie selbst oder die Menschheit zu retten.... Laden Sie Herrn Hitler und Signore Mussolini ein, sich von Ihren Ländern, die Sie Ihre Besitztümer nennen, das zu nehmen, was Sie wollen. Lasst sie Besitz ergreifen von Ihrem herrlichen Inselchen mit all seinen herrlichen Gebäuden. Sie sollten ihnen alles geben, außer Ihre Seelen und Ihren Geist....” (Amrita Bazar Patrika, 4. Juli 1940, “Die Methode der Gewaltlosigkeit – der Appell des Mahatma Gandhi an jeden Briten.”)

Rückwärts zum Text

148 Sich den Unabhängigkeitsforderungen eines geeinten Indiens fügen, da Großbritannien während des Krieges Indiens Unterstützung benötigte.

Rückwärts zum Text

149 Durch ihren Rücktritt von allen Ministerien der Provinzen im Oktober/ November 1939, als die Kongress-Partei sich für unfähig erklärte, die Briten im Krieg zu unterstützen.

Rückwärts zum Text

150 Einige Tage zuvor gab Sri Aurobindo eine öffentliche Erklärung zur Unterstützung der Alliierten (siehe Seite 244)

Rückwärts zum Text

151 The Life Divine, 19, 1053-1056

Rückwärts zum Text

152 On Himself, 26, 394

Rückwärts zum Text

153 Ibid.

Rückwärts zum Text

154 Ibid., 26, 399 – Am darauffolgenden Tag, dem 1. April antwortete Cripps mit dem folgenden Telegramm: “Ihre freundliche Botschaft hat mich sehr berührt und zufriedengestellt und sie erlaubt mir, Indien darüber zu informieren, dass Sie, der eine solch einzigartige Position in der Vorstellung der indischen Jugend einnimmt, davon überzeugt sind, dass die Erklärung der Regierung seiner Majestät auf substantielle Weise Indien jene Freiheit zugesteht, um die Ihr Nationalismus so lange gekämpft hat.”

Rückwärts zum Text

155 Ibid., 26, 396-398

Rückwärts zum Text

156 Ibid., 26, 129-130

Rückwärts zum Text

157 Ibid., 26, 167-168

Rückwärts zum Text

158 Dies bezieht sich auf die Übergangsregierung, auf die sich die Briten und die Kongress-Partei geeinigt hatten und an der die moslemische Liga gerade ihre Teilnahme zugesagt hatte.

Rückwärts zum Text

159 Ibid., 26, 168-69

Rückwärts zum Text

160 Letters on Yoga, 22, 424-425

Rückwärts zum Text

161 Sardar Vallabhai Patel (1875-1950) war Indiens Innenminister nach der Unabhängigkeit, er zeigte große Festigkeit in der Verhandlung der Fürstentümer, Kashmirs Übergang zu Indien und den Zusammenschluss des Staates Hyderabad.

Rückwärts zum Text

162 Champaklal Speaks (1976), 66

Rückwärts zum Text

163 On Himself, 26, 169-170

Rückwärts zum Text

164 Ibid., 26, 401-402 – Das gerade entstandene Pakistan fiel zwei Monate später in Kaschmir ein. Die indische Armee konnte den Angriff abwehren und war gerade dabei, die pakistanischen Streitkräfte aus Kaschmir zu vertreiben, als Nehru die Kämpfe einstellen ließ und den “Disput” vor die Vereinten Nationen trug – mit dem Ergebnis, dass Kaschmir bis heute geteilt ist und sein von Pakistan besetzter Teil eine anhaltende Quelle des Terrorismus ist, der sich nach Indien ergießt, als Teil der Vorbereitung von dem, was pakistanische Führer als “die Notwendigkeit einer zweiten Spaltung Indiens” bezeichnet haben.

Rückwärts zum Text

165 Ibid., 26, 49

Rückwärts zum Text

166 Ibid.,26, 22

Rückwärts zum Text

167 Ibid., 26, 171-172

Rückwärts zum Text

168 Die Bildung indischer Staaten nach sprachlichen Gesichtspunkten in den folgenden Jahren, obwohl sie Sri Aurobindos Vorschlägen oberflächlich entsprach, wurde praktisch durch ein solch hohes Ausmaß an Zentralisierung und alles durchdringender Bürokratie begleitet, dass das “natürliche Spiel des Lebens” der Provinzen eher erstickt als ermutigt wurde. Die starre und einförmige Maschinerie parlamentarischer Repräsentanz, die den Staaten aufoktroyiert wurde und von der offen zugegeben wurde, dass sie vor allem Korruption und Spaltung förderte, war ebenfalls kaum geeignet, jene “vollkommene Umsetzung” zu gewährleisten, die Sri Aurobindo in Bezug auf einen indischen Staatenbund vorschwebte.

Rückwärts zum Text

169 Ibid., 26, 407-413

Rückwärts zum Text

170 Eine Anspielung auf die kürzliche Entdeckung und den Einsatz von Atombomben.

Rückwärts zum Text

171 The Ideal of Human Unity, 15, 563-565

Rückwärts zum Text

172 Ibid., 15, 567

Rückwärts zum Text

173 teilweise veröffentlicht in On Himself, 26, 172

Rückwärts zum Text

174 Einige Tage zuvor hatten nordkoreanische Streitkräfte mit sowjetischer Hilfe einen Angriff auf Südkorea gestartet; chinesische Truppen würden einige Monate später eingreifen.

Rückwärts zum Text

175 China fiel vier Monate später, im Oktober, in Tibet ein.

Rückwärts zum Text

176 Ibid., 26, 416

Rückwärts zum Text

177 The Supramental Manifestation upon Earth, 16, 73

Rückwärts zum Text

178 Mutters Agenda, Bd. 8

Rückwärts zum Text

in English

in French