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Sri Aurobindo

Das Göttliche Leben

Buch 1

Kapitel II. Die beiden Verneinungen. 1. Die Ablehnung des Materialisten

Er verlieh der Bewußtseinskraft Nachdruck, (in der strengen Disziplin des Denkens) und kam zu der Erkenntnis, daß Materie das brahman ist. Denn aus Materie werden alle Wesen geboren. Nach der Geburt wachsen sie durch Materie und gehen wieder in Materie ein, wenn sie von hinnen scheiden. Dann ging er zu Varuna, seinem Vater, und sprach: “Herr, belehre mich über das brahman.” Der aber antwortete ihm: “Konzentriere in dir (erneut) die Bewußtseinskraft; denn die Kraft ist brahman”.

Taittiriya Upanishad III, 1,2.

Die Behauptung, es gebe ein göttliches Leben auf Erden und ein Erfühlen der Unsterblichkeit im sterblichen Dasein, kann nur dann eine feste Grundlage haben, wenn wir nicht allein ewigen Geist als den Bewohner dieser körperlichen Behausung und Träger dieses veränderlichen Gewandes anerkennen, sondern auch Materie, aus der der Körper gemacht ist, als ein geeignetes und edles Material annehmen, aus dem Er ständig Seine Gewänder webt und immer neu die unendliche Reihe Seiner Wohnungen erbaut.

Das genügt jedoch nicht, uns davon abzuhalten, daß wir vor dem Leben im Körper zurückschrecken, es sei denn, wir nehmen mit den Upanishaden hinter den Erscheinungen die Identität im Wesentlichen dieser beiden extremen Begriffe des Daseins wahr und können darum in der Sprache jener alten Schriften sagen: “Auch Materie ist brahman.” So erst geben wir dem kraftvollen Bild seine volle Bedeutung, womit das physische Universum als der äußere Leib des Göttlichen Wesens beschrieben wird. Diese Identifikation überzeugt jedoch den rationalen Intellekt durchaus nicht – so weit sind offensichtlich diese beiden extremen Begriffe voneinander getrennt –, wenn wir nicht eine Reihe von Begriffen in aufsteigender Folge zwischen Geist und Materie anerkennen wollen: Leben, Mental, Supramental und die Stufen, die Mental und Supramental verbinden. Sonst müssen die beiden als unversöhnbare Gegner erscheinen, die durch eine unglückliche Ehe aneinander gebunden sind, deren Scheidung die einzig vernünftige Lösung wäre. Identifiziert man beide und stellt jeden in den Begriffen des anderen dar, dann wird daraus ein künstliches Gebilde des Denkens, das der Logik der Tatsachen widerspricht und nur durch irrationalen Mystizismus möglich ist.

Bejahen wir nur einerseits reinen Geist und andererseits mechanische, nicht intelligente Substanz oder Energie und nennen wir das eine Gott oder Seele und das andere Natur, dann wird es unvermeidlich sein, daß wir schließlich entweder Gott verleugnen oder uns von der Natur abkehren. Sowohl für das Denken als auch für das Leben wird also eine Entscheidung zwingend. Denken kommt entweder zur Verleugnung des einen als einer Illusion der Phantasie oder des anderen als einer Illusion der Sinne. Leben klammert sich fest an das Immaterielle und flieht in Abscheu oder selbstvergessener Ekstase vor sich selber, oder es verleugnet seine eigene Unsterblichkeit, orientiert sich nicht mehr an Gott, sondern am Tier. Dann haben purusha und prakriti, die passiv-lichtvolle Seele der Sankhyas und deren mechanisch-aktive Energie nichts miteinander gemein, nicht einmal ihre entgegengesetzten Seins-Zustände trägen Beharrens. Ihre Antinomien können nur dadurch aufgelöst werden, daß die von Trägheit angetriebene Aktivität sich in die unbewegliche Ruhe auflöst, auf die sie die bedeutungslose Aufeinanderfolge ihrer Bilder in wirkungsloser Weise projiziert hatte. Shankaras weltfreies, inaktives Selbst und seine maya der vielen Namen und Formen sind in gleicher Weise unvereinbare, unversöhnbare Einheiten. Ihr starrer Widerstreit kann nur dadurch aufhören, daß sich die vielfältige Illusion in die alleinige Wahrheit ewigen Schweigens auflöst.

Der Materialist hat es leichter. Wenn er den Geist leugnet, kann er zu einer eher überzeugenden einfachen Behauptung gelangen, zu einem wirklichen Monismus der Materie oder auch der Kraft. Er kann aber nicht auf die Dauer bei dieser einseitigen Behauptung bleiben. Auch er muß schließlich ein Unerkennbares als unbeweglich beharrend annehmen, fern dem bekannten Universum, den passiven purusha oder den schweigenden atman. Das dient aber nur dem Zweck, durch vage Konzession die unerbittlichen Forderungen des Denkens beiseite zu schieben, oder als Entschuldigung für die Weigerung, die Grenzen des Forschens weiter auszudehnen.

Darum kann sich das menschliche Mental mit diesen unfruchtbaren Widersprüchen nicht zufriedengeben. Es muß immer weiter nach vollständiger Bejahung suchen. Sie kann es nur durch erleuchtete Aussöhnung der Gegensätze finden. Um diese Aussöhnung zu erreichen, muß es durch alle Stufen gehen, die uns unser inneres Bewußtsein auferlegt, und dabei entweder durch die objektive Methode der Analyse, angewandt auf das Leben und das Mental wie bisher auf die Materie, oder durch subjektive Synthese und Erleuchtung zu dem Ruhepunkt der höchsten Einheit gelangen, ohne dabei der Energie ihren Ausdruck in der Vielfalt zu verbieten. All die vielförmigen und scheinbar einander widersprechenden Gegebenheiten des Daseins können allein in solch vollständiger und allumfassender Bejahung harmonisiert werden. Nur so können die zahlreichen, einander bekämpfenden Kräfte, die unser Denken und Leben beherrschen, die zentrale Wahrheit entdecken, die sie hier symbolisieren und verschiedenartig zur Erfüllung bringen. Nur so kann unser Denken, das eine wahre Mitte erlangt hat, aufhören, die Dinge zu umkreisen. Es kann nun so wirken wie das brahman der Upanishaden: tief gegründet und standfest in seinem Kräftespiel und weltweitem Herumschweifen. Unser Leben kennt nun sein Ziel und kann ihm ebenso mit heiterer unwandelbarer Freude und Erleuchtung wie mit rhythmisch wechselnder Kraft dienen.

Ist dieser Rhythmus aber einmal gestört, dann ist es für den Menschen nötig und dienlich, jeden dieser beiden großen Gegensätze gesondert in seiner extremen Behauptung nachzuprüfen. Es ist die natürliche Art des Mentals, dann mit vollkommener Klarheit zu der Bejahung, die es verloren hatte, zurückzukehren. Es mag unterwegs den Versuch machen, auf den dazwischenliegenden Stufen anzuhalten und alle Dinge auf die Begriffe von ursprünglicher Lebens-Energie oder von Sinnesempfindung oder von Ideen zurückzuführen. Solche ausschließenden Lösungen haben aber immer den Charakter von etwas Unwirklichem. Sie mögen eine Zeitlang die logische Vernunft zufrieden stellen, die nur mit reinen Ideen umgeht. Sie können aber nicht den Sinn des Mentals für Aktualität befriedigen. Denn dieses weiß, daß hinter ihm etwas steht, das nicht die Idee ist. Andererseits weiß es auch, daß etwas in seinem Inneren ist, das mehr ist als der vitale Atem. Sowohl Geist wie Materie können es eine Zeitlang meinen lassen, sie seien die absolute Wirklichkeit. Keines der dazwischenliegenden Prinzipien kann das tun. Darum muß das Mental zuerst zu den beiden Extremen gehen, bevor es sich wieder erfolgreich dem Ganzen zuwenden kann. Dem Intellekt steht ein Sinnenapparat zur Verfügung, der seiner Eigenart gemäß nur Teile des Daseins deutlich und klar wahrnehmen kann und sich einer Sprache bedienen muß, die nur dann deutlich wird, wenn sie sorgfältig trennt und abgrenzt. Hat er diese Vielfalt elementarer Prinzipien vor sich, so wird er bei seinem Suchen nach der Einheit dazu getrieben, alles rücksichtslos auf die Begriffe eines einzigen Prinzips zurückzuführen. Um dieses durchzusetzen, versucht er praktisch, die anderen auszuschließen. Will aber der Intellekt ohne diesen Prozeß des Ausschaltens den wahren Ursprung der Identität erkennen, muß er entweder den Sprung über sich selbst hinaus wagen oder den Kreis ganz durchlaufen, um am Ende zu finden, daß sich alles in gleicher Weise auf Jenes zurückführen läßt, das über jede Definition und Beschreibung erhaben und doch nicht nur wirklich, sondern auch erreichbar ist. Auf welchem Weg wir auch gehen mögen, Jenes ist immer das Ziel, zu dem wir gelangen, und wir können es nur verfehlen, wenn wir uns weigern, die Reise zu vollenden.

Darum ist es verheißungsvoll, daß wir heute nach vielen Experimenten und verbalen Lösungen wieder den beiden Extremen gegenüberstehen, die allein so lange Zeit die strengsten Nachprüfungen durch die Erfahrung ausgehalten haben und am Ende der Erfahrung beide zu einem Ergebnis kamen, dem das universale Grundgefühl in der Menschheit, dieser verhüllte Richter, Hüter und Vertreter des universalen Geistes der Wahrheit, die Anerkennung als richtig oder befriedigend verweigert. In Europa und in Indien haben sich in gleicher Weise die Ablehnung des Materialisten und die Entsagung des Asketen als die einzige Wahrheit zu behaupten und das Verständnis des Lebens zu beherrschen gesucht. Wenn das Ergebnis in Indien ein reiches Anhäufen der Schätze des Geistes, oder doch mancher von ihnen, gewesen ist, so führte es auf der anderen Seite zu einem folgenschweren Bankrott des Lebens. In Europa hat dagegen die Fülle an Reichtümern und die triumphale Beherrschung der Mächte und Schätze dieser Welt fortschreitend zu einem gleichen Bankrott in den Dingen des Geistes geführt. Der Intellekt, der die Lösung aller Probleme in dem einen Begriff der Materie suchte, fand keine Befriedigung in der erhaltenen Antwort. Darum wird die Zeit reif -und dahin bewegt sich auch die Tendenz der Welt – für eine neue umfassende Bejahung im Denken, in der inneren und äußeren Erfahrung und für die ihr entsprechende neue, reiche Selbst-Erfüllung in einem vollständigen Menschsein für den Einzelnen wie für die Menschheit.

Aus dem Unterschied in den Beziehungen des Geistes und der Materie zu dem Unerkennbaren, das sie beide repräsentieren, ergibt sich auch ein Unterschied der Wirksamkeit in den materiellen und den spirituellen Verneinungen. Die Ablehnung des Materialisten ist zwar nachdrücklicher und unmittelbar erfolgreicher, sie spricht auch die Masse der Menschheit viel leichter an. Sie ist aber von geringerer Dauer und letztlich weniger wirkungsstark als die verzehrende, gefährliche Entsagung des Asketen. Denn sie trägt ihre eigene Überwindung in sich. Ihr stärkstes Element ist der Agnostizismus, der das Unerkennbare hinter aller Manifestation zugibt, aber die Grenzen des Unerkennbaren soweit ausdehnt, daß es alles umfaßt, was noch unbekannt ist. Seine Voraussetzung ist, daß die physischen Sinne unser einziges Erkenntnismittel sind und darum die Vernunft, selbst bei weitesten und kühnsten Höhenflügen, dem Bereich der Sinne nicht entkommen kann. Sie muß sich immer und ausschließlich mit den Tatsachen auseinandersetzen, die jene ihr liefern oder nahelegen. Und selbst diese Anregungen müssen stets fest an ihren Ursprung gebunden bleiben. Wir können nicht über sie hinausgehen und können sie nicht als Brücke verwenden, die uns in einen Bereich führt, in dem machtvollere und weniger begrenzte Fähigkeiten eine Rolle spielen und eine andere Forschungsmethode angewandt werden muß.

Eine so willkürliche Voraussetzung spricht sich ihr eigenes Urteil der Unzulänglichkeit. Man kann sie nur aufrechterhalten, wenn man den ganzen weiten Bereich von Evidenz und Erfahrung, der ihr widerspricht, unbeachtet läßt oder wegerklärt, wenn man edle und nützliche Eigenschaften bestreitet oder herabsetzt, die in allen menschlichen Wesen bewußt, verborgen oder zumindest latent vorhanden sind, und sich weigert, supra-physische Phänomene zu erforschen, wenn sie nicht in Beziehung zur Materie und ihren Bewegungen hervortreten und als untergeordnete Wirkung materieller Kräfte aufgefaßt werden können. Sobald wir die Wirkungsweisen von Mental und Supramental zu untersuchen beginnen und dabei jenes Vorurteil fallen lassen, das in ihnen von Anfang an nur einen der Materie untergeordneten Begriff sehen will, kommen wir mit einer Masse von Phänomenen in Berührung, die dem starren Zugriff und einengenden Dogmatismus der materialistischen Formel völlig entgehen. In dem Augenblick, wo wir anerkennen – was uns unsere sich immer mehr ausweitende Erfahrung anzuerkennen zwingt –, daß es im Universum erkennbare Wirklichkeiten außerhalb der Reichweite der 22 -

Sinne gibt und daß im Menschen Mächte und Fähigkeiten vorhanden sind, die viel eher die materiellen Organe bestimmen, durch die sie sich in Berührung mit der Welt der Sinne, mit dieser äußeren Schale unseres wahren vollständigen Daseins, halten, als daß sie durch diese bestimmt werden – verschwindet die Prämisse des materialistischen Agnostizismus. Nun sind wir für eine umfassende Darstellung und eine sich immer weiter entwickelnde Erforschung der Tatsachen bereit.

Zuerst sollten wir aber den außerordentlichen, unentbehrlichen Nutzen anerkennen, den wir der kurzen Periode des rationalistischen Materialismus, durch die die Menschheit hindurchgegangen ist, verdanken. Denn man kann jenes weite Gebiet von Tatsachen und Erfahrungen, dessen Tore sich jetzt wieder vor uns zu öffnen beginnen, nur dann mit Sicherheit betreten, wenn der Intellekt streng zu einer klaren, nüchternen Disziplin trainiert worden ist. Wenn sich das Mental unreifer Menschen dieses Gebietes bemächtigt, führt das zu gefährlichen Entstellungen und irreführenden Phantastereien. Tatsächlich hat das in der Vergangenheit einen wirklichen Wahrheitskern mit einer solchen Kruste entstellenden Aberglaubens und vernunftwidriger Dogmen überzogen, daß dadurch jeder Fortschritt zu wahrer Erkenntnis unmöglich wurde. Da war es zu einer gewissen Zeit nötig, reine Bahn zu schaffen und dabei die Wahrheit zusammen mit ihrer irreführenden Entstellung hinauszufegen, damit der Weg für einen neuen Anfang und ein gesicherteres Fortschreiten frei werde. Die rationalistische Tendenz des Materialismus hat der Menschheit diesen großen Dienst erwiesen.

Die die Sinne transzendierenden Befähigungen wurden, durch die Tatsache, daß sie in die Materie verstrickt, in einen physischen Körper entsandt sind, um dort zu wirken, und unter ein Joch gespannt sind, um den einen Wagen zusammen mit den Sehnsüchten des Gefühlslebens und den Impulsen der Nerven zu ziehen, einem vermischten Wirken ausgesetzt, wobei sie in Gefahr stehen, eher eine Verwirrung zu erleuchten, als die Wahrheit aufzuhellen. Dieses vermischte Tätigsein ist besonders dann gefährlich, wenn Menschen mit ungeläutertem Mental und unreinen Empfindungen sich in die höheren Bereiche spiritueller Erfahrung zu erheben versuchen. Wie oft verlieren sie sich durch diese voreiligen und überstürzten Abenteuer in Bereiche ungreifbarer Wolkengebilde, halberhellten Nebels und einer Finsternis, von Blitzen zerrissen, die mehr blenden als leuchten. Das Abenteuer war auf dem Weg, auf dem die Natur ihren Fortschritt zu bewirken beliebt – und sie amüsiert sich ja auch bei ihrem Wirken, – gewiß notwendig, für die Vernunft war es aber doch überstürzt und voreilig.

Darum ist es unerläßlich, daß sich die vorwärtsschreitende Erkenntnis auf einen klaren, reinen und disziplinierten Intellekt gründet. Ebenso nötig ist auch, daß sie von Zeit zu Zeit ihre Irrtümer durch die Beschränkung auf die sinnlich wahrnehmbare Tatsache korrigiert und zu den konkreten Wirklichkeiten der physischen Welt zurückkehrt. Dem Sohn der Erde erbringt, selbst wenn er nach supraphysischem Wissen sucht, die Berührung mit der Erde stets eine Erneuerung seiner Kraft. Man kann sogar sagen, daß wir das Supraphysische nur dann in seiner ganzen Fülle meistern – zu seinen Höhen können wir immer emporstreben wenn wir unsere Füße fest auf dem irdischen Grund behalten. “Die Erde ist seiner Füße Stand,” sagt die Upanishad, wenn immer sie das Selbst betrachtet, das sich im Universum manifestiert (Mundaka Upanishad, II. 1. 4. und Brihadaranyaka Upanishad, I. 1. 1.). Es steht sicherlich fest: Je weiter wir unsere Erkenntnis der physischen Welt ausdehnen und je gesicherter wir sie machen, desto breiter und tragfähiger wird auch die Fundierung der höheren Erkenntnis, selbst für das höchste Wissen, selbst für brahmavidya.

Wenn wir also aus der materialistischen Periode menschlicher Erkenntnis auftauchen, müssen wir uns davor hüten, vorschnell das zu verurteilen, was wir hinter uns lassen, oder auch nur ein Tüttelchen ihrer Errungenschaften wegzuwerfen, bevor wir über Wahrnehmungen und Mächte verfügen können, die klar verstanden und gesichert genug sind, um sie zu ersetzen. Vielmehr sollen wir das, was der Atheismus für das Göttliche tat, mit Achtung betrachten und die Dienste bewundern, die jener Agnostizismus vorbereitend für die grenzenlose Vermehrung des Wissens leistete. In unserer Welt ist Irrtum ständig Diener und Pfadfinder von Wahrheit. Denn Irrtum ist in Wirklichkeit halbe Wahrheit, deren Fehler nur in ihrer Begrenztheit liegt. Oft ist er Wahrheit, die sich vermummt, um unbeachtet ihrem Ziel nahezukommen. Es wäre gut, er könnte immer das sein, was er in dem großen Zeitabschnitt war, den wir nun verlassen; der treue Diener, streng, gewissenhaft, mit reinen Motiven, innerhalb seiner Grenzen erleuchtet, zwar nur halbe Wahrheit, aber nicht rücksichtslose, anmaßende Verirrung.

Ein gewisser Agnostizismus ist die endgültige Wahrheit jeder Erkenntnis. Denn wenn wir an das Ende jeglichen Pfades gelangen, erscheint uns das Universum nur als ein Symbol, als äußere Erscheinung einer unerkennbaren Wirklichkeit, die sich hier in verschiedenen Systemen von Werten zum Ausdruck bringt: physischen, vitalen und sinnlichen, sowie intellektuellen, idealen und spirituellen Werten. Je mehr Jenes für uns zur Wirklichkeit wird, desto mehr wird erkannt, daß es stets jenseits des definierenden Denkens und des formulierenden Ausdrucks steht. “Dorthin reicht nicht das Mental und auch nicht die Sprache” (Kena Upanishad, I. 3.). Dennoch kann man, wie von Seiten der Illusionisten, die Unwirklichkeit der Erscheinung ebenso wie die Nichterkennbarkeit des Unerkennbaren übertreiben. Wenn wir von Ihm als dem Unerkennbaren sprechen, meinen wir in Wirklichkeit, daß Es sich dem Zugriff unseres Denkens und unserer Sprache entzieht, dieser Instrumente, die stets mit dem Sinn der Unterscheidung vorgehen und mit der Methode der Definition darstellen. Ist Es aber auch nicht durch das Denken erkennbar, so ist Es doch durch eine höchste Bemühung von Bewußtsein erreichbar. Es gibt überdies eine Art Erkenntnis, die mit Identität eins ist und durch die Es in gewissem Sinn erkannt werden kann. Gewiß kann eine solche Erkenntnis nicht zutreffend in den Begriffen von Denken und Sprache ausgedrückt werden. Wenn wir sie aber erlangt haben, ergibt sich daraus eine Neubewertung von Jenem in den Symbolen unseres kosmischen Bewußtseins, und zwar nicht nur in einem einzigen, sondern in allen Symbolbereichen. Das führt zu einer Umwandlung unseres inneren Wesens und, durch die innere Umwandlung, zu einer Verwandlung unseres äußeren Lebens. Außerdem gibt es eine Art des Erkennens, durch die Jenes sich mittels all dieser Namen und Gestaltungen des phänomenalen Daseins offenbart, die Es vor der gewöhnlichen Intelligenz verbergen. Zu diesem höheren (wenn auch noch nicht höchsten) Verfahren des Erkennens können wir gelangen, wenn wir die Grenzlinien der materialistischen Formel überschreiten und Leben, Mental und Supramental in den Phänomenen untersuchen, die für sie charakteristisch sind, und nicht mehr nur in jenen untergeordneten Abläufen, durch die sie sich mit der Materie verknüpfen.

Das Unbekannte ist nicht das Unerkennbare. (“Anders ist Jenes als das Erkannte; es steht auch über dem Unerkannten”, Kena Upanishad, I. 3.). Es braucht für uns nicht das Unerkannte zu bleiben, wenn wir nicht Unwissenheit vorziehen oder in unseren anfänglichen Begrenzungen stecken bleiben wollen. Denn allen Dingen, die nicht unerkennbar sind, also allen Dingen im Universum, entsprechen in diesem Universum Eigenschaften, die sie zur Kenntnis nehmen können. Im Menschen, dem Mikrokosmos, sind diese Fähigkeiten stets existent und auf einer bestimmten Stufe entwicklungsfähig. Wir können vorziehen, sie nicht zu entfalten. Wo sie nur teilweise entwickelt sind, können wir sie anhalten und ihnen eine Art Unterernährung auferlegen. Grundsätzlich ist alles, was erkennbar ist, auch der Erkenntnis des Menschen zugänglich. Da nun im Menschen dieser unveräußerliche Drang der Natur zu seiner Selbst-Verwirklichung liegt, kann sich auch kein Kampf des Intellekts für immer durchsetzen, das Wirken unserer Fähigkeiten auf einen begrenzten Bereich einzuschränken. Wenn wir die Materie erforscht und ihre verborgenen Eigenschaften als wirklich erkannt haben, muß dieselbe Erkenntnis, die sich in jener zeitweiligen Begrenzung als nützlich erwiesen hatte, uns nun (wie die Treiber im Veda) zurufen: “Vorwärts, drängt nun weiter auch in andere Gefilde!”, Rig Veda, I. 4. 5.).

Wäre der moderne Materialismus nur ein nicht-intelligentes Sich-zufriedengeben im materiellen Leben, dann wäre der Fortschritt auf unbestimmte Zeit verzögert. Da aber seine wahre Seele das Suchen nach der Erkenntnis ist, kann er diesem unmöglich selbst ein Halt zurufen. Wenn er die Schranken der Sinneserkenntnis und der Vernunftschlüsse aus der Sinneserkenntnis erreicht hat, wird sein eigener Schwung ihn darüber hinwegtragen. Die Schnelligkeit und Sicherheit, mit der er das sichtbare Universum erfaßt hat, ist nur ein Unterpfand für die Energie und den Erfolg, die wir bei der Eroberung dessen, was jenseits der Sinnenwelt existiert, wiederholt zu sehen hoffen, wenn einmal der Schritt über die Schranke hinweg getan ist. Wir sehen dieses Vordringen jetzt schon in seinen verborgenen Anfängen.

Erkenntnis hat, auf welchem Pfad man auch nach ihr strebt, die Tendenz, nicht nur in dem einen letzten Begriff, sondern auch auf der großen Linie ihrer allgemeinen Ergebnisse eins zu werden. Hierfür kann nichts auffallender und überzeugender sein als der Umfang, bis zu dem die moderne Naturwissenschaft auf dem Gebiet der Materie die Auffassungen und sogar die Formeln der Sprache bestätigt, zu denen man mit einer ganz anderen Methode im Vedanta gekommen ist, und zwar im ursprünglichen Vedanta der Upanishaden, nicht dem der verschiedenen Schulen metaphysischer Philosophie. Diese offenbaren andererseits ihre volle Bedeutung und ihre reicheren Inhalte erst, wenn man sie in dem neuen Licht betrachtet, das durch die Entdeckungen der modernen Naturwissenschaften auf sie geworfen wird. Das gilt beispielsweise für jenen vedantischen Ausdruck, der die Dinge im Kosmos als eine einzige Saat beschreibt, die von der universalen Energie in vielfachen Formen entfaltet worden ist (Svetasvatara Upanishad, VI. 12.). Bedeutungsvoll ist besonders die Tendenz der Naturwissenschaften zu einem Monismus, der sich mit der Vielfalt verträgt, also zur Idee des Veda von dem einen wesenhaften Sein mit seinen vielfachen Werdeformen. Selbst wenn man auf der dualistischen Erscheinung von Materie und Kraft besteht, widerspricht das doch nicht diesem Monismus. Denn es wird offenkundig, daß Materie ihrem Wesen nach etwas für die Sinne nicht Existentes, sondern nur, wie das pradhana der Sankhya-Philosophen, eine begriffliche Form der Substanz ist. Tatsächlich hat man immer schneller den Punkt erreicht, an dem nur noch eine willkürliche Unterscheidung im Denken die Form der Substanz von der Form der Energie trennt.

Schließlich ist Materie Ausdruck der Formulierung einer unbekannten Kraft. Auch das Leben, dieses noch nicht ausgelotete Mysterium, offenbart sich als eine geheime Energie von Empfindungsfähigkeit, die in ihre materielle Formulierung eingesperrt ist. Ist die trennende Unwissenheit überwunden, die uns eine Kluft zwischen Leben und Materie empfinden läßt, können wir nur schwer annehmen, Mental, Leben und Materie seien etwas anderes als eine einzige in einer dreifachen Formel ausgedrückte Energie, die dreifache Welt der vedischen Seher. Dann wird sich auch die Auffassung von einer rohen materiellen Kraft als Mutter des Mentals nicht mehr halten lassen. Die Energie, die die Welt erschafft, kann nichts anderes sein als ein Wille, und Wille ist Bewußtsein, das sich in den Dienst eines Wirkens und eines Resultats stellt.

Was sollte dieses Werk und dieses Ergebnis anderes sein als eine Selbst-Involution von Bewußtsein in die Form und eine Selbst-Evolution aus der Form, um so die mächtige Möglichkeit im Universum, das es geschaffen hat, zu aktualisieren? Was ist der Wille im Menschen anderes als ein Wille zu unendlichem Leben, zu unbegrenztem Wissen und zu ungefesselter Macht? Selbst die Naturwissenschaft träumt heute von einem physischen Sieg über den Tod, sie drückt einen unersättlichen Durst nach Wissen aus und schafft irgendwie an einer irdischen Allmacht für die Menschheit. Raum und Zeit ziehen sich durch ihr Wirken fast bis zum Nullpunkt zusammen. Sie versucht auf hundert Wegen, den Menschen zum Herrn über die Umstände zu machen und ihm so die Fesseln der Kausalität zu erleichtern. Die Vorstellung von einer Begrenzung, von einem “unmöglich” wird immer verschwommener. Statt dessen sieht es so aus, als ob der Mensch das, was er beharrlich will, schließlich auch zu tun fähig sein muß. Denn das Bewußtsein in der Menschheit findet am Ende immer die Mittel dazu. Diese Allmacht drückt sich aber nicht im einzelnen Menschen aus, sondern der kollektive Wille der Menschheit bewirkt das und verwendet das Individuum als Werkzeug. Schauen wir aber noch tiefer, dann ist das nicht ein bewußter Wille des Kollektivs, vielmehr eine überbewußte Macht, die das Individuum als Zentrum und Mittel und das Kollektiv als Grundbedingung und Feld verwendet. Was ist dieser Wille aber anderes als der Gott im Menschen, die unendliche Identität, die vielfältige Einheit, der Allwissende, der Allmächtige? Den Menschen hat Er zu Seinem Ebenbild erschaffen und ihm das Ich als Zentrum des Wirkens gegeben. Und Er erschuf die Menschheit, den kollektiven narayana,1 um darin den Menschen zu prägen und zu begrenzen. Nun sucht Er in den universalen Menschen, visvamanava, irgendein Ebenbild von Einheit, Allwissenheit und Allmacht zum Ausdruck zu bringen, in denen das Göttliche Wesen sich selbst versteht. “Was unsterblich in den Menschen lebt, das ist ein Gott. Er wohnt in ihrem Inneren als eine Kraft, die sich in unseren göttlichen Kräften auswirkt” (Rig Veda, IV. 2. 1.). Diesem ungeheuren kosmischen Impuls dient die moderne Welt, ohne daß sie ihr Ziel recht erkennt, mit all ihren Aktivitäten, und sie bemüht sich unbewußt um dessen Erfüllung.

Doch gibt es stets Begrenzung und Behinderung, Begrenzung in der Er-Kenntnis durch den materiellen Bereich, und Behinderung in der Macht durch den materiellen Mechanismus. Aber auch hier ist die neueste Bestrebung bedeutungsvoll für eine freiere Zukunft. So wie die Außenposten der wissenschaftlichen Erkenntnis immer mehr an die Grenzen hinausgeschoben werden, die das Materielle vom Immateriellen scheiden, so suchen die höchsten Errungenschaften der praktischen Naturwissenschaft die technischen Mittel, mit denen man die höchsten Wirkungen erzielt, immer mehr zu vereinfachen und bis auf den Nullpunkt zu reduzieren. Drahtlose Telegraphie ist äußeres Zeichen der Natur und Hinweis auf eine neue Orientierung. Das sinnenfällige physische Mittel für die unmittelbare Übertragung der physischen Kraft ist beseitigt. Es wird nur noch an den Punkten der Sendung und des Empfangs beibehalten. Schließlich müssen auch diese noch verschwinden. Denn wenn man die Gesetze und Kräfte des Supraphysischen vom richtigen Ausgangspunkt her studiert, wird man unfehlbar für das Mental Mittel und Wege finden, die physische Energie unmittelbar zu erfassen und genau auf ihrem Weg zum Ziel zu beschleunigen. Wenn wir das einmal erkennen, stehen uns die Tore für ungeheure Ausblicke in die Zukunft offen. Selbst wenn wir das volle Wissen und die vollständige Kontrolle über die Welten unmittelbar oberhalb der Materie hätten, wäre auch dort noch eine Grenze und noch ein Jenseits davon. Der letzte Knoten unserer Gebundenheit befindet sich an jenem Punkt, an dem das Äußere in die Einung mit dem Inneren übergeht. Dort wird der Mechanismus des Ichs selbst bis zum Nullpunkt verfeinert. Das Gesetz für unser Handeln ist letztlich Einheit, die Vielfalt umfaßt und in sich selbst besitzt. Da ist nicht mehr wie jetzt Vielfalt, die um Gestaltung der Einheit ringt. Hier ist der zentrale Thron des kosmischen Wissens, von wo es sein ausgedehntes Reich überschaut. Hier ist das Reich unseres Selbsts eins mit dem Reich unserer Welt: svarajya und samrajya, das doppelte Ziel, das sich der Yoga der Alten gesetzt hatte. Hier ist das Leben in dem ewig erhabenen Wesen: salokya-mukti, Befreiung durch das Dasein in einer einzigen Welt des Seienden zusammen mit dem Göttlichen Wesen. Hier ist die Verwirklichung Seiner Göttlichen Natur in unserem menschlichen Dasein: sadharmya-mukti, die Befreiung durch die Annahme der Göttlichen Natur.

 

1 ein Name für Vishnu, der als der Gott im Menschen ständig mit nara, dem menschlichen Wesen, in zweifacher Einung verbunden lebt.

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